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Full text of "Gesammelte Schriften"

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UNWERENN | / 


Friedrich Bodenſtedt's 


Ber ammelte Schriften. 


Neunter Band. 


L ing! 


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Boco 
| Friedrich Bodenſtedt's 


Ger ammelte Schriften. 


Gesummt- Ausgabe 


zwölf Bänden. 


Neunter Band 


Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruderei 
(R. v. Decker). 


ln mad 


hat; 7 


Alte und neue Gedichte 


von 


Friedrich Bodenſtedt. 


Erster Band, 


1 N 9 i 
Berlin BEER 


Verlag der Königlichen Geheimen Ober - Hofbuchdruderei 
(R. v. Decker). 


** Wr 


AE 178 


Inhaltsverzeichniß. 


Mein: Lebenslauf. 229 A] ene Far e. 2, 
Wenn du kommſt um zu erfreunnn nns 
Sieh’ aus dem Schlot die Funken ſprüähkhnss 
ene, EEE RE N eee 
Wenn der Frühling auf die Berge fleigt. 2.2... 2... 2. 
EB N EEE RA 
da Meer. tes. un e. . H. 
Die Berge ſteh'n in dunkeln Reihnn nnn 
n Tanz im Gebirges nr. e 2 ea 
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adenten Drinelted . Une. urn Azul ar 3 
Yalt-mir das Trinkhern %. %% as lat hl, 
Sieh, das Thier trinkt keinen Weininn ns 
ais und der Philiſter ne. „ r AT 
Seit deiner Augen Himmelsg land 
Gag noch ein Lied M ee e. , Lem. 
e ais tert. G. n gt. i ple As. 
Schwarze Augen, dunkle Kohlen 
Ach, wie oft ward ich betrogennnn‚nmnsnsnss 
eerfahrt „Henn. A e 


. 

Sinngedichte und Sprüche. Seite 
PP Y 43 
EB ich. Rroft aun offenbaren. . „cum = 0 2 00 Be 43 
Wie ernft wir wandeln unſre Lebenspfade . 2... .. 222.0. 4 
Wohl ift Erinnerung ein Glück... 44 
inen man f ae A 45 
Der Schmerz, die Freude ſpielen nicht mit Bildern 45 
Die Tugend hab' ich nie gelobtt ee en 45 
—A % %«ͤ é „„ é— 1 46 
Schweres Leid, das wir empfunden. 46 
Nach vollem Glück vergeben Vs 46 
Im Gh oft unbewußt . r 46 
Klug fih in Welt und Menſchen fügen . 47 
Bi plagen im Leben 2 ð 47 
Der Welt mehr geben als fie uns giebttre. 47 
Wohlthun ſchafft eignes gleichwie fremdes Glück k.. 48 
Wo Jeder iſt, wie er ſich zeignt.. id 6 e 
Will uns der Himmel ſegnen 4 10 e Gu 48 
r ˙ V . —²Ü 1 . 49 
it und Jetzt.. . . le 50%, 4 % ee e 50 
Trifft dich ein Leiden ohne Schuld „„ ine 
Was iſt es, das am Ende bleibtt. öl 
Willſt du klug durch's Leben wandeenr n 51 
Sammle dich zu jeglichem Geſchäfft ee. 5 51 
Die ächte Scham iſt ohne Ueber legung 52 
i nicht alt in jungen Jahren „ne 52 
Schafft frohe Jugend euren Kindeen Poren > 
Nur Menſchen, die ſelbſt nicht viel taugen se 52 
Der giebt nicht viel, der ſich erſt viel beſinn 53 
Mein Freund weiß manches Sprichworrtte . 53 
Wer nicht den Gott im eignen Buſen trägt. . . 53 
Nur was im Geiſte aufgenommen „ J an e 53 
Wenn das Glück ſich wenig um mich kümmert * 54 
Wohl beſſer iſt's ohn' Anerkennung lebeee n . 54 
Ruhm hat feinen Werth verloren. a | 
Eine große Tugend iſt Stummheillt 54 
Nächſt der Dummheit iſt es Roh heilte „ 55 
Zur rechten Zeit erfaſſeeꝶ n. RR 


N 


Pi Zn ul a 


Seite 
Mögt ihr meine Weisheit taden ... Nn 55 
Es treiben zuchtloſe Geiſteeu-r “““ “nr. 56 
Wenn ich der Menſchen Treiben ſe n e 
Klagt nicht, daß euch fo ſchnell die Jugend flieht... e 
Als ich noch jung war, glaubt! ich, Alles daue +. 57 
Wem Gott fein täglich Brot verliennl :2. rennen 57 
Die Macht des Rechtes eee ee 58 
Das Walten des Schickſ als 59 
A » W ar eiee 60 
Gefühl' hat der Menſch mit dem Thiere gemein 1 
Wer nichts iſt, ſucht vor den Leute˙ nns. 61 
PP ˙ RE RR 61 
r SR RE A A 62 
r e 62 
Sonette. 
% ne a a aa ee ae 65 
Gern flücht' ich mich in deine Schattenfühle........... 66 
Gedanken brüten auch im Bergeshirne 67 
Wie mancher Wandrer hat hier ausgerulint 68 
Aus dunkler Scholle ſpringt die klare Que lll. 69 
D . RE 13 
en nee en et 71 
nen > eralece min ae Kia niedte an eh 72 
nd, U Ä TS h ee eee 73 
enen \o geist Aa 74 
— — e e we ee 5 75 
— — Win. S sines 76 
An Seine Majeſtät König Maximilian II. (Bei Ueberſendung 
meines Demetrius „ 
en jungen Brautpaare „f. nissen 78 
r l.. pa een 79 
— r rer 80 
— Nic weten eee i 81 
een, u ee ae te 82 
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a N 


Verſchiedene. Seite 
ihne n,, TU HE 87 
,, , ran Pe 90 
Heinrich VIII. und Iwan IV. (der Schreckliche). 93 
An mein jüngſtes Töchterchen 94 
ahnen ee eee eee 95 
Lord Byron's Ode an Napoleon Buonaparte .. 2.2... 96 
en 102 
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Radbot, der heidniſche Herzog der Frieſ nn 105 
r 108 
„„ 111 
ai de aeten nnn ER ee 111 
ß 112 
Warum die Juden kein Schweinefleiſch eſſen. Gandriſge Voltage) 112 
Vom treuen Ritter und der fpröden Maid 114 
Zeit- und Gelegenheitsgedichte. 
Die Stoff⸗ und Kraftphiloſopgen . de 117 
Nee ee ee 
u kriegeriiumn Nazarener . 3.0 OL 202 306 Am 120 
fpruch zur Schilierfeiee ser... , en 123 
Lied, geſungen bei der Enthüllung des Schiller-Monumentes 
+́&—&—— ) . ae A 125 
Beim Tode Sr. Majeſtät des Königs Maximilian II. (10. März 1864.) 126 
Zur Shakeſpeare⸗Feier (23. April 1864aꝓaʒ/j e 128 
Prolog zu einem Concert zur Unterſtützung der Kriegsbefchä- 
hen (Münuft 1806.) 2Tt: . Sen 131 
Volksweiſen als Intermezzo. 
Es war im Dorfe Hochzeit ER 135 
Die Zigeunerbande ſinngtgtg %. wan 136 
Die Zigeunerin flag au t. a gen 138 
Das Zigeunermädchen ſingnnn e. 139 
(Ruſſiſches.) Nachtigall, o Nachtigall % 140 
Sing’, mit Sonnenaufgang finge ed 141 
Das Bögkeie u Wie N 142 
Sang wohl, fang das VögeleiinnnnnnnnnnnLn. 142 


erbiſches Sied ul nass 143 


„ . 


Seite 
ischen Sid 100050 ar ende Die shi 144 
Der Räuber (altruſſiſchl‚ ) . aus 145 
D eee 146 
, .. aan 2010040 TREE 147 
Lied der Koſaken vom Schwarzen Meere. 148 
Kurdiſche Lieder. 
% 271 ˙ο 
2. Schön iſt das Mädchen das ich meine 149 
3 Klagelled . ...... ed. ea 150 
4 Trauerrede „ eg nd. ns % Ai 151 
Aus dem Morgenlande. (1843 — 1845.) 
O Thor, der du in fremden Lä nden 155 
„ een a eh 156 
pad d ae eee 159 
Windeswehen vom KaukaſrttIrtrs 164 
e d erraten gern BEE 165 
Georgian e e , nee 166 
Pb a u e 168 
Ein Sommertag in Eribae nnn 170 
Weiches Srablieedd99?99” d 478 171 
Schamyl in den Wäldern von Itſch kerri. 72d. % PR 172 
iche Todten klage z 175 
— T. w 8 177 
// ͤ ̃ ͤ URHEBER 182 
Die Roſe von Tiflis. 
Gern ſchau' ich in's dunkle Auge diirr?etrnrt . 187 
r RL AESPTFUNEN 5 AREREN 2 ORT 188 
Re be Be. ĩͤ6— .::.. 189 
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Aus dem Buche Edlitam. (1847 — 1851.) 
Und eine lange Nacht war angebrocheer nn 199 
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ER ß a 202 


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Seite 

Mir träumte einſt ein ſchöner Traum ....... . . hi 
Wenn Küſſen, Mädchen, Sünde iſꝶet nne... 204 
Oft ſinn' ich hin und wiedeenxuuͤ 204 
Merſtändigun gs sss . 205 
Ich ſinge dich, liebliches Mädchen dee. 206 
Deine Liebe iſt mein H imme“! . q 207 
Abſchieds worte 208 
af der Reiſe . c d 200 RE ET 209 
O ſieh' die Perlen auf der Schnegc 210 
Die Welt geht aus den Jugenn nns. 211 
Zum Heiligthum wird uns der Garten 213 

Von der Nordſee. 
Din Seemmſch ... e e 217 
Gruß an das Meer re e 218 
/ ᷣ f ˙ - N 220 
0c len 221 
Es ruht das Meer in Sabbathruougrnnnnn e 000. 221 
Um Mitternacht ging ich hinaus an die Ses . 221 
Der Seeodlerõurr nee Me . 222 
An das Meer bei nächtlichem Leuchten . 228 
Nordern g lle ee 224 
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Mein Lebenslauf. 


I bin an keinem Ort geboren 

Durch Schönheit der Natur verklärt; 
Bedeckt von Torf- und Haidemooren 

Und Acker, der den Bauer nährt, 

Liegt rings das Land, der Kunſt verloren, 
Der es ein Obdach nie gewährt — 

Ich bin an keinem Ort geboren 

Durch Schönheit der Natur verklärt. 


Es ging kein Führer mir zur Seite, 

Der fördernd klugen Rath mir gab, 

Mir ward kein ſchützendes Geleite, 

Früh war ich ſelbſt mein Rath und Stab; 
Drum ſchweift' ich irrend oft ins Weite 
In Kunſt und Wiſſen auf und ab — 

Es ging kein Führer mir zur Seite, 

Der fördernd klugen Rath mir gab. 


Wer pflanzte dieſes Glutverlangen 

Nach Kunſt und Schönheit in mein Herz? 
War doch mein Himmel trüb' umhangen, 
Mein Pfad voll Dornen allerwärts: 

Nur tief im Innern Stimmen klangen 
Prophetiſch wie Dodona's Erz — 

Wer pflanzte dieſes Glutverlangen 

Nach Kunſt und Schönheit in mein Herz? 


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Ich ſah das Mühlrad blitzend ſchäumen 
Und finnend hemmt ich meinen Schritt, 
Die Erlen, die den Bach umſäumen, 
Leis beben — und ich bebte mit; 

Sah mich verlacht in meinen Träumen, 
Ach, Niemand ahnte, was ich litt — 
Ich ſah das Mühlrad blitzend ſchäumen 
Und ſinnend hemmt' ich meinen Schritt. 


Die Mutter ſang uns alte Lieder, 
Das klang ins Herz mir wunderbar, 
Zu ihren Füßen ſaß ich nieder, 
Sie ſtreichelte mein lockig Haar... 
Wie oft zu ihr ſehnt' ich mich wieder, 
Als ich in fremden Landen war — 
Die Mutter ſang uns alte Lieder, 
Das klang ins Herz mir wunderbar. 


Mein Herz melodiſch auszuklingen, 
Ward auch in mir die Sehnſucht wach; 
Ich hörte, was aus Sturmesſchwengen, 
Aus Quell- und Waldesrauſchen ſprach; 
Muſik hört' ich das All durchdringen 
Und wonneſchauernd ſang ich's nach — 
Mein Herz melodiſch auszuklingen, 
Ward auch in mir die Sehnſucht wach. 


War auch gering nur meine Gabe, 
Doch ward ſie mir zur Tröſterin, 
Als ich ſchon früh am Wanderſtabe 
Die Welt durchmaß mit offnem Sinn. 
Ihr dank ich Alles, was ich habe, 
Ihr dank ich Alles, was ich bin — 


a 


War auch gering nur meine Gabe, 
Ward ſie mir doch zur Tröſterin. 


Zu eig'ner Luſt hab' ich geſungen, 

Doch Lieb' und Lied birgt ſich nicht lang; 
Bald durch die Lande weit erklungen 

Zu And'rer Luft iſt mein Geſang. 

Ob mir, was ich erſtrebt, gelungen, 

Ob nicht — ich folgte höherm Drang — 
Zu eig'ner Luſt hab' ich geſungen, 

Doch Lieb' und Lied birgt ſich nicht lang. 


Ich dürſte nicht nach Ruhm, zufrieden 
Mit Glück, das mir die Liebe gab. 

Herr, ſegne Weib und Kind hienieden, 
Sei, wenn ich nicht mehr bin, ihr Stab! 
So ſcheid' ich von der Welt in Frieden 
Und bange nicht vor Tod und Grab — 
Ich dürfig nicht nach Ruhm, zufrieden 
Mit Glück, das mir die Liebe gab. 


F. Bodenſtedt. IX. 


Wenn du kommſt um zu erfreuen, 


Men du kommſt um zu erfreuen, 
Wirſt du ſtets willkommen ſein, — 
Biſt du traurig, bleib allein, 
Wenige zählen zu den Treuen. 


Trag dein Leiden ſtumm für Jeden, 
Kehr ins Inn're tief den Blick, 
Laß im Kampf mit Mißgeſchick 
Deine Thaten für dich reden. 


Sei dem Baum gleich, der, gerüttelt 
Von des Herbſtſturms wilder Wucht, 
Labend ſeine reifſte Frucht 

Aus gebeugtem Haupte ſchüttelt. 


Sieh aus dem Schlot die Funken kprühn. 


Sieh aus dem Schlot die Funken ſprühn 
In dunkler Nacht, 

Und gaukelnd durch die Lüfte glühn 

In heller Pracht; 

Das Feuer, dem ſie keck entſpringen, 
Brennt dort zu andern, ernſten Dingen, 
Und nährt in ſchwerem Werktagsjoch 

Die Funken doch. 


So ſpringt wohl aus des Geiſtes Glut, 
Der Schweres ſchafft, 

Manch kleines Lied voll Uebermuth 

In eigner Kraft — 

Doch nicht wie Funken zu verſprühen, 
Schwingt ſich's, um zündend fortzuglühen, 
In guter Menſchen Herz und Sinn, 
Und bleibt darin. 


Frieden. 


Nun ſind Stürme und Gewölk zerſtoben, 

Auf den blauen Bergen blitzt der Schnee; 

Still, vom reinſten Morgenglanz umwoben, 

Ruht die Welt — vergiß nun Leid und Weh! 
Frieden iſt im Himmel und auf Erden, 
Frieden laß auch deinem Herzen werden. 


Aus dem Dorf am Bergſee klingt Geläute, 
Auf den Wieſen glänzt der Morgenthau. 
Alles ruht — der Tag des Herrn iſt heute, 
Und kein Wölkchen trübt das lichte Blau. 
Frieden iſt im Himmel und auf Erden, 
Frieden laß auch deinem Herzen werden! 


Klage nicht mehr! Was du auch gelitten: 

Schuldlos leiden Viele mehr als du! 

Keiner ſiegte noch, der nicht geſtritten, 

Doppelt ſüß labt nach dem Kampf die Ruh — 
Frieden iſt im Himmel und auf Erden, 
Frieden laß auch deinem Herzen werden! 


eee 


8 


Menn der Frühling auf die Berge feigt. 


Ulenn der Frühling auf die Berge ſteigt 
Und im Sonnenſtrahl der Schnee zerfließt, 
Wenn das erſte Grün am Baum ſich zeigt 
Und im Gras das erſte Blümlein ſprießt — 
Wenn vorbei im Thal 
Nun mit Einemmal 
Alle Regenzeit und Winterqual, 
Schallt es von den Höh'n 
Bis zum Thale weit: 
O, wie wunderſchön 


Iſt die Frühlingszeit! 


Wenn am Gletſcher heiß die Sonne leckt, 
Wenn die Quelle von den Bergen ſpringt, 
Alles rings mit jungem Grün ſich deckt 
Und das Luſtgetön der Wälder klingt, 
Lüfte lind und lau 
Würzt die grüne Au, 
Und der Himmel lacht ſo rein und blau, 
Schallt es von den Höh'n 
Bis zum Thale weit: 
O, wie wunderſchön 
Iſt die Frühlingszeit! 


. 


War's nicht auch zur jungen Frühlingszeit, 
Als Dein Herz ſich meinem Herz erſchloß? 
Als von dir, du wunderſüße Maid, 
Ich den erſten langen Kuß genoß! 
Durch den Hain erklang 
Heller Luſtgeſang, 
Und die Quelle von den Bergen ſprang — 
Scholl es von den Höhn 
Bis zum Thale weit: 
O, wie wunderſchön 
Iſt die Frühlingszeit! 


EL 


Mailied. 


Nun hat die Erde ſich 

Befreit vom Winterdrucke, 
Prangt wieder wonniglich 

Im friſchen Maienſchmucke; 

Es ſchwirrt in Flur und Feld, 
Es ſummt in Blum' und Mooſe; 
Mit Feuerzungen hält 
Lenzpredigten die Roſe; 

Die Sonne lacht dazu 

Aus reinſter Himmelsbläue — 
Mein Herz, ſo lach auch du, 
Blüh, wie die Welt, auf's Neue! 


Es hat der Herr der Welt 

Ein Freudenmal bereitet, 

Hat hoch ſein Himmelszelt 

Für Alle ausgebreitet; 

Es klingt vom Blüthenzweig, 
Aus Büſchen und Geſtäude: 
Kommt zu mir, Arm und Reich, 
Ich bring' euch Allen Freude! — 
Es ſteht auf jedem Blatt 

Von Gottes Hand geſchrieben: 
Wer Luſt an Mir nicht hat, 
Dem iſt kein Troſt geblieben! 


An das fler. 


Urfriſches Bild der Jugendzeit 

Im goldnen Saum der Ewigkeit, 
Das du ſeit Schöpfungsanfang warſt, 
Wie du dich heut mir offenbarſt. 


Du ſahſt das Erdrund werden alt 
Und ſich verwandeln mannigfalt — 
Auch du oft wechſelſt dein Geſicht, 
Doch deine Seele wechſelt nicht! 


Du zeigſt die ewige Schöpferkraft, 
Die raſtlos aus ſich ſelber ſchafft, 
Stets neue Lebenswellen treibt 
Und immer doch die alte bleibt. 


Wer deines Herzens Wogenſchlag 
Und Melodie ergründen mag, 

Dem raunſt du das Geheimniß zu 
Stets jung und alt zu ſein wie du! 


— —— 


Die Berge fieh'n in dunklen Reih'n.“ 


Die Berge ſteh'n in dunklen Reihen, 

Im Thale Nebel wogen; 

Hell glänzt der See im Mondenſchein, 
Ein Kahn ſchwimmt auf den Wogen. 


Draus ſchallen Stimmen hell und weit, 
Zwei Sennerinnen ſingen, 

Als wollten vor lauter Seligkeit 

Die jungen Herzen ſpringen. 


Das ſchmettert jauchzend, kichert froh, 
Als ob ſie ſingend küßten — 

Was freut die drallen Mägdlein ſo? 
Ja, wenn ſie's ſelbſt nur wüßten! 


et a 


Ein Tanz im Gebirge. 


„Juchhele ſo ſchallt's den Berg hinauf, 
»Juchhe!« ſo ſchallt's herunter; 

Der Fiedler ſpielt zum Tanze auf, 

Im Dorfe wird es munter. 


»Gott grüß' dich, liebe Sennerin! 
Wo biſt fo lang’ geblieben ?« 


— Grüß Gott! — ſchon wirbelnd her und hin 


Sind ſie im Tanz getrieben. 


Das juchzt und dreht ſich ohne Ruh, 
Mit Klatſchen und mit Stampfen; 
Die Alten ſchauen ſchmunzelnd zu, 
Die kurzen Pfeifen dampfen. 


»Weißt, Mutter, als wir auch noch jung 
Zuſammen juchzten, ſprangen? 
Da war im Tanz ein andrer Schwung, 
Die Zeiten find vergangen! « 


»Komm her, wir machen noch eins mit!« 
Schnell hat er ſie umſchlungen, 

Sie tanzen, ſpringen, halten Tritt 

Noch beſſer als die Jungen. 


Von dem Geſtampf der Nägelſchuh 
Erdröhnt das Wirthsgebäude. — 
Tanzt, juchzt und jubelt immerzu, 
Gott ſegne eure Freude! 


N 


Einlamkeit, 


Laß uns ein heimlich Plätzchen wählen, 
Wo keine Menſchen nach uns fragen, 
Wo kaum die Sonnenſtrahlen wagen 
Sich durch das dunkle Grün zu ſtehlen. 


Nun haben wir die Welt verlaſſen 

Und zogen aus Millionen Nieten 

Das große Loos. Was kann ſie bieten, 
Die Welt, für das, was wir umfaſſen? 


Im Frühling. 


Nun keimt und blüht es allerwärts, 
Die Droſſel ſingt im Waldesgrün, 
Mir iſt, als fühlt' ich auch mein Herz 
Neu mit des Lenzes Blumen blühn. 
Die ganze Welt erneut ſich 
Und jedes Würmchen freut ſich, 
Wie Alles duftet, treibt und ringt 
In wonnevollem Werden — 
Was auch das Leben Trübes bringt: 
Es iſt doch ſchön auf Erden! 


Ba, 


Dort ſinnend wandelt eine Frau, 
Schon furcht ſich alternd ihr Geſicht; 
Das ſchwarze Haar wird ſilbergrau — 
Sie denkt der Jugendzeit und ſpricht: 
Die Vöglein zwitſchern wieder 
Die alten Frühlingslieder, 
Sie kennen nicht Veränderung 
In Antlitz und Geberden — 
Doch, bleibt man auch nicht immer jung: 
Es iſt gar ſchön auf Erden! 


Es fiel vom Baum ein welkes Blatt, 

Ein Greis ſchloß ſeine Augen zu, 

Ein Trauerzug wallt aus der Stadt, 

Man trägt den Leib zur ew'gen Ruh; 
Der Geiſt, auf lichtern Bahnen 
Sieht ſchon, was wir nur ahnen — 

Er geht zu neuem Frühling ein, 
Frei aller Noth zu werden. 

Wohl wird's im Himmel ſchöner ſein, 
Doch ſchön iſt's auch auf Erden. 


*.. tn cn er A U an 


N 


Studenten Trinklied. 


Nehmt den Becher zur Hand! 

Trinket aus bis zum Grund — 

Füllt ihn neu bis zum Rand, 

Führt ihn wieder zum Mund — 
Denn die Zeit iſt ſo trüb' und die Welt iſt ſo dumm, 
Und dreht ſich noch heut ſo im Kreiſe herum 

Als wie vor tauſend Jahren! 


Welch ein ſeliger Blick 

In das Glas ſo vor uns! 

Da enthüllt das Geſchick, 

Weiß nicht was ſo vor uns! 
Es ſtellt ſich uns Alles was dunkel war, 
In ſo roſigem lichtem Gefunkel dar, 

Daß Einem ganz leuchtend zu Muthe! 


Propheten ſchon viel 
Sind gekommen zu uns, 
Moneten ſchon viel 
Sind genommen von uns — 
Doch hat kein Prophet ſolchen Glauben erweckt 
Als im heiligen Geiſte der Trauben verſteckt, 
Wenn wir ihn auf Pump genießen. 


Nehmt den Becher zur Hand! 

Schaut ihm tief auf den Grund — 

Trinkt ihn aus mit Verſtand, 

Schließt in Freundſchaft den Bund! 
Aus dem Wein ſteigt der Geiſt der Verſöhnung auf, 
Thut uns ſich die Welt in Verſchönung auf, 

Im Wein allein iſt Wahrheit! 


. 


Füllt mir das Trinkhorn, 


Fiut mir das Trinkhorn! 
Reicht es herum! 

Trinken macht weiſe, 
Faſten macht dumm! 


Was iſt das Athmen? 

Ein Trinken von Luft — 
Was iſt das Riechen? 

Ein Trinken von Duft! 


Was iſt ein Kuß, als 
Ein doppelter Trank! 

Trinken macht ſelig, 
Faſten macht krank! 


Was iſt das Sehen? 
Ein Trinken des Scheins — 
Klingt's auch verſchieden, 
Bleibt es doch Eins! 


Füllt mir das Trinkhorn! 
Reicht es herum! 

Trinken macht weiſe, 
Faſten macht dumm! 


N 


Er ee 


Sieh, das Thier trinkt keinen Mein. 


Sieh, das Thier trinkt keinen Wein, 
Darum wird es nicht betrunken, — 
Wohl iſt Mancher ſchon durch Wein 
Unter's Thier herabgeſunken: 


Doch Gott ſchuf der Rebe Glut 
Nicht als Irrlicht uns im Sumpfe; 
Heben ſoll ſie Geiſt und Muth, 
Aechter Menſchheit zum Triumphe. 


Darum habt im Auge ſtets 

Die Gefahren des Verſinkens — 
Nicht zum Sumpf, zur Sonne geht's 
Durch die ächte Kunſt des Trinkens. 


Balis und der Philiſter. 


Der Philiſter. 


Mlelch ein Leichtſinn iſt der deine! 
Kaum noch trau ich meinem Blick: 
Luſtig treff ich dich beim Weine, 
Nach ſo bitterm Mißgeſchick. 


Solche Prüfung wie die deine 
Hätte mir gebeugt das Haupt, 
Mich der Luſt an Lied und Weine, 
Aller Erdenluſt beraubt. 


B 


Hafis. 
Freund, das Glück iſt eine Närrin, 
Unglück iſt ein böſes Weib — 
Keine wünſch ich mir zur Herrin, 
Beide halt ich mir vom Leib. 


Wer das tiefe Weh nicht wittert, 
Das mein Auge und Gedicht 

Wie der Sterne Glanz durchzittert: 
Freund, der merkt das Höchſte nicht. 


Da iſt der Poet am größten, 
Wo er eignen Schmerz bezwang, 
Einſam Leidende zu tröſten 
Durch erquickenden Geſang. 


Freund, verſteh mich wie ich's meine, 
Wie's mit dir und mir beſtellt: 

Ob dein Antlitz lache, weine, 

Was bekümmert das die Welt? 


Anders hat der Herr mir meine 
Leid- und Freudenſaat beſtellt: 

Wenn ich lache, wenn ich weine, 
Lacht und weint die ganze Welt. 


E a a DE ee a Ze Eee 


a 


Seit deiner Augen Dimmelsglan. 


Seit deiner Augen Himmelsglanz 
Mir in das Herz gefloſſen, 

Hat ſich das Weltgeheimniß ganz 
Dem innern Blick erſchloſſen. 


Was dunkel war in Raum und Zeit, 
Iſt nun in Licht verſchwunden, 

Ich habe die ewige Seligkeit 

Genoſſen in Sekunden. 


Nun iſt der Wahn und Zweifel hin, 
Umſchifft ſind alle Klippen, 

Seit mir des Lebens tiefſten Sinn 
Gepredigt deine Lippen. 


Ich möcht' es jubelnd ſonnenhell 
Der ganzen Welt verkünden, 
Allein der Weisheit tiefſten Quell 
Muß Jeder ſelbſt ergründen. 


F. Bodenſtedt IX. 3 


— ine 


Sing’ noch ein Lied. 


Sing noch ein Lied! ein fröhlich Lied, 
Das uns die Nacht zum Tage macht, 
Daß man die Bäume blühen ſieht 

Und klingen hört in Frühlingspracht! 


O weile! laß, was unverhofft 

Uns ward, noch mehr beſchieden ſein, 
Es muß auf Erden gar zu oft 
Geſchieden und gemieden ſein ... 


Sing' noch ein Lied! trägſt du uns fort 
Auf deiner Töne Wellenbahn: 

Springt alle Sorge über Bord, 

Und alle Noth ſcheint leerer Wahn. 


Und ob uns dies und jenes drückt, 
Und ob des Kummers noch ſo viel: 
Wir lauſchen dir und ſind beglückt 

Bei deinem Sang und Saitenſpiel! 


O reiner Klang der Menſchenbruſt, 

Du ſtimmſt das Herz ſo weihevoll, 
Daß man nicht weiß, ob man vor Luſt 
Auffauchzen oder weinen foll! 


Sing' noch ein Lied! Was je an Glück 
Das bunte Leben uns gereicht , 

Das bringt uns dein Geſang zurück, 
Derweil des Unglücks Schatten weicht! 


Die Nacht, der Menſchen Feindin, flieht 

Vor deiner Töne Zaubermacht — 
Sing' noch ein Lied! ein fröhlich Lied / 

Daß uns das Herz im Leibe lacht! 


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Die Maike. 


Mlutter, Mutter, ach vergebens 
Gabſt du deinem Kind das Leben, 
Ohne ihm am Glück des Lebens 
Seinen Antheil auch zu geben. 


Fühlt kein Herz mit mir gemeinſam, 
Todt ſind alle meine Lieben; 

Ach! warum verwaiſt und einſam 
Bin ich hier zurückgeblieben? 


Wüßt' ich doch ein einzig Weſen, 
Das ſich meinem Herzen einte, 
Das, wie ich, zum Gram erleſen, 
Mit mir litte, mit mir weinte; 


Dem das Auge thränt', wie meines, 
Wie der Thau vom Baume fällt — 
Aber ach! ich finde keines 

Auf der weiten Gotteswelt! 


3 * 


Schwarze Augen, dunkle Kohlen. 


Schwarze Augen, dunkle Kohlen, 
Nimmer ſollt ihr mich verführen — 
Gluten ruhn in euch verſtohlen, 
Aber ich will ſie nicht ſchüren. 


Wohl noch kenn' ich ſolches Feuer, 
Kenne ſolche Truggeberden, 

Doch ich will an euch kein neuer 
Frevelnder Prometheus werden. 


Aus dem Himmel ſolcher Augen 
Holt' ich einſt wohl Feuer nieder, 
Doch die Lehre ſoll mir taugen, 
Was ich that, ich thu's nicht wieder! 


Zürnend ſoll kein Gott auf's Neue 
An ein Felſenherz mich ſchmieden, 
Und der Geierfraß der Reue 
Nicht verzehren mich hienieden! 


Ach, wie okt ward ich betrogen. 


Ach wie oft ward ich betrogen, 
Und wie oft ward ich bethört! 
Bald durch Künſte fein erwogen, 
Bald durch Keckheit unerhört. 


Und ich nahm mir vor, vernünftig 
Nun für alle Zeit zu ſein, 

Keiner Schmeichelſtimme künftig, 
Keinem Trug mein Ohr zu leihn. 


So entſchwand der Täuſchung Leiden, 
Aber auch der Täuſchung Glück. 
Keine Wahl blieb zwiſchen Beiden, 
Beide wünſcht ich ſie zurück. 


Jahre kamen und verflogen, 

Oft hat ſich mein Herz empört — 
Und noch ſtets werd' ich betrogen 
Und noch gern werd' ich bethört. 


Meerkahrt. 


Scharf blies der Wind, hoch ging die See, 
Dumpfbrauſend, wildbeweglich; 

Ich lag allein in ſtummem Weh, 
Unglücklich, trüb unſäglich. 


An ſelige Tage dachte ich, 
An Glück, zu früh entſchwunden, 

Wo ſchnell wie die Stunde der Tag verſtrich, 
Jetzt ſchlichen die Tage wie Stunden. 


Ein Stern ging auf in ſpäter Nacht 
Und zitterte kalt durch's Dunkel — 

Er hat die Nacht nicht hell gemacht 
Mit ſeinem bleichen Gefunkel. 


Und ſteigen auch in der Zeiten Lauf, 
Wenn der Tag des Lebens vollbracht ih, 

Erinnerungen wie Sterne auf: l 
Sie zeigen nur daß es Nacht iſt. 


FP 


. 


Nachts. 


Sclaſlos reck ich die müden Glieder, 
Unheimlich langſam ſchleicht die Nacht; 
Schließ' ich das Auge, öffnet's wieder 
Gewaltſam eine finſtre Macht, 

Und mich umgaukeln wild und wilder 

Geſpenſtig grauenhafte Bilder. 


Was längſt in meines Herzens Tiefen 
Begraben lag, taucht wieder auf, 
Als ob es Geiſterſtimmen riefen; 
Rückwärts raſt der Gedanken Lauf 
In ungezügelter Geſchwindheit 

Bis zu den Qualen meiner Kindheit. 


Was je mir trüb erſchien, noch trüber 
Erſcheint mir's jetzt; ein Augenblick 
Führt jahreslange Pein vorüber, 

Und von dem wechſelnden Geſchick 

Des Lebens ſeh' ich nur das Schlimme, 
Die Gottheit nur in ihrem Grimme. 


Aufſpringen will ich, doch die ſchlaffen 
Gelähmten Glieder knicken ein — 

Die Kraft fehlt, mich emporzuraffen - 
Da bricht der erſte Morgenſchein 

Herein, und bringt, die mich gemieden 

Im nächt'gen Dunkel: Schlaf und Frieden. 


Flohen die Wolken im Abendwinde. 


ohen die Wolken im Abendwinde, 
Schimmernd im Mondlicht lag das Thal — 
Hinter der Mauer unter der Linde 

Sahen wir uns zum letztenmal. 


Flohen die Jahre, flohen geſchwinde, 
Wieder kam ich in's heimiſche Thal — 
Hinter der Mauer unter der Linde 
Dacht' ich dein viel taufendmal. 


I) 


Siungedichte und Sprüche. 


den 
e. 


* 


eau 
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2 


Ge 


Vates. 


lem ein Gott verlieh die Gabe 
Flüchtigem Beſtand zu geben, 
Mit der Dichtung Zauberſtabe 
Todtes wieder zu beleben: 


Prieſterlich im heil'gen Tempel 
Walt' er ſeines Amts voll Segen, 
Um des Liedes reinen Stempel 
Nur auf ächtes Gold zu prägen. 


Nur wer aus der Wahrheit Bronne 
Schöpft, giebt ſeinen Worten Schwingen, 
Daß ſie wie Geſtrahl der Sonne 

Durch des Irrthums Dunſtkreis dringen. 


Schönes können nicht enthüllen 
Die der Wahrheit widerſtreben; 
Der Prophet kommt, zu erfüllen 
Das Geſetz, nicht aufzuheben. 


U ſich Kraft will offenbaren, 
Wird ſie Widerſtand erfahren, 
Schlechtes ſucht mit Gutem Streit — 


Iſt ſie klein, wird ſie erliegen, 
Iſt ſie groß, ſo wird ſie ſiegen 
Ueber Tücke, Haß und Neid. 


— 


Aus derſelben Ackerkrume 
Wächſt das Unkraut wie die Blume, 
Und das Unkraut macht ſich breit, 


Doch es raubt nichts von dem Ruhme, 
Duft und Glanz der ſchönen Blume. 


Mi. ernſt wir wandeln unfre Lebenspfade 

Und uns dem Rufe ſtrenger Pflichten beugen: 

Wir können was uns frommt nicht ſelbſt erzeugen — 
Das Beſte in der Welt iſt Glück und Gnade. 


Mohl iſt Erinnerung ein Glück, 
Ruft ſie viel Schönes uns zurück, 
Kommt ſie, uns aufzurichten. 


Doch öfter noch wird ſie ein Fluch: 
Wer möcht' in ſeinem Lebensbuch 
Nicht manches Blatt vernichten? 


Zum Segen wird Vergeſſenheit 
Dem, der erduldet vieles Leid 
Und wenig Glück beſeſſen. 


Drum gieb Erinw rung nur dem Glück — 
O Herr! ruf' Gutes nur zurück, 
Das Böſe laß vergeſſen! 


uw 


Je wahrer man liebt, 

Je weniger flirrt man — 
Je höher man ſteigt, 

Je beſcheidner wird man — 

Wie der Berg, der über die Wolken reicht, 
Sich immer verkleinert je höher er ſteigt — 
Es ragt feine Spitze am weit'ſten, 

Ganz unten macht er ſich am breit'ſten. 


Der Schmerz, die Freude ſpielen nicht mit Bildern, 
Ein Blick, ein Wort genügt um ſie zu ſchildern, 
Und wo in Phraſen Schmerz und Freude ſpricht, 
Glaub' ich das Eine und das Andre nicht. 


Die Tugend hab' ich nie gelobt 

Die nimmer ſich im Sturm erprobt. 

Die Weisheit hab' ich nie geprieſen 
Die nicht im Leben ſich erwieſen. 


Man lernt nicht fechten ohne Schwert, 
Man lernt nicht reiten ohne Pferd; 

Dem guten Schwimmer ſtärkt die Glieder 
Der Strom, den ſchlechten reißt er nieder. 


1 
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Lebensweisheit. 


Mer Weisheit nur aus Büchern lernt, 
Und ſelbſt nicht weiſe denkt und lebt, 
Wird immer mehr von ihr entfernt 

Je mehr er ihr zu nahen ſtrebt. 


Das Leben ſoll die Erde ſein 

Darin die Weisheit Wurzel ſchlägt, 

Und pflanzt ihr hier den Kern nicht ein, 
Wächſt euch kein Baum der Früchte trägt! 


Schweres Leid, das wir empfunden, 
Wird vom Glück nicht überwunden: 
Die Erinnerung bleibt zurück; 

Aber jahrelanges Glück 

Iſt in wenigen Leidensſtunden 

Wie ein flücht'ger Traum verſchwunden. 


Nach vollem Glück vergebens 
Strebſt du im Erdenthale: 
Schmerz iſt der Kern des Lebens 
Und Luſt nur ſeine Schale. 


Im Glück oft unbewußt 

Kommt dir ein ſchmerzlich Schauern, 
Als ahnte deine Bruſt 

Es kann nicht lange dauern! 


Frag er. 


. 


Kuna ſich in Welt und Menſchen fügen, 
Gern nützlich ſein ſo viel man kann, 
Sich ſelbſt und Andre nicht betrügen, 
Die Lehre paßt für Jedermann. 


Magſt du die Lüge noch ſo klug 

In das Gewand der Wahrheit kleiden, 
Der Dümmſte iſt nicht dumm genug, 
Um beide nicht zu unterſcheiden. 


Sich plagen im Leben 

Mit Sorgen und Streben, 

Vom Rechten nicht weichen 

Und doch nichts erreichen 
Im vergeblichen Kampfe mit feindlicher Macht, 
Wie Manchen hat das zur Verzweiflung gebracht! 


Auf Nichts mehr ſich freuen, 

Auch Nichts mehr bereuen, 

Das Alte verſenken, 

An Neues nicht denken: 
Wohl Mancher verſucht' es und fand es zu ſchwer, 
Und wem es gelungen, der lebte nicht mehr. 


Der Welt mehr geben als ſie uns giebt, 
Die Welt mehr lieben als ſie uns liebt, 
Nie um den Beifall der Menge werben, 
Macht ruhig leben und ſelig ſterben. 


Mohlthun ſchafft eignes gleichwie fremdes Glück, 
Denn glücklich iſt, wer glücklich macht im Leben. 
Geſegnet ſind, die haben um zu geben: 

Gott giebt es ihnen hundertfalt zurück. 


Mo Jeder iſt, wie er ſich zeigt, 

Da lernt man ſich bald recht verſtehn, 
Da wird das Finden lieb und leicht, 
Doch ſchwer — das Auseinandergehn! 


Hin uns der Himmel fegnen 
Durch freundliches Begegnen, 
Lenkt er ohn' unſer Ahnen 
Den Fuß die rechten Bahnen 
Und knüpft im Augenblicke 
Die dauerndſten Geſchicke. 


Viel Menſchen kommen und gehen 
Und bleiben fremd und kalt, 
Doch wo ſich zwei verſtehen 

Da finden ſie ſich bald. 


49 


Freundſchakt. 


Men Jemand ſchlecht von deinem Freunde ſpricht, 
Und ſcheint er noch ſo ehrlich: glaub' ihm nicht! 
Spricht alle Welt von deinem Freunde ſchlecht: 
Mißtrau' der Welt und gieb dem Freunde Recht! 
Nur wer ſo ſtandhaft ſeine Freunde liebt, 

Iſt werth, daß ihm der Himmel Freunde giebt. 
Ein Freundesherz iſt ein ſo ſelt'ner Schatz, 

Die ganze Welt beut nicht dafür Erſatz; 

Ein Kleinod iſt's voll heil'ger Wunderkraft, 

Das nur bei feſtem Glauben Wunder ſchafft — 
Doch jedes Zweifels Hauch trübt ſeinen Glanz, 
Einmal zerbrochen wird's nie wieder ganz. 
Drum: wird ein ſolches Kleinod dir beſchert, 

O trübe ſeinen Glanz nicht, halt es werth; 
Zerbrich es nicht! Betrachte alle Welt 

Als einen Ring nur, der dies Kleinod hält, 
Dem dieſes Kleinod ſelbſt erſt Werth verleiht, 
Denn wo es fehlt, da iſt die Welt entweiht. 
Doch würdeſt du dem ärmſten Bettler gleich, 
Bleibt dir ein Freundesherz, ſo biſt du reich; 
Und wer den höchſten Königsthron gewann 

Und keinen Freund hat, iſt ein armer Mann. 


F. Bodenſtedt. IX. 4 


— 1 


Einſt und Jetzt. 


Einſt klagt' ich: Was iſt dieſes Leben! 
Ein ewiges Wünſchen und Streben 
Und nimmer befriedigter Wunſch!“ 


Jetzt freu' ich mich, daß dieſes Leben 
Ein ewiges Wünſchen und Streben 
Und nimmer befriedigter Wunſch. 


O Himmel, erhalt' mir im Leben 
Dies ewige Wünſchen und Streben, 
Erhör' dieſen einzigen Wunſch! 


Trifft dich ein Leiden ohne Schuld, 
So trag es männlich mit Geduld — 
Was auch dein Herz bedrängen mag: 
Es kommt einſt ein Erlöſungstag! 


Doch ſchuf die eig'ne Schuld dir Pein, 
So kann nur Sühne dich befrein — 
Nicht Glück noch Freude wird dir nahn, 
Bis ganz geſühnt, was du gethan. 


Was in der Welt auch ſtrahlt und blüht, 
Erfreut kein ſchuldbewußt Gemüth; 
Iſt nicht im Innern Sonnenſchein: 
Von Außen kommt er nicht herein. 


ur a 


Mas ift es, das am Ende bleibt 

Von Allem, was wir fahn, 

Wenn uns das Schickſal weiter treibt „ 
Auf unſ'rer Lebensbahn? 

Das Schönſte auf der Welt vergeht, 
Muß wie ein Traum zerrinnen, 

Und nichts als nur das Bild beſteht, 
Das wir davon gewinnen. 


Bleibt uns ein trübes Bild zurück, 
So ſchafft es Weh und Pein; 

Denn das Vergang'ne zeugt nur Glück, 
Wenn die Erinn' rung rein. 

Nur wer da ſorgt mit treuem Sinn, 
Das Glück nicht zu vergeuden, 

Der zieht ſich bleibenden Gewinn 

Aus Leiden wie aus Freuden. 


Miu du klug durch's Leben wandern, 
Prüfe Andre, doch auch dich! 

Jeder täuſcht gar gern den Andern, 
Doch am liebſten Jeder ſich. 


Sammle dich zu jeglichem Geſchäfte, 

Nie zerſplittre deine Kräfte — 
Theilnahmvoll erſchließe Herz und Sinn 
Daß du freundlich Andern dich verbindeſt: 
Doch nur da gieb ganz dich hin, 

Wo du ganz dich wiederfindeſt. 


4 * 


3 


Die ächte Scham iſt ohne Ueberlegung. 
Ihr, die erſt klug erwägt und dann erröthet, 
In euch iſt längſt die ächte Scham getödtet 
Und eitel Heuchelei iſt eure Regung. 


| 


Sei nicht alt in jungen Jahren, 
Blüh' ſo lang das Leben mait — 
Beſſer jung mit greiſen Haaren 
Als ſo altklug vor der Zeit. — 


Junge Weiſe, alte Thoren, 

Vor der Zeit kann nichts gedeihn — 
Wenn der Moſt nicht ausgegohren 
Giebt es keinen guten Wein. 


Schafft frohe Jugend euren Kindern, 

Des Lebens Heimſuchung zu lindern! 

Wer jung ſchon viel erfahren Gutes, 

Trägt auch das Schlimme leichtern Muthes; 
Er weiß, es giebt ein Glück auf Erden, 
Und was einſt war, kann wieder werden: 
Erinnerung an Schönes nährt 

Die Hoffnung, die den Schmerz verklärt. 


Nur Menſchen, die ſelbſt nicht viel taugen, 
Sehn Andre mit getrübten Augen. 


. 


„ur 


De Sean 


a — 


Der giebt nicht viel, der ſich erſt viel beſinnt, 
Und, ſtets an's Ende denkend, nie beginnt.. 


Mlein Freund weiß manches Sprichwort, 
Und manches alte Citat — 

Das dient ihm immer als Stichwort, 
Begehrt man ſeinen Rath. 


Nie beutet er ſeinen Verſtand aus, 
— Es brächte auch wenig Gewinn — 
Doch: ſtreckt er ſeine Hand aus, 

Iſt immer Etwas darin. 


ler nicht den Gott im eignen Buſen trägt, 
Der wird ihm durch kein äuß'res Band verbunden; 
Wer nicht die Schönheit in ſich ſelber pflegt, 

Der hat ſie auch nicht außer ſich gefunden. 


Nur was im Geiſte aufgenommen, 
Kann wieder aus dem Geiſte kommen. 


1 


Henn das Glück ſich wenig um mich kümmert, 
Kümmr' ich mich deſto mehr um das Glück, 
Und was mir die Gegenwart zertrümmert, 
Bringt mir die Vergangenheit zurück. 


Alles Ferne zeigt ſich in Verklärung 

Meinem Aug', der Schmerz gleichwie das Glück; 
Im Genuß ruf' ich mir die Entbehrung, 

In Entbehrung den Genuß zurück. 


Mohl beſſer iſt's ohn' Anerkennung leben 

Und durch Verdienſt des Höchſten werth zu ſein, 
Als unverdient zum Höchſten ſich erheben, 

Groß vor der Welt, und vor ſich ſelber klein. 


Ruhm hat ſeinen Werth verloren 
Für den ächten Weiſen, 
Seit man anfing, auch der Thoren 
Marktgeſchrei zu preiſen. 


Eine große Tugend iſt Stummheit 
Menn man nichts weiß zu ſprechen — 
Die Geſchwätzigkeit der Dummheit 
Dagegen iſt ein Verbrechen. 


Nächst der Dummheit iſt es Rohheit, 
Was am meiſten mich betrübt, 

Selbſt im Herrſchbezirk der Hoheit 
Wird ſie nur zu oft geübt. 


Tur rechten Zeit erfaſſen, 
Zur rechten Zeit verlaſſen 
Der Stunde Glück und Gunſt — 
Zur rechten Zeit erfaſſen, 
Zur rechten Zeit verlaſſen 
Iſt eine ſchwere Kunſt! 


Mlögt ihr meine Weisheit tadeln, 
Weiß ich doch, daß ſie erprobt iſt! 
Wirklichkeit und Leben adeln 
Längſt, was hier im Lied gelobt iſt. 


Denn was ich an weichen Tönen 
Euch in Vers und Reime goß, 

Iſt ein Nachklang nur des Schönen 
Deß ich lang und viel genoß. 


— 56 — 


Es treiben zuchtloſe Geiſter 
Gern mit dem Höchſten Spott, 
Sie kennen keinen Meiſter 

Und kennen keinen Gott. 


Sie können nur verwirren, 

Ihnen fehlt der Quell des Lichts — 
Ihr Denken iſt ein Irren, 

Ihr Schaffen iſt ein Nichts. 


Dem Baum gleich und der Blume 
Bedarf der Geiſt der Zucht, 

Soll er mit Ehr und Ruhme 
Blühen und tragen Frucht. 


(en ich der Menſchen Treiben ſeh', 
Will mir oft ſchier das Herz zerſpringen, 
Dann drängt es mich, mein Leid und Weh 
In wilden Liedern auszuſingen. 


Doch iſt, fühl' ich die Muſe nahn, 
Als ob ein Wunder mir geſchähe: 
Was meine Augen trübe ſahn, 
Erſcheint verklärt in ihrer Nähe. 


Aus ihrer Augen Schönheitsborn 

Strahlt mild ein Abglanz in den meinen, 
In Sanftmuth wandelt ſich mein Zorn, 
In Lächeln wandelt ſich mein Weinen. 


— 57 


Klagt nicht, daß euch ſo ſchnell die Jugend flieht, 
Mit jedem Jahr der Freuden wen'ger werden: 
Wer weiſe lebt, merkt wenig Unterſchied, . 
Erſt mit den Jahren wird man klug auf Erden. 


Was uns die Jugend beut im Ueberfluß, 
Das achten wir gering und laſſen's fahren — 
Erſt mit dem Alter lernt man den Genuß, 
Nur Narren werden närr'ſcher mit den Jahren. 


Als ich noch jung war, glaubt' ich, Alles daure — 
Dann ſah ich: Alles wechſelt, ſtirbt und flieht. 
Doch, ob mein Herz Verlornes viel betraure, 

Ein wechſelvolles Loos mir Gott beſchied: 

Glaubt doch mein Geiſt noch immer, Alles daure, 
Weil er das Bleibende im Wechſel ſieht. 


Clem Gott fein täglich Brot verlieh 
Und Kraft zu ehrlichem Beruf;, 

Daß die gemeine Sorge nie 

Ihm kummervolle Nächte ſchuf — 


Daß er den eignen Herd nicht flieht 
Wo bleich ſein Weib die Hände ringt, 
Weil er die Kinder darben ſieht 

Und Jammerſchrei ſein Herz durchdringt: 


. 


Der thue freudig ſeine Pflicht 

Und ſchaffe rüſtig immerzu, 

Denn beſſern Wechſel giebt es nicht 
Als Tages Arbeit, Nächtens Ruh. 


Und lohnt ihm, wenn der Tag vollbracht, 
Am Abend treuer Liebe Kuß, 

So neid' er nicht des Hohen Macht 

Und nicht des Reichen Ueberfluß. 


Denn Ueberfluß und Mangel ſtehn 
In gleicher Weiſe fern dem Heil, 
Doch mäßig Mühn und Wohlergehn 
Iſt überall das beſte Theil. 


Die lacht des Kechtes. 


Tyrannen können Furcht erzeugen, 

In's Joch der Völker Nacken beugen, 
Mit blankem Golde Söldnerhaufen, 
Falſches Gericht und Zeugniß kaufen, 
Erwecken falſches Heldenthum 

Wie falſche Ehr' und falſchen Ruhm, 
Die große Menge lang' bethören: 

Doch nie den Sinn für Recht zerſtören! 
Im tiefſten Herzen wohnt der Drang 
Nach Recht und Licht. Was noch ſo lang 
Dem Volksverſtande unverſtändlich: 
Das Volksgefühl begreift es endlich, 
Und wo das Recht ſein Haupt erhoben, 


59 


ft alles Blendwerk ſchnell zerſtoben, 
Und mit Verachtung ſtürzen ſieht 

Das Volk die Macht, vor der's gefniet. 
Es wundert ſich, daß es ſo lange 

Blind ſich gebeugt dem ſchnöden Zwange, 
Der — wie die nächt'ge Nebelwolke 
Beim Nahn der Sonne — raſch zerſtiebt 
Vor einem kraftbewußten Volke, 

Das ehrlich Recht und Freiheit liebt. 


Das Walten des Schickkals. 


Sehe ich das räthſelvolle Walten 

Des Schickſals, wie es haßt und liebt, 
In ſeltſam launenhaftem Schalten 

Dem Armen nimmt, dem Reichen giebt, 
In Willkür ſeine Gaben theilt, 

Die Kleinen trifft, die Großen ſchont, 
An dem Verdienſt vorübereilt 

Und einkehrt wo das Laſter wohnt — 
Seh' ich, wie blind ſein Würfel fällt 
In Ehre, Strafe und Belohnung: 
Erſcheint mir oft die ganze Welt 

Wie eine große Narrenwohnung, 

Wo Thorheit ſich als Weisheit bläht 
Und Ernte hält, wer nicht geſä't. 

Doch hadr' ich dann mit dem Geſchicke: 
Entſchleiert ſich's auf Augenblicke — 
In mir und um mich wird es helle, 
Als ſtänd ich an des Lichtes Quelle. 


ie 


Das falſche Glück, die falſche Größe 
Seh ich in hohler, morſcher Blöße; 

Ich ſeh' von Herzen und Gewiſſen 

Den goldnen Flitter fortgeriſſen; 

Ich ſehe knecht'ſchen Sinn auf Thronen, 
Hoheit in dürft'gen Hütten wohnen; 
Was wahrhaft groß iſt, lern' ich kennen, 
Das Aechte von dem Falſchen trennen; 
Ich ſeh', daß unverdiente Würde 

In dieſer Welt die ſchlimmſte Bürde; 
Und ſtatt des Neides dann: Erbarmen 
Fühl' ich bei Reichen — Neid bei Armen. 
Des eignen Unwerths mir bewußt, 
Reumüthig ſchlag' ich an die Bruſt, 
Daß ich mich kindiſch unterwand 

Zu tadeln was ich nicht verſtand, 

Und mit den ew'gen Schickſalsmächten 
Gewagt zu hadern und zu rechten. 


Ein Kritikaſter. 


Als Jüngling hat er ſelbſt geſungen, 
Wie jeder deutſche Jüngling thut, 
Doch da kein Lied ihm recht gelungen, 
Verlor zum Singen er den Muth. 


So mit der Muſe in Zerwürfniß 
Begann er ſcharf zu kritiſiren, 

Denn wichtig thun war ihm Bedürfniß, 
Bedürfniß auch, ſich zu blamiren. 


. 


Gefühl hat der Menſch mit dem Thiere gemein, 
Ihn adelt Bewußtſein und Wiſſen allein, 
Drum ſtrebe nach Wiſſen! in Leid und in Luſt 


7 Bleib ſtets dir der menſchlichen Würde bewußt. 


(Uler nichts iſt, ſucht vor den Leuten 
Doch gern etwas zu bedeuten. 
Mancher gilt für überlegen 

Weil er frech iſt und verwegen; 
Andre, weil ſie höhniſch witzeln 
Ueber großer Männer Schwächen, 
Mit Nachäffung von Gebrechen 
Dummer Lacher Ohren kitzeln. 
Das find Tagesruhms - Gefpenfter, 
Die die Namen an die Fenſter 
Von berühmten Häuſern kritzeln. 


Schaffen. 


Schaffen ift wie in der Kunſt fo im Leben ein tiefes Geheimniß; 
Wie das Lebendige reift, mag wohl der Forſcher erſpäh'n, 
Aber des Werdens Moment verhüllt ſich dem Auge der Neugier 

Und als ein Wunder erſcheint ſelber dem Schöpfer ſein Werk. 


