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Briefe
Jakob Burckhardts
an Gottfried (und Johanna) Kinkel
Herausgegeben von
Rudolf Meyer-Kraemer
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Benno Schwabe & Co., Verlag in Basel
1921
Das vorliegende Buch wurde als Separatabdruck
der „Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums-
kunde, XIX. Band, 2. Heft" gedruckt. In der Zeit-
schrift lautet die Paginierung S. 195—345, im vor-
liegenden Buche resp. Separatabdruck S. 1- 151.
Druck von Oasser Si Co., Basel
Errata.
Seite 2, Zeile 3 von unten lies „schrankenlos" statt „Schrecken-
los".
„ 5, Zeile 14 von oben lies „weiss" statt „weisst".
6, Zeile 7 von unten lies „Küdinghoven" statt „Rüding-
hoven".
„ 31, Zeile 16 von oben lies „ein" statt „einen".
„ 107, Zeile 11 von oben lies „Gailhabaud" statt „Guil-
habaud".
„ 108, Anmerkung 3) unten lies „Aus Eichendorff, Der wan-
dernde Student", statt „Vielleicht ein Selbstzitat".
Die Strophe aus Eichendorff, lautet:
Frei vom Mammon will ich schreiten
Auf dem Feld der Wissenschaft,
Sinne ernst und nehm zu Zeiten
Einen Mund voll Rebensaft.
Briefe Jakob Burckhardts
an Gottfried (und Johanna) Kinkel.
Herausgegeben von Rudolf Meyer-Kraemer,
Nach fünf Basler Semestern, der Theologie und dem
Geschichtsstudium gewidmet, hatte J.Burckhardt (Herbst 1839)
die Universität Berlin bezogen, um hier (bis Ostern 1841)
vor allem bei Leop. Ranke und dem Kuosthistoriker Franz.
Kugler weiter zu lernen ; was ihm diese beiden schon damals
gaben und wurden, hat H. Trogs biographische Skizze kurz
und gut dargestellt (S. 17 — 21). War so Burckhardts früh-
reifer Kunstverstand -rasch und mächtig weiterentwickelt
worden, so schenkte ihm nun freundliche Fügung auch noch
die starke poetische und musikalische Anregung, nach der
sein Inneres doch auch — mindestens uubewusst — sich
kräftig sehnte: ein Sommerhalbjahr in Bonn, die nieder-
rheinische Luft erst weckte uod nährte reichere und tiefere
Kräfte in seiner Seele. Welcher Anlass ihn dem anregendsten
und beliebtesten der jüngeren dortigen Dozenten, dem drei
Jahre älteren Theologen Gottfried Kinkel, zuführte, steht
nicht fest; vernmtlich waren es parallele Studiengänge auf
dem Gebiete altchristlicher Kunst. Genug, bald war Burck-
hardt wie so mancher andere im Banne dieser frisch-
sprudelnden, begnadeten Dichternatur und sah sich endlich
sogar in den engeren Kreis der auserwählten Günstlinge
aufgenommen, den sogenannten Maikäferbund. Dieser, seit
Mitte 1840 um Kinkel und seine Freundin Johanna Mockel-
Matliieux geschart, fand sich wöchentlich im Hause Mockel
zusammen; als ^ Direktrix •* präsidierte Johanna, als Minister
assistierte Kinkel: unter seiner Redaktion „erschien" die
Wochennuramer des Bundesblattes „Der Maikäfer, eine Zeit-
schrift für Nicht-Philister". Wie hier schwärmende Fröh-
lichkeit und die Gunst der heitern Stunde einen Karneval
von Geietesfreuden zeitigte, vom leichtgewogenen Witz bis
zu edelster Poetengabe, ist dem empfänglichen Schweizer
1
2 Rudolf Meyer- Kraemer.
neu, entzückend und fruchtbar gewesen. Den festUclien Höhe-
punkt bildete der jährliche Stiftungstag (29. .Juni) mit
seinem Wettbewerb dichterischer Werke, dem „Konkurs*^;
über seine Feier hören wir eine Schilderung Johannas, aus
späterer Zeit der Erinnerung gewidmet: ^Im Schlosse
Clemensruhe bei Bonn, wo wir während unserer ersten Ehe-
jahre wohnten (1843 — 45), wurden diesem Feste zu Ehren
zwei Zimmer reich mit Blumen geschmückt, deren eines
die freie Aussicht über den Schlossgarten nach dem fernen
Siebengebirge gewährte. Der ätherblaue Hintergrund hob
sich reizvoll gegen die dunkelgrünen Laubgewinde ab, die
in Form eines gotischen Bogens die Türöffnung bekleideten.
Im Halbkreis sassen Männer und Frauen, die sinnenden
Häupter mit Kränzen von Epheu und Rosen geschmückt,
und bildeten das Gericht über die jüngsten Werke des
heitern Bundes, die hier zum erstenmal- zum Vortrag kommen
soUteD. Dies Fest war von einem wahrhaft griechischen
Hauche verklärt . . . Hier sass Carl Simrock, der Mann,
der mit nie ermüdender Kraft den Hort uralter Schätze
deutschen Heldensanges noch einmal aus den Fluten deutscher
Vergangenheit förderte. Vor seinem ernsten Auge, vor den
schweigsamen Lippen zitterte jeder junge Dichter. Und
spät abends, wenn der Wettstreit beendet war, wie ver-
wandelten sich die strengen Züge unter dem Kranz dunkel-
rot«r Rosen, wenn der Becher kreiste und die Scherze
sprühten! So muss Anakreon um sich geschaut haben, alles
zur wonnigsten Heiterkeit mit sich fortreissend. — Hier
entztlckte uns Emanuel Geibel durch sein wundervolles
Talent des Improvisierons, das an Glanz der Bilder, an
Schönheit der Verse kaum seinen gefeilteren Liedern etwas
nachgab. — Wie ein Meteor schritt in düsterer Glut W.
Ernst Ackermann •) mit seinem lavasprühendon Geist durch
linsre Reih<)n. Zu schreckenlos, um ein Gebild reiner Schön-
heit zu schaffen, zu krankhaft empfindlich, um das Un-
gebenra au erreichen, nach dem sein Wesen hindrängt«,
^ Kteiffilwrgtr, 1811—46, denMit „Foetiicber NacblM«" 1848 erkchieu;*
4mi obigflB Bild« «oUprkbl guux die .Schilderung, die Burcicbardi »elbit von
Ob« ab dsMi HO«oii*«M anliMlicb Mioe« Tode« gibt, ebenio W. Beytcblag:
■. darlbtr raleo to Brief 37 (aue Venedig, vom 15. Aaguit 1S46).
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i
tobte er gleichsam dem geistigen Selbstmord entgegen.
Bei dem letzten Stiftungsfeste, das wir feierten (1847), stand
schon auf der Stätte, wo er vor einem Jahr noch in wildester
Jiigendentzückung geschwärmt, ein unberührter Pokal, seinen
Manen geweiht. — Neben ihm kontrastierte der kluge, das
Mass nie vergessende Willibald Beyschlag'), dessen reizende
Märchen wie ein Strauss blauer Glockenblumen mit Perlen
frischen Morgentaus uns anlächelten, dennoch überwiegend
eine kritische Natur. Auch Alexander Kaufmann^) gehörte
unserm Hunde an, er, dessen reiche Phantasie Lieder wie
ein Blütenregen im Lenz ergoss . . .'* Den hier erwähnten
bekannten Namen seien noch zwei von gutem Klange an-
gefügt: Karl Arnold Schlönbach^) und Karl Fresenius; dazu
kommen, als in den nachfolgenden Briefen des öfteren
erwähnt, die Mitarbeiter: A. Wolters (Theologe), Albr. Jul.
Schöler, Wilh. Seibt, W. Junkmann und der jugendliche
Andreas Simons*), der, obschon noch Gymnasiast, als lang-
jähriger Pflegesohn der Mockelschen Familie dennoch der
Aufnahme für würdig befunden war. Als Ehrenmitglieder
endlich galten Nikolaus Becker, der Dichter des Bheinlieds,
und Woltgang Müller von Königswinter. In solcher Gesell-
schaft war es, wo Burckhardt jene erste Wiederkehr des
Gründungsdatums miterlebte, jenen 29. Juni 1841 und seine
Konkurrenz über den hessischen Landgrafen Otto und seine
klevischen Schicksale, aus der Kinkel mit seinem meister-
lichen Epos „Otto der Schütz" als umjubelter Sieger hervorging
') Ueber ihn — den später so namhaften Hallenser Theologieprofessor,
Führer der sog. „Mittelpartei" (1823 — 1900), der u.a. auch „Erinnerungen an
Albrecht Wolters" hat erscheinen lassen (Halle 1880) — und sein auch für
nnsere Zwecke wertvolles Buch „Aus meinem Leben" (Halle 1896) ist schon
von Trog (S. 21 und bes. 38 — 42) gesprochen worden. Hier wird weiter
nnten, in und zu Brief 12, von ihm (als „Balder") eingehend die Rede sein.
*) Der Bonner Lyriker (1817—93), Gatte Mathildens.
■) Der westrälitche Lyriker und Epiker (1807—66).
*) Ihm widmete Burckhardt besondere, in diesen Briefen oft bezeugte
gleichsam brüderliche Teilnahme. Aus einem von Simons au mich gerichteten
Schreiben entnehme ich, dass er später, als praktischer Architekt, in Berlin
die Michaelskirche, in Braunschweig die Bank gebaut hat, seit 1861 (als Prof.
der Baukunst am Städelschen Institut) zu Frankfurt a/M., seit 1869 au der
Techn. Hochschule zu Darmstadt bis 1895 wirkte. Dort hat er sein Lebea
beschlossen.
A Rudolf Meyei-Kraemer.
Mit schwerem Herzen trennte sich der neugewonnene
Genosse zu Michaelis 1841, um noch einige Studiensemester
in Berlin zu verbringen. Eifrig hatte er zu dem Jahrgang
des ^Maikäfer'' sein Scherflein — 16 Nummern Lyrik —
beigesteuert; er blieb korrespondierendes Mitglied.') Wie
hell und voll aber alles Genossene in seinem dankbaren
Herzen wiederklang, das eben zeigen uns seine Briefe.
Ihre stattliche Reihe bietet als erste Gruppe deren zehn,
die Berliner Zeit umfassend (Dezember 1841 bis März 43).
Vorausbemerkt seien zum ungestörten Verständnis
folgende Einzelheiten: Eingeklammert sind solche Worte,
die sinngemäss ergänzt werden mussten, nicht etwa wegen
Unleserlichkeit — denn all diese raschen Ergüsse sind
äusserst deutlich und zierlich geschrieben und säuberlich
mit der wohlbekannten kleinen Cäsargemme petschiert — ,
sondern wegen äusserer Beschädigungen. — An literarischen
Erstlingsarbeiten, die dieser (zweiten) Berliner Zeit entweder
schon Vorauslagen oder aber in ihr den Abschluss fanden,
nennt Trog (S. 11 ff.) „Bemerkungen über schweizerische
Kathedralen'^, „Ueber die vorgothischen Kirchen am Nieder-
rhein^, „Beschreibung der Münsterkirche ... in Basel";
über Schickfiale seiner Schrift „Conrad von Hochstaden,
Erzbischof von Köln und Gründer des Kölner Doms" (S.25ff.)
unterrichten uns schrittweise eben die Briefe. Eine Frucht
der ersten grösseren Stadienreise ausserhalb Deutschlands,
nach Belgien im Herbst 1841, bildete sein bald darauf er-
schienenes Büchlein „Die Kunstwerke der belgischen Städte"
(Trog, S. 29 ff.) — Drei damalige Freunde, Focke, Wurm
und Torstrick, auch weiterhin nocli von Burckhardt er-
wähnt, sind für mich leider blosse Namen geblieben. —
Bei Bettina v. Arnim, der Ewigjungen, hatte Johanna als
hochgeBchfttste Pianistin und Lehrerin während ihres Ber-
liner AnfenthalU verkehrt. — Ludwig Köiiler (1819—62)
hatte ein Epos „Ahasver" soeben 1841 in .leiia erscheinen
laaten.
*) E» wird «rUnlH und doch wohl nicht tiuerwüokcht »ein, w«nn am
Scblnue ao»rer VeröfTenllirhung, aU Korollar, in kiirxer lJel>eniicht ver*
MicbiMt wird, wa« alle« in den M-K-JabrKüogen (1841—44: die foliscnilcit
entballCD nicht« mthr iron Burckhardt) aU Min KiienKnt auftufMKlen wni.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^
1. Berlin, 30. Dez. 1841.
Lieber Freund!
So würde ich Sie nennen auch ohne Ihre Erlaubnis, denn
Sie haben das beste Stück meines Lebens erhöht und ver-
schönt und das werde ich Ihnen nie vergessen. Ich staune
und frage mich: "Wie in aller Welt ist es denn Dir leicht-
sinnigen unbeständigen Menschenkinde zu Theil geworden
an jenem lichten, duftigen Leben Dich zu erfrischen, die
Güte einer hohen, mir unvergosslichen Frau und die Freund-
schaft dreier') jugendlicher Gemüther zu geniessen, mit
welchen ich kein ordinäres Wort gewechselt — ein Glück,
das mir zum ersten Mal, vielleicht auch zum letzten Male
zu Theil wurde.
Ich weisst jetzt Alles, wie es gekommen ist, diess und
anderes Glück; ich erkenne die Mutterarme unseres grossen,
gemeinsamen deutschen Vaterlandes, das ich Anfangs ver-
spottete und zurückstiess, wie fast alle meine schweizerischen
Landsleute zu thun pflegen. Deutschland lässt sie auch
meist wieder laufen, ohne ihnen von seiner Eigenthümlich-
keit und seiner Erhabenheit etwas initgetheilt zu haben; auf
mich hat es seine Güter ausgeschüttet und mich an sein
warmes Mutterherz gezogen. Und daran will ich mein Leben
setzen, den Schweizern zu zeigen, dass sie Deutsche sind.
Bei Gott, es ist nicht dieser und nicht jener Genuss,
der mich an Deutschland fesselt, nicht diese und jene schöne
Gegend, nein es ist die frohlockende Gewissheit, dass auch
ich zu dem Stajnme gehöre, in dessen Hände die Vorsehung
die goldenste, reichste Zukunft, das Geschick und die Cultur
einer Welt gelegt hat. Vor diesem Gedanken schwindet
mir alles, auch meine arme Poesie, die diesen göttlichen
Weltgeheimnissen folgen möchte, wenn sie nur könnte.
Hinter einem Schleier von Waldesgrün und rosigen AVölkchen
sitzt das ewig jugendliche, göttlich schöne Weib Germania
und (harrt) der kommenden Geschlechter; sie singt alte
und (neue, gewaltige) Lieder, Und was von ihren Tönen
und von (dem Sausen ihres) diamantnen Webstuhls zu uns
herüberdringt, das (möchte man wohl) in die Geschichte
hinein verarbeiten, aber die (Sprache ist noch) nicht dafür
') Andreas Simons ist miteingeschlossen.
5 Rudolf Meyer- Kraemer.
erfunden, — Doch ist die deutsche (Geschichte ein) grosses
Ding, kann sie gleich vor der Hand nur (gestammelt werden).
Nur wer selbst daran gestümpert hat, erhält einen
Begriff von dem grossen und himmlischen Volksgeist, der
durch gute und schlechte Jahrhunderte, durch blühende
Grärten und durch wilde Einöden wandelt, jugendlich, un-
vertilgbar, eine Ewigkeit und die Gewähr einer Zukunft im
Busen. Es ist selbst mir ein herrliches, wenn auch ge-
heimnisvolles Schauspiel gewesen, als ich bei meiner, jetzt
beinah vollendeten Arbeit über den Erzbischof Conrad inne
wurde, wie die Geschichte Deutschlands so schön und
deutlich in die Gegenwart mündet.
Freilich das sind lauter Dinge, die Sie selbst schon
schöner und klarer empfunden haben. Ich spreche auch
nicht davon als von etwas neuem, sondern als von etwas,
das Sie in mir haben hervorrufen helfen. Ihnen verdanke
ich es, dass es mir als ein Majestätsverbrechen erscheint
an Deutschland zu verzweifeln, wie es jetzt hie und da
Mode ist. Wie gerne möchte ich meine Poesie auf diese
Bahnen leiten aber ich bin zu zerstreut und zu sehr im
Sammeln begriffen, als dass ich ans Spenden denken könnte.
£^ werden schon noch die Zeiten kommen, wo mir diese
reichen Jahre in Deutschland als Mittelpunkt meiner Sehn-
sucht, als Capitol aller schönen Erinnerungen vorkommen
werden; dann will ich es Allen sagen, was diese herrliche
Zeit mir geworden ist.
Und so habe ich auch jetzt au eine poetische Bear-
beitung der Albertussagen') nicht denken können. Wenn
ich sein Bild mir vor die Seele rief, so schloss sich alles
Schöne und Grosse au, was mir Köllri geboten hat; von da
irrte ich dann weiter Uheinaufwärta, Hheinabwärts, über
Bingen und S. Qoar und RUdinghoven und Bonn und die
•tiilen Buchten, bii ich in Berlin wieder erwachte, mit
dem ganz bectimtnten Gefühl, dasi ich vor d(M- liand kein
Rheintänger werden kann, weil ich ein (Werk lei)ston müsste,
weK'hoN Allel enthielte, Albertus ([joroley? und) Hatto,
Hcbieferfelsen und SoDnenuDtergaug, den (....) und den
Gottenberg. Ich komme mir vor wie ein (Mensch von)
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) KinkeL -j
geizigem Geuiüthe, welcher eine grosse Summe Geldes
ibesitzt) und dieselbe, weil es eine lunde Zahl ist, nicht
(stückweise) vertrödeln, sondern nur im ganzen ausgeben
(möchte und der) drüberhin alt und grau werden kann, ehe
ihm eine Gelegenheit zusagt. Ein Liedchen habe ich hier
beigelegt welches sich Andreas von diesem Briefe ab-
schneiden darf,') damit der gute Junge wenigstens ein
geringes Andenken von mir hat; ich möchte ihm gerne
mehr und besseres schicken.
Wenn ich noch recht lange hier bleiben könnte, so
würde ich hoffen, ein Ganzes zu schaffen — in welcher
Form, weiss Gott. Berlin wirkt poetisch durch den Gegen-
satz. Aber leider muss ich vielleicht schon Ostern nach
der Schweiz, jedenfalls Michaelis. Ich reise dann noch
einmal über Bonn.
Focke hat gestern das Doktorexamen glücklich über-
standen und wird Mitte Januar promovieren. Er lässt sich
Ihnen und Frau Directrix bestens empfehlen. — Ich meines-
theils grüsse den ganzen Maikäfer jeden Tag im Geiste;
über meinem Lager hängen noch zwei Epheukränze; den
einen haben Sie, den andern Fresenius gewunden. — Fresen
hat mir geschrieben, aber nur ein kleines Zettelchen, in
zwei voluminöse Briefe von Wurm und Torstrick eingehüllt,
welche halb Italien durchstrichen haben. — Frau Bettina
ist noch nicht von München angekommen, wird aber er-
wartet; sobald ich dort gewesen bin, will ich unsrer verehrten
Frau Directrix Rechenschaft darüber abstatten.
Verzeihen Sie diesen zerstreuten, zwischen Besuchen
und Arbeiten niedergeschriebenen Brief, der nichts neues
für Sie enthält. Ich hätte eine Zeit ruhiger Sammlung ab-
warten sollen, aber so ist das Menschenkind. Hätte ich
Ihnen etwas Rechts zu senden, so würde auch der Brief
freier und zuversichtlicher ausgefallen sein.
Es ist Neujahrs woche; ich bin bei den Burschenschaftern
in Leipzig gewesen den Montag über, und jetzt gibt es
lauter fröhliche Abende hier. Ein Jenensor Poet Ludwig
Köhler, Verfasser eines neuen Ahasver, kneipt mit uns und
heisst vulgo Mohren könig. Was in der Zukunft aus mir
') Dementsprechend fehlt es.
8 R u d o 1 f M e y e r - K r ;i c ni e r.
werden soll, weiss ich nicht, aber die Gegenwart ist schön,
und das verflossene Jahr war schön von Anfang bis zu
Ende. Ich fasse Zutrauen zum Schicksal; möge es auch
Ihnen günstig und freundlich sein. Unter welchen Auspizien
werden wir uns wohl wiedersehen?
Bis daliin ein feuriges Lebewohl an Sie, lieber Freund,
und meine unausgesetzte Huldigung an Frau Directrix.
Andreas soll doch auch etwas von sich hören lassen; ich
weiss, er hat mich gern. Ihr getreuer
Burckhardt (ü. d, Linden 72 im zweiten Hof).
Burckliardts selbstgewisse, zielsichere Art sieht schon
jetzt ziemlich klar das Bild ,.des, was er werden soll^. Noch
arbeitete er unter Rankes Auspizien, wurde aber doch schon
ein Eigener; an Kugler schloss er sich immer inniger an.
Bei .Jakob Grimm hörte er über Tacitus' Germania, bei
Stahl über Staatsrecht. — Die Brüder Schauenburg (Eduard
später Gymnasialdirektor in Crefeld, Hermann Mediziner)
sind uns jetzt durch den neuerdings veröffentlichten Brief-
wechsel Burckhardts sowie eine Abhandlung von Heinr.
Meisner lebendig nahegerückt (Heft 339 der Yircbowschen
Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge,
1900, Hamburg); Jos. Joest-en „Literar. lieben am Rhein **
(Leipzig 1899) liabe ich nicht einsehen können.
^' Berlin, 21. Mart 42.
Dem Urmaikäfer.
Lieber Freund!
Seit gestern meldet sich von ferne etwas, das wie
Frühling aussieht, und so fasse ich denn auch Courage,
Ihnen endlich zu antworten. Freilich, orsählen kann ich
nichtH, denn in Berlin passiert bekanntlich nichts. Ks giebt
kein elenderes (ileschäft unter der Sonne, als von hier aus
Oorrospondeuzartikel zu schreiben. — Vor allem, ehe ich
6t vergesse, tnass ich meine Abreis«« von hier melden; die-
lelbe wird oirca 10. Jnny 1848 stattfinden, ho dass es leicht
möglich wäre, den 29. Juny bei Ihnen zuzubringen. Ich
werde mit einem achttägigen Aufenthalt in Dresden beginnen
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. g
Ein guide von mir (über die Kunstwerke Belgiens)
macht jetzt seine Wanderung bei den Buchhändlern und
wird wahrscheinlich bald ungedruckt und unverlegt zurück-
kommen. Welch ein Stoff zu einem Weltschmerzgedicht,
Ihr Otto Schütz und mein guide, vielleicht neben einander
auf demselben Bureau liegend! — Um meinen guide freilich
ist es nicht Schade, aber um den Schüm wäre es Schade,
das ist der Unterschied. — Meinen Hochstaden will ich gar
nicht durch Herumscliicken comproraittieren, obschon (ich
beim) Schreiben immer das Publikum und nicht den kleinen
Ranke vor Augen gehabt habe; Er ist nichtsdestoweniger
doch recht zufrieden gewesen und meinte, ich solle das
Ding drucken lassen, aber er lachte dabei recht höhnisch,
so dass ich doch irre wurde. Von poeticis habe ich wenig
zu melden. Ich bin in der letzten Zeit dazu recht gut auf-
gelegt gewesen, aber die Zerstreuungen und Studien haben
es zu nichts kommen lassen. Eine muthwillige Erzählung
„von drei armen Teufeln'^, die in Rüdesheim spielt und
circa zwei Druckbogen füllen würde, habe ich für meinen
Freund Ed. Schauenburg geschrieben; ich kann sie aber
niemand als meinen engsten Bekannten vorlesen, weil sie
gar zu mutwillig ist. Vielleicht bringe ich Ihnen das Concept
nach Bonn mit. —
Sodann laborierte ich vor einiger Zeit an einer Tragödie:
Johann Parricida, die ich auch zum Concurs einzuschicken
gedachte, — denn ich verkaufe immer schon die Haut, ehe
der Bär geschossen ist. Diessoial soll der Bär (oder respective
der Bock) ungeschossen bleiben; ich habe meinen Plan
wegen allzugrosser Mängel liegen lassen.
Ein Operntext, von dem ich Ihnen, meine ich, schon
schrieb, rückt langsam vorwärts und scheint mir a priori
verpfuscht. Es ist die Sage vom Schwanen ritt er. ^) Sonst
sind noch ein paar kleine Liederchen entstanden, weil alte
Liebe nicht rostet, und eine Ballade, die ich dem Sefren-)
zugeschickt habe. Dieselbe handelt in Kürze von zween
') Vier Jahre später entstand R. W.igners Lohengriii.
*) Fresenius. Die harmlose Freude an solchen quasi Schüttelreimscherzen
teilt Burckbardt (oder Kinkel.') mit Mozart.
lO Rudolf Meyer-Kraemer.
Handwerksbursclien und gehört in die moderne Zeit. —
Was ich Ihnen für den Concurs schicken werde, das weiß
ich nicht, aber Sie sollen diessmal etwas von mir erhalten,
ich verspreche es, um es halten zu müssen. Freilich, episches
gelingt mir schwer, und Sie haben den Nagel auf den Kopf
getroffen (mit Ihrer) „Begeisterung aus bestimmtem localem
Object hervorgehend". Meine Figuren sind wesentlich Staf-
fage, und wenn sie auch nicht wie solche aussehen, so sind
sie doch als solche empfunden. Mit meiner geschichtlichen
Forschung steht es gerade ebenso, der Hintergrund ist mir
die Hauptsache, und ihn bietet die Culturgeschichte, der
ich auch hauptsächlich meine Kräfte widmen will. Selbst
in meiner stümperhaften Zeichnerei geht mirs ganz ähnlich;
ich sudle Ansichten und Landschaften, selten Figuren. Das
sind Einseitigkeiten, aus welchen herauszukommen nicht
bei mir steht, —
Ueber meine Pläne von wegen der Zukunft will ich
Sie einmal mündlich unterhalten; ein Jahr in Italien und
einige Monate in Paris nehmen nicht die letzte Stelle ein.
In Basel will ich Stunden geben, aber mich durchaus nicht
an die Pennalia fesseln. Wer ein Hauptlehrer sein will,
der soll nur sein geistiges Leben verloren geben. Man hat
dann 8(X) Thaler und von früh bis spät zu thun und einen
wahren Höllenlebtag. Ich bin seiner Zeit auch ein böser
Jaoge gewesen und will nicht eine schauerliche Nemesis
besehen.') —
Eine ganze Reihe von historischen Unt(M'nehmuDgen
beschäftigen mein Qemüt; sie würden genügen, ein Leben
von achtzig Jahren zu füllen, und so alt werde ich hoffentlich
nicht. Ein Gelübde habe ich mir gethan: mein Lebeniang
«inen lunbaron Styl schreiben za wollen und überhaupt
mehr auf das iDtercssante, als auf trockene faktische Voll-
ttAndigkeit auszugehen. Es ist der Schande werth, dass
die Werke dor meisten detitschen Historiker nur von Ge-
lehrten geieson werden, und deshalb fand liauke augenblicklich
•in heiMshungrigoH, grosses Publikum, sowie er auftrat.
') Demxegeiiiiber vcrgUicbe die Khöne Palinodie dei älteren M:itiiie»
bei TrOK. S. laj.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i j
Die Franzosen sind darin längst viel klüger gewesen, und
bei ihnen hat auch Ranke gelernt, er mag es nur nicht
Wort haben.') Man spricht immer von einer Kunst der
Geschichtschreibung, und manche glauben genug getban
zu haben, wenn sie an die Stelle der Schlosser'schen Labyrinth-
perioden eine spröde Nebeneinanderstellung der facta setzen.
Nein, ihr guten Leute, es handelt sich jetzt um Sichtung
der facta, um Ausscheidung dessen, was den Menschen
interessieren kann; thut ihr darin was großes, so wird euch
auch der Büchermensch danken müssen. — — Ich bin mit
meinem Studium in die günstigste Zeit gefallen; auch das
Publikum wendet sich wieder mehr als je der Geschichte
zu und würde sich ihr nie abgewandt haben, wenn nicht
unsere Holzböcke von Historikern an ihrem eigenen Ziel
irre geworden wären, und zwar die grössten am meisten.
Wenn dieser Brief Sie, liebster Freund, schlecht ergötzt,
80 sind daran zum Theil die bösen Zeiten Schuld. ' Hätte
ich damit bis Mitte April warten können, so würde eine sehr
viel fröhlichere Epistel erfolgt sein, denn da kommt ein
Freund von mir aus der Leipziger Burschenschaft hieher,
der keine solche gichtbrüchige Laune um sich her auf-
kommen lässt. Wenn ich nach Bonn gehe, so will ich
Ihnen ein paar von seinen Sonetten mitbringen, die sollen
Ihnen einleuchten. —
Am meisten ärgert mich's, dass ich diesen Brief so
lange verschoben habe, um Fresenii willen. Wie gerne
hätte ich dem lieben Jungen ein paar Zeilen mit beigelegt,
als Antwort auf einen schönen, herrlichen Brief, den er
mir vor einigen Wochen schrieb. Sagen Sie ihm, dass er
mich damit glücklich gemacht hat und dass ich ihn wenn
irgend möglich noch sehen will, ehe ich Deutschland verlasse.
Morgen sind es zehn Jahre seit Göthe starb, da geh
ich zu Bettina. —
Andream grüsse ich herzlich von ferne; er soll nicht
glauben, dass ich ihn minder lieb habe, weil ich ihm diessmal
nicht schreibe. Ich werde ihn in meinem nächsten Brief
auf Gerathewohl stud. phil. betiteln. —
') Vgl. Trog. S. l8, 26.
12 Rudolf Meyer- Kraemer.
Und nun leben Sie wohl! ich weiss es allzugut, dass
ich nirgends mehr einen Mitstrebenden finden werde wie
Sie, als dass ich hier noch Worte machen könnte. Es grüsst
Sie Ihr getreuer ^ , , -
° Burckhardt
Meine Adresse noch immer: Unt. d. Linden 72.
*
* *
Dramatische, politische, philosophische Bekenntnisse
spiegeln nun das gleichzeitige Berlin etwas deutlicher:
Gutzkows letzte Stücke, wie „Savage", „Werner'^, „Die Schule
der Reichen", „Ein weisses Blatf^, behandelten gesellschaft-
liche Probleme. Schelling, seit einem Jahre auf Hegels
Katheder berufen, hielt — es war sein Schwanengesang
— Vorträge über seine „Philosophie der Mythologie und
Offenbarung'^. Des Königs Eigenart, die durch die R^de
bei seiner Thronbesteigung viele beste Geister zu kühnen
Hoffnungen borausc ht hatte, war inzwischen deutlicher
erkannt worden; Kinkels Frage nach Burckhardts politischem
Credo ent^^pringt sichtlich dem Gefühl des Unbehagens,
das schon damals den Dichter gährend erfasst hatte. In
Burckhardts Antwort ist namentlich der Schluss bezeichnend:
gegenüber ungestümeren Drängern wahrt er sich die ruhige
Würde und den heiligen Frieden, gleichsam als nur ein
Feldprediger der Freiheit; eines seiner (iredichte, ein «Jahr
später iu Paris entstanden, spricht die gleiche Ueberzeugung
in glücklich gewählter Form aus. Noch konnte Burckhardt
Dicht ahnen, dass die grundverschiedene Auffassung poli-
tischer Dinge und Pflichten ihn 5—6 .lahro später in
wachsendem Missverstohon von Kinkel entfernen würde. —
Ein Vor«puken dos Plans oder doch der Neigung zu einem
späteren Konstuntinswerk (verwirklicht 1853} werden Kenner
in Burckhardts Wunsche finden, Kinkels „Gesobichto des
HoidentuiiKS- kennen zu lernen, flegonnen war diese „Ge-
schiebt«) doM Heidentums in politischer, religiöser und sittlicher
Hinsicht während der drei ersten Jahrhunderte der christlichen
Zeitrechnung" schon seit 1888; mit ihr war Kinkel von der
flogmatischon mehr und mehr zur hi«torisrlien Behandlung
der Theologie in seinen Kollegien i\borgegung<>n, der bald
auch eine kunsthistorlsclio an die Seite treten sollte.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (iiud Johanua) Kinkel. i^
3. An Doctor Kinkel.
Berlin, 13. Juny 1842.
Lieber Freund!
Dass und wie ich hier Gouverneur eines jungen Grafen')
bin, steht in meinem Briefe an die verehrte Frau Directrix.
Mitfolgend mein Erzbischof Conrad und ein sehr miss-
lungenes, hastig abgefasstes Concurrenzstück: Sanct-Goar,
welches mir die grosse Lehre beigebracht hat, dass man
nicht zu früh sein Wort geben soll, etwas poetisches zu
bestimmter Zeit liefern zu wollen. Legen Sie es so bald
als möglich ad acta. Hätte ich etwas besseres, so würden
Sie gewiss diess S. Goar nicht erhalten,'')
Auch den Erzbischof ('einstweilen können Sie ihn '/»
Jahr behalten) werden Sie für Ihren Zweck schwach ge-
arbeitet finden. In die Kirchengeschichte greift er fast gar
nicht ein, und ich will Hans heissen, wenn ihn das Dogma
auch nur einmal in seinem Leben wirklich berührt hat.
Die Provincialsynode, die er 1260 abhielt, war blosse
Redensart. Ich möchte Ihnen das Ding gleichwohl gern
zum Präsent machen, wenn nur das Abschreiben keine so
tödtliche Arbeit wäre. Was Sie davon gebrauchen können,
wird bald excerpiert sein. In den Noten sind die Quellen
gewissenhaft angegeben. — Vom Druckenlassen ist nicht
die Rede. Dagegen wird wohl bald mein Belgien erscheinen,
welches schon angekündigt und schon völlig gedruckt ist.
Ihre Predigten^) habe ich schon längst bestellt, aber
noch immer nicht erhalten.
Diesen Augenblick komme ich vom Buchladen und
trage Ihre Predigten mit mir. Endlich!
Wie beneide ich Sie um Ihre dramatischen Inspirationen!
Dazu bin ich ein für allemal nichts nutz. Selbst wenn ich
einen regelrechten Plan machen könnte, so würde sich
') Perponcher.
>) In dem Jahrgang des „Maikäfer" 1842 ist es denn auch nicht auf-
genonimeu; Kunde davon gibt nur Bey&cblag (Trog, S. 22): Darnach war es
ein Balladeuzyklus, worin die Loreley und altchristliche Missionare eine
Rolle spielten.
*) „lieber ausgewählte Gleichnisse und Bildreden Christi", damals soeben
erschienen.
M
Rudolf Mever-Kraemer.
mir, glaube ich, auch aus 1000 Situationen noch immer
nicht ein Charakter ergeben. Es ist ein Elend. — Zwar
flattert mir wohl bisweilen so etwas vor den Augen, aber
ich weiss es nicht zu fassen. —
Sie beneiden mich um die Anschauung der neuen
Tragödien und Sie haben Recht, Es ist ein Unglück für
das moderne Drama, dass Gutzkows Feinde ihm seine Er-
folge so ohne Noth verbittert haben und ihn mit Gewalt
in eine falsche Stellung hetzen. Er hat einen immensen
Fortschritt gemacht und seine Stücke sind alle wunderbar
ergreifend, weil sie alle aus seinem Herzen gekommen sind.
Dazu will ich stehen, weil ich sie gesehen habe. Der
scheussliche gebildete Janhagel von Berlin hat mit frommer
Miene darüber gesprochen, bloss weil Gutzkow, wie einst
Mirabeau, aus seiner Jugend ein Stück schlimmen Rufes
am Fusse nachschleppt, und weil es vornehm und cour-
mässig war, sich über Gutzkow zu indignieren. Es ist rein
anmöglich, sich von der Erbärmlichkeit der hiesigen öffent-
lichen Meinung und ihrer Lenker einen Begriff zu machen.
Der Fortschritt Gutzkows ist der: die ernste Behandlung
socialer Fragen der Poesie vindiziert zu haben. Es giebt
einen Punkt, wo er mit Immermanns Romanen zusammen-
trifft. — Warum hat man hier seinen Werner nicht besuchen
mögeo? Bloss weil das Geheimrathspublicum nach jahre-
langer Schamlosigkeit wieder einmal hätte roth werden
müssen Ich hört« eine Dame von Stande sagen: ^Das Stück
sei durch und durch indiskret.'* Ja wohl, Gott sei Lob
mid Dank!
Sie fragen mich aus über meine Ansichten der jetzigen
politischen Philosophie und Ethik. Ich denke mir darüber
n , . (NU. Dieuf'K habß ich telb.Ht
Folgendes: { . ,^
Fast sämtlichen europäischen Völkern ist das, was man
bistorischen Boden nennt, unter den Füssen weggezogen
worden, auch den PreuMen. Die völlige Negation, die zu
Eode dee vorigen Jahrhunderts in Staat, Kirohe, Kunst und
Leben eintrat, hat solch eine ungeheure Masse von objek-
tivem Bewusfteein in alle oinigerruassen regsamen Köpfe
bineingeworfen (bei den besseren: entwickelt), dasi an eine
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i^
Herstellung der alten Unmündigkeit gar nicht mehr zu
denken ist. Wie jetzt die Kunst ihre Naivetät verloren hat,
und die Style aller Zeiten objektiv vor sich nebeneinander
liegen sieht, so ist es auch im Staat; das eigenthümliche
Interesse an den Besonderheiten seines Staates hat bei dem
Einzelnen einem wählerischen, bewussten Idealismus Platz
machen müssen. Alle Restauration, so wohl gemeint und
so sehr sie der einzige scheinbare Ausweg war, kann das
Factum nicht auslöschen, dass das XIX. Jahrhundert mit
einer tabula rasa aller V^erhältnisse begonnen hat. Ich lobe
es nicht, ich tadle es nicht, es ist eben eine Thatsache, und
die Fürsten würden wohl thun, wenn sie sich es klar
machen wollten, worin ihre jetzige Stellung von ihrer
früheren sich unterscheidet Die furchtbar gesteigerte Be-
rechtigung des Individuums besteht darin: cogito (ob richtig
oder falsch, gilt gleich) ergo regno. — Ich erwarte noch
überaus schreckliche Crisen, aber die Menschheit wird sie
überstehen und Deutschland gelaugt vielleicht erst dann
zu seinem wahrhaften goldenen Zeitalter. — Was soll in-
zwischen der Einzelne thun? Ist er ein freier, tüchtiger
Kopf, so wird sich ihm der Strom des Geistes, der in der
Luft herrscht, zum philosophischen Postulat gestalten, und
dem soll er nachleben. Eines kann ihm keine Revoluzion
rauben: seine innere Wahrheit. Man wird immer offener,
immer ehrlicher werden müssen, und auf den Trümmern
der alten Staaten wird die Liebe vielleicht ein neues Reich
gründen. Was meine Wenigkeit betrifft, so werde ich nie
Wühler und Umwälzer sein wollen; eine Revolution hat
nur dann ein Recht, wenn sie unbewusst und unbeschworen
aus der Erde steigt. Aber dem Fortschritt des deutschen
Geistes werde ich mich ewig mit allen Kräften widmen
und thun, was mir Recht scheint
Grüssen Sie Wurm herzlich von mir. Wenn doch Ihre
Geschichte des Heidentums schon fertig wäre! — Von
meinen literar. und histor. Plänen ein andermal. — Ver-
lassen Sie mich nicht über die Zeit meiner Prüfung! Vale.
Es grüsst
Mit herzlicher Treue
Burckhardt.
l6 Rudolf Meyer- Kraemer.
(Nachzettel:) Verzeihen Sie dies kleine Sudelblättchen,
möge mir auch Frau Direktrix verzeihen; mein Postpapier
ist zu Ende. — Schelling ist, wie es heisst, so gut als ge-
scheitert mit seiner philosophia secunda. In den deutschen
Jahrbüchern finden Sie wohl das Umständlichste über seine
Lehre. — Ich habe ein paarmal hospitiert während der
dicksten dogmatischen Auseinandersetzungen, und mir die
Sache etwa so zurechtgelegt: Schelling ist Gnostiker im
eigentlichen Sinne des Wortes, so gut wie Basilides. Daher
das Unheimliche, Monströse, Gestaltlose in diesen Teilen
seiner Lehre. Ich dachte jeden Augenblick, es müsse irgend
ein Ungethüm von asiatischem Gott auf zwölf Beinen daher
gewatschelt kommen und sich mit 12 Armen 6 Hüte von
6 Köpfen nehmen. Es wird selbst den Berliner Studenten
nach und nach unmöglich werden, diese furchtbare, halbsinnl.
Anschauungs- und Ausdrucksweise auszuhalten. Es ist ent-
setzlich, eine lange geschichtliche Auseinandersetzung der
Schicksale des Messias anzuhören, welche episch gedehnt
und verwickelt und dennoch ohne alle Gestaltung ist. Wer
Schellings Christum noch lieben kann, der muss ein weites
Herz haben. — En attendant interessiert sich die hiesige
grosse Welt für Schelling vom orthodox-pietistisch-aristokrat.
Standpunkt aus, wie denn diess unglückliche Berlin immer-
fort Sympathien und Antipathien für diess und jenes mit-
macht, ohne zu wissen warum, auf das einem Minister ent-
fallene Wort hin. Einen so entsetzlichen Servilisnms der
That giebt es weder in Wien noch in München, das ist
meine Ansicht. — Vale.
ZuGeibel hatte Hurckliardt Beziehungen wohl nicht nur
im Kaikftferbundo gewonnen, sondern an(*h im Kugler'schen
H*afe zu Berlin erneuert, (ileibt^l hatte l)oreita seine
Griecbifcbe Lehrzeit und einen Band „Gedichte'^ (seit 1840)
bioter sieb. — Der Brief deutet auf allerlei Hübsches, was
ans dem Fallhom der Konkurrenz (vom Juni) über Burck-
bardt inzwischen ausgeschüttet war.
Briefe Jakob Bnrckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 17
4. Dem Urmau.')
Dresden, 19. Sept. 1842.
Auch an Sie, liebster Freund, diessmal nur wenige "Worte,
während Geibel, mit dem ich hier glückseliger Weise zu-
sammentraf, seine Abschiedsbesuche schneidet. Ich hatte
mit grosser Mühe bei der Gräfin sechs Tage zu einer Reise
nach Dresden losgeeiset, und dachte, in Dresden still für
mich zu leben, traf aber Geibel gleich auf der Strasse an,
und die Folge davon war, dass er zu mir zog und Morgen
mit mir nach Berlin geht.
Wie lange hatte ich mich darauf gefreut, Ihnen zu
schreiben I Wie lange auf einen guten Moment vigiliert!
Und jetzt ist es die höchste Zeit — und ich muss eben zer-
streut (sein) wie Harless und Neander!') —
Vor allem Dank für die Lieder, die mich wahrhaftig
in Desperation versetzt haben. Während ich in Berlin zu
Grande gehen möchte, ist in Bonn die gute Laune in allen
Gassen vorräthig. Aber wartet nur, ich komme auch wieder;
ihr sollt nicht Alles allein aufessen
Obenan stelle ich das Ghasel von Epikur, es ist so
rund und schön und warm. Auch das Ghasel von Andreas
gefällt mir ausserordentlich und ich habe es oft gelesen
und vorgelesen. Das „Fest" hat mir jene süssen Nächte auf
dem Kreuzberg') lebendig vor die Seele gerufen; ich armer
Teufel hätte dabei weinen mögen. Der Obscurenbrief hat
mich an die Abende*) in Poppeisdorf erinnert, (deren jetzige
Gestalt ich sehr zu erfahren wünsche). Beyschlags Lieder
haben eine zarte Vollendung, die auf jahrelange frühe Uebung
hindeutet; Ihr Sommer- und Winterlied, das auf sein Sommer-
lied folgt, überrascht so schön durch eine individuelle Ge-
waltsamkeit. Alles, A(lles), besonders die Gedichte der Frau
(Directrix) stellt mir die selige Bonnerzeit so sch(ön) und
klar vor all mein Sinnen und Denken, dass ich Tagelang
träumte und fabelte, ob es denn gar nicht möglich sein
') Abkürzender Kosename, statt „Urmaikäfer"; so noch oft, entsprechend
der Bezeichnung des Blattes selbst durch „Mau" oder „Maw".
') Die bekannten tbeol. Professoren in Erlangen und Berlin.
») Bei Bonn.
*) Des Maikäfer.
l8 Rudolf Meyer-Kraemer.
sollte, die reichen mächtigen Eindrücke in ein Lied zu
sammeln. — Es geht nicht. —
Ich empfing die Sendung in einer recht odiösen Zeit,
und bin durch dieselbe in meinem Trotz bestärkt worden.
Da die Gräfin noch immer nicht nachlässt, mich zu cujonieren,
so werde ich jedenfalls diesen Winter die Stelle aufgeben
und womöglich auf der Reise nach Paris einen Monat in
Bonn bleiben, etwa den Mai, der voriges Jahr so himmlisch
war. Ich darf nicht daran denken, Deutschland zu ver-
lassen, ohne vorher noch mit Ihnen gelebt zu haben. Meine
Gedanken sind alle Tage in Poppeisdorf, und wenn die
Furie, die mich jetzt quält, wüsste, wie sehr (von hier) all
mein Denken und Trachten rheinwärts (strebt), sie würde
staunen. Ich darf kaum daran denken, wie mir Berlin
Morgen Abend vorkommen wird. Dresden ist so herrlich
und reich, ich hätte es gar nicht gedächt. Aus allen Ecken
der Palläste und Gärten springen fabelhafte Novellenstoffe
hervor, and der starke August mit seinem Rococo ist ein
Thema, wo man eben nur (zuzugreifen) braucht. Auch
Napoleon mit seinem Gefolge von Königen im Jahr 1811')
spuckt (sie) an allen Enden.
Doch die Zeit drängt, vor sechs muss ich auf der Post
sein mit dem Paket; also Addio!
In herzlicher Sehnsucht und Harren Ihr
Burckhardt.
Nehmen Sie um Gotteswillen vor(lieb!) Ich hatte mich
auf Geibel verlassen, der etwas für Sie angefangen hat,
aber der ist in seinen Träumen zu nichts zu bringen.
Bitte frankieren Sie inliegenden Brief! —
Es galt nachgerade, die Förmlichkeit der Promotion
vorzuboreiten. Die Dissertation, inhaltlich längst fortig und
jetzt als blosse Pflichtarbeit schulgemftss behandelt, erhielt
den Titel: ^Qaaeitionos aliquot Caroli Martelli historiuni
illustraotes'', die aogohängt« Vita das Datum 18. JAArz 1843
(Trog, 8. 87).
') Stall iSia.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ig
5. Berlio, 25. November 1842.
Geliebter Freund!