1 Wenn dich ein Kunſtwerk ergreift, jo fühlſt du nur nach, 


was der Künſtler 
| Selber gefühlt: fein Gemüth ſpricht in dem deinen ſich aus, 
Gleichwie im ſonnigen Glanze des Springquells luftige Säule 
Nur ſich erhebt bis zur Höh' der ihn erzeugenden Flut. 


2 


Unglückliche Liebe. 


Klagen unglücklicher Liebe bezaubern zartfühlende Jungfraun, 
Jünglinge, Männer ſogar rührt ihr melodiſch Geſeufz; 
Warum ſingſt du nicht auch vom Unglück und Wehe der Liebe? 

— Weil mich, theuerſter Freund, meine Geliebte beglückt. 


Jenen Poeten ſchaut an, er ſingt uns immer auf's Neue, 
Wie ihn die Liebe verzehrt, wie ihn das Unglück gebeugt. 

Prächtig gedeiht er dabei, ſich freuend beim perlenden Glaſe, 
Daß ſein erdichtetes Leid Andern die Thränen entlockt. 


Adler und Murm. 


Mahrheit redeſt du, Freund, am beſten gedeiht das Gemeine, 
Mühvoll bricht in der Welt Hohes und Schönes ſich Bahn. 
Taglang wiegt ſich der Aar hoch zwiſchen Himmel und Erde, 
Um für den einſamen Horſt nährenden Raub zu erſpähn; 
Wird ihm die Schwinge gelähmt, verkommt er in hülfloſem 
Elend, 
Während dem kriechenden Wurm niemals die Speiſe gebricht. 
m du vergängliche Güter, fo ſchmeichle der Thorheit der 
Menſchen, 
Suchſt du ewiges Gut, Hxehe zum Licht wie der Aar. 


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Der Gietzbach. 


J. 


Der Gießbach donnert durch den Felſenſpalt, 
Sprüht weitum Silberſtaub auf Moos und Bäume; 
Sein friſcher Hauch weht Kühlung durch die Räume, 
Die Luft erbebt von ſeiner Sturzgewalt. 


Von Fels zu Felſen ſpringt er ohne Halt, 
Als droht' ihm jäh Verderben, wenn er ſäume — 
Derweil tief unten aus dem Flutgeſchäume 
Ein dumpf geheimnißvolles Murmeln ſchallt 


Wie eine Stimme Gottes aus der Tiefe, 
Die ihn herab von ſeinen Höhen riefe — 
Und im kryſtallnen Kleid voll Glanz und Schimmer 


Stürzt er in wilder Brauſeluſt hernieder; 


Doch unerſchöpflich rauſcht er oben wieder, 
Ein andrer ſtets und doch derſelbe immer! 


F. Bodenſtedt. IX. 5 


Gern flücht ich mich in deine Schattenkühle 
Und höre dein melodiſch Rauſchen, ſehe 
Dein Flutgewog', vergeſſe Leid und Wehe, 
Als ob es deine Welle von mir ſpüle. 


Wie weckſt du mir ſo heilige Gefühle, 

Daß ich in ſtummer Andacht vor dir ſtehe, 
Als ob ein Hauch des Ewigen mich umwehe, 
Und ich mich ganz wie neugeboren fühle. 


Ahnung durchſchauert mich in deiner Nähe, 
Wie wenn ich in der lichtgewob'nen Hülle 
Den Urquell aller Dinge vor mir fähe: 


Das All durchflutend, zeugend und ernährend, 
Geheimnißvoll, in unerſchöpfter Fülle 
Sich immer neu aus eignem Schoos gebärend. 


3. 


Gedanken brüten auch im Bergeshirne 

Und reden aus des Gießbachs Wellenmunde; 
Es zuckt ein Herz im ſtarren Felſengrunde, 
Von ſeiner Glut erglüht die eiſige Stirne. 


Der jetzt ſein Haupt erhebt in die Geſtirne, 

Der Berg ſchlief einſt im tiefſten Meeresſchlunde; 

Er ſtieg ans Licht — doch kommen wird die Stunde 
Wo wieder in den Abgrund ſtürzt die Firne. 


Da wird ein Welterſchüttern ſein, ein Stürmen, 
Wie Schnee wird dieſer Felſen Erz zerſchmelzen, 
Klein wird das Große, groß das Kleine werden. 


Das Meer wird ſeine Flut zu Bergen thürmen, 


Die Berge werden ſich zur Tiefe wälzen 
Und wird ein neues Gottesreich auf Erden. 


5 * 


Mi. mancher Wandrer hat hier ausgeruht | 
Von deines Odems friſchem Hauch erquickt, | 
Wie manches Auge dankbar aufgeblickt 
Zu deinem Schneegeſchäum in Mittagsglut — 


Wie du vom Berge ſpringſt voll Uebermut, 
Umwallt von Silberſchleiern reich geſtickt; 
Und manches würzige Alpenblümlein nickt 
Dir zu und netzt ſein Haupt in deiner Flut. 


Und mehr als Blumen hier am Ufer ſtehen 
Sahſt du Geſchlechter kommen und vergehen 
Uud ſpülteſt weg die Spuren ihrer Füße: 


Derweil du friſch in Jugendfülle brauſend 
Fortrauſcheſt von Jahrtauſend zu Jahrtauſend 
Und bringſt dem fernen Meere Bergesgrüße. 


69 — 


‘ 5, 


Aus dunkler Scholle ſpringt die klare Quelle, 
Hoch über Felſenmauern tiefgeborſten, 

Wo in verborgnen Klüften Adler horſten, 

Dem Sturz der Waſſer gleich an Flugesſchnelle. 


Genährt an Himmelsbruſt tränkt ihre Welle 

Die Heerden auf der Alm, das Wild in Forſten; 
Birgt ſich im Dickicht unter dem verworr'ſten 
Geſträuch, wie bangend vor der Tageshelle. 


Dann plötzlich aus dem kühlen Waldesdunkel 
Schießt ſie ans Licht mit ſchäumendem Gefunkel 
Und rauſcht dem Thale Alpengruß entgegen. 


Den Wandrer labt ſie, weckt ihm Hochgefühle, f 
Als Bach beim Dorf treibt ſie die ſchattige Mühle, 
Und wo ſie fließt, blüht Leben, Luſt und Segen. 


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Völkerhatz 


Durch Zäune trennt man Heerden auf der Weide; 

Nach Grenzen, die durch Herrſchermacht ſich ändern, 
Nach Urſprung, Sitten, Sprachen und Gewändern 

Zieht man der Menſchheit bunte Völkerſcheide. 


Doch Gott will nicht, daß Volk und Volk ſich meide; 
Das Meer, bis zu des Erdballs fernſten Rändern, 
Wogt als Vermittler zwiſchen allen Ländern, 

Es trennt zwei Welten und vereint ſie beide. 


Allein der Vorurtheile tiefe Kluft 
Trennt Volk von Volk. Wie Gras auf beiden Seiten 
Wuchert die Thorheit, die das Fremde meidet. 


Doch hohe Bäume ragen durch die Luft, 
Die Zweig' und Krone ſich entgegenbreiten, 
Der Kluft nicht achtend, die die Wurzeln ſcheidet. 


„ 


An Hailer Alexander II. 


Schon ein Jahrtauſend iſt verfloſſen 
Seit Dein gewaltiges Reich gegründet, 
Und noch ward nichts davon verkündet, 
Als daß es Blut auf Blut vergoſſen; 


Stets kampfgerüſtet, unverdroſſen 
Erobernd Krieg auf Krieg entzündet, 
Der fremden Thorheit eng verbündet, 
Der fremden Weisheit ſtreng verſchloſſen. 


Dein war die erſte große That, 
Als du den dunklen Bann gebrochen 
Und das erhabne Wort geſprochen: 


Mein Volk ſei frei! — Dies wird den Pfad 
Zu ewigem Ruhm Dir ſichrer bahnen, 
Als alle Kriege Deiner Ahnen. 


An mein Söhnchen. 


Du prächtig Kind, du friſches, junges Leben! 
Mir geht das Herz auf, wenn dein Auge lacht, 
Durch dich zu neuem Sein bin ich erwacht — 
Dank, Dank dem Himmel, der dich mir gegeben! 


Wie dunkle Wolken ſah ich's um mich ſchweben, 
Und außer mir und in mir ward es Nacht: 
Da gingſt du auf in roſiger Morgenpracht 

In dir verjüngt ſeh ich mich ſelber leben. 


O, möge Gott in Gnaden dich bewahren 
Vor allem Weh und Leid, das ich erfahren: 
Er ſegne dich, mein Kind, mit beiden Händen! 


Was mir verſagt ward — mög' er dir gewähren, 
Was in mir trübe war — in dir verklären, 
Was in mir Stückwerk blieb — in dir vollenden! 


An F. fl. 


Mlan fagt: es will die Welt betrogen ſein, 
Wer fie beherrſchen will, muß fie. betrügen ... 
Mag, wem da will, ſolch falſches Glück genügen: 
Du weilteſt lieber beifallslos allein! 


Wohl iſt die Zahl der Auserwählten klein, 
Doch ſchafft ihr Beifall edleres Vergnügen, 
Und lieber hörſt du dich von ihnen rügen, 
Als die getäuſchte Welt dir Beifall ſchreien. 


Solch Beifall aus Millionen hohlen Köpfen 
Gleicht dem Gebraus des Meers, wo Well an Welle 
Sich rauſchend drängt in wildbewegter Flut. 


Doch iſt kein reiner Trunk daraus zu ſchöpfen, 
Wie aus der friſchen, klaren Bergesquelle, 
An deren Rand der Wandrer einſam ruht. 


. 


An eine Freundin. 


1. 


Gar häufig täuſcht im Leben uns der Schein — 

Die klügſte Vorſicht ſchützt vor Trug nicht immer, 
Und Mißtraun macht das Schlimme oft nur ſchlimmer, 
Wo kein Vertraun, kann keine Liebe ſein. 


Doch giebt es Menſchen noch fo ächt und rein 

Wie Diamantenglanz, ihr Blick täuſcht nimmer; 

Wer ſolche kennt, den lockt kein falſcher Schimmer, 
Wie uns kein Irrlicht lockt im Sonnenſchein. 


So fand ich dich, und als ich dich gefunden, 
War ich dir ſchnell in Freundſchaft ſo verbunden 
Als wär's ein Bund aus frühſter Kinderzeit. 


Und nun ich auf ein Kurzes dich muß meiden, 
Iſt mir das Herz ſo bang und ſchwer beim Scheiden 
Als wär's ein Scheiden für die Ewigkeit. 


2, 


Der Himmel ſchmückte dich mit reichen Gaben! 
Was ſchon vereinzelt anmuthvoll erſcheint, 
Verſchwenderiſch ward es in dir vereint, 

Das Herz zu feſſeln und den Blick zu laben. 


Doch nichts Vollkommnes ſoll die Erde haben — 
Das Schickſal hat es ernſt mit dir gemeint, 

Ich weiß, dein ſchönes Aug' hat oft geweint, 
In deiner Bruſt liegt manches Weh begraben. 


Du aber trugſt mit immer gleicher Würde 
Des Glückes Gaben, wie des Unglücks Bürde, 
Ob ſeine Schläge noch ſo ſchwer dich trafen. 


Es konnten dich die launenhaften, närr'ſchen 
Tyrannen Glück und Unglück nie beherrſchen: 
Du bliebeſt Herrin und ſie blieben Sklaven! 


Ein Menſch, der ſtolz und frei durch's Leben geht, 
Gleich groß in trüben wie in heitern Tagen, 
Gelaſſen Glück wie Unglück weiß zu tragen 
Erſcheint ein Weſen, das man nicht verſteht. 


Die Menge haßt, was frei von ihr beſteht, 
Nur wer ihr ſchmeichelt, darf ſie überragen, 
Doch wer zu ſtolz zum Schmeicheln und zum Klagen, 
Der wird gehaßt, verfolgt wie ein Prophet. 


Des Weiſen Ruhe weckt der Thoren Wuth, 
Denn Alles, was den Menſchen ungewöhnlich, 
Beherrſcht ſie — oder reizt ſie unverſöhnlich. 


Und Wenige nur ſind wahrhaft groß und gut — 
Der Menſchen Mehrzahl bleibt ſtets in der Kindheit, 
Leichtgläubig, kleinlich, offnen Aug's voll Blindheit. 


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* — . — 


An Seine Majeltät König Maximilian II. 


(Bei Ueberfendung meines „Demetrius “.) 


Empfange huldvoll dieſe kleine Gabe, 

In Deinem Schutz begonnen und vollendet, 
Als Opfer reinen Dankes Dir geſpendet 
Bis ich einſt Reiferes zu bieten habe. 


Meiſt ehren Könige Dichter nur im Grabe — 
Du haſt Dich zu den Lebenden gewendet, 
Dein Sorgen iſt: daß And'rer Sorgen endet, 
Dein Scepter ward der Kunſt zum Zauberſtabe. 


Ein hohes Ziel haſt Du uns auserſehn. 
Dir bleiben Ruhm und Ehre — wenn wir fiegen‘, 
Ruhm auch und Ehre — wenn wir unterliegen. 


Denn nimmer kann des Fürſten Ruhm vergehn‘, 


Von dem man ſagen muß nach Seinem Leben: 
Er gab der Kunſt mehr als ſie ihm gegeben. 


Einem jungen Brautpaare. 


Tu neuem Leben iſt die Welt erwacht, 
Ihr Herz geht auf, ihr Sonnenauge glüht, 
Balſamiſch iſt ihr Odem, und ſie blüht 
Wie eine Braut in jungfräulicher Pracht. 


Euch öffnet ſie der Wunder reichſten Schacht — 
Nur für die Liebe iſt der Lenz erblüht, 
Mit ſüßer Ahnung füllt er das Gemüth 
Von Liebeswonne und von Liebesmacht. 


Erſchließt ihm liebend eure Herzen ganz! 
Laßt ſeinen Hauch durch euren Buſen wehen, N 
Nachts wird in ſchönen Träumen auferſtehen 


1 


Was euch berauſcht von Lenzesduft und Glanz — 
Und was die ſchönen Träume euch enthüllen, 
Gott mög' es euch im Leben ganz erfüllen! 


Frauentchöne. 
1. 


Oft ſchien mir, daß Poeten Frauenſchöne 
Zu überſchwenglich und erhaben prieſen, 

Weil nie ſich ganz im Leben mir erwieſen 
Was ich verherrlicht fand durch Liedestöne. 


Bald ſchien's, als ob der Geiſt den Leib verhöhne, 
Und möchte ſchönre Wohnung ſich erkieſen, 

Bald ſah ich Formen, wie aus Paradieſen, 

Doch keinen Geiſt, der ſie mit Hoheit kröne. 


In dir allein fand ich ganz und vollkommen, 
Was ich als Stückwerk ſonſt nur wahrgenommen: 
Vom Füßchen bis zum haarumwogten Scheitel 


Biſt du von Geiſt und Schönheit ſo durchdrungen, 
Daß, was man je zum Ruhm der Frauen geſungen, 
Mit dir verglichen nichtig ſcheint und eitel. — 


2. 


Dich ſchuf Natur in einer Feſttagslaune, 

Hielt dich vor Allem, was entweiht, geborgen, 
Daß du uns aufgingſt wie ein Maienmorgen, 
Und wer dich ſieht, vor ſolcher Schönheit ſtaune. 


Leicht, wie ein zart Geweb vom Dornenzaune 
Zerriſſen wird, welkt Schönheit hin vor Sorgen; 
Man quält ſich mühvoll heut, denkt ſtets an morgen, 
Daß nicht die Noth zu ſchrill ihr Liedchen raune. 


Und wer nicht Sorgen hat, der ſchafft ſich welche; 
Es nagt ein Wurm an jedem Blumenkelche 
Der Schönheit, — nur an deinem nicht, du Hehre! 


O daß Gott rein dich, wie du biſt, behüte, 
Und der Verwüſterin der Schönheitsblüte, 
Der Zeit, an dich die Hand zu legen wehre! 


81 — 


N 


Nur wenige Helden rühmt uns die Geſchichte, 
Aufragend aus zahlloſen Millionen 

Von Alltagsmenſchen die auf Erden wohnen, 
Und ruhmlos leben, ruhmlos gehn zunichte. 


Nur wenige Frauen leben im Gedichte 
Unſterblich — ob Sonette und Canzonen 

Sie zahllos auch, in Hütten wie auf Thronen, 
Gerühmt. Vor dem zerſtörenden Gerichte 


Der Zeit ſinkt Schönheit hin, wie Heldenthum, 
Wenn nicht des Sängers Geiſt groß wie der Ruhm, 
Den er beſingt. O, ſegne Gott mein Wort, 

Daß es zu deinem Ruhm leb' immerfort! 


Wohl preiſ' ich deine Schönheit im Gedicht, 
Doch ach, mein Geiſt gleicht deiner Schönheit nicht! 


F. Bodenſtedt. IX. 6 


An Hermann Lingg. 
(1856.) 


Alan klagt, als ob die Fürſten des Geſanges 
Geſtorben wären und ihr Reich zunichte: 
Derweil ein Urquell ewiger Gedichte 

Aus deinem Buſen quillt gewaltigen Klanges. 


Dein hohes Lied, mein ganzes Herz bezwang es — 
Ob du die großen Bilder der Geſchichte 

Vor uns entrollſt, prophetiſche Geſichte 

Des Völker -Auferftehns und Unterganges; — 


Ob du von deinen Wonnen ſingſt und Wehen, 
Den Geiſt zu Gott erhebſt im reinen Liede, 
Daß uns Verſöhnung überkommt und Friede: 


Es giebt noch Herzen, die dich ganz verſtehen, 
Und jeder Prieſter am Altar des Schönen 
Pflückt Lorbeern zu dem Kranz, um dich zu krönen. 


Der Ararat. 
* 


Un Hocharmeniens alte Königsſtadt 

Im erſten Frühlingsblühn prangt die Natur; 

Still iſt's umher — Cicaden ſchwirren nur 

Durch's junge Grün — am Baum regt ſich kein Blatt. 


Hier ſieht das Aug' an Schönheit ſich nicht ſatt: 
Fernher blitzt des Arazes Silberſpur, 

Zum blauen Himmel ragt aus blumiger Flur 
Die Majeſtät des hohen Ararat. 


Zu ſeinen Füßen dehnen ſich vier Länder; 
Buntſammtne Au'n umſchlingen als Gewänder 
Die Knie — demanten ſchimmert ſeine Krone; 


Der ewige Schnee umgürtet ſeine Hüfte, 


Kaum wagen ſich die Könige der Lüfte, 
Die Adler, bis zu ſeinem Wolkenthrone. 


6 * 


2. 


Tum Erſtenmale von der Hochburg Zinnen 
Sah ich den Gipfel der die Arche trug, 

Da noch die Sündflut ihre Wogen ſchlug, 
Daraus der Herr nur Noah ließ entrinnen. 
Und wie ich ſtand in weihevollem Sinnen, 
Schwang ſich zum Licht ein Aar in ſtolzem Flug, 
Und vor mir zog ein Karawanenzug 

Wo klar der Sanga heilige Fluten rinnen. 


Da plötzlich hielten Pferd' und Dromedare, 
Die Reiter in blauſchimmerndem Talare 
Hinſanken betend auf der Erde Schoß. 


Und heilige Stille herrſchte in der Runde, 
Nur von der Stadt aus des Muezzin's Munde 
Erſcholl's vom Minarete: » Gott iſt groß!“ 


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Der Mlenſchengeiſt. 


Ich bin der ewige Menſchengeiſt 

Im zeitlichen Gewande, 

Das mich herab zum Staube reißt, 
Zur Ehre und zur Schande. 

In Alt und Jung, in Mann und Weib 
Muß ich mich quälen und plagen, 

Den niedern ſtaubgebornen Leib 

Durch dieſe Prüfungswelt zu tragen. 


Er iſt mein Sklav' und mein Tyrann, 
Mein Tempel und mein Kerker. 

Die Sehnſucht zieht mich himmelan, 
Allein der Leib iſt ſtärker, 

Der qualvoll mich gebunden hält 

An irdiſches Bedürfniß. 

So wandeln wir durch dieſe Welt 
Gemeinſam, doch ſtets in Zerwürfniß. 


Den Leib, der mich umhüllen ſoll, 
Darf ich nicht ſelbſt erkieſen; 

Bald iſt er ſchön, hehr, anmuthvoll, 
Bewundert und geprieſen — 


— a 


Bald ift er häßlich, mißgeſtalt, 

Roh, plump, zu Boden drückend. 

So geh' ich um millionenfalt, 

Hier Abſcheu weckend, dort entzückend. 


Bald red’ ich aus Prophetenmund 
Und weihevoller Dichtung, 

Bald thut mich Schlachtendonner kund 
Als Herold der Vernichtung. 

Bald ſtrahl' ich als ruhmvoller Held, 
Ein Cäſar und Alexander, 

Und ſchüttle die erſtarrte Welt 

Zu neuem Leben durcheinander. 


Hier herrſch' ich mit Despotenzwang, 
Dort bin ich niedrer Sklave; 

Bei manchem Volk jahrtauſendlang 
Lieg' ich in tiefem Schlafe. 

Die Völker kommen und vergeh'n 
Wie wandelnde Geſichte, 

Und ihre Spur bleibt nur beſteh'n 
Im Lied und Buche der Geſchichte. 


Wie Wogen aus des Weltmeers Flut 
Brandend zum Ufer ſtreben; 

Wie Dünſte, von der Sonne Glut 
Gezogen, aufwärts ſchweben: 12 
So löſt als Theil ſich von mir los 

Der Menſch, vom Ird'ſchen angezogen, 
Um kurzen Laufs in meinen Schoos . 
Zurückzukehren, wie in's Meer die Wogen. 


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Hoch hebt die Sonn’ ihr Angeſicht 

In ſtrahlendem Triumphe, 

Hell glänzt im Meer ihr himmliſch Licht, 

Doch glänzt es auch im Sumpfe. 

| Sie läßt das Korn des Felds gedeih'n, 

5 Wie die giftige Schlange und Pflanze — 
Doch ſelbſt giftbrütend bleibt ſie rein 

In ewig makelloſem Glanze. 


—— — 


ü Und ich bin gleich wie Sonn' und Meer — 
ö Im Größten und im Kleinſten 

Strahl' ich und wog' ich hin und her 

Vom Höchſten zum Gemeinſten. 

Doch wie ſich's tauſendfältig bricht 

In Wellen, Funken und Flammen: 

In Einer Flut, in Einem Licht 

Kommt es verklärt aufs Neu' zuſammen. 


9 


Craumgeſicht. 


Auf einen hohen Berg war ich geſtiegen: 
Weitum, bis zu des Himmels lichtem Saume 
Sah ich die Welt zu meinen Füßen liegen. 

Verwundert ſchweift' der Blick umher im Raume, 
Wie grüne Wellen drängten ſich die Berge, 

Der Schnee darauf glich weißem Meeresſchaume; 

Die Menſchen unten trippelten wie Zwerge, 

Klein wie ein Schuh ein Kahn ſchwamm auf den Wogen, 
Drin wie ein Wichtelmännchen ſaß der Ferge. 

Die Sonne ſank. Roth flammt' der Himmelsbogen, 
Daß ſich in Purpurglut die Berge tauchten, 
Derweil die Tiefe ſchon von Nacht umzogen. 

Und aus den Seen und finſtern Schluchten rauchten 
Lichtſcheue Nebel, die den Blick umwoben 
Und feuchte Kühle mir in's Antlitz hauchten. 

Ich ging zu ruhn. Und ſieh: emporgehoben 
Ward ich im Traum zu einem lichten Sterne, 
Und klar ſah ich den Erdenball von oben — 

Nicht wie das Auge ſonſt ſchaut in die Ferne, 

Wo Alles liegt in Duft und Glanz verſchwommen: 
Durch alle Hülle drang der Blick zum Kerne. 

Der Schleier war vom Auge mir genommen 
Und was man Raum und Zeit nennt war verſchwunden; 
Ich ſah Jahrhunderte vergehn und kommen: 


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Pe 9 


. 


Sie ſchwanden mir vorüber wie Sekunden; 
Und Völker ſah ich kommen und vergehen 
Wie Schattenbilder auf dem kleinen runden 
Erdkloß, klein wie der Mondball anzuſehen. 
Und fie verfolgten ſich in blindem Haſſe, 
Bereiteten einander Fluch und Wehen — 
Verderbend kämpfte Raſſe gegen Raſſe; 
Doch blieb der grimme Kampf nicht ganz vergebens: 
Denn hin und wieder aus der trüben Maſſe 
Stand Einer auf voll göttlich reinen Strebens, 
Bewältigend die ſtörriſchen Gemüther, 
Die Durſtigen tränkend aus dem Quell des Lebens: 
Wahrheit und Liebe ... Sie, die höchſten Güter 
Der Menſchheit, ſtrahlten durch das Dunkel helle, 
Des Ewigen auf Erden Hort und Hüter: 
Rein, wie die friſche, hohe Bergesquelle, 
Die nie ſich trübt, wenn auch, die von ihr zehren: 
Ströme und Meere, trüben ihre Welle. 
Der Schlamm verſinkt zur Tiefe — aus den Meeren 
Und Strömen muß die Flut ſich neu erheben 
Und rein zu ihrem hohen Urquell kehren. 
Und alſo ſah ich's im getrübten Leben 
Der Menſchheit. Als ihr Kreislauf war vollendet, 
Blieb Wahrheit nur und Liebe oben ſchweben, 
Dem Duell des ewigen Lichtes zugewendet. 
Und alles Andre ward von Nacht umwoben, 
Der Erde Glanz und Herrlichkeit geendet. 
Die Berge ſtürzten ſich in's Meer, es hoben 
Die Fluten ſich zu Bergen feſtbegründet, 
Es kehrte ſich das Unterſte nach Oben. 
Und einen neuen Glanz ſah ich entzündet 
Vor mir, und eine ſchön're Welt entſtanden, 
So ſchön, wie keines Menſchen Wort verkündet. 


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Dort wandelten verklärt, in Lichtgewanden, 
Die Menſchen alle, die einſt ganz auf Erden 
Der Liebe und der Wahrheit ſich verbanden. 

In Thiere ſah ich, ſchrecklich von Geberden, 

Die Trug- und Haßerfüllten ſich verwandeln, 
Doch nur, um auch dereinſt erlöſt zu werden: 

Wenn ſie, zerknirſcht ob ihrem ſündigen Handeln, 
Der Wahrheit ſich und Liebe ganz ergeben, 
Um fortan nur in ihrem Licht zu wandeln. 

Denn wer ſie kennt, mag ohne ſie nicht leben, 
Ob man ihm alles Andre dafür böte; 

Nie ſtraucheln kann wem fie die Hand gegeben, 

Nie ſinken der in ihrem Glanz Erhöhte .. 

Und wie ich Alles was ich ſah, bedachte, 

Stieg glüh am Himmel auf die Morgenröthe; 

Mich blendete ihr Glanz — und ich erwachte. 


. 


Veinrich VIII. und Iwan IV. (der Schreckliche). 


Twei Sünder unterm Schutz der Krone, 
Durch ſchrankenloſe Willkür groß — 
Zwei Theologen auf dem Throne, 

So bibelfeſt wie ſittenlos. 


Sie ſchweben drohend überm Volke 
Auf goldnem, ſichern Herrſcherſitz 
Unnahbar wie die Wetterwolke, 
Und wo ſie wettern, trifft der Blitz. 


Tags gilt ihr Dienſt dem lieben Gotte 
Und ſchönen Frau'n gilt er zur Nacht — 
Die Eine ſtirbt auf dem Schaffotte, 
Derweil die Andre Hochzeit macht. 


Mit ſeines Volkes beſtem Blute 
Färbt König Heinrich ſeinen Thron, 
Und Zar Iwan in grimmem Muthe 
Ermordet ſeinen eignen Sohn. 


So ſchmieden ſie der Frevel Kette 
Bis zu der letzten Stunde fort, 
Und ſterben ruhig dann im Bette, 
Im Teufelsmunde Gottes Wort. 


Und heute noch — wie märchentönig 
Es klingen mag und wunderbar! — 
Rühmt England Heinrich, ſeinen König: 
Und Rußland feinen »grauſen Zar«. 


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An mein jüngftes CTöchterchen. 


(Weine nicht, mein goldgelocktes Mädchen, 

Du mein roſig Kind, des Hauſes Freude, 

Laß die ſüßen, herzigen Veilchenaugen 

Nicht von bittrer Thränenflut befeuchten! 

Tage werden kommen, ſchlimme Tage, 

Zeiten ſchweren Duldens, herber Prüfung, 

Wo die heißen Thränen ſchmerzenlindernd 

Aus den gramumflorten Augen ſtrömen. 

Aber noch, Kind, brauchſt du nicht zu weinen, 
Denn noch kennſt du Kummer nicht und Trübſal. 
Sieh, an deiner Wiege ſitzt die Mutter, 

Wiſcht die Thränen von den glüh'nden Wangen, 
Wiegt dich ein und wacht, damit du ſchlafeſt, 
Und mit leiſer Silberſtimme ſingt ſie 

Traute Weiſen holder Kinderlieder. 

Wüßteſt du, welch' Glück und welchen Segen 
Gott in dieſer Mutter dir beſchieden, 

Lächeln würdeſt du, mein Kind, nicht weinen! 
Weißt du's wohl, verſtehſt mich, herzig Mädchen? 
Thuſt du doch, als hätteſt mich verſtanden, 
Schiebſt dein Lockenköpſchen an die Seite, 
Blickſt zur Mutter auf und ſtreckſt die Aermchen 
Nach ihr aus und lächelſt unter Thränen. 


Ba 


Am Peujahrsmorgen 1858. 


Teierlich Geläut ſchallt aus der Ferne, 

Auf den weißen Dächern blitzt die Sonne 

Und am Fenſter blitzen Eifesblumen. 

Heimlich vor der Thür des trauten Zimmers, 
Drin ich ſinnend auf und nieder wandle, 

Hör' ich Stimmen, ſüße Kinderſtimmen, 

Und es flüſtert eine zu der andern: 

»Geh voran, lieb' Schweſterchen, ich folge.« 
»Nein, geh' du voran, du biſt die Aelt're.« — 
Leiſe öffnet ſich die Thüre, leiſe 

Treten ein zwei blühend lockige Mägdlein, 
Holde Kinder, meine eig'nen Kinder. 

Jedes hält ein Blättchen in den Händen, 
Reicht es mir und ſagt ein kindlich Sprüchlein, 
Glück und Heil zum neuen Jahr mir wünſchend. 
Auf den Blättchen ſteht, was ſie mir wünſchen, 
Steht in großen, ungelenken Zügen 

Von der Kinder kleiner Hand geſchrieben, 
Erſtes Pröbchen ihrer Schreibefünfte. . 

Dankend küß' ich meine herzigen Kinder: 

In mein Auge ſchleicht ſich eine Thräne, 

Halb vor Freude wein' ich, halb vor Wehmuth, 
Ernſt gedenkend meiner eignen Kindheit, 

Da ich ſelbſt zum erſtenmale hintrat 

Mit beſchrieb'nem Blättchen vor den Vater, 
(Der ſchon längſt im kühlen Grabe ſchlummert) — 
Glück und Heil zum neuen Jahr ihm wünſchend. 
Unerfüllt, ach! blieben meine Wünſche. 


„ 


Ford Pyron's Ode an Napoleon 1 


Vorbei! ein König geſtern noch, 
Der Königen gebot, 
Und heut ein elend Nichts, und doch 
Nach ſolchem Fall nicht todt! 
Die Welt macht' er zum Leichenfeld, 
Und dieſer kronenreiche Held 
Lebt noch in Schimpf und Noth? 
Nie, ſeit dem Sturz des Lucifer, 
Fiel Menſch noch Teufel tief, wie er! 


Die ſich gebeugt in Huldigung 
Schlugſt du mit Fluch und Weh'n, 
Und blind vor Selbſtbewunderung 
Lehrt'ſt du die Andern ſehn. 
Der Anbetung, die dich umgab, f 
Bot'ſt du zum Lohn nichts als das Grab. 
Du lehrteſt uns verſteh'n 
Nun du fo tief gefallen bift , 
Wie Ehrgeiz klein und nichtig iſt. 


Dank für die gute Lehre! Sie 
Lehrt künftigen Kriegern mehr, 
Als es vermag Philoſophie 
Und je vermocht bisher; 
Der Zauber wich auf immerdar, 
Die Menſchheit kniet vor dem Altar 
Des Kriegsgotts nimmermehr — 
Sie ſpricht dem eitlen Götzen Hohn, 
Deß Stirn von Erz, deß Fuß von Thon! 


F. Bodenſtedt. IX. 


— Mi 


Der donnernde Triumph des Kriegs, 

Des Schlachtfelds Opferrauch, 
Die erz'ne Stimme ſteten Siegs, 

Für dich der Lebenshauch; 
Und Seepter, Schwert, die du nur trugſt, 
Daß du die Menſchheit niederſchlugſt, 

Wie alles Andre auch 
Schwand hin! O welche Qual verheißt 
Dir die Erinnrung, dunkler Geiſt! 


Der Unheilbringer ſelbſt in Pein! 
Der Unbeſiegte wich! 
Der Richter aller Welt zu ſein 
Gewohnt — fleht jetzt für ſich! 
Iſt's Todesfurcht, die aufrecht hält 
Nach ſolchem Wechſel in der Welt, 
Hoffſt du noch kaiſerlich? 
Stirb als ein Fürſt, leb' als ein Sclav! 
Du wählteſt höchſt unfürſtlich brav! 


Der einſt den Eichenſtamm getheilt, 
Sah erſt zu ſpät, daß er 

Beim Rückprall ſelbſt ſich eingekeilt, 
Entſetzt ſchaut' er umher. 

Voll Uebermuth auf deiner Bahn 

Haſt du ein gleiches Werk gethan, 
Dein Fluch drückt dich noch mehr! 

Denn Jenen fraß des Walds Gethier, 

Du nagſt am eignen Herzen dir. 


Der Römer, als er überſatt 
Von Römerblute war, 


-1 


Warf hin den Dolch, verließ die Stadt, 
Groß, wenn auch ein Barbar. 

Und höhnend ſchaut er nieder noch 

Auf's Volk, das fröhnte ſeinem Joch, 
Wie eine Sclavenſchaar — 

Die Stunde war ſein einz'ger Ruhm 

Wo er binwarf das Herrſcherthum. 


Der Spanier, als der Herrſchaft Glanz 
Ihm nichtig ſchien und bleich, ö 

Gab Kronen für den Roſenkranz, 
Für eine Zell' ein Reich! 

Und wie er büßend Perlen zählt', 

Sich kindiſch fromm kaſteit' und quält': 
Er blieb ſich immer gleich! 

Wohl beſſer thut vor Welt und Gott, 

Wer nicht Defpot iſt noch bigott. 


Doch du, — ſchwach, zögernd und zu ſpät, 
Stiegſt du herab vom Thron, 
Der Donner und die Majeſtät 
War dir entrungen ſchon! — 
Vor Zorn und Weh mein Herz zerreißt, 
Weil du ſelbſt herzlos, böſer Geiſt, 
Und uns zum Spott und Hohn 
Die ſchöne Welt ſo manches Jahr 
Solch nicht'ger Größe Schemel war! 


Die Welt vergoß ihr Blut für ihn, 

Der ſo ſein eignes ſchont, 
Monarchen ſah man vor ihm knien, 
Weil er ſie nicht entthront! 


0 


O ſchöne Freiheit, wie erſcheint 

So hehr dein Glanz, wenn ſolchem Feind 
Die Furcht im Buſen wohnt! 

Daß kein Tyrann mehr, wenn er fällt, 

Durch beſſern Ruhm bethör' die Welt! 


Nur Blut bezeichnet deine Spur, 

Kein Segen folgt dir nach, 
Deine Triumphe dienen nur, 

Zu mehren deine Schmach! 
Wärſt du geſtorben ritterlich, 
Vielleicht erhöb' ein Andrer ſich 

Der Welt zum Ungemach — 
Wen aber trägt ſein Flug ſo weit, 
Um zu vergeh'n in Dunkelheit? 


Der Helden Staub iſt ganz ſo ſchlecht, 
Wie and'rer Menſchen Staub, 
Es wägt die Sterblichkeit gerecht 
WMWas ihrer Herrſchaft Raub; 
Doch dacht ich: höhrer Geiſt erhebt 
Den großen Mann, ſo lang er lebt 
Für Furcht und Schrecken taub. 
Nie glaubt ich, daß ſich Spott und Hohn 
Wagt zu der Welterobrer Thron. 


Und ſie, die Blum' aus Oeſterreich, 
Der ſtolzen Habsburg Sproß, 

Im Unglück auch den Größten gleich, 
Bleibt ſie noch dein Genoß? 

Und theilt ſie in erhabner Treu' 

Dein Weh und deine ſpäte Reu', 
Nachdem wie Schaum zerfloß 


7» 


— 100 — 


Dein Reich — o, hüte dieſen Schatz, 
Für deinen Thron mehr als Erſatz! 


Dann eile fort gen Helena, 
Ein Gaſt des Meeres ſei; 
Es zürnt dir nicht, frei blieb es ja 
Von deiner Tyrannei! 
Und ſchreibe dort mit müßiger Hand 
Die Worte in den Uferſand, 
Daß auch die Erde frei! 
Und Korinth's Pädagog dir jetzt 
Sein Beiwort auf die Stirn geſetzt. 


Du Timur, wie wird dir zu Muth 
In deinem Kerker ſein! 

Du denkſt wohl in der Ohnmacht Wuth 
Nur Eins: die Welt war mein! 

Ging nicht, wie dem zu Babylon, 

Dein Geiſt mit deiner Macht davon, 
Wird er ſich bald befrein 

Von dir, der ſich ſo hoch vermaß, 

Und doch ſo niedern Werth beſaß. 


Oder wirſt, wie Prometheus, groß 
Du tragen deinen Schmerz, 
Wie er darbieten hoffnungslos 
Dem Geier Mark und Herz? 
Umſonſt! dem göttlichen Gericht, 
Ja ſelbſt dem Spott entgehſt du nicht 
Des Böſen, der dich allerwärts 
Verfolgt, — den nicht ſein Stolz verließ, 
Als Gott ihn in's Verderben ſtieß. f 


7 Mn Du a 


101 


Es war ein Tag, wo dieſe Welt 
War Frankreichs — Frankreich dein, 
Wo du, entſagend als ein Held, 
Die Völker zu befrei'n, 
Mit beßrem Ruhme dich gekrönt, 
Als aus Marengo's Namen tönt — 
Dich hätt' ein goldner Schein, 
Verklärend all' dein Thun, umſchwebt, 
Du hätteſt glorreich fortgelebt! 


Doch du wollt'ſt prangen auf dem Thron 
In eitler Herrſcherluſt, 

Als zwänge Purpurkleid und Kron' 
Erinnrung aus der Bruſt. 

Wo iſt nun all' der bunte Tand, 

Stern, Purpurkleid und Ordensband? 
Ward endlich dir bewußt, 

Du großes, machtverwöhntes Kind, 


Wie nichtig ſolche Flitter ſind? 


Wo ſoll das müde Auge ruh'n? 

Wo findet's Herrlichkeit, 
Geſtützt auf wahrhaft großes Thun, 

Ruhm nicht von Schmach entweiht? 
Ein Mann nur — erſter, letzter Held, 
Cincinnatus der neuen Welt, 

Blieb ungehaßt vom Neid: 
Waſhington ließ der Welt die Scham, 
Daß groß wie er kein zweiter kam. 


SE - Saal 


Das Rolakenmädchen. 


An Sonntag grub fie das giftige Kraut, 
Am Montag wuſch ſie es rein. 

Am Dienstag früh hat ſie's gebraut, 

Am Mittwoch gab ſie's ihm ein. 


Es hat der Trank, den ſie ihm gab, 
Sein Herz zum Tod entflammt — 
Am Freitag legten ſie ihn in's Grab, 
Samstags war Todtenamt. 


Und als der Sonntag wieder kam, 
Ziſchelt's im Dorf umher: 

»Sie war's die ihm das Leben nahm, 
Auf ihr liegt Sünde ſchwer. « 


Die Mutter weinte bitterlich 

Und ſchalt ihr Kind voll Schmerz. 
»Ach Mutter, warum verließ er mich, 
Warum brach er mein Herz? 


103 


Hugin und Munin. 


Dem Gotte Nordens, Odin, ſtand 
Ein Rabenpaar zur Seite, 

Der eine Hugin zubenannt 

Und Munin hieß der zweite. 

Es trug ſie ihrer Flügel Schwung 
Hoch über Zeit und Schranke: 
Munin war die Erinnerung, 

Und Hugin der Gedanke. 


Treu wurde durch ſein Rabenpaar 
Dem Gott alltäglich Kunde 

Was in der Welt geſchehen war. 

Daß er auf feſtem Grunde 

Sein Reich gebaut, und Alt und Jung 
In Treue niemals wanke: 

Deß freut ihn die Erinnerung, 

Ergötzt ihn der Gedanke. 


Doch einſt geſchah's, daß böſe Mär' 
Dem Gott die Raben brachten: 

Die Noth liegt auf den Völkern ſchwer, 
Die nach Erlöſung ſchmachten; 

Sie flehn zu Odin Alt und Jung, 

Heil ſucht das Reich, das kranke — 
Deß grämt ihn die Erinnerung 

Erzürnt ihn der Gedanke. 


Als trügen felbft die Raben Schuld 
An dem was ſie berichten, 

Entzieht er ihnen Gnad' und Huld, 
Für treuerfüllte Pflichten, 

Lähmt ihrer mächtigen Flügel Schwung, 
Bannt fie in enge Schranke: 

Da quält ihn die Erinnerung, 

Empört ſich der Gedanke. 


Ob auch auf kurze Zeit gezähmt: 
Sie waren nicht zu zwingen; 

Ob auch ihr Flügelpaar gelähmt: 
Es wuchſen neue Schwingen, 

Und mit gewaltigem Flügelſchwung 
Aus Odin's Dienſt und Schranke 
Floh Munin, die Erinnerung, 
Und Hugin, der Gedanke. 


Als ſich das Rabenpaar entſchwang, 
War Schrecken in Walhalle, 

Die Flucht ward Odin's Untergang, 
Todt ſind die Götter alle. 
Unſterblich aber, ſtark und jung, 
Hoch über Zeit und Schranke 
Fliegt Munin, die Erinnerung, 
Und Hugin, der Gedanke. 


Kadbot, 
der heidniſche Herzog der riefen. 


Sun Wolfram zog durch's Frieſenland 
Die Heiden zu bekehren. . 
Groß war der Glaube den er fand 
Im Volk an Chriſti Lehren. 
Viel', die in Sünden weiland 
Geſpottet über ihn, 
Bekehrten ſich zum Heiland — 
Und Allen ward verziehn! 


Der Herzog Radbot ſelber ſann 

Die Taufe zu empfangen: 

Nun führt zu mir den heil'gen Mann! 

Ich fühle ſtark Verlangen 
Nach ſeiner frohen Botſchaft, 
Der Lehre mild und rein, 
Die Heilung aller Noth ſchafft 
Durch Liebe und Verzeihn. 


Da ſollte durch Sanct Wolfram bald 

Dem Herzog Kunde werden, 

Wie Gott in menſchlicher Geſtalt 

Vom Himmel kam zur Erden; 
Wie er gelehrt, geduldet, 
Und durch den Kreuzestod 
Geſühnt was wir verſchuldet, 
Gelindert alle Noth! 


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»So taufet mich nach Chriſtenbrauch, 

Die Schuld mir zu vergeben, 
Daß mich des Heilands Gnade auch 
Einführt zum ew'gen Leben !« 

Das Becken ſtand bereitet 

Wohl in des Herzogs Haus — 

Den Herzog ſegnend, breitet 

Wolfram die Arme aus: 


»Gott ſegnet euch durch meine Hand, 
Nun iſt die Schuld verziehen! 
Heil euch, daß ihr das Licht erkannt, 
Daß Gott mir Macht verliehen, 
Vom Wahn der blinden Heiden 
Euch heute zu befrei'n, 
Die Höllenſtrafe leiden 
In ewiglicher Pein!“ 


Der Herzog hört Sanct Wolfram's Wort, 

Das Wort macht ihn erbeben; 
Er ſprach: »Werd' ich im Himmel dort 
Nicht bei den Vätern leben? 

Die auch als Heiden ſtarben, 

In ihrer Sündennoth 

Die Taufe nicht erwarben 

Nach chriſtlichem Gebot! « 


Sanct Wolfram ſprach: »So wird es fein, 
Der Glaube wird euch ſcheiden: 
Nur Chriſten gehn zum Himmel ein, 
Zur Hölle gehn die Heiden!« — 


— 107 


Stumm ſtand der Herzog lange, 
Als er das Wort vernahm, 
Hoch glühten Stirn und Wange, 
Es faßt' ihn wunderſam: 


»Wird auch mein Weib, wird auch mein Kind, 
Die Gott mir früh genommen, 
Die ungetauft geſtorben ſind, 
Nicht in den Himmel kommen? 
So kurze Zeit hienieden 
Nannt' ich die Lieben mein, 
Nun ſollen ſie geſchieden 
Auch jenſeits von mir fein?« 


Sanet Wolfram ſprach: »So wird es fein, 
Der Glaube wird euch ſcheiden! 
Nur Chriſten gehn zum Himmel ein, 
Zur Hölle gehn die Heiden! — 
So kommt, daß euch von Sünden 
Jetzt meine Hand befreit, 
Dem Herrn euch zu verbünden 
Zu ew'ger Seligkeit.“ 


Doch Herzog Radbot trat zurück: 
»Laßt mich zur Hölle eilen, 

Ich mag für mich kein Himmelsglück, 
Das Weib und Kind nicht theilen!« — 
Er wollte nicht erkaufen 
Sein Heil durch ihre Noth — 
Radbot ließ ſich nicht taufen, 

Blieb Heide bis zum Tod! 


„ 


Der Mömerknabe. 


Die Sage geht, man braucht in Schwaben, 
Um klug zu werden, vierzig Jahr' — 

Ich weiß von einem Römerknaben, 

Der klug mit vierzehn Jahren war: 

So klug — daß ſelbſt bei des Senates 
Geſchäften man zu Rath ihn zog, 

Und daß die Stimme ſeines Rathes, 

Wenns galt das Wohl und Weh des Staates, 
Die ältſten Stimmen überwog. 


Einſtmals geſchah's, daß wichtige Dinge 
Verhandelt wurden im Senat, 

Da war die Neugier nicht geringe; 
Die eigne Mutter flehend bat 

Den Sohn, zu beichten was geſchehe , 
— Natürlich ganz in Heimlichkeit — 
Er ſprach: ein neu Geſetz der Ehe, 
Deß Nutzen ich nicht recht verſtehe, 
Ward vorgelegt in jüngſter Zeit. 


Doch iſt bis heut noch nichts entſchieden, 
Anſichten herrſchen mancherlei; 

Man ſtreitet, wie des Hauſes Frieden 

Am dauerndſten zu gründen ſei. 

Ein Plan wird morgen angenommen 

Von zweien die man auserſann — 

Man fragt: wirds mehr dem Ehglück frommen, 
Daß auf die Frau zwei Männer kommen, 

Oder zwei Fraun auf einen Mann? 


— 109 


Die Mutter hört ſtumm vor Bewegung 
Des Sohnes heimlichen Bericht; 

Es ſpiegelt ihres Herzens Regung 
Sich ab im glühnden Angeſicht — 

So ſtand ſie da verwirrt, befangen, 
Dann rafft ſie ſich empor mit Macht, 
Küßt ihren Sohn auf beide Wangen, 
Drauf iſt ſie heimlich fortgegangen 
Und kam erſt wieder kurz vor Nacht. 


Am andern Morgen im Senate, 

Die Stirn gefurcht gedankenſchwer, 
Sitzen die weiſen Herrn im Rathe, 
Sie reden eifrig hin und her, 

Und trommeln mit den Federmeſſern — 
Ein neuer Plan war eingeſandt 

Felder und Wieſen zu bewäſſern, 

Auch gab's Geſetze zu verbeſſern, 

Kurz — Arbeit war genug zur Hand. 


Da plötzlich ſchallt ein Brauſen, Lärmen — 
Die Senatoren blicken aus: 

Rings wogt's von bunten Weiberſchwärmen, 
Heut blieb kein Römerweib zu Haus! 

Was giebt's? wer hat ſie herberufen? 

Sie ſtürmen ohne Furcht und Graun 
Hinauf zu des Palaſtes Stufen, 

Und tauſend Stimmen machtvoll rufen: 
Zwei Männer lieber als zwei Fraun! 


BR, ek 


Und feiner weiß der Senatoren 

Wie er das Räthſel deuten ſoll. 

In Staunen ſtehn ſie all verloren, 
Derweil die Sturmflut ſchwoll und ſchwoll. 
Da ſprach der Knabe: hört mich huldig 
Und gnädig an, ehrwürd'ge Herrn, 

Ich bin an dieſem Aufzug ſchuldig, 

Und koſt' es auch mein Leben, duld' ich 
Für meine Schuld die Strafe gern. 


Hochwicht ges wurde jüngſt berathen, 
Ihr wißt es Alle, im Senat — 

Ich durfte nichts davon verrathen, 

Wie ſehr mich auch die Mutter bat. 
Um ihre Neugier abzuwenden, 

Erſann ich dieſen Scheinbericht .... 
Daß ſolche Stürme draus entſtänden, 
Und Euch Roms Fraun an allen Enden 
Belagern würden, ahnt ich nicht. 


Da brach in ſchallendes Gelächter 

Der Chor der Senatoren aus: 

Mein Sohn, dein Einfall war kein ſchlechter, 
Doch ſenden ruhig wir nach Haus 

Die Fraun, woher ſie lärmend kamen, 

Und wer am laut'ſten reden kann, 

Verkünd' in des Senates Namen 

Den ehrenwerthen röm'ſchen Damen: 

„Es bleibt wie's war: ein Weib, ein Mann! 


- 


111 


Auguſtus. 


Auguſtus hörte, daß in Rom's Bereiche 
Ein Jüngling lebe, der auf's Haar ihm gleiche. 
Er ließ den Jüngling kommen und ſah klar 
Daß dieſe Aehnlichkeit erſtaunlich war, 
Im Antlitz, Wuchs, gleichwie im ganzen Weſen — 
Und neugiervoll die raſche Frage that er: 
»Iſt deine Mutter nie in Rom geweſen?« 
— Nein, meine Mutter nicht, jedoch mein Vater! — 


Philipp von Kllazedonien. 


Tum König Mazedoniens kam die Klage, 

Daß Jemand ſchlecht von ihm zu ſprechen wage, 
Und dennoch ſich mit ſeiner Gnade brüſte, 

So daß ſich alle Welt darob entrüſte. 

Man rieth ihm, den Verläumder zu verbannen. 
Nein, ſprach der König — ſchickt' ich ihn von dannen, 
Würd' ich des eignen Vortheils mich berauben: 

Die mich nicht kennen, könnten ihm leicht glauben. 


— — 


Alcibiades. 


Warum machſt du ſo dumme Streiche 
Bei deinen ſonſt ſo hohen Gaben? 
Fragt' Aleibiades ein weiſer Mann. 


»Damit ich etwas doch den Andern gleiche, 
Die Narrheit auch will ihre Opfer haben, 
Vollkommenes erkennt die Welt nicht an.« 


Warum die Juden kein Schweinekleilch ellen. 
(Flandriſche Volksſage.) 


Es geht eine alte Sage ſchon viele hundert Jahr: 
Als unſer Herr und Heiland noch auf der Erde war, 
Das Gotteswort zu predigen, kam er auf ſeinem Wandern 


Durch vieler Könige Länder eines Tages auch nach Flandern. 


Die Juden höhnten den Heiland, da ſie ihn kommen ſah'n, 
Sie wollten dem Volke zeigen, ſeine Weisheit ſei ein Wahn; 
Es ſollte ein Jude heimlich ſich unter ein Faß verſtecken, 
Und Jeſus Chriſtus ſollte durch ein Wunder ihn entdecken. 


Drauf einer von den Juden trat heran zum Herrn: 
Wir hörten von deinen Wundern und ſähen ſie ſelber gern; 
Kannſt du, wer unter dem Faſſe verborgen ſitzt, errathen, 


So glauben wir an deine Lehren und all' deine Wunderthaten. 


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Sie wähnten, um die Antwort würd' er ſehr in Nöthen fein, 

Doch lächelnd ſprach Herr Jeſus: Unter dem Faſſe ſitzt ein 
Schwein! — 

Da verhöhnten ihn die Juden, als er das Wort geſprochen, 

Doch grunzend unter dem Faſſe kam ein Schwein hervorgekrochen. 


Der Jude an der Stelle war nicht mehr zu ſehn; 
Unmaßen ſtaunten Alle ob dem Wunder das geſchehn, 
Derweil das Schwein in Sprüngen ſeinen Weg genommen 
Zu einer Heerde Säue, die eben vom Felde gekommen. 


Die Juden, drauf zu fahnden, liefen hinterdrein, 

Wähnend, der Verlor'ne ſei gefahren in das Schwein; 

Doch fahndeten ſie vergebens, denn dazumal in Flandern 
Schwer zu unterſcheiden war, ſagt man, ein Schwein vom andern. 


Drum hüten ſich die Juden bis zum heutigen Tag 
Schweinefleiſch zu eſſen, weil Niemand ſagen mag, 

In welches Schwein gefahrn der arme Jud' aus Flandern, 
Und es möchte doch kein Jude gern aufeſſen einen andern. 


F. Bodenſtedt. IX. 8 


— — 


Ballade vom treuen Kitter und der ſpröden Maid. 


Ein junger Ritter liebte eine wunderſchöne Maid, 
Doch ohne Gegenliebe ſchied er voll Weh und Leid, 
Und blieb verſchollen, bis ihr die Kunde einſt gekommen: 
Er habe in ſeinem Herzeleid das Leben ſich genommen. 


Da begann die Maid zu trauern, weinte Nacht und Tag, 
Sie jammerte und weinte mehr als ich ſagen mag: 

»Ach, hätt' ich doch erwiedert des treuen Ritters Lieben 
Und nicht durch eitel Sprödethun zum Tode ihn getrieben! « 


Dem treuen Ritter wurde der Jungfrau Jammer kund, 

Er hatte ſich nicht getödtet, war noch ganz gefund; 

In Freuden heimwärts eilt' er, zu werben um ihre Minne, 
Sie aber ſtieß den Lebenden von ſich mit ſtolzem Sinne! 


2 


Erſt um den Todtgeglaubten war ſie voller Gram, 

Nun war ihr Gram noch größer, da er lebendig kam. 

So ſchwer iſt's hier auf Erden den Schönen recht zu machen! 
Ich weiß nicht, ob man weinen ſoll darüber oder lachen. 


Zeit- und Gelegenheitsgedichte. 


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Die Stofl- und Kraftphilofophen. 


Altangeerbten Wahnes ſoll ſich der Menſch entledigen 
Von Gott, Unſterblichkeit und was ſonſt Thoren predigen 


Von einer höhern Lenkung im niedern Weltgetriebe, 
Von einer ewigen Allmacht und einer ew'gen Liebe, 


Vom Schöpfer, der die Welt belebt mit ſeinem Hauche — 
Als ob ein Menſch, der denkt, noch einen Schöpfer brauche! 


Fort mit dem Glaubensunſinn der Theologenzunft! 
Wir kennen keine Allmacht und ewige Vernunft. 


Wir kennen nur was wechſelnd uns die Natur enthüllt, 
Die unbewußt und zwecklos ſich ewig ſelbſt erfüllt. 


Im Anfang war der Stoff, Jahrmillionen ſchwanden, 
Eh' aus dem Stoff der Affe, aus ihm der Menſch entſtanden. 


Die Kraft wohnt bei dem Stoffe, der Stoff wohnt bei der 
Kraft, 
Das iſt Anfang und Ende der ganzen Wiſſenſchaft. 