Den gestrigen Tag hindurch bin ich vor lauter Auf-
regung über Ihre Briefe gar nicht zum Schreiben gekommen;
unablässig steht Ihr Bild vor meinen Augen; ich. möchte
für Sie mein Bestes wagen und die unverdiente Liebe ver-
dienen lernen. Mir ist zu Muth, als sollten wir nicht für
immer getrennt (bleiben), als sollte ich Ihnen dereinst etwas
bieten können. So lange ich in Bonn war, durfte ich Ihnen
nicht sagen, wie ich Sie liebte; jetzt trete ich Ihnen freier,
im Innern vollständiger, gegenüber und bringe mich Ihnen
dar, wie ich bin, liebend und liebebedürftig. Lassen Sie nicht
von mir! ich will es Ihnen zu lohnen suchen. —
Sie fordern mich auf, Ihrem Hochzeitsfeste') beizu-
wohnen als Brautführer. Ich kann es nicht versprechen.
Nächsten 1. November muss ich in Basel schon dozieren.
Gott weiss worüber! — Auch verlangen die Meinigen sehnlich
nach mir und deuten mir es schon übel, dass ich noch 2
Monate für Paris zulege. Die Hauptsache ist, dass meine
Schwester vielleicht um dieselbe Zeit ihre Hochzeit- feiert,
was auch meinen Pariser Plan vielleicht in der Art ver-
schieben würde, dass ich erst von Basel aus im Sommer
hinginge. Doch liegt das noch, im weiten Felde. Liesse
ich mein Heiz offen reden, so würde ich lieber Ihrer Ver-
mählung beiwohnen, denn meine Schwester und ihr Ver-
lobter sind in glücklichen Verhältnissen und haben der
Freunde genug; es wäre ein Ceremoniendienst, den auch ein
anderer leisten kann; aber bei Ihnen wäre es für mich ein
Liebesdienst, der erste, den ich Ihnen gewähren könnte. —
Nicht bei der Hochzeit möchte ich meiner Schwester dienen,
sondern nachher, wenn sie allein ist und sich nach dem
Bruder sehnt, um den sie so viel gelitten und gebetet hat,
der im Stande war, ihr Herz zu füllen, weil er sie verstand! —
Endlich weiss ich nicht, ob ich den Funktionen eines
Brautführers genügen kann. Ich tanze nicht! erwägen Sie es. —
Bis zum Stiftungsfest kann ich keinenfalls bleiben; ich
gedachte Mitte April anzukommen und Mitte Mai abzureisen.
Brüssel allein wird mich acht Tage aufhalten. —
') Auf Mai 1843 festgesetzt.
20 Rudolf Meyer-Kraemer.
Soweit die Sache von mir abhängt, sage ich zu; aber
ich kann für die Umstände nicht stehen. Auf diese Weise
könnte ich Mitte Juny in Paris sein, was noch immer früh
genng ist. —
Dass Sie meinen Erzbischof bei Habicht^) angebracht
haben, erfreut mich in tiefster Seele; ich nehme alle Ihre
Propositionen an und gebe Ihnen Vollmacht, nötigenfalls
davon herunterzulassen, wenn Habicht je störrisch werden
sollte. Inliegendes ostensible Billet enthält Ihre Vollmacht^
soweit der Buchhändler sie kennen darf. Wenn ich auch
keinen Heller besehen sollte, — ganz egal! wenn's nur
gedruckt wird. —
Sie werden staunend fragen: Woher diese Sinnes-
änderung?') Fürs Erste haben Sie mir Muth gemacht;
zweitens nehme ich das, was Sie hinter meinem Rücken
gethan, für einen Finger Gottes, drittens hatte zu meiner
Weigerung die Furcht, an allen Enden abzufahren, nicht
geringen Theil, viertens brauche ich es jetzt nicht für den
grünen Tisch') in Basel nochmals abzuschreiben oder gar zu
latinisieren und kann die Herren mit einem gednickten
Exemplar und einem schlechten Stück aus dem Karl Martell,
welches schon zum Theil latinisiert ist, abfinden; fünftens
werde ich Ihnen von heut in vierzehn Tagen die Exposition
der köllnischen Verfassung,^) umgearbeitet, doch nicht ver-
mehrt, zusenden und bitte Sie, mitfolgende Excerpte ge-
hörigen Ortes zu citieren, höchstens mit Anführung der
wichtigsten Worte, und nöthigenfalls auch den Text danach
za ändern; damit ich mich nicht feierlich beim ersten Debüt
blamiere. — Bitte, lesen Sie auch inliegenden Brief an
Habicht. Mein Haupt verlangen ist, dass der Druck nicht
über drei Monate währe, weil ich sehr gern noch von hier
aas in Basel doktorieren möchte. Ob die Noten alle, ob
sie unter dem Text, oder wie Frau Diroctrix wünscht, hinten
sollen abgedrackt werden — darüber verfügen Sie wie Sie
wollen. Wenn Sie bloss die Gitate beibehalten wollen, auch
*) K '■ Booncr Verleger.
•) •. Brief 3 Auf.
") d. h. die Promotion.
^ Aus Kap. V des „Coorad von Hocbstaden".
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 2 I
gut. — Es ist frech von mir, dass ich Sie, nach so vieler
Mühe für Unterbringung der Schrift, noch mit solchen
Dingen quäle, da ich doch weiss, wie Ihre Zeit besetzt ist.
Aber briefliche Abreden und Aenderungen zwischen mir
und dem Verleger würden den Druck sehr verzögern, und
wenn Sie es thun, will ich's Ihnen gedenken mein Lebenlang.
Alles Weitere werden die nächsten Briefe (über vierzehn
Tage) melden, denen wir ^) sonst allerlei beizulegen gedenken.
Bringen wir Liederspiele zu Stande, so folgt dann noch
eine Sendung ausserdem, Ende Decembers.
Auch die Novelle sollen Sie in Gottes Namen bekommen
und unter Ihrer Verantwortung vorlesen. Der Frau
Directrix möchte ich für Ihren (sie) herrlichen Brief fuss-
fällig danken. Ich küsse Andreas. — Jetzt ist ea gut leben
in Berlin, von allen Seiten strömt mir Ermuthigung zu;
ich bin produktiver als je. Lieber, lieber Freund, es um-
*™' '^'" Ihr Burckbardt.
Ueber 14 Tage weitere Nachricht aller Art.
Von Lothar*) das nächstemal. Er hat mich hingerissen.
Auch Kugler ist (entzückt davon).
6. Dem Urmau. Berlin, 7. Dec. 1842.
Geliebter Freund!
Hiermit eine Sendung Allerlei, welche ich Ihrem Schutze
anbefehle. Ob Ihnen alles zusagen wird, ist höchst zweifel-
haft; ich muss also eine kleine captatio benevolentiae voran-
schicken.
Die drei armen TeufeP) sind in einer nicht ganz
natürlichen Stimmung geschrieben, daher der etwas gehetzte
Humor; auch sind sie ganz speziell meinem Freunde Schauen-
burg bestimmt gewesen und nur eine Kneipbande von 3—4
Andren hat sie noch zu lesen bekommen. Daher der rüde,
theilweise gemeine Kneipton, der über dem Ganzen schwebt,
und den Sie, bitte bitte, im Vorlesen etwas mildern mögen.
') Toretrick und „Balder", die Bonner Freunde, studierleu gleichzeitig
in Berlin.
*) L. von Lotbariugien, Bonn 1842, fdnfaktiges Trauerspiel von Kinkel.
*) s. Brief 2.
22 ■ Rudolf Meyer-Kraemer.
Die Julia Alpinula^) ist binnen einer Woche ent-
worfen und ausgeführt und durch und durch ein ziemlich
schiefes Produkt ohne rechten Inhalt. Ich sende sie Ihnen,
weil ich — erschrecken Sie! — alles senden will, was ich
schaffe. — Das Ding umzuarbeiten, hätte der Mühe nicht
gelohnt —
Das umgearbeitete Stück aus dem Erzbischof bitte
ich an gehöriger Stelle einzufügen und dem Habicht die
riöthigen Anweisungen zu geben. Das beifolgende Zusatz-
blättchen mit seinen Verbesserungen wird Ihnen leider wieder
eine Stunde rauben, es soll aber gewiss das letzte sein, was
ich nachsende.
Die in den Maw's und den Mawbriefen enthaltenen
Kleinigkeiten sind auch hie und da ein wenig frech. Bitte,
reden Sie das Beste dazu!
Nun zu Plänen und Projekten und sonstigen Arbeiten.
— Mein Liederspiel wird wohl ziemlich schlecht ausfallen,
aber ich ^schreibe eins, damit die Concurrenz zahlreicher
werde. Bei Concurrenzen habe ich mein Lebenlang nichts
getaugt.
Eine lange Novelle geht schief, weil ich mich ohne
allen Plan ganz weit hineingeschrieben habe.
Ich will die Zeit bis Neujahr ganz mit poeticis ver-
dämmern und nur etwa 4 Stunden des Tages der Gelehr-
samkeit widmen. Sonst habe ich nach Neujahr keine Ruhe.
Das hat der scheussliche Sommer zu verantworten; ich muss
mich jetzt schadlos halten.
Ein AusstoUungsboricht') von ßO Pandektenseiten
ist Sonntags glücklich vollendet worden. Ich hätte mich
nie vermessen, so über die ganze neuere Kunst abzusprechen,
wenn mich nicht Kugler mit aller Gewalt gezwungen hätte,
ihm den Bericht abzunehmen, weil er sich mit Rocht davor
scheute, sicli die namhaftesten Künstler zu Feinden zu machen.
Ich als homme sans cons^quoucos, den kein Mensch kennt,
') Auch Hrief t; erwähnt. Der M.-K.Jahrt;nnK 1K43 (Des.) euthält
a ». ein« von Wollert geMichnete Tilelvi|;iictte, mit Beiachrin: „Dem Ml
JuHaa Grabe weinenden Burckbardt crurhcint Alpiuti« ul% Geist und muntert
ihn «af, sie xu betlegeo".
*) Rttentionen Ober die KunttauMlelliing von 184a.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Jobanna) Kinkel. 23
konnte getrost die "Wahrheit sagen. Hätte sich Kugler win-
den und drehen wollen, er hätte den Bericht auch schreiben
können, aber er ist einer der wahrheitsliebendsten Menschen,
die mir vorgekommen sind. Er hat meine Arbeit unbändig
gelobt, obschon ich sie von A bis Z mit bösem Gewissen
geschrieben hatte. — Uebrigens können auch meine Finanzen
ein Honorar von 33 Gulden per Bogen trefflich brauchen.
Das Kunstblatt macht sich darin sehr nobel.
Die Uebersetzung des französischen Prachtwerkes,
von welchem ich Ihnen schrieb, geht ruhig ihren nichts-
sagenden Gang fort. — Endlich brüte ich über einem Trauer-
spiel, das aber schon desshalb nichtswürdig ausfallen muss,
weil ich dergleichen nie recht überlege, sondern mit wüthen-
der Schnelligkeit ausarbeite und dann nachher nie verbessern
mag; das Produkt scheint dann der Mühe nicht zu lohnen.
Ueberhaupt treibe ich dergleichen nur zur Uebung in der
Darstellung. Zum Dramatiker bin ich nicht einmal ver-
dorben, sondern gar nie angelegt gewesen. Wenn ich Ihren
Lothar lese, so springe ich auf und denke, das muss fainos
sein, solche Sachen auch schreiben zu können — und mac^e
dann Pläne und Luftschlösser.
Ueberhaupt kenne ich kein so anregendes Stück wie
den Lothar. Ich glaube, Ihre hegelin gischen Freunde sind
in ihrem Urtheil über den Charakter der Hauptperson ein-
seitig und in Doktrinen befangen. Mir kommt die Sache
so vor:
Die bisherigen, von Lessing und Schiller abhängigen
Dramatiker sind Idealisten ; d. h. sie verlangen 1) strikte und
klare ethische Gegensätze, 2) dem gemäss auch eine mora-
lische Gerechtigkeit des Poeten. Die Tugend muss auch im
Untergehen noch geistig siegen, die Zuhörer müssen was man
nennt: befriedigt werden.
Ihr Lothar aber ist eins von den Stücken, welche einen
Uebergang bezeichnen von der ethisch idealen Richtung zur^
realen fatalistischen im echten historischen Sinne. Hier sind
die ethischen Conflikte Nebensache und bedingen mehr
Schmuck und Haltung des Stückes als den eigentlichen Kern.
Die Hauptsache aber sind historische, somit unlösbare
Conflikte streitender Weltmächte, wo sich's erst zeigen muss
2± Rudolf Meyer-Kraemer.
wer gewinnt, damit man wisse wer Recht hat. Ich halte
diese Art für eine höhere, poetisch reichere, Ihren Schritt
aber für einen Fortschritt. — Denn:
Es entsteht ein unendlicher, von Ihnen zuerst mit kecker
Hand (und doch vielleicht unbewusst?) ausgebeuteter Reiz
für den Zuschauer resp. Leser, dadurch dass die Gegensätze
der Weltmächte für die betreffenden Personen und Zeiten
in ethischer Hülle erscheinen, während der Zuschauer in
seinem modernen Bewusstsein sehr wohl weiss, dass dies
nicht ihre Natur, dass ihr Conflikt ein nur durch die Zeit
und ihre Entwickelungen lösbarer ist.
Damit erst ist die wahre Geschichte, die im Grossen
kein Gut and Böse, sondern nur ein So oder Anders
kennt, ins Drama ausgegossen. Damit erst eröffnet sich
eine volle, unendliche Quelle der Individualistik, die dem
bloss moralischen Dramatiker und seinen ethischen Gegen-
sätzen verschlossen bleibt.
Mein Satz, den ich hieraus ziehe, ist somit folgender:
Jeder durch seine Zeit berechtigte Charakter (wenn er
anders ein poetischer ist) ist dramatisch darstellbar, und
wir müssen zu seinen Gunsten unsem alten moral-dramati-
schen Masstab aufgeben.
Sie werden vielleicht vor diesen Consequenzen erschrecken
and mit gutem Gewissen betheuern können: es hätte Ihnen
ein Gegensatz von Gut und Böse vorgeschwebt. De facto
aber stirbt Ihr Lothar doch versöhnt, gegen die gewöhn-
liche poetische Gerechtigkeit und ich finde darin einen
grossen Fortschritt.
Ein Uebalstand würde erst dann eintreten, wenn ein
Dramatiker die Gesetze der ewigen Moral, die zu allen
Zeiten gilt, absichtlich übersehen wollte. Unsere bisherigen
Dramatikor haben aber den entgegengesetzten Mangel, sie
tragen auch das, was an der Moral bloss ihrer Zeit an-
gehört, auf ihren Gegenstand über und erheben es sogar
zain dramatischen Hauptmotiv. — Ich weiss wohl, mit alle-
dem habe ich doch den Nagel nodi nicht auf den Kopf
getroffen, vielleicht bin ich später einmal klüger.
Eintheiiung, Charakteristik und Auüführung sind mächtig
•cbOo. Das Stück ist hie und da noch herbe, weil Sie sich
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 25
aus übergro8ser dramatischer Keuschheit so sehr vor aller
SeDtimentalität gescheut haben. Besonders wunderbar ist
es, dass Sie bei dem höllentiefen Gehalt des Stücks so viele
brillante Bühneneffekte haben hineinbringen können. So
das prächtige Einschreiten Rodoalds im zweiten Akte bei
der Vermählung, der ganze dritte Akt, das Gebet des Papstes!
im vierten Akt die Entschleierung Thietbergens, vor Allem
die Trennung von Waldrade! und die herrlichen Schlussreden
Lothars. Im fünften Akte der Schwur Lothars hinter der
Szene und der ganze Schluss. —
Ich habe unlängst meine Exzerpte aus Hincmar, Annales
Fuldenses etc. vorgenommen und Sie von Neuem bewundern
müssen. Wie in aller "Welt haben Sie aus diesem schmutzi-
gen Stoff diess schöne Drama herausgebracht? —
Beyschlag wird mir jeden Tag lieber. Wie vieles hat er
von Ihnen angenommen, so dass ich Sie wieder darin er-
kenne! Auch Wolters ist ein lieber Junge. Wir leben wie
die Engel im Himmel. Die Dienstage werden in B.'s Kneipe
gehalten und sind mir Festtage. \)
Wir alle leben in gespannter Erwartung in Betreff Ihrer
„Geschichte des Heiden tumes." *) Werden Sie nicht endlich
inne, geliebter Freund, dass die Hauptseite Ihres Wesens die
gestaltende Kraft ist, dass somit die Theologie auf die Länge
nicht Ihre Sache sein kann ? Und nun diese hässliche Ortho-
doxie mit ihren Quälereien und Verfolgungen! — Ich erachte
es für den entscheidenden Schritt in Ihrem Leben, dass Sie
aich der Darstellung zuwenden — denn diese wird Sie nicht
mehr loslassen. Die Geschichte wird Ihnen treu bleiben
und Sie werden von der Geschichte auch nicht mehr weg-
kommen. Verzeihen Sie diesen meinen Vorwitz. Renegaten
müssen keilen.
8. Dez. 42.
Fast hätte ich vergessen, Ihnen meine Erwartungen in
Betreff des Bühnensuccesses Ihres Lothar mitzuteilen. Ber-
lin wird ihn zurückweisen; die Intendanz darf es nicht
>) Anschaulich und dankbar schildert das Beyschlag selbst bei Trog,
S. 38—40.
•) s, Vorbem. zu Brief 3.
20 Rudolf Meyer-Kraemer.
wagen, ein Stück in Szene zu setzen, bei welchem der
hiesige feinere Pöbel gleich Tendenzen wittern und dem-
gemäss ,.freimüthig" seine ^Gesinnung" durch die altbekann-
ten Zeichen ausdrücken würde. — Erst wenn Lothar von
andern Bühnen aus nach Berlin kommt, dann sind die Ber-
liner mäuschenstill und werden ihn prächtig finden. — Von
Kölln hoffe ich wegen der kathol. Prüderie nichts, dito von
München; aber auf Stuttgart, Frankfurt, Hamburg
und "Weimar wäre schon zu bauen.
üebrigens geben Sie nur Acht! die kathol. Blätter wer-
den Ihnen bald Knixe schneiden, die Ihnen recht unbequem
werden könnten! Es ist sehr gut gethan, dass Sie in Ihre
Gedichte einigen Liberalismus verwoben haben. Das wird
wenigstens von dieser Seite dem (Gehetz?) bald Einhalt tliun.
In Bonn werden die (p. p.) Madammen sagen, Frau Directrix
hätte Sie katholisch gemacht. Von dem was geschichtliche
Betrachtung ist, hat heutiges Tages selten ein Mensch einen
Begriff.
Mit den Liederspielen hoffentlich ein mehreres. Für
alle Ihre Freundschaft meinen innigsten Dank! Leben Sie
wohl, geliebter Freund! Ihrer gedenkt sehnsuchtsvoll Ihr
Burckhardt.
Ihre Predigten haben mir viel zu denken gegeben; hätte
man mir immer so gepredigt, ich wäre kein solcher Heide.
P. S. Die armen Teufel und Julia gehören dem M. K.
Archiv; nur bitte ich wenigstens letztere recht tief unten
zu legen, damit sie nicht Jeder findet.
7. Berlin, 26. Dec. 1842.
Geliebtor Freund!
Ich bätto eigentlich spätstens gestern an Sie schreiben
sollen, aber ein Spaziergang im Thiergarten (in Folge eines
sehr fröhlicbeu Weihnachtsabends) ') machte solclies unmög-
lich. —
Nun vorerst die Geschäfte: (folgen fünf umfangreiche
Notizen über notwendige Korrekturen zum Conrad von Hoch-
•toden — und die Schlussbemerkung). Und nun nochmals
*) Mit Baldcr und Toritrick.
Briefe Jakob Biirckhardts an Gottfried (und Johapna) Kinkel. 27
Dank und abermals Dank! Was hätte ich in der Welt an-
fangen wollen, wenn es nicht so viele gute Menschen gäbe,
die mir weiter helfen! —
(Das Folgende, woraus wiederum viel bibliographisches
Detail hier erspart wird, erklärt sich aus Kinkels lebhaftem
dramaturgischem Interesse an dem Martellstoff und geäusser-
ter Bitte um Quellennachweise.)
Mein Carl Martell ist seit vollen 2 Jahren fertig und
steht Ihnen zu Diensten. Ich latinisiere jetzt bloss einige
bes. critische) Stücke daraus, weil in Basel der doctorandus
neben einer deutschen Arbeit (dem Conrad) auch eine latei-
nische (,.Quae8tiones Martell ianae"! — ) einsenden muss. —
Ich will es so machen: — Ich sende den Carl Martell
mit den Liederspielen und Sie behalten ihn dann bis ich
nach Bonn komme und ihn in meinem Koffer mitnehme. —
Er ist übrigens weniger darstellender als critischer Natur.
— Auch das Excerpt aus Capefigue würde ich Ihnen gleich
raitsenden, wenn nicht über die Weihnachtsferien die Büche-
reien hierselbst geschlossen wären.
Sie werden übrigens aus meiner Darstellung sehen, dass
es des religiösen Motivs (was sonst poetisch gar brauchbar
wäre) nicht bedurfte, um den Abderrahman gegen Munuza
aufzubringen; indem letzterer mitAquitanien im Bunde stand.
Für den ersten Heisshunger lesen Sie: Lembke (u, s. w.).
Mich wundert, wie Sie die Sache fassen; die ziemlich
dunkle Aquitanenwirtschaft der Eudonen wird Sie vielleicht
am Stoffe irre machen, vielleicht nur noch mehr begeistern.
— Mit sämmtlichen Quellen steht es dabei fatal; man muss
sich aus deren Armseligkeit zuerst ein Mosaik zusammen-
setzen, ehe eine kulturhistorische Gesammtanschauung auf-
taucht. Da giebt es keine solche alte Plaudertasche wie
Caesarium Heisterbacensem! ') Die betreffenden Vitae Sanc-
torum, welche noch am ehesten daranstreifen, sind doch gar
zu starr! Einer hat immer die Lobpreisungen eines Andern
über einen andern Heiligen abgeschrieben ....
.... Ich würde Ihnen rathen, wenigstens für die Fort-
setzer des Fredegar, Gregorii Turonensis opera (ed. Rui-
') De&seo „Dialogus" viel Stoff für den Conrad von Hocbstaden ge-
liefert hatte.
82 . Rudolf Meyer-Kraemer.
nart) vorzunehmen. Die Fortsetzer sind Esel, aber wichtige
Esel, weil sie, wenn auch nicht jährlich, doch etwa von 5
zu 5 Jahren ihre dürre Wissenschaft nachgetragen haben , . .
Wenn Sie einiges in der Geschichte ändern, so muss
sie sich dramatisch zurechtsetzen lassen. Sie sind der Hexen-
meister dazu, so was zu arrangieren. 0 es liegen noch
mehrere dramatische Stoffe im Carl Martell, so z. B. sein
Auftreten und sein Ende. Vielleicht giebt's eine Trilogie. —
Das wichtigste wird ein genaues Studium der Aquitanen-
wirtschaft sein, welche hübsch zwischen Thür und Angel
lagen ....
Nun allseitige herzliche Neujahrswünsche ! d.h. nur vor-
läufige, denn die rechten kommen erst mit den Liederspielen,
welche Sie wenigstens amüsieren werden.
Leben Sie wohl, geliebter Freund, Ihrer gedenkt
beständig Ihr
Burckhardt.
* *
. „Ich bin produktiver als je", hatte Burckhardt ein Viertel-
jahr zuvor geschrieben (Brief B, Schluss). Er steckte jetzt aktiv
und passiv recht in der Belletristik; hier ein Beleg dafür.
Nicht bloss dem „Maikäfer" lieferte er das verheissene Lieder-
spiel („Die Teufelsmauer") und die Fortsetzung eines schon
1842 angefangenen „Romans vom Kandidaten Schnipselius",
sondern fand auch noch Zeit, einem Kollegen Kinkels, dem
Privatdozenten Dr. Laurentius Lorsch, für dessen „Verona"
(wie es scheint, ein Niederrheinisches Taschen- oder Jahr-
bach) beizutragen, — ein Blatt, in dasgelegentlich auch Kinkel,
liauke und v. Sybel schrieb. Schon begann auch der (-re-
dsnke an akademische Lehrthätigkeit vorauszuwirken, so
etwas wie ein Kolleg über germanische Urzeit allmählich
vorzabereiten. — Kinkels literarische Unermüdlichkeit hatte
etwas Anspornondes: Horbdt 1842 hatte er ein romantisches
Sobautptel mit Gesang in vier Aufzügen, „Die Assassinen",
geschrieben; Neujahr 1848 erschienen seine gesammelten
Gedichte, und daswiiohen hatte er mit Freiligrath, der so-
eben in St. Goar ansissig geworden war, sich zur Heraus-
gabe eines poetifchen Jahrbuches vereinigen wollen, ein Plan,
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 29
der freilich scheiterte. — Burckhardts Hochschätzung für
Theodor Mundt überrascht; die Jüngeren wenigstens kennen
kaum noch sein Verdienst.
8. Dem Urmau.
Berlin, 7. Februar 1843.
Mein theurer Freund!
Ihre Briefe haben mich eine Zeitlang in jenen contem-
plativ-träumerischen Zustand versetzt, der bei mir die Er-
innerung guter Tage zu begleiten pflegt. Vorgestern Abends,
als ich eben wieder einen Probebogen des Erzbischoffen nach
der Post gebracht hatte, fiel mir ein : Du hast einen Rthlr.
in der Tasche und man giebt den „Feensee"! — Da konnte
ich der Lust nach den schönen Dekorationen von Kölln und
der Umgebung nicht widerstehen — auch daran waren Ihre
Briefe Schuld. Als im dritten Akt der Zwischenvorhang
aufflog und nun hoch im klaren Dufte der Dom schwebte,
musste ich weinen vor Freude. — Die Oper selbst, die ich
schon längst kannte, hat mich trotz ihres oberflächlichen
Glanzes doch hingerissen, wie es wahrhaft gute Musik nie
thut Wenn ich Gluck und Mozart höre, so bin ich viel zu
aufmerksam und zu genussüchtig, um mich der eigentlichen
Gesammtwirkung der Töne so ganz hinzugeben, dagegen
lässt sich bei Auber'scher Musik, wo am Einzelnen nicht viel
zu geniessen noch zu verlieren ist, so vortrefflich träumen
und simulieren; da nioimt mich die Gesammtmacht der Töne
als solcher (ohne Rücksicht auf Composition) auf ihren Flügeln
mit sich fort, und das sind dann Augenblicke voll Poesie
und harmonischen Einklangs meines Innern Menschen. —
In dieser glückseligen Stimmung kam mir mein bevorstehen-
der "Weltgang als etwas so schönes und poetisches vor! Ich
pries mich glücklich. —
Dass Ihnen mein Carl Martell behagt, freut mich ausser-
ordentlich, wie mir denn überhaupt viel mehr drtrum zu
thun ist, ob jemand meinen Beruf zur Geschichte anerkennt,
als um Anerkennung meiner Verse. Lassen Sie mich hier-
über ausreden.
Ich weiss sehr wohl, dass ich mit meiner Lindscbafts-
Miniaturmalerei und meiner Kleinlyrik mir einen gewissen.
30
Radolf Meyer-Kraeraer.
Kreis von Lesern und Freunden günstig stimmen könnte,
aber für solche Rühmchens danke ich ; ein Zeitdichter kann
ich doch nicht werden. Ich beschränke mich daher mit meinen
Versen darauf, hie und da meinen Nächsten ein Vergnügen
zu machen. — Aber ein Zeitgeschichtschreiber möchte ich
gerne werden! —
Ich habe schon mehr als einmal an meinem Berufe zur
Geschichte verzweifelt, und dazwischen kommt mir dann
doch wieder vor, als sei es meine Bestimmung, besonders
das Mittelalter auf eine neue Weise darzustellen, interessanter
als es bisher geschehen. — Ich gäbe alle Anerkennung die
ich als Poet auch im allergünstigsten Falle finden könnte,
herzlich gerne um die Gewissheit, in der Geschichte etwas
wahrhaft Neues zu leisten.
Meine Novelle^) geht schief; ich kann sie nicht mehr
fortsetzen. Dagegen hoffe ich von der nächsten Zeit einige
Lyrik und eine Ballade. Lebte ich nur nicht in einer so
unsäglichen Zerstreuung! —
Ich habe den Ammianum Marcell. mit Andacht durch-
gelesen und auch für Ihr Heidenthum*) manches Wichtige
gefunden. Die betreffenden Nachweisungen bringe ich Ihnen
an den Rhein mit, um Ihnen das Durchlesen des ganzen
dicken Schmökers zu ersparen,
Ach was haben Sie mit dem Heidenthuin für einen
glücklichen Wurf gothan! — Das wird das erste lesbare Werk
über alte Geschichte. Gibbon") ist doch in der Anschauungs-
weise veraltet. — Die Philologie beweist ihren geistigen
Bankerott immer mehr dadurch, dass sie noch nicht Eine
gute DardtelluDg des Altorthums hervorgebracht hat. —
Niebuhr ist bloss zum Studieren; — zum Lesen scheusslicli.
Uebor Griechenland existiert noch nichts; Ottfriod Müller
hatte bloss gelehrte Zwecke. Man wird noch den Triumph
erleben, dass die erste lesbare alte Geschichte ohne Zuthun
der Philologen ans Tageslicht treten wird. — Die Philologie
ift jetzt nur noch eine Wissenschaft zweiten Ranges, so
') In Brief $ vertpro^m.
*) Siebe Itrief 3.
*t ErKbieti 1788 mit Mintm uniterblichen Werkt.
Briefe Jakob Burckhardts au Gottfried (und Johanna) Kinkel. 7 i
grosse Airs sie sich auch giebt. — Lesen Sie doch auch
Philostratus' Vita Apollon. Tyan., es ist ein kurioses, tolles
Buch. — Sie kennen's wohl?*)
Balder oxt jetzt an seinem Nicolaus I. Ich freue mich
auf den Spektakel, wenn ihm der Stoff in hohen Wellen
über dem Kopf zusammenschlägt. Er ist beharrlich und
wird etwas durchsetzen.
Für die Verona habe ich eine kleine Arbeit zur Hälfte
geschrieben — das Ding missfällt mir aber jetzt so, dass
ich es gar nicht fertig machen mag. Wenn's bis morgen
Abend fertig werden sollte, so schick' ich's mit. — Dass aus
dem Unternehmen mit Freiligrath nichts geworden ist, thut
mir bloss um Ihretwillen Leid; mir selbst geschieht damit
kein Unglück. Warten Sie nur, wenn meine Reise mir recht
viele gute Laune giebt, so liefre ich einen ganzen Scheffel
Reiseliedchen, die dann einen Gesammtcorpus bilden mögen.
Vielleicht ist Paris hierin auch ergiebig. Bei dem jetzigen
totalen Verstummen der politischen Poesie nimmt man viel-
leicht wieder mit solch leichter Waare vorlieb. Davon können
Sie dann bei Gelegenheit in die Welt spedieren, soviel Sie
wollen. — Wären nur Ihre Gedichte bald da! —
Abends 5 Uhr.
So eben komme ich von einem Besuche zurück; —
ratlien Sie bei wem ich war? — Bei Theodor Mundt. Ich
war dem Mann nach Lesung seiner Schriften so gut geworden,
dass ich dachte: den musst du kennen lernen; er muss zu-
gänglich sein, da die öffentliche Gunst sich von ihm ab-
zuwenden beginnt. Und so nahm ich vor einer Stunde die
Handschuh in die Tasche und den Weg unter die Füsse und
Hess mich melden. Ich fand ihn mit seiner Frau, Louise
Mühlbach, und kundschaftete ihn aus über die Freiburger
Jesuiten und über Paris u. s. w. Er war äusserst gefällig
') Den schwierigen Problemen des Quasievaugeliums über diesen Mittler
westö&tlicber Religionen und Philoscpheme (an das sich nur wenige wagen)
glaubt mau neuerdings durch den Nachweis beizukommen, Ap. sei ein durch
hellenische Bildungsgänge geläuterter stammechter und ursprungsstolzer Athravan
(persischer Feuerpriester), ein arestagläubiger Grosskophta pythagoreischer
Observanz gewesen.
32
Rudolf Mever-Kraemer.
und liebenswürdig, unsere Unterhaltung frei und leicht. Ich
werde ihn noch öfter sehen. — Was mich bewog, ihn auf-
zusuchen, war das lebhafte Gefühl, dass Mundt ein Charakter
sei und dass ihm Tausende Unrecht thun und gethan haben,
während er doch einer von denen ist, welche das moderne
Leben am gründlichsten zu deuten wissen. —
Ihre Assassinen sind ein ganz vorzüglicher Opemtext;
wie machen Sie es, um so viele Effekte mir nichts dir nichts
in solch ein Ding zu bringen? — Das ist alles so brillant
und so frisch, man wird auf der Bühne erstaunen. Ich möchte
die Melodien der Directrix hören! — Die Situationen sind
fast alle schon an sich musikalisch und brechen so mit Not-
wendigkeit in Lieder aus, was das einzig Richtige beim
Liederspiel sein wird. — In der Teufelsmauer ist alles so
willkürlich hineingesetzt und könnte ebenso gut anders sein.
Das ganze Intermezzo habe ich nur hineingesetzt, um ein
Musikstück mehr zu bekommen.
Uebrigens wird vielleicht nach und nach auch das ma-
terielle Loos deutscher Operncomponisten und dann inclusive
das der Librettisten sich bessern und dann wird ein guter
Opemtext auch honoriert werden können, wie jetzt in Frank-
reich; Cammarano hat von Donizetti, St. Georges von Adam
ganz enorme Summen für ihre schlechten Texte bezogen.
Und ein Honorar ist nothwendig, da an einem Opemtext gar
viel Arbeit und Handwerk ist. St. Georges bezieht für einen
dreiaktigen Text immer 2000 Francs, und was liefert er für
Zeug! bloss bühnengerecht, sonst keinen Teufel werth. —
Und dann kriegt er erst noch kleine Tantiemen.
Noch ein Wort über Carl Martell. Ich lasse ihn nie
drucken and betrachte ihn rein als Vorarbeit zu meinem
Projekt: das alte AUemannien zu schildern. Unlängst machte
ich Jacob Grimm meinen Besuch and sachte die wichtigsten
Beraltato Über AUemannien von ihm herauszubringen. Aber
Jacob Grimm giebt nur unendlichen Stoff zu Resultaten,
niobi letetere selbst. Einiges Hochwichtige habe ich aus
ihm doch hersosgof ragt , aber mit Mühe. Und doch ist
er so gat aod freundlich und hält mit Willen Nichts
sarück.
Briefe Jakob Barckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^2
Von dem Erzbischoffen erwarte ich jetzt den vierten
Bogen, Ich fürchte, es wird mit dem Ding dauern bis ich
in Bonn bin. Unlängst ist in Basel ein lithograph. Werk
über unser Münster herausgekommen, wozu ich schon 183^
einen schlechten Text geschrieben habe, der mich jetzt
schändlich ärgert. Auch die Bilder sind sehr unvollkommen
und das Ganze sieht einer Pariser Spekulation ähnlich. —
Ich besuche keine Gönner mehr, weil ich mich schlechter-
dings nicht mehr dazu entschliessen kann, einen Schniepel
anzuziehen. Nur zu Leuten, wo man in Rock erscheinen
darf, gehe ich noch hin. Von Berlin nehme ich gar keine
Notiz mehr und verhärte mich geflissentlich gegen alles
was zu dessen äusserer Erscheinung gehört. — Meine letzten
unabhängigen Monate will ich mir nicht mit Gesellschaften
verbittern. —
Dem Andreas schreibe ich das nächste Mal.
Leben Sie wohl, geliebter Freund und gedenken Sie
Ihres sehnsüchtigen
Burckhardt.
(Quergeschrieben) 9, Febr.
Den Schnipselius bitte ich mir zu verzeihen. Den letzten
Maw werden wir ganz mit Lyrik füllen.
Sagen Sie Dr. Lorsch, man möge bei der Verona keine
Rücksicht auf mich nehmen. Vielleicht schicke ich in einem
Monat etwas; kommt's zu spät, so behälts der Maw. — Vom
Erzbischoffen habe ich gestern den vierten Bogen corrigiert
und wieder nach Essen geschickt.
*
♦ *
In besonders muntereLauneversetzteBurckhardtdieimmer
näher rückende Aussicht auf Abreise zum „Weltgang" und
Wiedersehen in Bonn. Dankbar empfing er dorther noch zwei
Gaben des MK: „Der letzte Saltzbock, politisches Drama
in 5 Aufzügen" — eine Satire, deren Held als Missionar in
China wirkt — , von Johanna verfasst, und „Friedrich Roth-
bart in Suza, oder: Vasallentreue", ein schon .Juli 41 von
Kinkel geschriebenes Lieder- und Lustspiel in 3 Aufzügen.
3.
%^ Rudolf Meyer-Kraemer.
9. Dem Urmau.
,;. Berlin, 3. Merz 1843.
Dieser Brief, viellieber Freund, wird nicht viel Ge-
scheidtes enthalten. Daran ist zum Theil das P. S. Ihres
Briefes Schuld, als in welchem ich so furchtbar um einen
Beitrag für die Veronam gezwiebelt worden bin, dass ich
mich, obwohl von Zeitmangel hart bedrängt, hinsetzte und
einen schon begonnenen Aufsatz um- und zu Ende schrieb.
Was dabei herausgekommen ist, sehen Sie an beiliegendem,
klngthuenden Wisch, welchen ich womöglich zu lesen
und falls er Ihnen missfällt, sammt dem Brief an
Lersch zu zernichten bitte. Glauben Sie, das Ding
könne passieren, so schicken Sie es gütigst dem Lersch,
sammt dem Brief.
Doch halt! im Zemichtungsfalle müssen Sie letzteren
doch zuerst aufmachen und lesen was wegen Ranke drin
steht. Der Halunke hat nichts schreiben mögen, so flehent-
lich ich drum bat. Dafür wiederfuhr mir die Gunst, ihn bei
Lersch entschuldigen zu dürfen! —
Sagen Sie dem Lersch, ich hätte mich vielleicht mit
der ganzen Schreiberei und Einsendung besser bemühen und
sputen können, wenn ich nicht wegen mangelhafter Ab-
fassung des Auftrages schon vor einem Monat geglaubt hätte,
es sei zu spät. Hätte ich gewusst, dass es bis Anfang Merz
Zeit habe, so würde ich wohl einen andern Gegenstand,
und den gründlicher, behandelt haben.
Nun ad meliora. Der letzte Salzbock hat mächtig ge-
wirkt und ich will Hans heissen, wenn so etwas anonym
auf dem Bonner Theater vorgebracht nicht besser amüsierte
alt alle französ. Conversatioiisstücke. — Sodann: wir haben
Ihre Gedichte schon im November bestellt, es sind wohl
mehr als 5 Exemplare; in einigen Tagen muss die Sendung
▼OD Cotta kommen. Einstweilen behelfen wir uns mit Haiders
Eisemplar. Hier wird es mir denn nach und nach möglieb,
iio6D Totaleindnick von Ihrer Dichterlaufbahn zu gewinnen.
O wenn ich dran denke, — es ist doch schändlich, dass ich
io Bonn so rein Bcbwiemol war und so rein nur für mein
Amüsement sorgte! — Femer den Frits in Susa habe ich
Docb nicht gelesen; Frits und Salsbock werden circa, den
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^^
16. huju8 von hier abgehn, hoffentlich im Geleit bedeuten-
der Briefe und andrer Mawsachen,
Vorliegender Brief ist somit ein bloss provisorisches
Billet, und so auch der an die hohe Directrix.
Heut Nachmittag fang ich an den Martell zu latinisieren
(d. h. vier Bogen sind Gottlob schon lateinisch vorhanden),
obschoD der erste schöne kalte Tag im Jahr ist, der wol
nach Tisch ziemlich warm sein wird.
Sehen Sie, so gewinne ich einen schön stylisierten Ueber-
gang zu dem Hauptpunkt, nämlich meiner Reise. Und jetzt
halten Sie still, denn hier ist das Zwiebeln an mir. Wie
können sie sich unterfangen, mir 1) ein so schlechtes Ein-
sehen in meinen eigenen Vortheil, 2) eine solche Untreue
gegen Sie, 3) eine solche Felonie gegen unsre Lehnsherrinn
zuzutrauen, dass ich Bonn schwänzen könnte? Da Sie sich
aber einmal hier schwach im Glauben gezeigt haben, so sehe
ich mich nothgedrungen veranlasst, Ihnen das Evangelium
der Reise wie es sich nach den Synoptikern: S. Necessius,
S. Humorius und S. Pecunius gestaltet, mitzutheilen. Ich
reise circa den 20, Merz von hier ab, vielleicht zuerst noch
in den Harz, jedenfalls aber über Naumburg und Jena. Dann
durch das Schwarzathal (auch wenn Schnee liegt) nach Co-
burg und Bamberg, für welches ich eine grosse alte Inkli-
nation habe. Dann (vielleicht noch bis Nürnberg und) nach
Würzburg, von wo ich durch den Odenwald nach Heidelberg,
Weinheim, Speyer ziehe. Dann über Worms, Oppenheim,
Nierstein, Bodenheim, Laubenheim nach Mainz und Frank-
furt, wo ich circa 4 Tage liegen muss wegen alter Schmöker.
Dann langsam und mit Ausdruck den Rhein abwärts. Von
Koblenz aus besuche ich u. a. Limburg. — So lange ich
20. — 25. April in Bonn an, und bleibe bis zu Ihrer Hoch-
zeit (dort). Auf diesem vollen Monat Aufenthalt ruhen
(jedoch) folgende Servitute: 2—3 Besuche in Kölln, eine Ahr-
tour, ein Besuch in Siegen bei meinem Freunde Schauen-
burg, der sich in diesem Monat dort als Lehrer am Gym-
nasium festsetzt —
Unmittelbar nach Ihrer Hochzeit fahre ich den Rhein
hinunter nach Cleve zu Siegfried Nagel ') und von da nach
') Ein unbekannter Napae.
56 Rudolf Meyer- Kraemer.
Holland, Belgien und Paris, wo ich circa 20. Juny abzusteigen
hoffe. Unterwegs hoffe ich viel zu zeichnen, zu dichten
und zu trachten. (Unter letzterer Rubrik subsumiert sich
bummeln, kneipen u. s. w.) — Einen kleinen Koffer schicke
ich nach Bonn voraus und reise mit einem Ranzen und
Schlafrock. — Ein spezielles Augenmerk richte ich diessmal
auf die sächsische und fränkische Byzantinik und die Main-
weine, von welchen ich bisher nur den Bocksbeutel kenne.
Vom Conrad ist der achte Bogen schon corrigiert. Ich
erwarte heut den neunten. Im Ganzen werden es ihrer eilf,
die ich noch alle hier zu corrigieren hoffe.
Und nun Gott befohlen, liebster Freund. Ich schreibe
Ihnen Mitte dieses Monats noch einmal und gebe so Gott
will, von der Reise aus ein Lebenszeichen nach Bonn, da-
mit Sie nicht meinen, ich sei abhanden gekommen.
Leben Sie wohl! In Sehnsucht Ihr getreuer
Burckhardt.
P. S. Balder lässt Ihnen melden, dass die Geschichte
wegen Marheineke') bestritten werde und nicht völlig gewiss
sei. Den Brief an Herrn Seibach') trug ich gleich beim
Empfang des Paketes auf d. Post.
10. ' Berlin, 15. Merz 1843.
Viellieber Freund !
Vorerst ein Geschäft, dessen Besorgung Ihnen wohl
Andreas abnehmen kann — sonst würde ich Sie nicht da-
mit behelligen in einem Augenblick, da Ihre Gedanken wohl
anderswo sind. Ich habe nemlich durch inliegendes Billet
Herrn Habicht beauftragt, Ihnen die 50 Exemplare des
Conrad, der wohl jetzt vollendet sein wird, zu überantworten.
Ist diesa geschehen, so bitte ich Sie, fünf Exeinp). zu ver-
pftcken and per Post nach Basel zu senden mit der Adresse:
Antiites Barckbardt HochwUrden, Basel, (unfrankiert, ver-
steht steh.) — Den Rest beherbergen Sie gütigst, bis ich
komme. Das soll die letzte Mühe sein, die Sie mit dem
Opus haben werden.
I) Irgend ein Berliner Klatsch Über den berühmten Theologen.
*) Richard S., Theologe, Jugendfreund K.'n.
Briefe Jakob Burckhardts au Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^-j
Ihr Friedrich in Suza müsste sich auf dem Theater
sehr gut und rasch ausnehmen. Es geht die Sage, Sie hätten
ihn binnen 24 Stunden geschrieben, was ich nicht fasse. —
Sie schreiben von Ihrer Brautreise, die vielleicht bis
in den Schwarzwald reichen soll. Nach Basel zu gehn,
kann ich Ihnen mit gutem Gewissen nicht rathen — doch
Sie kennen ja das Nest. — Aber Freiburg im Breisgau, eine
der herrlichsten deutschen Städte, kennen Sie vielleicht noch
nicht. Auch mache ich Sie auf den Odilienberg, 6 Meilen
von Strassburg in den Vogesen, aufmerksam, von wo auch
die Alpen sichtbar sind. Ich bin leider nicht selbst oben
gewesen, es soll aber der reizendste Bergwald sein, etwa
1600' über der Ebene. Dazu denken Sie sich: drei Klöster
und drei Schlösser, alles von einer ungeheuren sog. Heiden-
mauer, nämlich einem altceltischen Felsenwall, umschlossen.
Sehen Sie die Karte in Schöpflin Alsatia illustrata Band 1.
Zugleich ein höchst poetisches Lokal; ein alter Stammsitz
der Etichonen, welche die frühsten allemann. Duces sind;
eine Tochter Eticho's war die heil. Odilia, die hier wohnte.
Prächtige Quellen; alte Kirchen und ein sehr gutes Wirths-
haus. Fragen Sie doch nach; einer von Ihren Bekannten
muss dort gewesen sein, vielleicht Lersch.
Nun sind auch Ihre Gedichte da; mehrere meiner Be-
kannten haben sie auch bestellt. Hier will ich Ihnen aber
keine Recension hinschreiben, weil ich über manches münd-
lich mit Ihnen sprechen will. Einstweilen pack' ich sie zu
mir in den Tornister und lese unterwegs das Tjesbare, und
singe das Sangbare. Ist's so recht? —
16. Merz, in Eile.
Da ich gar nicht mehr weiss, was Zeit ist, und im
Strudel eins über dem Andren vergesse, so kann ich Ihnen
auch jetzt nur noch ein paar unvernünftige Zeilen hinsetzen.
Dem Andreas, dem ich auch nicht mehr schreiben kann,
will ich in Bonn zum Ersatz eine kleine Landschaft zeichnen.
Gestern ist hier die Petition der Stände des Grossherzog-
thums Posen und das königliche Responsum in den Zeitungen
erschienen. Damit fällt ein grelles, schauerliches Schlaglicht
auf die Abgründe, denen wir zueilen. Man sieht, die Maje-
58 Rudolf Meyer- Kraemer.
stät glaubt im Rechte zu sein und in der That ist das jetzige
Staatsrecht in dem Responsum buchstäblich vollkommen
geschont. Aber schon die Billigkeit ist nicht mehr geschont,
und noch weniger die offen tliche'Meinung und die Sehnsucht
der Nation. Wehe dem Rathgeber, der dem König diesen
Schritt eingab; der König selbst wird ihm einst flachen,
aber wenn es zu spät ist. Man wagt es, einen durch
Stimmenmehr bei den Ständen durchgegangenen Be-
schluss ein Parteiwerk zu nennen! — Man wagt es, den
Ständen wegen dieses Beschlusses zu drohen, man werde
sie nicht mehr zusammenberufen! — Mit diesem einzigen
Wort ist Preussen dem Zustande von Hannover gleichgestellt.
Um von der nochmaligen in recht übler Laune gegebenen
Ablehnung der Gesammtstände zu schweigen, — wie muss
der König berichtet sein, wenn er meint, seine Argumente
gegen die Pressfreiheit machten noch Eindruck auf das Publi-
kum! — Ich glaube in diesen Sachen jetzt klarer zu sehen
als bisher, und so scheint mir: der König ist schon frühe
durch seine Lehrer in das alte Staatsrecht (d. b. Absolutis-
mus in juridischer Form) festgebannt worden und kann
über gewisse Folgerungen und Fragen nicht hinauskommen,
was vielleicht uns in seiner Lage auch passieren würde;
ferner ist er von seiner Umgebung viel abhängiger als man
glaubt, und diese hüllt ihn täglich mehr in eine Anschauungs-
weise hinein, die über kurz oder lang zu einem Bruche
führen muss. Mir ist recht weh zu Muthe, wenn ich an
diese Dinge denke; es ist als läge das Sohloss von Berlin
unter einem düstern Zauberbann und als sehnte sich die
Majestät selbst nach Frieden, Ruhe und Verständigung, ohne
doch je dahin gelangen zu können; denn durch die ver-
zaubert«)!! Fenster des Schlosses erscheint die Gegend blühend,
reich und friedlich, während doch von ferne Klagen und
Stöhnen schallt, was der Minister für eine Partei Stimmung
einigHf böswilliger Eichen und Tannen ausgiebt, die mürrisch
io der Ferne ftehen.
Addio hersliebtr Freund; in 5 Wochen bin ich bei
I'>n«o! Ihr getreuer
Burckhardt.
Briefe Jakob Bnrckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^g
Die drei Berliner Semester hatte Burckhardt gründlich
ausgenutzt. So sehr ihm die Stadt und das Gebahren ihrer
GeSeilschaft ^scheusslich^ dünkte und rein negativ auf ihn
wirktp, so emsig war er doch den vorhandnen, namentlich
künstlerischen Anregungen nachgegangen, hatte u, a. Rezen-
sionen über die Kunstausstellung von 1842 geschrieben
und sich vor allem an Kugler, den nur zehn Jahre älteren
Lehrer, immer herzlicher angeschlossen.') Jetzt aber kam
der Augenblick der Trennung; Burckhardt erlebte noch die
Freude — gerade als er selbst von der Universitätszeit für
immer Abschied nahm — , dass der verehrte Mann mit seiner
Berufung zum Geheimen Rat im Kultusministerium einer
noch umfassenderen Betätigung seiner reichen Kräfte ent-
gegenzugehen schien.
Mit leichtem Gepäck schied der Exstudent von hinnen —
eben brach der Frühling an,'^) — und offnen Sinnes, in voller
Wanderlust zog er der Elbe zu, das Saaltal aufwärts, über
denThüringerWald, das heimischere südwestdeutsche Becken
zu erreichen. In schönem Wechsel von Arbeit und Genuss,
zwischen liebender Betrachtung alter Architekturen und
fröhlicher Zecherstimmung mitten hindurch, gings ^dichtend
und trachtend"^ weiter, vom Main über den Neckar zum
Rhein, mit dessen Talfahrt seinen gesegnetsten Ufern vorbei
.langsam und mit Ausdruck" dieser vierwöchentliche Lenz-
gang aufs würdigste beschlossen wurde. Dem Maikäfer zulieb
und dem Versprechen gemäss hatten unterwegs einige lyrische
Grillen gezirpt; und als der sehnlich Erwartete um den
20. April bei den Freunden eintraf, konnte er aus seinem
poetischen Rucksack wenigstens drei Gedichte stürzen: am
24. März hatte er in y, Weissenf eis, vor MüUner's Hause** für
dessen Schicksalsdrama „Schuld" einen unschuldigen Trost
gefunden ; am 28. zu Gotha, auf der Terrasse des Schlosses,
eine schmerzlich süsse, zwei Jahre alte Erinnerung „an H. S.**
in Leipzig aufgefrischt; am 3. April „vor dem Dom zuWorms"
in einer Vision Chriemhilds und Brunhilds ein Sinnbild
Ghillia's und Germania's gefunden, die beide schliesslich dem
Slaventum zu erliegen drohen. Und alsbald nach seiner
') „Als ein Kind des Hauses", bezeugt 1855 die Widmung de« Cicerone.
*) Am 22. März jjabcn ihm die Freunde den Comitat.
40
Rudolf Mevcr-Kracnier.
frohen Ankunft schrieb er (*25. April) eine Einleitung nieder
„zu einem projektierten Maikäferdrama Simson, nebst
Parabase*^.
In Bonn fand er die glücklichste Stimmung vor: Kinkel,
ven Plänen und Hoffnungen wie immer erhoben, begann
«oeben mutig sein neues Kolleg über Kunstgeschichte zu
lesen und sah das ersehnte Ziel, Johanna nach so manchen
Kämpfen und Anfeindungen endlich die Seine zu nennen,
in wenig Wochen vor Augen. Und wie ihm Burckhardt
seither immer teurer geworden, zeigte jetzt der Austausch
des brüderlichen Du. Den Bund besiegelte ein gemein-
samer Pf ingstausflug in das nahe Ahrtal: der
Verfasser des „Konrad von Hochstaden^ wandelte hier auf
den Spuren seines Helden, dessen stolzes Haus in diesem
Gau den Sitz seiner Macht gehabt; der Gefährte und Führer,
der jeden Winkel dieses heimischen Bodens kannte, fand
da den Stoff zu seiner spätem, vielgelesenen Dorfgeschichte
^Margret". Der ganze Zauber holden Mutwillens und bester
Laune umwob diese fünf oder sechs Wandertage; und ob
nun die beiden zu Altenahr in Caspari's Gasthause noch
om Mittemacht eine lustige Gesellschaft zu romantischem
Fackelzug nebst Quartettgesang und vaterländischem Vivat
in die düstere Schlucht des ,^ Durchbrachst hinaus anführten,
ob sie den altkeltischen Basalt ring des ^Heidengartens"
am Hochtürner durchmassen oder die Quarztrümmer der
fjTeufelslei^, das alte Satansscbloss, unsicher machten, —
ob sie von den stattlichen Kuppen der Nürburg, der Hohen
Acht, des Ahrernbergs ins weite Land schauten oder im
Stftdtchen Blankenheim, an der Quelle des Flusses, das
T(k:hterleiu der würdigen Gastwirtin Le Tixerand neckend
in „Fräulein Diiexerat" umtauften — für Burckhardt blieb
das alles auf .Jahre hinaus „die unsterbliche Mairoise**, „einer
der besten BisHeii von meinem Leben'', „einer der KuUiii-
DatioDipuukte iiieiooH armen Lebens^.
Findiich nahte der Florhzoitstag, der 22. Mai; bei der
Trauung des Paares (in der Woiinung des Pfarrers Wiciiel-
liauf) fungierte Burckhardt als Zeuge nebco Goibel. Andreas
8imoot, Johanna'H Eltern und zwei Freundinnen der Familie:
Angutto Heinrich und Linda Bemdt.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^ i
Weoige Tage später treDnte man sich: Kinkels fuhren
nach St. Goar. Freiligraths zu besuchen, Burckhardt zunächst
nach Cleve, dann durch Holland (bis Rotterdam) und Belgien
(mit gebührendem Aufenthalt in Brüssel) nach Paris. Auf
vier Monate war er den Freunden nun entrückt und
^e minus" = nur aus der Ferne erreichbar.
11. Paris, 16. Juny 1843.
Vieltausendmalgeliebter Urmau!
Ich bin den 8. hujus hier angelangt und habe mir Paris
8 Tage lang schmecken lassen ; jeden Morgen im Louvre
und in den Kirchen; jeden Abend auf den Boulevards und
im Theater. Damit Du aber siebest, wie zuverlässig ich
bin, 80 wisse, dass ich den 1. hujus von Rotterdam aus eine
Recension Deiner Gedichte ') an die Köllner Zeitung schickte,
welche angekommen sein muss, da ich sie frankierte; aber
die Schlingel haben sie noch nicht abgedruckt.
Ferner folgt an mit das Gedicht von Alten ahr, welches
mir jetzt sehr missfällt. Es ist halb in Gent, halb in (? is)
gemacht, also in zwei berühmten Fabrikstädten. Sobald ich
Briefe von Euch habe, schreibe ich Euch wieder, und dann
mehr. Gestern bin ich zum erstenmal auf der biblioth.
royale gewesen; mit dem was dort ist, kann ich schon fertig
werden; für meinen Zweck brauche ich dort etwa 130 — 140
Stunden Arbeit, also 2 Monate.') Am 15. August wird d.
bibl. geschlossen, dann arbeite ich in den Bibl. vom Arsenal
und von S** Genevieve bis gfgon den Oktober hin.
Ich habe Hugo's Burggrafen gesehen. Die Intentionen
sind hie und da höchst grandios, aber am Ende überwiegt
doch der Unsinn.') Beauvallet in seinen guten Momenten
erinnerte an das, was ich von Ludwig Devrient habe er-
zählen hören. Der Alexandriner ist aber ein unleidlicher
Vers, selbst auf dem Theätre fran9ais. — Im Odeon hörte
ich ein kleines Ding von Moliere, welches köstlich war;
') t. meine Vorbemerkung zu Br. 8.
*) Am 20, Juni fing er an „regelmässig zu copiren".
') Man vergleiche H. Heine's gleichzeitige vernichtende Kritik (Hamb.
187a. Bd. n, S. 366^
AZ Rudolf Meycr-Kraemer.
darauf begann Racine's Andromaque, wo ich denn freilich
nach dem ersten Akt auf und davon lief. Den Racine halt'
ich nicht mehr aus. — Was sagst Du zu der Idee eines
kleinen Stückes = la fille de Figaro, welches im Theatre
du palais royal gegeben wird — es ist ein weiblicher Figaro,
d. h. eine Gelegenheitsmacherinn und AUerweltsmädchen,
die zwei Liebende durch alle mögl. Intriguen protegiert.
Ist der Gedanke nicht glücklich? — Der Figaro des Beau-
marchais ist doch am Ende ein Halunke und was er thut,
that er um des Geldes willen, während diese fille de Figaro
(die weiter mit Figaro nichts zu thun hat) aus Gutherzigkeit
das Ihre thut. — Es ist übrigens merkwürdig mit dem
französischen Theater; selten trifft man ein grosses Talent,
aber ein mittel massiger französ. Schauspieler ist immer
mittelgut, ein mittelmäss. deutscher Schauspieler aber in
der Regel mittelschlecht. Daher ist auch in den kleinen
Winkeltheatem von Paris immer ein Ensemble und der
Dichter kann seine Freude daran haben. Freilich kann
sich's kein Mensch verhehlen, dass das französ. Drama, bes>
das Trauerspiel, auf gottlosen Abwegen ist.
Das nächstemal mehr. Dieser Brief ist nur der erste
Nothschuss, welcher sagt: schreibt mir! — Ich wohne
Bue MarsoUier N® 13. — Hier das Gedicht: *)
Altenahr.
„Weil wir doch einmal so weit sind, — liebe Jungens, hört mich an I —
Weil wir doch einmal so weit sind, war' es besser nicht gethan,
Wenn Caspari*) selbst uns wählte auf den Weg 'nen guten Wein?
Schreit nur nicht so durcheinander ! Wirds nicht so am besten sein ? — "
„Ja!" ,Jal" „Jal" — Cahpari schreitet durch die Thür, der Flaschen sechs
Uoterm Arm und in den Händen, eitel edles Ahrgewächs,
Und mit «w'gem Oüttorlächeln fragt er die vorwirrte Scliaar:
.^letzt, um Mitternacht? Wahrhaftig, mir wird dieser Spass nicht klar! — "
„NichtN für ungut, Herr Caspari, aber daH vertteliu Sie nicht!
HOren Sie wie'ii draiuiaeu poltert, wie'« in allen Lüften ficht,
Wie der Wind pfeift In den Pelien, wie'« in- allen Wipfeln brauit,
OnUU ao wie wenn der Satan »einer Mutter Mutter zaust?"
I) Abgetiruckt auf S. J09 von Kiokeli „D\e Ahr" (worüber antcn NäheroK)«
■) Nocb heat« ifiebt» io A. „Hölel Canpari".
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Job<tnua) Kinkel. ai
„S'ist heut Abend Polterabend, den» der grosse Altenar
Hat ein Bräutchen aufgestöbert — ach das wird ein hübsches Paar!
Morgen heisst sie Altenärinn, heut noch Fräulein Teufelslei;
Jetzo bringen wir ein Ständchen für die treuverliebten Zwei!"
„Aber wo denn?" fragt Caspari; — „Wo's am besten wiederhallt,
Dort im düstern Felsendurchbruch, dran die Ahr vorliberwallt !
Fackeln her für unsre Füchse! nur den Wein trägt das Quartett!
Jetzo Marsch!" — Caspari lächelt: „Ich geh' auch noch nicht zu Bett!" —
Draussen — wie zu einer Hochzeit hat die klare Frühlingsnacht
Rings umkränzt die Felsen alle hell mit ew'ger Sterne Pracht.
Seligfroh im Festessturmschritt eilt die Schaar zum Felsengang;
Ua bricht wie mit Donnertosen los der jubelnde Gesang.
Dann getrunken, dann gerufen: „Altenahr, hoch! dreimal hoch!
Teufelslei, sie möge leben hoch! und dreimal höher noch!" —
„Ja, die ganze Eiffel lebe!" schreit ein guter Trierer drein —
„Und der Wester wald!" ein andrer, und ein dritter: „Hoch der Rhein!" —
„Und der Harz!" und„Hoch dieAlpen!" — „undThüringens Waldesnacht!" —
,^ein, der grossen Mutter Aller sei ein feurig Hoch gebracht!" —
Ha wie dröhnt es durch die Nacht von Felsenwand zu Felsen wand! —
„Auf! die Fackeln hoch! stimmt an: Was ist des Deutschen Vaterland?" —
Wie sie aus den Felsen traten, — schöner glänzt der Sterne Chor,
Süsser duften alle Wiesen — „Schwebt um uns ein Zauberflor?"
Nein, es ist die Macht des Liedes, das vom Vaterlande singt
Und verborgne Lieb' im Busen still zu seligem Blühen bringt.
Werft die Fackeln hier zusammen, wo die duftigen Sträucher blüh'n !
So vergehn die Jugendtage, wie die Flammen hier verglühn —
Doch die Jugend, sie ist unser und sie bleibt uns frisch und neu.
Unser sind die heiligen Sterne: Vaterland und Lieb' und Treu'.')
Da hast Du's, es gehört Dein. Zerreiss' es, andre es,
druck's ah, — wie Du willst. Meinen Namen fass wo-
möglich weg. Ach was sollt ihr für schöne Briefe kriegen,
wenn ihr mir bald schreibt! — Ich will auch wieder Ge-
dichte machen. Wenn's nicht so spät geworden war mit
diesem Ahrgedicht, so hätte ich wohl noch mehr Ahrlieder
machen können. Melde mir, ob's noch Zeit ist, aber richte
Dich im Druck nicht danach, da ich gar nichts ver-
sprechen kann.
') Die zwei ltt/.ten Zeilen sind später geändert (s. uuten Br. 1 7).
A^ Rudolf Meyer-Kraemer.
Nun Addio, herzlieber Urmau. Ich sehne mich bitterlich
nach Euch und gehe alle 2 Tage auf die Post, um nach
Briefen poste restante zu fragen, obschon ich zum Voraus
weiss, dass ich nichts vorfinde. Addio, Dich küsst Dein
getreuer ^^ .
^ • Jljminus.
*
Von Willibald Beyschlag war oben bereits in der Ein-
leitung (S. 3) sowie in Brief 6 die Rede, wozu nochmals
auf Trog (S. 39— 42) verwiesen sei. Es hiesse wohl die
Pietät gegen sein verdientes Andenken — allö in dem
folgenden theologischen Aktenstück Genannten sind ja längst
tot — zu weit ti-eiben, wollte man etwa den Anfangsteil
dieses Briefes, um gewisser peinlicher Rekriminatiouen der
Freundesliebe willen, dem Abdruck entziehen. Zwar ver-
langt Bdrckhardt selbst dessen Vernichtung im Anfang des
nächsten Briefes, verbessert sich dann aber: denen, die ihn
dennoch geles'.m, solle nun auch seine „Abbitte" mitgeteilt
werden. Später übrigens (Br. 30) kehrt er im wesentlichen
zu seinem ersten Urteil zurück. Es kündet sich eben
schon hier, was Trog (S. 161/162) als bezeichnend für
den gereiften Mann hervorhebt: ,.ge8chlossne religiöse An-
schauung'' schätzte er weit höher ein als „eine hinkende,
rationalisierende'^.
A.Wolters war seit Ostern 1843, von Bonn nach Berlin
übergesiedelt, bei Beyschlag gleichsam an Burckhardts Stelle
getreten. Dieser Wechsel in seiner Umgebung blieb auf den
leicht bestimmbaren „Balder'^ ') wohl nicht ohne Einfluss:
er hört© jetzt allerlei Gerücht über Kinkel's wachsende Zweifel-
sucht — und ward besorgt. Während er noch zu Weih-
nachten (in dem Postskript eines Burckhardt'scheu Briefes)
Kinkel in alter Liobo „geküssf* hatte, trat jet^ct der asketisch-
kritische Zug Huines Wesens scharf hervor, der ihn nach
einom andorn Stundpunkt in christlichen Dingen hinwies.
So mnsste donn Kinkel, während er — nicht ohne den Einduss
Jobaona'«, der fünf Jahr älteren, eben Convertierten —
') Seiuc Haiidtchrifl im M. K. /cicl :iii»Ke«prochrn weiblichen '/.»g;
•ein Ueltcrname »ellMil (ibm von AofiinK im im M. K. ei|;eii) int am Knde
nicht blo«» ScIiliiKiitchnörlcel ncinct Vornamen«, »ondern tollle vielleicht an
dm liebten Odiiusobn, drn AnenlieblipK, erinnern.
i
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 4^
alimählich „auf gewaltiger Strömung, von Kant bis Feuer-
bach, hinaustrieb in den Pantheismus" ') und während er
seinen ^Traum im Spessart" schrieb, sich den Vorwurf
machen lassen, dass er nicht verstehe, sich dank den Ge-
heimnissen der „neueren Philosophie" von der Negation
doch wieder zum Glauben hinüberzuretten. Auf die „un-
glückseligen Briefe voll Insolenz", zu denen sich Balder
mit Wolters und Torstrick zusammengetan, erfolgte eine
energische Abwehr seitens des Angegriffenen — und der
Bruch war da.
Burckhardt konnte, wenn er erst beide Teile vernommen
hatt«, wohl unparteiisch urteilen; er hatte der Theologie,
mit der 1837 in Basel freilich sein Studium begonnen hatte,
bald für immer entsagt.
12. Paris, 20. August 1843.
Lieber, lieber Doctor!
Eure Briefe haben mich unendlich gefreut! Wie man
solchen Trostes in Paris bedarf, glaubst Du gar nicht. Ach
wie herzlos ist diess Nest und diess Volk ! Lärm machen und
Lärm geniessen wollen sie, weiter nichts.
Nun zu der Geschichte mit Balder. Der Teufel des
philosophischen Hochmuths ist einer von den bösen, das
weiss ich schon lange und zwar, ich kann es getrost sagen,
nicht aus eigner Erfahrung. Da hat nun der verrückte
Balder ein wenig Schellingianismus geathmet (nicht viel,
das weiss ich) und denkt nun mit diesem Laudanum durch
die Theologie ohne weitren Steuermann durchzuschiffen.
Nun giebt es aber keinen Fanatismus wie den eines Systems,
denn der ist gepaart mit Mitleid gegen alle die, so draussen
stehen. Ich habe unter solchen Menschen gelitten und es
mit erlebt, wie dieser Fanatismus in's tägliche Leben eingriff
und ein persönliches Verhältnis nach dem andern zerstörte.
Da heisst es dann ganz kurz: diess und diess habe ich auf
diesem und diesem Wege gewonnen, thust du nun nicht
ebendasselbe, so bist du mir nicht mehr geistig ebenbürtig und
unsre Freundschaft hat ein EInde. Als ob der Mensch mit
') Die« der Ausdruck »eines eignen Tagebucben.
a() Rudolf Meyer-Kraemer.
seiner Persönlichkeit und deren inneren Bedingungen
nicht ebensoviel werth wäre als alle Erkenntniss! —
Dem Balder hätte ich es aber am wenigsten zugetraut!
Ich glaubte, er liebe Dich nicht nur als seinen Lehrer, als
den Ersten, der seine Erkenntniss von den Banden der
Kindheit und des Vorurtheils befreite; ich. dachte er hänge
auch an Deiner Person. Ich hielt ihn für stärker, und
dachte, er wäre fähig, in seinem Innern Dein Bild aufrecht
zu halten gegen all den kalten Wind Berlins. Ich hielt es
nach seinem letzten Briefe an mich für möglich, dass er Dir
theologisch hart zusetzte wegen Ansichten u. dgl. Dingen,
die ich nicht mehr verstehe; aber dass er Dich als Dichter,
als Menschen hat herunterreissen wollen, das ist zu arg.
Jetzt, da ihm die klugen und grossen Berliner Theologen
„die Augen geöffnef* haben, wurmt es ihm wohl, dass Du
ihm bisher imponiertest. Lieber, theurer Gottfried, ich danke
dem Himmel, dass ich theologisch mit keiner Seele mehr
(ausg. die Baseler Pietisten') was zu thun habe, und dass
unsere Freundschaft auf freier, unwandelbarer Grundlage,
auf Persönlichkeit ruht.
Ich dachte anfangs: Du seiest zu rasch gegangen, und
ich könne vielleicht vermitteln. Aber das wird wohl kaum
möglich sein. Ich errathe deutlich genug, dass Balder damit
auch mich excludiert. Jetzt endlich verstehe ich seinen
letzten Brief, worin er soviel von möglicher künftiger Ent-
wicklung und Entzweiung zwischen den jetzt befreundeten
munkelt; — und wie harmlos hatte ich ihm darauf ge-
antwortet! — Es thut mir in der Seele leid um ihn,
obflchon eigentlich immer eine Kluft zwischen uns bestanden
hatte, die ich immer fühlte, er nicht immer. Auf Menschen
wie Hermann Schauenburg und Du sind, baae ich kühn,
weil ich weiss, dass viel Persönlichkeit in Euch steckt und
Ihr mir wohl wollt; Haiders Persönlichkeit dagegen habe
ich immer für dünn und durchsichtig gehalten. Er ist
saerat Gebildeter, danu Theolog und Philosoph, und dann
kommt noch ein furchtsames Bischen Mensch. Dartim lialx^
ich nie recht aaf ihn gebaut, obschon er Anfangs auf seine
Manier für mich begeistert sn sein schien. Mich macht
*) Wohl vtrmögt der Stellung Meinet Vateri, de« AotUtei B.
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^j
sichts so bange, als wenn jemand am Anfang ein^r Be-
kanntschaft sehr für mich enthusiasmiert ist, weil ich die
Enttäuschung schon vor der Thür warten sehe. Das ist
denn auch bei Balder schon früher erfolgt als er mir gern
hat sagen wollen. Da lobe ich mir Torstrick, der meine
Unphilosophie gleich in ihrer ganzen Entsetzlichkeit kennen
lernte, sich aber aus Freundschaft für mich zu dem merk-
würdigen Rothwelsch bequemte, welches halb aus Realismus,
halb aus Philosophie bestand und uns beiden viel Spass
machte. Er sprach so unmittelbar als er konnte, ich so
abstract als mir möglich war, und die uns zuhörten, sagten:
Seht, die Kerls verstehn einander! — Ueberhaupt ist mit
Torstrick nicht nur sehr gut auszukommen, wenn er einen
gern hat, sondern man findet unter einer weit rauheren
Hülle als die Haiders ist, ein warmes, treues Herz, das
keinen philosophischen — leider aber einen politisch-socialen
Fanatismus leistet, der freilich nicht so schlimm ist wie
der philosophische, weil er nicht egoistisch ist.
Sieh mal, Balder ist von Philosophie berauscht und
hat dazu noch in diesen Dingen was man einen schlimmen
Suff nennt. Könnte ich mich in Philosophie berauschen —
setze den unmöglichen Fall — so würde ich kraft meines
vortrefflichen Naturells einen guten Suff haben; und wenn
Du mich Nachts durch die Poppeisdörfer Allee schlepptest,
so würde ich Dir um den Hals fallen und Dich mit meiner
Philosophie vermitteln wollen. Am Ende wärst Du aber
doch geplagt mit mir und würdest bei Dir selbst sagen:
„Ich weiss wahrhaftig nicht, was schlimmer ist, ein guter
oder ein böser Suff in Philosophie! Wären wir nur schon in
Poppeisdorf, da will ich den Kerl oben in die Kammer legen,
da kann er ausschlafen und Teufel malen i"^ — Nicht wahr? —
Wie blöde ist das: „Wenn ein jüngrer Docent nach
Bonn käme, der die neuere Philosophie durchgemacht hätte,
der würde Dich in Jahresfrist todtlesen, und solche Leute
wüsste Er — Balderchen — in Berlin schon zu finden." —
Fürs erste existiert ja ein solcher Käfer schon in Bonn und
zwar in Gestalt des D«" Hasse (!) '); zweitens gieb wohl acht
•) Leo H., der das erste Jahr zum M. K. beitrug, dann aber an Kinkel
irre wurde und austrat; ihm sang K. das Gedicht nach: „Der Welt Trotz!"
^8 Rudolf Meyer-Kraemer.
auf das Wort ^durcligemaclit^ ; Balder will sagen: „durch-
gemacht und deshalb doch noch seinen Glauben behalten
hat." Er spricht von den wissenschaftlichen Pektoral-
theologen '), von den annoch frommen Leuten, welche
durch alle Systeme Spiessruthen geloffen haben; aber man
weiss doch jetzt wirklich, was an diesen Leuten ist! Dass
68 Balder ignoriert, finde ich etwas stark. Wie pflegte
er sich über Nitzsch") zu mocquieren, wenn von dessen
Amalgani aus Speculation und Glauben die Rede war. Das
ist nun Alles bei ihm Weisheit von heute! Der Junge
ist sehr rasch zur Praxis übergegangen! Weiss Gott! —
Ach das wäre schön gewesen, wenn Du ihm ganz kalt
und sicher geantwortet hättest: theologische Vorwürfe zu
machen komme ilim deshalb nicht zu, weil das eins der
schwierigsten und spätesten Probleme der Pastoraltheologie
sei, deren Behandlung erst im letzten Semester an der Stelle
zu sein pflege. Mit so etwas kann man Balder confus
machen. Doch er ist wohl schon confus genug! — Er ist
ein schöner Stern, lasst jhn im Dunkeln funkeln und
munkeln etc. etc. — Aber ich begreife wohl, dass es Dir
im ersten Moment nicht ums Spassen war, so wenig wie
mir. Ich habe seitdem — Gott verzeih mirs — in Gedanken
ebenfalls mit Balder abgerechnet und gefunden, dass ich
mit keiner Lebensader an ihm hänge. Ich muss jetzt
auch auf einen Bruch mit ihm gefasst sein. Den Wolters
begreife ich nicht*); er hat Dich kaum gekannt, und macht
Dir Vorwürfe? So was fasse ich nicht. Bei Balder ist es
anders; der erschrickt, weil er eine Solidarität mit Dir
fürchtet Basta von dieser Geschichte. Doch noch eins:
Was Dir Balder aus meinem Briefe an ihn mittheilt, ist
heillos entstellt und ich werde ihn ersuchen. Dir diesen
fragliühen Brief im Original zuzusenden. Bin ich denn ein
■olcber E^el, dasi ich Deine Hinneigung zu dem was die
Theologen Negation tanfen, äusseren Gründen zuschreiben
würde! Trane mir uins Himmelswillen nicht so eine elend"
') NModcr't Schule.
*) K«rl ImmMiuel N., Haupt Vorkämpfer der MVermitllutiKktheologie",
btldd« mit Sack ood Ble«k dM DreigMiirn der Fakultüt xu Bonn.
'; B. lernt« Ihn iplter genauer kennen und beurteilen, «. Brier 30, .{j, 37.
«
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (uud Jobanua) Kinkel. ^q
gutgemeinte Auffassung Deines "Wesens zu! Nur das Eine
nicht! —
Was soll ich Dir von Paris schreiben? Ich lebe nun
seit dritthalb Monaten still in Gott vergnügt vor mich hin
d. h. bin zuweilen geplagt und müde wie ein Hund, vor
lauter Scrupel die Zeit gut zu benutzen. Auf der Bibliothek
grossen Respeckt (sie) gehabt vorm menschlichen Wissen —
im Louvre rumgeloffen wie ein verlorner Mops — in Theatern
wenig geklatscht um nicht mit den Claqueurs verwechselt
zu werden — auf dem Boulevard mich zuweilen interessant
gemacht — überall nobbel und leider nicht viel auf das
Geld gesehen. Ach Himmel welch Heidengeld verthut man
in Paris! Aber man amüsiert sich auch, wenigstens die
ersten drei Wochen. —
Du fragst mich, ob ich über Bonn zurückkehre? —
Es ist höchst unwahrscheinlich, weil mein Geld wohl
kaum reichen würde, und noch mehr, weil ich nach einem
Besuche bei Euch die Heimkehr doppelt scheue. Du
verstehst mich wohl, ich kann nicht dafür, dass Gott Basel
so und so geschaffen hat. Komme ich, so ists doch nur
für 2 — 3 Tage, da ich in diesem Fall den Eduard Schauenburg
besuchen muss, während die Meinigen Tage und Stunden
zählen. Der Verstand sagt: geh nicht nach Bonn, aber im
Geheimen reisst es mich doch zu Euch, das weiss der
Himmel. Rheims und Metz besuche ich jedenfalls und wie
nahe ist es von Metz nach Coblenz! Bloss drei Tage, wenn
ich einen Tag auf Trier rechne. Richtet Euch um Gottes-
willen nicht nach mir, denn es ist nicht wahrscheinlich,
dass ich komme.
Gott weiss, ich käme gern! Andreas hat sich auf-
gegeben, wie er mir schreibt! Lass mich um Gottes-
willen wissen, was hieran ist! Der Junge macht sich oft
Grillen, das weiss ich; aber diesmal erschreckt er mich! —
Ich möchte ihn so gerne sehen. — Ach, wir alle zusammen
haben uns noch lange nicht ausgesprochen ; es wäre noch
so viel zu erörtern, dass ich am besten mein Lebenlang in
Bonn bleiben sollte oder mit Euch ziehen, wohin ilir zöget.
In Basel wartet meiner ein Leben voll Zurückhaltung und
Höflichkeit; keinem Menschen darf ich völlig trauen; mit
4
Rudolf Mever- Kraemer.
keinem ist geistiger Umgang ohne Rückhalt zu pflegen.
Die paar Privatdozenten sind vornehme junge Herren aus
der Stadt, denen ich im Leben nie die Avancen machen
würde, denn wie lächerlich und ausgebreitet der Baseler
Geldstolz ist, davon hast Du keinen Begriff, magst Du auch
noch 80 viel erlebt und beobachtet haben. Einige Ordinarii
sind mir wohlgesinnt, aber welche Kluft einen Ordinarius
von einem Privatdozenten trennt, weisst Du am besten, und
dann muss ich z. B. Wackernagel ') schonen wie ein Kind,
weil er ein eigensinniger Pietist geworden ist, wie mir
Hoffmann von Fallersleben sagte. Am Ende bleibt mir nur
mein alter Freund Picchioni, ehemaliger Carbonaro und
Ingenieur in der Lombardie; eine edle, bedeutende Persön-
lichkeit, jung und muthwillig bei HO Jahren, trotz der aller-
bittersten und furchtbarsten Schicksale. Der ist nun zwar
kein Gelehrter, hat aber unser Jahrhundert mit vollen Zügen
durchgelebt und weiss von der Eitelkeit menschlicher Dinge
ein langes Lied zu singen. Er ist Professor extraord. und
steht mit aller Welt gut.*)
Ein Germane, dessen Jugondtäuschungen zu Grunde
gegangen sind, wird leicht mürrisch und unleidlich; der
Bomane wird in solchem Fall erst recht liebenswürdig;
Letzteres habe ich hier zur Genüge beobachten können ; die
jangen Franzosen, welche an der jämmerlichen politischen
Zersetzung und dem socialen Wirrwarr Frankreichs so oder
so Theil nehmen, sind stürmisch, grob, schlimm gelaunt,
während es nichts angenehmeres giebt, als einen alten
Franzosen, der sich vom Convent, vom Directorium, vom
Coosulat, vom Kaiserreich, von der Restauration und von
der Julirovolution hat satt täuschen und enttäuschen lassen.
Da beginnt dann der schöne, liebreiche AUerweltshuraor,
der auch die jungen hinreisst.
Auf den Scbnaase') bin ich doch höchst begierig.
Kugler ist froh wie ein Kind, dass das Work ihm dedioiert
*) Wilb. W., der Gemumitt, bei dem B. früher deutache Literatur
gdi5rt hatte.
•) k. H.Trog, S. 10$. 114. Ibm iit die „Kultur der Kenaiuanre"
gewidmet.
*) Seine „Getcfa. der biid. KÜDtte" begano 1843 io Düiieldorf tu
ertcbeineo.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johauna) Kinkel. ej
ist. Ach welch schönen Brief habe ich von Kugler be-
kommen! Er trägt mir SmoUis an! — Das ist nun auch
ein Verhältniss, wie es selten einem hergelaufenen Studenten
zu Theil wird. Er hat mich immer geschont und mir doch
immer die Wahrheit gesagt (z. B. über meine Gedichte),
und nun giebt er mir von freien Stücken ein Zeichen der
Freundschaft, das bei seiner schweigsamen, scheinbar kalten
Natur so unendlich viel sagen will! — Und was habe ich
ihm bisher leisten können? —
Ach Gott, meine Poesie ist völlig eingetrocknet! —
Die ewige Aufregung, die man in Paris fühlt, consumirt
tagtäglich das bischen Sammlung, das man sich erübrigen
könnte. Und Eure schönen Mawbriefe, wie soll ich die
beantworten? So mutterseelallein hat man gar keinen
Humor, das weiss der Himmel. Denn dass ich unterweilen
mitten auf der Strasse über die 100000000000 Pariser Narr-
heiten laut auflachen muss, ist noch kein Humor und dass
ich bisweilen den Boden unter meinen Füssen zittern fühle,
z. B. in Notre Dame oder in den Tuilerien, ist noch keine
Poesie. Wie es mit der Concurrenz wird, weiss ich nicht.
Ich wollte ich hätt Deine Kunstgeschichte ') mit an-
hören können! Du schreibst mir ganz naiv: Du dächtest
wohl auch einiges Neue gefunden zu haben. Teufel auch!
Daran zweifle ich a priori nicht, und glaube, ich hätte was
Merkliches lernen können, denn meine kunsthistorischen
Studien sind doch gar zu principlos und bequem vor sich
gegangen.
Die spanische Geschichte*) ist empörend und beweist,
wie infernal die Politik des frommen Guizot ist und bleiben
wird. Man muss freilich auch die berstende Fieberwuth
der Franzosen über die Nichtigkeit ihrer auswärt. Politik
kennen! Das Ministerium musste, sagt man, eine glänzende
Demonstration zu Gunsten des französischen Einflusses
wagen. Lieber Freund, glaube nur in Deinem Leben nie
an die Loyalität der auswärt. Politik Frankreichs, denn
') Dies Kolleg war 43 uud 44 das besuchteste in Bonn.
*) Am 30. Juli hatte sich der Regent von Spanien, General Espartero,
nach England einschiffen müssen. — Im Jahrg. 1844 des M. K. begegnet eine
Titelvignette (gezeichnet von A. Simons): „Isabella, Espartero, Olozaga, Masken
a. d. tpan. Caroarilla."
52
Rudolf Meyer- KLraemer.
gegen das Ausland hat dieselbe immer Recht, mag sie
auch das Allerscheusslichste thun. Die Franzosen glauben
nämlich noch immer ein Besitzrecht auf Europa und
andere Länder zu haben und betrachten alle Infamien
ihrer Ministerien gegen das Ausland als eine notwendige
^Reparation d'honneur" von wegen 181B. Die Idee, dass
das Rheinland von Gottes und Rechtswegen Frankreich
gehöre, ist hier noch immer ganz allgemein; ich antworte
darauf nur noch mit höflichem Hohn, weil jeder Vernunft-
grand, den ich vorbrachte, an der Borniertheit dieses Volkes
scheiterte. — Ueberhaupt geht der französische Hochmuth
auch über die überspannteste Möglichkeit des National-
stolzes hinaus und ich fange an, eine theilweise fieberhafte
Verrücktheit dieser Nation zu statuieren, welche durch die
furchtbare Aufregung der letzten 50 Jahre leicht zu erklären
ist. Ich bin überzeugt, dass diese Zeit einen unheilbaren,
zehrenden Schaden im Busen dieses edlen, grossartig an-
gelegten Volkes zurückgelassen hat. Man brandschatzt und
verwüstet Europa nicht umsonst. Auch solltet ihr diese
politische Abspannung sehen, die mit all dem Zorn ver-
bunden ist! man schäumt noch, aber man ist erschöpft und
die Regierung kann reineweg machen was sie will. Die
Kammersitzungen werden laut verhöhnt, auch in Betreff
der linken Seite; alles Vertrauen zu den republican. Formen
der Julydynastie und zu den Constitutionen ist verschwunden.
Ich habe auf dem Theater Folgendes laut applaudieren sehen :
1. eine bittere, höchst lebhafte und gute Satyre auf die
Republik um das Jahr 1799; 2. Einen unsäglichen Hohn
ganz aristokratischer Art über die Epiciers und Epiciers-
weibor, die sich am jetzigen Hofe linkisch benehmen; 3. zahl-
lose and fast in jedem Stück mit Haaren herbeigezogene
AnsptelaDgen anf die Nichtigkeit der constitutionellen
Formen. — Bo geht's.
Hingegen kannst Da endlich mit Recht fragen: Was
tbot denn der Schlingel eigentlich in Paris? — Antwort,
der Schlingel ist jeden Werktag drei Stunden auf der königl.
Bibliothek and excerpiert alles mögliche; 6 Wochen lang
hat der Schlingel italienische Handschriften über die Schweiz
(des ond andrer Schlingel Vaterland) vorgehabt; seit Ende
I
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Jobaona) Kinkel. ^j
July aber hat er begonnen, die Geschichte vom Zug der
Arinagnaken nach der Schweiz im J. 1444 zu erforschen.
Nächstes Jahr nämlich giebt Basel ein grosses Schützenfest*);
es sind dann grade 400 Jahre seitdem die Armagnaken sich
in der Nähe der Stadt bei S. Jacob geschlagen haben. Johann
V. Müller hat das Ding zum letztenmal aus den Quellen
erzählt, und zwar etwas bombastisch und mangelhaft. Der
Schlingel aber nimmt jetzt in Paris die Urkunden und
Handschriften durch und findet, dass die Sache ganz anders
sich zugetragen hat als Müller meint; er bereitet sich nun
vor zu einer Gelegenheitsschrift über diesen Gegenstand für
das Fest. Das muss aber mit Handschuhen angefasst werden,
wenn der beleidigte Nationalstolz nicht sehr bösartig werden
und dem Schlingel übel lohnen soll, besonders bei dessen
Debüt in der Schweiz.*)
Sodann hat der Schlingel täglich l'/a — 2 Stunden Louvre
und eine Stunde Lesecabinet. Der Rest geht drauf mit
Briefschreiben, Herumlaufen, Kirchen besehen. Kaffeehäuser
sitzen, Theatergehen, Lesen und dergl. Kurz, er hat genug
zu thun, — zumal da die Herrlichkeit ihrem Ende ent-
gegeneilt. Den 10. Sept. will ich abreisen, und von Anfangs
October an ist meine Adresse: Basel, pr. Adr.: Antistes B.
Paris, 21. August 1843.
Liebe Direktrix!
Verzeihen Sie diesen mechanten Fetzen Papier, auf
dem ich an Sie zu schreiben anfange; mein sonstiges Post-
papier ist mir leider heute ausgegangen. Verzeihen Sie aber
noch mehr den ungeweihten Augenblick! Nämlich soeben
beginnt eine Chorprobe mir gegenüber in der italienischen
Oper, von irgend einem Donizettischen Schauersal, das auf
nächsten 1. October eingeübt wird. Ich lege als Gegengift
einige Glucksche Arien, die ich jüngst ertrödelte, neben
mich auf den Tisch.
Ueber den Balder habe ich mein Gutachten dem Urmau
geschrieben, der Ihnen meinen langen Brief nach Tische
vorlesen mag, nach Art eines guten Hausvaters, Gedichte
*) Weiter uotea, in Er. 2i, ist davon ausfiibrlicber die Rede.
*) Tgl. Trog, S. 44—48.
r^. Rudolf Meyer-Kraemer.
leiste ich gar nicht mehr; auch erhalten Sie hiemit nur ein
vielleicht sehr wenig interessantes Geschreibe über Murillo^),
das mir jetzt unleidlich vorkommt, und das ich Ihnen nur
sende, weil die von Ihnen bezeichneten Mawblätter heiliges,
unantastbares Gut sind. Eins davon behalte ich noch, für
spätere Zeiten.
Ach wenn Sie Paris sehen könnten! Ich glaube, diese
Stadt ist für eine Dame noch interessanter als für einen
Mann, weil so alles mit Mode und Eleganz durchdrungen
ist, wofür ich so wenig Sinn habe. Ich roher Scythe streife
an den schönsten Modeladen kalt vorüber, der schönste
Cachmirshawl, das kokettste Häubchen, der zierlichste Schuh
lassen mich ungerührt. Mein armer Kopf ist trotz aller
Reflexion nicht im Stande, Nachmittags im Taileriengarten
die Toiletten mehr zu bewundern als in Deutschland, da
ich nicht genug bedenke, dass von hier aus das Costüm
der Welt beherrscht wird. Mich Bücherwurm beseelt dabei
immer nur der Gedanke: in einem Monate sind diese Moden
alle historisch d. h. vorüber, passiert, und ich brauche nur
1000 Schritte weiter zu gehen, so bin ich im Louvre und
sehe die unendlich schönren Moden der Damen van Dyck's! —
(Lassen Sie mich in Gottes Namen fortplaudern, ich bin
im Zug.) Aber im Tlieater, d. h. auf der Szene sieht man
wirklich reizende Toiletten. Sie sollten sehen, mit welcher
Coquetterie ein Hirtenmädchen im Genre des vorigen
Jahrhunderts ausstaffiert ist! — Unsre deutschen Theater-
princessen sind meist furchtbar aufgetakelt im Vergleich.
Mao moss freilich auch wissen, dass Leute wie Dumas und
Victor Hugo sich hier dazu verstehen, ihron Darstellern
und Darstellerinnen auch die Farbe eines Schuhbandes oder
die Zahl der Falten einer Schürze anzugoben. Und wie
b<»rechncn diese Französinnen! Ich glaube dioss Volk lebt
▼OD Leidenschaft und Intriguen. Ich habe unlängst bei
einem eiemlich* zwnidnutigon Dali in den Champs t^lys^es
einer Dame nachgezählt; sin ermuthigte sechs Anbeter
BQgleicb, tage sechs. NB. Es war eine scheinbar Hchr
') DicMr umfanitreicbe, iicbonc AufMiK, Anfallt; Aii|;. ({eichriebcii, bildet
die ScbliMftnamro«r de« M. K. 43, nU „Kunit»tadi(!ii im I^tivre" ; duriibcr
ein« «igeobändige Vignttl« B't ^\t grand etcalier du Louvre".
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ec
anständige Dame. Auch ist hier Jedermann unter dem
Pantoffel; die Frau führt in wirklichem wie in figürlichem
Sinne das Hauptbuch. Summa: Deutsche Frauen begeistern,
Französinnen fangen die Männer. Doch genug davon; diess
Kapitel ist zu lang und zu interessant.
23. August.
Bei reiferm Nachdenken finde ich den Aufsatz über
Murillo nicht eines speziellen Porto's werth und werde
Ihnen selbigen wohl erst dereinst von Basel aus senden. —
Gestern sah ich im Theätre des Varietes u. a. eine Zauber-
posse, worin der Regierung Folgendes aufgetischt wurde:
Der Teufel sitzt im Kreise „vieler kleiner Teufelein", deren
Einer sich erkühnt hat, ihm zu widersprechen.
Teufel: Bref, je n'aime pas les raisonneurs, taisez-vous!
Unterteufel: Mais alors vous etes un despote, un tyran! —
Teufel: 0 qua non! je regne par les lois (laute Bravo's
und Gelächter). — Dergleichen hört man hier auf dem
Theater sehr oft und das Gouvernement hat das Unglück
und die Klugheit, sich möglichst viel gefallen zu lassen.
Ich habe von neuem dran denken müssen, was man für
eine herrliche, politische Comödie mit solchem Zauberspuk
und Verwandlungen zurechtmachen könnte ! — O wenn die
Theatercensur auch nur eine Woche fortwäre! Denken Sie,
der Eichkater') und die Frommen in Berlin! Der König
von Bayern ! Die Geschichten in Kurhessen ! Der ver . . . . te
Darmstädter Hof! Was liesse sich da nicht für Ulk auf-
stellen! Die Theater sollten eine bessere Einnahme machen
als mit der Medea von Euripides und Taubert*). A propos,
das möchte ich doch auch gerne wissen, wie sich der elegante,
moderne Taubert mit den Chören der Medea geholfen hat,
denselben Chören, die sich Felix Mendelssohn") als ganz
uncomponierbar verbeten hatte! —
Ich habe hier ein Lustspielchen angefangen und wieder
liegen lassen. Gedichte schreibe ich hier nicht mehr; es
') Minister Eichhorn im Jargon des M. K.