Frei laßt den Geiſt im Kopf, das Herz frei in der Bruſt 
ſein — 
Aus unbewußtem Stoff wächſt menſchliches Bewußtſein. 


— 


Menſch, Thier und Pflanze ſind nur chemiſche Verbindung, 
Und alles And're nichts als pfäffiſche Erfindung. 


Bei dieſer Weisheit iſt uns Gott und Geiſt entbehrlich 
Und das Unendliche im Endlichen erklärlich. 


Der Glaube iſt ein Wahn, wie das Philoſophiren, 
Und alles Denken nur des Hirns Phosphoresciren. 


Drum laßt vom blinden Glauben an Gottes Offenbarung 
Und ſchwört auf unſre Worte: Wir wiſſen aus Erfahrung, 


Daß keine Kluft uns trennt von Ochs, Kameel und Affen, 
Daß wir von gleichem Stoff und uns kein Gott erſchaffen. 


Es giebt nur einen Glauben, Eine Philoſophie. 
Wir unterſcheiden uns durch Nichts vom lieben Vieh! 


* * 
* 


Wer ſelbſt nicht ſchaffen kann, begreift auch keinen Schöpfer — 
Hat je ein Topf gekannt, der ihn geformt, den Töpfer? 


— 0 


Ein Biedermann. 


Das iſt ein Deutſcher Biedermann, 
Voll ächt biderber Treue; 

Er wirft, ſo viel er immer kann, 
Seine Perlen vor die Säue. 


Vor Säue, die wie er ſich froh 

Von Andrer Leumund mäſten — 

Er denkt nicht ſchlecht, er ſpricht nur ſo 
Zu ſeiner Freunde Beſten. 


Begegnend bleibt er freundlich ſtehn, 
Warm mir die Hand zu drücken, 
Iſt immer glücklich mich zu ſehn, 
Schmäht mich nur hinter'm Rücken. 


Er ſelber ſcheint höchſt tugendhaft, 
Ganz ohne Fehl und Makel, 
Und iſt der ganzen Nachbarſchaft 
Untrügliches Orakel. 


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Die kriegerilchen Nazarener. 
„Es dat den Kampf des Kreuzes gegen 
Heiden.“ 


die 
Der Metropolit von Moskau. 
„C'est pour la gloire de Dieu que 


vous combattez! « 
Der Erjbiſchof von Paris. 
» Jesus Christ; our saviour, for whose 
sake you fight, will bless your arms !« 
Ber Erzdiſchof von 0 
(1854.) 


Aufs Neu’ entbrennt ein Weltenbrand; 
Von Weſten, Oſten und von Norden, 
Wie Wolken über Meer und Land 

Ziehn Heere, Flotten, wilde Horden; 

Im Pontus wipfelt Maſt an Maſt, 

Bis wo ſich Aſiens Berge thürmen; 

Das Meer keucht unter ſeiner Laſt 

Und heult und wimmert mit den Stürmen. 


Auf Tauris liegt's gewitterſchwer. 
Wo Sebaſtopolis, die Veſte, 
Herabdroht auf das Schwarze Meer, 
Verſammeln ſich die fremden Gäſte. 
Hier wo Dianens Tempel ſtand 

Und Mithridates' Knochen modern, 
Stürmt es heran zu Meer und Land 
Und tauſend Feuerſchlünde lodern, 


O ſchönes Tauris! ſonnig Grab 
Der Reſte alter Völkerwogen, 

Die Aſiens Bergeshöhn hinab 
Verderbend durch die Lande zogen, 
Floß nicht genug ſchon Menſchenblut 
Für deine Steppenkatakomben, 

Daß du in alter Opferwuth 
Verlangſt nach neuen Hekatomben? 


, 


Sie fallen dir! Schon tobt die Schlacht, 
Vom Blute Thal und Hügel triefen, 
Rings von den Bergen glüht's und kracht, 
Das Meer erbebt in ſeinen Tiefen. 

Die Muſe, aufgeſcheucht, erhebt 

Sich über die empörten Maſſen, 

Blickt nieder wie ſie lichtwärts ſchwebt, 
Und ſucht das grauſe Bild zu faſſen. 


Nicht Heiden ſieht ſie dort im Kampf, 
Nicht Etzel's wilde Bogenſpanner: 

Hoch aus dem dichten Pulverdampf 

Des Schlachtfeld's flattern Chriſtenbanner; 
Sie ſieht zum Kampfe aufgehetzt 
Normannen, Gallier und Sarmaten, 

Sie tragen Chriſti Namen jetzt, 

Doch heidniſch noch ſind ihre Thaten. 


Und heidniſch flehn ſie hier und dort: 
»Herr, hilf die Feinde uns verderben! « 
Erhörte Gott das frevle Wort, 

Sie müßten elend Alle ſterben. 

Doch Er, der Seinen Sohn geſandt, 
Daß wir vom Sündenſchlaf erwachten, 
Iſt, wie Er Selbſt Sich uns bekannt, 
Ein Gott der Liebe, nicht der Schlachten! 


Ihr mögt von Kriegs- und Heldenruhm 
So viel uns, wie ihr wollt, verkünden, 
Nur ſchweigt von eurem Chriſtenthum, 
Gepredigt aus Kanonenſchlünden! 
Bedürft ihr Proben eures Muths, 

So ſchlagt euch wie die Heiden weiland, 


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Vergießt fo viel ihr mögt des Bluts, 
Nur redet nicht dabei vom Heiland. 


Hoch ehr' ich wahres Heldenthum, 

Auf Eines aber ſollt ihr achten: 

Ein Andres iſt des Chriſten Ruhm, 

Ein Andres iſt der Ruhm der Schlachten! 
Seid was ihr wollt, nur ſeid es ganz, 
Ein Beiſpiel nehmt an Gottes Sohne — 
Chriſtus trug keinen Lorbeerkranz 

Und Cäſar keine Dornenkrone. 


Man rühme Frankreichs Ruhmeswuth, 
Die Macht des Zaren-Patriarchen — 
Man rühme Englands Roaſtbeef-Muth 
Und ſeine bombenfeſten Archen; 

Doch wär' es Zeit, daß man die Spreu 
Vom Waizen ſondre in der Tenne, 
Und Kampfhahn, Doppelaar und Leu 
Nicht mit des Heilands Namen nenne. 


Noch gläubig ſchlägt das Türkenheer 
Die Schlacht zum Ruhme ſeines Allah — 
Wir haben keinen Odin mehr, 

Todt ſind die Götter von Walhalla. 

Seid was ihr wollt, doch ganz und frei, 
Auf dieſer Seite wie auf jener; 

Verhaßt iſt mir die Heuchelei 

Der kriegeriſchen Nazarener. 


2 — — 


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Crinklpruch 
zur Schillerfeier 1859. 


Heilig ſind des Hauſes Räume, 

Heilig Heimatflur und Herd, 

Heilig Blumen, Frucht und Bäume, 

Alles was uns Gott beſchert, — 
Doch giebt es Eines noch was heil ger iſt 
Als Haus und Herd, als ſelbſt der Liebe Band, 
Das iſt — Weh jedem Deutſchen, der's vergißt! — 
Das iſt ein einig großes Vaterland! 


Wer nie, fern von Haus und Herde, 
Jammernd nach der Heimat ſaß, 
Nie geweilt auf Feindeserde, 
Nie das Brot der Fremde aß, 
Wem Zorn und Trauer nie das Herz verzehrt, 
Wenn er zerſplittert dich und klein erfand, 
Der kennt dich nicht, wer niemals dich entbehrt, 
Ein einiges, ein großes Vaterland! 


Dich hat uns kein Schwert errungen, 
Doch in trüber, trüber Zeit 
Hat ein Dichter dich geſungen, 
Sein Geſang ward Wirklichkeit. 
Und heute ſehn wir, was wir nie geſehn, 
Seit Deutſchlands Volk zum Freiheitskampf erſtand, 


Wir ſehn der Einheit Banner vor uns wehn, 


Wir ſehn ein großes deutſches Vaterland! 


— 124 — 


Und in weihevollen Weiſen 

Hören wir im Jubelruf 

Unfern großen Dichter preiſen, 

Der die deutſche Einheit ſchuf. 
Der höchſte Lohn war's in der ewigen Stadt, 
Der Herrſcherin der Erde, wenn man fand, 
Daß Einer werth des Ruhmes ſei: er hat 
Sich wohlverdient gemacht ums Vaterland! 


Solcher Ruhm gebührt dem Sänger, 

Der geſendet ward von Gott, 

Uns zu einen, daß wir länger 

Nicht der Fremde ſei'n ein Spott. 
Das iſt's warum ſein Volk ihn ehrt und preiſt, 
Das iſt's auch, was uns feſtlich heut verband — 
O, fein wir's immer fo in Seinem Geiſt! 
Ich bringe dieſes Glas dem Vaterland! 


125 — 


Lied, 


geſungen bei der Enthüllung des Schillermonuments in München, 
am 9. Mai 1863, dem Sterbetage des Dichters. 


Von des Dichters hehrem Haupte 
Nehmt die Hülle nun herab — 
An dem Tag, der ihn uns raubte, 
Soll er auferfteh'n vom Grab. 
Hoch vom Himmel kam er nieder, 
Sang uns ewige Lieder vor — 
Hoch zum Himmel heb' er wieder 
Sein unſterblich Aug' empor! 


Was verborgen in uns glühte, 
Flammt in ihm durch's Weltenrund, 
Deutſchem Geiſte und Gemüthe 

Lieh er ſeinen Glockenmund — 
Schmückte uns mit ſeinen Kränzen, 
Schwang uns auf durch ſeinen Flug, 
Der bis zu der Erde Grenzen 
Deutſchen Namens Ehre trug. 


Weil er ſelbſt in unſern Herzen 

Längſt ein Denkmal ſich geſetzt, 

Darum hebt ſich blank und erzen 

Aus der Gruft ſein Denkmal jetzt, 

Daß man zu der Stätte walle 

Wie zu einem Heiligthum, 

Ehrt ihn — denn er ehrt uns Alle, 
Und ſein Ruhm iſt Deutſchlands Ruhm. 


Beim Tode Seiner Majeſtät, des Königs 
Maximilian II. 
(10. März 1864). 


Auf fonnige Tage folgten Sturmesſchauer, 

Um feinen König geht ein Volk in Trauer — 

Um einen König, wie es wenige gab 

Seit Völker ſich gebeugt dem Herrſcherſtab. 
Erobrer, Helden hat man mehr geprieſen, 

Doch keinen Fürſten mehr geliebt als dieſen. 
Drum ſenkt ſich manch ein Haupt in trübem Sinnen, 
Aus Männeraugen ſieht man Thränen rinnen. 

Die ſich begegnen ſehn ſich trauernd an, 

Man drückt ſich ſtumm die Hand und geht vondann. 
Das iſt kein augendieneriſcher Jammer, 

Man betet, weint um Ihn in ſtiller Kammer. 
Das iſt kein Schmerz der anderm Schmerze gleicht 
Wenn Fürſten ſterben die ihr Ziel erreicht — 

Er ſtand noch vor dem Ziele Seines Strebens, 
Er ſchied in voller Mittagshöh' des Lebens... 
Schon trieb der Lenz, die Amſel ſang im Hag, 
Da jäh und furchtbar kam der Schickſalsſchlag 

Der beugte dieſes königliche Haupt, 

Der Deutſchlands beſten Fürſten uns geraubt. 

An Seiner Hand trug er den goldnen Ring, 
Daran des Volkes deutſche Hoffnung hing; 

Denn von Ihm wußte man: was Er verſprochen 
Das ward erfüllt. . . Nun iſt Sein Aug’ gebrochen, 
Sein milder Glanz ſtrahlt Keinem mehr hienieden, 
Der Friedensfürſt ging ein zum ewigen Frieden. 


. 


Der Tod erſt zieht des Lebens Summe ganz, 

Das Grab erſt beut den echten Ruhmeskranz. 

Da ſchweigt der Schein, der Trug und die Verblendung, 
Da ſteht der Menſch am Prüfftein feiner Sendung. 


Heil Dir, mein König Maximilian! 

Nur Segenswünſche folgen Deiner Bahn, 
Die Du durchmeſſen mit bedachten Schritten, 
Die nie ſich überſtürzt, nie ausgeglitten. 

Dein hohes Ziel noch zeigteſt Du im Sterben 
Dem Sohne, Deinem königlichen Erben. 
Ludwig der Zweite! Ehre das Gedächtniß 
Des Vaters, und erfülle Sein Vermächtniß! 


— 18 — 


Tur Shakelpeare- feier. 
(23. April 1864.) 

Vergänglichkeit iſt unſer Loos hienieden; 
Wir reifen langſam, um ſchnell zu vergehn — 
Nur wenigen Auserwählten ward beſchieden 
Den Kampf mit der Vernichtung zu beſtehn, 
Und nicht dort oben nur zum ewigen Frieden, 
Auch hier zu ewiger Glorie einzugehn, 
Wo Nacht und Irrthum fie nicht mehr umſchleiern — 
Solch hoher Geiſt iſt's, den wir heute feiern. 5 


Der höchſte, dem Gott je die Lippe weihte 

Zu ewigem Geſang! Der uns die Tiefen 

Der eignen Bruſt erſchloß — die Näh' und Weite 
Mit Seherblick durchdrang — die Hieroglyphen 
Der Schöpfung deutete — den Geiſt befreite — 
Weltkräfte weckte, die verborgen ſchliefen, 

Und uns im Widerſtreit der Menſchentriebe 

Das Höchſte lehrte: Gnade, Mitleid, Liebe! 


Dreihundertmal aus neuerblühten Bäumen 

Scholl Nachtigallgeſang im Avonthale, 

Seit er zu frühlingshellen Himmelsräumen 

Sein kindlich Aug' erhob zum Erſtenmale. 

Die Welt des Lichts verwob ſich ſeinen Träumen, 
Daß er ſie neugeboren wiederſtrahle, 

Um uns in unvergänglichen Geſtalten 

Das Weltgeheimniß ſichtbar zu entfalten. 


Steil, dornig, dunkel war ſein Pfad zum Licht. 

- Sein tiefftes Leiden konnt' er Niemand klagen; 
Was ihm das Herz durchglüht', verſtand man nicht. 
Wollt' er den ſtolzen Flug zum Himmel wagen, 
Zwang ihn die Nothdurft zu gemeiner Pflicht. 


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Der Zeiten Spott und Unglimpf mußt’ er tragen, 
Denn die ihn heut verklärt durch alle Lande, 
Die hohe Kunſt ward ihm daheim zur Schande. 


Da hob der Schwan vom Avon ſein Gefieder 
So mächtigen Schwungs, daß jede Feſſel ſprang; 
Vor Zorn und Liebe ſang er glüh'nde Lieder, 
Weit über Land und Meer ſcholl fein Geſang. 
Am reichen Themſeſtrand ließ er ſich nieder, 

Des Gottes voll, der ihn zum Dienſte zwang, 
Aufflog er zu des Ruhmes höchſten Zinnen, 
Und wagte Alles, Alles zu gewinnen. 


Wer gab die Macht ihm, Schatten zu beſchwören, 
Daß ſie erſtehn in Menſchgeſtalt unſterblich, 

Daß wir ſie handeln ſehn, ſie reden hören 

Voll mächt'ger Leidenſchaft, die hier verderblich, 
Dort ſegnend wirkt im Schaffen und Zerſtören — 
Daß wir von allen Schlacken, die uns erblich, 
Geläutert ſtehn, erſchüttert und erhoben, 

Als ſei'n wir ſelbſt mit ihrem Loos verwoben? 


Aus einer dürftigen Bretterhütte ſchuf 

Sein Genius ein Weltreich ohne Gleichen. 
Cäſar entſtieg dem Grab auf ſeinen Ruf, 

Ihm ſeinen Kranz und Herrſcherſtab zu reichen, 
Denn höher war des Dichters Gottberuf 

Zu herrſchen, der, ſtatt über blutige Leichen 
Zur Größe aufzuſteigen, ewiges Leben 

Allem, was ſeine Hand berührt, gegeben. 


Die Könige Englands weckt' er aus der Gruft, 
Gleichwie die üppige Königin vom Nile; 


F. Bodenſtedt. IX. 9 


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Mit Geiſtern, Feen bevölkert' er die Luft, 

Vereinte hohen Ernſt mit heiterm Spiele. 
Mannweiber, Frau'n vom reinſten Schmelz und Duft 
Schuf ſeine Kunſt zu gleich erhabnem Ziele — 

Regan und Goneril, wie Desdemona 

Und Julia, die Roſe von Verona. 


Wer zählt die Könige, Helden, Weiſen, Thoren, 
Von Lear und Hamlet bis zu Kaliban, 

Die ihm entſproſſen, immer neugeboren 

Durch alle Zeit fortwandeln ihre Bahn! 

Nichts war zu groß für ihn, doch umverloren 
Blieb auch das Kleinſte ſeinem Schöpfungsplan, 
Der klaren Blicks am Himmel und auf Erden 
Sah im Vergänglichen das ewige Werden. 


Sanft war ſein Weſen, ſein Gemüth beſcheiden, 
Oft gar gebeugt von heimlichem Verzagen. 

Den Ruhm, den jetzt die Höchſten ihm beneiden, 
Erkauft' er ſchwer durch Dulden und Entſagen — 
Doch dann, verklärt durch lange Prüfungsleiden, 
Durft' er hochaufgerichtet von ſich ſagen: 

»So lange Menſchen athmen, Augen ſehn, 

Werd' ich und mein Geſang nicht untergehn!« 


Erfüllt hat ſich ſein Wort: Es ſtürzten Throne, 
Weltreiche ſanken, ſeines blieb beſtehn. 

Der Zeiten Roſt nagt nicht an ſeiner Krone, 
Und wie wir täglich neue Wunder ſehn 

Am Himmel und in jeder Erdenzone, 

So neue Wunder vor uns auferſtehn 

Wohin wir folgen ſeines Geiſtes Spur, 

Der unerſchöpflich iſt — wie die Natur. 


— —ñ—ñ— 


Prolog 


zu einem Concert zur Unterſtützung der Kriegsbeſchädigten. 
(Auguſt 1866). 


Der Kriegslärm ſchweigt, die Schlachten ſind geſchlagen, 
Ach! eine reiche Ernte hielt der Tod. 


Auf blut'gen Rädern rollt des Krieges Wagen, 


Vor ihm der Schrecken, hinter ihm die Noth; 
Wir ſah'n von fern ihn nur vorüberjagen, 

Wir ſahen nur im Wiederſchein das Roth 

Der Flammen, die der Brüder Haus verzehrten, 
Wohlſtand und Glück jäh in Verzweiflung kehrten. 


Ganz ohne Schuld kommt Völkern Unglück nicht, 

Doch nicht blos Schuld'ge trifft's mit ſeinen Streichen, 
Zieht Kleine oft für Große in's Gericht 

Und läßt den Armen büßen für den Reichen. 
Unmenſchlich ſtraft der Krieg: d'rum heiſcht die Pflicht 
Sein rauhes Walten menſchlich auszugleichen — 


Ruhm den Gefall'nen, Mitleid Weib und Kindern, 
Und Hülfe, raſch der Armuth Noth zu lindern! 


Dem Unglück ſchwebt ein Engel ſtets zur Seite, 
Der uns durch Leiden nähert und verbündet, 
Das Herz, das eben noch zu wildem Streite 
Entbrannt war, jetzt zur Liebesthat entzündet. 


. 


So helft nun Alle, daß ihr im Geleite 

Der äußern Zwietracht innere Einheit gründet! 
Steht feſt zuſammen, als heilkräft'ge Zeugen 
Der jetz'gen Noth — um künft'ger vorzubeugen! 


Im friſchen Grab ruht mancher Mutter Kind, 

Wüſt liegt das Feld, zerſtampft von Roßgeſchwadern; 
Durch manche öde Werkſtatt pfeift der Wind, 
Durchſchnitten ſind des Wohlſtands Lebensadern. 
Das eherne Verhängniß wüthet blind: 

Darum laßt Segen ſprießen aus dem Hadern! 

Wo Herz und Kopf zu raſcher That verbunden, 

Da heilen ſelbſt des Volkes ſchwerſte Wunden. 


Volksweifen 
als Intermezzo. 


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bes schee Wenden. 


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Es war im Dorfe Hochzeit, 

Die Gäſte ſchmauſten und ſprangen, 
Da kam zu dem frohen Feſte 

Auch ein alter Sänger gegangen. 


Heil was man dem jungen Paare 
Für reiche Geſchenke beſchied! 

Der Sänger brachte zum Feſte 
Nichts als ein kleines Lied. 


Das Hochzeitspaar und die Gäſte 
Sind längſt im Grabe verdorrt — 
Verwittert ſind alle Geſchenke, 
Das Lied lebt immer noch fort! 


Die Tigeunerbande üngt: 


Mi. find arm; der Wald, das Feld 
Sind uns Haus und Speicher; 

Doch ſo glücklich in der Welt 
Lebt, wie wir, kein Reicher; 

Wie die Väter, frohgemuth 

Leben wir und ſterben — 

Für ein ächt Zigeunerblut 

Giebt es kein Verderben! 


Hei, Zigeuner! Hei, Zigeuner! 
Hochgemuth und heiter 
Fangen wir zu leben an, 
Leben wir immer weiter! 


Was uns Glück und Unglück beut, 
Macht uns keine Sorgen; 

Giebt es nichts zu eſſen heut, 
Warten wir bis morgen! 

Dafür auch verbringen wir 

Nicht den Tag wie Sklaven — 
Immer luſtig, ſingen wir, 

Tanzen, eſſen, ſchlafen! 


Hei, Zigeuner! Hei, Zigeuner! 
Hochgemuth und heiter 
Fangen wir zu leben an, 
Leben wir immer weiter! 


— 187 — 


Auf der Erde ſchlafen wir, 
Hoch der Himmel deckt uns; 
Mond und Stern macht uns Quartier, 
Sonn' und Lerche weckt uns! 
Ob auch Froſt und Winter droht: 
Kniſtert rings das Feuer, 
Hat's im Walde keine Noth, 
Wo das Holz nicht theuer! 


Hei, Zigeuner! Hei, Zigeuner! 
Hochgemuth und heiter 
Fangen wir zu leben an, 
Leben wir immer weiter! 


Luſtig durch das Leben fo 
Singen wir und wandern, 
Alle Tage friſch und froh, 
Einen wie den andern. 
Ewiger Feſttag iſt uns hier, 
Wechſelvoll in Neuheit — 
Und für nichts verkaufen wir 
Unſre goldne Freiheit! 


g Hei, Zigeuner! Hei, Zigeuner! 
Hochgemuth und heiter 
Fangen wir zu leben an, 
Leben wir immer weiter! 


m 


Die Zigeunerin üngt: 


Alter Mann, grauſer Mann, 
Schneide mich, brenne mich! 
Feſt bin ich, fürchte nicht 
Feuer noch Meſſerſtich. 


Ja, ich haſſe Dich, Greis! 

Bin zum Hohne Dein Weib — 
Einen Andern lieb' ich 

Mit Seele und Leib! 


Schneide mich, brenne mich, 
Soll mir kein Wort entfliehn: 
Alter Mann, grauſer Mann! 
Nimmer entdeckſt du ihn! 


Wie ein Sommertag heiß, 
Iſt er friſcher als Mai — 
O, wie jung er und friſch! 
Und wie lieb' ich ihn treu! 


O, wie herzt' ich ihn wild 
In der Stille der Nacht, 
Und wie haben wir da 

Ueber dich, Greis, gelacht! 


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— 189 


Das Tigeunermädchen üngt: 


Ohne Mütterchen zu fragen, 

Hatt' ich Abends umgeſchlagen 
Meinen ſchmucken Sarafan — 

Ging zum Tanz in ſpäter Stunde, 

Hüpft' und ſprang, hub in der Runde 
Wie ein Kind zu tanzen an. 

Sarafan, der Mädchen Zier du, 

O, wie lieblich ſtehſt auch mir du! 


Und zerriſſen im Gedränge, 

Im Gezerr und Tanz der Menge 
Ward der ſchmucke Sarafan — 

Mutter ſchalt; mit eignen Händen 

Mußt' ich bald zur Hochzeit wenden 
Meinen ſchmucken Sarafan. 

Sarafan, der Mädchen Zier du, 

O, wie lieblich ſtehſt auch mir du! 


War mir ſonſt ein wahrer Jammer 
So zu ſitzen in der Kammer, 

Schien mir ſtets zu viel gethan — 
Doch zum Hochzeitsſchmuck behende 
Rühr' ich gerne meine Hände, 

Wende gern den Sarafan! 
Sarafan, der Mädchen Zier du, 


O, wie lieblich ſtehſt auch mir du! 


— — 


(Ruſſiſches.) 
4. 
Nachtigall, o Nachtigall. 


Nachtigall, o Nachtigall! 

Sangeshelle Nachtigall! 

Sag', wohin, wohin dich ſchwingſt, 
Wo die ganze Nacht du ſingſt? 

Welche Arme mag, gleich mir, 
Troſtbedürftig lauſchen dir, 

Die zur Nacht das Aug’ nicht ſchließt, 
Weil's von Thränen überfließt! 


Flieg, durchfliege Nachtigall, 
Rings die weiten Lande all — 
Fliege über's blaue Meer, 

Lug' auf fremdem Strand umher, 
Sieh in Stadt und Lande zu, 
Nirgend, nirgend findeſt du 

Eine Maid in Dorf und Stadt, 
Die, wie ich, zu leiden hat. 


Auf der Bruſt mir armem Ding 
Eine Schnur von Perlen hing; 
Ach, ich trug auch, armes Ding, 
Auf dem Finger einen Ring, 
Und im Herzen treu und mild 
Trug ich meines Liebſten Bild! 
Doch im Herbſt verloren ganz 
Meine Perlen ihren Glanz — 
Und in Wintersnacht mein Ring 
An der Hand in Stücke ging. 
Jetzt im Frühling wein' ich ſehr: 
Habe keinen Liebſten mehr! 


Sing, mit Sonnenaufgang finge. 


Sing, mit Sonnenaufgang ſinge, 
Nachtigall, dein ſchmetternd Lied! 

Sing, ſo lange noch der Frühling 
Blumig Wald und Flur durchzieht! 


Sing der Schöpfung bunte Schöne, 
Sing was blühet, fließt und lebt; 
Glücklich iſt, wen deiner Töne 
Zauberkraft zu dir erhebt! 


Taucht im Meer die Sonne unter, 
Folgt die Nacht dem Tageslicht — 
Alle Schöpfung ruht in Bangen 
Mit verhülltem Angeſicht: 


| Du allein durchbrichſt das Schweigen, 
Singſt von Lieb' in dunkler Nacht — 
Singſt, gewiegt auf ſchwanken Zweigen, 
Ueber dir des Himmels Pracht! 


Wüſter Traum iſt alles Leben 
Ohne Liebe, wüſt das All — 
Lieb' und Lied iſt dir gegeben: 
Singe, ſüße Nachtigall! 


— m — 


Das Böglein. 


Glücklich lebt, vor Noth geborgen, 
Gottes Vöglein in der Welt, 
Kennt nicht Mühen, kennt nicht Sorgen, 
Denn ſein Neſt iſt leicht beſtellt! 
Vöglein träumt auf grünem Baume, 
Bis ihm Gottes Ruf erklingt 

Aus dem morgenhellen Raume; 

Und es ſchüttelt ſich und ſingt. 

Auf den Lenz, den duftig friſchen, 
Folgt der ſchwüle Sommer bald, 
Nebel, Regen, Stürme miſchen 
Sich im Herbſte feucht und kalt; 
Allen Menſchen wird es trüber — 
Fliegt zum Süden Vögelein 

Ueber's blaue Meer hinüber — 
Fliegt zu neuem Frühling ein! 


7. 


Sang wohl, ſang das Vögelein, 
Und verſtummte. 

Ward dem Herzen Freude Funky: 
Und Vergeſſen. 


Vöglein, das ſo gerne ſingt, 
Warum ſchweigt es? 

Herz / was iſt mit dir geſchehn, 
Daß du traurig? 


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143 


Ach, das Vöglein tödtete 

Rauher Schneeſturm, 

Und das Herz des Jünglings brach 
Böſes Reden. 


Wär' das Vöglein gern geflogen 
Fort zum Meere, 

Wär' der Jüngling gern entflohen 
In die Wälder. 


In dem Meere treibt die Flut, 
Doch kein Schneeſturm — 
Wilde Thiere birgt der Wald, 
Doch nicht Menſchen. 


8. 


Serbilches Lied. 


Sich verglich das Mädchen mit der Sonne: 
Helle Sonne, ich bin ſchöner als du, 

Schöner als du ſelbſt und als dein Bruder, 
Als dein Bruder auch, der Mond, der klare, 
Als die Sterne alle, deine Schweſtern, 

Die da wandeln übern blauen Himmel 

Einem Hirten gleich mit weißen Schafen. 

Helle Sonne hub an Gott zu klagen: 

Gott, was thun mit dem verwünſchten Mädchen? 
Aber ſtill entgegnet Gott der Sonne: 

Helle Sonne du, mein Kind, mein liebes, 
Bleibe ruhig, laß dich nicht erzürnen, 

Leicht iſt's uns mit dem verwünſchten Mädchen: 


— — 5 


Glänze heißer du, verſeng' ihr Antlitz! 

Aber ich, ich werd' ihr Unglück ſchicken, 

Werd' ihr Unglück ſchicken, ſchlimme Schwäger, 
Eine böſe alte Schwiegermutter! 

Fühlen ſoll fie, wem fie fi verglichen! 


9. 
Vöhmilches Lied. 


Ach, ihr Wälder, dunkle Wälder, 
Miletiner Wälder! 

Warum grünt ihr wie im Sommer 
Luſtig fort im Winter? 

Gerne wollt ich ja nicht weinen, 
Nicht mein Herz betrüben; 

Aber ſagt, ihr guten Leute, 
Wer mich Arme tröſtet? 

Ach, wo iſt mein lieber Vater? 
Längſt im Grabe liegt er! 

Wo iſt meine gute Mutter? 
Gras wächſt ihr zu Häupten. 

Bruder hab' ich nicht, noch Schweſter, 
Fort iſt mein Herzliebſter! 


10, 
Der Käuber. 


Ein ruſſiſches Lied aus alter Zeit, 


Kaufe nicht, Väterchen Eichwald, du grünender! 
Störe mich braven Burſchen in meinem Sinnen nicht, 
Wie ich braver Burſch in der Frühe zum Verhöre muß gehn, 
Vor dem ſchrecklichen Richter, vor dem Zaren ſelbſt. 
Wie der Zar, unſer Herr, mir die Frage wird thun: 
Du ſag' an, ſag' an, Bürſchchen, du Bauernſohn, 
Mit wem haſt du geſtohlen, mit wem verübt den Raub? 
Und hatteſt du noch viel Gefährten bei dir? 

Dir, unſrer Hoffnung, geſteh' ich's, rechtgläubiger Zar! 
Will dir Alles geſtehn, die Wahrheit, die völlige; 
Sieh, ich hatte beim Raube der Gefährten vier: 

War mein erſter Gefährte — die dunkle Nacht; 

War mein zweiter Gefährte — ein Meſſer von Stahl; 
War mein dritter Gefährte — mein gutes Roß; 
Und mein vierter Gefährte — ein ſtraff Geſchoß; 
Meine Häſcher aber waren geglühte Pfeile. 

Da wird reden unſre Hoffnung, der rechtgläubige Zar: 
Du haſt wohlgethan, Bürſchchen, du Bauernſohn, 
Haſt zu ſtehlen gewußt und gut Rede zu ſtehn! 

Dafür werd' ich jetzt laſſen Befehl ergehn 

Dir auf dem Felde ein hohes Haus zu bauen, 

Aus zwei Balken, darüber ein Quergebälk. 


F. Bodenſtedt. IX. 10 


11. 
mMädchenlied. 


In meinem Blumengarten 
Sang eine Nachtigall; 

Wollt' ich der Blumen warten, 
Hört' ich den ſüßen Schall. 


Sie ſang bald hier, bald dorten, 
Sie ſang ohne Raſt und Ruh, 
Ich folgt ihr allerorten, 

Ich hört' ihr immer zu. 


Bei Nacht konnt' ich nicht ſchlafen, 
Bei Tag konnt ich nichts thun, 
Wenn mich die Töne trafen, 

Sie ließen mich nicht ruhn. 


Die Roſen und der Flieder a 
Sind lange ſchon verdorrt, 
Verſtummt die ſüßen Lieder — 
Die Nachtigall iſt fort. 


Nun flieht mich doch der Schlummer, 
Ich ſchaffe ſpät und früh — 
Nachts hält mich wach der Kummer, 
Und Tags des Tages Müh. 


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12 


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Lettilch. 


Dandſchub strick ich und ich ſchmückte 
Sie mit Haideblumen beide, 

Daß der Liebſte ſo mich liebe, 

Wie die Biene liebt die Haide. 


Nachts hört' ich ſingen die Meiſe 
Zu meiner Rechten, laut — 
Da macht' ich mich auf die Reiſe, 
Fand aus die rechte Braut. 


Im Eichbaum ſingt die Meiſe 

So fremd von Klagen und Wehn — 
Die Schweſter iſt in der Fremde, 
Wie mags der Armen gehn? 


Schön ſingen im Wald alle Vögel, 
Der Specht nur iſt ſtumm und ſtolz — 
Was ſollte der Arme auch ſingen? 

Hat im Leibe nur faules Holz. 


10* 


Bu ja 


Lied der Kolaken vom Schwarzen leere. 


„las hängſt du das Köpfchen fo traurig und ſchwer?« 
— »Was ziehſt, mein Koſak, fort zum Schwarzen Meer?« — 
So ſprach ich zum Mädel, ſo ſprach ſie zu mir — 
Juſt war ich beim Mädel, und jetzt bin ich hier! 

Chor: So ſprach ich zum Mädel u. ſ. w. 


Und weine nicht, Mädchen, hell' auf deinen Blick! 
Wohl muß ich davon, doch bald kehr' ich zurück — 
Der Koſak liebt das Meer und er liebt die Gefahr, 
Doch er liebt auch, was Süßes beim Mädel ihm war! 
Chor: Der Koſak liebt das Meer u. ſ. w. 


Der Prieſter der ſpricht: Das iſt Sünde mein Sohn!. 

Doch beicht' ich die Sünd', da verzeiht er ſie ſchon. 

Ein Griff in die Taſch', ein geſchmeidiger Mund, 

Das macht uns beim Prieſter von Sünden geſund! 
Chor: Ein Griff in die Taſch' u. ſ. w. 


Es donnert zum Kampfe — da zagen wir nicht, 

Ob zu Meer, ob zu Lande, das fragen wir nicht; 

Ob nah oder ferne, das meſſen wir nicht, 

Und das Liebchen, das treue, vergeſſen wir nicht! 
Chor: Ob nah oder ferne u. ſ. w. 


Drum friſch ihr Koſaken, das Segel geſpannt! 
Die Flint' auf den Rücken, den Säbel zur Hand! 
Und weine nicht, Mädchen, hell' auf deinen Blick: 
Der Koſak muß davon, doch bald kehrt er zurück! 
Chor: Und weine nicht, Mädchen u. ſ. w. 


— 149 — 


Kurdilche Lieder. 


J. 
Frühlingslied. 


Ueber Alles hoch und über Alles ſchön, 
Und im Mund des Volkes vielgeprieſen 
Sind die grünen Flecke auf den Bergeshöh'n, 

Sind die duftenden Nomadenwieſen! 


Wo der Schnee die Berge nicht bekleidet, 
Wo der Kurden ſchwarze Zelte ſtehn, 

Wo der Hirt die fette Heerde weidet, 
Kecke Burſche, ſchmucke Dirnen gehn — 


Ueber Alles hoch und über Alles ſchön, 
Und im Mund des Volkes vielgepriefen » 
Sind die grünen Flecke auf den Bergeshöh'n, 
Sind die duftenden Nomadenwieſen! 


2. 


Schön iſt das Mädchen das ich meine, 
Das mich ſo hoch beſeligt hat, 

Von allen Dirnen gleicht ihr keine 
Im Hochgebirg des Ararat! 


— 10 — 


O, daß ihr Gott das Glück vergelte, 
Das mir ihr Mund gegeben hat! 

Schwarz iſt ihr Auge, wie die Zelte 
Im Hochgebirg des Ararat! 


Es gleicht ihr Gang dem jungen Rehe 
Auf einſam ſtillem Waldespfad — 

Die Bruſt dem friſchgefall'nen Schneee 
Im Hochgebirg des Ararat! 


Der Buſen feſt wie Apfelſinen, 
Der Mund ein roſig Wonnebad, 
Süß wie der Honig von den Bienen 
Im Hochgebirg des Ararat! 


Dem Lockenhaar entſteigen Düfte, 
Friſch wie der Duft vom Roſenblatt, 

Beim Hauch der warmen Frühlingslüfte 
Im Hochgebirg des Ararat! 


O, keine andre Maid erkieſe 

Mein Herz und Mund an ihrer Statt — 
Sie macht das Land zum Paradieſe 

Im Hochgebirg des Ararat! 


3. 
Klagelied. 

Ich war auf's Feld hinausgegangen, 
Da ſah ich zwei ſchöne Mädchen wandern, 

Es ſchwoll das Herz vor Luſt mir. 
Ich ging von Einer zu der Andern, 
Ich konnte Keine von Beiden erlangen, 

Da quoll ſchwarzes Blut in der Bruſt mir. 


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Es wollte feinem ſchönen Kind 
Meine ſtarke Liebe gefallen — 

Die Köpfe zweier Kurden ſind 
Durch meine Hiebe gefallen. 

Es war das Gras vom Thaue naß 
Als ſie getödtet wurden; 

Die grünen Halme im Wieſengras 
Vom Blute geröthet wurden. 


Um zweier Schönen Augen willen 

Hat ſich mein Herz empört, 

Um zweier Schönen Augen willen 

Iſt mir das Herz zerſtört. 

Ich bin alt geworden, ſchwach und alt, 
Habe mein ſiebzigſtes Jahr erreicht. 

Vor Schwäche gebrochen iſt meine Geſtalt, 
Vor Alter und Gram das Haar gebleicht. 
Vor Gram ſind meine Wangen erblichen, 
In den Augen flimmert es roth mir — 
Und Ruhe wie Schlaf iſt von mir gewichen, 
Vor den Augen flimmert der Tod mir! 


4. 
Crauerlieder. 


1 


Mir gegenüber ſteht des Reiters Grab, 

Noch geſtern ſtrotzt' er in der Jugend Prangen! 
Mit ſeiner Lanze brach ſein Leben ab. 

Getroffen ſtürzt' er und gebrochen hin. 

Jetzt ziehen ſchon die Würmer und Schlangen 
Ueber die fleiſchentblößten Knochen hin 


— 12 — 


Stieg der Frühling in die Lande nieder, 
Flur und Hain mit friſchem Grün zu färben, 
Alles weckt' er froh zum Leben wieder, 

Nur der Wittwe Sohn rief er zum Sterben. 


Im Gebirge ſcholl ein Klaggeſtöhn, 
Weint die Mutter den verlornen Sohn; 
Ach, er war ſo ſchön, ſo jung und ſchön! 
Und nun deckt das kalte Grab ihn ſchon! 


Weithin ſchimmerte ſein roth Gewand, 
Wenn er, hoch die Lanze in der Hand, 
Sich zu Roſſe in den Bügel ſchwang, 

Und den Schild gleich einem Flügel ſchwang. 


Kommt das Roß geſattelt, kommt von fern, 
Wiehert laut um den verlornen Herrn, 
Scharrt den Boden auf mit wundem Huf, 
Doch er hört nicht ſeines Roſſes Ruf. 


Weithin tönt der Klageweiber Schrein — 
Nimmer weilt er in der Krieger Reihen! 
Würmer freſſen ſeine Leiche ſchon, 

Kalte Erde, kalter Grabesſtein, 

Deckt das Angeſicht, das bleiche, ſchon! 


Aus dem Morgenlande. 


4843 — 1845.) 


— 


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O Thor, der du in fremden Ländern 
Geglaubt dein Schickſal zu verändern: 
Es bleibt daſſelbe überall! 

Der Sturm der in der Wogen Schwall 
Des Schiffes jäh Verderben zeugte, 
Den Maſt zerſchmettert trieb an's Land — 
Er war's, der ſchon die Fichte beugte, 
Da ſie im heim'ſchen Grund noch ſtand; 
Der Schmerz, den du hinausgetragen, 
Weil du vermeint ihm zu entfliehn: 

An deinem Herzen wird er nagen, 

Wird dich verderbend mit dir ziehn. 

Geh mit dir ſelbſt ſtreng in's Gericht, 
Und wenn dir's nicht gelingt von Innen 
Das Glück, die Ruhe zu gewinnen: 
Von Außen kommt das Glück dir nicht! 


Fin Blick vom Kreml. 


Tum höchſten Thurm ſtieg ich hinauf 
Des Kreml, in der Mosquaſtadt, 

Die manchen Thurm mit goldnem Knauf, 
Viel Tempel und Paläſte hat. 

Ich ſtieg hinauf wo vielbethürmt 

Sich rings die weiße Mauer zog, 

Dran mancher Held ſchon angeſtürmt, 
Schon manches Haupt vom Rumpfe. flog. 


Und als ich auf Palaſt und Dom 
Hinab ſah von dem hohen Thurm, 
Krümmt' unten ſich der Mosquaſtrom 
Zu meinen Füßen wie ein Wurm; 
Und wie ein Wurm in meinem Geiſt 
Nagt das Gedächtniß alter Zeit, 

Und vor mir ſchwebt und mich umkreiſt 
Manch Nachtbild der Vergangenheit. 


Die Glocke ſchlägt vom hohen Thurm, 
Daß Alles ringsum bebt und dröhnt, 
Als ob von altem Kriegesſturm 

Ein Nachhall aus dem Erze tönt' — 
Als ob der Thurm mit Glockenmund 
In feierlichem Donnerlaut 

Erzählt', was ihm von Alters kund, 
Der Stadt auf die er niederſchaut. 


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Nicht, was die Zaren einft gethan 
In machtvollkommnem Blutgelüſt' — 
Nicht, wie ſie dem Mongolenchan 
Feig des Gewandes Saum geküßt — 
Vor mir erſteht ein andrer Held 
Aus blutgetränktem Schlachtgefild — 
Der Mächtige, der die ganze Welt 
Erſchütterte mit Schwert und Schild. 


Wie eine Sonne ſah man ihn 

Einſt aus dem Meere auferſtehn, 

Wie eine Sonne ſah man ihn 

Im Meere wieder untergehn. 

Sein Haupt umſchlang ein Strahlenkranz, 
Doch ſtreng und kalt war ſein Geſicht — 
Er hatte all der Sonne Glanz: 

Nur ihre Wärme hatt' er nicht! 


Hier auf demſelben Thurme ſtand 

Auch Er gedankenvoll allein, 

Und ſah hinab auf Stadt und Land, 
And Alles, was er ſah, war ſein. 
Noch ſchwillt ſein Herz vor Uebermuth, 
Noch iſt er großer Dinge voll: 

Da züngelt ſchon die rothe Glut 

Des Brands, der ihn verderben ſoll. 


Er ſieht's nicht, ſchließt ſein Auge zu — 
Und das Gericht nimmt ſeinen Lauf. 
Als Herr der Welt ging er zur Ruh, 
Als armer Flüchtling wacht er auf. 
Wild praſſelt's rings im Flammenſchein, 
Der Kreml iſt kein gaſtlich Haus: 


RUN, 


Schon Manchen ließ er glorreich ein, 
Und ſtieß ihn elend wieder aus. 


Wo blieb des Weltbeherrſchers Macht? 
Wo blieb er ſelbſt, der ſtolze Held? 
Der Sieger in ſo mancher Schlacht 
Eilt jetzt in wilder Flucht durch's Feld 
Und die im Unglück wie im Glück 
Voll Treue folgten ſeiner Spur: 

Jetzt elend ließ er ſie zurück, 
Bedacht auf eigne Rettung nur. 


Des großen Kaiſers Ruhm ward ſtumm, 
Die Herrlichkeit ſchwand wie ein Traum; 
Ein Windhauch blies ſein Weltreich um, 
In Rußland iſt für Todte Raum. 

Da lagen Völker hingeſtreckt 

In einem einzigen Grab von Schnee; 
Jede verſtummte Lippe weckt 

In ferner Heimat jammernd Weh. 


Um Frankreichs Söhne klag' ich nicht — 
Sie theilten Ehre und Gewinn 

Des Kaiſers, wie ſein Strafgericht — 
Sie haben ihren Lohn dahin. 

Doch daß auch ſoviel deutſches Blut 
Hier ward zum Opfer dargebracht 

Des fremden Kriegsherrn Uebermuth: 
Das iſt es, was mich traurig macht. 


Deutſchland, mein Heimatland! du warſt 
Dem eignen Volk kein gaſtlich Haus; 
Der Beſten viel die du gebarſt, 

Stießeſt du herzlos von dir aus! 


2 ww == 


Sie dienten fremdem Herrſcherthum 

Und folgten Feindesfahnen nach; 

Ihr Ruhm vermehrte fremden Ruhm; 
Doch ihre Schmach ward deine Schmach!) 


Die Glocke ſchlägt vom hohen Thurm, 
Daß Alles ringsum bebt und dröhnt, 
Als ob von altem Kriegesſturm 
Ein Nachhall aus dem Erze tönt', — 
Ein Ton, der tief in's Herz mir ſcholl, 
Daß es mich nicht mehr oben litt — 
Ich ſtieg hinab gedankenvoll, 

Und lenkte heimwärts meinen Schritt. 


Steppenbrand. 


Endlos wie das ewige Meer, 

Nur vom Himmel trüb umzogen, 
Liegt die Steppe, — flüſternd wogen 
Grüne Wellen hin und her, 
Schon verdorrt vom Sonnenbrande, 
Halme die kein Schnitter mäht, 
Und, ſo weit das Auge ſpäh't, 
Wüſt und öde iſt's im Lande. 
Müde von dem langen Ritte, 
Hemmt' ich meines Roſſes Schritte, 
Kehrte meinen Blick nach innen, 
Und verſank in tiefes Sinnen. 


Ich gedachte frührer Zeiten, 


— — 


Wo durch dieſe öden Weiten 
Wohlbewehrt mit Pfeil und Bogen 
Wilde Reiterſchwärme zogen, 
Deren Held im Steppenzelt 
Herrſcher war der halben Welt. 
Fürſten hielten ihm die Bügel, 
Schrecken herrſchte wo er naht', 
Der, wie niedre Maulwurfshügel, 
Mächtige Reiche niedertrat, — 
Seine roß⸗beſchwingten Krieger 
Mordend in die Völker hetzte, — 
Seinen Fuß, ein ſtolzer Sieger, 
Auf der Könige Nacken ſetzte. 

Alſo ließ ich alter Zeiten 

Bilder bunt vorübergleiten 
Meinem Blick, und auferweckte 
Todte Völker .. .. plötzlich ſchreckte 
Fernes, donnerlautes Toben 

Mich empor — ich ſah nach oben: 
Langſam und gewitterſchwer 

Wogte ſchwarz Gewölk einher. 
Wieder hört' ich Donner rollen 
Lang, mit kurzem Unterbrechen, 
Wie wenn mächtige Eiſesſchollen 
In den Strömen krachend brechen. 
Fromm bekreuzten die Koſaken 
Sich bei Donnerſchlag und Blitz, 
Spähten mit gebognem Nacken 
Scheu umher vom Sattelſitz. 
Immer ſchwärzer überzogen 

Ward es ringsum, ſchwüler, trüber, 
Dichte Schwärme Vögel flogen 
Tiefen Flugs an uns vorüber. 


161 


Wie fo vorwärts, ſeitwärts immer 
Spähend meine Blicke ſchweifen, 
Seh ich fern in hellem Schimmer 
Einen breiten, rothen Streifen — 
Keinen jäh vom Blitz erzeugten, 
Der ſchnell kommt und ſchnell verſchwindet, 
Auch von keinem Wetterleuchten: 
Denn ſtets heller, breiter windet 
Sich der Streifen um das Land. 
Ein Koſak wirft ſich vom Pferde, 
Drückt ſein lauſchend Ohr zur Erde, 
Springt dann auf, mit Angſtgeberde 
Starr dem Streifen zugewandt: 
»Himmel! hilf, ein Steppenbrand!« 
Hat der Blitz in's Kraut geſchlagen? 
Ward die Steppe angeſteckt? 

Keiner weiß es, und das Fragen 
Iſt umſonſt — doch aufgeſchreckt 
Tragen uns die zähen Pferde 
Flüchtigen Laufes, langgeſtreckt, 
Daß der Hufſchlag auf der Erde 
Kaum vernehmbar bei dem Reiten. 
Und durch ungemeſſne Weiten 
Fliegen wir mit Windesſchnelle, 
Spähend oft das Auge wendend 
Nach der grauſigen Flammenhelle .. 
Schwarzen Rauch nach oben ſendend 
Wälzen ſich die wilden Gluten, 

Wie empörte Meeresfluten, 

Unter mächtigem Praſſeln, Ziſchen, 
Immer näher, und dazwiſchen 
Schallen fernher Jammertöne, 
Schrill, wie Sterbender Geſtöhne. 


F. Bodenſtedt. IX. 11 


— 162 — 


Sieh dort: flüchtige Dromedare 

Die der Karawan' entrannten, 

Alle andern ſchon verbrannten; 

Und uns ſträuben ſich die Haare 
Vor Entſetzen — um uns wehen, 
Wolken Rauches — kaum noch ſehen 
Wir im immer ſchwärzern Qualme 
Unter uns die Steppenhalme. 
Schakalſchwärme wimmern, heulen, 
Fliehend vor den Flammenſäulen 

Die mit Rieſenſprüngen nahn — 
Tod, Verzweiflung allerorten, 

Und es glüht, als ob die Pforten 
Sich der Hölle aufgethan. 

Thier' und Menſchen ſind verloren; 
Nirgends Hülfe. Wir befehlen 

Gott im Himmel unſre Seelen, 
Drücken krampfhaft noch die Sporen 
In der Pferde blutige Weichen, 
Daß fie wie die Windsbraut ſtreichen 
Durch die Steppe vor den Flammen. 
Plötzlich bricht mein Pferd zuſammen — 
Um uns rauſcht's — wir ſind gerettet! 
In des Kuban Strom gebettet. 
Und kaum haben wir die Flut 
Ueberſchwommen, und ein Kurzes 
Von dem Sturmritt ausgeruht, 

Als es ungethümen Sturzes 
Strömend aus den Wolken bricht, 
Daß man vor dem Regen nicht 
Mehr die Glut am Horizonte 

Noch die Steppe ſehen konnte. 

Bald erloſchen war das Feuer, 


ᷓj7jirr . —Üͤ¹»rn! Aut Du nn in ae un 


— 163 — 


Das, ein lechzend Ungeheuer, 

Mit Millionen Flammenzungen, 
Was die Steppe trug, verſchlungen, 
Bis es ſelber lag getödtet, 

Wieder lichtet ſich der Himmel; 

Aus dem ſchwarzen Rauchgewimmel 
Stiegen Wolken auf, gerböthet 


Von der Abendſonne Glut. 


Lange hatt' ich ausgeruht, 

Sinnend rings mein Auge weidend; 
Und ich dachte, da wir ſcheidend 
Fürbaß unſres Weges zogen: 

Jene wilden Kriegerheere, 

Die einſt dieſes Land durchflogen 
Zahllos wie der Sand am Meere, — 
Was bon ihnen iſt geblieben? 
Staub, vom Sturm umhergetrieben 
Und verweht durch alle Lande. 

All ihr Thun glich dieſem Brande! 
Trüb wie Rauch blieb nur die Sage 
Von dem Glanz der alten Tage. 


11* 


— 164 — 


Mindeswehn vom Kauzalus. 


Schaurig weht der Wind vom Gebirge her, 
Weht in klagenden Tönen — 

Bald wie Wellengemurmel auf wildem Meer, 
Bald wie Leidender Stöhnen — 

Bald wie Kindeswimmern durchſchrillt es die Luft, 
Bald wie Schakalgeheul in der Felſenkluft — 
Bald, daß es dem Muthigſten bangt und graut, 
Dröhnt's jammernd über der Erde Veſte, 

Als ob die Menſchheit ihren Schmerz auspreßte 
In einem einzigen Klagelaut ... 

Was bedeuten die klagenden Töne? 

Sind ſie ein Nachhall aus alter Zeit, 

Wo der »Gottesgeißel« Söhne 

Die Völker der Steppe dem Tode geweiht? 
Wie Heuſchrecken durch die Lande ſchwärmten, 
Sich am Feuer lodernder Städte wärmten, 
An den Tafeln erſchlagener Könige ſaßen, 

Aus Feindesſchädeln tranken und aßen, 
Mauern aus Menſchenknochen thürmten, 

Alles Herrliche niederſtürmten, 

Unheil brachten allen Landen, 

Und dann — wie ſie gekommen, verſchwanden. 


Der Cerek. 


lie ein großer Gedanke ſich losreiſt aus 
Dem Haupte eines Genius, 

Alſo ſpringt aus des Kasbek ſteinernem Haus 
Der brauſende Terekfluß; 

Reißt ſich in ſprudelnder Luft 

Von der nährenden Bergesbruſt; 

Rauſcht mit hellem Geplätſcher 

Ueber die eiſigen Gletſcher — 

Und die Steine und Felſen, die ſeinen Wellen 
Sich, trotzig hemmend, entgegenſtellen, 
Lachend überſpringt er ſie, 

Oder ſtark zwingt er ſie 

Mit ſich hinunter in's blühende Thal. 

Was ihm widerſteht, wird zerſtoben, 

Denn ſeine Gewalt kommt von Oben! 

Die Geis, die wie er vom Felſen ſpringt, 
Sich labend aus ſeiner Welle trinkt; 

Der Wandrer der lechzend am Berghang ruht, 
Erquickt ſich an ſeiner kühlen Flut. 
Schwankende Büſche, uralte Bäume, 

Baden die Wurzeln im friſchen Geſchäume. 

Es freun ſich die duftigen Blumen, die bunten, 
Ob der lauten, tanzenden Wellen tiefunten; 
Und es lockt der ſtürmiſche Bergesſohn, 
Durch Klagen, Murmeln und Schmeichelton, 
Manch widerſtrebend Blümelein 

Zu ſich in's Flutenbett herein... 


— 166 — 


Und nach Unten gewandt 

Durchzieht er das Land 

— Ein König im blitzenden Wellengeſchmeide — 
Den Fluren zum Segen, den Menſchen zur Freude. 
Und nichts hält ſeinen Lauf, 

Den ſtürmiſchen, auf. 

Ohne Raſt, ohne Ruh 

Eilt er dem Meere zu — 

Und das Meer, unter wildem Jubelgebraus, 
Nimmt ihn auf in ſeinem weiten Haus. 


Doch wie er im Meer 
Seine Wohnung genommen, 
Weiß man nicht mehr, 
Von wo er gekommen; 
Man erkennt ihn nicht wieder 
Aus der Zahl ſeiner Brüder, 
Die, wie er, aus der Ferne herbeigeſchwommen. 
Sein Name entſchwebt, 
— Ein leerer Schall — 

Er felbft aber lebt, 
Ein Theil im All. 


Georgia. 


„Georgia, du ſchönes Land!e | 
So hört ich einft ein klagend Lied beginnen — 
Es ſteht ein Greis auf ſeines Hauſes Zinnen, 
Derweil vom Auge bittre Thränen rinnen, 

Singt er gewaltig durch die helle Nacht: 


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»Georgia, du ſchönes Land! 
Du Vaterland der Schönheit und der Reben, 
Von Bergesmauern iſt dein Reich umgeben, 


Die dich vertheidigend ſtolz die Häupter heben — 


Sie ſchützen dich — wenn du ſie ſchützen willſt.« 


„Georgia, du ſchönes Land! 
Aus alten Zeiten ſind Erinnerungen 
Von deinem Ruhm durch alle Welt gedrungen, 
Von großen Sängern ward dein Lob geſungen: 
Und du verläugneſt all die Herrlichkeit! 