*) Hofkapellmeister in Berlin. ,
•) Dieser zeichnete Johauna's Können durch Hochschätzung und Em-
pfehlungeo aus.
^6 Rudolf Meyer-Kraemer.
fehlt doch gar zu sehr die-Euhe und ich inuss hier über-
haupt mehr lernen als produzieren. Darin ist aber auch
Paris einzig; man lernt hier mit jedem Atemzug wider
Wissen und Willen. —
Ferner habe ich allerlei Pläne, wie immer. So denke
ich z. B. an ein Drama: Salomo. wozu mir das bei Ihnen
im blauen Stübchen geübte Oratorium die Idee gegeben hat.
Das Hauptmotiv wäre die Königinn von Saba, welche den
Salomo wie ein glänzendes Irrlicht verlockt und dann
plötzlich verlässt; mit wahnsinnigem Schmerz giebt sich
dann der König den Göttern Syriens hin. — Doch es wird
nichts daraus, ich weiss es wohl. In Basel habe ich ent-
setzlich zu arbeiten und doch habe ich jetzt die Erfahrung
gemacht, dass man auch beim emsigsten Arbeiten nicht so
vom poetischen Producieren abkömmt wie bei dieser heil-
losen Zerstreuung, deren Inbegriff man Paris nennt. Und
doch kann ich nicht anders, wenn ich hier was lernen will.
Man muss hier in einer und derselben Stunde einem Posaen-
reisser und Wahrsager zusehen, die Asphaltpflasterung be-
trachten, 100 Laden aller Art angucken, 10 Journale durch-
fliegen, ein paay Gebäude betrachten und einen Gang im
Louvre machen können, und zwar Alles mit Andacht. Be-
sonders die Wahrsager, diseurs de bonne fortune, die immer
zwischen Louvre und Tuilerien stationieren,') machen mir
vielen Spass, obwohl es eigentlich betrübt ist, dass diese
geistreiche Nation in diesen Dingen dem dichtesten Aber-
glauben huldigt. Die Hauptsache ist mir auch nicht die
Wahrsagung, sondern die Possen, die dazwischen erzählt
werden und die Gesichter der Umstehenden, wenn geweis-
sagt wird.
Aaf welchem Punkte die hiesige Musik angelangt ist,
das sei (tott geklagt. Ich hörte unlängst die Dame blanche,
was doch auch eigentlich nicht mehr dem strengen Style
angehört — das klang ganz altertliümlich wie aus einer
andern Welt. In deo neusten Pariser Opern ist das aus den
Italienern Goitohleoe noch das Beste! Alles tlbrigo hat
kaum mehr Sian and Verstand; Harmonie und Satz sind
meiat gerhackt and vorschränkt auf ganz unleidliche Manier
') Er OMg lieb wie weiland Horac (Sat. I, 6, 114) vorKekommen tain.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (uod Johanna) Kinkel. cy
— alles will Neu seio, aber auch weiter nichts. Bellini
und Donizetti haben wenigstens den gesunden Sinn, nicht
pikant sein zu wollen bei innerer Ohnmacht, aber Balfe '),
Isouard*), Halevy und Consorten haben Meyerbeer seine
kostspielige Instrumentation abgeguckt und bringen ihre
nichtswürdigen Motive mit den anspruchsvollsten Künsteleien
zu Tage. Sie sollten so eine Arie aus dem Puits d'amour')
hören mit Oboen und zwei Harfen begleitet! Tant de bruit
(mehr ists auch nicht) pour une Omelette! — Es ist auch
hier eine ganz anerkannte Sache, dass das Schicksal der
französ. Musik vor der Hand von der nächsten Oper
Meyerbeers*) abhängt. Sie denken gewiss: das ist ein
saubrer Trost? —
26. August.
Ich glaube auch im Allgemeinen sagen zu können, dass
die Franzosen ein höchst unmusikalisches Volk sind. In
Deutschland ist Klavierspiel bei den Damen wenigstens
Regel, hier in Paris ist es Ausnahme.^) In Deutschland
hat jedes passable Theater mindestens eine oder 2 gute
Stimmen; hier in der grossen Oper ist ausser Duprez") und
Barroilhet, welche beide in Deutschland mehrfach ihren
Mann finden würden, keine aussergewöhnliche Stimme.
Massol ist ein sehr starker Bariton, singt aber etwa wie
Formes in Kölln, Ueberhaupt steht die grosse Oper an
mittelmässigen Abenden etwa auf der Stufe der Köllner
Oper — : und das ist nun das Institut, welches mit dem
weitberühmten Conservatoire de Paris seit einem Jahr-
hundert in Verbindung steht und alles an sich zieht, was
in der Provinz irgend Glück macht! — Glauben Sie um
Gotteswillen an keine Pariser Renommeen, bevor Sie die
Leute gehört und gesehen haben. Die berühmte Dorus-Gras
*) Engländer, 1808 — 70.
«) Malteser, 1777—1818.
*) Oper Balfe'g, 20. April 43 in der Opera Coroique zuerst und dann
sehr oft aufgeführt (Text von Scribe u. Leuven),
*) Dem lange erwarteten „Prophet".
») H.Heine klagt rerzwcifelnd über das Gegenteil! (Bd. 11, S. 367),
•) Er findet bei Heine (Bd. 11, S. 417/18) keine Gnade,
cg Rudolf Meyer-Kraemer.
siogt etwa wie die Fassmann in 20 Jahren singen wird.
Es giebt in Frankreich ganz gewiss lange nicht so viele
schöne Stimmen wie in Deutschland. — Damm machen
deutsche Sänger und deutsche Musik hier ein solches Glück
— wenn die Journalistik ihnen nicht ganz malitiös aufsitzt.
Die Journalistik und der unsägliche, furchtbare Druck,
den sie hier auf Politik und Gesellschaft ausübt, giebt mir
täglich zu denken. Sie glauben nicht, wie leichtsinnig und
frivol hier diese entsetzliche Waffe gehandhabt wird! —
"Wenn ich nicht im Punkte der Pressfreiheit seit langer
Zeit mit mir eins geworden wäre,') so hätte Paris mich
irre machen können. Der Missbrauch der Presse ist ein
viel grösseres Übel als man glaubt, und keine Tyrannei
ist ärger als die der Zeitungsschreiber. Gesellschaftlich
wirken sie hier besonders zerstörend, weil ihnen die schiefe
französische Auffassung des künstlerischen, literarischen
politischen und militärischen Ruhmes so in die Hände
arbeitet Diess ewige Ausderhandindenmundleben der französ.
Kunst und Literatur ist zum Theil eine Folge der Journalistik;
es wird gar nichts dauerndes mehr geschaffen.
Nun leben Sie wohl, liebe Directrix! Ich denke Ihrer
täglich und meine immer, ich würde mehr lernen, wenn
ich jeden Abend nach Poppeisdorf kommen und Ihnen
fleissig erzählen könnte! Inzwischen erzähle ich Ihnen und
dem Urmau recht fleissig im Geiste und wünsche nur, Sie
könnten die ferne Stimme hören Ihres in Treuen ergebenen
Burckhardt —
(Nachsührift de8 obigen Briefs an Gott fr. K. vom 26. August.)
26. August.
Na, in einer Stande fahre ich noch Rouen ! Zwei Tage
Ferien darf ich mir nach dieser ewigen Hetzerei wohl gönnen.
GMtfe Schöler ') sehr scböo von mir und Seibt') auch; die
*) B. bitte vielleicht die Petition um PreMfreiheit nicht tintcrichrieben,
die von K. — Mchi Tage vor »einer Hochzeit — verftust, von den Bonner
BArgcm an den Verrinigten Ijindleg abgesandt wurde.
*) Mitglieder d«t M. K.; ■. oben meine KiDleitting. Sichtlich war
teiwlgchwi aodi «Im Sandang des M. K. eiogetroßen.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^g
Versbriefe haben mir ganz unendlichen Spass gemacht, be-
sonders eine Stelle von Directrix: Spitzbogen, Mopsbogen,
Randbogen etc. Das ist einer der schönsten Unsinne, die
mir im Leben vorgekommen sind, — Dein Eingang des
romant. Briefes ist mir so angenehm wie eine milde Satyre
auf mich selbsten die Gurgel hinabgegangen. Prächtig ist:
„Geist der Kirche, der geschaffen etc." Davon schick ich
Dir das nächstemal eine Copie, das musst Du besitzen.
[Ich frankiere diesen Brief nicht, weil die grosse Post,
wo man allein nach dem Ausland frankieren kann, gar zu
weit nach der Cite hineinliegt. — Frankiert mir auch nicht,
das ist das Einfachste.')
13. Mainz, 3. Sept. (spät) 1843.
Lieber Doktor !
Ich bin in Frankfurt bei Fresen und Balder gewesen
und heute haben Beide mich in Mainz besucht. Höre mich
au! — Sei nicht unversöhnlich mit Balder! In meinem
Briefe aus Paris habe ich ihm schweres Unrecht gethan,
zerreiss denselben. Deine Äusserung: B. sei zur kirchl.
Partei übergegangen, hatte mich hauptsächl. irre gemacht.
Du hast geirrt; ich habe Balder in kirchl. Dingen gerade
so gefunden, wie er in Berlin war; es hat wirkl. keine
Apostasie Statt gefunden, und mit der Orthodoxie ist B.
so unzufrieden wie jemals. Die unglückseligen Briefe, deren
Insolenz ich nicht in Schutz nehme, sind der wohlmeinende
aber fehlgegriffene Ausdruck von einem nicht bloss theolog.
Entwickelungsstadium Balders; er hat mit einer früheren
Autorität als solcher brechen müssen, um sich freie Bahn
für neue Resultate zu machen. Von Schelling will er
wenig wissen.
Empfange ihn als einen Dir neu geschenkten, vor
Allem als einen selbständig gewordnen, in theolog. Grund-
ansichten ebenbürtigen! Er ist nicht mehr Dein Schüler,
er steht auf einem andern Boden, darum musst Du mit
ihm verhandeln wie Macht zu Macht, auch wenn er 1000 mal
') Diese Worte tind nachträglich gestrichen; Der Poststempel ist : Reuen.
6o Rudolf Meyer-Kraemer.
weniger wüsste und wäre als Du. Mach es mit ihm wie
Du es mit mir gemacht hast — Du verstehst mich schon.
Ich weiss es, dass Ihr nicht nebeneinander in Bonn
existieren könnt, ohne aus einem leidlich frostigen Ver-
hältniss in Liebe oder in Hass überzugehen. Ich und noch
Jemand in Deiner Nähe bitten Dich um das Erstere. Bis
jetzt ist das Geheimnis dieses Streites in wenigen Händen.
Balder wird Dir schreiben; wenn Du mir nach so vieler
Liebe und Treue noch ein Übriges zu Liebe thun willst,
80 antworte ihm versöhnlich und mache dadurch auch mein
Unrecht gut.
Er liebt Dich noch wie immer, glaube mir! — Ich
glaube, er würde so schmerzlich wie Du den Riss fühlen,
der durch eine dauernde Entzweiung in die Bonner Er-
innerungen käme. Ich schreibe diesen Brief ohne Anregung
von seiner Seite, hauptsächl. um meines eignen Unrechtes
willen, als Abbitte, und verlange nur, dass er denjenigen
mitgetheilt werde, welche meinen Brief aus Paris gelesen
haben. —
Sprecht Euch einen einzigen Abend aus und ihr werdet
von Neuem Freunde sein.
Torstrick ist von Deinem Brief heftig erschüttert worden
und hat manchen trüben Tag darüber gehabt. Auch er hat
es gewiss nicht so schlimm gemeint und wenn Deine Sache
mit Balder erledigt ist, so hoffe ich auch hier Versöhnung,
wenn auch weniger zuversichtlich.
Ich sehe jetzt klar in Alles hinein und könnte nun
Alles wenn nicht rechtfertigen, doch entschuldigen und
erklären, die Angriffe wie die Antworten. Drum lass mir
die schöne Hoffnung, dass rocht bald Alles wieder gut
•ein werde! —
Der Direktrix hoffe ick durch diese 2Seilen ein kleines
Artonal von HQlfswaffen für ihre edlen Bemühungen zuzu-
fahren. Ich gebe hier unverküinmert den Eindruck wieder,
den ich von Haider empfangen habe, diese und nicht mehr
noch minder. Grütie Direktrix herzlich von mir! Ach
Gott, ich hab schon wieder Heimweh nach Bonn.
Grüfte Andreas und Wurm.
Briefe Jakob Burckhardts au Gottfried (und Johanna) Kinkel. 5l
Zernichte das erste Blatt meines Briefes aus Paris,
d. h. Alles, wo von Balder die Rede ist; ich
widerrufe das Alles. Andreas soll mit seinem Brief
dasselbe tlmn.
In herzlicher Treue grüsst Euch
Euer Saltimbanque.')
P. S. Ich habe das Alles mit einer längst zerschriebenen
Stahlfeder kratzen müssen.
Von Paris heimreisend, war Burckhardt doch noch —
seiner Sehnsucht (s. Brief 12, Mitte) folgend — kurz in Bonn
eingekehrt, wie Brief 23 (Anfang) beweist; dann aber spann
sich der junge Dr. phil.') in allerlei Vorarbeiten für die
Habilitation und weitere, auch nicht akademische, Betätigung
in Basel ein. (Trog, S. 44 ff.)
14. Basel, 12. Oct. 1843.
Herzlieber Doctor!
Ich bin hier. Meine Familie verspricht mir ein an-
genehmes Leben ; die Aussichten auf Fortkommen aber
stehen höchst zfeibelhaft. Hier ist in meiner Absenz viel
gebaut (darunter auch manches entworffen) worden, sodass
ich Basel kaum mehr kannte.
Der Directrix liege ich andächtig zu Füssen, und denke
nur allzuviel an Euch. Meld mir bald was^ Neues. Hat
Balder Dir geschrieben? Grüss Andreas. Euer herzlich
^^^"^^ Salti mbanque.
*) Dieser Scherzname wurde B. von Kinkels beigelegt und hartnäckig
festgehalten. Zu seiner Erklärung diene die (von B. eingelieferte) Pariser
Anekdote, die wir dem Jahrgang 1843 des M. K. entnehmen. „Ein Halunke
tritt vor. Le juge: Quel est votre metier? Halunke: Je suis sailimbanque.
Le juge: Vous savez tresbien, que ce n'est pas un metier comme il faut ;
cc n'est qu'un pretexte pour la faineantise. Halunke: Oh que si! c'est un
metier comrae un autre, et puisque mon pere ne savait pas faire autre chose
de moi . . . Le juge: Je dis que ce n'est pas un metier! Halunke: Sans
doute, c'est un metier! et vous garantis, nionsieur le juge, <|iie vous ne
l'apprendriez pa« en 24 heures! (Gelächter)."
*) Seit dem ig. Mai promoviert; s. Troi^, S, 37.
02 Rudolf Meyer-Kraemer.
16. Basel, 24. Nov. 1843.
Herzlieber Doctor !
Ich hab' Euch lange warten lassen ; Du weisst aber selber
wohl, was ein Ankömmling in der sog. Vaterstadt alles thun
und beobachten muss, ehe er ruhig an seinem Schreibtisch
sitzt. Auch wollte ich den Eindruck erst unparteiisch ab-
warten, was nun auch geschehen ist und jetzt sage ich aus
voller Ueberzeugung: Basel wird mir ewig unleidlich bleiben.
Ich bleibe hoffentlich kaum 2 Jahre hier — diess unter mir
und Euch, denn meine sog. Landsleute finden, man müsse
sich durchaus hier wohl fühlen und ich würde Verdacht
erwecken, Hesse ich was andres verlauten. Kein Wort wird
verziehen, eine Zwischenträgerei ohne Gleichen vergiftet
Alles. Uebrigens wisse, dass ich nächsten Sommer an der-
jenigen stillen Musick (sie) Theil nehme, die man Lections-
catalog und Universität nennt. Ich kündige sepl. Kunst-
gesch. u. dtsche. Q^sch. an. Ersteres hätte ich gerne noch
bei Dir hören mögen!') Ich sage: ich kündige an. Es sind
nämlich hier nur noch 28, sage achtundzwanzig Studiosen
und von solchen über die Hälfte Stipendiaten. Der Stähelin')
hat gewiss nicht mit der Sprache herauswollen de hoc, als
er bei Dir war! — Nun heisst es natürlich immer lauter:
Hebt den Luxus auf! Und wenn es einmal circa 20 — 15
sein sollten, so wird gewiss die Aufhebung erfolgen, wenig-
stens de facto wird Kaliban einschlummern. Binnen 2 Jahren
kratze ich sicher aus, nach Jena oder sonst wo hin. Wenn
Dur in Bonn nicht jeder Gedanke, anzukommen, Unsinn
wäre! Ihr seid jetzt zu übersetzt, ich würde ohne weitres
scheitern. —
Die Facalt&t ist mir ziemlich gewogen, bes. mein guter
alter Ordinarius Brömmel'), von Goslar gebürtig. Mit den
Deutflehen komm' ich noch am besten aus, halte mich aber
Qborhaupt äusserst zurückgezogen, spreche wenig und sehr
bedächtig (ausg. im Hause) und sehe fast keinen MeDScheo, —
▲llee gegen meine Natur. Meine Politik ist, mit Allen
freundlich zu sein und mit Keinem anzuknüpfen. Keinem
WM zu verdanken. —
t) HMcbMtaiMlig*', •. Trog, S. 4S Ueber KinkeU Kolleg •. Brief 1 2 (Mitte).
*) Hattra i8j7— J9 in Burckbiirdti Lehrern gehört; Trog, S. a, j.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (uud Johanna) Kinkel. 53
Wie 90 eine Stadt versumpft ohne anregende Lebens-
elemente von Aussen! Gelehrte Leute sind da, aber man
hat sich recht gegen die Fremden versteinert. Es ist nicht
gut in unsrer Zeit, wenn solch ein kleiner Winkel ganz
seiner Individualität überlassen bleibt. — Sapienti sat, sonst
hochverrathe ich noch.
26. Nov.
0 lieber Freund, könnt' ich mit Euch leben! — Einst-
weilen lebe ich gar nicht, d. h. ich oxe bloss. Wenn die
ehemaligen Zeitgenossen von mir wüssten, dass ich deshalb
so artig und reserviert mit ihnen bin, weil sie mir allesammt
zum Umgang zu langweilig und philiströs sind — so würde
man mich lästern und anfeinden ohne Unterlass. Ich lasse aber
nichts merken. Ja, es ist wahr, Deutschland hat mich verzogen,
indem es mir den Umgang mit den Besten darbot, und deshalb
m u s s ich hier mich verlassen fühlen — aber ich will es
gerne, denn ich habe Erinnerungen, die für Alles Trost geben.
Wir haben hier eine Fa9on Opposition, aber es sind
eben auch Philister, nur anders gefärbt als die Andern, und
hie und da maliziös, so dass ich mich mit diesen nicht
einlassen mag. In Bez. auf Politik muss ich vollends an
mich halten, weil ich alle Parteien verachte, denn ich kenne
sie alle und stecke in keiner. Einstweilen oxe ich für
nächsten Sommer an einem Colieg deutsche Gesch. und
beginne daneben den Ulk über Altalemannien.') Wovon
ich leben soll ist noch nicht klar; einstweilen hat mir Kugler
die Neuredaktion der Kunstartikel fürs Brockhaus'sche Conv.
Lex. 9*® Aufl. zugewandt, wobei sehr schön bezahlt wird.
Litera E ist schon seit 10 Tagen umgearbeitet und nach
Leipzig versandt. A — D hatte Kugler gearbeitet; es wurde
ihm aber zu lästig, weil er sonst viel zu thun hat, und so
wies er Brockhaus an mich. Würde ich nach und nach
Correspondent auch für anderes, etwa für die Leipz. Zeitung,
80 hätte ich sorgenfreie Existenz. Nu, wir wollen sehen. —
Ich denke immerfort nur an Deutschland, besonders aber
an Dich und an Hermann Seh.*) Neben Euch ist mir alles
was mich hier umgiebt, reiner Bettel. Ich arbeite um zu
') Vgl. Brief 8 (Besuch bei J. Grimm); Trog, S. 52.
*) Schaoenburg.
64 Rudolf Meyer-Kraemer.
Euch ZU kommen; all mein Sinnen und Denken geht auf
Deutschland allein. — Denke, es speculiert hier jemand
drauf, ich soUe Jemandes Tochter heirathen. Wie ich aber
diesem Volk im Stillen lange Nasen drehe und mit welchem
Vergnügen, ist unsagbar.
29. Nov.
Ihr habt doch das Geld richtig erhalten?
Ich arbeite jetzt „vielfach aufgefordert" daran, nach
Neujahr vor einem gemischten Bupflikum über d. Malerei
seit Rafael zu lesen, nur 12 Stunden.^) Hä? —
Sag mir einmal, wie steht Ihr jetzt mit Bai der? Ich
habe jetzt zu viel zu thun, sonst schriebe ich an ihn. Gott
weiss, ich bin jetzt gut im Oxen, und doch nicht genug,
denn aufs eigentl. Oxen kommen doch kaum 8 Stunden des
Tags. Man vertrödelt in der Familie und sonst viele Zeit. —
Jetzt ist's wieder mildes Wetter und Mondschein, da habe
ich allerlei Posthorn- und Reisephantasien, vielleicht hilft
mir das zu einer poetischen Erzählung, obwohl ichs nicht
glaube. — Hier sind übrigens zwei schöne Augen, die mir zu
gefallen anfangen. Es wird aber auch nichts Rechtes daraus,
denn man will von mir Unterhaltung und Anregung, nicht — .
Schatzkind, ich möchte gern mit Euch sein, das weiss
Gott; Ihr habt mir so viele Gedanken in den Kopf gesetzt,
die schlagen jetzt alle in Sehnsucht nach Euch um. —
Ueber deine Perspektive hat der Stähelin nichts Rechtes
gewusst; — es muss doch einmal vorwärts oder rückwärts
gehen, denke ich und rechne mir die Probabilität aus.
1. December.
Bitte gieb die 2 Episteln auf die Post; ich erspare auf
die Art viel Porto, da ich auf diese Art nicht zu frankieren
brauche. Aus der Vorlesung für das gemischte Bupflikum
wird wegen Mangeli an Lokal wohl nichts werden. Bitte
Doctor, schreibt mir bald, wenn's auch nur 2 Zeilen sindf
Ich will daoD artig sein und Mäwo füllen. —
Beiliegend DiBsertation') von mir zu beliebigem Ge-
braacb. — Addio lieber Doctor, dich küsst in Treuen Dein
Em in US.
•) Trofc 8. 4$.
*) Trog. S. 37.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 6^
P. S. Saltimbanque mag ich doch nicht mehr heissent
C'est un metier, ja aber was für eines!
Grüsst Balder herzlich von mir. wenn Ihr ihn seht.
16. Basel, 28. Dec. 1843.
Glöcksillig Neujohr!
Guten Morgen herzlieber Doctor!
Dass ich Euch jetzt etwas schicke, ist Folge einer ver-
wünschten Gewohnheit von mir, dass ich nämlich leicht
halbe Versprechungen so hinwerfe. Nun schrieb ich Euch
unlängst: ich würde vielleicht, doch nicht wahrscheinlich
mitconcurrieren. Das reut mich jetzt gehörig, da ich mir
hätte denken sollen, dass Ihr alle und jegliche Lebens-
äusserung (sonst Briefe genannt) bis nach dem 4. Jan. 44
verschieben würdet, um dann gleich auch mein letztes mit
zu beantworten, falls ein solches ankäme. Bloss um endlich
unfehlbar ein Lebenszeichen in meine Einöde zu erhalten,
verfasste ich beiliegenden Wisch, den Ihr am besten den
Flammen weihen möget.*) Ich habe wieder einmal ohne
allen Plan angefangen. — - Melde mir jetzt unfehlbar ob Du
meinen Brief von Mainz aus und die 5 Rthlr und die
letzten Briefe erhalten hast und ob es nicht etwa 10 Rthlr
gewesen sind, die Ihr mir pumptet? Mir ist hinterdrein
so ein Zwyfel aufgestiegen. — Und dann schreibt mir um
Gotteswillen gut und viel und reichlich, denn ich habe seit
einem Vierteljahr keinen Ton aus Deutschland vernommen.
Mit dem Oxen gehts so so la la — Aussichten : keine,
Laune: passabel. — Die projektierten Kunstvorlesungen
kommen wegen Mangel an Local nicht zu Slande. Es wird
vielleicht eine Zeitungsredaction sich für mich aufthun, doch
erst in Jahr und Tag. Sag's nicht weiter, damit es die Schweizer
in Bonn nicht erfahren und wieder hieher verklatschen.
Addio lieber Doktor, Dich küsst in Treuen Dein
Em in US
(vormals Saltimbanque).
') Ein M. K. Beitrag, betitelt; „Der Alchymist", eine in Kiirköin spie-
lende Novelle, von der es in den Briefen noch mehrfach (bis nach Rom hin,
Br. 35) spukt. Kinkel selbst spielt darauf an in einem Briefe d. J. 1850
(s. Grenzboten, 1899, Märzheft, 731). Sie war wohl ein Nachklang der
Studien zu seiDem „Hochstaden" (Trog, S. 25 — 28).
<56 Rudolf Meyer-Kraemer.
P. S. Leider kann man die Pakete von hier aus nur
bis Ffurfc frankieren ; drum habt Ihr wol (sie) beim Letzten
tüchtig nachzahlen müssen. Drum frankiert mir such nur
bis Ffurt, es ist das Klügste.
Die histor. Gesellschaft dahier wird sich in nächster
Sitzung den Kopf darüber zerbrechen, warum ich nicht mehr
Saltimbanque sondern wieder Eminus heisse. Sie treibt oft
Quisquilien. Ich halte jetzt öfter Vorträge in der Künstler-
gesellschaft, wo meist junge Leute sind, und werde jetzt
regelmässig darum getreten. Z. B. über Murillo, über Still-
leben, das nächste Mal über d. Rococo u. s. w. Das kommt
unter die Leute und macht Spass — —
17. An Urmau.
Basel, 18. Januar 1844.
Herzlieber Doctor!
Jetzt, auf Eure schönen Briefe hin reut michs erst recht,
dass ich Euch den abgeschmackten Alchymisten geschickt
habe. Nun, es ist geschehen. — Uebrigens mathmusse (sie)
ich, dass Ihr die Concurrenz diesmal gänzlich eingestellt
habt, weil in keinem Eurer Briefe aucli nur mit einer Sylbe
davon steht. Schrecklicher Gedanke, wenn bei derselben nur
mein gottverlassener Alchym ist einsam auf dem Tisch läge! —
Was ist Dir eingefallen, liebster Urmau, meine Dis-
sertationen an alle Welt zu verthoilen und gar vom Lesen
derselben zu sprechen? Ich sandte sie rein als Ballast mit,
sie waren zu Deinem Hausgebrauch bestimmt — und jetzt
geht der Etcaetera und theilt sie aus wie unsre Pietistou
die Traktätlein! — (Letztere pflegen aus Malice auf Schrtib-
papier gedruckt zu werden.) —
Für Uobersenduug der Julia Alpiuula') schönen Dank!
Jetzt sehe ich erat recht, wie unsäglich schlecht das Ding
int Hieran hAog ich meine Bitte: schickt mir bei Gelegen-
heit den Anfang zu einer Coniödie, den ich von Paris mit-
brachte. Mach ich das Ding nicht fertig, so sollt Ihr es
binnori .Jahresfrist wi(>der haben. —
') *. XU Br. 6.
II
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (uud Johaona) Kinkel. 67
Ferner inöcht ich gern den kleioeu Mawbrief, welcher
die Liedchen von Paris und Rouen ') euthält, in Copia
besitzen. Hast Da einmal Zeit, so bitte, schreib mir die
2 Bagatellen ab ! — Ich will ja brav sein und Euch schicken
soviel ich produziere. Die 2 Liedchen sind ohne allen
Werth, aber es sind Tagebuchblättchen.
Und die sammle ich mit Eifer. Weisst Du was es heisst:
rein in Sehnsucht und Erinnerung leben ? — Ich habe hier
keine Seele, mit der ich geistigen und gemüthlichen Um-
gang pflegen könnte, denn wer ist hier geistig frei? Sie
meinen's alle, aber ich weiss doch, dass auch das geringste
Postulat der neuern Zeit hier lauter taube Ohren findet. Ich
mag keinen halb angenehmen Umgang, seitdem ich in Berlin
und bei Euch das Höchste in dieser Beziehung genossen
habe. In Gottes Namen, einsame Sehnsucht ist besser als
Vergeudung der guten Laune an dieses langweilige Volk.
Ein Kästchen in meinem Schrank enthält die Briefe meiner
Freunde d.h. die vom Mau und seinen Angehörigen, von
den Schauenburgs etc. etc. und in meinem Zimmer hängen
ein paar Porträts — das ist Alles was mir Freude macht.
In der Familie lebe ich so viel ich muss, um den guten
Leuten keinen Anstoss zu geben; ich nehme auch an eini-
gen Gesellschaften und* Vereinen Theil, knüpfe aber nirgends
Verhältnisse an. Was an meinem Leben Gutes und Freu-
diges ist, das habe ich schon genossen. Aber
„Nur kühner schlägt in Einsamkeit die Brust — "
Ihr meine deutschen Freunde habt mich zu stolz gemacht
— wer Dich und Fresen und Hermann und Eduard Schauen-
burg zu Freunden hat, der kann sich nicht von Herzen
zu den hiesigen jungen Zeitgenossen herablassen. Glück-
licher Weise sind die, mit welchen ich der Präcedentien
wegen umgehen müsste, alle auswärts angestellt. — Ich
wusste ja, dass es so kommen würde. Ewig bleibt mir mein
Kapitol von Erinnerungen, in welches ich mich rette, und
das soll mir genügen. Aber mein Inneres blutet bisweilen,
— drum kann ich Euch nicht jedesmal lustige Briefe ver-
sprechen. Jetzt fühle ich's, was es für ein Glück sein müsste
ein grosser dramatischer Dichter zu sein; eine Tragödie
*) Drei solche enthält der Jahrg. 1 844 des M. K.
68 Rudolf Mcyer-Kraemer.
würde jetzt meine ganze Seele läutern und all dieses dumpfe
Leiden in klare Schmerzen und Freuden auflösen. — Nicht
wahr, Urmau, du denkst schon lange: Wenn der thörichte
Burckhardt nur die dramatischen Flausen Hesse und dafür
Landschaftsbildchen schriebe ! denn eine Tragödie bringt der
im Leben nicht zu Stande! — Du magst wohl Recht haben,
ürmaa. —
Hierait folgt auch ein Brief für Torstrick, dessen Auf-
enthalt ich nicht weiss, Balder wirds besorgen. Zürne mir
nicht, lieber Freund, ich liebe Torstrick herzlich und kann
mir's in meiner Sehnsucht gar nicht mehr denken, dasä Ihr
beide entzweit sein solltet. ') Ich will nicht vermitteln, denn
das wäre s^hr dumm von mir, aber in meiner Erinnerung
seid Ihr gute Freunde zusammen.
Sag mir einmal, wann kommt das Ahrbüchlein heraus?
— Geniere dich um Gotteswillen nicht wegen meines Poems!')
Lass es lieber weg, wenn's Dir nicht beliagt; ich gebe nichts
drauf. In dem Gedichte vom Heidelberger Studenten, welches
ich aus dem Gedächtniss aufgeschrieben habe, kannst Du
verbessern :
„Und aus den Gärten klang's empor so leis — |^ Strophe 6,
Die alten Lieder, der Geliebten Preis ! / zweite Hälfte
Str. 10, Z. 6: Zu Ihr! zu Ihr! — doch Sie, die er verlor — "
Auch die andern Sachen habe ich aus dem Gedächtnis
so ziemlich herstellen können. Ich hatte anfänglich im Sinn,
statt des Alchymisten die Affaire zwischen Isabellchen und
Olozaga') in Freiligrath'Hcher Jugendmanier zu behandeln,
aber mit Possen reiche ich heuer nicht mehr so weit. Bei-
liegendes Blatt aus Schnipselii Leben ist forciert und hat
mir nicht woblgethan.
Meine Arbeiten rücken nicht recht. Den Dr. Lersoh
grttste frenndlich: ob ich etwas werde arbeiten können,*)
•) ». Br. 13,
*) E« •lebt In Br. 11 : da« Buch ertchien cr»t Mitte 1845 in Bonn, uii
„Die Abr. LandicbafI, Geitcbichte und Volktleben". Vgl. Strodtmunn, Gottfr.
Kiokd (llambarg 1850, 2 Bde.), I, S. as4. '97: II> ai.
*) •. SU Br. ta.
*) In Min« ..Vtrotia**: ». Br. 8.
Briefe Jakob Burckhardtä an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 69
weiss ich ganz und gar nicht; denn in so ein Taschenbuch
darf nur ganz glatte, lesbare, gute Waare. und die Wahl des
Gegenstandes ist so verhängnissvoll wie bei einem Drama.
Läuft mir etwas übern Weg, so soll er's haben.
Den 21. Jan.
Ich habe den TiOthar') dreimal wieder durchgelesen und
auch einer Dame vorgelesen. Letztere fand vieles, besonders
in den letzten Akten, ausserordentlich schön, verrieth aber
ihre Prüderie, von der sie sonst ziemlich frei ist, durch
gänzliches Missverständniss des verständlichsten Charakters :
AValdrade. — ^Ja, Waldrad hätte weichen sollen, wirklich
weichen sollen und nicht bloss wollen sollen — " etc.
Ich habe mein Urtheil über das Stück wenig modi-
ficiert, aber erweitert. Es ist ein grosses Glück für Dich,
Urmau, wenn dasselbe nicht aufgeführt wird. Es liegen
Verheissungen genug Deiner künftigen dramatischen Be-
deutsamkeit drin, aber so wie es ist, würde es die Szene
noch nicht ertragen. Gegen Lothar's Immoralität wende ich
gar nichts ein, er könnte viel unmoralischer sein und den-
noch die Hauptfigur des Stückes bleiben, wenn er nur
persönlich mächtig und wichtig genug bleibt um der Gegenpol
der römischen Kirche zu sein. Meine Einwendungen gehen
nicht gegen die Charaktere, denn die jetzige Bühne hat
sich welche gefallen lassen, die tief unter den Deinigen
stehen. Aber die Ausführung! Mensch, schreib um Gottes
willen inskünftige in Prosa und begreife, dass der ver-
flucht« shakspearsche Jambus eine Scheidewand zwischen
Dichter und Publicum ist, die z. B. Mosen-) den Hals ge-
brochen hat und ihn auch Qeibel brechen wird. Grade wie
das Publikum jetzt mit der grossartigsten Freskomalerei
kein Verhältniss mehr knüpft, sondern individuellstes Leben,
Charakteristik und Colorit verlangt, ebenso will es auch
in der Tragödie Menschen, nicht solche die wirklich Seines-
gleichen sind, wie Platen höhnte, sondern solche, die seines-
gleichen sein können. Das Drama braucht deshalb noch
keinen modernen Gegenstand de rigueur zu haben; man
*) s. Er. 5 und 6. Das Stück hatte beim Stiftungsfeste 1842 den
Preis gewonnen (Strodtmann, p. 297).
•) Im Bernhard von Weimar?
•jQ R u d o 1 f M e \ e r - K r a e ni e r.
könnte auch Brunhild und Fredegund in Prosa schreiben.
— Der Vers allein ist es nun freilich nicht, der Dichter
und Hörer scheidet; sondern das ist es, dass Leute wie
Geibel und Du, im Besitz einer reichen prächtig wogenden
Diction, sich alle Augenblicke hinreissen lassen vom Klang
des eigenen Verses und den sprechenden Menschen darüber
Tergessen. Lege dir einmal die Rede des Nicolaus an
Rodoald in Prosa auseinander und siehe dann zu, wie un-
endlich anders das Alles zu stehen käme, wie viel bündiger
sich charakterisieren Hesse! — Du hast es einmal als
Marotte verspottet, dass Göthe die Iphigenie zuerst in Prosa
schrieb — Glaub mir, es war nicht ohne, und ihm hat das
ne quid nimis so nachdrücklich vorgeschwebt, dass er sich
selber völlig misstraute. — Dein Graf Hubert der mit den
ersten Worten des zweiten Aktes so majestätisch beginnt,
geht in den übrigen Szenen ganz in den schönen, allge-
meinen Jamben verloren, und doch ist ein Wendepunkt des
Stückes sein Werk. Femer was für ein Prachtskerl wäre
Conrad vom Elsass in Prosa geworden ! — Wie hätte Günther
von Colin gewonnen! Ganz besonders aber würde Waldrad
in scharfer, kantiger Prosa ein feurig leuchtender Edelstein
geworden sein. Ich glaube gern, dass du dem Verse nicht
gern entsagen wirst, aber ich weiss jetzt auch, warum mir
deine Stedinger') immer besser gefallen haben als Lothar,
— liechne hinzu, dass die Schauspieler Prosa viel besser
geben als Verse! In ganz Deutschland giebt es vielleicht ein
Dozend (sie) Schauspieler, die einen erträglichen Jambus
sprechen. Wenn man dir mit Tendenz der Charaktere den
Kopf heisH machen will, so glaube das Alles nicht; von
der Seite würde das Stück Qlttck machen. — Neben dem
Umstand wogen der Prosa ist vielleicht nur noch eine
we8-<ntlicho Aussetzung zu machen : das Stück rückt in
einigen Partion nicht genug vorwärts, doch dergl. weisst
da bosser alt ich. Aber ein Dramatiker bist und bleibst
du und wirst wachsen. Dixi.
Doch nein, noch nicht Dixi. Ich werde mich von den»
Lothar nie trennen können, weils obon doch ein schönes
Stock ist und mich jedesmal packt, wonn ichs lese. Günther
•) Ant n. 1K40, Sirodim., p. aia, 305.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (uud Jobauna) Kinkel. -j \
von Kölln klingt besonders deutlich in mir selber wieder;
ich kann sein Schicksal nicht vergessen. Und dann behält
wohl Lothar am Ende Unrecht gegen die Kirche, aber das
Verhältniss bleibt dann doch gar schön in der Schwebe
und mau scheidet versöhnt. Mensch, fasse einen Entschluss
und geh einmal in die moderne Zeit! Nimm einmal den
Gebhard Truchsess mit seiner Gräfinn von Mansfeld.'j Das
Stück kann theilweise auf dem Drachenfels spielen. Es
liegt da so um den 30jähr. Krieg herum noch so mancher
Stoff — tragisch und doch recht genrehaft, du verstehst
schon. Die Franzosen haben diese Renaissance-Epoche fast
nur komisch ausgebeutet, weil ihre Quellen dabei Memoiren,
der Grund und Boden aber die elende Fronde ist d. h. der
Vorabend des Glanzes unter Ludwig XIV. Bei uns da-
gegen ist der Hintergrund durchaus tragisch, ein Eeligions-
krieg und Bürgerkrieg, der mit schauderhafter Verwüstung
schliesst. — Halbkomisch wird dann wieder das deutsche
Hofleben von Leopold I an, den ich gewissermassen auf
dem Korn habe. — Denke, wie wenig Schiller's Wallen-
stein und Mosen's Bernhard von Weimar die reiche Scenerie
des BOjähr. Krieges mit seinen Jesuiten, Salzböcken'), Hexen-
processen, Intriguen u. s. w. erschöpft haben! Wo spricht
im Wallenstein (mit Ausnahme der paar Zeilen im Lager)
das furchtbar gequälte deutsche Volk? — Nicht wahr, es ist
albern, dass ich dir solche gütliche Vorschläge einrede,
ich denk nur immer: Was würde der Urmau da und da
nicht leisten können, wenn er einmal hinter den und den
Stoff käme.
27. Januar.
Halleluja, gestern habe ich Eure Brieffe (sie.) erhalten
mit den fröhlichen Nachrichten; Prosit Urmau, quod bonum
felix faustumque sit! Und nun gar, dass mein Alchymist
den Preis erhalten hat! — Woraus zu schliessen, dass das
Schlön bachische ^) Epos unter der Kanone sein (muss. Sagt)
mir um Gotteswillen, was habt Ihr an dem Alchymisten
ge(fandeD?) Ich schickte Euch das Concept, weil mir an
') vgl. das Abrbucb, S. 58—70 und 80—84.
*) VorbeiD. zu Br. 9.
•) «. Strodtm., S. 211.
^2 Rudolf Meyer-Kraemer.
dem Ding nichts (gefiel, und so) hätte mich die Zeit gereut,
mir noch zuvor eine Copie davon (zu nehmen.) Lies den
Salm noch einmal durch [leider fehlen hier durch seit-
lichen Ausriss 7 — 8 halbe Zeilen; davon Bruchstücke
geben nur den ungefähren Sinn einer inhaltlichen
Kritik des eigenen Werks: — solch einen abenteuer-
lichen Unsinn — der Kurfürst sollt« — Alte dadurch dem
Gifte verfallen — einer solchen mühseligen Zote nicht werth
— Ding und macht damit was Ihr wollt — Ich] mag es
weder im Original noch in Copie und (auch nicht) gedruckt
wiedersehen. Die Hauptsache ist, (dass mir) das Producieren,
wenigstens am Anfang, Freude macht; am Product liegt
mir nur dann was. wenn es ein Tagebuchblatt, Zeugniss
einer Stimmung ist; dann wird es mir wichtig und ich lege
es zu meinen übrigen Heiligthümern unter das Kästchen,
wo Eure Briefe sind. Gegen aussen, auf das Publicum
möchte ich nie anders wirken als durch das Drama.
Und das ist mir versagt. — Drum bleibe ich auf die
Geschichte beschränkt, denn die wird mir nicht mehr
untren und ist der einzige Trost für einen stürmenden
Bnsen. Darum kann ich auch nicht mehr ganz unglücklich
weiden.
Apropos lieber Urmau, frag einmal bei Habicht nach,
ob UDd wie der Erzbischof geht? Ich habe ihn nur im
Kunstblatt, ohne Zweifel von Kuglers Hand, mit zwei Zeilen
angezeigt gefanden, sonst schläft er noch vollständig als
Embryo in der Literatur. Hat die kölln. Zeitung, die ich
hier Dicht zu sehen bekomme, noch keine Anzeige gehabt?
1. Febr. 44.
Für das Ahrliod') find ich in Gottes Namen keinen
rechten SchhiKs, Ach Urmau, mach du das »»eiber! — Oder
etwa so:
„Und beaucht in HpAtou .fahren Einer noch diese Felsonthal,
TfiVre f>r mit glühndein Weine hier ein stumm Gedäohtniss-
mal (sie)!'
*) In Br. II. K. giebt e» int Abrbuch S. jm^ mil B't Nnmoii und
dem 5kblaM: „DcKrh hcaucht iu Krauen Hanreii . . . birr ein ktunint Go
dicblniamabl !"
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. -j ^
Das taugt auch nichts. Machs selber oder lass am lieb-
sten das Gedicht weg. es missfällt mir jetzt. Jedenfalls setz
meinen Namen nicht dazu, ich bitte Dich. —
Hier sind Briefe; bitte frankiere den an die Kölln.
Zeitung! — Die übrigen lass schlechtweg auf die Post
schmeissen, und vertheile die an die Bonnenser. Den an
Torstrick wird (Balder) besorgen. (Somit) leb (wohl) Herzens-
freund; Dich grüsst in Treuen
Dein Eminus,
(ist besser als Saltimbanck, welcher Name hiermit
feierlich aboliert wird, da er der Würde des academ.
Amtes schlecht zu Gesichte stehet. Addio.).
18. Basel, 29. Januar 1844.
Liebe Directrix!
Glück und alles Wünschenswerthe zuvor.
Das war eine rechte Erquickung für mich, die Briefe
von Ende Decembers und vom 22. Januar! Man hat mich
doch nicht vergessen — daran erkennt man die Maws! —
Meine Verwunderung von wegen der guten Aufnahme
des Alchymisten habe ich in meinem Brief an den Urmau
sattsam zu erkennen gegeben. Aber den Calderon ') lass
ich mir doch gern gefallen und küss Ihnen dankbar die Hand.
Nun les ich Ihren Brief vom December wieder durch
und beschliesse nach einiger Erwägung, dass Ich darin
doch gar schlecht wegkomme. Sie haben mir Unrecht
gethan, liebe Directrix, mit Ihrem Vorwurf der Feigheit.
Feigheit würde mein Benehmen gegen die hiesigen Philister
erst dann, wenn ich den Leuten schön thäte und mich um
ihren Umgang bemühte. Das thu ich aber nicht, sondern
lebe so einsam wie möglich. Sollte es denn wirklich meine
Pflicht sein, Leute die mir nichts zu Leide thun, so aus
dem Stegreif vor den Kopf zu stossen? Bessern würde ich
damit die Leute nicht, sondern mir und Andern das Spiel
verderben. Stehe ich einmal auf dem Catheder oder an
der Spitze eines Journal (welches Letztere noch gute Weile
haben dürfte), dann ist es Zeit die Stimme zu erheben gegen
') Den B. als Preisgewinn erhielt; s. Str., -S. 354. %
•7^ Rudolf Meyer- Kraemer.
das Philisterthum, aber jetzt könnte das za nichts führen.
Also warten Sie ab, was mir die Zeit bringt und bedenken
Sie, dass meine Briefe hie und da der Rettungsbalken aus
desperater Laune sind, was sie freilich nicht sein sollten.
und sollten Sie mir wirklich nicht zutrauen, dass ich ein
edles Naturell, wo es sich in meiner Nähe fände, heraus-
finden könnte? Legen Sie einmal, wenn Sie noch nicht
von meiner Unschuld überzeugt sein sollten, dem billig
denkenden Urmau Anklage und Antwort vor. — Sodann
glauben Sie ja nicht, dass man in dem selbstgenügsamen
Basel die Mittheilsamkeit eines Neuaugekommenen immer
gut aufnehme! — Es grämt sich kein Mensch darüber,
dass ich mich der Gesellschaft entziehe, man hat nicht auf
mich gewartet und wenn ich schweige bis ich grau bin, so
kümmert sich keine Seele drum. Und das ist recht und in
der Ordnung. Ich halte mich gar nicht für einen solchen
Phönix und finde hier gar viele Leute die geistig über mir
stehen. Schade nur, dass die Meisten davon gräulichem
Philisterthum verfallen sind. Verderbe ich meine Sache
nicht voreilig, so kann sich doch vielleicht nach und nach
ein angenehmes Verhältnis zu den gebildeten Kreisen ge-
stalten.
Ich habe g«>genwärtig den Schnupfen und darum kommt
nur ein Mawbri^ff (sie) mit (der andre ist misslungen), der
noch dazu eine gar trübselige Erwiederung auf Euern herr-
lichen Bündel von Unsinn vorstellt. Sehr schön ist besonders
der Huibbeking M. K. Brief. Solche Possen kann Einer so
mutterseolenwindailein gar nicht reissou : sie können nur
das Resultat gegenseitiger Steigerung sein. Ackermann ')
hat mich darin ullnrliebst angeredet, ich wollt nur ich könnt
ihm so erwiedorn, aber in meiner Klause gelingt das nicht.
Sodann ist der Saltiinbank M. K. Brief ein Juwel vom Urniau;
ich hlltte mich vor Lachen imsschütten mögen, besonders
auch wegen dos herrlichen Metrums. — Wer in den Huibbe-
king Brief einen gewissen Vors mit verstellter Hand hinein-
•chrieb, habe ich bald errathen an der Gestalt des H. — Der
kliMische M. K. Brief onth&It bes. von Ackermann ein paar
•cböoe, aotciiaulicho Z<Mlen. Sodaon ist ein roniantis('lii>r
Briefe Jakob Biirckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. -j ^
ein wahres Hauptstück von Ihnen, werthe Directrix, im Vers-
mass: Nun ruhen alle Wälder. Kann sich denn der Acker-
mann immer noch nicht von der Psychologie entwöhnen
und dafür die Welt geniessen wie sie liegt? Immer Narren
vorhaben! Es kommt einem dann manchmal vor als diente
man ihm auch nur als Narrenstudium, besonders wenn man wie
ich zu Zeiten wirklich einen kleinen Sparren hat. — Den
pessimistischen M. K. Brief habe ich mir laut vorgelesen und
besonders Seibt's wundervolles Ghasel bewundert:
jjWenn der Schöler bekneipt wie ein Dämon lacht, Huhu!"
Summa Sumarum: ich dank Euch Allen von Herzen,
denn den ganzen Neujahrsnachmittag, da ich die Briefe
erhielt, bin ich glücklich gewesen wie ein Kobold und stak
nicht in Basel sondern in Bonn ; war ich bei Euch, ich wollt
Euch helfen an Fresen schreiben, dass es eine Art hätte!
Das sollten Brieffe (sie) werden! —
Nun weiss ich sehr wohl, liebe Directrix, dass Sie diesen
Brief schon lange von vom und von allen Seiten ansehen,
ob denn nichts von meiner Liebschaft') darinstehe? — Ich
kann Ihnen nur sagen, dass es bisher keine Liebschaft ist,
indem ich durch Erfahrung vorsichtig geworden bin und
mich hier auf keine Weise binden will. Diesem Mädchen
will ich keine unnöthigeu Schmerzen machen. Das tönt
sehr hochmüthig, ist aber wahrhaftig ein der Lage der Dinge
ganz angemessenes Ultimatum. Die Zeit wird das Fernere
lehren, Basel wird nie mein Himmel werden, auch mit Ihr
nicht Fort! Fort! Das ist das Losungswort und wird's
wol bleiben. —
1. Febr. 44.
Mein Brief ist dürftig, nicht wahr, liebe Directrix! Ich
habe diessmal zu stark aufgeladen; es schreibt niemand
ungestraft an so vielen Briefen zugleich, es sei denn ein
Ingenium wie weiland Julius Cäsar.
Nun nochmals innigen Dank! In Treuen und Sehnsucht
Ihr Eminus.
P. S. Dem Andreas schreib ich das nächste mal
onfehlbar.
') Br. 20 (v. 2 2. Mai).
■j() Rudolf Meyer-Kraemer.
19. Basel, 21. April 1844.
Herzlieber Freund!
Es ist hier zu Land wieder grüner goldener Frühling
und ich befinde mich so recht im Zuge, den vorjährigen
Andenken fromme Vigilien zu halten '), dem Tage da ich
ankam -), dem Abend da Du — das einzigemal — bei mir
kneiptest im Hauss des Judden 2 Stiegen hoch rechts, und
nun bald auch der Ahrreise. Ich könnte bei alledem still
dankbar sein, wüsste ich nicht, dass Uir inzwischen be-
kümmert sein müsst wegen Deines Missgeschickes. '') 0 das
Leben macht einem bisweilen verzweifelt ernste Fratzen!
ich hätt's auch nicht gedacht. Am Gründonnerstag erhielt
ich Deinen Brief, nachdem ich schon eine Woche früher
die Sendung durch Stähelin bekommen hatte. Ich habe
mich mit Hagenbach*) ungeniert über dieses gräuliche Be-
nehmen Sack's ausgesprochen und weiss jetzt, dass es auch
Dewette""^) erfahren wird. — Seitdem bin ich in einer stillen
Wut gegen das ganze Sackische Gelichter, womit Euch
freilich wenig gedient ist. Wäre Euch nur damit gedient,
dass ich täglich mit Sclmiorzen und Verlangen Euer gedenke!
Wäre ich in Bonn ! — Ach Gott, wie lang wirds wohl
dauern bis ich Euch wiedersehe! —
Zwei Hauptpunkte: a) Schicke mir sobald als möglich
unfrankiert per Post ein Exemplar Deines lithograph.
Werkes"), sammt dem kurzen Grundriss in §§, kann ich's
brauchen, so nehme ich vielleicht eine ganze Partie zum
Behuf meiner Vorlesungen, b) Vorn 1. Juny an redigiere
ich die hiesige „conservative'^ Baseler Zeitung, welche ganz
') So dem Berliner Komitntiabeiid (23. 3. 43), desteu Beyccblagsche
Schnderiiiit; Troy S. 42 gibt. Im Jgg. 1844 de« M. K. steht eine Ode d.d.
23. 3.: „Heut isU ein Jahr — " (Abicliicd v. d. Jugend). Siehe ob. meine
Vorticre. zu Br. 11.
*) Anfang Mai, in linun.
■) Die S.icki«che Denunciation, Str. 11, 9— >o: Sack war Schwager
Hii'hbom«.
*) Ba*el«r Theolog, B'a früherer I..«hrer.
•) Trog, S, 3.
*) vgl. Br. 30 Anf. E« iit betitelt: „34 Tnfeln archilekton. Zeichnungen
(<a Vortrlgen über die Geschichte der bildenden Künate hei den chriHilichen
Vdlkero). Auf Stein getdchoet von Andreas Simon«, «utammeogeitcllt und
kurx erliulert von Ootlfried Kinkel. (Bonn. 1844. Selhitverlag.)".
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ^7
honett zu leben giebt, so lang man's ausbält. Ich habe sie
hauptsächlich übernommen, um den hier regierenden schnö-
den Sympathien, mit allem Absolutismus (z.B. dem russischen)
nach und nach den Garaus zu machen und beinebens dem
schweizerischen Brüllradikalismus entgegenzutreten, welcher
letztere mir accurat ebenso ekelhaft ist wie jener. Ich werde
mir damit wie alle bisherigen Redaktoren der Baseler Zeitung
eine continuierliche Reihe persönlicher Angriffe der gemein-
sten Art zuziehen; aber es giebt einen Trost, der mir völlige
Kaltblütigkeit verleihen wird, und das ist der: Lass die Kerle
sich den Hals ausschimpfen — auf der zweiten Poststation
nördlich von Basel weiss man nichts mehr von ihrem Geschrei.
— Die Redaction nimmt mir, auch wenn ich ganz eingefädelt
bin, doch gut den halben Tag, und das wöchentlich sechsmal.
„Was es dabei mit der Poesie wird, weiss der Deibel,
aber die allererste Pflicht ist, sich zu soutenieren."
VRMAV.
Besonders anziehend wird die Sache dadurch, dass der
Redakteur des hiesigen Oppositionsblattes als ehmaliger
Heidelberger Corpsbursch sich bei den ptiar Studenten als
einzige echteQuelle des sonst gänzlich unbekannten Comments
in Gunst gesetzt hat, während ich bisher aus übertriebener
Delicatesse noch mit keinem Studenten gesprochen habe,
damit es nicht heisse, ich keile für meine Collegien. (Letz-
tere sind auf dem Sprung zu beginnen, wenn sich Zuhörer
finden.) O Krähwinkel, mein Vaterland! — Der Zug mit
dem Corpsburschen, der beinebens ein tüchtiger Advokat
ist, würde in jeder Lokalposse Glück machen. Summa, es
giebt hier noch immer „Zustände und Verhältnisse", über
welche ich mir den Buckel voll lachen kann. Aber leider
Gotts, es lacht niemand mit mir. —
Doktor, ihr seid ein Racker. Ihr schreibt mir, dass
ihr wiederum ein Drama unter Händen habt und verhehlt
mir den Stoff. Ich habe aus edler Rache einer Dame eure
Gedichte als Vielliebchen verehrt; Schweighauser hatte gerade
noch ein Exemplar auf dem Lager. Voran schrieb ich ein
schönes Gedicht hinein, worin ihr, Doktor, sehr gelobt wurdet,
aber hier fängt meine Malice an: ich theil' es euch nicht mit.
yg Rudolf Meyer- Ivraemer.
Wenn Du mir jene betreffende Nummer des Dom-
blattes mit der Recension meines Conrad mic Bequemlich-
keit verschaffen kannst, so thue es; aber mühe dich nicht
zu sehr darum. So wenig die Köllner mit gut geschriebenen
oder auch nur ertiäglich und lesbar gearbeiteten Stücken
aus ihrer Geschichte um sich werfen können, so sauer würde
es doch Herrn Püttmann, etwas Dir Dediciertes anzuerkennen.
26. April.
Es ist mir aber ganz recht, wenn von dem unvoll-
kommenen Ding weiter nicht mehr die Rede ist; was es
sollte, hat es mir geleistet. Es hat mir hier ein odiöses
Examen ^) erspart und den hiesigen Leutchen Sand in die
Augen gestreut; denn zehn Bogen machen hier mehr Auf-
sehen als in Berlin zehn Bände. Ich möchte nur wissen,
was der arme Häbbicht damit für Geschaffte (sie) macht!
Wer hiess den Armen, das Mscpt. übernehmen? — Ich
habe zwei Abhandlungen geschrieben, die ich Euch vielleicht
dermaleinst schicke; die eine las ich in der histor. Gesell-
schaft, um mich zu introducieren und hatte dauiit ziemlichen
Beifall; die zweite war meine Antrittsvorlesung, welche auch
gut aufgenommen wurde.*) Mit diesen beiden Dingen habe
ich mich hier in einiges Ansehn vor der Welt gesetzt, dessen
ich gar sehr bedarf. Wackernagel sagt, meine beiden Col-
legien würden zu Stande kommen. Gott geb's! bin ich ein-
mal lanciert, so kann ich wenigstens CoUegien ausarbeiten
für alle künftigen Fälle. —
Ich sende schon jetzt ab, wegen der Lithographion dio
ich wünsche. Die 2 Tbalor sollen gleich folgen, und viel-
leicht noch mehr, sobald ich weiss wo und wie und was.
Ich denke recht ernstlich dran, wenn Du vernünftig gewählt
hatt, eine Parthie (sie) zu übernehmen,') was Dir nur ganz
lieb sein könnte. Hättst Du mir vorher davon gescIirnbiMi,
flo hAtt' ich vielleicht noch dein guter Ratb sein kotnuMi.
An Direktrix, Haider, Andreas und Pocke das nächste-
mal; j«tst bin ich zu überladen mit Geschäften. I)i< sit
•) Trog, S. 37.
1) Trog, S. 44 u, 45.
*) Ffir «igene Koll«ggwecke.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. yg
Brief soll auch gar nicht als Sendung gelten. — Inliegende
Epistel wirf auf die Post; wenn Balder wieder zurück in
Bonn sein sollte, so frag ihn zuerst, ob Stift ^) wirklich
noch in Cleve sei oder schon in Siegen? — Ist Balder nicht
da oder weiss er nichts, so wirf den Brief ohne Weiteres
ins Briefloch. — Ich suche jetzt täglich in der Köllner Zei-
tung nach, ob Dein Ahrbuch schon heraus ist, damit ich
niir's gleich bestellen kann. Weiss ich doch, dass einer der
besten Bissen von meinem Leben darin quasi in Weingeist
aufbewahrt sein wird. Wart nur, ich will es recensieren
und Dich am Ende vor allem Bupflico fragen , warum die
Quarzode -i nicht darinnen stehe? —
Mit Balder hab ich recht herzliches Mitleid, denn der
wird in seinem Leben noch hübsch zwischen Thür und
Angel gerathen. Unser Einer ist doch wenigstens innerlich
frei, mögen die Umstände sein wie sie wollen, aber kläglich
gehts am Ende denen, welche sich überreden sie seien noch
gläubig und es doch schon lange nicht mehr sind. Alle
Pektoraltheologen sind mehr oder weniger in diesem Fall,
— Geibel ist, wie mir Kugler schreibt, zu Berlin in dulci
jnbilo. Er hat einige Zeit unlängst in Weimar zugebracht
und mit dem Erbgrossherzog Freundschaft (ich vermuthe
sogar SmoUis) gemacht. Er wird in Weimar und Berlin
furchtbar fetiert. Ich glaube nicht, dass es ihm schadet,
gieb Acht, jetzt wird die Romantik in praxi erst recht an-
fangen. — Ein so guter Junge wie er, so wenig gesonnen,
die poetischen Illusionen aufzugeben, verdient wohl ein
reiches buntes Leben, in welchem er vielleicht untergehen
kann — es schadet nichts, er hat dann doch gelebt nach
seiner Manier. Dann heisst es: lasst ihn, er hat gedichtet!
— denn einer der grössten Lyriker unsrer Zeit ist er eben
doch, und wenn ich mich an sein Wesen und Dichten er-
innere, so wird mir so recht klar, mit welch leichtem Muthe
ein Kerl wie ich sein Talentchen schlafen legen kann. Ich
glaube auch die letzte Spur von poetischem Ehrgeiz abgelegt
zu haben, nachdem ich in Strassburg noch einmal mit
Fresen in hohen Plänen geschwärmt.
') Kneipname Siegfried Nagelt, den die Schauenburg-Briefe oft erwähnen.
•) s. Ahrbuch, S. lO.
8o Rudolf Meyer-Kraera er.
Das war mir ein Jubel, als ich in der allg. Zeitung
von der Aufführung des letzten Saltzbocks') las! Ich glaub
Du hast das recht für mich hingeschrieben. Wie aber die
Bonner Zensur Eure Zettel passieren Hess, bleibt mir ein
Baszel. —
Jetzt grüss Directrix von Herzen, sodann Andreas,
Balder, Ackermann und den Magister, wenn er da ist. —
Hoffentlich in einigen Wochen schreibt Dir wieder Dein
sehnsüchtiger und getreuer _, .
^ ^ Emmus,
den gewisse Lausbuben Saltimbanck nennen.
Schreibe diesen Namen dem „basellandschaftl. Volks-
blatt''; dasselbe ist in Verlegenheit wegen eines passlichen
Spottnamens. ^ ^
*
Diese Zeilen vom 26. April sollten eingestandenermassen
nicht als „Sendung*^ gelten. Indes beabsichtigte Burckhardt,
sehr bald einen grösseren Beitrag für den M. K. zu liefern :
einen Anfangsteil dafür (auf dem vorschriftsmässigen bzw. ge-
lieferten blauen „Maubogen*' geschrieben) fortzusetzen, fand
er dann aber keine Zeit mehr; er war „zu überladen mit
Geschäften", zumal die Uebornahme der Zeitungsredaktion
ihm bevorstand. Dieses Stück „Aus Saltirabancks politisch-
moralischen Schriften" ist indes, als Einlage in den Floren-
zer Brief 36 (vom 22. Juli 1846), erhalten geblieben, und
80 möge es seine Stelle hier finden, — nicht nur aus chro-
nologischer Rücksicht und um der Zeitanspielungen seines
loitialbildes willen, sondern auch um die Stimmung zu kenn-
zeichnen, die den angehenden bourreur de crane beherrschte.
(Titelvignette, eine Federzeichnung B.'s: Rheinland-
schaft; links vorn sitzend grüssen zwei karnevalistisch auf-
geputzte Gestalten — offenbar Mitglieder des M. K. — die
Frau Fama, die als posatinonder Engel von rechts über die
Berge bereinfliogt; atis ihrer Tuba flattern die Worte vor
ihr bor: Liszt, Antigone, Sie sollen ihn nicht haben etc. etc.")')
E» giebt auf der Welt nichts Selteneres als wahre, wirk-
liche Aufrichtigkeit. Wir stecken voll innerer und äusserer
') ■. ob. S. aa; n. 2»h.
*} Zn diMM iMuetten Nachrichten (vom April 44) au« Pari« vgl. Heinr.
HeiiM, IM. it, S. {98 II. 402 fr.
Briefe Jakob Bnrckhardls an Gottfried (und Johanna) Kinkel. g I
Lüge, durch und durch, und die Besten oft am meisten. Zum
Tröste kann man beifügen, dass doch dabei nur Wenige von
Haus aus innerlich unwahr sind und dass es bei den Meisten
die heutige Bildung verschuldet hat. —
0 diese verflachte universelle Bildung, die man alle Tage
in den Himmel erheben hört! Sie ist's, die dem grossen Haufen
alle paar Wochen eine neue Mode von Begeisterung aufsalzt'),
die tagtäglich ein ganzes Gehäuse von Conventionellen An-
schauungen, d. h. Täuschungen rund um uns herum aufbaut,
in welchen sich dann ganze grosse Schichten der Gesellschaft
bewegen. Der Fluch des heutigen Lebens ist dessen ein-
förmige Langweiligkeit und das daraus hervorgehende Be-
dürfniss nach Aufregung in wiederholten Ansätzen in kleinen
Portionen — denn grosse Aufregungen würden in unsren
jetzigen Zuständen horribel aufräumen. Diese kleinen Auf-
regungen verpesten dann die Luft in Gestalt von conven-
tionellen Moden. Davon, dass es noch möglich wäre, dass
ein Mensch sich rein aus seinen eigenen Antrieben heraus
bildete, davon ist längst keine Rede mehr. Die Noth der
Zeit ist zu gross, man kann die Menschen nicht mehr machen
lassen, sie bedürfen eines allgemeinen Stempels, damit Jeder
in das Ungethüm, welches man das moderne Leben nennt,
auf jeden Fall hineinpasse. Die wenigen Originale, die diese
heillose Methode noch durchdulden ohne daran zu crepieren,
werden in ihrem Streben nach Emancipation von den in-
neren Lügen von der ganzen Welt gehöhnt und gehetzt
und schlagen dann auf der andren Seite über.
So liegen die Sachen. Habe einer die Stärke Herculis,
des Sohnes Jupiters, er wird den Augiasstall nicht aus-
misten, er wird dieser Hyder nicht alle Köpfe abschlagen.
Aber eine Bürgerkrone verdient Jeder, der irgend eine
falsche Begeisterung, die den Leuten en masse aufgeschwatzt
worden ist, mit Spott oder mit Ernst gründlich zu Nichte
zu machen sucht. Freilich gehört dazu eine lächelnd gross-
artige Gesinnung, denn der Ostracismus des Phillsteriums
wird nicht ausbleiben und dabei muss man innerlich frei
genug sein um gleich Aristides den eigenen Namen auf
die Scherbe zu schreiben.
•) Sic, nicht : aufhalft.
82
Rudolf Meyer-Kraemer.
Aus Saltimbancks
politisch-moralischen Schriften.
Von dem Enthusiasmus.
Der Enthusiasmus in politischen Dingen wird eingetheilt
in einen bequemen und einen unbequemen. Der Enthusias-
mus ist ein bequemer, so lange er nur in abstracto d. h. in
Büchern gepredigt wird; unbequem aber wird er, sobald sich
der Enthusiast mit grossarügem Aufruf an Einzelne wendet
und diese Unglücklichen zu bekehren sucht. Eine Mittel-
gattung entsteht, wenn der Enthusiast vor grösseren Ver-
sammlungen spricht, wobei der Einzelne sich aus dem Staube
machen oder unbemerkt sich der Zerstreuung hingeben kann.
Die Unbequemlichkeit kann sich bis zum Uebelbefinden
steigern, wenn ein ganzer grosser Chor von Begeisterten
auf eioen einzigen Unbegeisterten losrednert und selbigen,
wie gewöhnlich zu geschehen pflegt, des Verrathes an den
heiligsten Gütern der Menschheit bezüchtigfc (sie). Ein ver-
nünftiger Mensch lässt es selten soweit kommen, sondern
heult lieber mit den Wölfen, ehe es soweit kömmt.
Der unbequeme Enthusiasmus nimmt in unsren gebil-
deten Zeiten so sehr überhand, dass es Zeit ist auf Prä-
servativa und Rettungsraittel zu denken oder wenigstens
vor der Hand denselben rationell ins Auge zu fassen und
so auch den Weg zu den wahren Heilmitteln gegen selbigen
zu finden.
Daa vorige Jahrhundert trägt den Spottnamen des
Aufgeklärten, das unsrig<) wird dereinst das gebildete
heissen. Heut zu Tage strömen nämlich einem Jeden, er
eei 80 dnmm wie er wolle, so viele einzelne Funken der
Bildung zu, dass er sich eben mit Haut und Haaren fUr
gebildet hält. Vor Zeiten war Jeder ein Esel auf seine
Faust und Hess die Welt in Frieden; jetzt dagegen hält
man «ich für gebildet, flickt eine „Weltanflohauung" zu-
Hammnn und predigt auf die Nebonmenschen lo.s. Lernen
will Niemand mehr, schweigen noch weniger, einen Andern
in seiner Entwicklung anerkennen am Allerwenigsten. Es
ist um des Teufels zu worden.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel g^
20. Base], 22. Mai 1844.
Guten Morgen, Doktor!
Das Paket hat mich sehr erfreut und verdient sofortige
Antwort. Inliegend folgen 6 Thaler, wofür Du mir 6 Exem-
plare der Lithographien schicken sollt (sie); ich hätte sie
gerne bis circa 20. Juny. Ich habe nämlich 6 Zuhörer! Bis
dort bin ich an der christlichen Baukunst angelangt. Du
hast für Deinen Zweck recht gut gewählt und die Dinger
sind, wenn auch nicht gründlich, so doch hübsch ausgefallen.
Ich würde gleich mehr bestellen, wenn ich voraussähe, binnen
dreier Jahre das Collegium noch einmal lesen zu können;
aber das geht nicht und vor ein gemuschenes Bupflikum
kann ich mich mit der Architektur noch lange nicht wagen ;
auch muss ich vor der Hand noch meine Finantzen etwas
zusammenhalten. Heut Nachmittag gehe ich „über Feld"*
nach Dornach, wo meine Schuldner wohnen, die ich begrüssen
muss; ich habe nämlich jetzt die eigene Verwaltung meiner
Vermögenstrümmer übernommen, welche jährlich doch nur
etwa 170 Rthlr. Renten abwerfen; darauf laure ich nun wie
ein Luchs. Auch muss ich in Doruach den Capucinern
guten Abend wünschen und mich auf das nächste Portiun-
culafest zu Gaste bitten. — Gott gebe Dir guten Fortgang
mit den öffentlichen Vorträgen ! Weil es denn einmal sein
muss, 80 lass die Theologie fahren,') man kommt heuer da-
mit auf keinen grünen Zweig mehr; der Boden ist schon
allzusehr zerwühlt. Die historische Theologie, ja die Kirchen-
geschichte hat schon auf die meisten Fragen satis superque
geantwortet und die dogmatische Theologie ist jetzt im
höchsten Grade unerfreulich und degoutant, weil alle Stand-
punkte durchgekostet sind. Wenn die deutsche Theologie
ihren Vortheil verstünde, so schwiege sie einmal etwa 30 Jahre
lang und träte dann wieder auf. — Mein Rath wäre nun
der, dass man Dir eine Brücke zu einer andern Fakultät
bauen sollte. Unterhandle jetzt mit Nitzsch oder mitBleek,*)
du kannst dabei ziemlich derb sein, glaube ich. — Doch das
war unter Altenstein der rechte Weg, wie es jetzt ist, weiss
ich nicht. Von Bonn darfst Du sonst doch nicht fort, ehe
') Ein Jahr später geschab das; Str. II, 20.
*) 8. Er. 12,
8^ Rudolf Meyer-Kraemer.
Du ein neues Nest hast. Ach Gott, ich denke für Dich
alle Tage dran! Lass Dich nur nicht auf das blosse Lite-
ratenleben ein! Da wird man schrecklich schnell abgenützt!
Behalte wenigstens immer einen Fuss im akademischen
Bügel, wenn auch ohne Aussichten! Ich machs auch so.
Der Häbbicht mit seinem Quarz- Weyden ') ist ein
Für den Lersch habe ich nichts schreiben können; grüss
ihn schön von mir.
Was war doch heut vor einem Jahr?*) — Um diese
Stunde waren wir auf dem Bonner Rathhaus und unter-
zeichneten ein gewisses Aktenstück — und um Mittag fuhr
man zum Coblenzer Thor hinaus und ich sass reisemuthig
auf dem Bock und griff nach den Baumzweigen über mir —
Was ist doch das arme, vielgequälte Leben! — Jetzt sitze
ich hier und versimple. Die Poesie ist eingetrocknet, viel-
leicht auf lange Zeit, vielleicht auf immer. Ich bin bei
allem äusserlichen Wohlsein ein Schatten von dem was ich
war. Bisweilen ist mir zu Muth, als sollte ich eine Circular-
note bei allen meinen Freunden in Deutschland herumgehen
lassen: ich sei eingegangen und man habe fortan nichts
mehr an mir. Mein Aufenthalt in Deutschland, der doch
fast 4 Jahre dauerte, kommt mir immer mehr wie ein Traum
vor; alles Hässliche, selbst die Perponcher, ist vergessen;
alles Schöne ist mir geblieben und tröstet und peinigt mich
zugleich. Wahrscheinlich werde ich mich nach und nach
in diesen Zustand finden und indolent und langweilig werden,
denn ohne tägliche Anregung durch Freunde bin und werde
ich nichts.
Mit den „blauen Augen*^ hat es gute Weile. Die Schick-
sale gehen weit auseinander. Um meinetwillen soll Sie keine
schlimme Viertelstunde haben") und an mir liegt mir selbst
nichts mehr.
Oaoz traurig sieht mich das Lust«pielfragment an, das
ich in einer heitren Stunde von Dir verlangte, um es zu
vollenden/) Mit der nächsten grösseren Sendung sollt Ihr
*) Vgl. Abrbucb, Vorrede p. XIII a. S..IO; auch hier, Br. 19.
<) K.'t HorbMll.
•) » Br. 18 (ScbluM).
«) Br. 17 Anf.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (uud Johanna) Kinkel. g^
68 wiederhaben, weil Euch dran zu liegen scheint. — Um
das Domblatt bemühe Dich nicht; die Geschichte wegen der
Becension ist mir jetzt ganz indifferent geworden. Es ist
ja in Kölln fast niemand, der den „Conrad" gründlich recen-
sieren kann! Wenn's der alte Fuchs war, das wäre was
anderes. —
23. Mai.
Unter mancherlei Arbeiten habe ich auch meine Quellen-
stellen zur Kunstgesch. des früheren M. A. vermehrt und im
VI. Band von Pertz über 150 wichtigere und geringere
Notizen gefunden. Witigowo's Bauten auf ßeichenau sind
das umständlichste; etwa 120 Verse über Schmuck und Ein-
richtung der Abtei im X. Jahrh. Ich sammle nun immer
weiter, bald werde ich bei 1000 Stellen haben; Anastasius')
ist noch gar nicht dabei. So etwas unternimmt nun kein
Anderer, weil die Mühe für die Kungtmonschen zu gross
und für die Viri eruditissimi der Stoff zu unwichtig ist.
Nach und nach will ich mich in Stand setzen, über die
Jahrhh. von Constantin bis auf die Hohenstaufen eine Auto-
rität zu werden. —
Levin Schücking hat Dich wacker herausgestrichen,^)
da jubelte meine Seele! — Die Dame, welcher ich Deine
Gedichte verehrte, hat sich ungeheuer hineingelesen und
spricht rechts und links mit Entzücken davon.
Grüss Balder, Wolters und Ackermann ! Ich kann Ihnen
in diesem Moment nicht schreiben; die nächsten 14 Tage
gehören Brockhaus, für den ich die literas H und J aus-
arbeiten und baldigst einsenden muss. Ich lese viel; deutsche
Gesch. ist nicht zu Stande gekommen; auf nächsten Winter
kündige ich M. A. an. Vielleicht lese ich da vor einem ge-
muschenen Bupfl. über die Malerei seit Rafael, wie Du über
die Gesch. des Rheinlandes, wozu ich meinen Segen gebe.
— Die „Cronica" von Kölln gäbe ich ganz genau im alten
Idiom.') Nimm dich aber in Acht, das Ding kann weiter
reichen, als Du denkst. — Vom rupertinischen Krieg*) weiss
') Doch wohl Sinaita.
*) Durch eine Rezension im Feuilleton der Köln. Zeitung;.
') Iit im Abrbucb geschehen (vgl. dort p. X).
*) In Lerschs „Niederrhein. Jahrbuch" (s. Ahrbucb, S. 179).
86 Rudolf Meyer-Kraemer.
ich vor Gott noch nichts. — Den Uebergangsstylaufsatz ')
erwarte ich mit Sehnsucht. — Ueber Saltimbanck und Lallen-
könig*) habe ich an die Directrix geschriebeu. —
Nun Addio, herzlieber Doctor; Euch grüsst in treuer
Sehnsucht Euer Saltimbanck.
Vor dem Stiftungsfest schreibe ich jedenfalls noch ein-
mal, wenn auch nichts mitkommt.
Die nun folgende Gruppe von 12 Briefen, rund 1'/« Jahr
umfassend, entstammt der ßedaktörzeit des rastlos Viel-
beschäftigten.
21. Basel, 30. Juny 44.
Signalschuss an Urmau und Direktrix.
Himmelsmenschen! Ich hab Eure Sendung') aufs schönste
erhalten und mich daran von Herzen erquickt. Antworten
kann ich Euch vielleicht noch ein paar AVochen nicht, da
ich von Geschäften und Besuchen etc. ganz ecrasiert bin.
Gerade jetzt hat auch unser tobendes, prachtvolles Fest*)
begonnen, um welches ich mich als Redaktösor wohl oder
ungern kümmern muss. Basel hat den Kopf verloren und
das will viel sagen. Alles rappelt. Es ist aber auch fast
soviel Pomp da wie beim R«»gierungsantritt eines müchtigen
Königs. — Und ich, der bei Festen weder zu fühlen
noch zudenken weiss, mitten unter rasenden Enthusiasten!
Cilfick). Weise ist einer meiner nächsten Bekannten noch
Hkeptischer als ich, so dass ich als Apologet auftreten kann
trotz Sack. Es macht mir rechten Kummer, dass ich eine
fio ganz nnfostlicho Natur bin und kein anderes wahres Fest
kenne als das welches historischen Sinn hat und der Gipfel-
punkt und Ausdruck eines noch ganz frischen Factums, einer
Umwandlung u.dgl. ist, während mir die Erinnerungs- und
Sauffesto gleichgültig sind. —
*) Abrbuch, S. 41—49.
*) Zum M. K. Jgg. 1843 hat B. eine „hiMor. NolU vom LillenloWiig"
gMt«o«rt (Maftke eioet gekrönten Kopfe«, ehedem am GroMbiulcr Rhcintor).
*) Vor 6*r Konkarretui de« SiifiungRfeatc«.
*) Br. la hatte #• «agekfiniligt (Sttkularfeier der Schlacht bei St. Jokob),
vgl. Boch Trog, S. 44.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. y^
0 ich hätt' Euch gern was zu Eurem Fest geschickt!
Ich hatte einen schönen Stoff, aber diese wirre Journalistik
hat mir in den letzten Zeiten alles Gemüth verwüstet. Es
kommt aber noch. Ich merke nach und nach, dass ich
in diesen meinen Verhältnissen ohne das Bischen Poesie zu
Grunde gehen müsste. Auch ziehen dramat. Pläne, gegen
all meine guten Vorsätze, ihre Coraetenbahnen durch
meinen armen Schädel. — Mein Collegium über Gesch. der
Baukunst ist jetzt vierstündig und geht sehr gut von
Statten; die Kerls schwänzen nie und schreiben nach, als
diktiert' ihnen etc. etc.') In Deinem Aufsatz-) hast Du oft
und viel den Nagel auf den Kopf getroffen, das nächstemal
einige Randglössleiu von mir. Für jetzt das: CONSECRNM
heisst wohl consecrationem. Mit der Mariennische hast Du
wohl ganz recht, hättest aber wissen sollen, dass in un-
zähligen cathol. Kirchen der Eine grosse Seitenaltar regel-
mässig Muttergottesaltar heisst (der andere der Saciaments-
altar). — Famos sind bes. S. 321 — 26. — Den Lersch
grüsse bestens von mir und sag' ihm, ich hätte das Paket
richtig an die alterth.-forscheude Gesellschaft dahier ab-
geliefert. —
Deine Aufsätze in der A. A. Z.*) sind mir Lappsal (sie).
Um Gotteswillen, citiere mich nicht mehr;*) als Autor habe
ich schon zuviel wohlverdientes Malör gehabt! — Liebste
Direktrix, ich danke Ihnen mit getreuem Handkuss für den
schönen Brief und gebe meinen Segen zu Ihrer glücklichen
Stimmung. Ich habe ein Gedicht im Sinne, welches ganz
Ihnen gehören soll. Schicken Sie rothe Blättchen, die
blaunn^) füll' ich doch nicht leicht; es ist mir zuviel zu-
sammengekommen. Ach, nach Bonn komm ich doch nicht
mehr so leicht, obschon man Abends 6 Uhr von hier ab-
fährt und in 28 Stunden bei Ihnen" ist; ich bin angenagelt.
— Grüsst Balder und Wolters herzlich.
In Treue Euer
Saltimbanck.
*) „Der heilig Geist" (Mephisto zum Schüler).
') Vom Uebergangsstyl ; 8. Br. 20 (Schluss).
•) Augsburger Allgem. Zeitung.
*) Nämlich die „Kunstwerke der belgischen Städte".
') Die Farbe des Papiers ist jähr gang weise verschieden.
88 Rudolf Meyer-Kraeraer.
Diesen Brief frankier' ich nicht, weil das Frankatur-
bureau noch nicht offen ist und ich sehr mit der Zeit be-
drängt bin. Frankiert Euer Nächstes auch nicht. Addio.
22. Basel, 2. Aug. 44.
Vor Allem Vivat hoch der Mibes ! ') — Jetzt aber bitte
ich Dich, herzliebster Urmau, schreib mir mit Nächstem den
eigentlichen Christennamen des Kindes, damit ich selbiges
nicht fortwährend mit diesem entsetzlichen, halb rabbinisch
klingenden Titel belegen muss! Wo Teufels hast Du das
Wort Mibes her? —
Allso (sie) Vivat Hoch ! — Was wollt Ihr mit dem Mibes
anfangen? Soll er auch ein Pastor werden? Ich habe un-
längst, als ich nicht einschlafen konnte, eine lange Geschichte
ausgedacht, wie Mibes dermaleinst in Berlin studieren wird
und was dann für eine Philosophie in Berlin regieren mag.
Das Absolute und der Lallenkönig tanzen ein Pas de deux
auf den Gräbern Hegels, Schellings und Eichhorns. Der
Mibes geht im Thiergarten spazieren und raucht; es kommt
ein Gendarm uud da wird dem Mibes plötzlich der Gegen-
satz zwischen dem Absoluten und der Welt klar in Gestalt
einer Busse von 2 Reichsthalern. Etc. Unsinn. —
Dass Du endlich auf eine gewisse Veränderung') denkst,
ist schön und brav und ich glaube, es muss gehen. Wenn's
geht, so ist Alles gut. — Schreibe mir gleich, wenn die
Sache rückt! —
Mit Deinem ewigen Citieren meines Wisches in der
Allg Tteituug*) hast Du mir einen verruchten Streich ge-
spielt! Ich bitte Dich hiemit kniefällig, erwähne dieses elende
Ding nicht mehr, sonst kommt mir Einer über die ganz
groben Schnitzer, die der Dr. Förster nicht gefunden bat,
weil er ein E^tel ist! — Ich stehe jedesmal Höllenangst aus,
wenn von diesem Belgien die Rede ist — Deine Brieffe")
waren sonit gar schön und liebblich zu lesen, aber in die
Steine gehanwen hast Du aucL —
') K.'» Kratgeboroiier, der »pätere ZQricher I'rivat(fosent Gottfried; den
KoMfiamen erhielt er wegen idner Kleinheit. (Er endete 1891 bei Bonn in
des Finten de* Rheins).
*) Uebertrilt sur phllutoph. Fakultät.
*) t. dmi vorlgM Brief.
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 89
6, Aug.
Gestern Abend spazierte ich mutterseelallein nach
Deutschland, d. h. nach der badischen Grenze, wo nahe über
dem Zollhaus einer der letzten Ausläufe des Schwarzwalda
in Gestalt einer Felswand gegen den Rhein abstürzt. Unten
ringsherum auf tausendjährigem Felsenschutt wuchern und
wachsen die schönsten Reben, von steilen Pfaden durch-
kreuzt. Ach wie liebreich streckten die ihre Ranken nach
mir aus! Ich war drauf und dran, Versehe zu machen. —
Wenn man hier wüsste, wie ich mich nach Deutschland
sehne, so hätte die Nationalzeitung Donnerstags einen lei-
tenden Artikel: Der Red. der Baseler Ztg. als Vaterlands-
verräther. —
Unsere polit Zustände werdea in Betreff der Frage:
Wer denn Recht habe? immer unentwirrbarer. Thatsache
ist, dass in mehreren Kantonen das Volk per majora, in
offenem Aufstand, kraft seiner Souveränetät die so-
genannten Fortschrittsmänner zum Teufel gejagt hat und
noch jagen wird. Nun muss man wissen, dass diese Fort-
schrittsmänner in wüstem Wirrwarr Schlechtes und Gutes
miteinander ausgerottet hatten und noch fürder ausrotten
wollen, dass sich überhaupt ein so eminentes Rumor- und
Spektakelwesen an die sog. Sache des Fortschrittes hängte,
dass kein reputierlicher Mensch mehr so recht dabei sein
will. Die Stellung unsrer Zeitung ist nun die, der falschen,
unreinen Fortschrittspartei entgegenzutreten zu Gunsten der
Antriebe welche in den Bevölkerungen selbst liegen. Nun
höre aber weiter. Wer steckte, wenn auch nur za geringem
Theil, hinter jenen antiradikalen Aufständen? Die patres soc.
Jesu, und gegen jede Complicität mit diesen müssen wir
uns mit Händen und Füssen sperren. (Ich habe unlängst
einen schönen Artikel darüber geschrieben,*) welcher „den
besten meiner Stadt genug gethan" und also lebt für alle
Zeiten , d. h. so lang bis alle Exemplare der Zeitung zum
Hausgebrauch benutzt sein werden.) — Hier hast Da den
Schlüssel zu vielem, worüber Euch die deutschen Zeitungen,
zumal die Kölnische, nur anlügen.
•) Von ihnen und ihrer Rolle in den Wirrnissen des „Souderbunds"
handelt B.'s Leitartikel vom 16. Juli d. J. in der Basler Zeitung.
90
Rudolf M e V e r - K r a e m e r.
6. Aug.
Siehe, Urmau, so muss ich meine Zeit zersplittern um
nur auch ein paar Zeilen an Euch schreiben zu können.
Ich bitt Euch alle, habt auch nur ein paar Monate Geduld
mit mir! — Das Lustspiel werde ich wohl Andere schreiben
lassen, obwohl es an Laune im Ganzen nicht fehlt, so blut-
einsam ich mich auch fühle. — Ich hätte Dir gern über
Alles mögliche geschrieben, aber Zeit und Sammlung fehlen
ganz. Addio herzlieber, glückseliger Urmau! Dich küsst
von Hertzen Saltimbanck.
Liebe Direktrix!
Alles was ich dem Urmau gemolden und gewunschen
habe, gilt auch Ihnen, da ich mich leider auch diessmal
erbärmlich kurz fassen muss. "Wenn ich etwas von meiner
Sehnsucht nach Euch in ein Schächtelchen mit Baumwolle
verpacken und Euch schicken könnte — Ihr würdet die
Kürze meiner Brieffe gern verzeihen. Dem Mibes wünsche
ich alles Heil auf Erden, da sonst schon Leuthe (sie) ge-
nug da sein werden, welche für sein ewiges Heil sorgen und
wünschen. Mög der Mibes sein Leben lang frank und frei
durch all den irdischen Spektakel einhergehen, nicht kalt
noch sentimental, kein Ultra noch Indifferentist; mög er
Glück haben bei Gott und den Menschen, zumal bei den
Frauen. "Was mag der Kerl dermaleinst denken, wenn er
io 20 Jahren die sämintlichen Jahrgänge des Maw in einem
Schranke finden und Mutter und Vater drüber quästionieren
sollte! Vielleicht worden sie sich dann zur Abfassung eines
fortlaufenden Commentars entschliesson müssen! — Denken
Sie, liebe Direktrix, dem Zefron habe ich seit Strassburg
noch immer nicht geschrieben, und jetzt weiss ich vol-
lends nicht mehr, ob er in Weinhoim oder sonst wo sitzt.
Und doch bin ich entschlouen , in 8 Jahren, wenn ich
mir etwa 120 Louisdor verdient habe, mit ihm nach
Italien zu reifen — diess sollen nur Sie und der Urmau
wiMeo. Melden Sie mir doch im näobsten Brief, wo Fresen
jetst wohnt Ein Rri^f an ihn ist 4 Monate angefangen.
Meine AdroMo ist fortan: Dr. J. B., Red. der Baseler Zei-
tung. — Habt Geduld mit mir, ich wills Euch lohnen. Ver-
Briefe Jakob Burckhardts au Gottfried (und Johanna) Kinkel gi
gesst nicht, dass ich an meine Zeitung angenagelt bin wie
eine Nachteule an ein Scheunenthor. Alle literarischen,
studiorlichen u. a. Interessen müssen jetzt für einige Zeit
das Maul halten. — ürmau, siegle die Brieöe an Stift und
Schauenburg und wirf sie auf die Post.
Liebe Direktrix, ich bin mit Papier und Besinnung am
Ende und sudle schon ganz unverantwortlich. Der Brief
rutscht mir unter den Händen fort.
Grüs-en Sie das Rheinland und Alles, was sich meiner
noch erinnert! Empfehlen Sie mich Ihren Eltern und den
Damen Heinrich und Bernd!') — Das nächstemal schreibe
ich an Focko und Andres. Was macht letzterer Bengel?
Ich verbleibe in unvergänglicher Treue Ihr
Saltimbanck.
23. " Basel, 14. Sept. 1844.
Herzlieber Urmau!
0 jetzt ist es bald ein Jahr, seit ich das letzte Mal
bei Euch in Bonn war — ich darf nicht daran denken,
denn dieses Jahr war ein verlornes. Gearbeitet habe ich
wohl, geoxt im Schweiss meines Angesichtes, bin auch zu
einem ganz guten Auskommen durchgedrungen — aber öde
und leer ist es um mich gewesen und so wirds bleiben.
Ich hätte unter Wilden nicht isolierter dastehen können;
die paar Tage mit Fresen und der Abend mit Ackermann
waren die einzigen Augenblicke da ich meine Sprache reden
konnte. Meine glückliche, innerlich feste Natur hat mich
allerdings vor der Melancholie bewahrt; unglücklich bin ich
fast nie gewesen, aber unbeglückt bin und bleibe ich; in
diesem Boden werde ich niemals festwurzeln können.
Ich dichte auch nicht mehr'^), nicht eben weil die Zeit
dazu völlig fehlt«, sondern weil mich das Poetisieren ä ma
fa9on in eine weichliche, elegische Stimmung bringt, indem
es mir Tage des Glücks vorzaubert, die niemals wieder-
kehren werden. Und wenn ich auch die schönsten, gött-
lichsten Eingebungen hätte, ich müsste sie ja doch still
') 8. Vorbem. zu Brief ii.
■ •) Im M. K. Bcbliessen B's Beiträge mit Jahrg. 1844 bis auf weiteres,
erst 1846 bringt noch eine Nachlese aus Italien.
02 Rudolf Meyer-Kraenier.
herunterschlucken, schon aus dem einfachen obwohl hoch-
müthigen Grunde, dass mir Niemand gut genug ist um
ihm dergleichen mitzutheilen. Es sind viele Philister und
Wissens nicht, and die sind grade die fatalsten. Wenn das
so fort geht, so kann ich ein nützlicher Bürger, vielleicht
mit der Zeit sogar ein passabler Professor werden und doch
ist am Ende mein Leben für den, welchen es hauptsächlich
angeht, nämlich für mich, ein verlornes — wie dieses letzte
Jahr ein verlornes gewesen ist.
8. Oct. 1844. ')
Ich bins ja nicht der sie heraufbeschwört,
Vergangne Freuden, die mich einst bethört.
Verschwimmend blasse, süsse Schatten!
Der Nebel ist es der den Wald durchzieht
Das fallende Laub, das vor dem Herbstwind flieht,
Der Abendduft ist's auf den Matten!
Es ist das Flüstern in dem düstern Hain
Es ist das Brausen fern eher vom Rhein
Es ist der Abenddämmrung Grauen —
S'ist die Natur, sie ists die grausam weckt
Was in des Herzens Tiefen sich versteckt
Und die mich zwingt es anzuschauen.
0 seid gegrüsst, ihr theuren Schemen all
Ihr naht, doch hör' ich nicht der Schritte Hall
Ich weiss ich darf euch nicht umarmen —
Nur Nebelbilder sind's — und doch, sie sehn
Mich bittend an: „lass uns nicht ferne stehn!
0 lass zum Leben uns erwarmen!
0 zieh uns kühn an die gequälte Brust
Dann werden wir lobendig — komm! Du musst!
Za leben still in unsrer Mitte! — ^
Und wie ich starrte, zog die Nacht heran,
Der Bohemen Kreis mit leisem Hauch zerrann,
Und •chaudernd wandt' ich meine Schritte.
•) Vgl. biercu den VierteOtr d«r fteiNrwmat, mit dem diu Kkp. i der
KinUfncckuUui- KblieMl : „Q«nlO h btOfH giOflPiW etc." . . .