„Georgia, du ſchönes Land! 

Weh! deine Söhne ſind zu Sklaven worden, 

Durch deine Straßen ziehen Räuberhorden, 

Feig unterwarfft du dich dem Zar vom Norden — 
Wo blieb, mein Volk, dein Stolz und deine Macht! 


»Georgia, du ſchönes Land! 
Sieh, hoch von deinen grünen Bergen ragen 
Graue Ruinen, die noch Zeugniß tragen 
Wie's war in jenen alten, ſchönen Tagen, 
Den Tagen deiner Mannheit, deiner Kraft!« 


»Georgia, du ſchönes Land! 
Noch hell durch deine grünen Auen ſchwellen 
Des heiligen Kyros ſagenreiche Wellen, 
Doch oft ſchon färbten ſie die Raubgeſellen 
Des Nordens roth mit deiner Kinder Blut...« 


„Georgia, du ſchönes Land! 
Ward deinem Volk ſein hoher Wuchs zu eigen, 
Den ſtolzen Leib in Knechtesjoch zu beugen, 
In Sklaverei vor Sklaven ſich zu neigen? 

O, Schmach dem Volk, das kampflos untergeht! 


— 1 BR 


„Georgia, du ſchönes Land! 
Was herrlich in der Welt, ward dir verliehen: 
In üppiger Fülle deine Gärten blühen, 
In wilder Schöne deine Berge ziehen, 
Kein Land zeugt Weiber deinen Weibern gleich !« 


„Georgia, du ſchönes Land! 
Und ſchuf der Herr die Schönheit deiner Weiber, 
Ihr glühend Aug', die lockend ſchlanken Leiber, 
Der frechen Luſt zu fröhnen deiner Räuber? 
Und du kannſt Zeuge ihrer Schande fein !« 


„Georgia, du ſchönes Land! 
Gab dir der Herr den Feuertrank des Weines, 
Dich einzuſchläfern in den Ketten deines 
Dir aufgedrungnen Zwingherrn? — O, des Scheines 
Der Sonne, die dir ſtrahlt, biſt du nicht werth!⸗ 


„Georgia, du ſchönes Land!e 
Dacht' ich: man braucht den Namen nur zu ändern, 
So gilt das Klagelied noch ſtolzern Ländern, 
Getroffen von denſelben Weheſendern, 

Die Oft und Weſt mit gleicher Lift umziehn ... 


Nino. 


U ruht die Nacht ſo warm und licht, 
Wie auf Georgia's Hügelland? 

Und wo, ſo ſchön von Angeſicht 

Blühn Mädchen, wie am Khrosſtrand? 


— 109 


Uralt verwachſnen Buſchwald durch, 
Krumm über Hügel ſchleicht mein Pfad 
Vom Fuß der grauen Felſenburg 

Zum Ufer, wo mein Mädchen naht. 


Die weiße Tſchadra“) windbewegt 
Um ihre ſchlanken Glieder fliegt, 
Leicht, wie das Schifflein das fie trägt, 
Des Kyros weißer Schaum umſchmiegt. 


Sie ſieht mich ... Grüß dich, Herzenskind! 
Ein Handkuß ſagt: Ich danke dir! — 

Mit ihren Locken ſpielt der Wind, 

Ihr dunkles Auge ruht auf mir. 


Bei meinem Kuß, in heller Glut 

Aus ihren dunklen Augen bricht's, 

Wie aus der dunklen Kyrosflut 

Zur Nacht, beim Kuß des Mondenlichts! 


Sie kommt, ſie kommt! Es tanzt der Kahn 
Im Takt der Ruder uferwärts, 

An's Ufer ſpringt die Welle an, 

Und meine Liebe an mein Herz. — 


) Tſchadra — ein feiner, blendendweißer, den ganzen Körper 
verhüllender Ueberwurf. 


ww 


Ein Sommertag in Eriwan. 


Heiß liegt die Sonne auf Eriwan — 

Die Vögel ſenken ihr matt Gefieder, 8 
Die Bäume die dürren Blätter nieder; 

Verdorrt liegt Feld und Wieſenplan, 

Und das hat die ſchöne Sonne gethan! 


Schwer ſcheint der Gang der jungen Maid, 

Die ſonſt ſo leicht durch die Straßen hüpft, 
Und Alles liegt todt — nur von Zeit zu Zeit 
Eine Schlange glitzernd durch's Gras hinſchlüpft. 
Der Armenier unterm Platanenbaum 

Wirft ab ſein weites Tuchgewand, 

Der erloſch'ne Kalljan entſinkt ſeiner Hand, 

Er gähnt — ihn drückt's wie ein ſchwerer Traum. 
Verderbend liegt's auf Eriwan, 

Und das hat die ſchöne Sonne gethan! 

Die Sonne, der leuchtende Tagesſtern, 

Und iſt doch der ſchmachtenden Erde ſo fern! — 
Derweilen oben auf Bergen grün 

In duftiger Friſche die Bäume blühn, 

Und die Heerde graſ't am fetten Hang, 

Und die Blumen lauſchen der Vögel Geſang, 
Aus den Felſen plätſchernd die Quelle ſpringt, 
Und alles freut ſich und blüht und ſingt! — 


* 


a 


Alſo auch du, ſchöne Sonne du, 

Du meiner Liebe leuchtender Stern! 

Drückſt mir verderbend die Augen zu, 

Verſengſt mich, verdorrſt mich, ſeit ich dir fern; 
Und lachteſt mir einſt ſo belebend und klar, 
Als ich dir, meinem Glücke, noch nahe war — 
Ich ſchaute dein leuchtendes Angeſicht, 

Doch die Glutenſtrahlen verſengten mich nicht! 


Armenilches Grablied. 


Tu deinem Grabe bin ich gegangen, 

Mein Auge wandt' ich dem Grabſteine zu — 
O, daß es ſich aufthue, mich zu empfangen 
An deiner Seite, zur ewigen Ruh', 


Daß ich mein welkendes Haupt der Erde 
Hingebe, und meine Seele dir! 

Daß ich verweſe, zu Aſche werde, 

Um Ruhe zu finden, Ruhe bei dir! 


Geh' ich in's Haus, da ſeh' ich die Wände, 
Tret' ich hinaus — die Berge ſtehn — 
Glühend fiebert's durch Kopf und Hände, 
Kalt aber fühl' ich's mein Herz durchwehn. 


Erloſchen iſt meiner Augen Feuer, 

Der Tag meines Lebens verdunkelt mir — 

Was glaubteſt du mir auf Erden noch theuer, 
Daß du mich hierließeſt — nicht mitnahmſt zu dir? 


— 172 — 


Ein Schatten ſchwank ich umher — zerſchlagen 

Iſt meine Kraft und der männliche Muth; 

Mir blieb nur die Stimme, mein Unglück zu klagen, 
And das Auge zu bitterer Thränenflut. 


Laß mich, o laß mich der Erde entfliehen! 

Es ſchlottert mein Knie, meine Wange iſt bleich; 
Wohin auch die dunklen Gewalten mich ziehen: 
Ich finde dich wieder im Schattenreich! 


Dir Weihrauch und Licht hab' ich angezündet, 

Sieh betend auf deinem Grabe mich knien — 

O, könnte dem Dampf gleich, der wirbelnd entſchwindet, 
Auch meine Seele nach oben ziehn! 


Was hab' ich noch Augen, mein Unglück zu ſehen, 
Was eine Stimme, die jammernd dich ruft! 


Kannſt du doch nimmer meine Klagen verſtehen, 
Hörſt nicht den Laut in der ſchaurigen Gruft! 


Schamyl in den Wäldern von Itlchkeri. 
(1837.) 


Tum Kampfe gerüſtet die Schaaren ſtehn, 

Die Banner des Halbmonds und Adlers wehn. 

In Itſchkeri's Wäldern, auf freiem Plan, 

Zu Schamyl ſprengt der Feldherr der Ruſſen heran: 


173 — 


»Ich grüß' dich, Schamyl, du furchtloſer Held! 
Du Herrſcher des Landes und Führer im Feld, 
Du Leitſtern der Völker des Kaukaſus: 
Der Ruſſenzar ſendet dir Botſchaft und Gruß! 
Genug iſt's der Kämpfe in Daabeftan, 


Sei des mächtigen Zaren Unterthan, 


Und du ſollſt zum Lehn alle Lande empfahn 

Der Heldenſtämme von Lesghiſtan!« 

Da runzelt Schamyl ſein ſtolzes Geſicht: 

— Was mein iſt, brauch' ich als Lehen nicht! — 
»Beug, tapfrer Imam, deinen ſtolzen Muth! 
Was der mächtige Zar dir aus Gnade thut, 

Wird ſonſt dir entriſſen mit Feuer und Blut: 
Siehe, zahllos wie der Sand am Meer 

Iſt das unüberſehbare Ruſſenheer, 


And der Name des Zaren ein Schrecken auf Exden!« 


— Und ſei wie der Sand die Zahl eures Heers: 


Meine Krieger ſind wie die Wellen des Meers, 


Die den ſtiebenden Sand hinwegſpülen werden! — 


„Greift rächend mein Heerbann zu Schwert und Gewehr: 
Weh, weh dir, Schamyl, dann, und weh deinem Heer! 
Wenn ſich dunkel die Banner des Adlers entrollen, 
Wenn die Donner aus hundert Geſchützen grollen: 


Was den Kugeln entfleucht und den Schwertern im Kampf, 


Sinkt heulend zermalmt unter Roſſegeſtampf!« 


— Daß Gott dir die Zunge im Munde verdorrt! 
O ſchweig, ſtolzer Prahler, Fluch treffe dein Wort! 
Deiner eignen Söldlinge grimmes Geſchick 


Weisſagt mir dein unglückverheißender Blick. 


Und flattert der Adler auch ſtolz und hoch: 


— 174 — 


Der leuchtende Halbmond glänzt höher noch! 

Sieh meine gepanzerten Schaaren ſtehn: 

Den ſchlanken Kabarder, den ſtolzen Tſchetſchen, 
Noch nie hat ein Feind ihren Rücken geſehn! 

Wie ſie halten zu Roſſe ſo ſtattlich und kühn, 
Wie die dunkelen Augen vor Kampfluſt glühn — 
Mehr zählt ſolch Ein Held aus kaukaſiſchem Blut, 
Als hundert von eurer geknechteten Brut! 


»Ein Wort noch, Schamyl, von Dem, der mich geſandt: 
Sieh, es hält eine Kugel und Salz meine Hand — 0 
Das Salz deutet Frieden, doch Feindſchaft das Blei, 
Wähl Eines, ſo iſt meine Botſchaft vorbei. 

Doch vernimm, eh' du wähleſt: das bleierne Loos 

Birgt Weh und Verderben im dunkelen Schoß — 

Dein Sohn weilt gefangen in meinem Gezelt, 

Schon ſind, ihn zu tödten, die Henker beſtellt, 

Und wählſt du die Kugel, ſo fällt ſein Haupt, 

Und dem Sohn hat der Vater das Leben geraubt.“ 


Da zuckt's wie ein Blitz durch die Bruſt des Imam, 
Als er ſchaudernd das furchtbare Wort vernahm — 
Es durchrieſelt ihn kalt, ſeine Wange erbleicht, 
Wild ballt ſich die Hand, und das Auge wird feucht. 
Doch bald faßt er ſich wieder, der Kampf iſt vollbracht, 
Seine Hand greift das Blei: 

— Nun, wohlan denn, zur Schlacht! 
Und fällt auch mein Sohn unter Henkershand: 
Mein Blut iſt mir theuer, doch theurer mein Land! 
Mein Herz iſt gewappnet für Unglück und Wehe, 
Allah iſt groß, Sein Wille geſchehe! — 


Me 


Clcherkellilche Codtenklage. 


Es trauern die Männer von Dſhſighi, 
Geſang tönt und klagendes Spiel — 
Denn der ſchönſte des Volks der Adighi: 
Pſchuguüi, der furchtloſe, fiel! 

Er war noch an Jahren ein Knabe, 
Doch glich ihm kein Mann im Gefecht — 
Jetzt liegt er ſchon modernd im Grabe, 
Der Letzte aus ſeinem Geſchlecht! 


Pſchugüi, der Held, iſt gefallen! 

Sein Blut färbt die Erde nun roth — 
Er hörte den Schlachtruf erſchallen, 

Und eilte zum Kampf und — zum Tod! 
Kühn brach er durch Dampf und Geſchoſſe, 
Durch Lanzen und Schwerter ſich Bahn, 
Und ſprengte auf wieherndem Roſſe 

Zum Häuptling der Moskow heran. 


Sein Schlachtkleid von blutrothem Sammte 
Flammt' hell in der Sonne Geſtrahl, 

Doch heller und furchtbarer flammte 

Sein Aug' und ſein blutiger Stahl! 
Getroffen vom Feindesgeſchoſſe 

Sein Rappe todt unter ihm bricht — 

Er wechſelte dreimal die Roſſe, 

Doch ſein tapferes Herz wechſelt' nicht! 


— 176 — 


Es ſank von der Wucht ſeiner Streiche 
Manch rüſtiger Kämpfer der Schlacht! 

Jetzt liegt er da ſelber als Leiche, 

Und Wehgeſchrei dröhnt durch die Nacht. 
Man weint um den glühenden Haſſer 

Von Moskow's geknechteter Brut — 
Doch die Thränen der Freunde ſind Waſſer, 
Und die Thränen der Schweſter ſind Blut! 


Den Nacken der Schweſter umwallte 

Das dunkle Haar üppig und kraus — 
Als die Kunde des Todes erſchallte, 

Da riß ſie ihr Haar weinend aus. 

Doch die Mutter hebt tröſtend die Rechte: 
Dank Allah! ſo hat er's geſucht! 

Mein Sohn fiel, ein Held im Gefechte, 
Und nicht wie ein Dieb auf der Flucht! 


Der Sänger greift trüb in die Saiten, 
Die Menge horcht ſchauernd und bang, 
Und die Thränen der Weiber begleiten 
Den jammernden Trauergeſang. 

Es trauern die Männer von Dſhighi, 
Geſang tönt und klagendes Spiel: 

Denn der Schönſte des Volks der Adighi, 
Pſchuguüi, der furchtloſe, fiel! 


— 177 — 


Muhammed. 


Verbdet liegt das ſonnige Perſerland! 

Was ſchön, was groß, was ruhmvoll war, verſchwand 
Nur Trümmer zeugen, kümmerliche Reſte, 

Vom Glanz der alten Tempel und Paläſte. 
Verwahrloſt iſt das Volk, verſumpft in Rohheit; 
Nichts mehr iſt ſchön im Land, als die Natur, 

Und aus der Parſen heiligen Sagen nur 

Strahlt noch ein Abglanz alter geiſtiger Hoheit! .. 
So klagt' ich einſt — da ſprach Mirza ⸗Schaffh: 


»Die Kunſt, die Pracht, den Glanz aus jenen Tagen 
Hat des Propheten Glaubensſchwert zerſchlagen! 
Wo ſich die Menſchen ſtarrer Satzung beugen 

Da welkt die Kunſt, verdorrt die Poeſie, 

Und mit ihr ſtirbt des Geiſtes Leben hin, 

Denn nur Lebendiges kann Leben zeugen, * 
Und mit der Schönheit flieht der Schönheitsſinn!« 


Ich ſprach: Die Flamme, die dem Wüſtenſande 
Entſtieg, hat ſie nicht glorreich durch die Lande 
Geleuchtet, und zu ſtarker That entzündet, 

Wo der Prophet ſein Glaubenswort verkündet? 


Er ſprach: »Nicht der Zerſtörer iſt mein Mann, 
Groß iſt nur Der, der Großes ſchaffen kann! 
Verhaßt iſt mir das Glaubensungeheuer, 
Verhaßt auch ſein zerſtörend Glaubensfeuer! 


F. Bodenſtedt. IX. 12 


— 18 — 


Das ift die Flamme nicht, die den Altären 

Iran's entſprang, zu ſchaffen und zu nähren. 

Ein Kind der Nacht ward Muhammed geboren, 
Umnachtete die Weiſen wie die Thoren. 

Dieſelbe Unglücksnacht, die ihn gebar, 
Zertrümmerte der Parſen Lichtaltar. 

Es hat der erſte Fußtritt des Propheten 

Der heiligen Flammen letzte ausgetreten! 

Die Glut erloſch — und mit den heil'gen Flammen 
Brach Iran's Macht und Herrlichkeit zuſammen! “ 


Ich ſprach: Es hat doch manche reiche Hand 
Sich ſpäter aufgethan im Perſerland! 

Und manche helle Dichterflamme noch 

Iſt aufgeſprungen trotz dem Glaubensjoch: 
Wer möchte gerne ſich von Sadi trennen? 
Wer ohne Ehrfurcht kann Firduſi nennen? 
Wer nicht in Liebe für Hafis entbrennen? 


[2 


Er ſprach: »Gewaltig ſind fie alle drei, 

Im Leben wie im Liede groß und frei, 

Doch hat der Glaube nichts zu thun dabei. 
Der Geiſt iſt, der durch Sadi's Werke geht, 
Ein Geiſt der Liebe und kein Mordprophet! 
Firduſi war von Iran's Glut durchdrungen, 
Bevor er uns ſein hohes Lied geſungen, 

Das Hohelied, das Wundertönige: 

Die Parſenmär im Buch der Könige! 


»Und erſt zum großen Dichter ward Hafis, 
Als er die Zwingburg der Moſchee verließ, 
Mit ganzer Kraft an ihren Säulen rüttelte, 
Den Glaubensſtaub von ſeinen Füßen ſchüttelte. 


179 — 


»Nicht aus dem Koran ſog er Kraft und Nahrung 
Zu ſeinem gottbegeiſterten Geſange: 

Die ganze Welt ward ihm zur Offenbarung 

Seit er gefolgt dem eignen Herzensdrange. 

In ſchönen Menſchenaugen, gutem Weine, 

Im Sonnenſtrahl, im Klang der Waldeslieder, 
Im Duft der Roſen in Moſella's Haine, 

In jeder Blume, jeder friſchen Seele 

Fand er die heiligen Flammen Iran's wieder, 
Und hauchte fie in ewige Ghaſele ... 


Ich ſprach: Dein Lob iſt ſüß, Dein Tadel bitter! 
Dem Dichter ziemt's, daß er den Dichter preiſe, 
Doch, kann nicht auch ein ſtarker Glaubensritter 
Des Ruhmes würdig ſein in ſeiner Weiſe? 


Er ſprach: »Mir fehlt's an Ohren und an Augen 
Für Leute die aus Blut die Größe ſaugen; 
Mit Abſcheu mich von ſolchen Helden wend' ich. 
Ich haſſe dieſen rothen Heilgenſchimmer, 

Und wurzelt er im Glauben — deſto ſchlimmer! 
Das Wort der Araber war ſehr verſtändig 

Da fie geſagt: „Der iſt kein ächter Dichter, 
In dem ein kleiner Teufel nicht lebendig.“ 

Wer an der Schönheit ſündiget, den ſticht er, 
Gleichwie die Dornen an den Roſen ſtechen, 
Will eine ungeweihte Hand ſie brechen. 

Und wer hat an der Schönheit mehr geſündigt, 
Als der im Blute uns ſein Wort verkündigt? 
Denk ich ob ſolcher Glaubensthaten nach, 

So wird in mir ein großer Teufel wach, 

Und die da tödten für die Wege Gottes 


Sind mir ein Ziel des Zornes, Haſſes, Spottes . 


12* 


— RR 


Ich ſprach: Mirza⸗Schaffy! Du redeſt weiſe, 
Du zeigſt das Heldenthum in ſeiner Blöße, 
Doch ſchwer iſt mir's, ſchnell aus dem alten Kreiſe 
Der Ruhmesbilder und der Glaubensgröße, 

Aus all dem Glanzwahn mich herauszuwinden, 
Auf neuen Wegen mich zurechtzufinden. 

Ich dachte ſtets, ein ſo gewaltiger Held 

Wie Muhammed, der einſt die ganze Welt 

Mit ſeinem Schwert und Worte aufgeſchreckt, 
Deß Schwert bezwang und deſſen Wort verführte 
Wo immer er ſein Banner aufgeſteckt, 

Daß dem ein gutes Theil von Ruhm gebührte! 


Und wiederum Mirza ⸗Schaffy begann: 

»O laß dich nicht von falſchem Wahn bethören! 
Horch auf und merk dies Wort, mein Sohn: leicht kann 
Ein Thor der höchſten Weisheit Werk zerſtören. 
Zum Schaffen nur bedarf es großer Stärke, 
Nicht zum Zerſtören! Sieh, die größten Werke, 
Die frühere Geſchlechter zu errichten N 
Gewußt, die manch Jahrhundert überdauert: 
Die Laune eines Kinds kann ſie vernichten 

In einem einzigen, windigen Augenblick, 

Daß jedes kommende Geſchlecht noch trauert 

Ob der Zerſtörung wüſtem Mißgeſchick! 


»Sieh auf die Trümmer von Perſepolis: 

Dort ſtand ein Bau, ein Wunderbau der Welt, 
Von hohen Meiſtern kunſtvoll hingeſtellt, 

Schien er der Ewigkeit zu trotzen — bis 

Frech einer Dirne Hand ihn niederriß. 


— m 


»Man zündet an, die Pfeiler ſtehn in Flammen. 
Und mit den Pfeilern bricht das Haus zuſammen. 


»Gar leicht entzündet ſich ein Feuerbrand, 

— Wie in der Menſchen Geiſt, ſo in den Gaſſen — 
Ihn zu erzeugen braucht man nicht Verſtand, 

— Wie in den Häuſern, ſo im Geiſt der Maſſen —, 
Denn gleich verderblich wird die Flamme lodern, 

Und ohne Schonung ihre Opfer fodern, 

Ob eine ſtarke, eine ſchwache Hand 

Die Glut geſchürt zu dem Verheerungsbrand. 


»Der Islam iſt im Blute groß geworden, 

Und nur durch Blut kann er ſein Daſein friſten. 
Gebrochen iſt die Kraft der Glaubenshorden 
Jetzt überall, wo fie in Frieden niften. « 


Er ſchwieg. Ich merkte eifrig was er ſprach, 
Und dachte lange ob der Worte nach. 


Ein Gleiches thun vielleicht auch andre Chriſten. 


Der Gelang der Minde. 


Geſchrieben auf dem Schwarzen Meere 1845. 


Mir wiſſen nicht, wer 
Uns gezeugt und geſandt, 
Irren troſtlos umher 
Ueber Meer und Land! 
Wir haben kein Obdach, 
Wir haben kein Haus — 
Wohin wir uns wenden 
Stößt man uns aus — 
Wir wandeln geſtaltlos 
Himmelauf, Erdenab, 
And finden nicht Ruhe 
Und finden kein Grab. 


Gieb uns deine Geſtalt, Menſch! 
Gieb uns deine Geberde, 

Daß wir leben und ſterben 

Wie du auf der Erde! 

Wir müſſen ewig wehen, 
Bringen Tod und Verderben; 
Wir müſſen ſterben ſehen, 

Und können ſelbſt nicht ſterben! 


— 13 — 


Wir wandeln unfichtbar 
Durch endlofe Räume, 

Vor uns fliehen die Wolken, 
Vor uns zittern die Bäume. 
Kein Auge ſieht uns, 

Und Alles doch flieht uns. 
Wir klagen und flehen 

Um Obdach und Haus, 
Doch Himmel und Erde 
Stoßen uns aus 


Uns liebt nur das Meer, g 
Und wir lieben es wieder — 
Doch es kann nicht zu uns her, 
Und wir nicht zu ihm nieder, 
Um dauernd zu weilen — 

Da wird zu Heulen 

Wohl oft unſre Stimme, 

Und das Weh wird zum Grimme! 
Und wir ziſchen und brauſen, 
Und Schrecken und Grauſen 
Folgt auf jedem Schritt uns — 
Und wir ziehen mit uns 

Die Donner und Blitze 
Sammt wolkigem Sitze, 

Und wachſen und ſchwellen 

Zu drohenden Stürmen — 

So ziehn wir zum Meer; 

Das hebt ſeine Wellen, 

Die bäumen und thürmen 

Sich aufwärts, gleich Bergen, 
Und greifen und nahn 

Mit den Armen, den naſſen, 


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Und wir ſtürmen heran 

Und wollen es faſſen 

Mit ſtarken Gewalten — 
Doch müſſen wir's laſſen, 

Und können's nicht halten. 
Da gellen die Wellen 

In ohnmächtigem Grimme, 

Da heulen die Donner By 
Mit furchtbarer Stimme, 

Aus den Augen der Wolken 
Flammt's in zorniger Glut, 
Und wir toben und ſtöhnen 
In troſtloſer Wuth. 

Und es heult und ziſcht, 

Und dröhnt und zittert, 

Daß es ringsum die Veſten 
Der Erde erſchüttert. 

Und Weh' dann den Menſchen, 
Die beim Meere zu Gaſt! 

Es verſchlingt ihre Schiffe 
Mit Segel und Maſt, 

Und begräbt ſie in grimmiger Todesluſt 
In ſeiner klaffenden Wellenbruſt! 

Aber wir müſſen ewig wehen, 

Bringen Tod und Verderben, 

Müſſen ſterben ſehen, 

Und können ſelbſt nicht ſterben . 


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2. — * 
* 


Gern ſchau ich ins dunkle Auge dir, 

Mit den langen, ſeidnen Wimpern drauf — 
Aus ſolchen Auges Nacht ging mir 

Einſt hell der Tag der Liebe auf. 


Todt iſt ſie lange, kalt und todt — 
Gebrochen iſt der Zauberring, 

Drin glühend mir das Morgenroth 
Des Herzens auf- und unterging. 


Doch du biſt blühend, friſch und jung, 
Kennſt noch den Gram des Lebens nicht — 
Und jungen Glücks Erinnerung 

Lacht mir aus deinem Angeſicht. 


Drum ſchau ich fo gern in's Auge dir, 
Mit den langen ſeidnen Wimpern drauf: 
Aus ſolchen Auges Nacht ging mir 
Einſt hell der Tag der Liebe auf. 


Türne nicht! 


Anmuth gürtet deine Lenden, 

Schönheit blüht um deine Glieder; 

Schultern, die vor Weiße blenden, 

Ziehen dunkle Locken nieder. 

Wenn in deine Zauberkreiſe 
Mächtig mich dein Auge zieht: 

Zürne nicht, daß ich dich preiſe, 
Hochbeſeligte! im Lied. 


Wenn der junge Frühling wieder 

Kommt im blumigen Gewande, 

Läßt er auch durch frohe Lieder 

Laut verkünden durch die Lande, 

Daß von Winters Schnee und Eiſe 
Drangvoll ſich die Erde ſchied — 

Zu des Frühlings Ruhm und Preiſe 
Singt die Nachtigall ihr Lied! 


Mit den Füßchen, den behenden, 
Biſt du mir in's Herz geſprungen, 
Haſt mit deinen zarten Händen 
Meine ganze Kraft bezwungen, 
Daß ich gerne die Geleiſe 

Kalter Bücherweisheit mied: 
Zürne nicht, wenn ich dich preiſe, 

Hochbeſeligte! im Lied. 


* 


— 189 — 


Mir das Lieblichſte erwähl' ich 
Anzubeten und zu loben, 
Wer hier ſtrauchelt, der wird ſelig, 
Wer hier fällt, der wird erhoben; 
Der iſt nicht der rechte Weiſe 
Der nicht vor der Schönheit kniet —] 
Zürne nicht, wenn ich dich preiſe, 
Hochbeſeligte! im Lied. 


Ein Morgen in Ciflis. 


Daß ich ſo früh dem Schlummer dich entwand, 
O ſüßes Leben, zürne nicht darum; 

Steh auf und kleide dich in Feſtgewand, 

O, folge mir, du wirſt verſtehn warum! 


Auch ich lag eben noch im Schlummer tief, 
Gebannt durch ein lebendig Traumgeſicht — 

Da klang mir eine Stimme, die mich rief, 

Ichs folgte ihr, trat aus der Nacht an's Licht, 
Und müde noch, rief ich im Zorn wie du: 

»Was weckſt du mich aus meiner nächt'gen Ruh?« 
Doch ſchwand mein Zorn, denn was mir da geſchehn, 
War ſchöner, als was ich im Traum geſehn! 

Von einer ſchönen Welt hatt' ich geträumt, 

Wo Alles Liebe, Alles Seligkeit. 

Die Erde war dem Himmel eingeräumt, 

Verſöhnt war alle Kreatur vom Streit, 

Und Römer, Griechen, Moslem, Proteſtanten, 
Begrüßten ſich als nahe Blutsverwandten. 


— 190 — 


Der Zar kredenzt dem Sultan krimmſchen Wein, 
Der Papſt, verliebt, will eine Türkin frein. 
Rabbiner, Mufti's, Uhlich's, Hengſtenberge, 

Die Glaubensrieſen und die Glaubenszwerge, 
Sie ſangen Alle wie aus Einem Mund: 

Groß iſt der Herr, und ſchön das Erdenrund! 
Es legt der Mönch ſein härenes Gewand ab, 
Der Krieger läßt vom Morden ſeine Hand ab, 
Und haſſesmüd, auf allen Lebenswegen, 
Umarmend tritt ſich Menſch und Menſch entgegen. 
Und alle ſchwangen ſich in frohen Reihn, 

Durch Erd' und Himmel ging die ſüße Regung, 
Ich ſtimmte jubelnd in den Chor mit ein: 

Liebe iſt Leben, Leben iſt Bewegung... 


Da — klopften Roſenknospen an die Fenſter 
Des Schlafgemachs, verſcheuchten die Geſpenſter, 
Und riefen: »Auf vom Lager, ſäume nicht! | 
Die ſchöne Morgenzeit verträume nicht! 
Es liegt der Tag im Kampfe mit der Nacht; 

Schon ſind die Blumen alle aufgewacht, 

Die Vögel ſingen, alle Zweige klingen — 

Die Morgenröthe zieht als Königin * 
Durch's Land, macht Alles froh, wie ich es bin, 
Und läßt von Bergen, die gen Himmel ragen, 

Sich des Gewandes Purpurſchleppen tragen. 

Wach auf, du träger Schläfer! ſäume nicht, 

Die ſchöne Morgenzeit verträume nicht! « 


Und ich ſtand auf und ging hinaus in's Freie; 
Geblendet ward mein Aug', wohin es ſchweift': 
Schon hatte fern der weißen Berge Reihe 

Die nächtgen Nebelkleider abgeſtreift, 


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— 11 — 


Und badete ſich nackt im Morgenglühn. 

Von Berg zu Berg die goldnen Strahlen ſprangen. 
Rings aus der Gärten morgenfeuchtem Grün 

Die Blumen glühten und die Zweige klangen. 

In ſeinen Ufern glüht' der Strom im Thale 

Wie Feuerwein im goldenen Pokale. 


Weiß dampft' es von den Felſen — zwiſchendurch 
Erſchimmerte glühroth die alte Burg 

Mit ihrer weit herabgeſtreckten Mauer — 

Ein Anblick ſonſt des Schreckens und der Trauer: 
Jetzt aber luſtig war ſie anzuſehen, 

Ein ſchimmernder Palaſt, bewohnt von Feen 
Es hing ein Nebelſtreif noch hin und wieder 

Und flatterte am Fels wie eine Fahne. 

Beim Karawanſerai die Karawane 

Ward ausgerüſtet — vor dem Führer nieder 
Beugt feine Knie’ das zottige Dromedar, 

Und wimmert, wie es ſeine Laſt empfangen; 
Langſam erhebt es dann die ſchlanken Glieder, 
Die Laſt iſt leicht — der Blick wird wieder klar, 
Im Glanz des Frühroths iſt ſein Gram vergangen 
Schon rief der Muezzin vom Minaret 
Die Gläubigen zum erſten Frühgebet. 


Die Töchter Gruſien's ſchliefen auf den Dächern, 
Es war ſo ſchwül zur Nacht in den Gemächern — 
Hell ſpielten um der Mädchen Angeſicht 

Die Sonnenſtrahlen, und ſie merkten's nicht. 

Es ſtanden ſelbſt die Wachen an den Thoren 

Ganz in der Morgenröthe Glanz verloren; 

Und auch auf ihrer Mordgewehre Spitzen 

Ließ friedlich ſie die goldnen Strahlen blitzen. 


— 192 — 


Ihr milder Feuerſchein hüllt Alles ein, 
Verklärt die Welt in Herrlichkeit und Ruh, 
Und nichts fehlt zu dem ſchönen Bild — als du! 


O komm, du ſüßes Leben! ſäume nicht, 

Die ſchöne Morgenzeit verträume nicht! 

Durch friſches Blumenland will ich dich führen, 
Will dein Gemüth durch Feierklänge rühren; 
Sollſt ſelber wie die Morgenröthe glühen 

In ihrem Strahl, und mit den Blumen blühen. 
O klage nicht, wo Alles jauchzt und lacht: 
Dein Herz ſoll haben was es wünſchen mag — 
Komm, ſchönes Morgenroth! ich bin der Tag 
Der dich heraufzieht aus des Lagers Nacht — 
Komm! leb' der Freude, und die Sorge tödte! 
Ich will dein Tag ſein, ſchöne Morgenröthe! 
Ich will dein Schleppenträger ſein, dein Alles! 
Und wenn du fällſt: die Stütze deines Falles! 


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928 


— — TREER 


— 19 — 


Genüglamkkit. 


Mlir dient das ganze Morgenland 
Dich zu ergötzen, dich zu ſchmücken — 
Es kann zum Kranz dir meine Hand 
Die farbenreichſten Blumen pflücken. 


So manche friſche Roſe blüht 

Mir ihren duft gen Hauch entgegen; 

Es ſtrahlt der Mond, die Sonne glüht 
Des Morgenlands, mir auch entgegen. 


Bochara ſendet Narden mir, 

Und Perlen ſenden mir die Meere — 
Ich winke — und es tanzt vor dir 
Die leichtgeſchürzte Bajadere. 


Duftwaſſer, Oele, Honigſeim, 

Laß ich durch meine Verſe fließen — 
Es iſt kein Harem ſo geheim, 

Sich meinem Liede zu verſchließen! 


Die Quellen, die empor vom Thal — 
Und die vom Berge niederſpringen: 

Ich laſſe ſie, im Sonnenſtrahl 
Schimmernd, durch meine Lieder ſpringen. 


Die Nachtigall von Schiras ſchlägt 
Mir herzverwandten Tons entgegen — 
Was blüht und klingt und Luſt erregt: 
Ich kann es dir zu Füßen legen! 


I. Bodenſtedt. IX. 13 


— 194 — 


Doch thu' ich's nicht! wozu der Tand? 
Ich will die Schönheit nicht entweihen: 
Es kann das ganze Morgenland 

Dir keinen würdgen Schmuck verleihen! 


Vollkommen iſt dein ſtolzer Wuchs, 
Geiſt, Anmuth ſtrahlt aus deinen Zügen: 
Dein Leib bedarf nicht fremden Schmucks, 
Mag ſich in Schönheit ſelbſt genügen! 


Wem iſt die Sonne nicht hell genug, 
Daß er durch Kunſt ſie noch verkläre? 
Wem nicht am Schönheitsquell genug, 
Daß er noch Flitterſtaat begehre? 


Drum fort mit all dem Firlefanz! — 
Bei dir, du herrlichſte der Frauen, 


Will ich nicht fremden Schmuck und Glanz, 
Will ich nur dich — dich ſelbſt nur ſchauen! 


Sonne und Sterne. 


Moyhl ift es blendend, wenn ich ſpät 
Durch Tiflis' krumme Straßen gehe, 
Und rings, wohin das Auge ſpäht, 
Ein Labyrinth von Schönheit ſehe. 


Viel ſchlanke Jungfraun, weiß umhüllt, 
Geſpenſterhaft vorüberſchweben; 

Die Dächer und Balkone füllt 

Ein glänzend, zauberbuntes Leben. 


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Bald wird das Dach zum Piedeſtal, 
Geſchmückt mit Gruſiens jungen Schönen 


Bald gleicht es einem offnen Saal, 
Belebt von Tanz und Saitentönen. 


Und Schleier flattern, Tücher wehn, 

Es rauſchen ſeidene Gewänder; 

Auf Dächern und Balkonen ſtehn 

Die Fraun, gedrängt bis an's Geländer. 


Von Oben und von Unten bricht 

Ein zitternd Leuchten durch das Dunkel: 
Dort — Gruſiens helles Sternenlicht, 
Hier — dunkler Augen Sterngefunkel! 


Daß man nicht weiß, geblendet ganz 
Von all dem ſtrahlenden Gewimmel, 
Wo lieblicher der Sterne Glanz: 

Ob auf der Erde, ob am Himmel? — 


Doch fürchte nichts! ob ich auch ſpät 
Durch Tiflis' krumme Straßen gehe, 
Und rings, wohin das Auge ſpäht, 

So viele ſchmucke Mädchen ſehe: 


Im Herzen lebſt du doch allein! 
Du biſt die Sonne — ſie die Sterne; 
Ich freue mich am Sternenſchein 
Nur wenn der Glanz des Tages ferne. 


13* 


Ablchied vom Kaukalus. 


Die Gletſcher leuchten 
Im Mondenlicht, 
Und Thränen feuchten 
Mein Angeſicht. 

Die Stürme ſauſen, 
Die Möven ſchrein, 
Die Wogen brauſen, 
Ich denke dein! 


Das Land entſchwindet 

Schon fern dem Blick, 

Doch zu dir findet 

Mein Herz zurück; 

Ich will ihm Schwingen 

Des Liedes leihn, 

Es ſoll dir ſingen: 
Ich denke dein! 


Aus dem Suche Edlitam. 
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Uns eine lange Nacht war angebrochen. 
Es kamen wieder all der Gram, die Sorgen, 
Die ſchon verdunkelt meinen Lebensmorgen — 


Das Schickſal hielt mir nicht, was es verſprochen . 


Du warſt der erſte Stern in meiner Nacht — 
Sei auch der letzte! gleich dem Liebesfterne, 
Der, wenn die Sonne ihren Lauf vollbracht, 
Zuerſt ſein mildes Licht ſtrahlt aus der Ferne, 
Und auch der letzte Stern iſt in der Nacht! 


— 200 — 


Sie wühlte in den Tönen. 


Sie wühlte in den Tönen 

Und ſpielte und ſang mir vor, 
Es ſcholl der Geſang der Schönen 
Gar wunderſam in mein Ohr. 


Bald klang's wie laute Mahnung 
Vergang'ner, ſchöner Zeit, 

Und bald wie leiſe Ahnung 
Zukünft'ger Seligkeit. 


Wie Frühlingsluft umfächelte 
Mich ihres Mundes Hauch, 
Ich ſah ſie an und lächelte, 
Und ſie — ſie lächelt auch! 


O, laß dies Lächeln immer 
Um deine Züge gehn, 

Und lauſchend will ich immer 
Und ſelig bei dir ſtehn! 


Ständchen. 


Ich halte, Edlitam, 

Am Fenſter hier Wacht — 
Schon deckt die Gefilde 
Rings finſtere Nacht. 


Hier ſteh' ich allnächtig 
Und ſinge ein Lied — 
Und ſinge was mächtig 
Das Herz mir durchzieht. 


Von Lieben und Hoffen, 
Von Freude und Pein — 
Das Fenſter ſteht offen, 
Das Lied tönt hinein. 


Und ſchallen die Töne 
Zur Liebſten in's Haus, 
Dann ſteckt meine Schöne 
Ihr Köpfchen heraus. 


Sie reicht mir das Händchen 
Und giebt mir den Dank — 
Vorbei iſt das Ständchen, 
Es ſchweigt der Gefang . . 


— 22 — 


Süße Bettelei. 


Ein Bettler klopft ich bei dir an 
Um einen Kuß — du gabſt ihn mir! 
Ein Bettler kehrt' ich ein bei dir, 
Und kam hervor ein reicher Mann, 
So reich am höchſten Glück der Welt, 
Daß alles Gold und alles Geld 
Nicht ſolche Schätze kaufen kann! 


Doch, ob des Augenblicks Genuß 
Mein ganzes Leben auch verſchönt, 
Hat mich dein Geben ſo verwöhnt, 

Daß ich ſtets weiter flehen muß 
Um einen Kuß — und nimmer frei 
Wirſt du nun dieſe Bettelei 

Um einen Kuß! um einen Kuß! 


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— 203 — 


Mir träumte einſt ein ichöner Traum. 


Mir träumte einſt ein ſchöner Traum: 
Mich liebte eine blonde Maid; 

Es war im grünen Waldesraum, 

Es war zur warmen Frühlingszeit: 


Die Knospe ſprang, der Waldbach ſchwoll, 
Fern aus dem Dorfe ſcholl Geläut — 
Wir waren ganzer Wonne voll, 

Verſunken ganz in Seligkeit. 


Und ſchöner noch, als einſt im Traum, 
Begab es ſich in Wirklichkeit — 

Es war im grünen Waldesraum, 

Es war zur warmen Frühlingszeit: 


Der Waldbach ſchwoll, die Knospe ſprang, 
Geläut erſcholl vom Dorfe her — 


Ich hielt dich feſt, ich hielt dich lang — 


Und laſſe dich nun nimmermehr! 


O, frühlingsgrüner Waldesraum! 

Du lebſt in mir durch alle Zeit — 
Dort ward die Wirklichkeit zum Traum, 
Dort ward der Traum zur Wirklichkeit! 


— 204 — 


Tenn Küſſen, Mädchen, Sünde iſt, 
Bin ich ein großer Sünder, 

Und du, die mich ſo oft geküßt, 

Du biſt es dann nicht minder! 

Doch wenn das Kind die Mutter küßt, 
Die Mutter ihre Kinder — 

Und wenn's für die nicht Sünde iſt, 
So iſt's für uns noch minder! 


Okt ſinn' ich hin und wieder. 


Oft ſinn' ich hin und wieder: 
Was treibt mich zu ihr hin? 
Sind's ihre ſüßen Lieder, 
Oder iſt's ihr froher Sinn? 


Was hält mich ſo gefangen 
Wenn ihre Stimme ſchallt? 
Iſt's unbewußt Verlangen, 
rs ihres Aug's Gewalt? 


's iſt nicht der Wuchs, der ſchöne, 
Und nicht des Auges Strahl, 
Auch nicht die ſüßen Töne; 

's iſt Alles allzumal! 


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Verſtändigung. 


Mi: haben nicht Ringe gewechſelt, 
Das Herz zu legen in Banden; 
Wir haben nicht Phraſen gedrechſelt, 
Und haben uns doch verſtanden. 


Wir haben nicht Eltern, noch Sippen 
Dabei zu Rath gezogen — 

Es haben Herzen und Lippen 

Alleine Rath gepflogen. 


Ein Blick herüber, hinüber, 

Ein Kuß — ich hielt dich umwunden — 
Die Herzen floſſen uns über, 

Wir waren auf ewig verbunden. 


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Ich finge dich, liebes Klädchen, du! 


Ich ſinge dich, liebes Mädchen, du! 
Du Herrliche, du Süße! 

Dir jauchzen all meine Gedanken zu, 
All meine Liedesgrüße! 


Das Glück, das du mir im Leben beſcheert, 
Sing' ich im Liede wieder — 


Und iſt mein Singen auch deiner nicht werth: 


Du adelſt meine Lieder! 


Du funkelſt darin, wie ein Diamant, 
Mit wunderbarem Feuer, 

Und wären die Worte ſelbſt nichtiger Tand: 
Du machſt ſie werth und theuer! 


Wie das dunkele niedere Gras im Thal 
Vom nächt'gen Thau befeuchtet, 

Selbſt funkelt und blitzt in hellem Geſtrahl, 
Sobald die Sonne leuchtet. 


Dir jauchzen all meine Gedanken zu, 
Dir alle meine Lieder! 

Der Sonne gleich ſtrahleſt und lächelſt du 
Verklärend darauf nieder! 


— 207 — 


Beine Liebe it mein Himmel. 


Deine Liebe iſt mein Himmel, 
Den ich ſchon auf Erden gewann! 
Es hängen ſich meine Lieder 
Als goldene Sterne daran — 
Als goldene, leuchtende Sterne, 
Noch heller, als die drüben: 

O, möge nimmermehr 

Sich dieſer Himmel trüben! 


Deine Liebe iſt mein Himmel, 

Drin herrſcheſt du ganz allein! 

Führſt alle guten Gedanken 

Zu ewiger Seligkeit ein — 

Doch alle ſchlechten Gedanken: 

Sie werden vergeſſen, begraben; 
O, laß mich immerdar 
Nur gute Gedanken haben! 


Deine Liebe iſt mein Himmel, 
Drin wohnet all mein Glück! 
Aus deinem Herzen kommt es, 
Kehrt in dein Herz zurück — 
Zurück durch meine Lieder, 
Die alle zu dir ſich wenden. 
O, was durch dich begann: 
Laß es durch dich nie enden! 


— 208 — 


Ablchiedsworte. 


Noch einen Kuß! bevor ich geh', 
Noch einen Kuß! und dann Ade! 


Nun weine nicht, und klage nicht! 
Vergräme deine Tage nicht! 

Wir denken nicht an Trennungswehn, 
Wir denken nur an Wiederſehn! 


Die ſchlanke, liebliche Geſtalt, 

Das Haar, das blond zum Nacken wallt, 
Das blaue Aug', der treue Blick: 

Von Allem trennt mich mein Gefhid. . . 


Doch ob du lächelſt, ob du weinſt, 
Ob trüb du oder heiter ſcheinſt: 

Es lebt genau dein Bild und Wort 
Des Abſchieds mir im Herzen fort! 


Drum: ſoll dein Bild ſtets froh und rein 
Lebendig meinem Geiſte ſein, 

So weine nicht und klage nicht, 
Vergräme deine Tage nicht! 

Wir denken nicht an Trennungswehn, 
Wir denken nur an Wiederſehn! 


2 


2 — —-— 


* 


Auf der eile. 


„Nun leb wohl, Glück auf die Reifel« 


— Danke! Grüß' von mir zu Haus! — 


Und auf eiſernem Geleiſe 
Rollend, ſchnaubt der Zug hinaus. 


Daß die Nähe ſchnell zur Ferne, 
Fernes nah im Zuge wird; 
Weilte oft das Auge gerne, 
Wo es nur im Fluge irrt. 


Alſo wechſeln vielfach täglich 
Berge, Thäler, Wald, Gefild — 
Nur ein Bild ſteht unbeweglich 
Ueber mir: — der Sonne Bild! 


Viele Menſchen gehn und kommen, 
Drängen ſich herein, hinaus; 

Hat der Eine Platz genommen, 
Springt der Andre wieder aus. 


Und in jedem Dorfe, Städtchen, 
Hübſche Mädchen, ſchmucke Fraun — 
Schmucker Frauen, hübſcher Mädchen 
Giebt es viel in deutſchen Gaun. 


Doch ſie kommen, ſchwinden täglich 
Mir, wie Berg, Thal, Wald, Gefild 
Nur Ein Bild ſteht unbeweglich 
Stets vor mir: Dein liebes Bild! 


F. Bodenſtedt. IX. 


14 


— 4 — 


O, ſieh die Perlen auk der Schnur 


O, ſieh die Perlen auf der Schnur, 
In lichtem funkelndem Geſtrahl — 
Zerreiß das ſeidne Fädchen nur: 

Die Perlen fallen allzumal! 


Du ſiehſt ſie fallen, ſuche nur 

Und ſammle ſie mit emſger Hand — 
Zerriſſen ift die ſeidne Schnur 

Die alle ſchön zuſammenband. — 


Und was in meinen Liedern klingt, 
Und meine ganze Herzenswelt: 

Du biſt's, um die ſich Alles ſchlingt, 
Die Alles ſchön zuſammenhält. 


O halte feſt, zerreiße nicht! 

Die Perlen fallen mit der Schnur — 
Und nur durch dich lebt mein Gedicht, 
Und auch durch dich ich ſelber nur! 


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— 211 — 


Die Welt geht aus den Fugen. 


(1848.) 


Die Welt geht aus den Fugen, 
Die Zeit naht der Zerſtörung; 
Durch alle Lande ſchlugen 
Die Flammen der Empörung: 
Doch mag das All zertrümmern, 
Aufgehn die Welt in Flammen: 
Wir ſchauen lächelnd zu! 
Wir laſſen's uns nicht kümmern, 
Wir halten feſt zuſammen, 
Edlitam! ich und du! 


Es jubelt rachetönig, 
Es jauchzt in wildem Hohne — 
Kein Kaiſer und kein König 
Sitzt ruhig auf dem Throne; 
Nur uns erwächſt kein Schaden: 
Was mich geplagt und kränkte, 
Schmilzt jetzt in Liebe hin, 
Für dich, von Gottes Gnaden 
Des Herzens unumſchränkte 
Alleingebieterin! 


14 * 


— 22 — 


Es ſtrebt die Welt nach Spaltung 
Und trotziger Verneinung — 
Wir ſtreben nach Erhaltung 
Und liebender Vereinung! 
Du biſt das Heil der Welt mir, 
Mir eine Welt des Heiles: 
Dir jauchz' ich ſelig zu! 
Mein ſchönes Loos gefällt mir, 
Komm her mein Kind und theil es, 
Herzliebes Mädchen du! 


(1862.) 


Tum Heiligthum wird uns der Garten, 
Heilig das kleinſte Stückchen Land, 

Wo wir der Blumen liebend warten, 
Die wir gepflanzt mit eigner Hand. 

Ob in den Gärten rings umher 

Auch andre Blumen ſtolzer prangen: 
Doch die uns ſelber aufgegangen, 

Die eignen Blumen freun uns mehr. 


Wir ſehn im Lenz die Blätter ſprießen, 
Die künft'ge Roſe ahnungsvoll 

In zarter Knospe ſich verſchließen, 

Die herrlich ſich entfalten ſoll. 

Und der verwelkte Roſenſtrauch, 

Deß Duft und Glanz uns einſt entzückte, 
Als ihn die Pracht des Sommers ſchmückte, 
Bleibt theuer uns im Herbſte auch. 


So kann auch Liebe nicht vergeſſen, 

| Ob ihre Jugend längſt verblüht, 

1 Was ſie an jungem Glück beſeſſen, 

1 Der Duft und Glanz lebt im Gemüth, 
Und was der Winter auch verweht: 

EL Die Zeit des Knospens und des Glanzes, 
9 Bleibt uns im Geiſt als ſchönes Ganzes, 
Wir wiſſen, daß es neu erſteht. 


— 214 — 


Mag mehr und mehr das Alter geizen 
Mit dem was Jugend reichlich beut 

An äußern Gaben, holden Reizen — 
Wer ſich bewährter Liebe freut, 

Behält ihr beſtes Theil zurück. 

Was außen welkt, erblüht im Innern, 
Das Herz bleibt jung und ſein Erinnern 
Bewahrt uns das vergangne Glück. 


Die holden Knospen, unſre Kinder 
Sind ſchon der Zeit der Blüthe nah, 
Und du biſt reizvoll mir nicht minder 
Heut, als du warſt da ich dich ſah 

Im Myrthenkranz am Hochzeitstag. 
Magſt andern Augen älter ſcheinen, 
Jung wie du warſt erſcheinſt du meinen, 
Was auch die Zeit dir bringen mag. 


Von der Nordſer. 


(1864.) 


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Die Seemufchel. 


Is hielt die große Muſchel an's Ohr, 
Die lange ſchon vom Meer entfernte; 
Sie ſummte mir alte Weiſen vor 

Die weiland ſie im Meere lernte. 

Sie ſang von nächtiger Wogenglut, 
Von Blumen, die tiefunten ranken, 
Derweilen hoch in Sturmesflut 

Die Maſten krachen und die Planken. 
Sie ſang von Schätzen auf dem Grund, 
Bewacht von grimmen Ungeheuern; 

Von Geiſterſchiffen, die im Bund 

Mit unheilvollen Mächten ſteuern; 

Von Schiffern, die das Meer verſchlang 
Schon nahe der erſehnten Landung... 
Bald ſcholl's wie tauſendſtimmiger Sang, 
Bald wie das Donnern ferner Brandung. 
Und bunte Bilder tauchten auf, 

Die ſich mir ſelbſt einſt offenbarten, 
Als ich in junger Jahre Lauf 

Umtrieb auf fernen Meeresfahrten. 

Und wieder zog's mich hin zum Meer 
Gewaltſam wie mit Geiſterhänden; 

Mich drücken lange Leiden ſchwer, 

Die Salzflut ſoll mir Heilung ſpenden. 
O Meer, laß deinen ewigen Born 

Des Lebens neu ſich mir erſchließen! 


— 218 — 


Laß deines Ueberfluffes Horn 

Ein Theilchen auch auf mich ergießen! 
Erhebe den gebeugten Muth, 

Mein Leid laß fortwehn mit den Winden — 
Laß mich in deiner Segensflut 

Die Perle der Geſundheit finden! 


2. 
Gruß an das leer. 


Gürtel der Erde, 
Spiegel des Himmels, 
Urborn des Lebens, 
Wogende Meerflut, 
Sei mir gegrüßt! 


Hell glänzt mein Auge 
Bei deinem Anblick, 
Friſch wieder athm' ich 
Bei deines Odems 
Löſendem Hauch. 


Göttergeſchlechtern 
Wurdeſt du weiland 
Wiege und Grabmal — 
In deiner Tiefe 

Webt noch ihr Geiſt. 


— 219 — 


So biſt du wechſelnd 
Schlachtfroh wie Odin, 
Tückiſch wie Loki, 
Freundlich wie Baldur, 
Stürmiſch wie Thor. 


Deiner Gewalten, 
Deiner Zerſtörung 
Furchtbare Spuren 
Prägen der Veſte 
Dauernd ſich ein. 


Aber du ſelber 
Duldeſt nicht Spuren 
Ird'ſcher Gewalten — 
Unüberwindlich 

Bleibt deine Macht. 


Schiffe verſchlingſt du, 
Trotzige Menſchen 
Die mit dir kämpfen, 
Beutſt du der Tiefe 
Thieren zum Fraß. 


Doch die dich lieben, 
Die dir vertrauen, 
Finden dich huldvoll — 
Leidenden beutſt du 
Heilende Kraft. 


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Alles auf Erden 
Altert und wechſelt — 
Du aber bleibſt in 
Jugend und Friſche 
Immer dir gleich. 


Gürtel der Erde, 
Spiegel des Himmels, 
Urborn des Lebens, 
Wogende Meerflut, 
Sei mir gegrüßt! 


3. 


Perſtimmung. 


I ging hinaus an's öde Meer, 
Schwer wogt es her und hin, 

Und Wind und Welle ſcholl ſo leer, 
So hohl, ganz ohne Sinn. 


Ich wanderte auf und ab am Meer, 
Trüb war mein Herz und Sinn — 
Viel Muſcheln lagen am Strand umher, 
Doch keine Perle drin! 


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— 21 — 


4. 
Dämmerung. 


Roth ſäumt die dunkle Wolkenwand 
Sich an des Meeres fernem Rand 
Im Abendſchein. 


Der Tag hat ſeinen Lauf vollbracht 
Und hüllt ſich königlich zur Nacht 
In Purpur ein. 


Doch kalt iſt dieſer Purpurglanz — 
Schon trübt er ſich — bald wird er ganz 
Verſchwunden ſein. 


— 


5 


Es ruht das Meer in Sabbathruh. 
Fernher vom Dorf ſchallt Feſtgeläute, 
Der Himmel ſtrahlt dem Eiland heute 
All ſeinen Glanz und Frieden zu. 