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. g^
6. November.
0 Dir Lieben ! gebt mir ein Zeichen ob Ihr mir nicht
zürnt, dass ich Woche um Woche vergehen Hess ohne Euch
zu schreiben! Es schwebte mir immer das Ideal eines
schönen, einsamen, freien Abends vor, welchen ich einem
langen, langen Briefe widmen wollte, aber der Abend ist
nicht gekommen und ich bin noch immer im Rückstand,
und schliesse jetzt nur ganz dürftig und kurz. — Ich hätte
Euch so viel zu schreiben was interessieren könnte wenn
ich bei Euch wäre, aber geschrieben wären es doch nur
Miseren wie meine ganze hiesige Existenz. Letztere wird
mir bloss durch die Zeitung erträglich, indem ich ohne
dieses tüchtige Mass laufender Geschäfte entweder vor Ekel
davonlaufen oder des Todes sterben müsste. Ihr macht
Euch keinen Begriff von der tiefen und durchgehenden
Isolirung, in welcher ich hier bei anscheinendem Umgang
lebe. Die Besuche Ackermann's und Sefren's blitzten wie
Wetterleuchten an mir vorüber und Hessen mich in einer
Melancholie zurück, welche ich durch tobende Geschäftigkeit
vergebens zu zerstreuen suchte. Sefren hat mir bereits von
Clevio^) aus geschrieben; es ist ihm doch nicht ganz geheuer
in dem neuen Elemente ; die grossen kalten Säle und Hallen
sind so unheimlich in dieser Jahreszeit! Aber er wird bald
Boden gewinnen und triumphieren.
Meine Lage muss ich Euch doch mit Wenigem aus-
einandersetzen. Ich nehme von Zeitung u. a. Arbeiten und
Rentchen so viel ein, dass ich jährlich etwa 300 Rthlr
zurücklegen kann, ja noch drüber. Dieses spare ich zu-
sammen um in c. 2 od. 3 Jahren etwas zu haben, wenn
ich mit Einem Satz aus allen hiesigen Verhältnissen heraus-
springe. (Dieses nur für Euch! hier darf maus nicht ahnen!)
Daraufhin spare ich bereits nach Kräften und lasse mir diess
liiesige Hundeleben in Gottes Namen gefallen. Jetzt wisst
Ihr was ich will.
') Fresenius, der gleichaltrige Freund (und habilitierte Chemiker) war
wohl eben jetzt in die ersten Stationen einer Italienreise (von Giessen aus)
eingerückt: es wird hier Kläfen (Chiavenna) gemeint sein. Uebrigens war
er Nov. 1845 wieder in Venedig,
qA Rudolf Meyer-Kraenier.
7. Nov.
Lieber Urmau, nimm Dir einmal eine lialbe Stunde
Zeit und schreibe mir die Liedchen von Paris und Rouen
ab '), ich. möchts gern zum Übrigen tbun. Die schöne Zeit
der Freiheit wird mir mehr und mehr objektiv und mythisch,
und ich wünsche so sehr, die dahin einschlagenden Akten-
stücke möglichst vollständig zu besitzen! Es ist ja doch
das beste Stück von meinem Leben gewesen.
Urmau, was treibst diesen Winter? Ich lese vierstündig
Mittelalter vor 4 Zuhörern und einstündig Gesch. der Malerei
vor gemuschenem Bupfliko. *) In zehn Tagen fang ich an
mit Letzterem und weiss noch keinen Buchstaben. Ich bin
durch wunderliche Fügung dazu gekommen und glaube
desshalb, es werde mir auch durch dämonische Fügung
gelingen. Diesen Sommer habe ich vor 6 Zuhörern (am
Ende, Anfangs October — denn so lange musste ich lesen
um fertig zu werden — hatte ich noch- fünf) Gesch. der
Baukunst vorgetragen was ganz gut ablief und mir etliche
Bekanntschaft mit denen Studiosis zuzog. Das M. A. fang
ich nächsten Montag an.
"Was macht Mibes? Ich geb' ihm meine Benediction
aus der Ferne. Schreib mir genau, wie Du jetzt stehst, was
Deine Aussichten sind u. s. w., damit ich weiss was Trumpf
ist. Mir gehts insofern gut, als ich genug habe und der
Opposition lache, die da noch meint, mir, der ich Euch
zu Freunden habe, der ich Erinnerungen besitze wie Wenige,
mit Schimpfen etwas anhaben zu können. Die ärgsten langen
Nasen weise ich den Kerls ganz im Stillen.
Lebwohl, herzlieber Urmau, grüss alles Grüssbare!
In bittrer Sehnsucht ..,
Saltimbanck.
Bitte, Single das Briefcben nach Elberfeld (es ist ein
kommaner Trotbriof, ich thue als ob ich in der Noth wäre)
und wirf os auf die Post! —
') Au» dem Jgg. 1843 de» M. K.
•) ». Trog, S. 4$.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. g^
24. Basel, 23. Dec. 1844.
Liebster Urmau!
Seit Freitag liegen Sefrens Blätter bei mir und immer
hoffte ich, Euch etwas beilegen zu können und jetzt ist doch
nichts draus geworden !
Ich hätte Euch gern einen poetischen guten Morgen
gewünscht, aber es wird daraus nichts mehr. Ich fühle
mehr und mehr eine Leere und Öde, sobald ich nicht von
früh bis spät mit Geschäften überladen bin. Das wird nicht
eher enden bis ich in eine andre Luft komme; hier gedeih
ich einmal nicht. Was mir hier von Anerkennung und
Theilnahme entgegenkommt, nehme ich äusserlich an um
mich innerlich um so ungestörter dagegen zu verhärten.
Es sind ja doch alles lauter Leute, mit denen ich keine
innere Berührung habe. Calderons „Leben ein Traum" ')
wird zur Wahrheit; ich sehe Alles was mich umgiebt, wie
eine Welt von lauter Schemen an. Und da kommen die
guten Leute und meinen noch, die Angriffe in den Zeitungen
müssten mich schmerzen und der Success (von Dem) und
Jenem, was mir gelingt müsse mich (freuen).
A propres von Success, dieVorlesung(en über) Geschichte
der Malerei ziehen das ganze (gebildete) Basel zu meinen
Füssen und tragen mir (ungefähr) 130 Rthlr ein, wie ich
glaube. Das darf (das Publikum) natürlich hier nicht wissen,
dass es mir (dabei um) nichts Anderes zu thun ist als um
ein paar (Monate der) Freiheit mehr, die ich mir dereinst
mit diesem Gelde erkaufen kann. Man leiht mir hier bald
diesen bald jenen ehrgeizigen Plan, sogar vornehme Heirath
u. dgl. und ich kann nichts gescheidteres thun al^die Leute
im Glauben lassen; denn wenn die Philister merken, dass
man gar nichts im Schilde führt, so beginnen sie alsbald,
einem insolent zu begegnen, weil sie einen für dumm
halten. — 0 Schiida, mein Vaterland! Hätte ich Zeit, Humor
und Mitlacher!
Ich schreibe allwöchentlich in die Köln. Zeitung unter
dem Zeichen 3J|=; ihr werdet's wohl schon bemerkt haben.')
Ich bin gerade jetzt durch meine rein staatsrechtliche
•) 8. Brief i8, Auf.
') B. hatte zunächst um das Feuilleton ambiert, jedoch Levin Schücking
weichen müssen.
g5 Rudolf Meyer-Kraemer.
Ansicht schweizerischer Zustände, welche sich durch Jesuito-
phobie u. dgl. nicht aus dem Concepte bringen lässt, für
die vorsichtige, pfaffenschonende Köhi. Zeitung ein ganz
geeigneter Correspondent. Ich habe nicht ohne Absicht
mit Damont angeknüpft; es ist immer ein Zweig mehr,
woran man sich halten kann, wenns hier zu toll wird. Auch
zahlt er räsonnabel ; per Spalte zu 120 Zeilen (. . ? . .). Wenn
ich das Geheimniss, welches (nur wenige der) hiesigen
Bekannten, sonst durchaus gute discrete Leute, wissen,
bewahren kann, so (werde ich) in der Kölnischen immer
ungenierter (werden). In meiner Vorlesung über M. A. an
der Universität habe ich 6 Zuhörer. Rechnet diess (zu-
sammen) : 6 mal wöchentlich die Zeitung, 3 Stunden (Colleg),
einmal vor gemuschenem Bupfliko, und Ihr (werdet) begreifen»
dass mir für Nebensachen nicht viel (Zeit) und Stimmung bleibt
Wo sind die Zeiten, da ich wenigstens noch den Alchy-
misten schreiben konnte? — Es wird Abend; solls wohl
noch einmal Morgen werden? "Woher diese dumpfe, sterile
Stimmung, während mir doch Niemand bisher etwas hat
zu Leide thun können auch bei schlimmster Absicht?
0 wenn ich doch nur wieder ein paar Tage bei Euch
in Deutschland sein könnte!
Grüss Directrix! Grüss Andres! und wer sonst nach
mir fragt! Schreibt mir wieder einmal, obwohl ichs nicht
werth bin. Bedenkt, dass in der Erinnerung an Euch jetzt
für mich der letzte Pulsschlag wirklichen, warmen Lebens
schlägt, dass nur in ihr das Schein- und Schattenlebeu auf
Angeoblicke aufhört Ein paar schöue Augen, die mir
einige Zeit im Sinne lagen, gehören jetst auch nur noch
dem Schattenleben an und werden zudem nächstens Basel
▼erlaMen. In Qottes Namen, ich will mich darüber nicht
grämen; es wäre doch nichts für mich gewesen.
0 Gott, ein Jahr Freiheit, Poesie (— und dann) sterben ! nur
nicht, wenn ich (denn doch loben) inuss, in der bittren Tücke
anterg(ehen, an) welcher ich hier immerfort würgen werde.
Schreibt mir bald! KüMt den kleinen Gottfried! Addio
Urmau, grüsf Alles! Von Hersen ^ , ^
Euer getreuer B.
Von Ackermann weiss ich kein Wort
Briefe Jakob Burckhardts aii Gottfried (und Johanna) Kinkel. g-j
26 Basel, 7. Jan. 1846.
An den ürmau.
Herzliebster ürmau!
Vergieb, dass ich im Drang der Umstände nur diess kleine
Blätt<'hen vor mich nehme, um Dir zu schreiben! Ich habe die
ganze Zeit über alle Tage oft an Euch gedacht, und hatte auch
eine Ahnung, Du müsstest nicht ganz auf dem Strumpf sein.
Ich weiss jetzt auch ein Lied zu singen von dem Nicht-
fertigwerden — und Du hast doch noch Deinen Engel zur
Seite, der Dich treibt, wenn's allzutoll wird, aber ich bin
ganz allein, und habe keinen Menschen um mich, sondern
nur gate, mitt^lmässige und böse Leute. 0 das weisst Du
nicht, wie das stimmt, wenn man einen Freuden- oder Klage-
schrei aus der eigentlichen Seele gellen lässt und die guten
Leute sehen einen ganz verwundert an ! — Doch davon
habe ich Euch schon genug die Ohren vollgeleiert.
Du urtheilst, die Zeit sei gekommen, Dein jetziges
Bonner Verhältuiss abzuschliessen und den Biss zu wagen.
Thu es, mein Freund; ich rathe dazu schon desshalb, weil
ich glaube, dass ein Zugwind Deine Seele erfrischen wird.
Aber am besten wäre es, wenn Du dabei in dem seligen
Bonn bleiben könntest! Sollte es denn nicht möglich sein,
die Sache so einzurichten aber freilich, Du musst Dich
zur Disposition des Ministeriums stellen. — Ich fürchte immer
sie schicken Dich nach Greifswald oder nach Breslau — aber
auch da will ich Euch einmal heimsuchen.
Was Du mir von der Politik unter den Studiosen
schreibst, hat mich ausserordentlich überrascht, obschon
grade ich es hätte sollen kommen sehen. Ich hätte nie
geglaubt, dass die Aussaat von Berlin Anno 1842 — denn
die ist es') — so rasch aufgegangen wäre. Ehrlich gestanden,
ich erwarte nicht viel davon, weil ich an mir selbst erfahren
habe, was das Zeitungslesen für Confusion stiftet. Für
Preussen ist die Sache vollends ein Unglück, weil da der
politisierende Student fast mit Nothwendigkeit den Pli einer
besondren, bestimmten Opposition annimmt, indem die
Parteien, an welche man sich angruppieren könnte, noch
gar nicht vorhanden sind. Alles bläst nun mehr oder
«) Vgl. Br. 3 Scblusi (auch lo Schi.)
q8 Rudolf Meyer-Kraemer,
minder nach einer Richtung hin, die mehr oder minder
philosophisch aufgestutzt im Ganzen das Richtige enthält,
im Einzelnen aber ein Holzweg ist. Was soll das werden.
wenn man alle Mittelstufen und Consequenzen überspringt
and in Gedanken schon beim Socialismns anlangt, während
man faktisch noch nicht über den erleuchteten Absolutismus
hinaus ist? wenn man jeglichen Masstab der Wirklichkeit als
etwas Unwesentliches, rationell Ueberwundenes bei Seite legt
und dafür in Gedanken die riesenhaftesten Portschritte macht?
Mir kommt die ganze Geschichte vor als wollte man ein
Haus bauen, stritte sich aber vor der Hand gerichtlich
herum, ob das obere Zimmer hinten hinaus gelbe oder rothe
Vorhänge erhalten solle. Dieses ist meine einfältige Meinung.
Wir haben in der Schweiz auch solche „geistige, rationelle'*
Ueberwinder, das sied die Rohmerianer in Zürich, •) welche
inzwischen doch den schändlichen Freibeuterzug nach Luzern
unter ihrer Nase mussten geschehen lassen. Du glaubst gar
nicht, wie sehr man in der Schweiz auf das Thunliche,
auf die einfachen, handgreiflichen Mittel merken lernt. Ganz
lächerlich ist mir z. ß.unsore Köln.Ztg.(welche mir beiläufig ge-
sagt einiges Geld eintragen soll) mit ihrem Liberalismus gegen
Berlin und ihrer erbärmlichen Knechtschaft unter den Pfaffen !
Glaube mir, ich massige mich in meinen =||r: Corrospondenzen,
aber Dumont streicht mir die harmlosesten Ausdrücke übardie
Jesuiten u.dgl. Da soll mir noch einer mitLiberalismus kommen!
Hätt' ich nur mehr Zeit in dem Augenblick! Aber Du
sollst einen schönen langen Brief haben, einen ganz aparten!
Für den Maw za arbeiten — daran darf ich in der nächsten
Zeit gar nicht denken.
Liebster Urmau, ich liege in diesem Augenblick an
Deinem Halse und küsse Dich und möchte Dich gerne er-
beitern! Nimm*s für empfangen an ! Lieber, lieber Freund,
wenn ich Dir auch manchmal die Ohren volljammere — die
gotoD Augenblicke sind eben auch Dir geweiht! —
Lebewohl! in alter Treue Dein Sahimbanck.
'; So«b«o war (1844 in KrAuenfeld) von Fricdr. Kobmer (1814 — 56)
crMrbiatMo: ML<ebre voo d«n pollli>cben I'iirteien". lu den Denkwürdigkeiten
Kjup. BluniMrblit (der ticb voo den londcrbareo Schwirmern einfangen lieu)
Ul bieräbcr Niberet tu finden.
I
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (uud Jobanna) Kinkel. gg
Ein nächster Brief ist nur ein kurzes Billet; Kinkel
bereitete, zum Uebertritt von der theologischen zur philo-
sophischen Fakultät in' Bonn nunmehr entschlossen, ein
Kolleg über Kunstgeschichte des Mittelalters vor (das er
nachmals, im Winter 1845, gelesen hat), vielleicht auch ein
Werk darüber. Burckhardt hatte ihm für diesen Zweck die
eignen Collectaneen und Exzerpte hergeliehen. Dies Billet
— vom 21. Januar 1845 — bittet nun in plötzlicher Besorg-
nis wegen verzögerter Rücksendung um sofortige Abfertigung
des schlechthin unersetzlichen Manuskripts.
27. T • , . TT . Sonntag, 2. Merz 1845.
Liebster Urmau!
An Dich diessmal nur ein paar Worte als Umsch'ag;
das Weitere ersiehst Du aus inliegendem Brief) an Directrix.
— Wolters. Andreas und Alexander*) müssen diesmal warten.
O lieber Urmau, ich weiss, es thät Dir wohl, wenn ich
jetzt zu Dir träte und den Arm über Deine Schulter legte,
drum thu ich os jetzt im Geiste! Ich hab in den letzten
Tagen soviel an Euch denken müssen, als ich Musterung
hielt über All das, woran mein Herz noch hängt. Ich dachte,
ob ich mein Schicksal eher an das Deine oder das Her-
manns'*) hängen möchte und bin zweifelhaft geblieben. Mit
Hermann werde ich es vielleicht eher probieren, denn Du
hast schon Jemand um Dich. Vivat die Lumperei und
das Durchbrennen! Grade weil ich ein so besonnener, or-
dentlicher Mensch bin, habe ich ein Recht, so zu sprechen ;
denn mit den Eventualitäten muss man sich doch vertraut
machen! Addio! Von Herzen Dein sehnsüchtiger S.
28. T • u . TT . Basel, 19. April 1845.
Liebster Urmau! ^
Ich muss Euch doch auch schreiben, dass ich noch
am Leben bin und überhaupt in diesem Monat kein Bulffer
gerochen habe. Es ist noch ziemlich gut abgelaufen; die
mobile Anarchie, deren Führer im Sinne hatten, von Kanton
') Der leider verloren gegangen ist.
') Kaufmann.
•) Schauenburg. Für K. bandelte es sich um Genehmigung seines
Fakultätswechüels, deren Verzögerung ihn in peinvoller Spannung hielt.
lOO Rudolf Meyer-Kraemer.
ZQ Kanton zu ziehen und daselbst Alles über den Haufen
zu werfen, hat einstweilen an den Thorpfosten von Luzern
eich den Kopf eingerannt; allein über kurz oder lang kömmt
das Ding wieder und kann wohl auch einmal der jetzigen
Existenz in Basel ein Ende machen. Mir ist durch diesen
grässlich brutalen Gemüthszustand der Schweiz die ganze
Geschichte furchtbar verleidet und ich werde mich expatriiren,
sobald es irgend angeht, so Gott will im Sommer 1846.
Das Wort Freiheit klingt schön und rund, aber nur der
sollte darüber mitreden, der die Sklaverei unter der Brüll-
masse, Volk genannt, mit Augen angesehen und in bürger-
lichen Unruhen duldend und zuschauend mitgelebt hat. Es
giebt nichts Kläglicheres unter der Sonne, experto crede
Ruperte, als eine Regierung, welcher j«der Intrigantenclub
die executive Gewalt unterm Hintern wegstehlen kann und
die dann vor dem ,,Liberalismu8'' der Schwünge, Knoten
und Dorfmagnaten zittern muss. Ich weiss zuviel Geschichte,
um von diesem Massendespotisnms etwas andres zu er-
warten als eine künftige Gewaltherrschaft, womit die Ge-
schichte ein Ende haben wird. Es wird auch in Deutschland
die Zeit kommen, da der vernünftige Fortschritt (dessen
Ziel die Constitution ist) sich sondern wird von der blinden
und intriganten Agitation. Bis dahin seid ihr faktisch
politische Kinder, und solltet Gott danken, dass in Köln,
Koblenz u. a. 0. preussische Garnisonen liegen, so dass Euch
nicht über Nacht jede beliebige Schaar kommunistisirter
Knoten über den Pelz kommen und Euch Euro Kisten und
Kasten ausnehmen kann. Glaub mir, das politische Volk,
an wolchos gewisse Leute prahlend appeiliren, existirt,
wenigstens in Deutschland und in der Schweiz, noch nicht;
statt seiner ist eine Masse vorhanden, in der eine Menge
berrlicber Keime und Charakteren schlummern, die aber als
Maate in den Händen jedes Schuftes wttro und sich dann aln
B<^tie goriren würde.
Saptenti sat.
Von der völligen Verwüstung jeglicher Laune, welche
dieee Geeobichten mit sich führen, machst du dir gar keinen
Regriff. Man kommt nicht einmal ssam Arbeiten, geschweige
dnnn zu Htwa« Beeaerem. Die leisten 4 Wochen sind für
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. loi
lüich eine total verlorene Zeit gewesen; die nöthigsten Dinge
blieben liegen; Alles nahm die Zeitung und das Herumlaufen
in Beschlag. Wesshalb ich noch ein Jahr hier ausharre, das
macht: ich bin Willens, mir noch einiges Geld zu verdienen,
und berechne meine Geduld zu diesem infamen Zeitungs-
metier auf ungefähr noch 14 Monate; dann, weis ich, kann
ich nicht länger. Ich glaube Euch gemeldet zu haben, dass
ich inzwischen zum Prof. extraord, ohne Gehalt^) ernannt
worden bin; schreibe ich nun nicht länger die Zeitung, so
verdiene ich hier auch nichts mehr und kann dann eben-
sogut anderswo leben als hier, da ich ja doch aus meinem
Gelde leben muss. Dass ich aber an jedem andern Orte
besser und an weit den meisten Orten auch wohlfeiler lebe,
unterliegt keinem Zweiffell (sie); auch will ich mir dann
schon was zu thun machen. Sieh, ürmau, arbeiten kann
ich hier nicht (so plage- und qualvoll auch mein Tag ist)
und dessbalb muss ich fort. Zudem hängt mein Herz hier
an nichts, ich mag mich prüfen wie ich will. Das hiesige
Treiben, das Geschäftigthun mit den vielen Ehrenausgaben
u. 8. w., ist mir herzlich zuwider. Da ich mich doch einmal
mit meiner Hände Arbeit ernähren muss, so will ich mir
auch gerade einen bequemen Platz dazu aussuchen. Vielleicht
würde ich mich dann, wenns irgend möglich ist, nach ge-
wissen Leuten richten, nach welchen die Magnetnadel meiner
Seele beharrlich hinweist. Schicksal und Aufenthalt (sort)
dieser Leute sind bis dahin so Gott will entschieden. Mög-
licher Weise gehe ich zuvor für einige Zeit nach Italien,
doch ist es kaum wahrscheinlich, indem bis dahin meine
kunstgeschichtl. Quellenstudien nicht genugsam vorgerückt
sein können, um durch die Anschauung ihren Beschluss
zu gewinnen; ich hätte nachher noch Jahre lang nachzuoxen.
Ich schreibe diesen Brief schnell hin, damit Ihr wieder
Nachricht von mir habt. Zu allem Übrigen geht der ge-
plagten und zerstreuten Seele die Fassung ab. Ihr habt
jetzt wieder ein Bulletin von mir.
Die Sommerreise zu Euch soll, so Gott will, zu Stande
kommen, Ende Juli. Könnt' ich zu einer andern Zeit kommen,
ich thät's gewiss. Mein Stellvertreter über die botreffende
•j s. Trog, S. 30 ff.
1 02 R u d o 1 f AI e y c r - K r a e m e r.
Woche ist gewonnen und sagt: wenn's nit Judenjiingen
hagele, so wolle er für mich einstehen. Ich werde ihm für
jeden Tag 2 Rthlr. geben, woraus ihr sehen möget, dass ich
mir es etwas kosten lasse. Die Sehnsucht steigt und steigt;
Gott gebe, dass nicht etwa der politische Satan neues Unheil
dazwischen säet.
Ich erwarte halb und halb Focke, der mich partout
in Strassburg sehen wollte; allein über meinen einzigen
freien Tag, den Sonntag, in Strassburg zusammenzukommen
hätte nicht der Mühe gelohnt, da ich Sonnabend spät an-
gekommen wäre und Sonntag Morgens 11 Uhr wiederhätte
abreisen müssen. Gott weiss, ob Focko sich nun dennoch
meiner erbarmt, und die alten schönen Zeiten wieder aufzu-
wecken kommt. Ich gehe jetzt an die Eisenbahn um ihn, wenn
er da ist. abzufassen und jubelnd in meine Höhle zu führen.
Leb wohl, herz liebster Urmau! — Ach Gott, soeben
fährt der Omnibus vor und Focke ist nicht darin.
Lebwolil Urmau; mein Herzensgruss an Directrix! Dem
Andreas schreib ich ein andermal, grüsst ihn, Wolters und
was sich noch meiner erinnert, bestens von mir.
Lieber Urmau, sei gegrüsst von Deinem
sehnsüchtigen B.
29. Basel, 11. Juny 1846.')
Guten Abend Urmau.
Es ist üigontlich Luxus, dass ich an Dich schreibe,
denn den 2(). July hoffe ich Dich von Angesicht zu sehen.
Allein ich weiss, dass Du gern ein paar Zeilen von mir
hast und im Oxen bist, da schmecken die Briefe von guten
Frennden am besten. Diessmal solltet Ihr eigentlich ein
Paket kriegen, nämlicli 2 Ex. von einer nnulichen Abhand-
lung von mir über die Kirche zu Ottmarsbeim im Elsass,')
aber ich bring sie lieber in Persohn (sie) mit, damit die
ßrieffn an und vor (•ic) sich sobnellor lauffen.
Unsere Politica stehen jetct so, dass der Teufel bis in
6—7 Wochen wieder los sein könnte, aber da bin ich unter-
*) Zu dickem Datum vgl. Strodtmann II, ao (K.'t belKiicbe Keit^).
•) : Trog. S. 49.
I
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 103
weges und kümmere mich nichts um das Zeug. Denn das
schwör ich, bin ich einmal über die Greoze, was so Gott
will den 13. Juli geschehen soll, so mach ich meine 14tägige
Ferienreise ab auch wenn gleich hinter meinem Rücken
die Freischaaren wieder ausziehen sollten. Helfen kann
man doch nicht; anzünden tliun sie Basel nicht leicht; was
vorbestimmt ist, das wird geschehen — also. 0 diese
schweizerische Agitation! Ihr habt das alles nur erst in der
Idee, wir in der krassen handgreiflichen AVirklichkeit.') In
unserra alten Gesangbuch, gab es ein Lied: „Behüt' uns,
Herr, vor Pöfelsgrimm" ; man hat es heiausgcthan, wesshalb,
das weiss der Himmel. Ich habe die Volkssouveränetät bis
hierher -j ...
Was soll man nur auch anfangen? Die Massen sind von
den Wühlern (nicht Wählern, wie mir der Correktor der
Köln. Z. beharrlich stehen lässt) in die Politik hineinge-
zogen worden und reden nun mit. Es ist ein wahres Babel.
Ich habe für den Maw ein Sammelsurium „aus Saltiinbank's
politisch-moralischen Schrifften** angefangen, aber es ist
liegen geblieben. Vielleicht bring ich Euch 2 Blätter mit.")
O Urmau, es ist schon über 2 Jahre seit ich Euch das
letztemal sah! Ich habe besonders die Anniversarien der
Reisetage in der Ahr andächtig wieder gefeiert, '/'innst*)
Du Dich noch an (sie) den Quarzsatan? und an den Heiden-
garten wo ich so heidnisch hungericht wurde? und an den
Suff in Altenahr? und an Nürburg und die huh Aach? und
Aremberg? und Fräul. Dilexerat? — Es war doch einer
der Ciilminationspunkte meines armen Lebens.*)
Gut Nacht Urmau, es ist spät und ich schmiere.
Dein getreuer
Saltimbanck.
•) Aebniicb nur noch drastischer in einem Briefe atn Ed. Schauenburg
(4. Juni 45): „O, ihr im Reiche draussen habt die Agitation immer nur
erat in abstracto; ich aber habe ihr in das wüste, versoffene Auge gesehen" u. s. w,
•) Am Rande ein Brustbild gezeichnet, durch dessen Hals eine punktierte
Linie geht.
*) s. ob. der Eintcbub in Br. 20.
*) Mit griech. grossem Psi geschrieben.
•) s. meine Vorbeni. zu Br. 11, sowie Br. 19 und 20, insbesondere aber
m K.'g, Ahrbuch S. i8, 10;, 341, 103, 336, 306 — ü, 358, 385.
104 Rudolf Meyer-Kraenaer.
90. Basel, 28. Juni 1845.
Liebster Urmau!
Villen Dank für Deinen schönen Brieö! Die 37 Thlr.
hebt mir auf, ich kassiere sie bei meiner Anwesenheit ein,
sintemal Andreas sie nicht mehr haben will.
Das schöne Kaufmann'sche Bildchen von Weidenbach')
prangt an der Wand bei mir und meine Bekannten, die ich
rathen lasse, denken sich Gott weiss was; einer hats für
einen Rebus erklärt.
Das Ottmarsheimer Ding kriegst Da jetzt noch nicht,
ich möchte das Porto nicht dran wenden. Endresultat: erste
Hälfte des elften Jahrhunderts. Gieb Dich nur zufrieden,
es sind urkundliche Beweise da, welche mit den kunst-
geschichtlichen zusammenklappen.
Sag, was hast Du denn über den Limes geschrieben?
Das ist brav von Dir, dass Du mir es schickst. Ich ver-
muthe 80 halb und halb, dass diese Sachen Deinen Ueber-
gang zu einer andern Fakultät legitimiren sollen, woran Du
sehr wohl tliust. Mit irgend etwas muss der Durchbrand
geschehen. — Bocks Abhandlungen über die Kaiserpal laste
kenne ich nicht.
Dass Du H. Schauenburg noch nicht hast zu sehen be-
kommen, ist ganz sträflich. Besuch ihn nun auf mein Gebot;
er wohnt, falls er noch nicht von Bonn fort ist, No. 918 am
Rheineck. Ich will, dass Ihr Euch sehen sollt.
Was die Orthodoxen betrifft, so sah ich das schon im
Winter 1842/8«) kommen.
29. Juni.
Ein gewissem hohepriesterliches Wesen spuckte (sie)
schon damals in Balder und Wolters. Das aber kann ich
nicht bi^reifen, dais Haider noch 1845 Euch zum Herrn
bekehren will. Mein guter Rath wäre übrigens, Ihr liesset
die dogmatische Oorrespondenz, als mit welcher Ihr auf
keinen grünen Zweig kommt. Wenn Du Dich, wie ich
•chliesson muss, drauf einlassest, ihnen auf ihre Marotten
SU antwortet , no ist dnn, während Dein Rückzug aus der
•l ». Abrbucb p. XU; S. aj|. lü.
*l •. ob. III Br. ij. Woltert tcbeiot übrigen« bald dcprexiert tu haben.
Briefe Jakob Btirckhardts au Gottfried (und Johanna) Kinkel. j 05
Theologie schon augetreten ist, allermimlestens ein Luxus.
Zudem haben sich die Leute ja einen Entschluss gefasst,
glauben zu wollen (ungefähr so wie man sich zu einem
Brechmittel oder zum Zahnausreissen entsch Hessen muss)
und da ist ja Alles vergebens. Haben die Herren denn
wirklich ihre Kirchengeschichte gänzlich vergessen? wissen
sie nicht mehr, dass jeder Glaube, solange er zur Weltherr-
schaft berechtigt war, als eine Gewalt über die Menschen
kam? Wie ungeheuer positiv-religiös sind nicht selbst die
Häretiker! Dass das Christeuthum seine grossartigen Stadien
hinter sich hat, ist mir so evident als dass 2 mal 2 vier ist;
wie sich sein ewiger Gehalt in neue Formen retten soll,
das wird die Geschichte zu seiner Zeit schon lehren. Aber
mit diesen jetzigen Restauratoren habe ich wahres Mitleid,
und wenn sie den Arm des Staates für sich in Anspruch
nehmen, so verachte ich sie. Wenn man sie machen Hesse,
man wäre mit ihnen in ein paar Jahren so schlimm daran
als mit den Jesuiten, grade weil sie ehrlicher d. b. innerlich
verblendeter sind als diese.
Ich merke aus meiner Zeitungslektüre und aus dem
was Freiligrath ') mir sagte, dass am Rhein der Socialismus
stark im Wachsen ist, und bin nun begierig zu vornehmen,
ob wirklich schon etwas davon unter die grosse Masse ge-
kommen ist. Ich glaube, dass diese Geschichte vom Übel
ist, ganz besonders weil sie sich mit der politischen Un-
zufriedenheit combinirt und schon förmlich als consequente
Fortsetzung der letzteren auftritt. Für meine werthe Person
habe ich hier jeglicher Theilnahme den Riegel gestossen
und zwar desshalb, weil man sich bei einer Sache, deren
Mittel, Ziel und Ausgang völlig unberechenbar sind, nur
compromittiren kann. Ich bin übrigens fest überzeugt, dass
ohne das gewaltsame Zurückdrängen der politischen Wünsche
die sozialistischen jetzt tief im Hintergrunde ständen.
Jetzt Adieu, Urmau, grüss Alles schön von mir. In
8 Wochen ist bei Euch*) v„^„
*^"**^ Salltimbauck.
') Wohl bei einem Besuch in Baäel.
*) KinkeU Vorrede zu seinem Ahrbucb ist datiert vom 20. Juli 1845,
i«t al«o wohl bei B.'s Besuch geschrieben. Fast gleichzeitig erschien seine
„Kunstgeschichte", Bd. I (Strodtmann II, 21).
Io6 Rudolf Meyer- Kraenier.
31. Basel, 14. August 4 (5).
spät, müde.
Liebster Urmau!
Vor Allem den schönsten Glückwunsch zur Geburt der
Mibia!') Möge es selbiger wohl gehen in ihrem Leben! Ich
melde es morgen an Sefren.
Mein Urmau, die Dinge nehmen hier zu Lande eine
hässliche Wendung. Hier in Basel fängt es nun auch an
und die Verhältnisse gerathen in jenes angenehme Schwanken,
welches mit der Stimmung des Magens unmittelbar vor Aus-
bruch der Seekrankheit zu vergleichen ist. In diei Monaten
spätestens geht dann die Schweinerei in der westlichen
Schweiz los und Gott weiss was alles noch kommen wird:
man mag es gar nicht ausdenken. Wie es dabei mit dem
wissenschaftlichen Arbeiten aussieht, das ist ein Jammer;
ich laborire an de(iner) Recension*) (das Buch gefällt und
behagt mir immer mehr) und werde wohl vor Samstag mit
dem ganz kurzen Geschreibsel nicht fertig. Du weisst wie
es ist, wenn die Sorge hinten die Feder festhält. Ich werde
Basel so Gott will im nächsten Jahre für einige Zeit
verlassen.
Hiermit folgt nun 1) ein Paket für Andreas, 2) ein P«ket
für Dich, welches die gewünschten (^legenstände enthält.
Die Excerpte") brauche ich vielleicht im December wieder;
bis dabin behältst Du sie jeden(falls. Bei) einem Theil der-
selben (liegt) ein kleiner Realcatalog bei, Du wirst schon
sehen. Es wäre am besten, Du nähmest die betreffenden
Bände von Portz nach Hause und suchtest die Stellen (ob-
wohl ich sin genau abschrieb) selber nach, so hast Du auch
den Zusammenhang. Ich fürchte, die Ausbeute wird sehr
gering sein. NB. es ist lange nicht alles aus Pertz. — Das
Ding vom Münster allhiero*) und von Ottmarsheim lege ich
suinit zu Deinen Füssen nieder und schickte i^Dir) gern was
B«NterAt, wenn iohs nur hfttte.
i t.ih i{c«lorl{cn. Zum Namen vkI. Br. ti; getauft war sie Johniuin,
*) Ueber K.'n KunMüeschichle für die Köln. Zeiliing («. Br. ja Schluu).
^ Für da« KuMikolleK.
•) ». Trog, S. 33— JS.
Briefe Jakob ßuickhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 107
Freitag, 15. Aug.
Grüss Andreas, ich kann ihm (nicht) schreiben, so wahr
Gott lebt. Heut Nachmittag soll ich lesen, Aveiss aber noch
nichts und soll noch die Zeitung fertig machen. Grüss
Wolters, empfiehl mich Simrock und Alex. K. *)
Vor allem aber küss ich die Hand der Direktrix und
die Pfote des Mibes. Addio! Bald mehr.
Euer Ol 1 • 1 1
Salti mbanck.
Bitte bewahre mir das Nürnberg und die 4 Hefte
Guilhabaud") wohl auf!
32. Basel, Allerheiligen tag 46.
Liebster Urmau!*)
Ich schreibe diessmal nicht ganz ohne selbstsüchtigen
Zweck, nämlich um zu wissen, ob das Paket mit den Kupfer-
werken und mit meinen Excerpten, sowie auch mit den
Sachen für Andreas, das ich Mitte August absandte, richtig
in Eure Hände gelangt ist. Besonders wegen der Excorpte
bin ich nicht ohne Sorgen. Bittf», sende mir dieselben wo-
möglich bis Ende dieses Monats zurück und assecuriere sie
auf der Post mit einem Werthe von 30 Rthlr. Sollte sie je
der Teufel holen wollen, so hätte man doch dafür etwas zu
verkneipen. Ich gedenke das nächste Jahr ganz auf diese
Art von Forschungen zu verwenden und daraus eine Kunst-
archäologie von Constantin bis auf den Uebergangsstyl aus-
schliesslich aus den Autoren zusammenzustellen. Wo
ich das Ding arbeiten werde, das weiss ich nicht. Hoffent-
lich nicht hier. Ich bin gesonnen, mich in der Stille von
hier zu drücken, vielleicht nach Rom,*) vielleicht nach Göt-
tingen, Gott weiss. Ob ich später noch einmal die aqua-
demische Laufbahn ergreife, weiss ich nicht; ich will weiter
nichts als mich durch die Welt bringen. Hier hätte ich
im günstigsten Fall die Perspective, 10 Jahre lang am obern
') Kaufmann.
*) Knpfersticbwerke; s. den folgd. Brief.
•) .adressiert an Herrn „Professor" K.! (dage|;en Jan. 4O wieder Dr.);
t. Strodtmanu II, 45. — K. und die Seinen wurden übrigens in diesem Herbst
und Winter schwer von Krankheiten heimgesucht (Strodtmann II, 33).
*> So geschehen Miirz 1846.
Io8 Rudolf Meyer-Kraemer.
Gymnasium Stunden geben zu müssen/) mit 300 Rthlr.
Gehalt, ohne dass mir Zeit zu irgend etwas vernünftigem
übrig bliebe; denn rechne ich auch nur 4 Stunden wöchentl.
CoUegien und die Abhaltungen aller Art, auch die in der
Familie hinzu, so geht die Zeit grade auf und ich schlage
mein Geld umsonst todt Lieber anderswo mit */, von dem
leben was ich hier brauche und dabei tüchtig und fortwäh-
rend arbeiten. Mein von Gott erleuchteter Alter ist glück-
licher Weise hierin ganz coulant und verlangt nicht, dass
ich beständig um ihn sei, wie die hiesigen Väter sonst thun.
— rFrei von Mammon will ich schreiten '^ etc.-) Ich werde
eben doch am Ende ein verlaufenes Subjekt. Schadt nischt.
Diesen Winter setze ich die malerischen Vorlesungen
vor gemuschenem Bupflico fort. Die Pietisten suchten mich
indirekt daran zu verhindern; sie hätten gerne einen Erbau-
licheren gehabt als mich Weltkind. Jetzt sollen sie os aber
grade so weltlich als möglich haben, und das was ich gegen
Ende des Aufsatzes über Murilio'') sagte, soll vor ihren Oliren
entwickelt werden, dass ihnen die Haare zu Berge stehen.
Damit, wenn ich auskratze, in Erfüllung gehe, was ge-
schrieben stehet: Und er fuhr aus und hinterliess einen
grossen Stanck.
0 liebster Alter, mir ist bisweilen, als müsste, wenn
ich wieder in die weite Welt gehe, eine neue Jugend und
eine neue Poesie auf mich hernieder kommen. Der Welt
kann es sehr gleichgültig sein, ob ich noch einmal anfange
Versehe zu machen oder nicht, aber mir selber nicht, denn
mein Verlangen danach ist ein subjektives. Es ist nicht
Rowohl die prosaische Umgebung, welche mir jetzt die Poesie
verleidet, ai« die Geschäftigkeit, welche man hier vorlangt,
die TtoXtmQayftoaurrj, in wolcho hier Jeder hineingeritten
wird, dazu noch der politische Satan, der in diesen engen
Hexenkesiieln holvetiscbor Cantonalität viel beengender wirkt.
Mein liebster Umgang ist einer meiner frühem Freunde
vom Jahre 88 und 89, etwas angesoffen von Heidelberg her,
') vgl. Trog, S. 5t.
*) VMIeicbl ein SelUtciUI nut dem M. K.
*) vgl. Br. 12.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. lOQ
noch dazu ein Erzradikaler, und selbst etwas überworfen
mit der Existenz im Allgemeinen, aber der Einzige spezifisch
▼on dem hiesigen Philisterio Verschiedene, und wirklich aus
einem guten probehaltigen Stoff geschnitzt. Mit ihm und
2 — 3 andern sind insgeheim schon allerlei Suiten ausgeführt
worden; der Ton, durch welchen ich seine Seele getroffen
habe, ist die Sehnsucht ,,nach der alten, schönen Zeit", der
Cultus der Jugend. Der Schlingel ist sonst trockener Natur,
aber er versteht mich. Professor Jehring,^) der heiterste
und drolligste aller Ostfriesen, ist verlobt und seitdem un-
brauchbar; der gute Wackernagel ist durch seine Hausvater-
schaft von einem enfant perdu, wie ich eigentlich im Innern
eins bin, geschieden. Zum „Hausfreund" bin ich noch nicht
alt und artig genug. — Uebrigens stehe ich hier in ganz
passabler Achtung und die Leute meinen, ich warte auf
nichts anderes als auf einen fixen Gehalt von 100 Louisdor,
um dann ganz regelrecht zu heirathen und hier zu bleiben
bis an mein selig End. Die guten Leute!
Die Rec. Deiner Kunstgeschichte in der Köln. Z., so
ich mit saurei'i Schweiss geschrieben, hast Du wohl gelesen?
Deine Rec. über die Kunstausstellung war im Grunde so
frech als die Meinige 1842 in Berlin.*)
Urmau, gieb bald ein Lebenszeichen Deinem
vielgetreuwen r, ,,. ,
Salti mbanck.
33. Basel, 11. Jan. 1846.
Liebster Urmau! Liebste Directrix!
Vor Allem ein verspätet glöcksillig Neujohr und eine
demüthige Entschuldigung, dass ich Euch so lange nicht
geschrieben, obwohl Eure lieben Briefe schon seit Monats-
frist in meinen Händen sind! —
Was müsst Ihr guten armen Leute in dieser letzten
Zeit ausgestanden haben ! Seid nur gewiss, ich denke Euer
') Gemeint ist Rudolf Jbering, der 1845 in Basel Profe^^sor wurde, der
•[»tere berühmte Jurist.
») s. Br. 6.
1 lO Rudolf Meyer- Kraemer,
alle Tage, wenn ich auch selten schreibe. Auch der Mibes
mit seinem gescheidten leidenden Blick ist mir immer noch
gegenwärtig. Aus Euerm seitherigen Schweigen schliesse
ich, dass Ihr neue Hoffnung habt, den guten kleinen Kerl
durchzubringeu. Schreibt mir nur Alles was Euch bekümmert,
man kann ja doch auf dieser elenden Welt nichts besseres
thun als einander gegenseitig Liebe und Zutrauen be-
weisen.
Ich hätte von Gottes und Rechtswegen an Eurer Neu-
jahrsconcurrenz Theil nehmen sollen, aber den Dezember
über hatte ich den Redactionswechsel einzuleiten (was noch
ein ander Ding ist als der Semesterschluss) und war ganz
ungeniessbar. Erst am Sylvester, Mittags uui 12 Uhr, als
ich die letzte Correctur meiner letzten Zeitung aus den
Händen legte, schlug die Stunde meiner Befreiung, welche
ich gleich Nachmittags durch einen prächtigen Spaziergang
Dach Hüningen und alldortigen Genuss des Kaffe's feierte.
Seitdem ist die Welt für mich wieder anders angemalt; ich
habe im strengsten Sinne des AVortes seitdem keine Zeitung
mehr angesehen. Auch von Dumont, der mir auf das
nobelste gleich den betrefflichen Wechsel schickte, habe ich
Abschied genommen; die Politik soll mich so bald nicht
wieder fangen. — Nun bin ich aber weit entfernt, freie
Zeit zum Dichten u. dgl. zu haben. Ein dreistündig an-
gefangenes Collegium lese ich seit Neujahr fünfstündig; auch
musa ich die Arbeit für das Conv. Lf»x. noch in möglichster
Eile fertig macheD, da ich sie nicht über die Alpen mit-
Dehmen kann.
Denn Endo Merz g«.'he ich direkt nach Rom. Ich habe
da.9 sichere Gefühl, dass ich nie mehr hinkomme, wenn ich
jetzt nicht dazu tbue. Ich habe (obwohl ich als lediger
Mensch bei einfachem Wandel hier nicht unter 100 Louisdor
durchkam) doch ein schönes (iold erspart, welches im bessern
Jenseits verklopft werden soll. Wat sagt Ihr dazu? Der
poetische Menscli niuss auch hie und da etwas zu „ässon"
haben, wenn er nicht draufgohon soll. Übrigens habe ich mich
bei Dumont gemeldet zu Correspondonzon fürs Feuilleton,
auch d(>m SchQcking kann mich der Ilrmau beiläufig em-
pfehlen, wenn er's fflr gut findet. (A propos, davs ich das
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i i i
Feuilleton ') nicht bekam, war doch ein wahres Glück, ich
hätte [doch] nicht dafür gepasst.)
Wolters war vor einigen Wochen auf der Durchreise
nach Neapel bei mir. 0 wie steht diesem feinen Schalk
die Orthodoxie so übel zu Gesicht! Aber ich weissage ihm
eine glänzende Zukunft; er hat das Naturell, womit man
in Preussen am weitesten kömmt, so etwas ä la Bunseu. ^)
Balder ist ungleich wahrer, er ist seiner ascetisch-kritischen
Natur nachgegangen und das ist sein Schicksal. Wolters
dagegen — es ist himmelschade dass er nicht katholisch
ist, das wäre ein Diplomat, Hierarch und Lebemann zugleich
geworden.^) Er hat versprochen, im April nach Rom
herüberzukommen; auch Ackermann wird dann noch dort
sein. Gott weiss was das wieder für eine Bande wird.
0 der beneidenswerthe Urmau, welcher für sein Ge-
muschenes 200 Reichsthaler einnimmt! Ich nehme für
ein Gemuschenes von 88 Zuhörern, Liebenden und Nicht-
liebenden, kaum 90 Thlr rein ein, sintemal jeder nur einen
Ktonthaler zahlt und die Saalmiethe mich 150 Franken
kostet für 16 Vorlesungen ! — Wie der Preis allraälig auf
einen Kronthaler herabgedrückt worden, wie mir dann die
übliche Unterstützung von circa 70 Thlr (welche sonst allen
Vortragenden durch die hiesige akademische Gesellschaft
verzapft wird) durch Bemühung der Pietisten entgangen,
nachdem sie vergeblich mein Auftreten zu verhindern
gesucht, das gehört der mündlichen Erzählung an ; für solche
Miseren ist vorliegendes Postpapier zu gut. Die Kinder
Gottes sind hier eben grade so wie sonst überall.