Es ruht das Meer in Sabbathruh. 
Nur leiſe tönt der Brandung Schäumen. 
Ich ſitz' allein in ſchönen Träumen, 
Durch meine Träume wandelſt du! 


6. 
Un Mitternacht ging ich hinaus an die See, 
War ganz allein. 
Es brachen die Wellen ſich weiß wie Schnee 
Im Mondenſchein. 
Mir zog durch's Herz ein ſehnend Weh, 
Ich dachte dein! 


Der Seeadler. 


Jo wandelte früh am Strande, 
Gebeugt den Kopf und Sinn, 
Da ſchwebte auf dem Sande 
Ein Schatten um mich hin. 


Als ich den Blick erhoben 
Zu ſpähen was es war, 

Wiegt über mir hochoben 
Sich ſtolz ein Meeresaar. 


Auf weitgeſpannten Schwingen 
Schwebt' er in hehrer Ruh, 
Doch ſeine Bahnen gingen 
Lichtwärts, der Sonne zu. 


Die Augen mit ihm ſchwangen 
Sich auf in's Aethermeer — 
Aus dumpfem Brüten ſprangen 
Gefühle licht und hehr. 


Verſchwunden war der Schatten 
Des Adlers wie ein Hauch, 
Und, die gebeugt mich hatten, 
Des Geiſtes Schatten auch. 


— 223 — 


8. 
An das Kleer bei nächtlichem Teuchten. 


Mlan verſteht dich im Glanze des Tages nicht, 
Man verſteht dich nur bei der Nacht, 
Wenn die Welle leuchtet von eigenem Licht, 
Wenn das innerſte Leben erwacht; 

Wenn des Mondes Silber, der Sonne Gold, 
Verſunken in der Flut, 

Aus dem Abgrund wieder zur Höhe rollt 
In neuberklärter Glut. 

Da rauſcht's herauf, da wogt's empor, 

Da hört man's klingen und ziehn, 

Die Geiſter der Tiefe ſingen im Chor 
Uralte Melodien: 

Von Götterzorn und Rieſenkampf, 
Drachen- und Schlangenbrut, 

Von Schlachtjungfrau'n und Roßgeſtampf, 
Sturmes und Menſchenwuth. 

Mit Feuerzungen im Dünenſand 

Saugt ſich die Woge ein, 

Es zittert rings um's Inſelland 

Ein geiſterhafter Schein. 

Die Flut wogt ſchimmernd auf und ab 

Im ewigem Wechſellauf — 

Eine Welle wird der andern Grab 

Und neu taucht jede auf, 

Voll unruhvollen Strebens, 

Voll Sehnſucht ungeftillt, 

Ein Bild des ewigen Lebens 

Das aus der Tiefe quillt. 


ee 


Norderney. 


An „ l . 


Auf Meeresfahrten ſah ich weiland 
Der Inſeln mancherlei, 
Doch nie kam ein ſo ödes Eiland 
Mir vor wie Norderney. 


Das Meer wälzt um die nackten Dünen 
Sich ſchwer und grau wie Blei; 

Die Blumen blühn, die Bäume grünen 
Nie friſch auf Norderney. 


Stark ſind die biedern Inſelſöhne, 
Fiſchblütig auch dabei, 

Doch Feueraugen, Frauenſchöne 
Sind fremd auf Norderney. 


Nur fernher zog mir, holden Scheines, 
Manch ſchönes Bild vorbei, 

Und zu den liebſten zähl' ich deines, 
Denk' ich an Norderney. 


Berlin, gedruckt in der Königlichen Geheimen Ober + Hofouchbruderei (R. d. Decker). 


Friedrich Bodenſtedt's 


Seſammelte Schriften. 


Zehnter Band. 


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Friedrich Bodenſtedt's 


Geſ ammelte Schriften. 


Gesammt- Ausgabe 


zwölf Bänden. 


Zehnter Band. 


Berlin 


Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei 
(R. v. Decker). 


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Alte und neue Gedichte 


von 


Friedrich Bodenſtedt. 


S weiter Band, 


Erzählende Dichtungen. 


Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei 
(R. v. Decker). 


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IV. Bereinung und Trmmung ... . os 111 

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— Zar = nn. 


Es war ein Fürſt im Morgenland, 
Durch Macht und Ehren weit bekannt; 
Viel Gold und Gut war ihm beſcheert, 
Doch Eins hielt er vor Allem werth: 
Das war ein Edelfalk, ich glaube 
Nicht größer viel als eine Taube, 
Doch ſo beſchwingt, daß ihn ſein Flug 
Bis zu den höchſten Sternen trug; 
Ein Falk von ſeltner, hoher Art, 

Mit wunderbarer Kraft gepaart, 
Davon im Land geheimnißvoll 

Manch Lied und manche Sage ſcholl. 
Einſtmals geſchah's, daß Kriegesnoth 
Den Fürſten und ſein Land bedroht; 
Da nahm er Panzer und Geſchoß, 
Beſchied ſein Heer, beſtieg ſein Roß — 
Doch, eh' er ſchied von Land und Haus, 
Wählt er den treuſten Diener aus 
Und ſetzt ihn ein zum Hüter 

All ſeiner Macht und Güter; 

Vertraut dem vielbewährten Mann 
Sogar den edlen Falken an. 


OT 


»Behüt ihn wohl, ſprach er, Du weißt, 
Auf Deine Treu zähl ich zumeiſt; 

Du weißt, daß über alle Schätze 

Ich dieſen edlen Falken ſetze — 

Drum hüt' ihn, wie Dein eignes Leben, 
Das ſoll für ſein's mir Bürgſchaft geben. 
Sollt' er entfliehen oder ſterben, 

Es wär' Dein eigenes Verderben!“ 
Drauf ritt mit ſeinen Mannen 

Zum Kampf der Fürſt von dannen. 

Im Schloß blieb nun allein zurück 

Der treue Selim; doch ſein Glück 
Erweckt ihm Mißgunſt, Neid und Haß. 
Man murmelt dies, man murmelt das. 
Warum — ſprach man — ſoll er allein 
Des Fürſten Freund und Liebling ſein? 
Sind wir nicht ganz ſo treue Knechte 
Wie er — thun wir nicht auch das Rechte? 


Doch lang, trotz allem Rath und Sinnen, 
Sie wußten nicht, was zu beginnen. 

Da trat ein alter Mann hervor 

Und ſprach: »Nun leiht mir Euer Ohr! 
Habt Ihr den Zaub'rer ganz vergeſſen, 
Der einſt des Fürſten Gunſt beſeſſen, 
Ihn ganz gelenkt nach ſeinem Sinn, 

Wie Selim jetzt? Zu dem geht hin! 
Der in Vergeſſenheit und Schmach 

Durch Selim lebt, er trägt's ihm nach; 
Er wird Euch ſagen, was Euch nöthig, 
Iſt gern zu Rath und That erbötig.« 
Sie gingen, wie der Alte rieth, 

Zum Zaub'rer, der ſie ſo beſchied: 


nn 


RER 


a 


»Euch kund ift, Selim hat ein Weib, 
Von Jahren jung und ſchön von Leib; 
Allein verſchloſſen iſt ihr Schooß, 

Doch iſt kein Weib gern kinderlos. 

Ich weiß ein Mittel, deſſen Kraft 

Dem ält'ſten Weib ſelbſt Kinder ſchafft; 
Wollt Ihr das Mittel ihr erwerben, 

So iſts ihr Glück und fein Verderben. 


— Wir wollen! Sag Dein Mittel! 


» Gern! 
Das iſt der Edelfalk des Herrn. 
Wenn der gerupft wird und gebraten, 
Thut er im Tod noch Wunderthaten; 
Denn alles Segens Fülle ſprießt 
Dem Weibe, das davon genießt, 
Und blüh'nde Kinder wird ſie haben, 
Nach Wunſch ganz, Mädchen oder Knaben.« 


Da wunderten ſich Alle höchlich: 

— Wohl iſt ſolch Falkenzauber möglich; 
Doch lebt der Falk in Selim's Hut, 
Ihm anvertraut als heilig Gut; 

Er wahrt ihn, wie den eignen Leib, 
Wer könnt' ihn rauben? — 


»Selim's Weib!« 


— Sie ſelbſt weiß nicht, wo er geborgen. — 


»Das zu erfahren wird ſie ſorgen, 
Erfährt ſie, welche Wunderkraft 
Der edle Falk im Tode ſchafft.« 


a ee 


— In Treue liebt fie ihren Mann 
Und weiß, ſein Leben hängt daran! — 


»Mit der Gefahr wächſt das Begehren, 
Sie iſt ein Weib, laßt fie gewähren !« 
= 


Und fo geſchah's. Zur ſelben Stunde 
Ward die geheimnißvolle Kunde 

Dem Weibe Selims hinterbracht; 

Und nun fand ſie bei Tag und Nacht 
Nicht Raſt noch Ruh; ihr ganzes Sinnen 
War nur, den Falken zu gewinnen. 
Mit Liebkoſung und Schmeichelei'n 
Drang ſtündlich ſie auf Selim ein, 
Den edlen Falken ihr zu zeigen, 

Dem ſolche Wunderkraft zu eigen. 
Doch unerbittlich blieb der Mann: 
»Du weißt, mein Leben hängt daran. « 


— Ein Falke ſtirbt doch nicht vom Seh'n; 
Dir ſoll kein Leid's darum geſcheh'n. 
Es ſoll kein Menſch davon erfahren. — 


»Ein Weib kann kein Geheimniß wahren! « 


— Wenn Du mir Dein Vertrau'n nicht ſchenkſt, 
Liebſt Du mich nicht! — 


»Mehr, als Du denkſt! 
Ich liebe Dich, wie meine Pflicht, 
Nur Deine Neugier lieb' ich nicht.“ 


— Die Liebe wurzelt im Vertrau'n — 


»Auf meine Liebe kannſt Du bau'n, 
Doch meine Treu und mein Verſprechen 
Kann ich aus Liebe ſelbſt nicht brechen.“ 


— So nenn' mir wenigſtens den Ort, 
Wo Du den Falken birgſt — 


»Kein Wort 
Verräth Dir ſeinen Aufenthalt, 
Sonſt wüßten's alle Leute bald, 
Und mit dem unvorficht'gen Wort 
Flög' leicht der Falke ſelber fort. 
Den Tod verdient' ich für die Schuld. 
Drum hab' ein wenig noch Geduld: 
Wenn Du jetzt Deine Neugier ſtillſt, 
Sollſt Du ihn ſeh'n, ſoviel Du willſt 
Gleich nach des Fürſten Wiederkehr. 
Bis dahin dränge mich nicht mehr!« 


Ajuſcha brach in Thränen aus, 

Ihr Wehgeſchrei erfüllt das Haus 

Von früh bis ſpät — ſie fand nicht Schlummer 
Noch Ruhe mehr vor Gram und Kummer. 
Umſonſt ſucht Selim ſie zu tröſten, 

Vor ihm zeigt ſich ihr Schmerz am größten. 
Sie ſchien im Laufe weniger Tage 

Ganz zu vergeh'n vor Weh und Klage: 


— Kann ich nicht Dein Vertraun exwerben, 
Sprach ſie, ſo will ich lieber ſterben! 

Der Falke ſtört nicht meine Ruh, 

Du biſt's, der mich in's Grab bringt, Du! 
So fühllos neben mir zu wandeln, 

Und wie ein Kind mich zu behandeln, 


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Es ift zu arg! Wann zeigt' ich mich 
Jemals voll Mißtraun gegen Dich? 

Wann zeigt ich mich je ungeduldig 
Wann ſchwatzhaft? Du allein biſt ſchuldig 1. 
Wenn ich mich jetzt zu Tode quäle; 

Mein Unglück kommt auf Deine Seele! — 


Ihr Klagen rührte Selim ſehr, 

Sein Herz war, wie das ihre, ſchwer; 
Doch hielt er feſt an ſeiner Pflicht, 
Und ſein Geheimniß brach er nicht. 


So ſchwanden Tage hin ud Wochen; 
Ajuſchas Kraft war ganz gebrochen, 
Getrübt der hellen Augen Licht, 
Verweint das holde Angeſicht; 

Von ihren Wangen ſchwand die Röthe, 
Selim ſah, daß der Gram ſie tödte, 
Und mit geängſtigtem Gemüthe 
Sucht' er, daß er ihr Leben hüte. 
Ihr Weinen und ihr Klagen 

Konnt' er nicht länger tragen. 

Treu liebt' er ſie, ſein eignes Leben 
Hätt' er für ihr's gern hingegeben. 
So trat er freundlich zu ihr hin: 


»Erheitre Deinen Blick und Sinn; 

Nicht länger kann ich widerſteh'n, 

Mag, was da will, mir auch geſcheh'n! 
Du biſt mein Liebſtes mir auf Erden, 
Und was Du wünſcheſt, ſoll Dir werden. 
Willſt Du den Edelfalken ſeh'n, 

So folge mir, es ſoll geſcheh'n! 


8 


Ja, wüßt' ich, daß Du könnteſt ſchweigen, 
Gern gäb' ich Dir ihn ganz zu eigen! 
Wohl findet ſich ein and'rer leicht, 

Der ihm an Wuchs und Farbe gleicht. 
Hat er auch nicht die Eigenſchaften, 

Die an des Fürſten Falken haften: 

So ſchnell wird man es nicht gewahren; 
Und, ſollt' es auch der Fürſt erfahren, 
Was ich aus Liebe zu Dir that: 

Es ſei darum: kommt Zeit, kommt Rath! 


Verſchwunden war Ajuſcha's Gram, 
Da ſie des Gatten Wort vernahm; 
Ihre weißen Arme ranken 

Sich um ihn, ihm zu danken. 

Und er eilt heimlich und verſtohlen 
Zum Schloß, den Falken ihr zu holen. 


Es währt die Zeit gar wunderſam 
Ihr lange, bis er wiederkam. 


»Hier bring’ ich Dir das edle Thier, 
Sprach er, »nun hör' ein Wort von mir: 
Was nach dem Falken Dein Verlangen 
Geweckt, mir iſt es nicht entgangen. 

Du hörteſt von der Wunderkraft, 

Die dieſer Falk im Tode ſchafft; 

Du wünſcheſt Dir — und ich nicht minder! — 
Durch ſeinen Zauberſegen Kinder: 

Drum hab' ich, um nichts zu verrathen, 
Ihn gleich gerupft und ſelbſt gebraten N 
Und ſeine Federn gleich verbrannt, 


Bis jede Spur davon verſchwand, 
F. Bodenſtedt. X. 2 


. 


Daß uns kein Leid begegne 

Und Gott den Leib Dir ſegne. 

Genieß' den Falken ohne Säumniß, 

Doch treu bewahre das Geheimniß! 

Denn kommt ein Wort zu fremden Ohren 
Von meinem Thun — bin ich verloren. 
Jetzt ruft des Tages Pflicht mich fort, 
Gehab Dich wohl, und ſprich kein Wort!« 


Ajuſcha ſchwur mit tauſend Schwüren, 
Den Mund zum Eſſen nur zu rühren 
Und ihre Zunge wohl zu zügeln. 

Sie hielt den Falken bei den Flügeln 
Und ſah mit wunderſamer Gier 

Auf das gebrat'ne, zarte Thier, 

Um erſt den Blick daran zu weiden. 
Dann fing ſie an, es zu zerſchneiden. 
Ihr war, eh' ſie davon geſchmeckt, 
Als ſei der Zauber ſchon geweckt; 
Und eh' ein Augenblick verfloſſen, 
War ſchon ein Flügel ganz genoſſen. 


Sie fand den Braten fein und zart, 

Es war ein Falk von ſelt'ner Art! 

Jetzt ſchneidet ſie das Herz heraus, 

Ihr dünkt's ein wahrer Götterſchmaus. 
So nimmt ſie ein Stück nach dem andern, 
Und ihre trunk nen Blicke wandern 
Prophetiſch in die künft'ge Zeit, 

Sie ſchwelgt in Glück und Seligkeit; 

Von Kindern ſieht ſie ſich umringt, 


Das hüpft und ſpringt und lärmt und ſingt 


— DR 


Sie giebt der Freude laute Worte, 
Da — plötzlich öffnet ſich die Pforte: 
In's Zimmer, mit behendem Schritt, 
Ajuſcha's Freundin, Selma, tritt. 


Ajuſcha ſucht den Reſt vom Braten 
Zu bergen, um nichts zu verrathen. 
Wohin damit? Schnell in die Taſche! 
Doch Selma fragt, was ſie da naſche. 


Sie wird verlegen, ſtottert — 


Nein, 
Sprach Selma, ſoll das Freundſchaft ſein? 
Du kommſt mir vor, wie umgewandelt; 
Wann haſt Du je mich ſo behandelt? 


»Ich darf nicht reden ... « 


— Nun, ſo ſchweige, 
Doch, was Du da verſteckt haſt, zeige — 


»Ich darf nicht! 


— Nun, wohlan, ich gehe, 
Daß Dich mein Aug' nie wiederſehe! 
Sonſt kamſt Du ſtets auf halben Wegen 
Mit offnen Armen mir entgegen, 
Und heut — kaum zeig' ich mein Geſicht, 
Thuſt Du, als kennteſt Du mich nicht. — 


„O, wüßteſt Dul« 
2 * 


— Ich will nichts wiſſen! 
Doch unſ're Freundſchaft iſt zerriſſen. — 


„So bleib doch!“ 
— Nein, ich ſtöre Dich. — 


»Ein tief Geheimniß bindet mich; 

Du weißt, die Wände haben Ohren, 
Sag' ich ein Wort, bin ich verloren; 
Sonſt ſollt'ſt Du Alles gleich erfahren! 


— Du brauchft mir nichts zu offenbaren. 
Die Neugier iſt mein Fehler nicht. 

Hielt ich's auch ſtets für meine Pflicht, 
Mein ganzes Herz Dir zu entfalten, 
Nichts, nichts vor Dir geheim zu halten, 
Da wir ſeit frühſten Kinderjahren 

Ein Herz und eine Seele waren, 

Du meine beſte Freundin ſchienſt — .. 


»Verlange jeden and'ren Dienft.« 
— Nein, nichts! Leb' wohl, auf ewig wohl! — 


Es klang das Wort ſo ſchrill und hohl, 
Und Thränen netzten Selma's Wangen, 
Da ſie in Trauern fortgegangen. 


Ajuſcha trug's nicht länger mehr, 
Sie rief ihr nach, lief hinterher 
Und führte ſie zurück in's Haus, 
Erzählt' ihr Alles rund heraus 


. — 


Und ſchloß: »Nun iſt Dir offenbar, 
Warum ich ſo verſchwiegen war.“ 


Voll Staunen an Ajuſcha's Munde 
Hing Selma bei der Wunderkunde; 

Ihr Herz ſchlug laut, ſie wagte kaum 
Zu athmen, ihr war's wie ein Traum. 
Und als die Freundin war zu Ende, 
Küßt ſie ihr Stirne, Mund und Hände: 


Dank, Dank Dir, Deine Lieb' iſt groß, 
Ich ſeh' es wohl; doch kinderlos 

Bin ich, wie Du, darum nicht minder, 
Freundin, wie Du, wünſch' ich mir Kinder. 
Ajuſcha, Seele meiner Seele! 

Verzeih' mir, daß ich Dich ſo quäle, 

Gieb von dem Falken mir ein Stück, 

Daß mir's gedeih' zu Mutterglück! — 


So brünſtig war der Freundin Fleh'n, 
Ajuſcha kann nicht widerſteh'n; 
Sie reicht ihr einen ganzen Flügel: 


»Doch halt' die Zunge wohl im Zügel, 
Denn kommt es zu der Leute Ohren, 
Du weißt es ſelbſt, find wir verloren! 


Es war, eh' noch das Wort verklungen, 
Der ganze Flügel ſchon verſchlungen; 
Vortrefflich ſchien er ihr zu ſchmecken 
Und ſüße Hoffnung zu erwecken. 


So ſaßen lange noch die Beiden; 
Doch endlich mußte Selma ſcheiden. 


a u: 


Ajuſcha ſprach: »Verrathe nichts!e 

Und Selma, fröhlichen Geſicht's, 
Schwur tauſend Mal, mit Herz und Mund, 
Zu wahren den geheimen Bund. 


Träumend von ihrer Zukunft Glück 
Ajuſcha blieb allein zurück, 

Indeſſen Selma unverweilt 
Beſchwingten Schritts nach Hauſe eilt. 
Das Herz iſt ihr von Glück ſo voll, 
Sie weiß nicht, wie ſie's bergen ſoll. 
Und eh' ſie heimkommt, auf den Wegen 
Tritt eine Freundin ihr entgegen; 
Die bleibt neugier'gen Blickes ſteh'n, 
Selma ſo hochvergnügt zu ſeh'n. 


„»So froh ſah ich Dich nicht ſeit Jahren! 
Welch' Heil iſt Selma widerfahren?“ 


— ſ iſt ein Geheimniß, das ich nicht 
Verrathen darf! — 


Die And're ſpricht: 
»Wozu dies räthſelhafte Weſen? 
Auf Deiner Stirn iſt klar zu leſen, 
Was ganz umſonſt Dein Mund verſchweigt.“ 


— So ſag' mir, was die Stirn Dir zeigt! — 


»Dir ſelber brauch' ich's nicht zu ſagen, 
Doch Andern ſag' ich's, wenn fie fragen.« 


Das Wort fällt Selma auf's Gewiſſen; 
Sie ſagt ſich ſelber: Wer kann wiſſen, 
Ob fie die Mähr vom Falkenbraten 


P 


A ee 


Nicht wirklich halb und halb errathen? 

ss iſt beſſer, ganz fie einzuweih'n, 

Als fo in Angſt und Sweifel fein, 

Und iſt's nicht ſchmählich, wenn die Frauen 
Einander ſelber nicht recht trauen? 


Auf Selma lag's zu ſchwer, ſie mußte 
Vom Herzen wälzen, was ſie wußte. 
Sie nahm die Freundin mit in's Haus 
Und ſagt ihr Alles rund heraus. 


»Doch ſchweig! die Wände haben Ohren, 
Verräthſt Du mich, bin ich verloren.« 


— Trau mir, wir wollen zeigen, 
Daß Frau'n auch können ſchweigen! — 


Sie ging, und eh' der Tag entfloh'n, 
Flüſtert's das Laub im Walde ſchon. 
Das freute Selims Feinde ſehr, 

Den alten Zaub'rer noch viel mehr. 
Er ſprach: Die Bäume haben Zungen; 
Der Falkenzauber iſt gelungen! 


Es ſagten's im Vertrauen 

Den Männern ihre Frauen, 

Den Brüdern ſagten's ihre Schweſtern, 

Die Vögel ſangen's in den Neſtern. 

Laut durch die Welt, von Mund zu Munde, 
Scholl die geheimnißvolle Kunde. 

Es hört's der Fürſt im Schlachtgewimmel, 
Und heimwärts ſpornt er ſeinen Schimmel, 
Auf keine Troſtesſtimme hörend 

Und Selim grimme Rache ſchwbrend. 


A en: 


Umdüſtert war ihm Aug' und Sinn, 
Der Falk, ſein Lebensglück, war hin. 
Schmerz nagt in ihm und bitt're Reue, 
Daß er gebaut auf Selims Treue: 


Wie waren Alle wohlberechtigt 

— Rief er — die mir ihn ſtets verdächtigt! 
Sie ſollen Dank und Lohn erwerben, 

Doch er ſchmachvollen Todes ſterben. 


Und wie er heimzieht, auf den Wegen 
Kommt ihm der Zaub'rer ſchon entgegen, 
Wirft ſich vor ihm auf's Angeſicht 

Und fleht: 


Beſtrafe Selim nicht! 
Er iſt ein Menſch, wir fehlen Alle; 
Wohl Mancher hätt' in gleichem Falle 
Gethan wie er; wer kann dem Fleh'n 
Geliebter Weiber widerſteh'n? 


Allein der Fürſt fiel zornig ein: 


Sprich nicht von Gnad' und von Verzeih'n! 
Wer um ein Weib mir bricht die Treue 
Dem trau’ ich nimmermehr auf's. Neue. 

Ich lieh' dem Falſchen Herz und Ohr, 

Zog unverdient ihn Allen vor; 

Ich liebt' ihn wahr und herzlich, 

Drum ſoll er's büßen ſchmerzlich. 

Dich aber hab' ich ganz verkannt, 

Du biſt der beſte Mann im Land, 

Da für den eignen Feind Du bitteſt, 


ee 


Um den Du Schmach und Unbill litteft. 
An Selims Statt will ich Dich ſetzen, 
Belohnen Dich mit Land und Schätzen, 
Als Richter ſoll er Dich erkennen, 

Vor allem Volk ſoll er verbrennen. 
Doch eh' die Flammen ihn umlodern, 
Sollſt Du zur Rechenſchaft ihn fodern, 
Und hören will ich ſelbſt und ſeh'n, 
Wie der Verräther wird beſteh'n 

Vor Deinem Blick, was er wird ſagen. 
Jetzt laß ihn gleich in Feſſeln ſchlagen; 
Im Kerker halt' ihn wohlgeborgen. 
Lebwohl! Wir ſeh'n uns wieder morgen! 


Nun ward von des Palaſtes Stufen 

Die Macht des Zaub'rers ausgerufen 

Vor allem Volk, und Selim ward 

Gefeſſelt und gebettet hart. 

Er aber trug ſein Mißgeſchick 

Mit feſtem Sinn und klarem Blick. 

Und wie Ajuſcha noch umklammert 

Den Scheidenden und ſchluchzt und jammert, 
Sprach er: 


»Die Strafe iſt gerecht, 
Ich war ein ungetreuer Knecht. 
Die Strafe ward vorher verkündigt, 
Ich büße nur, was ich geſündigt« — 


Die Nacht ſchlich hin in Weh und Sorgen, 
Und der verhängnißvolle Morgen 

Brach an. Früh kam in bunten Wogen 
Das Volk zum Richtplatz angezogen. 


Em, 


Der Scheiterhaufen ward errichtet, 

Aus dürrem Holz hoch aufgeſchichtet 

Im Hof vor des Palaſtes Erker. 

Drauf führt man Selim aus dem Kerker, 
Um zum Verhör ihn zu geleiten 

Vor ſeinen Richter, der zur Seiten 

Des Fürſten dicht beim Throne ſaß 

Und Selim grimmigen Blickes maß: 


» Dein Todesurtheil iſt geſprochen; 

Doch iſt der Stab noch nicht gebrochen, — 
Was vor den Schranken des Gericht's 
Sagſt Du, Dich zu vertheidigen? « 


— Nichts! — 


»Ihr hört's aus ſeinem eignen Munde, 
Er trotzt noch in der Todesſtunde, 
Hält ſelbſt den Strom der Gnade auf, 
So nehm’ das Urtheil feinen Lauf!“ 


Da ſtürzt Ajuſcha zu den Füßen 
Des Richters: 


Laßt mich für ihn büßen; 
Ich bin's, die ihn zur Schuld verlockt! 


»Nein, Weib, Du ſiehſt, wie er verſtockt 
Sich weigert, Gnade zu erwerben; 
Er will den Tod — ſo mag er ſterben! 
Das Urtheil iſt geſprochen, 
Jetzt wird der Stab gebrochen! « 

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»Halt!« — rief der Fürſt, der unterdeffen 
Auf ſeinem Throne ſtumm geſeſſen, 
Und jetzt aufſprang in zornigem Grimme, 
Vor Zorn verſagt ihm faſt die Stimme: 


»Selim, was hat Dich fo verwandelt, 
Daß Du ſo ſchlecht an mir gehandelt 
Und jetzt, wo Du zum Tode gehſt, 

Nicht reuvoll mich um Gnade flehſt?« 


— Verwandelt hab' ich nicht mein Weſen, 
Treu bin ich, wie ich ſtets geweſen, 
Drum fleh' ich nicht um Dein Verzeih'n. — 


»Erſchlugſt Du nicht den Falken? « 
— Nein! — 


Voll Staunen hört aus Selims Munde 
Der Fürſt die unverhoffte Kunde; 
Doch ſchwankt er noch, ob er ihm glaube. 


»Was aß Dein Weib denn? « 
— Eine Taube! — 


Und als der Fürſt das Wort vernahm, 
Sprach er: 


»Doch iſt mir's wunderſam, 
Daß Du vor Deinem Richter ſtandeſt 
Und nichts, Dich zu vertheid'gen, fandeſt, 
Den Spruch vernahmſt geduldig, 
Als wärſt Du wirklich ſchuldig.« 


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Da ſtolzen Blickes Selim ſpricht: 


— Der Zaub'rer iſt mein Richter nicht, 
Der, um ſich ſchnöd' an mir zu rächen, 
Meib Weib verlockte zum Verbrechen, 
Das nur durch meine Taubenliſt 
Vereitelt und umgangen iſt. 

Er wußte, daß des Landes Glück 

In Deinem Falken blieb zurück, 

Und doch wollt' er ihn laſſen ſterben, 
Blos, um mich tückiſch zu verderben. — 


»Doch warum — ſprach der Fürſt betroffen — 
Haſt Du nicht ſelbſt gleich wahr und offen — 
Zu mir geredet, da der Tod 

Vor allem Volk Dich ſchon bedroht?« 


— Weil, ſeit Dein Mißtrau'n mich entehrt, 
Verloren meines Lebens Werth; 

Die Ehre war mein höchſtes Gut, 

Stets hielt ich ſie in treuer Hut; 

Da Du die Ehre mir genommen, 

Heiß' ich den Flammentod willkommen. — 


Der Fürſt, da er das Wort gehört, 
Verhüllt ſein Antlitz, bleich, verſtört; 
Steht auf vom Thron in jäher Haft 
Und eilt zurück in den Palaſt. 


Die Menge harrt erwartungsvoll 
Der Löſung, die da kommen ſoll. 


Da ward von des Palaſtes Stufen 
Selim zum Erben ausgerufen 


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Des Fürſten, dem er auf dem Throne 
Nachfolgen ſoll gleich einem Sohne. 


So wurd' er laut und hochgeehrt 
Vor allem Volk, und unverfehrt 
Von der Verleumdung Schlangenſtich 
Erhob ſein guter Name ſich. 


Allein den böſen Zaub'rer trafen, 
Gleichwie die Andern, ſchlimme Strafen; 
Ajuſcha auch, Selma nicht minder: 
Sie warten heute noch auf Kinder. 


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Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr 
f Harun Kalif von Bagdad war, 

N Doch ward von ihm im Morgenland 
Mir eine ſeltne Mähr bekannt, 

Die treu, wie ich ſie einſt erfahren, 
Ich Euch im Lied will offenbaren. 
Berühmt war Harun weit und breit 
Durch Weisheit und Gerechtigkeit, 
Auch ward er in der ganzen Welt 
Geprieſen als ein großer Held: 

Er galt als aller Fürſten Blume, 

Kein and'rer Ruhm glich ſeinem Ruhme. 
In Bagdad lebte dazumal 

Von Chriſten eine große Zahl, 

Die ohne ihr Verſchulden 

Viel Unbill mußten dulden. 

Das Volk ſah ſeine Glaubensfeinde 

In dieſer chriſtlichen Gemeinde: 
Verfolgt ward ſie mit Haß und Hohn 
Auf Markt und Kanzel, ſelbſt am Thron. 
In Driefter- wie in Volkesmund 

Hieß jeder Chriſt nur Chriſtenhund. 


F. Bodenſtedt. X. 


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Verheert ein grimmer Sturm das Land: 
Die Chriſten hatten ihn geſandt. 

Verſagte Gott dem Felde Regen: 

Geſchah es blos der Chriſten wegen. 
Kurz: Feuersbrunſt und Hungersnoth, 
Und was die Zeit ſonſt Böſes bot: 
Heuſchreckenſchwärme, Siechthum, Peft, 
Kam immer aus dem Chriſtenneſt 

Von Bagdad, das der Gläubigen Schaar 
Die Quelle allen Unheils war. 

Gar oft im Glaubenseifer flehten 

Die Hohenprieſter des Propheten 

Zu des Kalifen Herrſcherthrone, 

Daß er der Chriſten nicht mehr ſchone, 
Sie tödte, oder ſie bekehre 

Zu des Propheten wahrer Lehre, 

Damit die Perle Glaubenseinheit 

Auf's Neue glänz' in aller Reinheit. 

Doch der Kalif ſprach: »Wahren Glauben 
Kann man nicht ſchenken und nicht rauben — 
Wenn Jeder thut nach Recht und Pflicht, 
Frag' ich nach ſeinem Glauben nicht: 

Mir ſind in meinem weiten Reich 

Die Unterthanen alle gleich. 

Lebt mit den Chriſten ſo geduldig 

Wie ſie mit Euch. Sie ſind nicht ſchuldig 
An unſers Landes Weh'n und Plagen, 
Und haben mehr als Ihr zu tragen — 
Sie ſtreben redlich mir zu nützen 


Und meine Pflicht iſt, fie zu ſchützen.⸗ 


Da ſich die Prieſter überzeugten, 
Daß ſie des Herrſchers Sinn nicht beugten, 


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Und ihre grob gedachten Schlingen 
Beim weiſen Harun nicht verfingen, 
Verſuchten ſie auf krummen Wegen 
Die gläubige Menge zu erregen, 
Durch Lug und Trug ſie zu bethören, 


3 


Gegen den Thron ſie zu empören. 

ö Vor den Palaſt zog des Kalifen 

0 Das Volk, und tauſend Stimmen riefen: 
4 Fort mit den Chriſten! Sterben ſollen, 

Die nicht zum Islam ſchwören wollen, 

ö Denn alles Uebel kommt von ihnen, 


Die einem falſchen Gotte dienen. 


Da ſprach von des Palaſtes Zinne 

IE Zum Volk der Herrſcher: Haltet inne! 

IE Schweigt jetzt! Es ift genug des Schrei'ns. 
ö Ich bin mit meinem Volke Eins: 

| Ich bin das Haupt, Ihr feid die Glieder — 
Doch dieſer Lärm iſt mir zuwider, 

Dem wüſten Treiben muß ich wehren, 
Doch Eure Wünſche will ich ehren, 

Und bin bereit, ſie zu erfüllen, 

Wenn ſie berechtigt ſich enthüllen. 

Wohl über dieſe Chriſten ſchon 

Ward oft geklagt vor meinem Thron; 
Doch konnt ich mich bei ſolchen Klagen 
Gerechter Zweifel nicht entſchlagen, 

Ob man nicht unrecht ſie beſchuldige 

Und blinden Vorurtheilen huldige. 

Jetzt kommt, in wüſten, hellen Haufen 
Das ganze Volk zu mir gelaufen 

Und dringt in mich, ſie zu vernichten. 

Erſt will ich hören und dann richten. 


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3 * 


„„ 


Ich will der Chriſten Lehre gründlich 
Erforſchen, und find' ich ſie ſündlich, 

So geb ich Euch mein Herrſcherwort: 

Sie bleiben nicht an dieſem Ort. 

Doch zu der Prüfung brauch' ich Zeit; 
Inzwiſchen meidet allen Streit. 

Ihr war't bisher klug und vernünftig: 

So geht nach Hauſ' und bleibt's auch künftig. 


Das Volk zerſtreute ſich und rief: 
Hoch lebe Harun, der Kalif! 


Und Harun ließ den alten, frommen 
Biſchof der Chriſten zu ſich kommen, 
Erzählt ihm Alles, was geſchehn 

Und ſprach: Nun laßt das Buch mich ſehn, 
Wonach Ihr betet, faſtet, handelt 

Und Eure Glaubenspfade wandelt. 

Ich will es ſorgſam prüfend leſen, 

Daß Eurer Lehre Kern und Weſen, 

Der Quell, daraus der Glaub’ entſpringt, 
Mir unverfälſcht zum Geifte dringt. — 


Der Biſchof lieh dem gern ſein Ohr; 

Er zog ein altes Buch hervor, 

Reicht es dem Herrn und ſprach: man nennt 
Dies Buch das neue Teſtament, 

Darein — vom heiligen Geiſt getrieben — 
Die Jünger Chriſti niederſchrieben, 

Wie unſer Herr zur Erde kam, 

Und menſchliche Geſtalt annahm, 

Wie er gelebt, gelehrt, geſtorben, 

Und ewiges Leben uns erworben 


u N — 


Durch feinen Tod, — wie aus den Banden 
Des Tods er ſelber auferſtanden, 

Und dann zum Himmel aufgefahren, 

Den Jüngern ſich zu offenbaren 

Im Glanze ſeiner Gottnatur, 

Damit ſie folgten ſeiner Spur. 


Das Buch zu leſen drängt mich ſehr 
— Sprach der Kalif — bald hörſt Du mehr! 


Der Biſchof ging. Der Herrſcher las 
Das heil'ge Buch; er las und ſaß 

Den ganzen Tag, die Nacht dazu; 

Er dachte nicht an Raſt und Ruh. 

Des Heilands Wort ergriff ihn ſehr, 
Oft blickt' er auf und ſeufzte ſchwer, 
Und dachte nach ... dann ſenkt er wieder 
Den ernſten Blick zum Buche nieder 
Vor ihm. Der Geiſt ſchien des Kalifen 
Sich in das Buch ganz zu vertiefen, 
Daß er nichts Andres ſah und hörte, 
Und zornig ward, wenn man ihn ſtörte. 
Sonſt pflegt' er eifrig jeden Morgen 
Die Staatsgeſchäfte zu beſorgen, 
Gehorſam ſeinen Herrſcherpflichten 

Im Rath zu ſitzen, Streit zu ſchlichten, 
Mit dem Vezier ſich zu bereden: 

Jetzt war er taub und ſtumm für Jeden. 
Selbſt in des Harems Räume kam 

Er lange nicht mehr — wunderſam 
Verwandelt ſchien er allen Leuten; 
Vergebens grübeln ſie und deuten 

Was ſo des Herrſchers Sinn gewendet, 
Und Jeder fragt, wie das noch endet? 


Oft ſprang er in erregtem Sinn 

Vom Sitz und murmelt' vor ſich hin: 
Von Zorn und Rache ſoll ich laſſen? 
Die Feinde lieben, die mich haſſen? 

Dem, der die rechte Wang' mit Streichen 
Mir ſchändet, auch die linke reichen? 

Das ird'ſche Gut und Reich verachten, 
Und nur nach ewigem Leben trachten? ... 
Doch das ſind ja blos Chriſtenpflichten, 
Was brauch' ich mich danach zu richten! 
Ruft er, ſein Blick wird wieder heiter, 
Er ſetzt ſich und lieſt forſchend weiter. 


Als er nun über Alles klar 

Und mit dem Buch zu Ende war, 
Ließ er aufs Neu' den alten, frommen 
Biſchof der Chriſten zu ſich kommen 
Und ſagt ihm dieſes: Eure Lehre 
Hab' ich geprüft und hoch verehre 

Den Heiligen ich, der ſie gegeben; 
Doch: kann ein Volk auch danach leben? 
Und kann ein Fürſt danach regieren? 
Er würd' in jedem Streit verlieren; 
Er müßte, die ihm ſchlimm begegnen 
Und Unrecht thun, die Feinde ſegnen; 
Er dürfte keine Schlachten ſchlagen; 
Sein ganzes Heer müßt er verjagen; 
Er dürfte keine Unbill rächen, 

Nicht Sünden ſtrafen, noch Verbrechen; 
Er müßte jedem niedern Knechte, 

Der einen Schlag ihm auf die rechte 
Verſetzt, die linke Wange reichen 

Und kampflos jedem Gegner weichen. 


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Der Biſchof ſprach: zum hohen Ziele 
Das uns geſteckt iſt, führen viele 
Schwer überſteigbar ſteile Stufen. 
Der Herr ſpricht: Viele ſind berufen, 
Doch Wenige ſind auserwählt. 

Wem nicht der rechte Glaube fehlt, 
Dem fehlt auch nicht des Heilands Gnade, 
Verirrt er ſich vom rechten Pfade. 
Der Sünder, der noch ſpät bereut, 
Den alten Adam ganz erneut, 

Iſt beſſer vor dem Herrn berathen, 
Als wer da pocht auf gute Thaten. 
Der Glaube ſteht der That voran, 
Wie da geſchrieben ſteht: es kann 
Der Glaube Berge ſelbſt verſetzen. 


Verſtrick Dich nicht in eig'nen Netzen, 

— Sprach der Kalif — man kann das ſchwerlich 
So wörtlich deuten; ſag mir ehrlich: 5 
Glaubſt Du, der allerfrommſte Chriſt, 

Der ganz erfüllt von Glauben iſt, 

Vermöchte Berge zu bewegen 

Sich zollbreit nur vom Fleck zu regen? 


Ich glaub' es, ſprach der Biſchof. 


Dann 

— Rief der Kalif — ſuch mir den Mann, 
Der ſolcher That ſich unterwindet, 

Und ſorg' mir, daß ſich einer findet, 

Sonſt ſeid Ihr alleſammt verloren. 

Denn wenn nicht Einer auserkoren 

Von Allen, die zu Chriſtus beten, 

Den rechten Glauben zu vertreten, 


„ 


So wandelt Ihr auf falſchem Pfade 
Und ſeid nicht würdig meiner Gnade. 
Ich ſorge, daß ich Euch die Sache 
So leicht als irgend möglich mache: 
Der Berg, den Ihr verſetzt, darf klein, 
Ja meinethalb ein Hügel ſein, 

Wie einer liegt am Tigrisbord, 

Der Temirdag, den rückt mir fort! 
Und wenn das Wunder dann geſcheh'n 
Und ich's mit eig'nem Aug' geſeh'n, 
So werd' ich ſelbſt ein gläub'ger Chriſt. 
Zwei volle Wochen habt Ihr Friſt 

Zu Eures Wunders Vorbereitung. 
Ich melde allem Volk die Zeitung, 
Damit ſich jeder Muſelmann 

Das Wunder ſelbſt betrachten kann. 
So komme denn, was kommen mag; 
Auf Wiederſeh'n beim Temirdag! 


II. 


Der alte Biſchof blieb allein, 

Gequält von Zweifel, Furcht und Pein. 
Wie kam ihm nur der Zweifel an, 
Dem frommen, opferfreudigen Mann, 
Dem Hirten, der gern Gut und Leben 
Für ſeine Heerde hingegeben? 

Es war ihm ſelber unerklärlich, 

Doch Zubverſicht ſchien hier gefährlich, 
Wo wie an einem Schickſalsring 

Der Chriſten Glück und Unglück hing. 
Sein eig'ner Glaube kam in's Wanken 
Bei dem bergrückenden Gedanken. 


ANNE. RER 


Er hätte nicht gewagt das Wort 

Zu ſprechen: Hebe, Berg, Dich fort! 
Und nicht gewagt, zu Gott zu fleh'n, 
Bei ſolchem Thun ihm beizuſteh'n. 

Doch raſch zu handeln war hier Pflicht, 
Und ſeiner Pflichten fehlt' er nicht. 

So fing er an, umher zu wandern, 

Von einem frommen Mann zum andern, 
Zu forſchen, ob ſich einer fände, 

Der ſich des Werkes unterwände. 

Allein er fand nur Furcht und Zagen, 
Und hörte vorwurfsvolle Klagen, 

Daß er, der Kirche Hirt und Hort, 
Sie durch ein unvorſichtig Wort 
Bedroht mehr als die ſchlimmſten Feinde, 
Und von der gläubigen Gemeinde 

Ein Gott verſuchend Werk verlange, 
Deß er ſich ſelbſt nicht unterfange. 


Umdüſtert war ihm Herz und Sinn; 
Ein Tag ſchwand nach dem andern hin; 
Schon eine Woche iſt verſchwunden 

Und noch hat Keiner ſich gefunden, 

Voll Muth genug und Glaubensſtärke 
Zu dem verhängnißvollen Werke. — 
Der alte Biſchof zehrt vor Kummer 
Und Gram ganz ab, ihn flieht der Schlummer 
Und keine Speiſe ſchmeckt ihm mehr; 
Sein Herz iſt trüb' und troſtesleer. 

Ganz nah ſchon iſt der Schickſalstag, 
Den er nicht mehr erleben mag. 

Der Glaube ſchwand, die Hoffnung wich. 
Da meldet eines Morgens ſich 


1 — 


Bei ihm ein Mann in beſten Jahren, 
Hoch von Geſtalt, mit ſchwarzen Haaren, 
Gewellt zu langer Lockenflut. 

Im Auge lag verhaltne Glut, 

Voll ſchwärmeriſcher Zuverſicht. 

Von edler Form war ſein Geſicht, 

Doch bleich — die Stirne halbumwunden 
Von einem Tuch, das feſt verbunden 
Sein rechtes Auge hielt. So ſtand 

In ärmlich⸗feſtlichem Gewand 

Er vor dem Biſchof, der ihn fragte, 
Was ſein Begehr ſei. 


Und er ſagte: 
Ich hörte von der ſchlimmen Noth 
Die unſre Brüder hart bedroht, 
Weil ſie verzagen, zu erfüllen, 
Was Gottes Worte uns enthüllen. 
Lang harrt' ich, daß ein Beſſrer käme, 
Der die Vollbringung auf ſich nähme 
Der Glaubensthat, die der Kalif 
Von uns verlangt. Es ſchmerzt mich tief, 
Zu hören wie die ſtolzen Heiden 
An unſerer Noth ſich höhniſch weiden. 
Ich will nicht, daß die blinde Rotte 
Spott treibt mit uns und unſerm Gotte. 
Da ſich kein Beſſerer ſcheint zu finden, 
So will ich ſelbſt mich unterwinden 
Das Werk zu thun, wenn's Chriſten möglich. 


Da wundert ſich der Biſchof höchlich, 

Hebt ſegnend beide Händ' und ſpricht: 

Gott lohne Deine Zuverſicht, 

Mein Sohn, Du haſt den rechten Glauben! — 


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Ja, den foll kein Kalif mir rauben — 
Ruft Jener — Meiner Augen Glanz 
Wahrt' ich nur halb: den Glauben ganz. — 


Der Biſchof fragt in ſanftem Ton: 
Was meinſt Du mit dem Wort, mein Sohn? — 


»Um rein zu halten mein Gewiſſen, 
Hab' ich ein Aug’ mir ausgeriſſen.« 


— Wie kam das? Setz' Dich, ſprich, erzähle! 
»Wollt Ihr, daß ich Euch nichts verhehle?« 
— Verhehl' mir nichts, mein Sohn! — 


»Wohlan. 
Ich bin ein armer Handwerksmann, 
Ein Schuſter, Habakuk mit Namen, 
Einſt viel geſucht von Herrn und Damen, 
Bis zu der traurigen Geſchichte, 
Wovon ich Euch jetzt treu berichte, 
Die nebſt dem Aug' aus meinem Haupte 
Mir meine beſte Kundſchaft raubte. 
Einſt trat — es mag ein Jahr nun ſein — 
Ein ſchönes Fräulein bei mir ein, 
In kurzem, himmelblauen Kleide, 
Schlank von Geſtalt, reich an Geſchmeide. 
Sie ſchritt einher ſo leicht und luftig, 
Sie war ſo reizvoll und ſo duftig — 
Ich wußte nicht, wie mir geſchah 
Als ich das Fräulein vor mir ſah. 
Mit holdem Gruß trat ſie mich an: 


Denen: ME: Maas 


Man rühmt Euch als geſchickten Mann — 
(Verlegen dankt' ich für den Gruß), 
Löſt mir den Schuh vom rechten Fuß, 
Und nehmt das Maaß. 

Ich kniete nieder. 
Sie ſetzte ſich und ſprach dann wieder: 
— Macht's recht bequem, nur nicht zu weit, 
Daß es gut ſchließt; ich laß Euch Zeit. — 


Wie klang die Stimme ſo voll Süße, 
Und, o! was waren das für Füße! 

Wie fein und hoch! .. . Und mie fie ſaß, 
Kniet ich vor ihr, und maß, und maß, 
Und zog den Schuh ihr wieder an; 

Sie dankte, grüßt' und ging von dann. 
Doch meines Geiſtes Auge ſah 

Sie immer vor ſich noch ganz nah — 
Ihr Bild ließ mir nicht Raſt noch Ruh, 
Im Wachen und im Schlaf dazu. 

So viele Mühe machte nie 

Mir ein Paar Schuh, wie die für ſie. 
Nach einer Woche kam ſie wieder, 

Ließ ſich wie vordem bei mir nieder, 
Und ich lag wieder auf den Knien 

Vor ihr, die Schuh' ihr auszuziehn, 
Und ihr die neuen anzupaſſen. 

Ich zwang mich ehrlich, recht gelaſſen 
Zu ſein, doch fühlt' ich's jäh mich packen, 
Als ſäß' der Teufel mir im Nacken. 
Beim Niederknien, recht ungeſchickt, 
Hatt' ich des Kleides Saum zerknickt. 
Sie zog es etwas höher auf, 

Ich ließ den Blicken freien Lauf — 


. 


Und meine Sinne ſchwanden mir. 

Wie flehend ſah ich auf zu ihr; 

Sie legt die Hand mir auf die Stirn, 
Und fiebernd glüht mir Herz und Hirn. 
Ihr ſüßer Odem weht mich an, 

Sie ſprach: Was habt Ihr, lieber Mann? 
Da wurde mir urplötzlich klar, 

Daß ſie der Hölle Werkzeug war, 

Vom Böſen hergeſandt zur Erden, 

Um meine Seele zu gefährden. 

Und ich ſprang auf, trat vor ſie hin: 
Heb' Dich hinweg, Verſucherin! 

Ich kenne meines Herrn Geheiß: 

»So Dich Dein Auge ärgert, reiß 

Es aus und wirf es von Dir fort!« 
So ſprach ich laut und bei dem Wort 
Riß ich mein rechtes Aug' mir aus. 
Das Fräulein ſtürzte fort vom Haus, 
Ich hörte ſie noch von den Stufen 
Der Schwelle laut um Hülfe rufen. 

Es kamen auf den Hülfeſchrei 

Die Nachbarn ſchaarenweis herbei, 
Und Jeder hielt mich für verrückt, 
Daß ich den Stahl auf mich gezückt, 
Um einer ſchönen Heidin willen. 

Man ſuchte mir das Blut zu ſtillen, 
Verband mich und ließ mich allein, 
Einäugig und in grimmer Pein. 

Doch die Verſuchung war verſchwunden, 
Welch herben Schmerz ich auch empfunden; 
Und nie, von jenem Tag bis heut, 
Hab' ich die raſche That bereut, 

Denn beſſer iſt's, einäugig gehn, 

Als ſündig vor dem Herrn zu ſtehn! — 


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Den frommen Meiſter unterbrach 
Der Biſchof nicht, ſo lang er ſprach, 
Doch dann mit warmem Händedruck 
Rief er: Dank, Meiſter Habakuk! 
Ihr kommt, ein Helfer in der Noth, 
Als Chriſt von echtem Korn und Schrot; 
Wenn Jemand uns erretten kann, 
Ich bin gewiß: Ihr ſeid der Mann. 
Der Himmel ſchenk Euch ſeinen Rath 
Und Beiſtand zu der Rettungsthat. 
Ihr aber betet, faſtet — 


Nein! 
Sprach Habakuk, das laß ich ſein! 
Gefaſtet hab' ich ſchon genug 
Seit meine Kundſchaft ſich zerſchlug. 
Soll Leib und Seele nicht erſchlaffen, 
Müßt Ihr mir Trank und Speiſe ſchaffen; 
Ich kann ſchon hungern, doch zum Werke 
Das mir bevorſteht, brauch' ich Stärke. 


Der Biſchof ſprach: Ich will Euch laben, 
Was Ihr nur wünſcht, das ſollt Ihr haben! 
Bleibt bei mir, und vor Noth und Sorgen 
Seid Ihr, ſo lang Ihr lebt, geborgen. 


III. 


Bald nahte der Entſcheidungstag. 

Ganz Bagdad ſtrömt zum Temirdag, 

Zu ſehn, ob ſich der Berg bewege. 

Von Menſchen wimmeln Weg' und Stege. 


Es wollten auch die Haremsfrauen 
Das ſeltne Chriſtenwunder ſchauen; 
Sie ließen ſich in Sänften tragen, 
Auch fuhren viel in goldnen Wagen, 
Gezogen von geſchmückten Stieren, 
In lange Reih geſpannt zu Vieren. 
Eunuchen mußten ſie geleiten 

In großer Zahl zu beiden Seiten. 
Als nun die Menge harrend ſtand 
Im ſommerſchwülen Sonnenbrand 
Des Mittags, nahte der Kalif 

Mit ſtattlichem Gefolg, und tief 4 
Verneigt ſich Alles bis zur Erde. 

Er dankt mit huldiger Geberde, 

Und läßt ſogleich den alten, frommen 
Biſchof der Chriſten vor ſich kommen. 
Der führt Freund Habakuk zur Seit', 
Und Harun fragt: Seid Ihr bereit? 


Wir ſind bereit, — erwidert Jener — 
Hier iſt der würd'ge Nazarener, 
Geweiht, das Wunder zu vollbringen. 
Mit Gottes Beiſtand wird's gelingen. 


Und der Kalif ſah ſich den Mann 

Mit adlerſcharfen Augen an; 

Der ſenkt vor ihm den Blick nicht nieder. 
Fragt der Kalif den Biſchof wieder: 
Warum erkort Ihr grade dieſen? 


Der Biſchof ſprach: Weil er bewieſen 
In früherer Zeit, daß er ein Chriſt 
Voll Opfermuth und Glauben iſt. 


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Wollt Ihr, daß ich Euch die Geſchichte, 
Darum ich ihn erwählt, berichte? 


Erzählt! ſprach Harun. — Aus dem Munde 
Des Biſchofs ward ihm nun die Kunde, 
Wie er ein Aug' ſich ausgeriſſen, 

Um rein zu halten ſein Gewiſſen. 


Und Harun ſchüttelte das Haupt 

Und ſprach: ich hätte nie geglaubt, 
Daß es ein Mann für Sünde hält, 
Wenn ihm ein ſchönes Weib gefällt. 
Doch über ernſtgeübte Pflichten 

Läßt ſich nicht rechten und nicht richten. 
Wohlan, zeig' Deine Glaubensſtärke 
Am Berge jetzt; friſch auf zum Werke! 


Ein Flüſtern geht durch das Gedränge, 
Es ſchweigt der wirre Lärm der Menge: 
Starr heften aller Augen ſich 

Auf Habakuk, der brünſtiglich 

Sich niederwarf und laut begann 

Zu beten: Sieh' mich gnädig an, 

Herr, und das Wunder laß geſchehn, 
Damit es Deine Feinde ſehn, 

Was Du vermagſt durch Menſchenwort: 
» Berg, heb' Dich von der Stelle fort!« — 
Sprach's und erhob ſich wie verzückt: 
Seht, ſeht, der Berg iſt fortgerückt! 
Rief er. — 


Und Aller Augen blicken 
Zum Temirdag; die Einen nicken 


— 49 — 


Wie überzeugt, die Andern ſtehn 
Verblüfft. Ich habe nicht geſeh'n, 
Sprach der Kalif, daß ſich vom Ort 
Der Berg bewegt, er ſteht noch dort 
Genau wie ſonſt, am Tigrisbord. 
Doch Habakuk rief hocherregt: 

Mein Fürſt, der Berg hat ſich bewegt 
Bei meinem Aufruf und Gebet — 
Doch als Ihr hinſaht, war's zu ſpät. 


Nun ward ein Streiten, Lärmen, Schrein, 
Hier rief man Ja! dort rief man Nein! 
Den Chriſten Tod, die uns betrogen! — 
Scholl's drohend aus des Volkes Wogen. 
Laßt ſie uns, um es abzukürzen, 

Gleich ſämmtlich in den Tigris ſtürzen! 


Doch Harun rief ein donnernd: Halt! 
Gewalt beftraf ich mit Gewalt. 
Ich bin der Herr — wer nicht geduldig 
Mir folgt, der iſt des Todes ſchuldig! 
Vor mir ſteh'n hadernd zwei Partei'n, 
Und ſchwer iſt's hier, um wahr zu fein, 
Genau zu richten und entſcheiden, 

Wer Recht, wer Unrecht hat von Beiden. 
Was Einer glaubt, das ſieht er leicht; 
Es täuſcht ſich dieſer Mann vielleicht 
Im Glauben, daß vom Platze fort 
Der Berg gerückt bei ſeinem Wort; 
Doch ſagt ſein ehrliches Geſicht 

Mir, ein Betrüger iſt er nicht. 

Drum laßt ihn leben, wie die Andern, 


Sie mögen ruhig heimwärts wandern: 
F. Bodenſtedt. X. 


„ Jap RRBI 


Ihr folgtet mir in meine Kriege, 
Erkämpftet mit mir Ruhm und Siege, 
Habt heldenmüthig manche Schlacht 
Gewonnen gegen Uebermacht — 

Doch ganz unrühmlich wär's und ehrlos, 
Zu tödten Menſchen, die ſo wehrlos 

Wie dieſe Chriſten, deren Leben 

Zum Schutz in Eure Hand gegeben. 
Was thaten ſie, Euch zu beleidigen? 
Was haben ſie, ſich zu vertheidigen? 
Schmach dulden iſt ihr Heldenthum, 
Entſagung iſt ihr höchſter Ruhm. 

Seid Ihr ein Volk zum Kampf zu geh'n, 
Wo Tauſend gegen Einen ſteh'n? 

Wo Eure Zahl den Feind erdrückt, 

Der gegen Euch das Schwert nicht zückt? 
Aus Eurem Herzen ſag' ich, Nein! 

Laßt fie ſich ſelber abkaſteiin — 

Iſt für die Armen allzumal 

Die Welt doch nur ein Jammerthal. 
Wir aber wollen nach der Schwüle 

Des Tags uns laben in der Kühle, 

Bei einem großen Schmaus und Feſte — 
Heut' ſeid Ihr Alle meine Gäſte. 

Was Bagdad beut an edlen Gaben 

Von Speiſ' und Trank, das ſollt Ihr haben. — 
Sprach's, und das wirre Volksgebraus 
Brach nun in lauten Jubel aus, 

Was eine Stimme hatte, rief: 

Hoch lebe Harun, der Kalif! 


* 1. 


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So melden uns die alten Sagen 
Der Tigrisſtadt, aus Harun's Tagen. 
Doch hat, nach chriſtlichem Berichte, 
Ein andres Ende die Geſchichte. 
Auch das will ich Euch offenbaren 
Genau wie ich es einſt erfahren. 
Als ich an einem ſchönen Tag 
Hinausging, um den Temirdag 
Zu ſehn, konnt' ich ihn nirgends finden, 
Umſonſt forſcht' ich nach allen Winden. 
Ich fand am Weg nur Einen Mann, 
Der ſich des Namens noch entſann, 
Er war ein Chriſt und ſprach zu mir: 
Der Temirdag iſt nicht mehr hier; 
Vor vielen hundert Jahren ſtand 
Hier ſolch ein Berg, doch er verſchwand 
Als unſer Volk einſt in Gefahr 
Zur Zeit des großen Harun war. 
Damals geſchah's, daß der Kalif, 
Der in den heil'gen Schriften tief 
Bewandert war, vom Volk bedrängt, 
Die Prüfung über uns verhängt, 
Den Berg vom Tigris fortzurücken. 
Gott ließ das Glaubenswunder glücken 
Vor Haruns Augen; doch dem Volke 
Ward es verhüllt durch eine Wolke. 
Und ſolchen Glauben weckte dies 
In ihm, daß er ſich taufen ließ, — 
Doch heimlich, Niemand durft' es wiſſen, 
Sonſt hätte ihn das Volk zerriffen. 
Nicht bloß in Büchern ſteht zu leſen, 
Daß er ein guter Chriſt geweſen: 

4* 


— 1 — 


Es künden's uns auch ſeine Thaten. 

Nie war ein Fürſt ſo gut berathen 

In Weisheit und Gerechtigkeit, 

Ein Lamm im Frieden, Löw' im Streit. 
Drum ſchallt ſein Ruhm in Lied und Sage 
In Bagdad bis zu dieſem Tage. 


1 


4 


Auf dem gold'nen Thron ſitzt Irans König, 
Sitzt Schapur, der mächtige Saſſanide. 

Um ihn ſtehn die Großen ſeines Reiches, 
Stehn im purpurnen Gewand die Fürſten, 
Und die Prieſter ſchimmernd weiß gekleidet. 
Kam vom fernen Kolchis eine Botſchaft, 
Aus dem Lande jenſeits des Araxes: 


»Großer König, rett' uns vom Verderben! 
Schwächer als der Sand der Meeresküſte 
Bei dem Anſturm der empörten Brandung, 


Waren wir im Kampf mit Deinen Heeren, 


Die jetzt, unſ're blühenden Bergeslande 
Ueberflutend, Dorf und Stadt verwüſten. 
Unſer Heldenkönig liegt erſchlagen, 

Alle ſeine Söhne ſind gefallen 

Und iſt Niemand der des Rechtes walte. 
Gieb, o Herr, uns einen andern König, 
Gieb uns einen König Deines Samens, 
Daß er uns ein Richter ſei im Lande, 

Der Verwüſtung ſteure, uns beherrſche, 

Und mit ſtarker Hand vor Feinden ſchirme!« 


e, ne 


Hört der König der Geſandten Rede, 
Sprach: 


Unmündig noch ſind meine Söhne, 
Recht zu ſprechen und ein Volk zu ſchirmen. 
Einſt wohl hatt' ich einen Sohn, gewaltig 
In der Schlacht, voll hoher Herrſchergaben: 
Mirian genannt — doch ich verſtieß ihn, 
Weil er von den Göttern ſeines Landes 
Ließ, getrieben von unheiliger Liebe 
Zu der Jüdin, zu der ſchönen Rahel. 
Drum verbannt' ich ihn aus meinen Reichen, 
Flucht' ihm, ſchwur, ihn nimmermehr zu ſehen. 
Seit der Zeit hab' ich von ihm nicht Kunde, 
Weiß nicht, wo er weilt, wenn noch am Leben, 
Weiß nicht, wo ſein Grab, wenn er geſtorben. 


Da zum König ſprach der Oberpriefter: 
Dein Sohn Mirian iſt nicht geſtorben! 
Hinterm Meere, zwiſchen hohen Bergen 
Liegt im Urwald eine alte Felsburg, 

Ragt empor aus ſchattigem Pinienhaine: 
Dort lebt Mirian mit dem jüdiſchen Weibe 
Fern von aller Gläubigen Gemeinſchaft; 
Seine Speiſe iſt das Wild des Waldes, 
Und fein Trank die friſche Bergesquelle. 


Als dem König ward die frohe Kunde, 
Gab er dieſe Antwort den Geſandten: 
Mirian ſoll herrſchen über Kolchis, 
Rüſtet Euch, ihn fürſtlich zu empfangen! 
Und ſie zogen heimwärts frohen Muthes. 
Doch zum Oberprieſter ſprach der König: 


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Wohl kenn' ich den Starrſinn meines Sohnes, 
Nicht um alle Reiche dieſer Erde 

Trennt er ſich von ſeinem jüdiſchen Weibe, 
Und mit ihr kann er nicht Herrſcher werden. 
Drum auf Mittel ſinnt, ihn zu erlöſen 

Aus den Banden der ungläubigen Jüdin, 
Die ſein Herz von unſern Göttern wendet 
Und mit meinem Haß nährt ſeine Liebe. 
Räumt ſie aus dem Weg, um ihn zu retten. 
Aber thut es nicht in meinem Namen, 
Thut es heimlich, weckt nicht ſeine Rache! 


Sprach der Prieſter: Baut auf unſre Klugheit! 
Dunkel wie die Nacht ſoll unſer Werk ſein 
Und den Tag der Herrlichkeit gebären, 

Der den Prinzen führt zu Kolchis' Throne. 


2. 


In der Felſenburg, im Pinienhaine, 
Nur in Obhut einer alten Amme 
Lebte Rahel mit der Tochter Egla. 
Rahel eine vollerblühte Roſe, 

Egla eine holde zarte Knospe, 

Eine Knospe blühender Verheißung. 


Wie die Blumen ſelbſt ihr Kleid ſich wirken, 
Alſo auch die Mutter und die Tochter. 
Doch nicht blos im Wirken und im Weben 
Unterrichtet Rahel ihre Egla: 

Lehrt ſie auch was ſie einſt ſelbſt gelernt hat 
Von der Väter gotterfüllter Weisheit, 
Von den heiligen Schriften ihres Volkes, 
Von der Vorzeit Wundern, Sagen, Liedern. 


Wie der Waldquell unterm Aug' des Himmels 
Alles Herrliche rein wiederſpiegelt, 

Alſo Egla unterm Aug' der Mutter. 
Wunderbar im heiligen Urwaldsfrieden 

Früh erſchloß ſich Herz und Geiſt des Kindes 
Allem Göttlichen in Höh'n und Tiefen. 


In den Sternen fah fie goldne Lettern 

Von des Schöpfers eigner Hand geſchrieben, 

Um für ihn, den einigen Gott, zu zeugen; 

In der Sonne einen Quell der Gnade, 

Der ſich täglich aufthut, uns zu laben. 

In des Windes Wehn, des Waldes Säuſeln 
Hörte ſie die Stimme des Allmächt'gen. 

Selbſt des Urwalds Quell, aus dem ſie ſchlürfte, 
Ward ein Urquell ihr der Offenbarung. 


Glück und Segen folgte ihren Schritten, 
Tiger wurden zahm bei ihrem Anblick, 
Gift'ge Schlangen wichen wo ſie nahte, 
Ungefährdet ging ſie durch die Wildniß. 
Weit im Kreis der alten Felsburg herrſchte 
Frieden wie in Egla's eignem Herzen. 

Zog ihr Vater Mirian zum Jagen, 

Sucht er ferngelegne Waldreviere, 

Um den heiligen Frieden nicht zu ſtören 
Im Bezirk der Wohnung ſeiner Lieben. 


3. 


Einſt, an einem ſchwülen Sommerabend, 
Mirian, der Prinz, zog heim vom Jagen 
Nach der Felſenburg im Pinienhaine. 
Mächtig trieb's ihn zu der trauten Gattin 
Und zu Egla, dem holdſeligen Kinde. 


Denkend an die Heimgebliebenen, ſprengt er 
Auf leichtfüßigem Roſſe durch die Wildniß, 
Daß er noch vor Nacht die Burg erreiche. 
Seine Rüden mit gewaltigen Sprüngen 
Jagen ihm voraus, entſchwinden gänzlich 
Seinen Blicken, hören nicht ſein Pfeifen. — 


Schon verglüht die Sonne auf den Gletſchern 
Und des Waldes Schattengitter ſchwinden. 
Immer dunkler wird es in der Felsſchlucht, 
Aus dem ſteinigen Boden ſtieben Funken 

Von des Roſſes Hufſchlag, der noch lauter 
Hinſchallt durch die Nacht, als das Gewimmer 
Der Schakale und des Stromes Rauſchen. 


Plötzlich bellen hört er ſeine Rüden 
Schrillen Tones, winſelnd wie vor Schmerzen. 


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Das Gebell kommt näher, und ſie ſpringen 
Auf ihn los mit unruhvollem Heulen, 

Zerren ihn an Füßen und an Armen, 

Gleich als wollten ſie vom Roß ihn reißen; 
Springen bellend vorwärts, kommen wieder 
Mit gewaltigen Sprüngen, ächzend, winſelnd, 
Daß ſein eigenes Herz vor Unruh zittert. 
Und er ſpornt ſein Roß zu größrer Eile. 


Bald gelangt er zu dem Pinienhaine, 

Aber finſter ragt die alte Felsburg; 

Von der Zinne leuchtet keine Fackel, 

Wie ſonſt immer Nächtens wenn er fern war, 
Daß er leicht den Pfad zur Heimkehr finde. 
Mächtig läßt der Prinz ſein Hüfthorn tönen, 
Aber keine Antwort weckt ſein Rufen. 

Stumm iſt's rings, doch offen ſteht die Pforte. 
Und er ſchreitet raſch zum Fraungemache: 
Findet Rahel nicht, die theure Gattin, 

Findet Egla nicht, die blühende Tochter, 
Jammert, rauft ſein Haar, zerreißt die Kleider, 
Zündet Fackeln an, ſpäht allerorten, 

Läßt ſich von den bellenden Hunden zerren 
In's Gebüſch: Dort liegt die alte Amme, 
Eine Leiche, ganz entſtellt von Wunden. 


Oeffne Deine ſtarren, ſtummen Lippen! 
Wo iſt meine Rahel, wo iſt Egla? 


Und verzweifelnd ſinkt er ſelbſt zu Boden. 
Doch er rafft ſich auf und folgt den Hunden, 
Spähend nach den Spuren der Verlornen. 


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Als das Morgenroth die Berge krönte 
Fand er Spuren vieler Menſchentritte, 
Folgt den Spuren bis zum fernen Meere: 
Dort am Strande ſieht er Rahel liegen, 
Seine Gattin, ganz entſtellt von Wunden. 


Und er wirft ſich nieder zu der Todten, 

Küßt die kalten Lippen, küßt die Augen, 
Preßt ſie an ſich, will nicht von ihr laſſen, 
Weint und wehklagt, giebt ihr ſüße Namen, 
Fragt nach Egla, ſeiner blühenden Tochter — 
Ach! nicht fand er ſeine blühende Tochter! 
Ward auch fie dahingemordet? Rührte 

Nicht ihr kindlich Fleh'n die rauhen Herzen? 


Jammernd lag er bei der todten Gattin, 

Die im Tode noch ihm ſchöner däuchte 

Als die Schönſten die im Leben wandeln. 

Und ſo lag er lange bei der Leiche, 

Selbſt dem Tode nah vor Weh und Trübſal. 
Dann grub er ein Grab ihr mit dem Schwerte, 
Legte ſie hinein und ſtreute Blumen 

Auf das Grab und weinte heiße Thränen. 


Wochen ſchwanden, doch die Zeit, die allen 
Schmerzen Lindrung bringt, mehrt ſeine Schmerzen, 
Ihm zur unerträglich ſchweren Bürde 

Ward ſein Leben. Oft zum Grabe kehrt er 

Seiner todten Gattin, baut ein Denkmal 

Ihr mit eignen Händen, eine Grube 

Für ſich ſelbſt gräbt er an ihrer Seite, 

Fleht zu Gott, ihn bald ihr zu vereinen. 


a. >. 


Einſt geſchah es, als er ſo in Trübſal 

Saß an ihrem Grabe, ihr gedenkend, 

Daß ein alter Prieſter kam des Weges, 

Der ihn fragte: Fremdling, warum weinſt Du? 


Gab der Prinz dem Prieſtergreis die Antwort: 
Todt iſt meine Liebe, darum wein' ich — 
Und erzählte was ſich zugetragen. 


Sprach der Prieſter: 


Schwer wird von den Göttern 
Heimgeſucht wer ihr Gebot mißachtet; 
Sündig war Dein Glück, drum ward's genommen. 
Doch der Schmerz wird Deine Seele läutern, 
Dir zu beſſerm Glück den Pfad bereiten! 


Mit der Demuth ſeines Unglücks hörte 
Mirian des Prieſters Wort und Mahnung, 
Doch kein Troſt fand Platz in ſeinem Herzen. 


Kam des Wegs ein langer Zug von Reitern 
Und ein milchweiß Pferd ſchritt vor dem Zuge, 
Königlich geſchirrt, mit goldnen Bügeln, 

Eine purpurrothe Decke tragend 

Und das Haupt geſchmückt mit ſeltnem Zierrath. 


Und der Führer ritt heran zu ihnen: 

Wißt Ihr nicht von Mirian, Sohn Schapur's? 
Sieh, wir ſuchten ihn im Pinienhaine, 

Doch leer ſtand die Felsburg und war Niemand 
Der uns ſagen konnte wo er weile. 


Sprach der Prinz: Ich bin es, den Ihr ſuchet! 


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Da warf ſich der Führer vor ihm nieder: 

Setze Deinen Fuß auf meinen Nacken, 

Denn ich bin Dein Sklav! Dein Vater ae 
Hat ein mächtiges Königreich erobert 

Und ſetzt Dich zum Herrſcher dieſes Reiches. 


Stumm hört Mirian des Vaters Botſchaft. 
Aber Pauken wurden laut und Cymbeln, 

Und man führt das weiße Pferd zum Prinzen, 
Auf dem Purpur ſeinen Sitz zu nehmen. 


Und der Prieſter ſah darin ein Wunder: 
Sieh, die Götter ſtrafen wen ſie wollen 

— Rief er — und belohnen wen ſie wollen, 
Ihrem Willen ſoll der Menſch ſich fügen! 


Sprach der Prinz: Mein Leben iſt verödet. 
Warum mich ſo ſchwer der Zorn der Götter 
Heimgeſucht, — ich kann es nicht begreifen. 
Nicht die Juden liebt' ich, nur die Eine 
Holde Blume aus dem Stamme Juda! 
Ausgebrannt iſt meines Herzens Feuer, 
Nimmer hoff' ich Glück für mich auf Erden, 
Denn mit Rahel iſt mein Glück geſtorben. 
Eine Muſchel ohne Perle iſt mir 

Nun die Felſenburg im Pinienhaine. 

Aber kann ich Andre glücklich machen 

Und den Fluch des Vaters alſo ſühnen: 


Und er zog gen Kolchis, 
Ließ ſich krönen mit der Königskrone, 


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Ließ ſich huldigen von dem ganzen Volke. 
Und gewaltig führt' er ſeine Herrſchaft: 
Unterwarf viel Könige und Fürſten, 

Ward der Feinde Schrecken und Entſetzen, 
Doch dem eignen Volk ein Hort und Vater. 


g. Bodenſtedt 0 


4. 


Mlächtig und geſegnet wurde Kolchis. 

Seine Bäche wälzten Gold und Perlen, 
Seine Hügel trugen ſüße Reben, 

Seine Ströme reichbeladne Schiffe. 

Blühende Städte wuchſen aus dem Boden, 
Schmückten ſich mit Tempeln und Paläſten, 
Und das Land prangt wie ein Blumengarten. 


Glücklich war das Volk durch ſeinen König, 
Doch er ſelbſt, der König, war nicht glücklich. 
Früh geknickt war ſeines Lebens Blüthe, 

Vor der Zeit gebleicht ſein lockig Haupthaar, 
Tief gefurcht die königliche Stirne, 

Wie umflort vom Tod ſchon ſtarrt ſein Auge. 


So, in's Land geſchneit wie Schnee des Winters, 
Der, ſelbſt kalt, doch wärmt und nährt die Fluren, 
Herrſchte Mirian zweimal ſieben Jahre. 

Da begab ſich's, daß ein Ungewitter 


. 


Kolchis überzog, den Tag verdunkelnd 

Und die Luft verpeſtend wie mit Gifthauch. 
Tempel ſtürzten ein, uralte Bäume 

Sanken ſpurlos in der Erde Schlünde; 
Unterm Fuß der Menſchen rollt's wie Donner, 
Flammenzungen leckten aus dem Boden 

Hoch hinauf bis in die rauchigen Wolken; 
Berge ſenkten ſich und Felſen barſten; 

Durch die Luft ſcholl ein Geheul und Wimmern, 
Kleine Bäche ſchwollen an zu Strömen, 

Und die Ströme ſchwollen an wie Meerflut. - 
Weitum herrſchte Schrecken und Verwüſtung; 
Selbſt des Waldes wilde Thiere ſuchten 
Obdach in den Wohnungen der Menſchen. 

Alſo währt's drei Tage und drei Nächte, 
Dann fuhr jäh' ein Sturm auf und die Wolken 
Löſten ſich in wilden Regengüſſen. 

Krachend ſchloſſen ſich der Erde Schlünde 

Und am Himmel lacht die Sonne wieder. 
Aber Furcht blieb in der Menſchen Herzen, 
Und verwüſtet lagen Städt' und Fluren. 


Ließ der König ſeine Magier kommen, 
Der Zerſtörung Wunder ihm zu deuten, 
Zu erforſchen, was den Zorn der Götter 
Weckte, und was nöthig ihn zu ſühnen. 
Und die Magier deuteten das Wunder, 
Sprachen: 


Schwer traf uns der Zorn der Götter, 
Weil wir fremde Götzendiener dulden: 
Juden aus dem Abendlande, die ſich 
Chriſten nennen, predigen dem Volke 


a ee 


Und bethören es durch falſche Lehren. 
Gieb uns Macht, Herr, daß wir ſie 1 
Vor dem Tempel ſie dem Lichtgott opfern —, 
Und das Unheil wird in Heil ſich hren 

Saß der König lange ſuſter brütend ’ 
Worte murmelnd, Allen unverſtändlich: 
Wär's doch wahr? Kann ſo das Herz ſich täuſchen? 
War mein jüdiſch Weib nicht gut und lieblich? 
Mar fie nicht der Leuchtſtern meines Lebens? 
Starb mit ihr nicht all mein Glück und Lieben? 
War ich ſeliger nicht mit ihr verſtoßen, 
Als jetzt ohne ſie im Glanz des Thrones? 
Oder ſchuf ein Trugbild mir die Liebe? 
Denn ſie blühte eine Blum' am Abgrund, 
Den in's Unglück ſtürzend, der ſie pflückte! 
Warum haßte man das Volk der Juden, 
Ruhte nicht auf ihm der Fluch der Götter? 
Und wenn faul der Stamm, darf ich ihn ſchonen, 
Bringt die Fäulniß meinem Volk Verderben? 
Laßt ihn abhaun und in's Feuer werfen! 


Mit erhobner Stimme rief der König: 
Greift die Juden, werft ſie in die Flammen, 
Vor dem Tempel fie dem Lichtgott opfernd! 


Und die Magier und die Prieſter alle 
Laut frohlockten da ſie ſolches hörten, 
Sandten Häſcher aus und ließen fahnden 
Auf die Juden, nach des Königs Worten 
Sie zu ſtrafen mit dem Feuertode. 


1 


Aber wie zu einem Feſte gingen 

Sie zum Tode, ſangen heilige Lieder, 
Mitten aus den lodernden Flammen hoben 
Sie die Händ' empor, das Volk zu ſegnen; 
Sterbend noch verziehn ſie den Verfolgern. 


Und das Volk erſtaunte, doch die Prieſter 
Sahn darin nur ſündige Verſtocktheit, 
Fluchten ihren Opfern noch im Tode. 


5. 


Kaum erloſchen war das Opferfeuer, 

Das verbrannt der Märtyrer Gebeine, 

Siehe, da erhob ein mächtiger Sturm ſich, 
Von dem Richtplatz alles Volk verſcheuchend, 
Hochaufwirbelnd der Verbrannten Aſche, 

Sie wie Saatkorn durch das Land verſtreuend. 


Und eh' wenige Monde noch verſchwunden, 
Predigten in Kolchis wieder Chriſten 

Aller Orten, daß des Lichtgotts Prieſter 
Staunten und auf's neue Häſcher ſandten 
Sie zu fangen, um ſie zu verbrennen 

Auf dem Richtplatz vor dem Feuertempel. 
Freudig gingen ſie zum Opfertode, 

Sterbend noch verziehn ſie ihren Feinden. 


Und als ſei die Aſche der Verbrannten 
Aufgegangen wie die Saat des Feldes, 
Mehrten täglich ſich im Land die Chriſten, 
Rückten nach, wie Krieger in der Feldſchlacht, 
Ueber der gefallnen Brüder Leichen 

Sicherm Untergang entgegeneilend. 


8 — 71 — 


Da ergrimmt in großem Zorn der König, 
Läßt die Magier und die Prieſter kommen, 
Spricht: Was thun mit dieſen Todverächtern? 
Die mein Volk verführen und zum Grabe 
Gehn, als wäre Seligkeit das Sterben. 


Und zum König ſprach der Oberprieſter: 
Schnell verzehrt das Feuer ſeine Opfer, 

Zu gelind und plötzlich iſt ſolch Sterben: 
Sinnen wir auf Mittel, ſie zu martern 
Durch Verſtümmlung, eh' ſie gehn zum Tode, 
Sie zu martern und das Volk zu ſchrecken. 
So geſchah's. Verſtümmelt, unter Martern 
Ließ man die gefangnen Chriſten ſterben. 


Aber neuer Fluch kam über Kolchis: 
Heuſchreckſchwärme ziehn durch's Land wie Wolken, 
Senken ſich auf Wald und Flur hernieder, 

Nagen Alles ab, wie Froſt des Winters, 

Daß kein Blatt am Baum bleibt, keine Blume 
Auf dem Feld, am Weinſtock keine Rebe. 

Peſt und Seuchen wüthen unterm Volke 

Als ob alles Leben ſterben ſollte. 


Da ſcholl ein wunderſame Märe 
Aus den blühenden Ländern am Araxes: 


Eine Jungfrau kam vom Abendlande, 

Weiß von Antlitz, wie der Schnee der Gletſcher; 
Goldnes Haar, gleich Sonnenſtrahlen leuchtend, 
Fiel vom Scheitel bis zur Hüfte nieder. 
Königlich war ſie von Wuchs und Anſehn, 

Aber mild und demuthvoll von Weſen. 


Nino war der heiligen Jungfrau Name. 
Und ſie predigte vom Sohne Gottes, 

Der geſtorben, daß, die an ihn glauben, 
Alle eingehn in das ewige Leben. 

Armen gab ſie Troſt und Kranken Heilung, 
Glück und Segen folgte ihren Schritten, 
Wer ſie hörte, glaubte ihrer Lehre. 


Und es ward ihr Kunde, daß am Fuße 
Des Gebirgs ein mächtiger König herrſche, 
Mirian genannt, deß Volk noch bete 

Zu Armaſi und den Untergöttern, 

Zu der Sonne und den fünf Planeten. 


Da zog ſie nach Kolchis, um zu predigen 
Von dem einigen Gott, der Menſch geworden. 


Und die Magier und der Oberprieſter 
Fahndeten nach ihr um ſie zu tödten. 

Und die Häſcher ſchlugen ſie in Feſſeln. 

Doch das Volk umdrängte fie mit Jauchzen, 
Fleht' um ihren Segen ſie und küßte 

Des Gewandes Saum der heiligen Jungfrau, 
Die einherzog wie die Morgenrötbe. 


Und die Prieſter harrten ihres Opfers 
Gierigen Herzens. Unter wilden Qualen 
Soll die Jungfrau ſterben, als die Quelle 
Allen Unheils das in's Land gekommen. 


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Auf dem großen Richtplatz vor dem Tempel 
Brennt ein Feuer. Zwiſchen hohen Pfeilern, 
So daß kaum die Flammen ihn erreichen, 
Schwebt ein Korb aus Eiſendraht geflochten; 
Drin ſoll ſie langſamen Todes ſterben. 


Schon verkündet lärmend Volksgewoge 

Ihre Ankunft. Leer war's auf dem Richtplatz, 
Doch bald füllt er ſich mit bunten Schwärmen. 
Ehrfurchtsvoll vor Nino weicht die Menge 
Wo ſie naht, geführt von ihren Schergen, 
Die mit königlichem Anſtand ſchreitet, 

Gleich als trüge ſie zum Schmuck die Feſſeln. 
Heitern Blickes ſchaut ſie in die Flammen 

Die den blühenden Leib zerſtören ſollen, 

Hebt die Händ' empor, das Volk zu ſegnen, 
Und bereitet ſich zum Opfertode. 


In des Oberprieſters Auge ſchaut ſie 
Feſten Blicks, ihm bangte vor dem Blicke. 
Altbekannt ſchien ihm ihr junges Antlitz, 
Das an dunkle Thaten ihn erinnert, 


1 


Die er einſt verübt — doch ſtark bezwingt er 
Seine Regung. — Forſchend, immer ſchärfer 
Heftet Nino auf ihn ihre Augen, 

Und wie Schatten der Erinn'rung ſchwebt es 
Ueber ihre Stirne — plötzlich ruft ſie: 


Ja, Du biſt es, Mörder meiner Mutter! 
Nimm Dein Opfer, führ' auch mich zum Tode! 


Alles Volk erſtaunte bei den Worten. 
Doch der Oberprieſter winkt den Schergen, 
Und die Schergen greifen Nino. Tobend 
Stürmt das Volk herbei um ſie zu retten. 
Das Getös dringt bis zum Ohr des Königs, 
Und er ſelbſt, der König kommt geſchritten 
Zornesvoll. Da theilt ſich das Gewoge 
Stumm in Ehrfurcht vor dem greiſen Herrſcher, 
Wie die Flut, wenn ſie ein Schiff durchſegelt. 
Fragt der König nach des Aufruhrs Urſach, 
Und die Jungfrau ſpricht: 

Erhabner König, 
Dieſer war der Mörder meiner Mutter! 
Nicht beſorgt bin ich um's eigne Leben, 
Aber Schreckensbilder der Erinn'rung 
Tauchten mächtig auf in meiner Seele 
Bei dem Anblick dieſes Mörderprieſters — 
Was ich fühlte, ſagt' ich, und das weckte 
Seinen Zorn mir und des Volkes Mitleid. 


Laß die Tochter ſterben, wie die Mutter! 
— Rief der Oberprieſter — ſie iſt ſchuldig! 


Schont der Heiligen! — ſcholl des Volkes Stimme — 
Gnade, Gnade für die heilige Jungfrau! 


Keine Heilige ift fie, eine Zaub'rin 
— Rief der Prieſter — und des Todes ſchuldig! 


Laut gebot der König Schweigen Allen, 

Und ſich forſchend zu der Jungfrau wendend, 
Sprach er, zitternd wie vor Furcht und Freude: 
Wie nennt man das Land, das Dich geboren? 


Unbekannt iſt mir des Landes Name 

Wo ich lebte meiner Kindheit Tage. 

Wohl erinnr' ich mich aus früher Jugend 

Einer Felſenburg im Waldesdickicht 

Zwiſchen Bergen fern am Meer gelegen. 

Dort lebt ich mit meiner ſchönen Mutter 

Und mit meinem Vater hohen Stammes. 

Doch — Du biſt es ſelbſt! Du biſt mein Vater! 
Nein, nicht täuſcht mich mehr Dein greiſes Haupthaar, 
Das umflorte Aug’, die faltige Stirne .... 


Und er ſelbſt erkannte ſeine Egla, 

Sank ihr in die Arme und ſie ſtanden 
Lang in ſtummer, ſeliger Umarmung. 

Sein erſtarrtes Herz thaut auf beim Anblick 
Des geliebten, langverlornen Kindes. 


Endlich fragt er: Rede, wie begab ſich 
Deiner Mutter Tod und Deine Rettung? 


Alles Volk drängt ſich heran zu hören, 
Und ſie ſprach: 

Als wir zum letztenmale 
Dich geleitet, wie Du zogſt zum Jagen, 
Und dann heimwärts kehrten, da begab ſich's 


— 76 — 


Daß ein Schwarm von ee und — 
Und in's Dickicht ſchleppte. Meine Mutter 
Schrie nach Hülfe laut. Da rief der Führer: 
Schlagt die Jüdin nieder! — Wie? Ihr zaudert? 
Rief er grimmig, und griff ſelbſt zum Schwerte, 
Ihr das Herz mit jähem Stoß durchbohrend, 
Daß mir das Bewußtſein ſchwand vor Grauſen, 
Ich wie leblos in den Raſen ſtürzte. 
Doch das Bild des fürchterlichen Mannes 
Blieb mir eingeprägt mit blutigen Zügen. 
Als ich wieder aufſchlug meine Augen, 
Fand ich mich am Saum des Meer's, in Obhut 
Zweier Männer, und mein kläglich Nuhr 
Weckt ihr Mitleid. f 

Schonen wir des Kindes 
Sprach der Eine — kann ein rn uns ſchaden? 


Und ein Schiff tung mich zum Abendlande, 

Wo ich aufwuchs in des Heilands Lehre, 

Und getauft ward mit dem Namen Nino. 

Alſo aus der Todesnacht der Mutter 

Ging der Tag mir auf des ewigen Lebens. 

Und mich trieb der Geiſt, das Wort des Heilands 
Selbſt zu künden unter fremden Völkern. 

So kam ich zurück zum a K. 


Da zum Oberprieſter prach der König: 

Weh Dir, Heuchler, Mörder meiner Liebe! 
Wie hat mich Dein falſches Wort betrogen, 
Als Du ſprachſt, die Götter hätten ſelber 
Weib und Tochter mir geraubt, zur Strafe 
Daß ich Rahel, eine Jüdin freite. 


. 


Sprach der Oberprieſter: Wahrheit ſagt' ich, 
Denn ich war der Götter Hand und Werkzeug! 
Als Dein Vater Dich berief zu herrſchen 
Ueber Kolchis, mußte Rahel ſterben: 

Keine Jüdin konnte Königin werden 

Ueber Gläubige, die dem Lichtgott dienen. 


Greift den Mörder! rief der König zürnend, 
Mit dem Tode büß' er ſein Verbrechen! 


Aber Nino ſprach: Vergieb ihm, Vater, 
Denn nicht kannt' er, die er that, die Sünde. 
Eine höhere Macht hat hier gewaltet, 

Das Gewebe ſeines Wahns zerreißend 

Und in ewiges Heil Dein Unglück wandelnd. 


Gottbegeiſtert predigt ſie vom Heiland. 
Und der König mit dem ganzen Volke 
Ließ ſich taufen, ließ der Magier Häuſer, 
Sammt den Götzentempeln niederreißen, 
Und zur Ehre des dreieinigen Gottes 
Tempel bauen, darin anzubeten. 


Und von Stund' an kam des Himmels Segen 
Ueber Kolchis, über Volk und König. 

Nicht mehr eine Muſchel ohne Perle 

Däucht ihm ſein Palaſt, denn Nino lebte, 
Lebt noch heut mit ihm in Lied und Sage. 


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Es begab ſich aber zu derſelbigen Zeit (1570), daß Iwan IV, 
Waſſiljewitſch, genannt der grauſe Zar, da ihm das Ver— 
langen kam ſich wieder zu vermählen, Wahlboten ausſandte, 
mit dem Befehl, in allen Ortſchaften ſeines Reichs die ſchönſten 
Jungfrauen auszuwählen, ohne Unterſchied des Standes und 
Blutes: Fürſtentöchter und Bojarenkinder, bis herab zur 
Bauerdirne, und ſie Alle nach Moskau vor ſein Angeſicht zu 
führen. So wurden über 2000 Jungfrauen in der Alexan⸗ 
drowiſchen Sloboda verſammelt, zur Prüfung und Auswahl 
des rechtgläubigen Zaren. . .. Solches geſchah, ehe die Ta- 
taren wieder in's Land fielen. 


Ruſſ. Chronik. 


F. Bodenſtedt. X. 6 


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Fin neues Lied fing’ ich aus alter Zeit 

Und fernem Lande. Einem Volk, entſchwunden 

Aus der Exinnrung, iſt dies Lied geweiht, 

Ein ſpäter Nachklang halbverſchollner Kunden 

Von Menſchen, die in Liebe ſich gefunden, 

Wo rings die Welt ein Bild der Zwietracht bot, 

Und wie die Liebe Alles überwunden, 

Womit das Schickſal feindlich ſie bedroht: 
Trennung, Verfolgung, Haß, Tyrannenmacht und Tod. 


Und fragt Ihr mich: warum holſt Du ſchon wieder 

Die Perlen des Geſangs aus fremder Flut? 

Schöpfſt nicht aus Deutſchem Urborn Deine Lieder, 

Wo mancher Schatz noch ungehoben ruht... 

Ach! wer wühlt gern im eignen Fleiſch und Blut? 

Ich ſinge nicht von Göttern, Feen und Elfen, 

Noch ſchürt mein Lied die unheilvolle Glut 

Des Kampfs der Ghibellinen und der Guelfen—— 
Hier kann uns kein Geſang, hier kann nur Eiſen helfen. 


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Das Herz, das friſch noch blutet vom Geſchicke, 
Erfreut ſich nicht am Bilde ſeiner Leiden; 
Doch mag man wohl mit ungetrübtem Blicke 
An Bildern der Vergangenheit ſich weiden. 
Verklärt erſcheint, wenn es Aeonen ſcheiden 
Von uns, das Schlimmſte ſelbſt und Ungeheure, 
Fremde Verblendung lehrt uns eigne meiden. 
Und, glaubt mir! für das Vaterland, das theure, 
Für Deutſchland ſchlägt mein Herz ſo glühend wie das Eure. 


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Groß -Nowgorods ruhmvolle Zeit war hin, 

All ſeine Macht und Herrlichkeit zerfallen; 

Im Staube lag des Nordens Königin, 

Die Stadt, hehr und gefürchtet einſt vor allen. 

Nicht länger ſollt' ihr ſtolzes Wort erſchallen: 

»Wer wagt ſich gegen Gott und Nowgorod?« 

Verblutend unter den raubſichern Krallen 

Des Ruſſenaars, dem Feind ein Hohn und Spott, 
Verlaſſen war ſie nun von Menſchen und von Gott! 


Jetzt wuchert Gras durch Hallen und Paläſte, 
Die Schätze aller Zonen einſt enthalten, 
Als noch der ſchiffereichen Hanſa Gäſte 
Zur Schweſterſtadt am Wolchowſtrome wallten. 
Da ſah man Glanz und Schönheit ſich entfalten 
In Nowgorod, wenn bei der Feſte Prangen 
Der Normannsjugend rüſtige Geſtalten 
In fröhlichem Turnei die Speere ſchwangen 
Und zu der Helden Ruhm des Nordlands Harfen klangen! 


A ER 


Die Mauern, Trümmerhaufen jetzt, einſt hemmten 
Den wilden Andrang der Tatarenhorden, 
Die — eine Sündflut — Alles überſchwemmten, 
Was reif zum Strafgericht des Herrn geworden. 
Der Wolchow rauſchte frei in ſeinen Borden, 
Und eine Inſel aus dem Meer von Sklaven 
Erhob ſich Nowgorod einſam im Norden, 
Furchtbar dem Feind, der Freiheit ſichrer Hafen, 
Von allen Schrecken fern, die andre Völker trafen, 


Doch auch dem hellſten Tage folgt die Nacht, 
Und Nichts auf Erben ſoll Beſtand gewinnen — 
Was gegen Nowgorod kein Feind vollbracht 
Von Außen ſe — vollbracht es ſelbſt von Innen, 
Durch Bürgerzwiſt, herrſchſüchtiges Beginnen; 
Und groß im Unglück, ward's im Glücke klein, 
In Zwietracht ſah es ſeine Macht zerrinnen, 
Der innre rief den äußern Feind herein, 

Und Sklavin ſollte jetzt die ſtolze Königin fein. 


In alter Freiheit Hochgefühl erglühten 

Die Herzen da, der Muth wuchs mit der Noth, 

Und ein Verzweiflungskampf begann, ein Wülthen, 

Wie nie die Welt ein gleſches Schauspiel bot; 

Blut färbt die Straßen, Glut den Himmel roth, 

Der Tag verlor ſein Licht, die Nacht den Schatten, 

Den Arm der Kämpfer lähmte nur der Tod — 

Und wie ſie ſterbend ausgerungen hatten, 
Jand man weitum nicht Platz, die Todten zu beſtatten. 


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Ein Grab ward Nowgorod. Doch Blumen blühn 
Auf Gräbern auch, und um Ruinen ſchlingt 
Der Epheu gern fein unvergänglich Grün. 
Und wenn zur Erntezeit die Senſe klingt, 
Wie tief der Schnitter auch ſein Eiſen ſchwingt: 
Bleibt oft im Felde noch ein Blümlein ſtehn, 
Das abzumähn dem Schnitter nicht gelingt — 
Ein Wandrer pflückt es im Vorübergehn; 

Es ſoll an ſeiner Bruſt verwelken und berwehn. 


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II. 


Andreas. 


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Von einem edlen Jüngling geht die Sage, 

Der heim nach Nowgorod von ferne kam. 

Ein Schimmer noch der alten Ruhmestage, 

Des alten Prunks und Glanzes wunderſam 

Umwob die Stadt, als er einſt Abſchied nahm — 

Noch ſtanden ihre Tempel und Paläſte, 

Noch ſah man fremde Trachten und vernahm 

Im Volksgewog die Sprachen fremder Gäſte, 
Markt und Palaſt erſcholl vom Jubel üppiger Feſte. 


Ihm aber war die eitle Luſt vergällt, 
Er ſah auf das geſunkne Volk in Trauern; 
Es gingen drohende Zeichen durch die Welt 
Und durch ſein Herz ein ahnungsbanges Schauern; 
Er wußte viel verborgne Feinde lauern, 
Viel Praſſer ſchwelgen von Verrätherlohne 
In Nowgorods unheilbedrohten Mauern; 
Er wußte: nach der welken Bürgerkrone 
Streckt ſchon der Zar die Hand von Moskaus goldnem * 


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Der Chriſten Stern ging unter in Byzanz, 
Sein Heiligthum war Raub der Heiden worden — 
In Moskau flammt' er auf in neuem Glanz: 
Es ſchüttelte das Volk die Heidenhorden 
Von ſich, und, was entkam dem Kampf und Morden, 
Dient' nur, hinfort des Zaren Macht zu mehren, 
Die, wie ein Strom beim Aufthaun, ihren Borden 
Entwogte, wild nach Außen ſich zu kehren, 

Und drohte, weit umher die Lande zu verheeren. 


Und als dem Jüngling alle Hoffnung ſchwand 
Im eignen Volk, zog er zur Fremde weit, 
Hilfe zu ſuchen für ſein Vaterland. 
Kund war ihm aus den Sagen alter Zeit, 
Wie weiland auch das Volk in Haß entzweit 
Und nirgend Hilfe fand und Hoffnung mehr 
Als in der Fremde. Auf den Ruf zum Streit 
Kam kühne Normannsjugend über's Meer 
Und bändigte das Volk und bot ihm Schutz und Wehr. 


Er ſchied nicht leicht, denn holder Liebe Glück 
Hielt ihn an ſeine Vaterſtadt gebunden, 
Sein Liebſtes in der Welt ließ er zurück: 
Das treuſte Herz, das je ein Mann gefunden. 
Doch ward der Schmerz der Trennung überwunden, 
Und heimwärts zog ihn erſt des Herzens Drang 
Als auch der letzte Hoffnungsſtrahl verſchwunden. 
Dann hemmten Stürme ſeine Rückkehr lang, 
Mit Noth entrann ſein Schiff dem droh'nden Untergang 


— — 


Und als er kam zum blauen Ilmenſee, 
Und rings, ſo weit er ſpäht, kein Segel fand, 
Faßt ſeine Bruſt ein ahnungsbanges Weh. 
Einſam ein Fiſchernachen ſtößt vom Strand, 
Wo ſonſt ein ganzer Wald von Maſten ſtand: 
»Könnt Ihr von Nowgorod mir Kunde ſagen?« 
— Ihr ſeid ein Fremdling wohl in dieſem Land, 
Daß Euch nicht kund, was hier ſich zugetragen? 
Nach Nowgorod müßt Ihr Gott, Wind und Wellen fragen. 


Zu Gott hat es vergebens aufgefleht: 
Er ſchlug die Stadt mit ſeines Zornes Ruthen, 
In alle Winde ward ihr Staub verweht, 
Und ihre Leichen treiben in den Fluten. 
Himmel und Erde flammten von den Gluten, 
Als ſei der Tag des Weltgerichts gekommen. 
Ihr beſtes Leben ſah die Stadt verbluten, 
Verderben traf die Sünder wie die Frommen; 
Des grimmen Siegers Wuth ſind Wenige nur entkommen. — 


Der Fiſcher ſprach's; er ſpannt' ein Segel aus 
Und gab nicht weiter Antwort auf die Fragen. 
Andreas ſtarrte ſtumm zur Flut hinaus, 
Kein Wort fand, keine Thräne fand ſein Klagen. 
Doch fiebernd fühlt er ſeine Pulſe ſchlagen, 
In wilder Glut durchzuckt's ihm Hirn und Herz — 
Der Fiſcher konnt' ihm keine Kunde ſagen, 
Ob ſie noch lebt, zu lindern ſeinen Schmerz! 

Und ungetröſtet fährt er fürbaß, heimatwärts. 
F. Bodenſtedt. X. 7 


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Er naht vom Ilmenſee dem Wolchowſtrom 
Und ſpähend ſchweift ſein Auge in die Weite: 
Dort glänzt der heiligen Sophia Dom 
Im Abendglühn, und unten, ihm zur Seite, 
Wo ſich die Mauer dehnt in ganzer Breite, 
Steht Marfa's Haus. ... So ward es nicht getroffen 
Vom Untergang, blieb unverſehrt im Streite? 
Andreas rief's und heiße Thränen troffen 
Ihm über's Angeſicht, er wagt aufs Neu zu hoffen! 


Die Sonne ſank, eh' er die Stadt erreicht, 
Und Nacht verhüllte feine Wiederkehr; 
Kaum daß ſich da und dort ein Lämpchen zeigt, 
Wo vordem ein weitſtrahlend Lichtermeer 
Die Nacht in Tag verwandelt. Wenig mehr 
Fand er, was der Verheerung widerſtanden. 
Er eilt zum Vaterhaus — ach! wüſt und leer 
Erſchien die Stätte — ſeine Blicke fanden 

Das Vaterhaus nicht mehr: den Platz nur, wo's geſtanden! 


Er eilt nach Marfa's Haus; doch tiefes Dunkel 

Umhüllt es, wie der andern Häuſer Reihn. 

Die Pforte weicht dem Druck — ein matt Gefunkel 

Schimmert vom Flurgemach; er tritt hinein. 

Dort ſaß der Vater Marfa's ſpät allein, 

Im Buch der Bücher leſend, wie er immer 

Zu thun pflag, eh' er vor dem Heiligenſchrein 

Hinkniet zum Nachtgebet. Vom Licht im Zimmer 
Erglänzt ſein Silberhaar, verklärt wie Heiligenſchimmer. 


— —— 


Biſt Du's, mein Sohn? — Ich bin's!« Welch Wiederſehn 

Nach langer Trennung unheilvollen Tagen! 

Und wie die Beiden eng umſchlungen ſtehn 

Und warm die Herzen an einander ſchlagen, 

Andreas drängt den Greis mit ſchnellen Fragen: 

»Lebt Marfa noch?« — Sie lebt noch, lebt für Dich! 

»Und meine Eltern? ... Deine Blicke ſagen 

Das Schrecklichſte ... Dein Schweigen martert mich 
Mehr als Dein Wort vermag — o ſprich das Schlimmſte, fprich !« 


Und feſt am Arm hält er den alten Mann: 

»Erzähle mir von meiner Eltern Tod, 

Sag' Alles, was Du weißt!« Der Greis hub an: 

Als Moskaus Herrſcher Nowgorod bedroht, 

Erſchien ein Herold, der dem Volk entbot, 

Sich der Gewalt des Zaren zu ergeben, 

Dann werde frei die Stadt von Kriegesnoth 

Im Schutz des mächtigen Ruſſenherrſchers leben — 
Doch droht' ihr Untergang, wagt' ſie zu widerſtreben. 


Da hieß Dein Vater alles Volk berufen, 

Nach altem Brauch, vor Jaroslaw's Palaſt, 

Und ſprach herab von des Palaſtes Stufen: 

Iſt Jemand unter Euch, dem ſo verhaßt 

Die Freiheit, und das Leben ſo zur Laſt, 

Daß wehrlos er der Menſchheit höchſte Güter 
Wegwirft, damit ein Zwingherr fie verpraßt! 

Wo ſind die Sklaven, wo der Freiheit Hüter? 

Sprach's; wie ein Wetterſtrahl durchzuckt' es die Gemüther. 
7 * 


— 10 — 


Weit ſcholl vielſtimmiger Zuruf aus der Menge, 

Doch auch viel bange Zweifel wurden wach; 

In Gruppen theilt ſich murmelnd das Gedränge. 

Ich rieth zum Frieden. Stürmiſch unterbrach 

Dein Vater mich, als ich verſöhnend ſprach; 

Zum Kampf rief er die Männer auf — da drang 

Der Feind herein, zog die Vernichtung nach. 

Und wie das Volk auch in Verzweiflung rang: 
Es war ſein letzter Kampf, Nowgorods Untergang. 


Vorher war zu des Zaren Ohr die Kunde 

Des Herolds, den er uns geſandt, gekommen, 

Von dem, was er aus Deines Vaters Munde, 

Und was von meinen Worten er vernommen. 

Und als der Feind die Stadt mit Sturm genommen, 

Der Unſern nur noch Wenige übrig waren, 

In allen Straßen Kampf und Feuer entglommen, 

Da ſtürzten wild zerſtörungswüthige Schaaren | 
Nach Deines Vaters Haus — und auf Geheiß des Zaren 


Verſchont ward weder Alter noch Geſchlecht, 
In Kampf und Glut fand Alles ſeinen Tod, 
Und aus dem Haus entkam nicht Herr noch Knecht. 
Doch ich, ſammt Kind und Haus, blieb unbedroht, 
Da bei des Kampfs Beginn der Zar gebot: 
Vor jeder Fährniß mich und meine Wohnung 
Zu ſchützen. Schmachpoll ſchien mir's, fern der Noth 
Des Volks zu ſein, ich wollte keine Schonung, 

Doch machtlos wehrt ich mich der feindlichen Belohnung. 


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Ich rief zum Herrn: Herr, laß mich auch verderben, 
Mit meinem Volke laß mich untergehn! — 
Umſonſt! Nicht helfen konnt' ich und nicht ſterben, 
Und Freund' und Nachbarn mußt' ich ſterben ſehn, 
Inmitten der Verwüſtung Greueln ſtehn 
Hilfloſen Arms und mit gehemmtem Schritt. 
Mich konnte Niemand als mein Kind verſtehn, 
Marfa litt mehr noch als ich ſelber litt; 

Wir ftarben -taufendfach den Tod der Andern mit. ... 


Du gehſt uns auf, ein Stern in finſtrer Nacht! 
Ich wecke ſie. — »Nicht in ſo ſpäter Stunde! 
Erzähle weiter, bis es ganz vollbracht!« 
Stumm hing Andreas an des Greiſes Munde; 
Durch's Auge oft, aus tiefſtem Herzensgrunde 
Zuckt's, wie aus dunklen Wolken Blitzesſtrahlen. 
Von ſchreckenvollen Dingen ward ihm Kunde. 
Doch, wofür er nicht Worte fand, die Qualen 

Der ſturmbewegten Bruſt, ſoll ſie das Lied Euch malen? 


Wir laſſen ihn mit ſeinem Schmerz allein; 
Denn, wo das Unglück ſich zu Gaſt geſetzt, 
Soll, wer nicht Hilfe bringt, kein Zeuge ſein. 
Das tiefſte Weh erſchöpft ſich ſelbſt zuletzt. 
Wir aber ſtimmen unſre Harfe jetzt 
Zu frohem Spiel. Es ſoll beim Klang der Saiten 
Die Wange tocknen, die der Gram benetzt; 
Es ſollen Liebesfeſte ſich bereiten 
Und durch des Leidens Haus der Gott der Freude ſchreiten. 


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Ahnt Marfa wohl, daß der Geliebte nah? 
Aus unheilvollem Traum erwachend, lange 
Das Haupt geſtützt auf's Händchen, lag ſie da, 
Wie Purpur glühte die ſonſt blaſſe Wange. 
Horch! deutlich hallten Schritte her vom Gange, 
Wer mag dort in fo ſpäter Stunde ſchreiten? ... 
Es kann nicht fein! ... Ihr Herz ſchlug laut und bange, 
Sie ſchlief nicht mehr, ließ Bilder alter Zeiten 
In wildbewegter Flut dem Blick vorübergleiten. 


Der Kindheit Jahre ſchwanden ohne Kummer, 
Klar wie der Waldquell fließt im Lenzeshag; 
In ſchöne Träume wiegte ſie der Schlummer, 
Zu ſchönem Leben weckte ſie der Tag. 
Sie hatte, was das Herz begehren mag. 
Nur Eins, das Beſte war ihr nicht gegeben: 
Ein Mutterherz! — Da ſie noch hülflos lag 
In ihrer Wiege, ſtand ein Sarg daneben, 
Durch ihrer Mutter Tod ging Marfa ein zum Leben. 


— 106 — 


Wohl wurde auf der Kindheit roſigen Bahnen 
Sich Marfa des Verlornen nicht bewußt; 
Doch mit ihr wuchs ein ſehnſuchtsvolles Ahnen, 
Umwölkte leicht die ſonnige Lebensluſt. 
Nachdenkend ſah ſie, wie an Mutterbruſt 
Der Kinder Auge ſelig ſich verklärte 
Und Glück empfand, davon ſie nie gewußt; 
Klar ward ihr immer mehr, was ſie entbehrte, 
Bis ſie Andreas fand — und nun nichts mehr begehrte. 


Es war, als ob ein Wunder ihr geſchähe, 

Da ſie das junge Herz ſich ſah erſchließen 

Voll Glut der Leidenſchaft in ſeiner Nähe. 

Wie Flüſſe, die aus Nachbarquellen ſprießen, 

Gemeinſam, doch getrennt die Au durchfließen, 

Bis plötzlich jede Hemmung überwunden 

Und rauſchend ineinander ſich ergießen 

Die beiden, nun zu Einem Strom verbunden: 
So hatten Marfa und Andreas ſich gefunden. 


In Marfa's Herzen blieb kein Wunſch zurück, 
Seit ſie in Ihm ihr Eins und Alles fand; 
Er aber theilte ſeiner Liebe Glück 
Mit bangen Sorgen um ſein Vaterland, 
O Tag des Grams, da er ſich ihr entwand 
Und nun das wüſte Meer lag zwiſchen ihnen! 
Doch ihn trieb's fort zum fernen nord'ſchen Strand, 
Wo ihm der letzte Hoffnungsſtern erſchienen, 
Und das verlaßne Glück, er wollt' es neu verdienen. 


— 107 — 


Sie ſtand am Ufer, ſah dem Schiffe nach 
Und ließ die heiße Stirn vom Wind umwehn, 
Der es von dannen trieb, bis allgemach 
Kein Pünktchen mehr vom Fahrzeug war zu ſehn — 
So mag am öden Strand ein Schiffer ſtehn, 
Deß Schiff das Meer verſchlang mit Hab' und Gut. 
Sie ſtand, als wollte ſie nicht wieder gehn, 
Bewegungslos, die Augen ohne Glut, 

Starrt' ſie, ein Marmorbild, auf die bewegte Flut. 


Ob nach dem Scheiden auch das junge Herz 
Zu brechen drohte, — bald war's überwunden; 
Erſt beugte ſie, dann ſtählte ſie der Schmerz, 
Und einſam nur, in unbelauſchten Stunden, 
Wenn ſie des einſt'gen Glücks, ſo ſchnell entſchwunden, 
Gedachte, brach ſie aus in laute Klagen; 
Doch vor den Menſchen ward ſie ſtark erfunden 
Wie eine Heldin, ſelbſt in jenen Tagen 
Der Noth, die manchen Mann ſah'n zittern und verzagen. 


In der Erinn'rung Marfa ſchaudernd bebte 
Zurück vor dem, was ſie in Wirklichkeit 
Mit ungebeugtem Muthe einſt durchlebte; 
Zum Schreckbild ward ihr die Vergangenheit. 
Sie ſprang empor vom Bett, warf ſich in's Kleid. 
Durch's Fenſter ſtrahlte ſchon der junge Tag, 
Durch reiche Fluren blitzt der Wolchow weit, 
Durchſichtig flattern Nebel über'm Hag, 
Fern ſchmettern Lerchen hell, nah tönt der Droſſel Schlag. 


— 18 — 


Sie flog zum Garten. Morgenglanz und Duft 

Verſcheuchte bald das Angſtgefühl der Nacht. 