Was die schöne Engländerin betrifft, so war sie zwar
schön wie ein Engel aber marmorkalt. Das kleine Ding
kann sich eigentlich nicht einmal rühmen mich an der
Nase herumgeführt zu haben; ich wusste von Anfang an wie
ich dran war. Ich habe jetzt etwas Anderes, Glühendes,
Schwarzäugiges, ,.die bei mir hört." Überhaupt soll ich
hie und da Eindruck gemacht haben, was meinem armen,
*) 8. zu Br. 24, Anf.
») Josias von B.'s Wesen wird hier (wie wohl in K.'s Kreise überhaupt)
doch verkannt; seine „Verfassung der Kirche der Zukunft" (1845) fand nicht
die verdiente Würdigung.
>) Von W.'s Art redet weiter Br. 37.
1J2 Rudolf Meyer-Kraemer.
mehrfach verschmähten Herzen so wohl thut wie der Duft
von Apfeltorten Vormittags. Ich sage nicht: wie die Apfel-
torten selbst, denn das ist mir nur zu klar, dass es dabei
bleibt, einem die Schätze des Lebens an der Nase vorüber-
zutragen. Ach Gott, ich könnte vielleicht reiche Partien
machen, — aber so ohne rechte Liebe sich an die Geld-
säcke eines hiesigen Schwiegervaters anlehnen — pfui
Teufel! (pardon!) — Italien ist mir jetzt, Gott verzeih mir,
beim Lichte betrachtet noch lieber als selbst das glühende
schwarzäugige Etwas.
Es war komisch, lieber Urmau, als deine freche Ana-
lyse des neuen Don Juan ') in der Augsb. Allg. erschien.
Für's erste sahen mich die hiesigen Kälber Mosis ganz er-
staunt an: was? Der macht auch noch Gedichte und schickt
sie mehr als hundert Stunden weit über Land? für's zweite
plagte die Leute die Neugier, sie hätten das Ding gerne
gelesen um mich dann zu chikaniren, und doch war nur
ein Ex. hier und das eine kostete ein Heidengeld! Endlich
entschloss sich eine reiche wohlwollende Dame und koff
dasselbe. Hier weiss ich, es war nicht wegen Schlegel's
und nicht wegen des Hauses Dhaun^), sondern meinetwegen.
Übrigens bittich Dich kniefällig, citir mich utn des Himmels
willen nicht mehr in der A. A. Z.; so frech ich hier zu
Lande drein fahre, so schüchtern bin ich in der Deutschen
Jonmalwelt. Wart jetzt ein wenig; wenn ich aus Italien
zurücke bin, lass ich vielleicht einen Band von lauter neuen
Sachen drucken; dann blaset mit der Posaunen von den
Zinnen unsros geistlichen Zions und fahret drein mit dem
Schwerte Nimrod; dann will ich mich verhärten und nicht
mehr roth werden ob Eurem Harffenspiell.
Addio, Heber Urmau, liebe Directrix, ich nmss schliessen.
HoffeDtlich sollt Ihr bald wieder von mir hAren.
In alten Treuen Euer ^ ,^. , ,
Saltimbanck.
Grüsst AndreaN und alles Qrttttbare.
') Utbcr diM Opuakel H't ». Trog, S. 4J.
*) Der trtte Jgg. dei Rbciniicben Jahrbticba «. Scbücking (Köln 1846)
enibiell, wie «u vermuten, u. n. aucb diese twei Auftitie (Über den 1845
vcntorbeaen Bonner Sannkrili^ten Aug. Wilb. von Scbl., über die ebemalige
Rekh«f«te Dtan in der Hochrifel).
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i i j
34. Basel, 9. Merz 1846.
Liebster Urmau!
Heute über 2 Wochen, so der Herr will, reise ich ab,
den 23. hujus; also wenn Ihr mir noch einen schönen Reise-
segen mitgeben wollt, sputet Euch. Bei Zefren in Mailand^)
bleibe ich 3 Tage, dann gehts über Genua und Livorno
unaufhaltsam vorwärts nach dem ewigen, unparteiischen^
unmodernen, tendenzlosen, grossartig abgethanen Rom.
Nun möcht ich doch nur Eins wissen: bist Du nun
wirklich Professor?*) Die A. A.Z. hat's von Neuem mit frecher
Stirne (die ihr so wohl anstehet) versichert und allerlei
Detail hinzugethan welches man nur in Bonn wissen kann.
Also tuncke noch einmall Dein himblische Federen ins
Dinttenfas und thue mir grundtlich zu wissen, wie es sich
damit verhallttett.
Jetzt vor Allem herzlichsten Dank für die schöne grosse
Sendung, welche ganz wohlbehalten angekommen ist. Das
Ahrbuch wird von meiner Familie gelesen, welche mich
mit grossen Augen angesehen hat als mir zum erstenmal
etwas dedicirt wurde. Der Kniff, mir etwas als „rheinischem
Geschichtsforscher" zu dedicieren, ist wirklich nicht übel
und hat mir wacker zu lachen gegeben. — Beim Anblick
meiner Exzerpte vergoss ich Thränen der Rührung und
gelobte mir, in den heissen Tagesstunden in Italien den
Muratori wenigstens bis ins 12. Jahrhundert durchzuoxen. —
Ach Gott, das Ahrbuch ist gar schön, besonders der arme,
hülflose deutsche Rococo gegenüber dem Ludwig XIV;")
das hat was rührendes; ich wälze so eine Novelle ä la
Alchymist in mir herum; Centrum: eure kurköln. Caaba,
der Calvarienberg*). Es soll ein Früchtchen der unsterb-
lichen Maireise 1843 werden.
Armer, guter Urmau! wie lange hätt' ich schon in
Deiner Lage*) Muth und Concept verloren! und der hält
') Der war also — vgl. Br. 23 — noch immer (oder wieder?) auf
ital. Boden.
*) vgl. zu Br. 32.
») S. 123—41.
*) bei Bonn; s. übrigens Br. 35 Anfg.
*) Vor allem den Krankheitsnöten im Hause.
11^. Rudolf Meyer-Kraeraer.
sich noch immer aufrecht. "Was die vollen Tische mit Papieren
und Büchern betrifft, so höre folgenden Rath: suche Dir
einen armen und diskreten Studenten, der eine schöne
Hand schreibt und Dir schon sonst durch Gefälligkeiten
verbunden ist, miethe solchen zu 1 Thlr. per Tag als Sekretär,
schliesse in den ersten Tagen nach dem Semesterschluss
alle Thüren mit 7 Riegeln und expedire von früh bis spät.
Ich wette. Du bist in 3 Tagen fertig und das nachherige
Wonnegefühl wird bei Gott! mehr als 3 Rthlr. werth sein.
Fürchtest Du etwa, die Leute möchten sagen: „aha, der
Professor Kinkel macht sich's in seiner neuen Würde doch
gleich bequem!"^ — so schneide Dich vorher in den rechten
Zeigefinger und lass an jedem Brief, den Du diktirst, den
Beisatz anbringen : „Ich würde mir billigermassen selbst
die Ehre nehmen, an Ew. Wolgeboren, Hochwohlgeboren,
Excellenz, Hochwürden u. s. w. zu schreiben, wenn nicht
eine fatale Verwundung an meiner rechten Hand etc. etc. — "
(Doch — Mäue sollen ja nicht lügen, hat Directrix einst gesagt)
Nun noch ein guter Rath: Lass umb Gotzwillen alle
tinnöthige Opposition sein.') Jetzt, da Du Dein Brevet hast,
kann ich Dir sagen, wie mich die Einleitung in die Kunst-
geschichte und einzelner Stellen der Recension über die
Kölner Ausstellung geängstigt haben, besonders der malitiöse
Hieb mit den königl. preuss. Bestellungen bei belg. Künstlern,
den die gerechte Nemesis durch nachlässige Ausdrucksweise
zam Uosion gemacht hat Du kannst und sollst vielleicht
alle diese Dinge sagen, aber nicht in dem heillos frechen
Tod, der leider auch meinen „frühern Werkken" hie und
da anhängt. Jener eine Witz hat vielleicht bewirkt, dass
sie Dich ein paar Monate länger zappeln Hessen.
Überhaupt herrscht in Bonn ein frecher Lufft in
kuDstgeschicbtl. Dingen. Da bat mir Andreas*) einen
Brieff geschrieben, in welchem Freund Kugler per Ochs
und E«el bnhandelt wird, womit man sich bei mir schlecht
empfiehlt. Onwöbnt doch dem Andrea« dieses ewige Köpf-
oiobauno, diese lactiöse Leidenschaftlichkeit über arme,
>) Bei K. bagaoa »llmlhlicb die Stimmung des „Münnerliedet" (Strodt-
maon U, 46) vorstupakm.
■) Simoof.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. nc
stumme Säulen und Gewölbe ab, wenn Ihr könnt!') — Ich
meines armen Theils werde auf diese briefliche Debatte
über den Centralbau gar nicht eingehen, da ich in der Aus-
drucksweise nicht mit A. concurriren kann. Wenn einst
das Ganze sammt Belegen da sein wird, soll A. eine
brillante Rec. im Kunstblatt haben, womit er zwar wiederum
nicht zufrieden sein wird, denn womit wäre A. je zufrieden
gewesen? "Wer ihm nicht Alles bis aufs Jota zugiebt, der
riskirt in jene obbenannten angenehmen Kategorien aus
dem Brief über Kugler zu fallen. Das wird sich A. nie
klarmachen, dass man bei einer Menge kluger und ge-
wichtiger Leute schon desshalb Unrecht behält, weil man
in wissenschaftl. Dingen grob und leidenschaftlich ist. Ich
sehe im Geiste schon jenen Text, vorgeblich ruhig gehalten,
aber so voll malitiöser Zusammenstellungen bisheriger An-
sichten, als hätte es irgend ein bärbeissiger Philologe ge-
schrieben. Es ist das die Art der Detailentdecker, weil sie
die bisherigen Leistungen und ihr Verhältniss zur Gesammt-
wissenschaft nicht überschauen.
Ich gebe Euch soviel von vornherein zu, dass es schwer
sein wird, irgendwo den Widerspruch einzusetzen. Wir
haben schon in karoling. Zeit den Centralbau (Dom von
Aachen) und die Basilica (Ingelheim); in beiden Formen
wird von da an gebaut, bis sie sich endlich zur Gewölb-
kirche mit Kuppel vereinigen. Wenn denn Byzanz noch
ausserdem eingewirkt haben soll, ich habe in Gottes Namen
nichts dagegen, obschon ich die Nothwendigkeit nur für
einige Kleinigkeiten einsehe. Wenn Ihr schon den Dom
von Aachen, resp. San Vitale byzantinisch nennt, so habe
ich auch nichts dawider. Man muss den Leuten ihr Ver-
gnügen lassen. Jetzt sage ich kein Wort weiter, in Er-
wägung jener schönen Debatte über den Kapellenkranz,
weisst Du noch, auf dem Kreuzberg, wo A. behauptete, der-
selbe (nämlich nicht der Kreuzberg) sei ausschliesslich
constructiv.
Ach Gott, wären doch die 14 Tage schon vorüber! es
fallen noch 12 Vorlesungen hinein, worunter die 2 letzten
') Dieser beginnende Architekt brütete wohl soeben seine „Kirche von
Schwarz-Rbeiudorf aui (vgl. Strodtm. I, S. 2il. Lübke I, 464); s. Br. 39.
I l6 Rudolf Meyer-Kraemer.
gemuschenen. Dann Heil uns! Ich gehe von Como aus einen
Tag in das Blüthenmeer der Brianza und dann erst nach
Mailand. Ende Juni gedenke ich nach Neapel zu gehen,
Ende Juli nach Florenz*), Anfangs September wieder nach
Rom und dann dort zu bleiben so laoge ich kann. Einst-
weilen müssen aber die 3 Monate April, Mai und Juni
in Rom das Beste thun. Ich komme noch auf die Char-
woche hin, wenn Alles gut geht. Mit Zefren ist bereits
unterhandelt, dass er mich im August zu Florenz treffen
und dann für ein paar "Wochen mit mir nach Rom kommen
wird. Dieses ist aber noch ein Geheimniss.
Ich habe x poetische Gedanken, welche ich jenseits aus-
brüten will. Ihr sollt Brieffe haben; ausserdem wird im
lieben Feuilleton der Köln. Ztg. da und dort etwas erscheinen,
Schücking hat gar artig und verbindlich auf meine Anfrage
darob geantwortet. — Ich fürchte immer noch, es möchte
mir etwas dazwischenkommen, der St. Gotthard möchte
noch zuviel Schnee haben, u. dgl. Durch! ich für meine
Person fürchte mich nicht; aber Jeder hat „Seinige",
welche jammern.
Die Miniaturausgabe des Schützen") ist von Cotta ein
vortrefflicher Gedanke; so was zieht und macht Aufsehen.
Nun bedencket mich noch, lieber Alter und gebt mir Ewern
Glückwunsch auf die Reiss mit!
Durch Dick und Dünn
Dein Saltimbanck.
Liebste Directrix!
Ich habe mich verspätet, der Brief muss noch rasch
auf die Post, daher hier nur wenige Zeilen.
Vor Altera den Ausdruck meiner liebevollen Bewunderung
ftlr die rüstige Eotschlossonheit, womit Sie diese schweren
Zeiten durchgeduldet Der Mibos wird hoffentlich auch
dieses schöne, frühe Jahr spüren, das überhaupt manchen
bei Leben und Oeinodheit erhalten wird, dem ein strenger
Winter ttbel bekommen wäre.
') Soweit halte B. Ilalieo bereili frOher kennen gelernt (i8j7 und
wl«d«r 1838; ». Slrcxltroann, S. 148 ff.; Trog, S. 4—10).
*) „Otto d. Seh." Ut gr meint.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 117
Was musa man von der Fräul. G. ') hören ! Ich glaube,
sie hat die Eigenschaft so vieler junger Damen unserer Zeit,
welche viel zu ausschliesslich gute Töchter sind. Ein
grauer 40 jähriger Millionär! und noch dazu aus Elberfeld,
dem grauenvollen Fabrikland! Wissen Sie wohl, liebste
Directrix, dass ich hauptsächlich desshalb mich nach Italien
sehne, weil dort so viel Bettelei und so wenig Industrie ist?
Dieses Räderschnurrende Elend macht mich mehr betrübt
und confus als irgend ein Anblick oder Geräusch auf dem
Erdboden. Und nun in eine Million hinein, während ringsum
Jammer und rebellische Ideen sich laut machen — überall
hin, nur nicht zwischen die Fabriken und Capitalien. Konnte
sie nicht einen abgelegenen fröhlichen Landökonom hei-
rathen? Es wäre die reizendste Bauersfrau im grossen Styl
geworden. Doch es ist alleweil zu spat, sagt ürmau.
0 hätte ich noch die Iphigenia mit anhören können!
Hier in Basel waren den Winter über einige gute Sänger,
aber ich wagte nur Schund bei ihnen zu hören, weil sie
den besser sangen als den Don Juan. Und nun scheide
ich für lange Zeit von allen vernünftigen Tönen! — Glück-
licher Weise kann ich genug auswendig, um den ,. guten
Geschmack^ in meinem Innern wachzuhalten.
Ganz der Ihrige S.
35. Rom, von unsrer Residenz am Abhang
des Quirinals«), 18. Mai 1846.
Adresse: Roma, Cafe Greco, Via Condotti.
Herzlieber, schöner, prächtiger Urmau!
Sei mir nur nicht böse, dass ich Deinen Brief und den
der viellieben Directrix so lange unbeantwortet Hess! Ich
musste doch warten bis dass ich etwas mitzuschicken hatte
und damit kann man selbst in Rom nicht so auf dem Fleck
aufwarten! Zwar der „Genius" der guten Stunden war und
ist oft da, aber der „Lurap" ist auch da und zieht lieber
auf Monte Pincio und Villa Borghese rum, statt sich irgendwo
zu setzen und Versehe zu schneiden. Jetzt ist der Bogen
') Goldfuss.
«) i. Trog, S. 52.
llg Rudolf Meyer-Kraemer.
fertig (es ist Bonner Postpapier, und gehört eigentlich in
den Maw von 1844, Directrix gab mir's einst mit und ich
hätt' es vor circa l'/a Jahren schon ausfüllen sollen). Ge-
scheidtes steht nichts drin, die kleinen Reiseliedchen sind
doch gar federleichte Waare, und das grössere in einem
Viertelhundert Strophen leidet auch ein wenig an innerer
Nichtigkeit. Gaudirt Euch dran, so gut Ihr könnt.
Euren Brief bekam ich, Ihr wisst es schon von Fresen,
in Mailand und wir verspeisten ihn zwischen den Marmor-
zacken des Domdaches, mit welchem appetitverkündenden
Zungenschnalzen ! — Jetzt zu den Geschäften!
Für das Taschenbuch ') nimm von meinen Sachen was
du glaubst brauchen zu können. Ich habe auch den letzten
Gedanken an poetische Bedeutung aufgegeben, darum schalte
und walte mit meinen Gedichten nach Gefallen.") "Was ich
jetzt noch dichte, ist rein vor mein Bläsier und wenn's
Euch auch noch Spass macht, so ist mir's desto lieber. Ich
merke es den Dingen an, dass sie immer mehr persönlich
werden und atn Ende wird sie ausser Euch gar Niemand
mehr verstehen und geniessen können, denn es bedarf dazu
eines Interesses an meiner werthen Person. Von dem
Alchymisten habe ich nicht nur keine Abschrift bei mir,
sondern ich besitze überhaupt keine. Ihr habt das Concept,
nnd weiter existiert gar nichts davon. Kannst Du ihn noch
ändern, so soll mir's lieb sein; ich halte ihn dessen nicht
für werth, glaube auch dass er den gutkatholischen Kölnern
nicht ganz angenehm sein würde.
Das Ding mit dem Calvarionberg') hat sich zerschlagen,
ich bin von der Fährte gekommen ; — hätte ich Ruhe und
Sammlung, so wären 2—3 andre Pläne da, aber jetzt ist
ea in Rom für mich mit solchen Dingen so ziemlich zu
Ende, denn höre — sab rosa — nur fUr Dich und Directrix:
Ich habe leisten Fnutag einen kleinen Qiiasiruf nach
Berlin erhalten, nicht an die Universität, sondern — an
die Kunstakademie, sobald sie reorganisiert wird — einst-
*) Betitelt „Vom Rhein", encbien Herbst 1846; darin 11. a. Kinkeli
bthMBtc Dorfgeecbicfate „Margret" (Strodtnuinn 11, 46).
*) Daa bat nlcb Kinkel oicbt cweimal sagen laaieo.
■) f. Br. 34 Aof,
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ng
weilen 500 Rthlr. Wartegeld. ^) Es ist ein schändliches Miss-
verhältniss zwischen diesem S(ilar und dem Deinigen, ich
weiss es, aber vielleicht wird es mit Dir auch bald besser;
auch kriege ich die BOO Rthlr. nicht gleich, sondern nach
einiger Zeit — kurz es ist eine Discretionssache, aber Kugler
hat den schriftlichen Entscheid E.'s*) in Händen, worin
dat Jelt verzeichnet steht. Ich muss im Herbst in Berlin
sein und Italien vorher in aller Hatz abmachen, Neapel
14 Tage, Florenz 14 Tage, Venedig 14 Tage! Natürlich
reise ich über Bonn, wenn Ihr mich 2 Tage verpflegen
wollt, und von da über Herford, denn diessmal muss ich
Hermann^) sehen.
Hienach ist leicht einzusehen, dass ich jetzt über Hals
und Kopf zu thun habe mit Kirchen und Galerien. Die
nächste Arbeit, die ich den Winter über in Berlin zu voll-
bringen habe, ist nämlich nichts Geringeres als die Bear-
beitung der zweiten Auflagen von Kugler's 1) Kunstge-
schichte 2) Gesch. der Malerei. Es ist beispiellos frech von
mir, so etwas zu unternehmen, aber in Gottes Namen! —
Durch!! sagte Urmau, als er seine Kunstgeschichte anfing.
(A propos, wann kommt der zweite Band? Es versteht
sich, dass ich Dir behülflich bin und bleibe wie und worin
ich kann; ich hoffe, Dir regelmässig Nachweisungen und
Collectaneen zusenden zu können und will mir bei meinen
Arbeiten ein besondres „Urmaumäppchen" anlegen, worein
all dasjenige kommt, was in die Kugler'schen Sachen nicht
zu verarbeiten ist). Die „Malerei" wird wohl bis Ostern
spätstens fertig sein müssen*), sodass du auch meine schon
gedruckten Resultate wirst benützen können. Geoxt muss
werden diesen Winter, dass die Schwarten krachen, wie
mein erster und ältester Klippschullehrer sagte, wann er
mich durchwalkte wegen meiner Bosheiten.
Nun siehst Du selbst, dass ich nicht mehr viel dichten
kann. Was ich noch zu Stande bringe, ist Dein wie Alles
Übrige. Wenn mich nur das Reisen nicht so heillos zer-
•) 8. Trog, S. 53.
») Minister Eichhorn.
') Schauenburg.
*) Sie wurde es am i. Uai 1847 (Trog, S, 54)..
I20
Rudolf Meyer-Kraemer.
streut«! und sieh, selbst hier wenn ich auf meiner Stube
hocke (ich wohne quattro fontane, hoch, hoch, prächtig
über der halben Stadt), so rauscht unten auf Piazza Barberini
mein Freund der Triton und lockt mich zu freundlicher Zwie-
sprach an das Balkonfenster, wo ich Rom vom Pantheon
über St Peter, Engelsburg, Trinita de' Monti, Villa Ludovisi,
bis zum Pallast Barberini mit einem Blick überschaue,
wie es in dem kleinen Eingangsgedicht^) „so schön gesagt
wird". (Du musat die Dingerchen vorher einüben, ehe Du
sie vorliesest, sie sind meist nur Concept und das Papier
hat durchgeschlagen). Meine Aussicht allein schon, besonders
die Sonnenuntergänge über Monte Mario — es ist zum
verrücktwerden. Und nun noch dieses bunte, gewaltige Rom,
das meine armen Gedanken, wo sie sich sehen lassen,
wieder in ihre Nester zurückjagt! — Wenn ich poetisch
irgend zu Kräften kommen kann, so habe ich vor, den
alten Saturn zu schildern, wie er als Tabuletkrämer an die
Tiber kommt und das „Geschäft" allmälig zu einem Kram-
laden ausdehnt und die Eingebornen die Mandoline, den
Saltarello und die Morra lehrt, wovon noch die Redensart
herkömmt: einen mores lehren. Überhaupt treibe ich mich,
bei meiner Unwinsenheit in der eigentlichen römischen
Geschichte, nämlich der der Republik, am liebsten in ganz
uralten Zeiten herum, wo man der Archäologia Rippstösse
geben kann nach Belieben. Fragt mich dann Einer, woher
ich denn das Zeug wisse, so sage ich nur, es stünde auf
einer althetruskischen Kruke im Vatican, No. so und so viel
abgemalt, ferner
sei auf einer
andern Scherbe
ein Gegenstand
mit Inschrift
abgebildet, der
uothwendig Sa-
tnros Ladentisch
daratelien inUsse.
Federzeichnung:
Saturn mitZwickel-
bart und Senito, die
rechte Hand wie zum
Schacborn erhoben;
reobU die Beiichrifl:
SALRETARACCHI
AQVA VITK CBONü
SATVKNO
InfipioDti sat.
Federzeichnung: Eine
Truhe mit Löwenköpfcu als
EckonkiiüufRn und Ijöwen-
krailen als FÜHson, auf der
unteren vorderen Fläche
drei Schubkäston ange-
deutet ; darüber die In-
8chrift:CARI.AMlCI.N()N.
SI.FA.CKKDKNZA.PEN-
8 ATE . ALI.A • CONSE-
QVENZA
^ Oitlert vom s. April.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johauna) Kinkel. 121
19. Mai.
Ein anderes schönes Sujet wäre — doch ich will mich
nit ausgeben, sonst machen mir diese Gedanken keine
Freude mehr. Genug, es ist ein schwarzwäldisches und ein
mittelrheinisches Sujet in Bänken, aber Gott weiss wie es
damit gehen wird. Hätte ich auf der Reise am Rhein nur
einen stillen Rasttag, ich wollte so ein Ding fertig bringen.
Hier in Italien gehts nicht. Kann ich irgend noch, so
sollst Du noch von hier aus etwas haben. Aber Du kennst das;
entweder ist trübes Sciroccowetter, oder Dreckwetter, oder es
ist schön, unmenschlich schön, und da will man die besten
Stimmungsstunden, nämlich die Abende, nicht auf dem
Zimmer zubringen, sondern man presst die Natur und die
Architektur im Abendschein bis auf den letzten Tropfen
aus, — in freier Natur aber eine Brieftasche herausziehen
und Gedichte schreiben kann ich nicht recht. (NB. das
Sonett „auf dem Aventin'^ ist doch an Ort und Stelle ge-
schrieben,^) ist auch darnach.) — Zu einer geschichtl. Ar-
beit in Prosa fehlt Zeit und Gelegenheit, überhaupt ist
Rom nach den ersten 6 Wochen noch nicht eine Stadt des
Arbeitens. Mein Gott, mit welchem Vergnügen fing ich
in Paris am 12. Tage nach meiner Ankunft das regelmässige
Copiren auf der bibliotheque royale an! In Paris sehnt man
sich nach irgend einer Arbeit, nur um in dem furchtbaren
Getreibe irgend einen Anhaltspunkt, einen Prätext des
Daseins zu haben. Gerade ebenso versteht sich in Rom das
Nichtsthun von selbst, und das hat jetzt für mich ohne-
diess ein Ende, da ich Notizen machen muss von früh bis
spät. So wäre nun das Taschenbuch erörtert.
Andreas grüsse schön von mir, sag' ihm aber nichts
von dem Berliner Quasiruf, sonst wird er (womöglich) noch
kritischer und lässt mir in kunstgeschichtl. Dingen gar
keinen Buchstaben mehr gelten. Ich glaube ganz gern,
dass er in der Gesch. der Baukunst mich in die Tasche
stecken würde, wenn er ebensoviel gesehen hätte und
studirt hätte wie ich; denn er bringt zu den Dingen ein
frischeres Auge und einen ungleich feurigem kritischen
Willen mit, während ich oft mit geniessender Fantasterei
') Am II. Mai — da< letzte der 6 eingesandten.
122 Rudolf Meyer-Kraemer.
zufrieden gewesen bin. Aber jetzt mehr als je muss ich
eine „stillbewusste Auctoritaet" zu behaupten suchen, denn
wofür hätte man mich sonst in Berlin?
Sehr allerbestens grüsse mir A. Kaufmann. Der sollte
nach Italien. Simrock empfiehl mich bestens. Schreibt mir
noch einmal nach Italien! Ihr sollt wieder Antwort haben.
15. Juni gehe ich nach Neapel; 2.-3. Juli berühre ich
Rom zum letzten Mal, um Geld zu fassen und im Cafe
Greco nach Briefen zu fragen; — also sendet bis circa 16. — 16.
Juni noch eine Geschrifft an mich ab, es wird mir gar
wohl thun! Dann soll auch Directrix einen schönen, statiösen
Brief von mir haben; für jetzt ist es unmöglich, weil sonst
der Brief zu dick wird und die hiesigen Posteujone ver-
führt, ihn aufzumachen, bei welcher Operation dann die
Briefe meist liegen bleiben und cassirt werden. Ich danke
einstweilen herzlich für Ihren Brief. Fräulein G.') wird denke
ich, inzwischen zu Aller Freude genesen und zu Balder's
Leide vermählt sein. Ach, es ist wohl Schade um so viel
Anmuth, wenn sie an einen eisgrauen Millionär ver-
geben wird!
Den Mibes hoffe ich in guter Gesundheit anzutreffen,
wann ich komme. Bis dahin seid mir Alle in treuer Liebe
herzlich gegrüsst, besonders du, Urmau
von Deinem Saltimbanck.
P. S. Die Santa Maria Maggiore geniesse ich mit
Wonne, und denke dort, wenn der Abend durch die roten
Vorhänge leuchtet, an den fernen Urmau. NB. Dies ist keine
Phrase, sondern ich kann wirklich diese Kirche nicht be-
treten ohne an Dich zu denken, weil du mir sie so sehr
ans Herz gelegt hast. — Sanct Paul") wird zwar schön,
aber was ist so eine Basilica ohne Weihe des Alters und
der Echtheit?
Ich bin auch in den Oatacomben von San Sebastiane
gewesen und bringe der Directrix Erde mit vom Grab der
heil. Caecilia. — Und sonst, wo wäre ich nicht gewesen?
sagt.«i <i'r I'Voiherr.')
*) •. Hr. J4. Scbluu.
*) Tttori le tnam — •!■ Neubau.
*) In Immemuou MMüncbbauten".
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 123
Addio Urmau! Glaubst Du mir, das8 ich mich hier in
Rom gaiiz unsinnig auf die Rheinreise und auf das grüne
Westfalen freue? Von ganzer Seele p^j^ g
36. Florenz, 22. Juli 1846.
Ach Gott, zwei Jahre sind's, seit Saltimbanck's Schriften in
obiger Weise gesammelt erscheinen sollten') und kein Strich ist
seitdem dran geschehen ! Und jetzt, auf der Rückreise von dem
seligen Rom, wo jeder Misslaut in seinem Innern also auch jede
Ironie, stille geschwiegen, soll Saltimbanck sein Werk fort-
setzen! Bei28*'Reaumur! In einer lärmenden Locanda, vielleicht
derselben in welcher Goldoni's Locandiera spielt! Doch es sei.
Von dem ästhetischen Enthusiasmus.
Saltimbanck, welcher auf Reisen wunderbarlich zunimmt
an Weisheit und Vernunft, hat sich Italien insbesondre zu
Nutze gemacht. Er ist zu Rom nicht nur im caffe Ruspoli
gelegen und Abends auf dem Pincio spaziert, wie etliche
Schwelger thun, sondern er hat die Menschheit ganz im
Allgemeinen beobachtet und zumal der fremden Menschheit
in Rom zugesehen, wann sie Bauten, Bildsäulen und Malereien
betrachtet«, ja er hat, statt die Dinge selber genau anzu-
schauen, mehr als einmal den Führer gemacht, zumal wann
hübsche Weibsspersonen bei der Gesellschaft waren.
Einige nahmen sein Geschwätz einfältiglich an und be-
wahrten es in ihren kleinen, netten, muntern Herzen,
wenigstens 2 Minuten lang. Andere dagegen waren denkende
Frauenzimmer und verdrehten ihm, was er gesagt hatte,
zu eigenen „originellen Anschauungen", indem sie nicht
wussten mit was für einem gottlosen Schalksnarren sie zu
thun hatten. Sie seufzten vor Entzücken über irgend ein
archaistisches Scheusal von ephesinischer Diana oder über
irgend ein altneapolitanisches Muttergottesbild von der-
jenigen Sorte, über welche der weise Salomo sagt: Schwartz
bin ich, doch lieblich, ihr Töchter Jerusalem! — Es gab
Fälle, wo der Enthusiasmus bis aus Übelbefinden gränzte;
auch ist man in Rom einstimmig der Meinung, dass es
') •. ob. Vorbm. und Eiascbub vor Br. 20.
124
Rudolf Mever-Kraeraer.
eine der segensreichsten Reformen Papst Pius IX. sein würde,
wenn wenigstens vor dem Laocoon und vor dem Apoll
gut gepolsterte Lehnstühle für unwohlbefindliche Damen
aufgestellt würden. Dieser administrative Fortschritt wäre
um so leichter, da die freisinnige, hochherzige Regierung
Toscana's schon seit Jahren mit dem grossen Exempel
vorangegangen ist und vor der Mediceischen Venus, den
Ringern, dem Schleifer, dem Apollino und dem Faun in der
hiesigen Tribuna fünf Polsterstühle hat aufrichten lassen, zu
Nutz und Frommen derjenigen Damen, welche dem Enthusias-
mus unterworfen sind. Bei dem weisen, wenn gleich langsamen
Fortschritt der italienischen Angelegenheiten lässt sich hoffen,
dass ausser den Lehnstühlen mit der Zeit auch Matratzen
werden hingelegt werden für Herren, die sich vor Begeisterung
auf dem Bauche zu wälzen geneigt sind, so wie auch für
emancipirte Damen insoweit solche Hosen tragen
(Es ist Vormittags elf Uhr; Seen e: Das z weite Zimmer
der Galerie Colonna; Saltimbanck in einer Ecke; der
Cu8tode,ein e gross efranzösischeD am c herum führend.)
Custode: — Und dieses ist das Bildniss Rafaels, von
seinem Vater gemalt, als er noch ein Junge war.
Dame: Für einen jungen Menschen vortrefflich gemalt,
besonders die Agraffe an der Mütze! Herrlich! Das ist
übrigens noch nichts; ich komme soeben aus Barcelona,
wo ein Bild von eiuem dreijährigen Kind in der Catliedrale
hängt, ganz aus der puren Inspiration gemalt! Das sollten
Sie sehen, Monsieur le concierge.
Der Custode ist ganz confusund sieht Saltimbanck
mit erbarmangswUrdigen Blicken an; Saltimbanck
Dähert sich der grossen Dame und spricht: Das Bild in
Barcelona muss himmlisch sein! so ,„ j*,.„„j„i, ..„«„.
(r 0 n 6 r 7, 0 1 c n u u n g ;
ganzunmittolbarausdorroinonPhan- Zwui Heilig« und ein Hund,
tasie eine« uomUndigen Kindes! In- im Hintorgnindo HUgol —
deM bewundem Sie mit Recht auch '" , , ^^J!"''"'Tir*'''*\^'''f,f
auf daH Piinrilst« gekritzelt ;
dieses Bild von Bataert Vater, all er darunter:) lo ubinnu de
noch ein JaDge war! Barcelone, vcolo oMpagnole
Dame (nachsinnend) Aber wie «"««»«fn«
alt war Bafael wohl selber in jenem schönen Moment?
Saltimbanck: Das weiss man nicht (gehen .weiter.)
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 125
Drittes Capitel. Von Saltimbanck's Garderobe,
hauptsaechlich von seinem Rock.
Es ist ganz unglaublich, was ein Rock alles aushalten
kann, ehe er so aussieht, dass man ihn absolut wegwerfen
muss. Als Saltimbanck über die Alpen zog, nahm er das
auch in Bonn bekannte eselsgraue Röcklein mit um es in
der ewigen Stadt als ein Symbol der Vergänglichkeit alles
Zeitlichen vor den Augen von ganz Rom aufzutragen. Das
Röcklein aber hielt sich wacker, soweit die Sache von ihm
abhing; Ermel und Verstösse wollten und wollten nicht
reissen, selbst die Knöpfe hielten nur immer fester. Aber
was nicht vom Röcklein abhing, damit war es schlecht be-
stellt; die Farbe verschoss unter dem Einfluss der südlichen
Sonne zusehends, und was das Schlimmste war, der Kragen
nahm allgemach einen höchst verdächtigen, wohlbekannten
Spiegelglanz an. Ein Freund Saltimbanckens, der ihm zu
Zeiten über sein Costüm leise Vorwürfe zu machen pflegte,
sah einmal auf dem Kragen Saltimbanck's einen Floh herum-
spazieren, was in jenem Clima weder selten noch be-
schämend ist. Er wollte den Floh wegfangen, aber Saltim-
banck sagte: Stör' ihn nicht, er macht seine Morgenpromenade.
— Oder, meinte der Freund, er will auf diesem Kragen
lernen Schlittschuh laufen.
Gegen die Zeit des Conclave's hin ') wurde das Röcklein
auch sonst gebrechlich. Derselbe Freund sagte zu Salt: Der
Rock geht hinten auf! — Salt, erwiederte ganz kaltblütig:
Das thun Sonne und Mond auch. Auf die Länge war indess
mit Witzen nicht geholfen. In Neapel zeigten sich an den
Ermein bedenkliche Blödigkeiten ; eine durchgeriebene
Stelle wurde von einem höchst lächerlichen Flickschneider
in der Nähe des Toledo mittelst einiger Gran insoweit zu-
gepfuscht, dass nach einiger Zeit ein förmliches Loch an
jener Stelle entstand. Indess, wenn Salt, die Arme nicht
zu weit vom Leibe ausstreckte, so sah er noch halbwegs
reputirlich aus. Den Genickfang gab dem Röcklein be-
sonders die Reise von Neapel über Rom nach Florenz und
der Aufenthalt in letzterer Stadt. Hier fanden sich nämlich
') Aus dem (Juni 1846) Graf Mastai -Ferretti als Pio nono her-
vorging.
126 Rudolf Meyer-Kraemer.
bereits Leute vor, welche Saltimbancken um seines Röckleins
willen curios ansahen, was ihn bewog, z, B. das elegante
Caffe Donny nur in jener Dämmerstunde zu besuchen,
wann die Sonne unten, das Gas aber noch nicht angezündet
war. — In Ravenna lag der Rock offenkundig in den letzten
Zügen und Salt, musste besorgen, dass sich einmal ein
Stück Ermel rundum losrisse, auch pflegte es hie und da
in den Rückennäthen zu krachen und zu reissen. Da hält
eines Morgens unweit von der Colonnade Theodorichs, beim
Markt ein Herr den Salt, an mit der Frage: „Wo Teufels
trifft man denn Ihren Direktor an? — Ach, verzeihen Sie,
ich glaubte, Sie wären von der Truppe, die Donnerstags
zum erstenmal spielt.'' — Ein paar Stunden später hält
ihn der Caffetier vom Spiegelcaffe an mit der Frage:
„Haben Sie hübsche Damen bei Ihrer Gesellschaft?" — Es
war klar, Salt, sah einem italienischen Provinzialschau-
spieler zum Verwechseln ähnlich; es war Zeit, das Röcklein
abzudanken. In Venedig hat er sich ein Neues machen lassen,
was 18 Zwanziger gekostet hat aber mindestens noch ein-
mal so eselsgrau ist. —
37. (= zweite Hälfte eines Briefes; s. Br. 38 Anf.)
Venedig, 15. Aug.
Hab ich Dich gestern ennuyirt, lieber guter Urmau?
Ich will's nicht mehr thun, aber einmal musste ich wieder
meine grämliche deutsche Politik an den Mann bringen. --
Von meiner jetzt so sehr beschleunigten Reise will ich
lieber mündlich Einiges loslassen, wann ich bei Euch in
Bonn bin, was so der Herr will, den 22. und 23. Sept. der
Fall sein wird. Neapel habe ich für immer gesehen, man
kriegt mich ohne ganz besondere Gründe nicht mehr dorthin , ')
obschoo das Land ein Paradies ist. Wolters wollte mich
auf das Frenodlichste in Beschlag nehmen, aber icli hutt*«
noch änderet so thun als mir in San Jorio wohl soin /.u
laiteD. Er wetis viel von Neapel, treibt Geschichte und
KoDit und ist ein geistvoller Mensch durch und durch.
*) Trog, S. 54.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 127
Woher kam es, dass ich trotzdem ein wenig auf dem Fus8
der Vorsicht mit ihm stand? Zweierlei war's: er ist ehr-
geizig (obwohl ganz im Stillen) und er ist orthodox. Gott
verzeih mir's, aber ich kann mit frommen Leuten nicht
mehr recht umgehen, selbst wenn sie sich bemühen, ihre
Frömmigkeit vor der Weit zu verbergen, was z. B. dann
statt findet, wenn es damit noch nicht recht brillant steht
und sie besorgen müssen, man glaube ihnen nicht genug.
Ich nenne das auf Welsch une piete honteuse, verschämte
Frömmigkeit. Der Ehrgeiz allein entfremdet mich keinem
Menschen, zumal da ich selber nicht ehrgeizig bin und
meiner Natur g»^mäs9 gerne einem Bedeutendem zur Folie
diene; aber combinirt mit der Orthodoxie verschüchtert
mich der Ehrgeiz und benimmt mir meine Harmlosigkeit.
Es war Schade, dass ich den rechten Ton mit W. nicht
mehr finden konnte. Denn er ist an Geist ungeheuer ge-
wachsen und ich hätte hübsch von ihm lernen können. Er
hat eine prächtige Phantasie, reich und elastisch wie ich
kaum eine andre kenne, und dabei einen Weltverstand,
mit dem er unser Einen zehnmal in den Sack steckt. —
Und Ackermann starb 4 Tage vor meiner Ankunft.
So ist denn endlich dieser Comet, der so unendlich fremd-
artig und interessant durch unsere Kreise zog, vor unsern
Aug«n verglüht. Er war von Hause aus eine egoistische
Natur, die Alles nur auf sich selbst bezog und ganz unge-
heuer viel Lebensstoff consumirte oder, wenn sie satt war,
muthwillig verwüstete. Aber dabei welch ein Mensch!
Ihr habt ihn nicht recht gekannt, ') ich glaube, Torstrick
und ich wissen am Besten, oder ahnen es, dass er wahrhaft
göttlichen Geschlechtes war. Sage mir, woher kommt es,
dass ich, ohne weitere Zuneigung zu ihm, doch gleich in
ihm dasjenige witterte, dem ich mich dienend und auf-
opfernd hätte unterwerfen können? Ich kann gar nicht
sagen, dass ich ihn eigentlich lieb gehabt hätte, dafür war
er mir von Anfang an zu gewaltig, zu sehr ausser aller
Linie. Zudem, was hätte er mit meiner Freundschaft an-
fangen können? Er überschaute noch ganz andre Leute
als mich, denn das ist das Unglück des Genius: er ver-
') Im M. K. scheint er mit Beiträgen nicht vertreten zu sein.
128 Rudolf Meyer-Kraemer.
einsamt den, welchem er allzumächtig innewohnt. — Und
diese Natur musste zugleich so ungleich angelegt sein,
dass ihr die Krone alles Daseins, das ruhige Gestalten fehlte!
— und zwar im Leben wie im Dichten. Er hat sich gegen
das Ende hin furchtbar gesteigert und ging einher zwischen
raffinirter Genussucht und noch raffinirterer Selbstpeinigung,
sodass es brechen musste. Dass seine Liederlichkeit sein
Leben verkürzt habe, glaube ich nicht, denn er war nicht
venerisch, und wo das nicht der Fall ist, da kann ein Körper
wie der seinige zehnmal mehr aushalten als er verübt hat
Aber der Schemen und Popanz, den sich seine Phantasie
von seiner Liederlichkeit machte, hat ihn allerdings tödten
helfen. Ich hätte gerne das Weib auf meiner Rückreise
in Rom aufgesucht, die er gehabt hat, aber Wolters sagte,
er habe die Papiere noch nicht genügend durchsucht, in
welchen sich ihre Adresse finde. Er, Wolters, will sie be-
suchen, wenn er nach Rom kömmt. Ich war der unmass-
geblichen Meinung, dass man dergleichen am besten solchen
Weltkindern überlasse wie ich bin, aber — die Papiere
waren einmal noch zu wenig in Ordnung. Es war übrigens
eine verheiratbete Frau, wie sich solches in Rom von selbst
versteht, und das war ein Hauptbrandscheit in Ackermanns
Qoalenraffinerie) ') Alles in Allem betrachtet sag' ich —
Gott verzeih mirs: — lieber kein genialer Mensch sein und
dafür gute starke Nerven haben und ein starkes Gewissen,
das sich, wenn der Mensch gesündigt hat, in herzlichem
Wohlwollen für Andere wieder erfrischt und erholt. Siehe,
das wäre mein Ideal. Allerdings wird man damit keine
höhere sittliche Erscheinung, kein Tugendspiegel. Aber
die Tugendspiegel laufen ja heuer auf allen Gassen herum,
•o dasa die Species hinlänglich vertreten ist auch ohne mich.
*) Otto Markwart verdanke irh den Hinweii nuf zwei weitere Notizen
ober A.: ^Mit eisern am BawundrunK und Grauen gemiiichten Gefühle
schieden wir in ipäter Nacht; all wir uuf der Brüclie um Schifn)aucr(Umin
um trennten, ■•(((« Burrkbardt: „Wir werden einmal tagen, daai wir ihn
gekannt hat>en." (W. Bcytchlag, aui meinem Leben, S. 148). — Ein groites
Gedicht „Auf Ernst Ackermanns Tod", von Eminus (Jak. Burckh.) fand
Markwart unter den Scbauenbargbriefen ; abgedruckt in einem Album jener
Zeil uBler dem Titel „In Neapel" (?) :
„O sieh Neapels Golf im goldenen Abendschimmer I
Sieh tausend Barken siehn" usw.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. 129
Venedig, 21. Aug.
Potz Welt, ehe ichs- vergesse. Ich weiss nicht, ob Dein
Taschen- oder Jahr- oder Jahrtaschenbuch zu Stande kömmt
oder nicht. Geschiehts, so bitt ich inständig um Eines:
Gieb meine Verse, wenn du durchaus welche davon hinein-
haben willst, nicht mit meinem Namen, sondern unter
der Firma: Eminus. Du behauptest die Dinge brauchen zu
können, ich aber will nicht um eines Andern willen Verse
ausgehen lassen und dann doch Spott und Hohn auf mich
laden, als hätte ich selber mich geflissentlich mit meinen
Versen hervorgethan. Bitte, herzlieber Urmau, thu mir den
Gefallen, wenn es noch Zeit ist, und mach jetzt keine
Geniestreiche ohne Noth. Sieh, es ist doch wahrhaftig das
Recht eines jeden Menschen, selber drüber zu entscheiden,
wie weit er sich mit der Pablicität einlassen will, nicht
wahr? Wenn dir der Name Eminus nicht recht ist, so
nenne mich sogar Saltimbanck und ich will den Tort eher
verschmerzen als jenen, mit eigenem Namen aufzutreten.
Denke doch nur, dass du mir keinen Ersatz dafür bieten
kannst, wenn irgend eine Giftfeder unter unsern lieblichen
Recensenten meine Sachen noch schlechter macht als
sie schon sind. Ich als Dr. Burckhardt will nun einmal
keine beiletrist. Ansprüche machen, weil ich glaube, dass
selbst ein guter Poet, sobald er gedruckt ist, eine falsche
Stellung zu unsrer jetzigen Welt hat. Dixi, sonst wirst
Du bös.
Ich habe in Italien wenige Verse gemacht, ') weil ich
meine Zeit besser brauchen konnte. Am Anfang meines
Aufenthaltes in Rom hoffte ich etwas in Zug zu kommen,,
aber es gelang nicht und verleidete mir bald. Ich habe
einige Landschaften gedichtet, bin aber darob ins Schmieren
gekommen und in eine Manier, die Niemandem unaus-
stehlicher ist als mir selbst. Ich kann nun einmal mit
unsern wenigen erlaubten Reimen nicht auskommen ;
zum Ausfeilen entschliesse ich mich vollends nie. Das,
was mir zu Zeiten Spass macht, ist grade das rohe Hin-^
schmeissen.