Schon ging ein Hauch des Sommers durch die Luft 

Des ſpäten Lenzes, der mit ſolcher Pracht 

Dies Jahr erſchloſſen ſeiner Wunder Schacht, 

Als wollte die verſöhnende Natur | 

Gut machen, was die Menſchen ſchlecht gemacht, 

Und von den Greu'ln der blutgetränkten Flur 
Durch ihren Blüthenſchmuck verhüllen jede Spur. 


Marfa ging durch den Garten bis zum Strome, 
Die Sonne ſchien in reinſter Morgenhelle; 
Die Kuppel glühte vom Sophiendome 
Wie eine zweite Sonne; ob der Welle 
Wiegt' ſich die Möde; Käfer und Libelle 
Durchſchwirrt' die Luft; — es klang in Baum und Strauch, 
Als ſchöpfte Wonne aus des Lichtes Quelle 
Was lebt und webt; es ging ein Friedenshauch 
Durch alle Schöpfung heut, durch Marfa's Buſen auch. 


Reich drängt ſich Blum' an Blum' aus friſchem Grün, 
Die luft'ge Glockenblum', der rothe Klee, 
Maßliebchen weiß und Anemonen blühn, 
Die ſchlanken Birken ſchimmern weit wie Schnee; 
Und Marfa ſchwebt gleich einer holden Fee 
Am Ufergrün des Wolchowſtromes hin — 
Einſam ein Nachen treibt zum Ilmenſee, 
Sie grüßt ihm zu, ein Fiſcher ſaß darin, 
Er ſchwenkt den Hut wie mit bedeutungsvollem Sinn. 


— 109 — 


Sie weiß nicht, was das Winken deuten ſoll; 
Da plötzlich hört ſie's im Gebüſch ſich regen 
Und nah, ganz nahe eine Stimme ſcholl 
So traut und ſo bekannt — und auf den Wegen 
Tritt haſt'gen Schritts Andreas ihr entgegen: 
»Marfa!« — »Andreas!« — Und von ihm umfangen 
Glüht, die ſo lang' dem Gram im Arm gelegen, 
In Einem Augenblicke ſind die langen, 

Der Trennung bittre Wehn vergeſſen und vergangen. 


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IV. 


Vereinung und Trennung. 


(Mi. hoch der Himmel nach der Stürme Toben 

Noch reiner ſchimmert als er vorhin war, 

Blieb auch zurück manch drohend Wölkchen oben: 

So freute ſeines Glücks das junge Paar 

Sich doppelt jetzt nach Stürmen und Gefahr, 

Und tauſchte Seligkeit aus Herz und Munde; 

Im Flug entſchwand das lange Trauerjahr, 

Das endlos ſchien; ſchon nah iſt nun die Stunde, 
Die ſie vereinen ſoll zu gottgeweihtem Bunde. 


Neu blüht das Land in Frühlingspracht; es mait 
In Marfa's Herzen wie in Blum' und Baum; 
Ein ſchöner Traum däucht ihr die Wirklichkeit, 
Was bleiern ſie gedrückt, zerfloß wie Schaum, 
Und heller als der ſonnige Gartenraum 
Mit Blumenſchmuck und blühendem Geſtäude, 
Schien ihr die Zukunft. Bis zum Stromesſaum 
Stehn weiße Zelte, luftige Feſtgebäude 

Für alles Volk, das heut ſich mitfreut ihrer Bee: 
F. Bodenſtedt. X. 


— 14 — 


Fern in ein weißes Segel blies der Wind; 

Und Marfa konnte deutlich bald gewahren 

Die Männer in dem Boot, das fluggeſchwind 

An ihr vorüberglitt; unheimlich waren 

Ihr die Geſichter. Kleidung und Gebahren 

Sagt ihr: das müſſen Moskowiter ſein! 

So trug ſich das Gefolg des grauſen Zaren. 

Das Boot fährt mitten in die Stadt hinein; 
Marfa ſchaut unruhvoll und ängſtlich hinterdrein. 


Es treibt ſie fort, zum Vater hinzueilen, 
Ihm zu verkünden, was ſie wahrgenommen; 
Doch er vermag nicht ihre Furcht zu theilen: 
»Kann denn nur Böſes ſtets aus Moskau kommen, 
Und nicht auch Gutes? Ward nicht ſchon genommen 
Aus Nowgorod, was hier zu nehmen war?« 
— Doch wir allein ſind der Gefahr entkommen! — 
»Verlangt nach meinem Hab' und Gut der Zar: 

Er nehm' es, freudig bring' ich's ihm zum Opfer dar, 


Zur Sühne, daß mein Haus von Kriegesplage 

Verſchont blieb in des Vaterlandes Noth. 

Mein Haupt iſt weiß, gezählt ſind meine Tage, 

Und leichten Muths begrüße ich den Tod, 

Nun Eurem Bund kein Hinderniß mehr droht, 

Ich Dich in Obhut des Geliebten weiß. 

Nie wird Euch fehlen Euer täglich Brod, 

So lang' Ihr Gott vertraut und Eurem Fleiß! 
Alſo zu Marfa ſprach der gottesfürchtige Greis. 


— 15 — f 


Ermahnt ſie noch, durch Beten und Erbauung 
Sich auf den heiligen Akt vorzubereiten, 
Der ihrer harrt . . . Vor Mittag zu der Trauung 
Drängt ſich viel Volk herbei von allen Seiten, 5 
Das junge Paar zum Dome zu geleiten, 
Denn hoch in Ehren ſtanden ſie bei Allen. 
Es war der ganze Weg, auf dem ſie ſchreiten, 
Vom Vaterhaus bis zu des Domes Hallen, 
Beſtreut mit Blumen. Ernſt ſieht man das Brautpaar wallen, 


Des feierlichen Tages eingedenk; 
Sie ſah'n, ob treuvereint ſeit langen Jahren, 
Einander an als wie ein Gottgeſchenk 
Von heute. Und im Feſtesſchmucke waren 
Sie herrlich anzuſchaun: er, mit dem klaren, 
Treuherzigen Blick, ein jugendrüſtiger Freier 
Von mächtigem Wuchs und langgelockten Haaren. 
Sie leicht umhüllt vom weiß ⸗durchſicht'gen Schleier, 
Den Kranz im braunen Haar. Und ſchon beginnt die Feier: 


Die heilige Weihrauchurne wird geſchwungen, 

Ein Weihgebet ſteigt auf zu Gottes Throne 

Und ein Geſang des Segens wird geſungen, 

Daß Gott behüte, die er mit der Krone 

Der Ehren ſchmückt, daß Glück und Friede wohne 
In ihrem Hauſe. Aus des Prieſters Munde 
Schallt Lob und Ruhm dem Vater und dem Sohne 
Und heiligen Geiſt, wie er zu ewigem Bunde 


Jetzt Beider Hände eint. Voll Andacht in der Runde 
8 * 


— 16 — 


Lauſcht alles Volk, als hell die Worte klangen: 

Herr, ſei mit Deiner Magd und Deinem Knecht, 

Laß ſie treuliebend aneinander hangen, 

Und thun, was vor Dir heilig iſt und recht! 

Wie Du geſegnet Abraham's Geſchlecht, 

So ſegne dieſe auch, laß ſie in Leiden 

Wie Glück vor Dir beſtehn treu und gerecht! — 

So wird Ein Herz und Leib nun aus Euch Beiden, 
Was Gott zuſammenfügt, das ſoll der Menſch nicht ſcheiden! 


Kaum iſt das Wort des Prieſters Mund entklungen, 

Als plötzlich Alles nach der Pforte ſchaut 

Des Domes. Dort ſind Männer eingedrungen 

Mit Waffen; fremde Stimmen werden laut. 

Marfa erhebt das Auge, und ihr graut, 

Da ſie die Männer ſieht, die heut im Nachen 

Zur Stadt einfuhren. »Iſt fie ſchon getraut? « 

Frug eine Stimme. »Ja!« erſcholl's. Da ſprachen 
Die Andern: Wehe uns, daß wir ſo ſpät aufbrachen 


Nach Nowgorod! Marfa iſt uns verloren. 
— Noch nicht! — fiel ſchnell der Erſte wieder ein — 
Sie muß uns folgen, die der Zar erkoren 
Zur Braut. — Nicht Alle ſtimmten überein. 
»Sie iſt vermählt!« — Doch noch jungfräulich rein! — 
Es ward ein Streit. Der Prieſter am Altar 
Mahnt ſie, das Haus des Herrn nicht zu entweihn. 
Drauf Einer ruft: Geſandt hat uns der Zar, 

Kraft ſeines Herrſcherworts trenn' ich dies junge Paar, 


— 17 — 


Marfa zu küren als des Zaren Braut. — 
Andreas hält ſie feſt, ruft ihm entgegen: 
Sie iſt mein Weib, vor Gott mir angetraut! 
Drauf Jener: Laß in Güte Dich bewegen, 
Von ihr zu ſcheiden, Dir und ihr zum Segen, 
So will der Zar — ſonſt führt Gewalt ſie fort! 
Andreas ruft: »Kehrt heim auf Euren Wegen, 
Mehr als des Zaren Wort gilt Gottes Wort!« 
Und Marfa zitternd fleht: Sei Du mein Schutz und Hort, 


Verlaß mich nicht! — Der Vater ſieht mit Schaudern 
Die Qual, kniet, ruft mit flehenden Geberden: 
Schont meines Kindes! — Und ein Kurzes zaudern 
Die Krieger. »Niemand ſoll Dein Kind gefährden, 
Des Ruſſenlandes Zarin ſoll ſie werden, 
Soll glücklich ſein, daß Alle ſie beneiden 
Als Ehgemahl des Mächtigſten auf Erden. « 
Alſo der Führer — und er naht den Beiden — 
»Was Gottes Hand gefügt, das ſoll der Menſch nicht ſcheiden!« 


Andreas ruft's, hält Marfa feſt umſchlungen — 
Drauf Jener: Läßt er friedlich ſie nicht los, 
So trennt ſie mit Gewalt! Nun wird gerungen 
In wilder Wuth, und Schwerter werden bloß, 
Zum Kampfplatz wird der Kirche heiliger Schoß 
Und Blut fließt von des Hochaltares Stufen. 
Ein Schwertſtreich lähmt Andreas Arm, ein Stoß 
Trifft ſeinen Hals — und Marfa's Hilferufen 
Der Frebler keiner hört, die ſolches Weh ihr ſchufen 


— 18 — 


Da ſtürzt ihr Vater vor, packt ſie am Arme: 
Laßt mir mein Kind! — Gehorſam will der Zar! — 
Lebt denn kein Gott mehr, daß er ſich erbarme! 
Und wie ein Raſender, vom Hochaltar 
Stößt er zwei Schergen nieder aus der Schaar — 
Andreas hat ſich blutend aufgerafft, 
Er wird ein hingefallnes Schwert gewahr, 
Ergreift es — ſchon wird Marfa fortgeſchafft — 
Er folgt ihr nach und kämpft mit der Verzweiflung Kraft, 


Sie zu befrein. Vor feines Zornes Wüthen 
Zu Boden ſank der Mann, der Marfa hielt; 
Doch während Unheil ſeine Augen ſprühten, 
Ward tückiſch hinterrücks auf ihn gezielt. 
Er brach zuſammen. Um die Lippen ſpielt 
Ein ſchmerzlich Zucken noch; dann ward es Nacht 
Vor ſeinen Augen: und der Feind behielt 
Den Raub, der ſchon in Sicherheit gebracht — 
Zu ungleich war der Kampf des Rechtes mit der Macht. 


Auch Marfa's Vater fand im Kampf den Tod, 

Wie man gewaltſam ihm ſein Kind entwand. 

O Bild des Grauſens, das ſich Marfa bot, 

Als ſie zum Letztenmal den Blick gewandt 

Im Dome: Zwiſchen den Gefallnen ſtand 

Der Prieſter, ganz zerknirſcht vor Zorn und Leid, 

Mit I uter Stimme und erhobner Hand 

Verfluchend, die das Haus des Herrn entweiht — 
Fern ringsum ſtand das Volk in Furcht und Traurigkeit. 


— 119 — 


So ward ſie fortgeſchleppt vom heiligen Orte, 
Bleich, wirren Blicks, mit aufgelöſten Haaren — 
Ihr Schmerz fand keine Thränen, keine Worte. 
Und ob der Menſchen viel zugegen waren: 
Zu ſchwer lag auf dem Volk die Furcht des Zaren 
Und Keiner half ihr aus der Freunde Kreiſe; 
Schutzlos ließ Nowgorod ſein Kleinod fahren — 
Die alte Amme nur folgt auf der Reiſe 

Der jungen Herrin, die jetzt Wittwe war und Waiſe. 


Das lang erſehnte, ſchwer errungne Glück 

Es war im Nu zerronnen und verflogen. 

Starr, wie im Wahnſinn ſchaute ſie zurück 

Nach Nowgorod und auf des Wolchow Wogen, 

Die blutroth wie die fernen Wölkchen zogen 

Im Abendglühn. Dann brach die Nacht herein. 

Kein Stern ging auf am dunklen Himmelsbogen, 

In das verwaiſte Herz kein Troſt zog ein — 
Marfa war heimatlos, verlaſſen und allein. 


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| Die Brantshun unk dem Kreml. 


Dem Zaren war fein hold Gemahl geftorben, 
Die Zierde feines Throns. Voll Zorn und Qual 
Flucht er dem Schickſal, das ſein Glück verdorben. 
Einſam ſitzt er im düſtern Königsſaal, 
Sein Herz verlangt nach neuem Ehgemahl; 
Doch keine Jungfrau lebt in Moskaus Mauern, 
Die ſchön genug und würdig ſeiner Wahl; 
Und feine Sehnſucht wächſt mit feinem Trauern. 
Oft ſchüttelt's in der Nacht ihn auf mit wilden Schauern, 


Und unruhvoll wühlt in den ſeidnen Kiſſen 

Sein Haupt umher, und jäh fährt er empor; 

Mit Geiſterhänden pocht's an ſein Gewiſſen, 

Der Fluch unſchuldiger Opfer trifft ſein Ohr; 

Dem Auge ſchweben wüſte Bilder vor 

Von Städten, die durch ihn ein Raub der Flammen, 

Ihm auf ein Kurzes lüftet ſich der Flor 

Des Irrthums, und ſich ſelbſt muß er verdammen — 
Die Stirn treibt kalten Schweiß, erſchöpft ſinkt er zuſammen. 


— 124 — 


So war's nicht, als noch Anaſtaſia lebte, 
Die Gattin, ſeiner dunklen Nächte Leuchte, 
Die hold, ein Friedensengel, ihn umſchwebte, 
Von ſeiner Stirne jedes Wölkchen ſcheuchte. 
O, wie der Mächtige gern vor ihr ſich beugte, 
Die wonnig ſeinen düſtern Muth verklärte, 
Daß oft die längſte Nacht zu kurz ihm däuchte, 
Wie nun die kürzeſte zu lang ihm währte, 
Da ihre Finſterniß nur Graun und Schrecken nährte. 


Wie's vordem war, ſo ſoll's aufs Neue werden, 

Nicht länger ſoll ihm traurig und allein 

Die Nacht vergehn — der Mächtigſte auf Erden 

Will auch der Glücklichſte der Menſchen ſein. 

Einſt träumt dem Zar: er ſieht im Feuerſchein 

Groß-Nowgorod; aus blutigem Gefild 

Die Geiſter der Erſchlagnen dringen ein 

Auf ihn, Vergeltung fordernd, dräuend, wild; 
Da rettend über ihm erſcheint ein Frauenbild, 


Holdſelig, wie von Himmelsglanz umwoben; 
Vor ihrem Blick iſt ſcheu die Geiſterſchaar 
Wie Nebeldunſt vor Sonnenſchein zerſtoben, 
Und ſelbſt verſchwand ſie wieder wunderbar 
Wie ſie gekommen. Doch vor Augen klar 
Dem Zaren blieb ihr Bild noch als er thronte 
Im Königsſaal — er kannte ſie! ſie war 
Das Kind des Greiſes, der am Wolchow wohnte, 
Und den ſammt Haus und Kind des Zaren Hand verſchonte 


— 125 — 


Als Alles unterging in Nowgorod. 
War ihm ihr Geiſt erſchienen, ihm zu danken 
Für einſtige Huld? Ward ſie beſtimmt von Gott, 
Sich, eine Blume, um ſein Herz zu ranken? 
So wogen in ihm Fragen und Gedanken. 
Durch ſeine Seele blitzt ein Hoffnungsſtrahl: 
Lebt Marfa noch, braucht er nicht mehr zu ſchwanken 
In banger Zweifel unruhvoller Qual, 
Neu blüht ihm Ruh und Glück, wird Marfa ſein Gemahl! 


Doch kam ihr Geiſt nicht aus dem Reich der Todten? 
Er will nicht lang' in Ungewißheit weilen; 
Aus ſeinen beſten Kriegern wählt er Boten, 
Nach Nowgorod zu Marfa hinzueilen. 
Und Herz und Krone will er mit ihr theilen, 
Der Lieblichen; ſie ſoll die ſchwere Wunde, 
Die Anaſtaſia's Tod geſchlagen, heilen — 
Erwarten kann er kaum die frohe Stunde, 
Die ſie ihm einen ſoll in gottgeweihtem Bunde. 


Bald kommt nun ſeinem ſtürmiſchen Herzen wieder 
Die ſüße Ruhe, langentbehrter Frieden, 
Und holder Schlummer deckt die Augenlider. 
Doch zeugt ein Wunſch den andern ſtets hinieden — 
Kaum hat der Zar für Marfa ſich entſchieden, 
Da keimt im Herzen ſchon ein neuer Plan. 
Solch unermeßlich Reich ward ihm beſchieden, 
Viel ſchöne Jungfraun ſind ihm unterthan, 
Die, weit im Land zerſtreut, nie ſeinem Throne nahn: 


— 126 — 


Wie — wenn ſie alleſammt vor ihm erſchienen, 
Daß er von Allen ſich die Schönſte wählte! 
Vielleicht daß er mit einer unter ihnen 
Doch lieber als mit Marfa ſich vermählte. 
Der ſinnberauſchende Gedanke quälte 
Iwan, bis er beſchloß, ihn auszuführen. 
Aus Kriegern, die er zu den Treueſten zählte, 
Wahlboten ſendet er, für ihn zu küren, 
Um durch der Schönheit Macht ſein wildes Herz zu rühren. 


So ziehn die Boten durch die Lande hin 

Und wählen Jungfraun aus zu ganzen Schaaren. 
Vom ſchönen Kind der ärmſten Bäuerin 

Bis auf zur ſtolzen Tochter des Bojaren 

Soll Allen gleiche Hoffnung widerfahren, 

Zu ſitzen auf des Kremlin güldnem Thron, 

Gekürt zu werden als Gemahl des Zaren; 

Der Schönheit Krone wird der Herrſchaft Kron', 

Den Andern all' verheißt man Gold und Ehrenlohn. — 


Den Boten, wo ſie zogen auf den Wegen 
Durch Dorf und Stadt, mit fröhlichem Gemüthe, 
Schlug ſehnend mancher Jungfrau Herz entgegen; 
Manch dunkles Auge hoffnungslicht erglühte, 
Zu glänzen in des Schönheitskranzes Blüthe — 
Das Kind der Berge wie das Kind der Steppe, 
Von hohem und von niedrigem Geblüte, 
Sie ſah'n ſich ſchon mit königlicher Schleppe 
Im Kronſchmuck wandeln auf des Kremlin Marmortreppe. 


— 127 — 


Nur Marfa nicht. Sie hofft' nichts mehr auf Erden; 
Stumm trug ſie ihren ungeheuren Gram, 
Wohl fühlend, ſchlimmer konnt' es nicht mehr werden. 
Und als die Zarenbraut nach Moskau kam 
Und hier die wunderſame Mähr vernahm, 
Daß noch viel hundert andere Zarenbräute 
Zur Wahl verſammelt fein — da überkam 
Sie's faſt, als ob die Botſchaft ſie erfreute, 
Da nun des Mächtigen Huld ſie weniger bedräute. 


Durch ihre Seele blitzt ein Hoffnungsſtrahl, 
Als fie, da ſchon der Tag der Brautſchau nah, 
Mit andern jungen Schönen, die zur Wahl 
Nach Moskau kamen, eine Jungfrau ſah: 
Das holde Fürſtenkind Eudoxia, 
So hehr in Schönheit, Stolz und Jugendprangen, 
Daß ihr Erſcheinen ſagte: ich bin da, 
Wie mag der Zar nach Andern noch verlangen? 
Und alle Jungfraun ſah'n auf ſie mit Neid und Bangen. 


Cirkaſſiens ſchlanke Maid, die ſtolze Polin, 

Die blaſſe Ruſſin, üppige Gruſierin, 

Armenierin, Koſakin und Mongolin — 

Von Finnlands Felſen bis zum Pont-Euxin 

Wohl an zweitauſend Jungfraun ſah man zieh'n 

Gen Moskau zu dem königlichen Feſte, 

Zum Kampf um Diadem und Hermelin. 

Von Frauenſchönheit ſah man hier das Beſte, 
Dazu von nah und fern viel reichgeſchmückte Gäſte. 


— 128 — 


Vor dem Palaſt, hoch auf dem goldnen Kremel, 
War für Iwan ein Throngerüſt gebaut, 
Und um ihn her, zu ſeiner Füße Schemel, 
So daß er Alles deutlich überſchaut, 
Stehn Sitze für die Schönen, draus die Braut 
Hervorgehn ſoll. Es wurden alle Namen 
Zuvor zwei goldnen Büchern anvertraut, 
Die zwei Bojaren in Verwahrſam nahmen — 
Rund ſpannt ſich eine Wehr, des Schönheitsbildes Rahmen. 


Damit durch blendende Umhüllung keins 

Ihn täuſche von den ſchönen Menſchenkindern, 

Ließ er ſie Alle kleiden übereins, 

Die Qual und Schwierigkeit der Wahl zu mindern 

Und Vorzugs-Unterſchiede zu verhindern, 

Die nicht der Schönheit freie Gaben waren. 

So leicht ward es den Frauenüberwindern 

Wohl nie gemacht, wie dem gewaltigen Zaren! 
Doch ſollt' er bei der Wahl noch Qual genug erfahren. 


Jetzt paarweis zieht der Jungfraun Schaar herbei; 
Im Purpurkleid ſieht man den Zaren thronen; 
Nie ſah die Welt ſolch wunderſam Turnei, 
Wie dieſer minniglichen Amazonen. 
Man kämpft mit Blicken und man wirbt um Kronen. 
Hier dröhnt der Boden nicht von Roſſeshufen: 
Die ſchönſten Jungfraun vieler Nationen 
Nahn ehrfurchtsvoll des Zarenthrones Stufen. 
Doch welche wird erwählt von allen, die berufen? 


— 129 — 


Wie einſt der Herr der Welt am Tiberſtrom 
Gewünſcht (den noch die Menſchheit nennt mit Grauen), 
Daß Einen Kopf nur alles Volk von Rom 
Beſäße, um vom Rumpfe ihn zu hauen, 
So wünſchte hier der mächtige Zar beim Schauen 
Der jungen Schönen, daß ein einziger Leib 
Umſchlöſſe allen Liebreiz dieſer Frauen, 
Daß er die Tauſende gleichwie Ein Weib 
Umarm' in Minneglück und ſüßem Zeitvertreib. 


Sein ganzes Leben lag in ſeinen Augen, 

Sie glühten aus den buſchigen Brauen hernieder, 

Als wollt' er alle Schönheit in ſich ſaugen. 

Er ſteigt herab vom Thron, geht auf und nieder 

Und prüft der Jungfraun reizevolle Glieder — 

Bald ſcheint ihn dieſe, jene bald zu rühren — 

Doch dreimal kehrt er um zu Marfa wieder. 

Die Schönſten läßt er gleich zum Terem!) führen, 
Um aus der kleinern Zahl die Königin zu küren. 


Die Wahl iſt ſchwer; wo ſo viel Sonnen blenden, 
Braucht's Zeit, daß ſich das Auge erſt gewöhne — 
Jetzt möcht' er huldvoll ſich zu dieſer wenden, 
Doch flugs entzückt ihn eine andre Schöne. 

Er ſchwankt umher, wen er als Schönſte kröne, 
Da plötzlich traf fein Blick Eudoxia — 
Sie ſah ihn an, als ob ſie ihn verhöhne, 
Und als er ihr in's dunkle Auge ſah, 
Der mächtige Zar, vor ihr ohnmächtig ſtand er da. 


) Frauenwohnung im Kreml. 


F. Bodenſtedt. X. 92 


— 130 — 


Ohnmächtig, von der Schönheit überwunden; 
Und wer ihn ſtaunend ſtehn ſah, mußte denken: 
Der Herrſcher hat die Herrſcherin gefunden. 
Doch weiter wollt' er ſeine Schritte lenken, 
Nicht gleich beim erſten Sieg ſein Herz verſchenken. 
Eudoxia ſah ihn ruhig prüfen, wählen, 
In andre Augen ſeine Augen ſenken — 
Wohl durfte ſie auf ihre Schönheit zählen, 
Er hatte ſie geſehn, ihr konnt' er nicht mehr fehlen. 


Aus den zweitauſend kürte man zweihundert 

Der wonniglichen Jungfraun, die der Zar 

Am erſten Tag der Schau zumeiſt bewundert. 

Ob Marfa unter der Erkornen Schaar 

Auch nächſt Eudoxia die Schönſte war: 

Sie mußte dieſer doch an Schönheit weichen; 

Und hoffend ſah ſie, alles Neides baar, 

Gern ihrer Schönheit Stern vor ihr erbleichen, 
Der wohl in weiter Welt ſich Keine mochte gleichen. 


Eudoxia ſieht mit wachſendem Entzücken ö 
Wie Marfa's Wangen blaß und bleich von Leiden, 
Die leichte Falten auf die Stirn ſchon drücken. 
Der Zar ſteht lange prüfend vor den Beiden — 
Er ſcheint ſich für Eudoxia zu entſcheiden, 
Denn immer wieder kehrt er zu ihr hin, 
An ihrer Schönheit ſeinen Blick zu weiden; 
Doch ihn verdrießt, daß ſie mit ſtolzem Sinn 
Ihm ſchon entgegentritt wie eine Königin. 


1 


Noch iſt ſie's nicht, und — braucht es nicht zu werden! 

Soll ihm, vor dem ſich ganze Völker neigen 

Bis in den Staub, als Mächtigſtem auf Erden, 

Das Antlitz eines Weibes Hochmuth zeigen? 

Noch iſt die Macht und Majeſtät ſein eigen! 

Vor Moskaus grauſem Zaren ſoll man zittern 

Wie Marfa, in erwartungsbangem Schweigen, 

Vor ihm, deß mächtiger Zorn, gleich Ungewittern, 
Verheerend niederwirft die Ernte ſammt den Schnittern. 


Er wendet von Eudoxia jäh ſich ab, 
Und Marfa hat des Zaren Wahl getroffen, 
Die ihm in's Auge ſtarrt wie in ihr Grab — 
Mit Einem Schlag zerſtört iſt all ihr Hoffen! 
Und ihren Schmerz, ihr Widerſtreben offen 
Bekennt ſie, wirft dem Zaren ſich zu Füßen; 
Doch iſt er freudig nur davon betroffen, 
Ihm ſcheint die Qual den Anblick zu verſüßen; 
Marfa ſoll alte Glut durch neue Gluten büßen. 


Sie hebt das Auge flehend himmelwärts, 

Er weidet ſich an ihrer wilden Pein; 

Er hebt ſie auf, er drückt ſie an ſein Herz, 

Er will Tyrann auch in der Liebe ſein. 

Auf ſeinen Wink der Herold tritt herein 

Und wird entſandt, dem Volke zu verkünden: 
Der Zar will Marfa Waſſilewna frei'n, 
Moskau ſich mit Groß-Nomgorod verbünden — 


Die Botſchaft wiederhallt aus hundert Feuerſchlünden. 
9 * 


— 132 — 


Da jubelnd durch die Straßen wogt die Menge, 

Und für das Heil, dem Herrſcher widerfahren, 

In allen Tempeln ſchallen Lobgeſänge. 

Zu ſchwer lag auf dem Volk das Joch des Zaren 

Seit Anaſtaſia's Tod. Auf Marfa waren 

Voll Hoffnung aller Blicke nun gewendet, 

Als ſei, die ſelbſt ſchon Trübſal viel erfahren, 

Dem Volk von Gott als Tröſterin geſendet, 
Durch deren Segenshand nun Aller Trübſal endet. 


Im Feſte, das ſie freudig vorbereiten, 
Sehn ſie ein Feſt der Liebe und Verſöhnung. 
Den Aufwand muß die halbe Welt beſtreiten. 
Das Volk, in opferwilliger Gewöhnung, 
Wetteifert zu des frohen Tags Verſchönung: 
Kaſan ſchickt ſeidne Stoffe, reich und ſchwer, 
Kiew Juwelenſchmuck zu Marfa's Krönung, 
Kunſtvolle Stickerein bringt man aus Twer; 
Der Ural ſendet Gold und Perlenglanz das Meer. 


VI. 
Marka's Prükung. 


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Mlit den Bojaren ſchwelgt bei vollen Bechern 
In Freuden der rechtgläubige, grauſe Zar. 
Derweil in des Palaſtes Prunkgemächern 
Sitzt Marfa einſam, aller Freuden baar. 
Der theuren Heimat denkt ſie immerdar, 
Der Lieben, die das Grab nun von ihr ſcheidet ... 
Entfernt hat ſie der Dienerinnen Schaar; 
Dem Himmel nur vertraut ſie, was ſie leidet, 
Die junge Zarenbraut, von aller Welt beneidet. 


Ihr Herz iſt wie ihr Angeſicht verſchleiert, 
Und ſie muß einſam und verlaſſen gehn; 
Bis ſie als Rußlands Zarin Hochzeit feiert 
Darf nur der künftige Ehgemahl ſie ſehn. 
(Sie bittet Gott, es möge nie geſchehn!) 
Sie findet keinen Troſt, als im Gebet; 
Zum Bild der heiligen Jungfrau aufzuflehn 
Kniet ſie in frommer Andacht früh und ſpät — 
Ach, Niemand auf der Welt iſt, der ihr hilft und räth! 


— 136 — 


So lebt fie manchen kummervollen Tag, 
Und keiner ſchuf ein Ende ihrer Noth. 
Einſt, da ſie ſpät im offnen Fenſter lag, 
Die heiße Stirn der Abendkühle bot — 
Im Weſten glüht' der Tag noch purpurroth, 
Derweil im Oſten ſchon der Vollmond ſchien — 
Sie ahnt nicht, was unheimlich ſie bedroht, 
Als leiſe hinter ihr der Zar erſchien, 
Die Bebende umſchlang, ſie an ſein Herz zu ziehn. 


Entſetzt fuhr ſie empor: Fort, Ungeheuer! 
Wenn Du mir nicht genaht, mich zu ermorden! — 
Ihr ſonſt ſo mildes Aug' ſprüht zornig Feuer, 
Das ſanfte Lämmchen war zur Löwin worden, 
Der lang verhaltne Haß ſprang aus den Borden: 
Was ich geliebt, hab' ich durch Dich verloren, 
Der Gottes Haus entweiht durch Mörderhorden; 
Dir aber hab' ich ewigen Haß geſchworen — 
Rühr' mich nicht an, als um das Herz mir zu durchbohren! 


Der Zar ſtand ſtumm, unfähig auszudrücken, 
Was wilden Drangs im Innern wogt und wallt; 
Wuth kämpft in ſeinem Auge mit Entzücken; 
So herrlich ſtand die liebliche Geſtalt 
In Weibeshoheit vor ihm, daß ſich bald 
Des Herzens Sturm auflöſt in ſanft're Regung. 
Es beugte ſich der Schönheit die Gewalt. 
Des Herrſcherſtolzes zornige Bewegung 

Erlag der Liebe Drang und kluger Ueberlegung. 


— 117 — 


Sanft ſprach der Zar: Marfa, hör' mich geduldig, 
Mag auch die Welt viel Böſes von mir ſagen, 
An Deines Vaters Tod bin ich nicht ſchuldig! 
Und auch Andreas darf mich nicht verklagen 
Vor Gottes Thron — ich hab' ihn nicht erſchlagen, 
Denn eigenmächtig handelten die Frechen, 
Den Mord in's Heiligthum des Herrn zu tragen; 
Du ſelbſt magſt richten über das Verbrechen 

Und Deiner Lieben Tod an ihren Mördern rächen! 


»Nicht rächen will ich mein gemordet Glück, 
Beweinen nur, was ewig mir verloren.“ 
— Kein Jammer ruft Verlorenes zurück; 
Zu Hohem hat das Schickſal Dich erkoren; 
Was Dir geſtorben, wird Dir neu geboren 
Durch meine Liebe! — »Kennt Dein Herz auch Liebe?« 
— Marfa, hör' nicht auf das Geſchwätz der Thoren f 
Die wähnen, daß ich unzugänglich bliebe 
Der Liebe heiliger Macht und ihrem wonnigen Triebe, 


Weil meine Bruſt nicht kundgiebt allem Volke, 
Was ſie als Heiligſtes in ſich verſchließt. 
Wohl iſt mein Herz nicht wie die Regenwolke, 
Die ihre Fülle ohne Wahl ergießt; 
Doch glücklich der, dem es ſich ganz erſchließt! 
Haft Du von Anaſtaſia nie vernommen? 
Die nun ſchon lang' das feuchte Grab umſchließt — 
Ein Friedensengel war ſie mir gekommen, 
Mir und dem Volk zum Fluch ward ſie von uns genommen. 


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Seit ihrem Tod kam Unglück über's Land, 
Vereinſamt fühlt' ich ganz mein Herz verwildern 
Und meiner Seele ſüßer Frieden ſchwand. 
Nachts ward ich heimgeſucht von Schreckensbildern, 
Ach! was ich litt, vermag kein Wort zu ſchildern. 
Und Niemand half — es fehlte an der ſüßen 
Hand Anaſtaſia's, meinen Schmerz zu mildern — 
Ich trat die Menſchen wie Gewürm mit Füßen 
Und ließ die eigne Qual Millionen Andre büßen. 


Nicht immer war ich ſo. In meiner Jugend 
Ließ ich durch ſchöne Träume mich bethören — 
Bald kam das Laſter im Gewand der Tugend, 
Um jeden holden Wahn mir zu zerſtören; 
Wahrheit bekommt ein Herrſcher nie zu hören 
Als aus der Liebe Mund. Vor Zorn und Grauen 
Fühlt' ich mein Herz im Buſen ſich empören, 
Nur Lüge rings und Heuchelei zu ſchauen. 
Da ſandte mir ein Gott die reinſte aller Frauen. 


Ich mag nicht Huldigung, wie jeder Puppe 

Erwieſen wird, gehoben auf den Thron; — 

Man ſoll mich fürchten, wie die Bergeskuppe, 

Von deren eiſigen Höh'n Lawinen drohn, 

Derweil im Innern glühende Quellen loh'n. 

Nur Furcht erhält die herrſchenden Gewalten, 

Und nie beim Volk buhlt' ich um Liebeslohn; 

Doch ſah ich gern mein Weib in Milde walten, 
Um, was ihr würdig ſchien, zu ſchützen, zu erhalten. 


— 139 — 


Was Anaſtaſia war, ſollſt Du mir werden, 
Des Ruſſenlands und meine Herrſcherin — 
»Kaum ruht, die Du geliebt, im Schoß der Erden, 
Und ſchon nach einer Andern ſtrebt Dein Sinn, 
— Rief Marfa — welkt ſo bald die Treue hin? 
Wer wahrhaft liebt, liebt nicht zum Zweitenmal!« 
Dir hab' ich mich gezeigt ganz wie ich bin, 
Und wie mich Niemand ſieht als mein Gemahl; 
Bring' Segen oder Fluch dem Land, Du haſt die Wahl! 


Der Lieben, die ich trauervoll begraben, 

Werd' ich gedenken, bis mein Auge bricht, 

Doch kann ſich Leben nicht am Tode laben, 

Mein Herz braucht Liebe, wie mein Auge Licht! 

Dich lieb' ich glühend! Marfa, kannſt Du nicht 

Mich wieder lieben? (Alſo flehend ſprach 

Der Zar.) Kehr' nicht ſo finſter Dein Geſicht 

Von mir hinweg! ... Denk meiner Worte nad)... 
Auf Wiederſehn! — Er ging. Marfa blieb im Gemach 


Allein zurück, ſich ſelbſt nicht klar bewußt, 
Was ihr die Bruſt bewegt. Bei allem Grauen 
Beſchlich ſie heimlich doch ſeltſame Luſt, 
Dem Mächtigen fo tief ins Herz zu ſchauen; 
So mocht' er ſich wohl Keinem ſonſt vertrauen. 
Sie dachte ſich den »Grauſen« andrer Art. 
Der einſt verwüſtet ihrer Heimat Auen, 
Sie ſelbſt als letztes Opfer aufgeſpart — 
War das der Zar, der heut ſein Herz ihr offenbart? 


— — 


Die buſchigen Brauen warfen dunklen Schatten 

Auf ſeine Augen, die, ganz nah geſehn, 

Wohl feurigen, doch milden Ausdruck hatten. 

Voll tiefen Wohlklangs war der Stimme Flehn, 

Und menſchlich-freundlich war er anzuſehn. 

Man mochte nicht in ihm den Mann vermuthen, 

(Wie Marfa ihn ſah zärtlich vor ſich ſtehn) 

Deß Hand geſchürt ſo viel Verheerungsgluten 
Und Städte niederwarf und Völker ließ verbluten. 


Marfa fühlt ſich befreit von ſchwerer Bürde 

Nach dieſer langen Zwieſprach mit dem Zaren; 

Sie hat ſich ihm gezeigt voll Kraft und Würde, 

Und ihren ganzen Haß hat er erfahren. 

Doch ſeltſam im befreiten Herzen waren 

Empfindungen geweckt geheimnißvoll, 

Die fie ſich ſelbſt nicht wagt zu offenbaren; 

Eins fühlt ſie klar: gemildert war ihr Groll, 
Seit von des Herzens Flut die Lippe überquoll. 


Doch fand ſie keine Ruh die ganze Nacht, 
Und wie vom Feuer glühten alle Glieder. 
Als ſtrahlend ſchon der junge Tag erwacht 
Schloß noch kein Schlaf die müden Augenlider. 
Im Zimmer ging ſie ſinnend auf und nieder, 
Und eine Stunde nach der andern ſchlich 
Einſam dahin, doch kam der Zar nicht wieder. 
Und ebenſo der zweite Tag verſtrich, 

Und auch der dritte Tag, und kein Zar zeigte ſich. 


— 141 — 


Sie wollte ſich der Einſamkeit erfreuen; 

Allein womit? Der Tag lag bleiern ſchwer 

Auf ihr und bot ihr Nichts, ſie zu zerſtreuen. 

Nie ſchien das Leben ihr ſo öd' und leer; 

Erinnrung bot ihr keine Freude mehr, 

Und fremd war alle Hoffnung ihrem Sinn. 

Faſt wünſchte ſie des Zaren Wiederkehr; 

Die Zeit ſchwand ſchneller doch im Reden hin, 
Und jeder Stunde Flucht erſchien ihr ein Gewinn. 


»Euch preiſ' ich glücklich, die ein ſchneller Tod 
Hinwegruft! Mag die Welt auch um Euch trauern. 
Doch jeden Tag von neuer Qual bedroht 
Ein unheilvolles Leben zu durchtrauern, 
Das Liebſte ſterben ſehn und überdauern, 
Und ſelbſt verwaiſt hinwelken Zoll für Zoll — 
Das macht den Prunkpalaſt zu Kerkermauern, 
Iſt ein Geſchick, das troſtlos, jammervoll 
Dem Schmerz die Weihe nimmt und füllt das Herz mit Groll.“ 


So klagte Marfa, doch kein Klagen nahm 
Hinweg, was ſchwer ſie beugte und bedräute. 
Mit jedem Tage mehrt ſich nur ihr Gram. 
Und während Moskau ſich des Glückes freute 
Der Zarenbraut, war ſie des Unglücks Beute. 
Hoch über'm Kreis des Wogens und des Webens 
Auf Markt und Gaſſen frohgeſchäft'ger Leute, 
Erſchien ſie, öden, hoffnungsloſen Strebens, 
Ein frühverwelkend Blatt am grünen Baum des Lebens. 


— 142 — 


Nur ihr bot ſich kein Ziel, kein Troſt, kein Hort. — 

Wohl oft auch, wenn ſie ſinnend ſaß allein, 

Klang in ihr nach des Zaren mahnend Wort, 

Und ſchaudernd rieſelt's ihr durch Mark und Bein 

Bei dem Gedanken, Gattin ihm zu ſein, 

Der all' ihr Glück gemordet und verdorben — 

Doch wenn ſie aufſah zu dem Heiligenſchrein, 

Zum Bild des Gottſohns, der am Kreuz geſtorben 
Und ewiges Leben uns durch ſeinen Tod erworben, — 


Dann zog's wie ernſte Mahnung durch ihr Herz, 
Ihm, der den Menſchen ein Erlöſer kam, 
Zu folgen und, vergeſſend eignen Schmerz, 
Zu lindern ganzer Völker Leid und Gram. 
Sie rief zum Herrn, deß Hand ihr Alles nahm: 
Wohl ſchreckt der Tod mich minder als das Leben, 
Doch Deine Wege, Herr! ſind wunderſam, 
Willſt Du zu Deinem Werkzeug mich erheben: 

Dein Wille, Herr! geſcheh', Dir hab' ich mich ergeben! 


VII. 


Das Miederkünden. 


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wen schen chr. une dach 


Sie will ſich opfern für des Volkes Glück, 

Zum Werkzeug Gottes ſieht ſie ſich geweiht; 

Zum Himmel will ſie blicken, nicht zurück 

Nach trügeriſcher Erdenſeligkeit. 

Wie wenn ein Wandrer in der Dunkelheit 

Von fern den Schimmer eines Lichtes ſieht: 

Es winkt ihm Troſt, ob auch der Weg noch weit 

Und voll Beſchwer durch Sümpfe führt und Ried: 
Er hat ein Ziel doch, das ihn rettend nach ſich zieht. 


Doch weh', verlockt ſein Aug' ein falſcher Schimmer, 
Und täuſcht der Hoffnung Stimme Herz und Ohren. 
Ein Herz, das Glück gekannt, vergißt es nimmer! 
Ob's der Entſagung Eide auch geſchworen, 

Die Sehnſucht bleibt nach dem, was es verloren. 
Der Lieb' Erinn'rung läßt ſich nicht verſenken 

Nach Willkür. Glaubt, wer ſich ein Ziel erkoren, 
Auch frei zu ſein im Handeln und im Denken: 


Sind's höh're Mächte doch, die feine Schritte e 
F. Bodenſtedt. X. 


— 16 — 


Beim offnen Fenſter ſaß am ſpäten Tag 

Marfa geſenkten Hauptes trüb allein, 

Da plötzlich hallt's am Boden wie ein Schlag: 

Durch's Fenſter vor ihr nieder fiel ein Stein, 

Dran hing ein Brief. Sie nahm ihn, ſah hinein 

Er kommt von ihm! Das iſt Andreas' Hand! 

Er iſt gerettet, lebt noch, iſt noch mein! ... 

Sie blickt hinaus, ſah, wie er fern dort ſtand, 
Ob er verkleidet war, gleich hat ſie ihn erkannt. 


Und ſchnell wirft ſie, wie ihr der Brief gebot, 
Zuſammt dem Stein ihm dieſe Antwort nieder: 
»Ich harre Dein, getreu bis in den Tod. « 
Laut klopft ihr Herz, ihr beben alle Glieder, 
Heiß fiebernd zuckt's durch Stirn und Augenlider, 
Und, ganz der wirren Freude hingegeben, 
Die theuren Züge lieſt ſie immer wieder, 
Auf Polſter hingeſtreckt, die wie von Leben 
Beſeelt, nach jedem Druck ſich ſchwungvoll wieder heben. 


Er ſchrieb an ſie: Geheilt ſind meine Wunden, 
Nah bin Dir in alter Lieb’ und Treue. 
Mit Gottes Beiſtand, der mich ließ geſunden, 
Entführ' ich Dich; ob auch Gefahr noch dräue: 
Gott iſt mit uns, daß ſich der Bund erneue, 
Von Ihm geſegnet durch des Prieſters Wort. 
Gieb Antwort mir, dran ſich mein Herz erfreue! 
Ich weiß uns einen ſichern Zufluchtsort, 

Am Hochzeitsabend ſpät wart mein am Fenſter dort! 


- 


— 147 — 


Die Zeit entſchwand, der Hochzeitstag iſt da, 

Kanonen donnern, alle Glocken dröhnen — 

Und ſolche Pracht, wie hier enthüllt war, ſah 

Wohl nie die Welt ein Hochzeitsfeſt verſchönen; 

Denn nicht bloß gilt's, die Zarenbraut zu krönen: 

Noch eine andre Braut iſt auserwählt, 

Eudoxia, die Schönſte aller Schönen, 

Die mit dem Sohn des Zaren ſich vermählt, 
Daß Kron' und Diadem ihr künftig doch nicht fehlt. 


So nahten der Erfüllung ihrer Looſe, 
Mit königlichem Feſtſchmuck angethan, 
Die bleiche Lilie und die üppige Roſe. 
Als ſäh'n ſie eine Braut des Todes nahn, 
War's Allen, die die Schmerzensreiche ſahn, 
Als Marfa durch die neugierſtumme Menge 
Am Arm des Zaren ſchritt, der im Kaftan 
Von purpurrothem Sammt, ſtolz, mit Gepränge 
Sie zum Altare führt. Stumm theilt ſich das Gedränge 


In Ehrfurcht vor dem hohen Paar, umgeben 
Von Fürſten und Bojaren. Aus viel frommen 
Gemüthern Dankgebete aufwärts ſchweben 

Und Segenswünſche, die von Herzen kommen. 

Die heilige Weihrauchurne iſt entglommen, 
Geweihte Kerzen halten in der Hand 

Brautpaar und Zeugen. Doch die ſie genommen, 
Entſinkt verlöſchend plötzlich Marfa's Hand. 


Schon naht der Patriarch im goldnen Meßgewand. 
10 * 


— 148 — 


Man eilt, ein andres Kerzchen ihr zu reichen; 

Der Zar ſchaut unruhvollen Blickes drein, 

Rings allem Volke däucht's ein böſes Zeichen. 

Und als der Patriarch, das Paar zu weihn, 

Herantrat, fragend: Wollt Ihr einig ſein 

In Liebe? — ſah ſich Marfa ſchweigend um. 

Doch ihr der Kirche Seegen zu verleihn, 

Uebt er ſein heilig Amt, bleibt ſie auch ſtumm. 
Leis durch die Menge ging ein Flüſtern und Geſumm. 


Der Abend kam. Mit dunklen Wolkenſchleiern 

Verhüllt der Himmel ſich. Kein Sternlein wacht. 

Doch in der Stadt, das Zarenfeſt zu feiern, 

Ein Meer von Lichtern ſtrahlt hinweg die Nacht. 

Denn wie der Tag zu Rüſte ging, erwacht 

Die Luſt erſt recht bei allen Feſtesfrohen. 

Hoch überm Mosgquaſtrom, voll hehrer Pracht 

Der Kreml glänzt im Lichtſchmuck ſeiner hohen 
Zahlloſen Kuppeln weit, und tauſend Fackeln lohen 


Wetteifernd mit buntfarbiger Lämpchen Funkeln. 
Verborgen liegt vor all dem Lichterſchein 

Der Gang bei Marfa's Wohnung nur im Dunkeln, 
Doch hell erleuchtet ſind der Fenſter Reihn. 

Sie weilt im prächt'gen Brautgemach allein, 

Im Auge Thränen und im Herzen Trauer — 

Da ſchleicht Andreas unbemerkt herein 

Zum Gang, ſtemmt eine Leiter an die Mauer 


Und ſpäht in Vorſicht aus, ob Niemand auf der Lauer. 


— 149 — 


Ein Laut von ihm: am Riegel wird geſchoben 
Und klirrend iſt das Fenſter aufgeſprungen. 
Kaum hat ſie ausgeblickt, iſt er ſchon oben, 
Hat raſch in's Zimmer ſich hereingeſchwungen. 
Und er hält ſie und ſie hält ihn umſchlungen. 
Da plötzlich ließen Marfa's Kräfte nach, 
Wirr ſtarrt ihr' Aug’... Zu ſchwer hat fie gerungen 
Mit ihrem Schickſal, die im Brautgemach 
An des Geliebten Bruſt wie todt zuſammenbrach. 


Er hebt die Sinkende mit ſtarkem Arm, 

Will ſchnell die ſüße Laſt von dannen tragen — 

Ach, dieſe kalte Hand wird nicht mehr warm, 

Das treue Herz hat aufgehört zu ſchlagen. 

Doch drängt die Zeit, hier hilft kein Flehn und Klagen, 
Er eilt, mit ihr zum Hof hinabzuklimmen; 

Weh ihm! Die Leiter iſt davongetragen, 

Im Gange unten ſieht er Lichter glimmen, 

Sieht Menſchen nahn und hört verworr'nen Schall von Stimmen. 


Vom Fenſter trägt er ſeine ſüße Laſt 
Zurück, — da pocht's von außen an das Zimmer; 
Andreas öffnet nicht, krampfhaft umfaßt 
Er Marfa mit der Linken; heftiger immer 
Pocht's an die Thür, man ſchlägt ſie ein; beim Schimmer 
Von Fackeln naht der grauſe Zar. Ihm graut 
Vor dem unſeligen Bilde und ſein grimmer 

Blick droht Verderben, wie er Marfa ſchaut 

Ja eines Andern Arm, ſein Weib, ihm angetraut. 


an ME 


Todt liegt fie vor ihm, und in's eigne Herz 
Iſt raſch Andreas' ſcharfer Stahl gedrungen. 
Er ruft, ſein brechend Auge himmelwärts 
Gekehrt: Du Himmel weißt, wie ich gerungen! 
Und ſeine Marfa hält er feſt umſchlungen, 
Stürzt leblos mit ihr auf denſelben Schleier, 
Derweil Iwan, von Wuth und Schmerz bezwungen, 
Knieſchlotternd ſtand, ein unheilvoller Freier — 
So hielt der grauſe Zar mit Marfa Hochzeitsfeier. 


Da lag ſie, die ein fremder Arm umſchlang; 

Ihr Brautgewand ward ihr zum Todtenkleid. 

Vertieft in ihren Anblick ſtand er lang, 

Sein wilder Zorn ſchmolz hin in Weh und Leid. 

Und nicht umſonſt war ſie dem Tod geweiht! 

Des Zaren Herz brach von demſelben Schlage, 

Der ihres traf. Er floh die Herrlichkeit 

Des Thrones ganz, beſchloß in Reu und Klage, 
Verſöhnt mit Gott und Welt, im Kloſter ſeine Tage. 


Iwan, 
der Sohn des Staroſt. 


Poetiſche Farbenſkizze aus Rußland. 
( 1842.) 


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1. 


Berühmt im Lied ſind Kiew's Eichen, 
Die hoch des Dnjepr's Bord umſäumen, 
Dran ſich die Woge ſchäumend bricht — 
Doch mag ihr Wuchs an Stärke nicht, 
Und nicht an Alter ſich vergleichen 
Den ſtammeshohen Eichenbäumen 
Des Wolgaſtroms, des fiſchereichen. 


Von Kaſtroma, der Stadt, daraus 
Zur Mosqua weißem Zarenhaus 
Der Erſte der Romanow kam, 
Und — eines armen Prieſters Sohn — 
Zu ſeinem Sitz des Kremlin Thron, 
Zu ſeinem Kleid den Purpur nahm; 
Von Kaſtroma in wenig Meilen 
Magſt Du ein altes Schloß ereilen, 
Das halb vom Wolgaarm umſchmiegt, 
Auf breitem Hügelsrücken liegt; 
Am Fuß ein Dorf; daneben Felder; 
Im Hintergrunde Eichenwälder ... 


— 14 — 


Schon kam der Fiſcher heim vom Strome, 
Kaum noch erſpäht im nächt'gen Graus 
Am ſternbeſäten Himmelsdome 
Der Blick die windgeſcheuchten Wölkchen; 
In ſeinen Hütten ruht das Völkchen 
Des Dorfs von Tagesmühen aus. 

Und Dunkel rings und Schweigen graut; 
Nur hoch im Schloſſe iſt's noch laut 

Und hell, und lärmt in frohen Reihn: 
Graf Büſtrow kehrt' von langer Reiſe, 
Heut' lud er alle Nachbarn ein, 

Zu feiern in vertrautem Kreiſe 

Und ſeiner Heimkehr ſich zu freun. 

An langer Tafel ſchwelgt die Zahl 

Der Gäſte — hell erglänzt der Saal, 
Und hinter jedem Gaſte ſteht 

Ein Diener, wartend mit dem Teller — 
Das geht und kommt und kommt und geht 
Herauf, hinunter Küch' und Keller; 

Der Wein entfeſſelt alle Zungen, 

Hier wird geſcherzt und dort geſungen; 
Der Graf erzählt von fremden Landen, 
Was er auf ſeinen Reiſen ſah, 

Was er gelebt und ausgeſtanden, 

Was Wunderſames ihm geſchah — 

Rühmt ſich als Mädchenunſchuldräuber, 
Spricht von der Schönheit deutſcher Weiber, 
Von Frankreichs Töchtern leicht von Sinn, 
Vom Füßchen der Pariſerin . 


»Graf Büſtrow! — fiel ein Freund ihm ein — 
Kannſt Dich auch hier der Weiber freun! 
Zwar ſelten blüht die Schönheit nur 


— 15 — 


Bei uns, denn hier macht die Natur 
Tauſend unglückliche Verſuche, 

Und zeichnet ſich in groben Zügen, 
Eh's ihr gelingt, dem Schönheitsbuche 
Ein neues Bildniß einzufügen; 

Doch, iſt einmal ein Wurf gelungen 
Und eine Knospe ſchön geſprungen, 
Dann mag ſich wohl in fremdem Land 
Der Ruſſenſchönheit nichts vergleichen, 
Dem reinen Aug', der feinen Hand, 
Dem vollen Wuchs, dem anmuthreichen; 
Und Graf! wie Deiner Dirnen Eine 
Sahſt Du in Deutſchland's Gauen wohl keine: 
Maſcha, des Iwan Paulitſch Braut, 

Die ſchönſte Blume auf der Flur, 

Ein Meiſterſtückchen der Natur! 

Doch ſcheint's daß ihr vor Männern graut; 
Ich habe oftmals ſchon beim Jagen 

Den Weg durchs Dörfchen eingeſchlagen; 
Iſt's bei ihr Dummheit, iſt ſie blöde: 

Mir wollte nichts bei ihr gelingen, 

Zu keinem Kuß konnt' ich ſie bringen! 

Bei Dir thut fie wohl minder fpröde ..... « 


Graf Büſtrow lacht voll Herzlichkeit 
Ob ſeiner ſpröden Bauernmaid: 
»Wer weiß, noch kommen mag die Zeit 
Wo ſie die Köpfe höher tragen — 
Doch jetzt ſind wir noch nicht ſo weit! 
Iſt unſ're Macht aus alten Tagen 
Uns auch durch Zarenhand genommen, 
Und unſer Recht nur eitel Dunſt: 
So ſchlimm wird's lange noch nicht kommen, 


— 16 — 


Daß unfre Landesdirnen wagen 

Den eignen Herren ihre Gunſt 

Und den Gehorſam zu verſagen! 

Sonſt bleibt heut nichts dem Edelmann, 
Als ſein Beſitzthum auszupreſſen, 

Und in der Fremde dann und wann 
Der Heimat Elend zu vergeſſen. 

Im Ausland hat das Ruſſenthum 
Gewicht'gen Klang und großen Ruhm; 
Ein Schreckwort iſt dort unſer Reich; 
An Wuth find wir den Wölfen gleich, 
An Schlauheit gleichen wir den Füchſen. 
Mit Rußland drohn die Potentaten 
Dem Volk, als ob uns die Soldaten 
Wie Halme aus der Erde wüchſen 

Und jeder Ruſſe Bajonnette 

Statt Nägeln an den Fingern hätte. 
Das muß man unferm Kaiſer laſſen, 
Er weiß ſich in die Zeit zu ſchicken, 
Er weiß nach Außen gut zu blenden, 
Und giebt es draußen was zu flicken, 
Gleich iſt er da mit rührigen Händen!“ 


— Wohl beſſer — rief ein alter Mann — 39 
Wär's, wollt' er ſich nach Innen wenden 
Und ſich mit unſ'rer Noth befaſſen! 
Wir müſſen's baar und ſchwer bezahlen, 
Daß er mit falſchem Ruhme prahlen, 
Und Diplomaten und Soldaten 
Nach Oſt und Weſten ſchicken kann! 
Dort ſtreut er Gold mit vollen Händen, 
Man fürchtet und lobhudelt ihn, 

Das treibt ihn immer weiter fort, 


— 17 — 


Derweil die Heimat in Ruin 

Zu ſinken droht an allen Enden. 

Er wirft die Schätze über Bord, 

Derweil wir hier für ſchweres Geld 
Kaum haben, was der Aermſte dort 
Genießt, für unentbehrlich hält! 

Ich liebe die Romanow nicht... — 


»Bedenk, was Deine Zunge ſpricht, 
— Raunt warnend ihm ein Freund in's Ohr — 
Ein Wort hat Manchen ſchon verloren, 
Bedenk, die Wände haben Ohren! 
Sprich nicht im Wein, und ſieh Dich vor .... 
Haſt Du bei Hof nicht mehr gelernt? 
Iſt Dir die Luſt ſo ſchnell entſchwunden 
Der Freiheit, die wir hier gefunden, 
Seit wir von Petersburg entfernt, 
Um uns an Landluft zu gewöhnen, 
Und nicht mit reichen Kaufmannsſöhnen, 
Die adlig jetzt den Thron umwedeln, 
Des Kaiſers Garde zu veredeln!« 


Sie brachen auf, die Andern nach. 
Leer ward's und wüſt im Feſtgemach, 
Wie meiſt am Tag nach ſolchem Feſte 
Im eignen Geiſt und Leib der Gäſte ... 


— 158 — 


Derweil im Schloß der Gäſte Schwarm 
Noch trunken liegt in Schlafes Arm, 
Tönt unten ſonntäglich Geläute. 

Geputzt zur Kirche gehn die Leute, 
Um ſich von Sünden zu befrei'n 
Und Gottes Wort ihr Ohr zu leih'n. 


Von Hoffen und Verſöhnen geht 
Sein Klang ſo wunderſam, 
Und aus den heiligen Tönen weht 
Geneſung jedem Gram. 


Inmitten grüner Ufer zieht 
Die Wolga hin, und merkt und lauſcht 
Mit krauſem Wellenohr dem Lied 
Der Chriſten, die zum Heiland beten; 
Sie hört auch, wie ſie weiter rauſcht, 
Das Fleh'n der Gläubigen des Propheten — 
Der Heiden auch, die in den Steppen 
Noch ihre Götzen mit ſich ſchleppen. 
Es ſpiegeln ſich in gleicher Schöne 
Kirch' und Moſchee in ihrem Schooß; 
Ihr gilt es gleich, ob Chriſtenſöhne, 
Ob Moslem rufen: „Gott iſt groß! 
Sie ſieht's und hört's mit gleicher Ruh' 
Und rauſcht es Einem Meere zu... 


— 159 — 


Seht die Dirnen, zum Stromesrand gingen ſie, 
Dort im Tanzreih'n, im bunten, ſich ſchlingen ſie: 
Eine Jungfrau dreht trippelnd im Kreiſe ſich, 

Rührt nach des Tanzes, des heimiſchen, Weiſe ſich: 

Jetzt die Arme geſtemmt, jetzt die Kniee gebeugt, 

Mit den Füßchen geſtampft und das Köpfchen geneigt. 
Das zertretene Gras, neu belebt es ſich, 

Und neugierig lugend bang hebt es ſich, 

Und die Blümlein im Graſe mit klugem Aug' 

Heben neidiſch die Köpchen und lugen auch. 

Immerfort tanzt die Schöne, drehend und ſchwingend ſich, 
Um die Eine drehn die Andern alle ſingend ſich. 


* * 
* 


Doch was wirft links zur Linde die Tänzerin 
Wohl ſo zärtlich liebäugelnde Blicke hin? 
Dort ſteht Iwan der junge, des Staroſt Sohn, 
Ich zeig' ihn Euch nicht, Ihr erkennt ihn ſchon, 
An dem ſtämmigen Wuchſe, dem Auge kühn, 
Am Kaftane, dem blauen, erkennt Ihr ihn. 
Jung Iwan will Maſcha, die ſchlanke, frein; 
Schon am Sonntag, am nächſten fol Hochzeit ſein ... 
Luſtig fort tanzt die Schöne im Tanzesreihn, 
Jung Iwan ſchaut ſchmunzelnden Blickes drein. 


— 160 — 


4. 


Iwan, des Staroſten Sohn — 
Den der Mädchen Blicke ſuchen, 
Dem die Burſchen heimlich fluchen 

Den die blonde Maſcha liebt. 


Schlank wie einer Eiche Stamm — 
Dunkle Augen kühn und bieder, 
Edle, kraftgedrungne Glieder, 

Dichtgekräuſelt ſchwarzen Bart. 


Und beſteigt der Burſch ſein Roß, 
Seiner Schenkel Wucht umſchmiegt es: 

Wie gepeitſcht vom Sturmwind fliegt es 
Hin, gelenkt von ſeiner Hand! 


Weh! wer ſeine Fäuſte fühlt — 
Doch nicht leicht wird er zum Feinde, 
Treuer Freund iſt ſeinem Freunde, 
Iwan, des Staroſten Sohn. 


— 161 — 


5. 


Graf Büſtrow mit den Gäſten war 
Hinaus durch Park und Hain gegangen, 
Zum Ufer, wo in bunter Schaar 
Die Mädchen froh im Tanz ſich ſchlangen: 
»Das iſt ſie!« — flüſtert ihm der Eine — 
Die dort im Kreiſe tanzt alleine. 


. Und wie fie merkte, daß der Graf 
So ſcharf auf ſie die Blicke wandte, 
Wie forſchend ſie ſein Auge traf, 
Erröthen durch ihr Antlitz brannte; 
Doch mit dem Flammenroth der Wangen 
Sind neue Reize aufgegangen. 


Und wie ſie tanzend weiter hüpft, 
Schlägt ſie verſchämt das Auge nieder, 
Doch insgeheim manch Blick entſchlüpft .... 
Ja, ja! es iſt derſelbe wieder, 

Der ſie als Kind ſo freundlich herzte, 
Deß Abſchied fo die Kleine ſchmerzte. .. 


Er hatte ſo die Kleine lieb — 


Sie brachte Blumen auf ſein Zimmer, 
F. Bodenſtedt. X. 11 


| 


— 162 — 


Und wenn ſie Morgens kam, ſo blieb 
Sie bei ihm bis zum Mittag immer, 
Er ließ ſie auf dem Schooße reiten, 
Sie mußte ihn zum Park begleiten. 


And als der Graf auf Reiſen ging, 
Hat er ſie auf den Arm genommen, 
Und wie ſie weinend an ihm hing, 
Sagt' er, bald werd' er wiederkommen 
Schon manches Jahr verſchwand indeſſen, 
Hat er die Kleine nicht vergeſſen? 


* * 
* 


Doch ſieh', er naht, mit einem Blicke 
So freundlich wie in alter Zeit — 
Sie faßt ſich kaum in ihrem Glücke, 
Er ſpricht mit ihr voll Herzlichkeit; 
Ihr Herz wallt auf in froher Regung, 
Vergangner Tage denkt ihr Sinn — 
Daffällt ihr Blick auf Iwan hin, 
Ein Blick voll ſtürmiſcher Bewegung... 
Der Graf reicht ihr zum Kuß die Hand 
Und mahnt ſie, ihm doch jeden Morgen, 
Wie früher, Blumen zu beſorgen, 
Dann grüßt' er freundlich und verſchwand ... 


— 18 — 


Mosı noch Abends die Mädchen zum Strome gehn 
Und nach heimiſcher Art ſich im Tanze drehn, 
Doch der Graf kommt nicht ihnen zuzuſehn — 
Ob ſie ſingend ſich ſchwingen im Ringeltanz, 
Es fehlt ja die ſchönſte Blume im Kranz! 
»Wo bleibt nur Maſcha?« So frägt man umher, 
»Warum kommt ſie nicht Abends zum Spielen mehr? 
Warum hält ſie ſich ſeit der Rückkehr des Herrn 
Von allen Menſchen im Dorfe fern? 


Sonſt tändelte ſie mit den Nachbarskindern, 
Sang ihnen vor, ſpielte Babki“) mit ihnen; 
Gab's wo zu helfen, Noth zu lindern: 

Maſcha half immer mit freundlichen Mienen. 

Und niemals ſah man ſie müßig gehn, 

Es war eine Luſt ihre Wirthſchaft zu ſehn — 

In Küche und Stube, in Kammer und Schrank 

War immer Alles ſauber und blank. 

Sie gab den Hühnern und Enten ihr Futter, 

Half bleichen und trocknen auf der Au, 

Half emſig beim Waſchen und Kochen der Mutter 

Und pflegte fie wie eine Prieſtersfrau.“) 

) Babki — ein beliebtes ruſſiſches Kinderſpiel, hat ſeinen 


Namen von den Hammelknochen (babki), welche die Inſtrumente 
des Spieles bilden. 


) Der höͤchſte Ausdruck der Pflege und Zärtlichkeit bei den 
Ruſſen. Bekanntlich dürfen die Prieſter der griechiſchen Kirche nur 
Einmal heirathen, nach dem wörtlich interpretirten Bibelſpruche: 

1 


— 101 — 


Jetzt ſieht man ſie nicht im Dorfe mehr, 
Und im Hauſe geht ſie ſo trüb umher, 
Oder lehnt Nachts im Fenſter und ſummt ein Lied 
Wie ſie hinaus ins Weite ſieht: 


»Wie der Wolga Wogen 
Vor dem Winde fliehn! 
Kommen ferngezogen, 
Ferne weiterziehn — 

Ach ſo gern, ſo gerne 
Zög' ich mit zur Ferne; 
Seh' die Wellen treiben, 
Hör' die Winde wehn, 
Aber ich muß bleiben, 
Kann nicht fürbaß gehn! 


»Bei der Lampe Schimmer 
Vor dem Heiligenſchrein. 
Sitz' ich Nachts im Zimmer 
Traurig und allein — 
Draußen locken die Sterne 
Mich hinaus zur Ferne — 
Seh' die Wolken eilen, 

Hör' die Winde wehn, 
Aber ich muß weilen, 
Kann nicht fürbaß gehn! « 


„Der Prieſter fol eines Weibes Mann fein.“ Da nun dem Prieſter 
nach dem Tode der Frau kein anderes Loos bleibt als in's Kloſter 
zu gehen und Mönch zu werden, ſo ſucht er ſeiner beſſern Hälfte 
durch zarte Aufmerkſamkeit und ſorgſame Pflege ein möglichst langes 
Leben zu bereiten. 


— 1 — 


- 
0 


„O Gott! wär hätte das geglaubt, 


Ich glaub's noch nicht, — es iſt ein Wahn ... 


Er warf den Hut vom lockigen Haupt, 

Riß ſeinen Gürtel vom Kaftan, 

Ihm war's zu dumpf in ſeinem Sinn, 

Zu eng war's ihm um ſeine Glieder; 

Laut ſprach und flucht' er vor ſich hin, 

Schritt wild im Zimmer auf und nieder: 

»Sie bebt bei meinem Händedruck, 

Und ſchluchzt und ſinkt erſchöpft aufs Bette — 
Auf ihrem Tiſche liegt ein Schmuck 

Und eine Uhr mit goldner Kette. 

Ich fragte ſie — ſie ſieht mich an 

Und weiß ſich nicht herauszuwinden . 

Hat ihr's der Teufel angethan? 

O Iwan! Sklave! armer Mann! 

Und mußt Du ſo Dein Mädchen finden! 

Da ſitzt ſie mit verweintem Aug' 

Und ſeufzt und ſchluchzt, und ringt die Hände, 
Krankhaft glüht ihres Mundes Hauch: 

»Es iſt mit meinem Glück zu Ende, 

Iwan!« Das waren ihre Worte. 


— 1686 — 


»Ja, ja, wo man ſo adlig ſtreichelt, 
Wo Rang und Gold um Einlaß ſchmeichelt, 
Da ſpringt von ſelbſt des Herzens Pforte. 
Was bin ich auch? ein armer Mann, 

Ein Sklav bin ich, ein Wurm, ein Nichts! 
Zwar iſt mein Arm voll Mark und Kraft, 
Doch Gut und Blut gehört dem Grafen. 
Nichts nenn' ich mein, was ich geſchafft 
Im Schweiße meines Angeſichts — 

Und gern will ich ihm Alles geben, 

Und mich mit Grübeln nicht befaſſen, 

Doch Eines ſoll er ganz mir laſſen: 

Mein Herz und meines Herzens Leben, 
Mein Hirn, mein Lieben und mein Haffen!« 


»Noch iſt die Sünde nicht vollbracht; 
Doch, Graf, nimm Dich vor mir in Acht! 
Du treibſt mit mir nicht leichten Spott: 
Drum hüt' Dich! Nicht umſonſt hat Gott 
Die Kraft in meine Hand gegeben, 

Und dieſem Haupt Verſtand gegeben !« 


— 17 — 


8, 


UAleit über das Feld, durch die Lüfte hoch, 
Nach Beute ein mächtiger Geier flog. 


Am Stromesrande, im friſchen Gras, 
Eine junge, weißflüglige Taube ſaß. 


O, verſtecke dich, Täubchen, im grünen Wald! 
Sonſt verſchlingt dich der lüſterne Geier bald! 


* * 
* 


Eine Möve hoch über der Wolga fliegt, 
Und Beute ſpähend im Kreis ſich wiegt. 


O, halte dich, Fiſchlein, im Waſſer verſteckt, 
Daß dich nicht die ſpähende Möve entdeckt! 


Und fteiaft du herauf, fo ſteigt fie herab, 
Und macht dich zur Beute und führt dich zum Grab'! 


9, 


„Ach „du grünende, feuchte Erde du! 
Thu' dich auf, leg' mein ſtürmiſches Herz zur Ruh! 
Blaues Himmelstuch mit der Sternlein Zier, 
O trockne vom Auge die Thräne mir! 
Hilf Himmel der armen, der duldenden Maid! 
Es bricht mir das Herze vor Weh und Leid! « 


* * 
* 


Sitzt klagend Maſcha im Kämmerlein, 
Tritt tröſtend die alte Mutter herein: 
»Ach Du Töchterchen mein, helles Täubchen Du, 
Klage nicht, weine nicht, mein geliebtes Kind! 
Laſſe nicht Dein roſiges Köpfchen ſo hängen, 
Halt' die Thräne zurück in dem blauen Aug), 
Kämme, glätte das flatternde blonde Haar! 
Ach, es hilft ja kein Schrei, den Niemand hört, 
Der die Thräne im Auge zu trocknen 
Und den Kummer im Buſen zu lindern vermag. 
Groß, groß iſt das heilige Ruſſenland, 
Und der Himmel iſt hoch und der Zar iſt weit, 
Und ein hilfloſes Kind weiß nicht aus noch ein .... 
Wenn Du thuſt, was Dein Herr Dir auf Erden befiehlt, 
So wird Dir's der Herrgott im Himmel verzeihn!« 


— O laß Deine Rede ; lieb Mütterlein! 
Dein Wort hält die rinnende Thräne nicht auf, 
Und kühlt meine glühende Wange nicht ab! 

So lange das Veilchen im Graſe ſteht, 


— 169 — 


Mag es duften und blühn im Verborgenen; 

Doch wird es bemerkt, fo wird es gepflückt, 

Und wird es gepflückt, ſo verblühet es ſchnell: 

Nur Einmal bricht man die Blume ab.... 

O Mutter! ich möchte nicht gebrochen ſein, 

Als durch ihn, dem ich Treue und Liebe geſchworen, 
Den ich mehr als mein eigenes Leben liebe! 

Ich will fliehen mit Iwan in fremdes Land, 

Er iſt ſtark von Körper und reif an Verſtand, 

Er wird uns ſchon Obdach und Nahrung finden. — 


»O des thörichten Sinns und des thörichten Worts! 
Und was ſollte aus Deiner armen Mutter werden? 
Was ſolch Kind doch für Mittel und Wege hat! 
Und weiß nicht, daß das heilige Ruſſenland 
Weit reicht, ſo weit wie die Erde reicht, 

Und ſo weit wie der wahre Chriſtenglaube. 

Und ein ſchönes Geſicht lieben allerwärts 

Auch Männer denen es nicht gehört, 

Und auch allerwärts giebt es ſchöne Frau'n, 

Die der Männer Begehren zu Willen ſind! 

's iſt wohl ſchlimm, weil Keiner es ändern kann, 
Doch wenn's Sünde iſt, giebts viele Sünderinnen! 
Gott! ich kenne das ja, bin ſo manches Jahr 

In der Stadt bei vornehmer Herrſchaft geweſen, 

Und was ſieht man nicht Alles, was hört man nicht! 
Und was die Großen thun aus eigener Luſt, 

Das mag wobl den Kleinen verziehen werden, 

Wenn der Zwang und der Wille der Herrſchaft fie ait 
Dein Vater war ein freier Mann, 

Gott hab' ihn ſelig! er ſtarb zu früh 

Für Dich, Du armes, verwaiſ'tes Kind! 

Doch Iwan iſt ein Leibeigener; 


— 170 — 


Er hat keinen Willen als den des Herrn, 

Kein Hab und Gut, denn was des Herrn. 

Der Herr kann ihm ſagen: Komm her! Geh hin! 
Laß dieſes! Thu' das! Gieb her, was Du haſt! 
Er muß es thun, darf nicht widerſprechen. 

Ein trotziger Kopf thut nicht gut im Land, 

Ihn trifft feine Strafe mit ſicherm Schlag, 

Denn der Wille des Herrn hat größere Kraft 

Als der Widerſtand des Widerſtändigen .... 


— Ach, wär ich doch häßlich! und hätt' ein Geſicht, 
Das nur Iwan, nicht Andern gefallen möchte. — 


»Kind ſündige nicht! Schönheit iſt Gottesgabe, 
Und wohl manch große Dame beneidet Dich 
Um Dein Auge, Dein Haar, Deine Wohlgeſtalt! 
Sieh, Maſcha, ich hab' es Dir niemals geſagt: 
Dein Vater war ſelbſt ein vornehmer Herr, 
Hoch von Rang, reich an Gut, und von Körper ſchön .. 
War ich auch einſt ein hübſches, unſchuldiges Ding, 
War ein blühendes, roſiges Mädchen wie Du! 
Meine Mutter war arm und der Vater war blind, 
Und mein einziger Bruder wurde von mir genommen, 
Mußte fort als Soldat, iſt nie wiedergekommen ... 
Ach, der Hunger thut weh und die häusliche Noth! 
Das Gold wiegt ſchwer und das Herz iſt leicht, 
Großer Name, ſüße Rede hat ſchon Manche bethört. 
Unſer Aug' iſt ſo blind, wo es aufſchaun ſollte, 
Und es ſieht fo hell, wo es blind fein möchte. ... 
Ein junges Herz iſt gar leicht verführt! 
Und der mich verführt und Dein Vater war 
— Jetzt liegt er ſchon lange im feuchten Grab! — 
Und ich liebe ihn immer und immer noch, 


— 171 — 


Und die Thräne fließt, wenn ich fein gedenke ... 
Ach, es giebt ja noch Schmerzen, die größer ſind! 
Sieh, was Dich zu Jammer und Elend treibt: 

Alle Bauernfrauen rechnen's als Glück Dir an, 

Die ſchon glücklich ſind, überglücklich ſind, 

Wenn ſie nothdürftig Eſſen und Trinken haben. 

Ach, wie gern möchte jede der Bauerdirnen, 

Jede Frau dazu an Deiner Stelle ſein! 

Leichte Arbeit thun, ſchöne Kleider tragen ... 

Es iſt einmal Brauch ſo aus alter Zeit: 

Was dem Manne gehört, iſt des Gutsherrn auch, 
Dafür hat uns Gott ihn zum Herrn geſetzt! 

Du könnteſt ja Iwans Hausfrau fein 

Und Dich doch dem Wunſche des Grafen fügen .... 
Doch er will es nicht — iſt ein trotziger Kopf. 
Siehe, Du wäreſt jetzt ſelbſt nichts als Bäuerin 
Und müßteſt die gröbſte Feldarbeit thun, 

Hätte die ſelige Gräfin, die gute Frau, 

Dich nicht aus dem Dunkel an's Licht gezogen, 
Dich gepflegt, Dich leſen und ſchreiben gelehrt, 
Unterrichtet im heiligen Gotteswort! 

Und der Graf hat Dir auch viel Gutes gethan .. 
Wenn das Vöglein fein ruhig im Käfig ſitzt, 

Wird's gekoſ't, wird ihm Speiſe und Trank gegeben — 
Doch will ſich's befrein in ohnmächtiger Wuth: 

So wird es ſich elend das Köpfchen zerſchlagen! 

Die Prieſter verzeihen dem Reichen gern, 

Wer viel Fürſprecher hat, mag viel Gnade finden — 
Doch der Arme, was bleibt ihm, wenn er nicht 

Die Gabe nimmt, die ihm geboten wird? 

Das Leben iſt ſchwer und der Hunger thut weh .... 


— 172 — 


N 10. 
Hat ein ſchwerer Fiſch in die Angel gebiſſen, 
Iſt dem Knaben die Schnur von der Angel geriſſen, 
Und er haſcht mit der Hand nach dem köſtlichen Fang, 
Und haſcht bis ihn ſelber die Flut verſch lang... 


* * 
* 


Nicht frohlocke, Du mächtiger Geier fo bald, 
Daß ſicher die Krallen das Täubchen umkrallt! 
Sieh, ſchon lauert der Jäger im grünen Wald, 


Und es trifft Dich fein Schuß aus dem Hinterhalt .... 


rr — 


— 173 — 


11. 


Graf Büſtrow ſitzt in ſeinem Zimmer, 
Lieſt einen Brief beim Kerzenſchimmer: la 
»Was ſchreibt die Kleine; Pflicht — Gewiſſen — 
Kein Stelldichein — das Band zeriſſen — 

Nichts, das ſie ferner noch bethöre, 

Und ſie von ihrem Iwan trennt, 

Dem fie als Weib bald angehöre ... 
Das nenn' ich eine freche Stirne! 

Bei Gott! ein köſtlich Dokument 

Der Ehre einer Bauerndirne! 

Hat doch im Dorf ſeit meiner Jugend 

Kein hübſches Bauerweib gefreit, 

Das ich nicht ſelbſt erſt eingeweiht, 

Und die ſpricht mir von ihrer Tugend! 
Und ſchreibt mir ſolchen Brief, — das iſt die Frucht, 
Wenn man die Bauern aufzuklären ſucht, 
Sie leſen lernen läßt und ſchreiben! 

Man wird es bald noch weiter treiben . 
Weil ich ſie mehr als Andre ſchonte, 

Weil ich wie ein verliebter Knabe 

Mit ihr geflirrt, getändelt habe, 

Sanft bat, wo ich befehlen konnte: 

Vergißt ſie darum, daß ſie mein, 

Ich mit ihr machen kann, was mir gelaunt! 


— 14 — 


Auch kommt das nicht von ihr allein, 

Das hat ihr Iwan eingeraunt .... 

Der Kerl iſt mir ſchon längſt verhaßt, 

Wie er auf meine Schritte paßt, — 

Hab ich's nicht neulich ſelbſt geſehn 

Wie grimm ſein dunkles Auge rollte, 

Als ob es mich durchbohren ſollte — 

Darf ſich ein Sklav das unterſtehn! 

Wart' Burſch! Du ſollſt gehorchen lernen! 

Für heute muß ich ihn entfernen, 

Denn bleibt er Maſcha im Geſicht, 

Gelingt mein Abenteuer nicht. 

Doch, was jetzt thun mit ihm? Halt, ſo wird's glücken: 
Ich werd' ihn nach Wologda ſchicken 

Mit einem Brief, das hält ihn ab für morgen; 
Nachher werd' ich ſchon anders für ihn forgen !« 


— 175 — 


12: 


Einſam im Dorfe ſchreitet Iwan: Zweimal ſchon 
Hat er den Schritt nach Maſcha's Haus gelenkt, 
Und zweimal kehrt er wieder um, und ſenkt 
Gedankenvoll das Haupt, und wirr blickt er umher; 
Bald geht er, bald auf ſeinen Stock geſtemmt 
Bleibt er erſchrocken ſtehn. Was drückt ſein Herz ſo ſchwer? 
Was iſt's, das ſo des Burſchen Schritte hemmt? 
Was hält ihn ab, wie ſonſt zur Abendſtunde 
Beſchwingten Laufs zu Maſcha hinzufliegen, 

Sie an ſein liebefrohes Herz zu ſchmiegen, 

In ihrem Arm, von ihrem ſüßen Munde 

Erquickung nach des Tages Müh'n zu ſchlürfen? 

Als ob ſie heute ſich nicht nahen dürfen, 

Schwankt er hin und zurück; etwas ihn plagt 

Was er ſich ſelbſt nicht zu geſtehen wagt; 

Ein Schreckgebilde glaubt ſein Geiſt zu ſehn, 

Und bange Zweifel ſeine Bruſt zerfleiſchen; 

Er ſucht und forſcht, die Wahrheit zu erſpähn, 

Er ſucht — doch heimlich wünſchend ſich zu täuſchen. 
Und fein Verſtand ſich und fein Herz entzwein; 

Es iſt! ſagt der Verſtand — das Herz: es kann nicht ſein! 
Es birgt ſich ſelbſt, was dem Verſtande klar iſt, 
Und zweifelnd immer ſagt's: es kann nicht ſein! 


Denn wenn es wäre, wenn es wirklich wahr iſt — 

Ein gräßlicher Gedanke! — 's kann nicht fein! .... 
Und doch iſt mir's, als ob ich ihn noch ſeh' 

Wie ſie ihn heimlich aus der Pforte ließ, 

Er drückte ihre Hand und grinzte ſüß, 

Und küßte ſie und nannt' ſie: liebe Maſcha! 

Sie ſah ſich ſpähend um, und ſprach: nun geh, 

Mich ſchreckt fo, daß uns Iwan überrafche.« 

— Bis morgen denn, ſprach er, Du weißt noch Ort und Stunde? 
Um Zwölf, im Pavillon am Wolgaſtrand, 

Im dritten Bogengang, zur rechten Hand 

Vom Schloß. — »Ich weiß,« entklang es ihrem Munde . 
So ſchieden ſie, derweil ich zitternd ſtand. 

»Mich ſchreckt fo, daß uns Iwan überraſche!« 

Und das aus Deinem Mund? O, Maſcha, Maſcha! 
Ward Dir doch ſonſt nicht bang, kam ich am Abend 
Durch's Gärtchen, vor der Thür Dich überraſchend, 

In Deinen Armen Müh und Leid begrabend, 

Von Deinen Lippen ſüße Küſſe naſchend — 

Und jetzt! . . . Doch nein! ... mein Aug’ hat mich zetkuſcht, 
Dem Ohre hats der Böſe gugettesſcht 1.008, 

Um Zwölf, im Pavillon am Wolgaſtrand, 

Im dritten Bogengang, zur rechten Hand 

Vom Schloß . . . . Ich komme, aber Wehe! Wehe! 

Seh ich, was ich nicht wünſche, daß ich's fehel« 


— 177 — 


13. 


Es trabt ein ſtattlicher Reitersmann 
Vom Schloſſe das Dorf entlang; 
Um den ſchlanken Leib, um den blauen Kaftan 
Ein blutrother Gürtel ſich ſchlang. 
Und rechts und links 
Grüßt er freundlichen Winks, 
Doch runzelt ſich trüb ſeine Stirn. 


Der Reitersmann reitet ein ſchwarzes Roß, 
Rückſtiebts von der Hufen Schlag; 
Und die Mädchen im Dorf und der Knaben Troß, 
Sie ſchaun ihm verwundert nach. 

Und rechts und links 

Grüßt er freundlichen Winks, 
Und weiter ſpornt er ſein Thier. 


Und weit von dem Dorf gelangt er bald 
In dunkeles Waldrevier; 
Dort ſteigt er vom Pferd, dort macht er Halt, 
Läßt weiden im Graſe ſein Thier. 
Und den Weg zurück 
Wirft er forſchend den Blick, 
Zu ſpähn, ob ihm Keiner gefolgt. 
F. Bodenſtedt. X. 12 


— 178 — 


Den blutrothen Gürtel löſt er in Eil', 
Der den blauen Kaftan umſchlang, 
Darunter weg zieht er ein ſtarkes Beil, 
Er wetzt und prüft es lang. 

Er prüft's und ſprach: 

Ich komme Dir nach, 
Wenn die Mitternachtsſtunde mich ruft. 


Mit der Botſchaft des Grafen hat's immer noch Zeit — 
Heut feiert mein gutes Roß; 
Der Tag iſt kurz und Wologda iſt weit, 
Doch nah iſt der Weg zum Schloß — 
Und find' ich ſie dort, 
Und brach ſie ihr Wort, 
Dann wehe dem Grafen und ihr! 


2 


14. 


Bau fingen beim Schloffe, im duftenden Haine, 
Die Vögel ihr Lied; 

Bang ſchauern die Bäume im Mondenſcheine, 
Kein Lüftchen zieht. 


Laut klingt's im Haine, und leiſe die Menge 
Der Blumen lauſcht — 

Derweilen hell plätſchernd im Wellgedränge 
Die Wolga rauſcht. 


In ſchläfernde Ruhe iſt Alles geſungen 
And athmet warm; 
Weich liegt, wie ein Bräut'gam, der Hain umſchlungen, 
Vom Wolgaarm. 


12 * 


15. 


Vom Schloſſe rechts, den Strom entlang 
Schlingt ſich ein dunkler Bogengang 
Von wildem Wein, und nah davon 
Beim Ufer ſteht ein Pavillon. 


* *. 
* 


Es ruht auf weißen Säulen 

Ein Dächlein rund und grün 
Der Epheu rankt ſich obenhin 
Und unten Roſen blühn. 


Es ſind drin keine Fenſter, 

Nur Gitter fein und dicht, 

Durch die der Strahl des Mondenlichts 
Sich hundertfältig bricht. 


Süß duftet's durch die Gitter, 
Die Luft iſt warm und rein — 
Ein Divan ſteht im Pavillon, 
Zur Ruhe läd't er ein. 


\ 


16, 


Im dunklen Gange auf und ab 
Graf Büſtrow geht — ſie kommt noch nicht, 
Bald ſchlägt es zwölf vom Thurm herab — 
Doch kommt ſie ganz gewiß — man bricht 
Nicht leicht, was man uns fo verſpricht .... 
Hat mir das Müh gekoſtet, heut die Kleine 
Herauszukirr'n aus Furcht und Zweifel, 
Als ging mit ihrer jungfräulichen Reine 
Ein ganzes Königreich zum Teufel! 
Faſt reut mich's jetzt, daß ich's ſo weit getrieben, 
Doch, wo das Herz verlangt, ſchweigt der Verſtand — — 
Mir war kein anders Mittel mehr geblieben, 
Und wahrlich, was ich heut' für ſie empfand 
War mehr als roh Gelüſten — Sonderbar! 
Erſt heute war mir dies Gefühl ganz klar . 
Wie ſeltſam iſt der Menſch, daß er mehr liebt 
Was Liebe ihm verſagt, als was ſie giebt! 
Wie's heiß verlangend meine Bruſt durchzittert .... 
Und doch iſt was in mir, ich weiß nicht was? 
Das drohend mir den ſüßen Traum verbittert, 
Mich quält und ängſtigt ohne Unterlaß. 
Ein Glück, daß Iwan heut nicht in der Nähe — 
Wie lang ſie weilt — ſchon zwölf vom Thurme ſchallt — 
Was ſchimmert dort? Sie iſt's! Ich ſeh fie kommen. 
Der Pavillon hat beide aufgenommen 
Eh' noch der Glocke dumpfer Ton verhallt. 


— 10 — 


17. 
Tuneben dem Gang, nud ul 
Den Strom entlang, NR ard 


Da rauſcht es und regt ſich's N 
Im dichten Geſträuche — 500 
Und weiter bewegt ſich's, 

Als ob Jemand dort ſchleiche — 

Jetzt duckt ſich's nieder, 

Dann hebt ſich's wieder, 

Und verſchwindet zwiſchen 

Den hohen Gebüſchen. 


* 3 
* 


Und wieder iſt es ſtill im Hain, 
Nur Nachtigall und Liebe ſpricht — 
Es hüllt der Mond ſein keuſch Geſicht 
In dunkle Wolkenſchleier ein. 


18. 


Ein Wehgeſchrei wird laut am Wolgaſtrand, 
Und Todesröcheln ſchallt — dann ſchweigt es wieder — 
Sieh, durch die Nacht winkt zitternd eine Hand — 
Im Raſen wälzt der Graf die blut'gen Glieder .... 
»Iwan — Verruchter! — Du hier! — Gott — Verderben!« 
— Erkennſt Du mich? Ich bin's, Iwan, Dein Sklav! 
Doch Sklav nicht mehr, Dein Herr jetzt — Du mußt ſterben, 
's iſt meine Hand, die Dich vernichtend traf; 
Ein Ohrenſchmaus iſt mir Dein Todesſtöhnen! 
Schickſt Du mich fort, um frecher Luſt zu fröhnen? 
Jetzt kommt die Reih' an mich, jetzt ſchick ich Dich, 
Doch einen weitern Weg hin, als Du mich! — — 
en Fort falſche Schlange! laß Dein flehend Jammern, 
Laß ab, die Knie mir winſelnd zu umklammern, 
Mit meinem Herzen treibſt Du nicht mehr Spott, 
Es iſt zu ſpät — knie betend hin vor Gott! — 
Und wiederum zuckt's grauſig durch die Nacht, 
Und röchelnd ftürzt fie hin — es iſt vollbracht... 
Mit ſtarkem Arm hält Iwan ſie umfaßt, 
Und hin zum Strom trägt er die blut'ge Laſt, 
Und es plätſchert und rauſcht von des Körpers Schlag, 
Und er wirft der Buhlin den Buhlen nach.... 


19. 


Bald im Schloſſe wird's wach auf das wilde Geſchrei, 
Schlaftrunken ſtürzen die Diener herbei. 


Hell auf der Wolga das Mondlicht glimmt, 
Unten eine Leiche neben der andern ſchwimmt. 


Aber Iwan, des Staroſten Sohn, 
Iſt raſch auf heimlichen Wegen entflohn. 


Rauſche Eichwald! thue dich gaſtlich auf, 
Hemme ſchützend des flüchtigen Burſchen Lauf! 


Seine Liebe iſt hin und ſein Herz iſt todt — 
Doch ſein Arm iſt noch ſtark und die Wange roth, 
Und er ſchlüge gern Alles was lebt jetzt todt. 


Wohl im Dickicht wartet ſein treues Roß, 
Und ſchafft er ſich bald auch zum Beil ein Geſchoß; 
Und findet ſich bald auch manch ſtarker Genoß. 


Und mit Schrecken und Grauen im Wolgaland 
Wird Iwan, der Sohn des Staroſten, genannt. 


Wie der Kailer die Kaiferin verlucht. 


Es geht vom Kaiſer Heinrich“) 
aus alter Zeit die Sage, 
Daß er nur ſann und dachte 
wie er die Menſchen plage. 
Seinen ſchlimmen Tücken 
mochte Keiner widerſtehn; 
Man hatte ſchlimmern Kaiſer 
nimmer im Reich geſehn. 


Durch ſeine Liſt und Tücke 
weithin wohl bekannt, 
Ward er in allen Landen 
»Heinrich der Schlimme« genannt; 
Wie er die ſchöne Kaiſerin 
ſuchte zu bethören, 
Und ſelber kam zu Schaden, 
deß ſollt Ihr nun Kunde hören. 


Ob ihrer Zucht und Sitte 
weitum in deutſchen Gauen 

Ward ſein Gemahl gerühmt 
als Krone aller Frauen. 

Deß grollte ihr der Kaiſer, 
unmaßen war ſein Neid, 

Ob ihrer hohen Tugend 

ſchuf er ihr Weh und Leid. 


) Heinrich V. 


. 


Er ſprach zu einem Ritter 
in ſeinem argen Sinne: 
Du ſollſt zur Kaiſerin gehen 
und werben um ihre Minne; 
Ihre Minne zu gewinnen 
ſollſt Du kein Mittel ſchonen, 


Und wenn Du ſie gewinnſt, will ich 


Dich kaiſerlich belohnen! 


Dem Wort des Kaiſers folgte 
der Ritter mit frohem Sinne, 
Er ging zur Kaiſerin 
und warb um ihre Minne; 
Verfolgt ſie allerorten, 
verfolgt ſie allezeit 
Mit Thränen und mit Worten; 
das war ihr unmaßen leid. 


Sie ſprach zum Ritter züchtig: 
laßt Euer ſchlimm Begehren, 
Nur meinem Herrn und Kaiſer 
darf ich die Minne gewähren! 
Doch als mit jedem Tage 
der Ritter wiederkam, 
Da erzürnte die hohe Fraue, 
wie ihr das wohl gezam: 


Laßt Eure falſchen Thränen, 
laßt Euer Flehn und Klagen, 

Beim Kaiſer, meinem Gemahle, 
Will ich Euch verklagen, 


— 19 — 


Daß Ihr um meine Minne 
zu werben Euch erfrecht, 
Deß ſoll ihm werden Kunde, 
daß er die Unbill an Euch rächt. 


Da ſprach in ſtolzem Sinne 
der Ritter zur Kaiſerin: 
Daß Ihr mich wollt verklagen, 
deß habt Ihr keinen Gewinn! 
Vom Kaiſer Heinrich ſelber 
ward ich zu Euch geſandt 
Um Eure Minne zu werben, 
das ſei Euch in Treuen bekannt! 


Der Kaiſerin Erzürnen 
verwandelt ſich in Staunen. 
Sie ſprach: eine folgſame Gattin 
fügt ſich des Mannes Launen; 

Wenn Ihr am Abend heimlich 
in meine Gemächer kommt, 
Will ich Euch Alles gewähren, 
Was Eurer Minne frommt! 


Der Kaiſer argen Sinnes 
vom Ritter hörte die Kunde; 
Er ſprach: ich will ſtatt Eurer 
gehn in der Abendſtunde! 
Nun gebt mir Eure Waffen 
und Euer Gewand mir gebt, 
Daß ich Euch gleiche am Abend 
ganz wie Ihr leibt und lebt! 


a 


Da hieß der Kaiſer künden 
Märe durch das Schloß: 
Zu Walde wollt' er reiten 
mit ſeinem Jägertroß; 
Zwei Tage wollt' er jagen, 
das Jagdhorn laut erſchallt — 
So zog der Kaiſer Heinrich- 
zum Pürſchen in den Wald. 


Am Abend aber ſandt' er 

die Mannen weit voraus, 
Und auf verborg'nen Wegen 

kehrt er zurück in's Haus; 
Gekleidet wie der Ritter, 

in ſeinem argen Sinne 
Schleicht er zur Kaiſerin, 

zu werben um ihre Minne. 


Es ſaß im dunklen Zimmer 

die hohe Frau allein; 
Da öffnet ſich die Thüre, 

der Ritter trat herein: 
Willkommen, edler Ritter! 

ob Ihr ſo früh auch kommt, 
Gern will ich Euch gewähren 

was Eurer Minne frommt! 
Begebt Euch Eurer Wehre, 

legt nieder Helm und Schwert, 
Mit ſchwacher Fraue zu kämpfen 

ſeid Ihr zu ſtark bewehrt! 


* 


Von ihrem Sitz erhob ſich 
Des Kaiſers Ehgemahl, 
Und führte den ſtolzen Ritter 
in einen dunklen Saal, 


Da dachte in ſeinem Sinne 
der Kaiſer unmuthvoll: 

Iſt das die Zucht und Treue, 
davon ihr Lob erſcholl? 

Sie hält mich für den Ritter 
und führt mich in's Gemach, 

Heimlicher Minne zu pflegen — 
deß ſoll ihr werden Schmach! 


Zu einem dunklen Raume 
ſchritten ſie hinein, 

Da drangen von allen Seiten 
viele Zofen auf ihn ein, 

Sie ſchlugen ihn mit Stöcken 
und Stangen bis auf's Blut, 

Er war in ſeinem Sinne, 
ich wähne, mißgemuth. 


In tugendlichem Zürnen 
ſprach die hohe Frau: 
Nun laßt nicht nach im Schlagen, 
ſchlagt ihn braun und blau; 
Wir wollen ihm gewähren 
was ſeiner Minne frommt, 
Daß er in ſchlimmem Begehren 
nicht fürder zu mir kommt! 


— 192 — 


Es waren aber die Zofen 
lauter verkleidete Mannen, 
Die ſchon in manchem Strauße 
hoher Ehre viel gewannen; 
Mit ihren ſtarken Kräften 
ſchlugen ſie ihn nieder — 
Nimmer fuhr dem Kaiſer 
ſolcher Schmerz durch ſeine Glieder! 


Er ſuchte zu entfliehen, 
kaum konnte er noch ſtehn: 
Man hatte ſchlimmere Schläge 
nimmer wohl geſehn! 
Er wand ſich wie ein Wurm, 
er kroch wie eine Schlange — 
Nimmer vor Frauentugend 
ward einem Mann ſo bange! 


Bald aber ging die Märe 
durch alles deutſche Land, 
Da wurde mit hohem Ruhme 

der Kaiſerin Tugend bekannt. 
In ſeinen Schmerzen fühlte 
der Kaiſer ſelber Reue, 
Nie hat er wieder gezweifelt 
an deutſcher Frauen Treue! 


Hildegard. 


In drei Abenteuern 


F. Bodenſtedt. X. 


13 


1. . N 
. PR 7 2 8 


Ku Sr 


een En 1 5 


Erſles Abenteuer. 


Der König Karl zum letzten Mal 
Hält Heerfahrt gegen die Heiden; 
Schön Hildegard, ſein Ehgemahl, 
Weint bitterlich beim Scheiden. 

Noch in der Sonne ferne 
Hell blitzen Helm und Wehr; 
So gerne, ach ſo gerne 
Zöge ſie mit dem Heer! 


Schon manches lange Jahr entfloh 
Seit König Karl geſchieden; 
Schön Hildegard wird nimmer froh, 
Sie hat nicht Ruh noch Frieden. 
Stets wachſen ihre Sorgen, 
In Thränen und Gebet 
Trifft ſie der frühe Morgen, 
Trifft ſie der Abend ſpät. 


Des Königs Bruder, Taland, ſprach: 
Laßt Euer Weh und Weinen! 
Wenn König Karl die Treue brach, 


Mögt Ihr mit mir Euch einen! 
13 · 


— 196 — 


Er ſann in argem Sinne, 
Er ſann wohl her und hin, 
Daß er das Herz gewinne 
Der ſchönen Königin. 


Doch zürnend ſchlug ſchön Hildegard 
Die blauen Augen nieder: 
Der König, der mein Gatte ward, 
Kehrt er auch nimmer wieder: 
Ich bleibe ſein in Treuen, 
Rein, wie er mich gewann; 
Nie ſoll mich Minne freuen 
Von einem andern Mann! 


Doch immer mehr mit argem Sinn 
Des Königs Bruder täglich 
Verfolgt die ſchöne Königin, 
Ihr Jammer war unſäglich. 
Wie ſoll ſie ihm entgehen, 
So hülflos und allein 
Dem Starken widerſtehen? 
Sie weiß nicht aus noch ein. 


Sie ſinnt auf Liſt, aus dem Bereich 

Des Böſen zu gelangen, 
Denn fromm war ſie, den Tauben gleich, 
Und klug gleichwie die Schlangen. 

„Laßt mich noch ſieben Tage 

Mit meinem Schmerz allein, 

Dann ohne Weh und Klage 

Will ich die Eure fein!« 


— 117 — 


Herr Taland hört mit frohem Sinn 

Der Königin Begehren; 

»Wie ſchnell ſind ſieben Tage hin, 

Gern will ich's Euch gewähren! 
Doch wenn die Friſt entſchwunden, 
Seid Ihr der Pflicht als Weib 
Des Königs Karl entbunden, 
Seid mein mit Seel’ und Leib!« 


Nun ließ im Thurm ſchön Hildegard 

Ein feſt Gemach bereiten, 

Vermauert und verſchloſſen ward 

Der Ausgang aller Seiten. 
Nur unterirdiſch wand ſich 
Ein Gang die Mauer durch, 
Des Ganges Oeffnung fand ſich 
Tief in der Königsburg. 


Die Friſt entſchwand — Herr Taland naht, 

Die Zeit währt ihm ſchon lange. 
Schön Hildegard gar freundlich that, 
Führt ihn zum dunklen Gange: 

Die Stätte iſt bereitet 

Im ſichern Thurmgemach! 

Herr Taland fürbaß ſchreitet, 

Die Königin folgt nach. 


Was ſchleichen wir ſo heimlich hin 
Den dunklen Gang wie Diebe? 
Herr Taland frägt's, die Königin 
Spricht: Vorſicht braucht die Liebe, 


— 18 — 


* 
Daß Niemand uns erſpähe, 
Der Kuß und Flüſtern hört, 
Kein Lauſcher in der Nähe, 
Der unſ're Minne ſtört. 


Schon haben ſie den Thurm erreicht, 
Bald ſind ſie nun zur Stelle, 
Taland in Sprüngen aufwärts ſteigt, 
Er überſpringt die Schwelle, 

Des ſüßen Glückes harrend 

Der minniglichen Ruh; 

Da — hinter ihm laut knarrend 
Schließt ſich die Thüre zu. 


So ward der Thurm durch Hildegard 
Herrn Taland zum Gefängniß; 
Er fand, wo er des Glücks geharrt, 
Jetzt Unglück und Bedrängniß. 
Zu fliehen war unmöglich, 
Forſcht er auch her und hin; 
Deß wundert er ſich höchlich, 
Unmutbig ward ſein Sinn! 


a 


Zweites Abenteuer. 


Turück von ſeiner Heerfahrt kam 
Der König Karl aus Sachſen. 
Herr Taland war gebeugt vom Gram, 
Lang war ſein Haar gewachſen, 
Da fleht er um Erbarmen 
Und Mitleid in der Noth: 
Uebt Gnade an mir Armen, 
Sonſt trifft mich Schmach und Tod! 


Sprach Hildegard: Wohlan, es ſei 

Genug der langen Leiden; 
Die Zeit der Trübſal iſt vorbei, 
Mög' er in Frieden ſcheiden! 

Laßt ihn vom Thurme nieder, 

Gebrochen iſt ſein Trutz; 

Mein König Karl kehrt wieder, 

Da hab' ich guten Schutz! 


Fern blitzten Helme, Schild und Wehr, 
Rings klang es jubeltönig — 
So zog der Heerbann ſtolz einher, 
Voran ritt Karl der König. 


— 200 — 


Die Heiden ſind beſtritten, 

Schwer iſt der Sieg erkauft; 
Wer nicht den Tod erlitten, 
Der ward als Chriſt getauft. 


Im Beutezug gefahren ward 

Manch reichgelad'nes Fuder. 

»Nun grüß' Euch Gott, Frau Hildegard 

Und grüß' Euch Gott, Herr Bruder!« 
Der König ſtieg vom Pferde, 
Doch ſtaunend ſtand er da, 
Als er mit Gramgeberde 
Herrn Taland vor ſich ſah. 


»Was ſchleicht Ihr ſo gebückt einher? 

So welk ſind Eure Wangen, 
Das Haar ſo lang, der Blick ſo ſchwer, 
Wie iſt es Euch ergangen? « 

So trat mit ſchnellen Fragen 

Karl ſeinen Bruder an, 

Der ſprach: ich will Euch ſagen, 

Wie ich mein Leid gewann! 


Frau Hildegard, die Königin, 
Begann um mich zu minnen; 
Ich widerſtand mit ſtarkem Sinn 
Dem frevelnden Beginnen; 
Doch ohne Ehr' und Treue, 
In buhleriſcher Kunſt; 
Mit jedem Tag aufs Neue 
Warb fie um meine Gunſt! 


— 201 — 


Ich ſprach, kommt König Karl nach Haus, 
Wird er die Untreu ahnden! 
Da ſandte Hildgard Mannen aus, 
Ließ heimlich nach mir fahnden; 
Durch Zwang ward ich gebunden, 
Geſperrt in's Thurmgemach, 
Bis alle Kraft entſchwunden, 


Drum ſeht Ihr mich ſo ſchwach! 


Daß König Karl die Kunde ward, 
War Hildegard's Verderben: 
» Führt fie aus meiner Gegenwart, 
Im Waffer foll fie fterben!« 
Rief er in lautem Grimme, 
Und ſtieß fie von ſich fort, 
Hört nicht auf ihre Stimme, 
Merkt nicht ihr klagend Wort. 


Nun ward in tiefſter Waſſerflut 

Schön Hildegard gebettet; 

Doch Gott nahm ſie in ſeine Hut, 

Durch ihn ward ſie gerettet: 
In Mitleid und Erbarmen 
Ein Ritter treu und gut 
Trug ſie mit ſtarken Armen 
Wohl aus der kühlen Flut. 


Es war der treue Rittersmann 
Von Freudenberg geheißen; 
Er bot ihr Schutz und Obdach an, 
Der Noth ſie zu entreißen. 


Ze 


Sie flieht in fremde Lande, 
Läßt Alles, was fie hat; 
Pilgert im Bußgewande 

Nach Rom, der heiligen Stadt. 


Gott tröſtet ſie in ihrem Leid, 
Verleiht ihr Muth und Stärke; 
In Demuth und in Frömmigkeit 
Uebt ſie barmherz'ge Werke. 

Die Kranken pflegt und heilt ſie, 
Hilft Armen in der Noth, 
Mit Hungrigen gern theilt ſie 
Ihr letztes Stückchen Brot. 


Gott gab ihr, daß ſie Wunder that 
Durch ihre Kunſt zu heilen, 
Weither um Hülfe und um Rath 
Viel Kranke zu ihr eilen. 
Und die voll Glauben kamen, 
Wurden Alle geſund; 
Den Blinden wie den Lahmen 
Ward Hildgards Hülfe kund. 


Der Himmel übt Gerechtigkeit, 
Die Unſchuld fand Belohnung; 
Doch Taland's Trug und Schlechtigkeit 
Folgt Strafe ſonder Schonung: 
Blind wurden ſeine Augen, 
Ausſätzig Arm und Bein; 
Nichts will zur Heilung taugen, 
Er leidet ſchlimme Pein! 


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Zur Plage wird ihm jeder Tag,, 
Nichts kann ihm Ruhe geben; 
Die Sünde nagt ſein Herz, er mag 
Nicht ſterben und nicht leben! 
Er fühlte bitt're Reue 
Ob ſeiner böſen Schuld; 
Da ſtärkt ihn Gott auf's Neue 
In Hoffnung und Geduld. 


Als er einſt betend lag im Dom, 

Zerknirſcht im Herzensgrunde, 

Von einer heil gen Frau in Rom 

Gab ihm ein Pilger Kunde, 
Die Blinde heilt und Lahme 
Und Jedem Lind'rung ſchafft 
Durch ihre wunderſame 
Geheimnißvolle Kraft. 


Drittes Abenteuer. 


Als König Karl den Zug begann 
Nach Rom, zum heil'gen Vater, 
Trat bittend ihn Herr Taland an, 
Ihn mitzunehmen bat er: 

Aus frommem Pilgers Munde 
Wohl bei'm Gebet im Dom, 
Ward mir die frohe Kunde 
Der Wunderfrau zu Rom! 


»Nun möge ſie — der König ſprach — 

Euch Heilung ſchnell bereiten! 
Mir folgen viele Mannen nach, 
Auch Ihr könnt mit uns reiten!« 

So zogen ſie von dannen 

Mit großer Herrlichkeit, 

Der König und die Mannen, 

Herr Taland im Geleit. 


Der Blinde kam nach Rom gewallt, 
Die Wunderfrau zu finden; 
Frau Hildegard erkannte bald 
Herrn Taland in dem Blinden. 


— 205 — 


Sie denkt vergang'ner Tage, 
An altes Leid und Glück; 

Doch Taland's Weh und Plage 
Drängt allen Groll zurück. 


Sie ſprach zu ihm in Troſt und Huld: 
Euch drückt der Fluch des Böſen! 
Erſt beichtet reuig Eure Schuld, 
Dann will ich Euch erlöſen! 
Vor Gott kniet betend nieder, 
Macht Euch von Sünden rein, 
Dann ſollt Ihr ſehend wieder 
Frei aller Schmerzen ſein! 


Herr Taland folgt der Frau Geheiß, 

Zerknirſcht von Schuld und Reue; 
Er beichtet Alles, was er weiß, 
In demuthvoller Treue. 

Und als der Prieſter ſagte: 

Dir ſoll vergeben ſein! 

Da war es ihm als tagte 

Vor ihm ein roſ'ger Schein. 


Von ſeinem blinden Angeſicht 
Fällt es wie Schuppen nieder; 
Ein neues, friſches Leben bricht 
Durch alle ſeine Glieder; 

Verſchwunden iſt die Wolke, 
Die ſeinen Blick umhüllt — 
So ward vor allem Volke 
Frau Hildgard's Wort erfüllt! 


— 206 — 


Der König hört mit frohem Sinn 

Vom Wunder das geſchehen: 
»Nun führt mich zu der Heilfrau hin, 
Ich muß ſie ſelber ſehen; 

Die meinen Bruder heilte, 

Sei königlich belohnt.“ 

Der König ſprach's und eilte 

Zum Haus wo Hildgard wohnt. 


Bei ihrem Anblick Karl erſchreckt, 

Wie man ihn nie geſehen: 
»Seid Ihr vom Tode auferweckt? 
Was iſt mit Euch geſchehen?« 

Nun ward aus Hildgard's Munde 

Von Allem was geſchah, 

Dem König treue Kunde — 

Und ſtaunend ſtand er da: 


»Verzeiht mir Hildgard lieb und traut, 

Daß Gott fi) mein erbarme!« 
Frau Hildgard weint vor Freude laut, — 
Und ſank in ſeine Arme. 

Groß war des Königs Reue, 

Doch größer war fen Glück — 

Nun führt er ſie auf's Neue 

Als ſein Gemahl zurück. 


Doch Taland ſchwur er ſchlimmen Tod 
Ob ſeiner falſchen Tücke. 
Frau Hildgard bat in ſeiner Noth 
Für ihn in ihrem Glücke: 


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Die Schuld ließ ihn erblinden, 
Die Reue ſchuf ihm Pein, 
Gott ließ ihn Gnade finden, 
Mögt Ihr ihm auch verzeih'n! 


Und Karl verzieh. In ihrem Glück 
Die Zwei gen Deutſchland reiten; 
Herr Taland blieb in Rom zurück, 
Verbannt für alle Zeiten. 

In hohem Glück auf's Neue 

Lebt' Karl mit Hildegard, 

An deren Zucht und Treue 
Nimmer gezweifelt ward. 


Berlin, gedru ft in der Königlichen Gehiimen Ober . Hefzuchdrucktrei (R. v. Detir),