•) 8. Br. 35 (v, 19. Mai).
I ^O Rudolf Meyer-Kraemer.
38. Basel, 11. Sept. 1846.
Liebster Urmau! liebste Directrix!
Inliegendes') ist der üeberrest eines in Venedig an-
gefangenen Briefes, dessen erste Hälfte sehr einfältiges
Zeug enthielt und deshalb cassirt wurde; lest es also zuerst
Wesshalb ich jetzt noch, 11 Tage vor meiner Ankunft
in Bonn, an Euch schreibe, erkläre folgender Grund: Primo
müsst Ihr doch wissen, dasa ich überhaupt noch vorhanden
bin. Secundo, dass ich den 22. und 23. Sept. in Bonn zu
verweilen hoffe, diessraal übrigens nicht wiederum Eure
Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, sondern im Gasthof
logiren werde. Tertio, dass ich von Rom aus (Ende Mai)
ein bläuwliches Mawblatt an Euch abgesandt habe, mit lauter
Versen von vorn bis hinten; darunter war ein Reisegedicht
von etwa 200 Versen, Gott geb, dass Ihr's gekriegt habt,
denn es war das Concept und ich habe keinen Zweiten zu
versenden. Wer weiss, vielleicht hat's auch die römische
Postverwaltung so interessirt, dass sie es lieber gleich
behalten hat. Auch gut. Quarto habe ich durch die Schauen-
burgs erfahren, dass der arme Urmau arg krank gewesen
ist, und möchte ihn gerne ein wenig aufheitern. Quinto
bitte ich, meinen vorgeblichen „Ruf" nach Berlin so viel
als möglich geheim zu halten, indem ich so nicht mehr
recht dran glaube und hier überall ausbreite, ich werde
Ende April wieder in Basel sein. Mit dem, was Deinet-
wegen im Trieb ist'), steht es schon anders, wegen Deiner
Präcedentien und weil Du ein Landeskind bist. — Basel,
das ich letzten Samstag wieder betreten, sieht mich übrigens
so langweilig und philiströs un, dass ich meinem Herrgott
•elbst für einen Winter in Berlin sehr dankbar bin. Nein,
onter diesen Geldbrozen hält es kein rechter Mensch aus!
Rom! Rom! Rom! — capisceV
12. Sept.
0 wie ist mir dietsmal der Abschied von Italien schwer
geworden! Ich weiM es jetzt, dass ich ausserlialb Rom's nie
mehr recht glücklich eein werde und dass mein ganses
0 Br. 37.
^ Nialidi «beofiill ein „RoT« ntcb Berlin.
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. iji
Streben sich thörichter Weise in dem Gedanken concentriren
wird, wieder hinzukommen und wäre es auch als Lakai
eines Engländers. Ich könnte dir in Rom verschiedene
Stellen zeigen, auf der Strasse, in Gärten u. s.w., wo mich
ohne besondern Anlass das Gefühl überraschte, dass ich
jetzt vollkommen glückselig sei; es war eine plötzliche,
vom Genuss nicht abhängige, innere Freude. Eine dieser
Stellen ist auf der Treppe des palazzo Farnese. beim ersten
Absatz, also nicht einmal eine sonderliche Localität. Eine
andere Stelle, wo ich in den ersten Tagen des Mai einmal
dasselbe Gefühl hatte, ist rechts von der fontana Trevi. Ich
fühlte mich zu Rom in einer Harmonie aller Kräfte wie
ich sie nie gekostet, einige gute Tage in Bonn ausgenommen.
Denn verliebte Zeiten, wo man zwar bisweilen glückselig,
aber dabei ausser allem Gleichgewichte ist, rechne ich nicht
in dieses Capitel, weil es da gar keine Kunst ist, sich
glücklich zu fühlen. — Als ich am 8. Juli Rom zum letztenmal
verliess und der "Wagen um der Pässe willen vor Porta del
popolo stille hielt, stieg ich noch einmal aus und ging
feierlich wieder 3 Schritte weit zum Thor hinein, wodurch
ich meine künftige Wiederkehr habe versinnbildlichen
wollen. Am ponte Molle hat es doch einige Zähren ge-
kostet. Florenz und Venedig haben mir auf Rom hin gar
nicht mehr recht munden wollen; dagegen hatte ich in
Ravenna einen wahren und echten Nachklang von Rom,
besonders als ich die herrliche einsame Basilica in classe
besuchte, die so schön und traurig am Rande des grossen
Pininenwaldes liegt. Mosaiken sieht man in Ravenna, lieber
Urmau! Es sind die schönsten nächst jenen von St. Cosma
e Damiano in Rom, und Alles datirt! Ich kann Dir nur
sagen, dass die Galla Placidia nahezu das Unbedeutendste
darunter ist, so schön das Ding sein mag. Die 12 Apostel
im Baptisterium (d. h. im orthodoxen, nicht in dem der
Arianer) sind noch von so ausserordentlicher Schönheit,
dass man sie dem V. Jh. kaum mehr zutrauen kann, so
herrliche Sachen auch damals noch geschaffen wurden —
doch von all diesem mündlich. Ich bin sehr begierig auf
deinen zweiten Band Kunstgeschichte, den ich gar gut
brauchen könnte. In Eure Theorie der rheinischen Kirchen
152 Rudolf Meyer-Kraemer.
muss ich mich in Bonn de3 Gründlichsten einweihen lassen,
sonst sitzt Ihr mir auf, wenn ich bei der Bearbeitung von
Kngler's Kunstgeschichte in diesem Punkte nicht nach
Eurem Sinn rede. ^)
Ich habe gestern das Programm deines Jahrtaschen-
oder Taschenjahrbuchs „vom Rhein" gesehen und mit
Freuden bemerkt, dass mein Name dabei nur in dritter Linie
figurirt. 0 Du herzlieber Erzeulen Spiegel und jugendlicher
Faselant, der Du noch mit Herausgabe von Gedichten glaubst
etwas wirken zu können! Grade als ob nicht eine Epoche
vor der Thür wäre, die unsere ganze jetzige Literatur und
noch viel mehr unter den Tisch wischen wird! Freilich,
Ihr woUt's nicht glauben. Gedichte machen — ja! aber
Gedichte herausgeben — ne!
In Berlin wird es ein sauberes Leben werden. Ich bin
zum Voraus entschlossen, mich gegen Berlin vollständig
abzuschliessen, über Hals und Kopf zu oxen und ausser
Kugler 80 gut wie Niemanden zu sehen. Sobald ich wieder
Geld habe, kratz ich aus nach Rom und bleibe dort bis
auf den letzten Pfennig. Dann lass ich wieder drucken und
80 mag das fortgehen bis an mein selig Ende, das wohl
binnen 20 — 26 Jahren jedenfalls erfolgen wird. Immer in
den Zwischenepochen schreib ich dann 2 — 3 Jahre an einem
guten Buche, oder auch an einer Zeitung, um mich durch-
zubringen und neue Kräfte zu sammeln, d. h. Geldkräfte.
Eine Familie will ich dieser infamen Zeit nicht in die
Krallen liefern; es soll kein Proletarier meine Kinder mores
lehren wollen. Du glaubst nicht wie resolvirt ich in diesen
Dingen bin. —
Addio ürmau! Addio liebe Directriz!
Auf baldiges Wiedersehen hin zählt die Tage
Der vielgetreue Eminus.
* • ♦
Id die leiste Septenib^rwocho fiel dann - programm-
gemBss — Burokbardts vierter AufnuthaIt(oderdoch Besuch) bei
Kinkels; doM et der letzte für immer sein würde, bat wohl
keiner tod beiden geahnt. Anfang Oktober in Berlin ein-
*} Vgl. Kugltra Hdb. d. K.'% (S. Aufl. 187t I, p. 464).
I
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. ix^
getroffeo, war Burckhardt nun mehr als je zuvor an Kugler
und dessen Kreis angeschlossen (vgl. die Zitate aus P. Heyse
bei H. Trog, S. 20 und 66, deren lebendige Schilderungen
den Kenner uujschmeicheln, als wäre an jener Stätte vor-
geahnt der Genius Hugo Wolfs mitten unter ihnen gewesen,
dessen Manen wir jetzt trauernd grüssen). — Die glühende
Sehnsucht ins „bessre Jenseits" hat aber genau ein Jahr
später rechtbehalten und sich durchgesetzt: am 10. Oktober,
auf kürzestem Wege, traf Burckhardt wieder in Rom ein,
um diesmal ein volles Halbjahr zu bleiben. Als er dann
(im Mai 48) wieder nach Basel heimkehrte, hatte das grosse
Itevolutionsdraina, das Kinkel unter seine Protagonisten
einreihte, längst begonnen; die Schweiz aber war dabei,
ihren neuen Bundesstaat zu gründen. —
In den hier (Br. 39 — 43) gespiegelten neun Monaten
zieht der jüngere Freund vorsichtig schonend, aber doch
unverkennbar das Fazit der mehr als sechsjährigen Geistes-
gemeinschaft, deren Würdestufen er so rasch emporgestiegen
zu sein sich mit Recht fühlen durfte: es ist wie eine reinlich
abschliessende Inventuraufnahme, die nun einmal seiner Art
unsentimentaler Wahrhaftigkeit entsprach. (Uebrigens vgl.
H. Trog, S. 146.)
39. Berlin, 6. Dec. 1846.
Herzliebster Urmau!
Ich habe in den neun Wochen meines hiesigen Auf-
enthaltes oft geschwankt: Soll ich nach Bonn schreiben —
oder nicht? Soll ich Winke geben oder abwarten? Kugler
will Dir vollkommen wohl, aber sein Einflass ist vielfach
contrebalancirt. Ich hüte mich, zu viel nachzuforschen und
begehre nicht zu wissen was geheim bleiben soll, weil ich
Dir damit eher schaden als nützen könnte. — Eins aber
musst Du wissen — Jemand, Du weist schon wer, ') hat den
Minister auf Dein verfluchtes ^Männerlied" am Schluss des
Taschenbuches aufmerksam gemacht, worüber K. in Ver-
zweiflung ist. So was zerstört wieder Vieles was gut an-
gebahnt schien. Sie suchen Dich nun aus der Patsche zu
•) Vermutlich Nitztch oder aber Sack.
111 Rudol f Meyer- Kraenier.
reissen; K. will beim Minister das Beste dazu reden, und
ein andrer Freund') will suchen, den Otto Schütz zur Vor-
lesung bei Hofe zu bringen. Diess behalte aber bei Dir,
compromittire mich nicht bei Kugler, und hoffe nicht zu
viel, üebrigens gehört es für mich zu den ünbegreiflich-
keiten, dass ein Mensch von Deinem Alter, in einem Augen-
blick, der vielleicht sein Fortkommen entscheidet, eine
solche Unbesonnenheit begehen kann. Du bist nicht mehr
Theologe, kein Mensch auf Erden kann Dir ein religiöses
Votum abverlangen, warum schreibst Du es also ganz un-
nützer Weise in die Welt hinaus und noch dazu in solcher
Form? Es ist gar wenig Poesie, gar wenig neu Gedachtes
in dem Männerlied, und viel Renommage. Habe aber ich
mir das Renommiren abgewöhnen können, so kannst Du
es auch. Wenigstens solltest Du auch an die denken, welche
Dich lieb haben und ihnen nicht ohne Noth Schrecken
einjagen.
Sonst ist das Jahrbuch gut und reichhaltig; Gott gebe,
dass die Bädekors^ auf ihre Kosten kommen. Ich hab es
von Ramersdorf wegen ^) für das Kunstblatt angezeigt,
fürchte aber, dass die Anzeige erst nach Neujahr abge-
druckt wird. Noch ein Narrenstreich von Dir: mein ganz
dummes Gedicht vorn als Motto unter dem Titel eines
Bekenntnisses (i. e. sämmtlicher Mitarbeiter) in grossen
Lettern abdrucken zu lassen. Wer gab Dir eine solche Be-
fugoiss? Hinwiederum halte ich die „Margret" für das
Juwel des Buches, und auch Kugler ist entzückt davon.
Es schmeckt sehr nach mehr.
Vorgestern ist auch meine Recension von „Schwarz-
Rheindorf^ an'rt Kunstblatt*) abgegangen. Ich habe nach
Kr&ften gerühmt, aber Andreas wird sagen: ich hätte ihn
nicht einmal beim Loben recht verstanden, vollends aber
•ei ich ein E^el wo ich ihm Unrecht gebe; sag' ihm, ich
bitte AS etwas stark gefunden, dass ich da.s EIxempiar,
'i I><*<li wohl Enul Curtittf, der ipltere Archäologe, »eil 44 Ertieher
(ic* l'nuicu Kritdrich.
*) Dit bckannl« EaMocr VerUftfinna.
■) •. „Vom Rbcin". Kunalhlalt 4.
*) MVom Rbeiii", Marienkrönung (S. a); Simont bekam dafOr aoo Talor
(Strodtn., 8. tu).
Briefe Jakob Burckbardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i^^
welches mir Stud. Lübke überbrachte, ao Kugler überreichen
musste, gegeu welchen in dem Text eine so unverhohlene
Malice darchblickt. Ich hoffe, Kugler liest das Ding nicht.
In meiner Recension habe ich übrigens nur die zu weite
Ausdehnung des byzantinischen Einflusses bekämpft und
die ganz enorme Hypothese von dem runden Vorderab-
schluss von St. Aposteln') und Gross St. Martin.') Wenn
Andreas sich in künftigen Heften noch ferner solchen Con-
jecturen hingiebt, so kann es ihm sehr schaden, so gut
auch alles Uebrige sein mag. Wenn er bei der vorliegenden
ein gutes Gewissen hatte, warum erwähnte er die Capitols-
kirche *) mit keinem Wort? Resp: weil sie ihm seinen Beweis
ganz wesentlich geschwächt hätte.
7. Dec.
Mir geht es ganz gut: die Gesch. der Malerei rückt.
Für mein weiteres Fortkommen scheinen gute Aspekten
da zu sein; der Minister soll sich günstig über mich ge-
äussert haben. Ist mir ganz recht, baue übrigens mehr
auf die Buchhändler. Es stehen mir nach und neben den
jetzigen Arbeiten audere bevor, von mühsamer -— aber
lucrativer Natur, d. h. so dass Unsereiner eben durchkommen
kann, und mehr verlange ich ja nicht. Längst ist der Brust
ehrgeiziger Trieb entflohn, sagt Platen; und das war für
seine Person nicht einmal wahr, wohl aber für mich. Zum
Arbeiten nach meinem Gusto, d. h. zum Strenghistorischen,
komme ich vielleicht nie mehr, oder erst dann, wenn die
besten Kräfte dahin sind. Nun, es ist schon ganz andern
Leuten Aehnliches passirt.
Berlin tritt mir in gewohnter Scheusslichkeit entgegen,
und die Sehnsucht nach Rom quält mich täglich mehr.
Vielleicht reisse ich einmal all die Verhältnisse, die man
mir in der edelsten Absicht vorbereitet, mitten durch und
kratze aus. Das Subjekt Eminus würde sich dabei ganz
wohl befinden. Dieses Subjekt will gar nicht blosses
Wohlleben und Bummelgenuss, es arbeitet gerne, aber al
suo modo. Nur muss das Subjekt bekennen, dass ihm ein
solches Durchbrennen um Kuglers willen leid thäte, welcher
') In Köln.
*) „S. Maria auf d. Capitol" zu Köln.
136 Rudolf Meyer-Kraemcr.
Alles für das Subjekt thut und viele Liebe und Geduld
beweist.
Im Ernst, ich fühle für Kugler und seine wahrhaft
grossen Absichten ein inniges Mitleid. Er für seine Person
steht jetzt wohl unverdrängbar fest, aber das wofür er lebt,
werden sie ihm doch vereiteln oder wenigstens partiell
nach Kräften verhunzen, denn es giebt in unserer Zeit
nichts Mächtigeres als eine Verschwörung kleiner Interessen
gegen durchgreifende Verbesserungen. Ich sage ihm immer:
Du siehst die Dinge viel zu jugendlich an, worauf er mich
auszulachen pflegt und meint: Es ist so lange schlecht ge-
gangen, ich sehe nicht ein, warum es nicht auch einmal
besser gehen soll. — Geibel ist schon etwas elegischer
gestimmt und natürlich mehr seinen persönlichen, poetischen
Plänen hingegeben, welche Grosses versprechen. Er mag
mich ganz wohl leiden, weil ich so harmlos mitlaufe, ihm
die Zeit vertreibe und auf seine Gedanken einzugehen
suche. Ich bin ihm von Herzen zugethan, weil er der
nobelste Mensch unter der Sonne ist, und lialte ihm seine
Einseitigkeiten zu Gute, weil sie mit seinem Werthe eng
zusammenhängen. In poetischen Dingen ecrasirt er mich
durch eine gänzliche Entmuthigung; ich mag kaum mehr
einen V«*r8 schreiben, wenn ich denke, wen ich in meiner
Nähe habe. Es ist auch ganz gut, wenn ich nicht mehr
dichte, ich arbeite um so viel besser. Aber die Acta möchte
ich gerne beisammen haben znr Erinnerung. Darum bitte
ich Dich inständig, liebster Urinau, die Gopion des Alchy-
misten und der Gotthardspassago nicht zu vergessen und
mich haldmöglichst damit zu erfreuen. Wenn die Copie,
wie zu vormutheri, mehr kostet als ich dafür hiuterliess,
■o frankire bloss doine Briefe an mich nicht und schreibe
doch fleiMig, MO hast Da am Ende nocii Profit dabei, wie
jener heitere Kerl, welcher fast täglich 2 Thiiler zurücklegt,
weiJ er nicht regelmftssig Champagner trinkt. - - Was hier
mitfolgt, iit Hchon lange ungefangen gewesen und dann zu
% hier vollendet worden. Ich habe jetzt nichis besseres
ab diee „Klotter"'), und Ihr mOsst damit fUriieb nehmen.
Ihr werdet sagen, es sei weit geringere Arbeit als der
*) Em Mfcdot vertcbollen su leiii.
I
Briefe Jakob Burckhardts au Gottfried (und Johanna) Kinkel. 1^7
Alchymist, und damit mögt Ihr Recht haben. Ich konnte
nur den angefangenen rothen Mawbogen nicht so liegen
lassen; wäre das Ding auf anderm Papier begonnen gewesen,
ich hätte es längst vergessen. Aber Mawblätter, welche die
werthe Hand der Directrix zurechtgelegt und mit Paginatur
versehen hat, dürfen nicht so mir nichts dir nichts cassirt
werden. Ich habe jetzt noch eines und dieses soll meine
letzten Gedichte aufnehmen. Es sind ja immer geweihte
Blätter und sie erinnern mich an Euch und an bessere Zeiten.
Aber schickt mir keine neuen. —
9. Dec.
Um mit dem Vorhandenen aufzuräumen : Hast Du schon
ein gewisses Gedicht von mir, welches ich in Venedig schrieb
und anfängt: Ja Cyperwein und schöne Fraun?') Ferner:
bat dir etwa Julius B.-) seiner Zeit eine Copie von dem
Ding geschickt, welches den Eselsritt nach Amalfi schildert?
— Ich begreife wohl, dass Euch jetzt an diesem Kram
wenig liegen mag, weiss auch ganz gut, dass Du von mir
als Poeten wenig oder nichts mehr erwartest, aber ich
muss etwas haben, um das letzte Mawblatt auszufüllen. Ihr
seid fast mein einziges Publikum gewesen und auf. Euch
schütte ich mit Recht auch die letzten Brosamen aus
meinem Schnappsack aus. Hätte ich mein italisches Dasein
ausleben können, ich hätte wohl noch einiges Gute producirt.
All mein Streben geht jetzt dahin, mir soviel zu ersparen
um wieder nach dem Süden gehen zu können und dann,
wenn ich einmal drinnen bin, holt man mich nicht so leicht
wieder heraus. Ich hoffe es dahin zu bringen, all dem
glänzenden Elend in Leben, Literatur und Politik feierlich
den H zudrehen zu können. Schilt wie Du willst,
liebster Urmau, aber gestehe mir zu, dass in den jetzigen
deutschen Zuständen keine Natur mehr sich harmonisch ent-
wickeln karm. Das Kleinliche, Ängstigende, Zersplitternde
ruinirt jetzt auch die Besten, während die Schlechtesten
davon profitiren. Hier hilft nichts als eine Luftreinigung
im grossen Styl, und die wird kommen; was wir bis dahin
schaffen, ist Zeitvertreib, sind odeurs, womit wir uns auf
*) E« findet sich in den Scbauenbur<;briefen (Notiz von O, Markwart).
•) Bädeker?
1^8 Rudolf Meyer-Kraemer.
Augenblicke den Duft der allgemeinen Fäulniss verhehlen.
Warum nun nicht in einfachere, schönere Zustände flüchten,
wenn sie noch irgendwo vorhanden sind? Ich wenigstens
bin gesonnen, noch einmal ehe die bösen Tage kommen,
meine Art von Leben zu geniessen.
Ehe ich es vergesse: sage Andreas (oder wenn er schon
in Düsseldorf ist, schreibe ihm bei Gelegenheit), Strack
(Prof. und Oberbaurath allhier) hätte sich sehr günstig,
Prof. Bötticher') ganz begeistert über sein Schwarz-Rhein-
dorf ausgesprochen, und Beide die eigentliche Architekten-
carriere höchlichst abgerathen, weil sie mit Chicanen und
Prüfungen aller Art verbunden ist, dagegen die Laufbahn
eines sog, Bauconducteurs anempfohlen, welche für ihn
fast dieselben Vortheile bietet. Ich bin begierig zu sehen,
ob er seinen Plan durchsetzt und wo es am Ende mit ihm
hinaus will. Vor allem aber, ob sich am Ende eine wirklich
productive Ader in ihm aafthut
10. Dec.
Wenn ich nur etwas für das Jahrbuch thun könnte!
Bädeker's haben mir und Kugler es zugeschickt und Julius
hat mich auf das Schönste gebeten, es in hiesigen Blättern
zu empfehlen. Was ich konnte, habe ich mit dem Kunstblatt
gethan, aber hier in die Vossische und Spenersche kann man
nur dann etwas bringen, wenn man entweder zur Clique
gehört oder vor selbiger den Hut zieht. Ich habe nur noch
eine sehr geringe Hoffnung, durch einen bosondera Kanal
einige Worte in die Vossische einzuschmuggeln. Die „Ge-
•innuDg*^ muss dabei um Gottes Willen aus dem Spiele
bleiben, denn die schadet hier mehr als sie nützt. — In
einer Beziehung, lieber Urmau, iiast Du wohl durchgängig
Unrecht: warum dioss beständige Renommiren mit der
rheinläDdisclien Manneskraft? Wir Rheinländer stehen bei
den Sachsen, Schwaben und Baierii gar nicht im Geruch
betonderer Energie und ausgezeichneten Cliarakters! Lass
Dir diete MarottoD vergehen. Der Rhein beginnt mit der
rohen Heftigkeit d(»s Schweizers, dann folgt der commune,
veriohiagen«« Elsäsiier, der ronommistische ßadenser, Rhein-
baier und RheinhesHo, dann der Judd von Frankfort, dann
') Karl B., der Arcbaolog.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanua) Kinkel. i^q
Coblenz mit einer Bevölkerung die noch Niemand ernstlich
gerühmt hat — endlich der Gau von Bonn und der Köln-
gau — na, ich will lieber schweigen. Geibel ist auch meiner
Meinung, — der hat freilich wieder seineu aparten Hanse-
ateuhochmuth. Das lass ich gelten, dass wir alle tutti
quanti zehntÄueendmal mehr werth sind als die Berliner;
auch habe ich mich an der kleinen berlinischen Episode
in der Margret aus der Massen ergötzt. Übrigens ist das
ganze Ding wunderbar schön und unterscheidet sich wesent-
lich von den ansonst in jetziger Zeit currenten Dorfge-
schichten ') und vollends von der jetzt beliebten Proletarier-
poesie, womit einige unsrer grossen Geister hausiren gehen.
Es ist Schade, dass die Gattung der Mode anheimgefallen
ist, wie seiner Zeit die politische Poesie. — Die jetzige
Literatur lebt fürchterlich schnell und consumirt ein un-
glaubliches Capital von Reiz und Abwechselung. Und doch!
wie Weniges schlägt so recht entschieden durch! —
Jetzt grüsse von mir die edle Directrix! Ich wünsche
Euch ein Anno 1847, das Euch nach so langen Sorgen eine
wohlige, gesicherte Stellung bringe! Ich wünsche dem Mibes
Kraft und Gesundheit, den 2 Kleineren') alles Gedeihen!
Und Du, herzlieber alter Urmau! bleibe mir treu! lass
Dir sagen, dass ich nie ein Berliner werden will, dass ich
Deine Interessen hier nach Kräften und mit Discretion
vertrete, und dass keine Differenz der Ansichten mich von
Dir trennen soll'). Ich sehe ihnen hier genugsam in ihre
Rath- und Prinziplosigkeit hinein, um innerlich frei zu
bleiben. Dieses musst du mir auf mein Wort glauben. Die
Politik ist für mich todt; was ich thue, das thue ich als
Mensch, und als Mensch liebe ich dich^), und wenn du noch
zehnmal ärgere Tollheiten machst als das Männerlied.
Glöcksillig Neujohr! In alten Treuen
Dein Eminus, genannt Jakeff.
Wer Focke sieht, grüsse ihn! — meldet mir, wenn
Ihr könnt, die Adresse des Torstrick! Meine Adresse:
Wilhelmstrasse 41, parterre.
') B. Auerbachs „Schwarzwälder D." erschienen seit 1843 (in Mannheim).
*) 1846 war auch Adela geboren (Strodtm. II, 36).
*) Dies ist ehrlicher Händedruck, aber doch — einer Abschiedsstunde.
140 Rudolf Meyer-Kraemer.
40. Berlin, 17. April 1847.
Herzliebster Urmau!
Ich wollte Dir nicht eher schreiben als bis mein Maw-
bogen voll wäre, aber das dauert zu lang, und inzwischen
fällt mir schwer auf's Herz, dass Du von mir den Kunst-
artikel für den neuen Jahrgang') erwartest, den ich doch
unmöglich liefern kann. Schatz, es geht nicht! ich habe
nichts bereit liegen, wüsste auch gar kein Thema und habe
bis über die Ohren zu thun, indem der Stuttgarter Verleger
für Kugler's Kunstgesch. bis im Juni Mscpt. haben muss
und ich doch mit der Malerei höchstens Ende Mai fertig
werde. — Wenn wir nur nicht mit dem Druck der Malerei
schon so weit wären ! Kugler und ich hätten den Abschnitt
über die kölnische Schule gewiss gerne hergegeben*) — aber
der ist nun schon heiaus. Hätte ich nur statt dessen etwas
Historisches für Dich! Aber das Einzige, die Dir bekannte
Armagnakenrede'), phsst doch nicht hier herein! — Hätt'
ich Dir nur gleich geschrieben! aber ich dachte: Du kriegst
noch den Mawbogen fertig. Thorheit! —
Von Novellenschreiben ist natürlich auch keine Rede.
Nun zu Andorm. Ich beschwöre Dich, nimm K.'s^) Worte
nicht so krumm auf! Hättest Du ihn je ge.sehen, Dein Miss-
trauen hätte gar nicht aufkommen können. Er hat das so im
Allgemeinen hingeschrieben und gewiss nicht apeciell an
Dich gedacht. Ich weiss nicht, ob Du mir in solchen Dingen
Spürkraft zutraust, aber mein Zeugniss beruht denn doch auf
persönlicher Kenntniss, während Dein Urtheil sich dessen
nicht rühm(>n kann. Bezwinge Dich ein wenig, mir zu
glauben! Ich bin nicht derjenige, welcher zu vertuschon sucht.
Ül)er Wcit^roH keinen Hader. Der Herrgott hat Dich
so gemacht und mich anders und wenn wir uns vernünftig
anfftthren, so können gute Leute an uns Beiden Freude
haben, ohne mich indessen Dir gleichstellen zu wollen. „In
meine» Vat«*rH Hause sind viele Wohnungen." Lasst mich
nur machen, dass ich kein Genie bin, weiss ich. aber ich
*) „Vom Rhein" fBr 1848 wurde geplaiit.
>) Ebeo fdr da« Jabrt>uch.
•j «. H. Trog, S. 44.
*) Dorb wohl Kugler'«; fll>er MkanDOgieMerode DoKcnten"?
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i^£
habe doch allgemach mein eigenes Centrum in mir und
werde es noch dahin bringen. Andern was Rechtes sein
zu können.
Mein Schicksal ist so unbestimmt als möglich. Die
kühnen Reformpläne ästhetischer Dinge scheinen gänzlich
beseitigt, sei froh, dass für Dich nichts draus geworden ist.')
Sie haben hier keine Courage, sie möchten gern und wollen
doch nicht, sie hätten gern die ganze Welt am Schnürlein
und wissen doch nichts damit anzufangen. Ob man mir
speciell Wort halten wird, weiss ich nicht, sehe mich aber
tapfer nach Buchhändlern um, alß welche vor einen ledigen
Menschen heut zu Tage eine beßere Außkunffth sind denn
der preussische Staat. Berlin ist grenzenlos widerwärtig,
obwohl viele gute Leute da sind.
Nicht wahr, Du hättest gern ständische Nachrichten?
Ich weiss nichts. Zurückgezogener als ich kann man nicht
leben. Ausser dem Kugler'schen Hause und Geibel kennt
mich sozusagen Niemand. Die Thronrede ^) hat für mich
etwas tragisch Rührendes. Bei Euch zu Lande wird man
wohl eher spöttisch darauf zu sprechen sein. Mich geht die
ganze Sache nichts an, aber ich glaube, dass ein Geschicht-
schreiber in 100 Jahren (wenn dann die Welt noch auf ihren
Beinen steht) diese Sprache nicht unwürdig finden wird.
Ein grosser Irrthum geht durch, aber der Mensch, welcher
spricht, ist keine ordinäre Natur. Ob Ihr mir darin bei-
stimmt, ist mir ganz gleichgültig.') Es ist eine Sache des
unmittelbaren, historischen Gefühls.
Meldet mir, womöglich, wo sich Torstrick und Zefren
aufhalten. Dem erstem habe ich das bewusste Gedicht noch
immer nicht zugeschickt — es gefällt mir übrigens nicht
mehr recht. — Dein Urtheil, liebster Urmau, über das
„Kloster"' hatte ich so erwartet, kann Dich auch versichern,
dass ich das ganze Ding unfertig gelassen hätte, war' es
') s, Strodtm. II, S. 48.
') Jene berühmte, am 11.4.47 zur EröiTuuug des Vereinigten Landtages
gehaltene, die ein beschriebenes „Blatt" zurückwies, das „zwischen Gott im
Himmel und dieses Land sich als eine zweite Vorsehung eindränge".
•) Die bestimmte Form der Verwahrung ist um so beachtlicher, als auch
„Frau Direktrix" eingeschlossen scheint.
142
Rudolf Mever-Kraemer.
nicht zufällig auf einem Mawbogen angefangen gewesen.
Etwa 7 Strophen sind in Basel, die 2 folgenden in Venedig,
der Rest in Berlin geschrieben. — Vor der Hand ist jede
Production poetischer Gattung vor den Arbeiten scheu zu-
rückgewichen; ich will bis Anfangs Sept. mit dem ganzen
Rummel fertig sein. Dann habe ich Geld und Freiheit.
Lasst sehn was ich damit anfange.
Femer, wenn Du den Alchymisten wirklich in den
2. Jahrgang nehmen willst, so heisse ich nicht B.. sondern
Em in US, wie Ihr wohl wisset. Ich muss glauben, dass Dir
wirklich etwfiis an meinen Sachen liegt, und desshalb stehen
sie Dir zu Diensten. Es ist Alles pour le plaisir de Mon-
sieur; ich für meinen Theil würde nie damit herausrücken;
dergleichen führt zu nichts und ruinirt bei der lieben ge-
lehrten Clique dem armen Dichter nur den wissenschaft-
lichen Ruf, mit welchem ich mich allmälig werde behelfen
müssen. Es giebt aber nichts Einfältigeres unter der Sonne
als die Gelehrten dieser Nation. Der liebe Gott will auch
bisweilen seinen Jocas haben, und dann macht er Philologen
und Geschichtsforscher von einer gewissen Sorte, welche
sich über die ganze Welt erhaben dünken, wenn sie wissen-
schaftlich ermittelt haben, dass Kaiser Conrad II. am 7. Mai
1030 zu Goslar auf den Abtritt gegangen ist u. dgl. Welt-
interessen mehr. Es sitzt hier eine rechte Clique dieser Art
beisammen und gönnen sich vor Neid den Sonnenschein
nicht Die gräuliclisten Philister haben die Archäologie in
H&nden, sie können aber nichts machen, was niclit styllos
und jämmerlich herauskäme. Es ist in dieser deutschen
Stadierstabenwelt eine fia(nu)o7jo%'ia^) ohne Gleichen. Das
wissen diese und andere Leute nicht mehr, dass wahre Ge-
8chicht«cl)roibung ein Leben in jenem feinen, geistigen Flui-
dum verlangt, welches aas Monumenten aller andern Art,
aot Knnst und Poefie ebensogut dem Forscher entgogenwoht,
wie aas den eigentlichen Scriptoren.
Deine Frage wogen der Gesob. der Malerei ehre ic)i
durch offenet GeitAodniss: das Ding wird nidit O). >ii.l«rii
mtodetteot Ih, vielleicht 80 Bogen stark, sug.s uIkm nicht
witef.
*) Nicbiigkdukrtmerei, ScboluelkrluMln.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. j^^
Grüss herzlich die edle Directrix, empfiehl mich Fräulein
Heinrich'), grüss Focke bei Anlass und sei versichert der
alten Treue und Liebe
Deines
In Eile. Eminus.
41. Berlin, 4. Mai 1847.
Liebster Schatz, Seelenlappsal war Dein Brief. Ich ant-
worte jetzt, damit nicht über dem Ausfeilen des Alchymisten
wieder viel Zeit, d. h. 3 — 4 Tage verstreichen, denn so bald
soll er womöglich nachfolgen.
Vor Allem, Schatz, komm zuerst nach Berlin und geh
dann nach Dresden. Warum? Kugler und Geibel treten am
Tag vor Pfingsten eine 7 — 8 wöchentliche Fusswanderung
nach Süddeutschland an, um ihre abdomina wieder auf den
Strumpf zu bringen ; Du fändest sie also nicht mehr hier,
wenn Du erst nach Dresden gingest.
Ferner: o Du unschuldiger Urmau, der Du meinest, es
würde irgend einer, wenn auch der grössten, literarischen
oder dramatischen Notabilität ein freier Theaterbesuch be-
willigt! Glaubst Du etwa, Geibel hätte ihn? Gott bewahre.
Das hiesige Theater ist ein reines Finanzinstitut und lässt
sich auf Generosität nicht ein. Übrigens tröste Dich. Es
ist meist hundeschlecht; die Besten spielen rein als Vir-
tuosen, die andern als Affen. Ich bin seit 6 Monaten nicht
mehr drin gewesen, theils aus Sparsamkeit, theils aus Fleiss,
theils weil mir Abends auf meiner Kneipe oder bei Kugler
am wohlsten ist, theils weil ich das hiesige Judenpack niolit
um mich haben mag, wenn ich geniessen soll. Schon das
Auditorium verleidet mir den Theaterbesuch.
Schatz, was wollen wir einen heitern Lebtag führen
diese kurze Zeit über! Kugler und Geibel erwarten Dich
mit Freuden, Geibel hat Verlangen nach Dir. Man hofft,
sich über so vieles mit Dir auszusprechen zu beiderseitigem
Contentement. Kannst Du aber erst nach Abreise der Beiden
hier eintreffen, so soll's wieder auf eine andere Manier ge-
müthlich sein, kurz, es soll Dir gut gehen.
') s. Vorbem. z. Er. ii. (Laut briefl. Nachricht hat sie noch April 19001
7 8 jährig, iu Bonn gelebt).
11^ Rudolf Meyer-Kraem er.
Was phantasirst Du, lieber Mauz, als hätte ich gemeint,
Du wollest Dich über mich erheben ? Kein Mensch hat von
jeher Deine Superiorität williger anerkannt und verfochten
als ich! Und glaube doch ja nicht, dass ich für mich grosse
Erfolge erwarte. Wir armen Menschen des XIX. Jahrhunderts
(das gebildete, auch zersplitterte genannt) können uns ja so
wenig recht concentriren, so wenig vorausrechnen in Betreff
künftiger Thätigkeit! — Mensch, komm, mir schwirrt der
ganze Kopf von Beiseplänen und Bücherplänen. — Die
schönen Sachen, die Du mir über die Gesch. der Malerei
sagst, nehme ich, weil sie die ersten Laute der Anerkennung
sind, mit dankbahrem Gemühte ^) als gutes Omen an, fürchte
aber — nicht bösartige, sondern geringschätzige Recen-
sionen von E. F. u. a. m. Am Ende wird man freilich das
Bach nicht wohl entbehren können, so lange kein anderes
dieser Gattung da ist, und man wird es kaufen, was mehr
werth ist als alle günstigen Kritiken. Ich kann das wohl
sagen, weil es nur zum geringsten Theile mein Verdienst ist.
Als mein Verdienst nehme ich hauptsächlich nur die erste
Lieferung in Anspruch. Den Mosaiken und dem Verhältniss
der byzantinischen Kunst zur abendländischen habe ich zu-
erst einigermasseu auf die Beine geholfen, zum Theil durch
Dich angeregt. Schuaase hat bei den Mosaiken nach Ab-
bildungen geredet, Du uacii Erinnerungen; ich fühlte, dass
ich Euch hierin irgendwie überbieten müsste, und reiste in
Gottes Namen den Mosaiken nach. — Aber, o Gott! es hliobo
noch geDug zu thun übrig, und Du hast gerade die benei-
doDSwertheste Aufgabe vor Dir, da Du nicht dieser Galeeren-
arbutt der sog. Vollständigkeit nachzugehen brauchst. Pass
auf, IJrmaa! ich will Dir einen guten liath geben. Lass Dich
wenigHtons im XV. Jahrhundert nicht auf dieses verrückte
CharakterisireD der Schulen und der Malerei ein, wie wir
haben thun müssen, Hondern greife mit aller Frechheit die
gegenftind liebe Betrachtungsweise auf und schreibe ein
groties, allgemeines Kapitel über die nordische Malerei des
XV. Jahrhunderts, welchem Da dann einen kurzen AbriHS
der Maler and Schalen aaf drei Seiten höchsteuN min; i
folgnn lataen. Euer kleines Kölner Masenm wltrd<> ^< Iimi
'> sie.
Briefe Jakob Burckhardts äh Gottfried (uud Johauna) Kinkel. 145
hinlänglich ausreichen um das Bezeichnende im Ganzen
herauszukriegen. Bin ich halb verrückt geworden über der
alljährlichen grossen Wiedertaufe z. B. in der flandrischen
Schule, so brauchst Du es nicht auch zu werden. Stelle
Dir die Aufgabe so: Wie spricht sich der Geist des
XV. Jahrh. in der Malerei aus? — dann vereinfacht sich
Alles. Die Höllenarbeit, welche ich eben durchgemacht habe,
sollst Du nicht auch durchmachen. Du sollst nicht wie ich
Dich martern über der Anschauungslosigkeit in den Mit-
theilungen Passavant's,') über der unsinnigen, innerlich un-
wahren Begeisterung Hotho's! *) Geh nach Köln, meinetwegen
ein wenig nach Belgien oder auch nach Ffurt a/M. und sieh
Dich um, wenn Du die Dinge nicht mehr im Gedächtniss
hast, trinke dann auf dem Heimweg ein paar Flaschen Guten,
und dann setze Dich auf den Arsch und schreibe eine Ge-
samtcharakteristik. Hätt' ichs nur auch thun dürfen! Aber
von uns verlangt man ein Nachschlagewerk. Hundsföttische
Schmierer, die als Persönlichkeit gar kein Interesse, als
Ausdruck der Zeit aber ein sehr grosses haben, musste ich
in Gottes Namen mit aufnehmen, weil sie zufälliger Weise
ihren Namen auf Bildern haben.
Kind, Du verlangst den Kunstartikel für 1849')! Ich
sollte eigentlich nicht versprechen, weil — doch das bereden
wir mündlich. — Dass Du ästimirt bist nach Verdienst,
macht mir sonderliches Gaudium. Ich möchte gerne gewisse
Gesichter sehen bei diesem statu rerum.
Urmau, ich fürchte. Du gehst hier viel Deinen hohen
Connexionen nach und man wird nicht gerade viel um Dich
soin können. In's Museum geh' ich aber doch ein paar Mal
mit und nach dem Theater kneipen! In's Theater geh' ich
nicht mit; ich habe diesen Woltlüsten des Gänzlichen entsagt.
Urmau, mir fällt eben ein, ich könnte eigentlich den
Alchymisten wohl behalten bis Du kömmst. Geibel will
ihn mir einrenken helfen.
0 liebster Schatz, grüss Directix herzlich und komm
bald zu Deinem Salltimbanckk.
*) Sein „RafTael v. Urbino" erschien seit 1 839.
«) Gesch. d. deutschen u. niederläctd. Malerei (1840 — 43).
') In einem späteren Jahrgang „Vom Rhein".
10
14.6 Rudolf Meyer-Kraemer.
5. Mai.
Liebster, ich wohne allhier Wilhelmsstrasso No. 41 par-
terre, schräg gegenüber vom Palais des Prinzen Albrecht,
also ein gutes Ende vom Landhause,*) aber das macht gar
nichts. Wir setzen unser Stelldichein in die Mitte zwischen
beiden Gegenden.
42. Berlin, 20. Juli 47, Dienstag.
Lieber ürmau, ein scheussiicher Katarrh hält mich ge-
fangen, so dass ich zu allem Schreiben untüchtig bin.
Mitfolgend Gruppe's*) „Wanda", welche ich lange er-
wartet, aber erst gestern Abend erhalten habe. Der Stoff ist
sehr schön, das Machwerk gut, der Styl meines Erachtens
falsch gegriffen.
Sodann Liei V d. G. d. Mal. — Ich hoffte, jeden Tag
Lief. VI auch zu erhalten, aber sie trödeln länger als sonst.
— Ich bin nun mitten im Handb. d. K. G. — Jetzt sind
freilich ein paar thatenloso Tage.
Von Deiner Angelegenheit habe ich gar nichts verlauten
hören. Kugler ist zwar hier, aber nocii immer leidend und
arbeitet noch nicht
Den Alchymisten habe ich weiss Gott! nicht ttberarboi-
ten können. Mache damit was Du willst. Was Du aber
auch geben magst, verglas nicht, dass ich Eminus hoisse.
Mit meinem freien Willen würde ja kein Vors von mir ge-
druckt werden. Es ist Mittelgut genug vorhanden.
Beiliegendes erbauliche Locuspapier ist nur dazu bei-
gefügt, um dem Paket die postgorechte Schwere zu ertheilon.
Besorge also nicht, dass ich etwa einen wohlthätigen Ein-
druck auf Dein Inneres damit bezwecke.
GMfee Directrix herslich.
Dein von katarrhalischer Dummheit und einem niclit
herauswollenden Schnupfen gänzlich darniodorgohaltonor
Em in US.
*) OMMlal Ul wobi diu Sitcangihaii« de« hnntlUK*» "ok. Ahgeordiinleii-
luMM, MB DSolMffiplatz.
<) Otto Fr. Gr., d«r Dichter, UeberMtcer und l.it«rnlitrhi*toriker, «eil
1I44 lo B.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i^y
43. Berlin, den 23. Aug. 47.
Du wirst Dich wundern, liebster Urmau, dass ich Dir
die sechste Lieferung noch nicht geschickt habe, aber sie ist,
statt 10 Bogen, 15 Bogen stark und wird desshalb sous bände
nicht angenommen, sodass ich noch die siebente (ebenfalls
15 Bogen) abwarten und dann beide als Paket senden will;
die siebente ist die letzte und wird binnen 3 Wochen jeden-
falls versendungsfähig sein.
Sage, warum hast Du mir noch kein Lebenszeichen
gegeben? Ich weiss schon, es ist wegen der Bädeker'schen
Geschichte.') Lieber Schatz, hättest Du mir zur rechten
Zeit ein Wort darüber gegönnt, ich hätte vielleicht noch
Alles ins Gleiche gebracht; statt dessen hast Du Thorheiten
über Thorheiten begangen und Dich so verrannt, dass der
ganze Nachtheil auf Deiner Seite ist. Ich dachte Anfangs,
Du hättest eben einen andern Verleger gefunden, bis ich
den ganzen Zusammenhang erfuhr. Wärst Du vernünftig
gewesen, sie hätten Dir im April eine Schadloshaltung zahlen
müssen und gewiss gerne bezahlt, oder aber — Du hättest
sie von der Möglichkeit und Rentabilität eines zweiten Jahr-
ganges überzeugt. Statt dessen begingst Du den groben
und unverzeihlichen Schnitzer, sie ohne Antwort zu lassen
und in der ganzen Welt Mitarbeiter zu werben ! Glaube doch,
Kaufloute lassen sich auf solche Weise nicht überrumpeln!
— Und dann das Circular! Gruppe hat mir es gezeigt. Hast
Du wohl überlegt, dass die Empfänger grossentheils die er-
fahrensten, geriebensten Kerls in Sachen der Buchhändler-
contracte sind? dass Dir kein Einziger es glauben wird,
wenn Du die ganze Schuld auf die Bädekers schiebst? dass
ein solcher Ton die Verleger gegen Dich scheu machen muss?
Doch genug, Da liebst Vorstellungen dieser Art nicht, ich
weiss es wohl. Julius') hat an mich geschrieben, worauf
ich mich erbot, als Vermittler wegen einer Schadloshaltung
an Dich za dienen, obwohl sie nach den schweren Aus-
drücken Deines Circulars dazu gar nicht mehr anzuhalten
sind. Wenn sie Dich gar vor Gericht nehmen, so kannst
Du nichts machen.
>) Es handelt sich wohl (immer wieder) um dai Jahrbuch „Vom Rhein".
*} Bädeker.
fig Rudolf Meyer- Kracmcr.
Von Deinen Angelegenheiten hier verlautet nichts. —
E.^) ist bis 10. Sept. in Ferien. — Auch meine Sache rückt
nicht und ich fange an, zweifelhaft zu werden. Dem Warte-
geld gehe ich aus dem Wege; den 1. Oktober, wenn nichts
dazwischen kömmt, reise ich nach Rom. Es wird diossmal
keine Vergnügungspartie; Arbeit und Studium hängt ge-
nug daran.
(Per parenthesin: Kannst Du mir etwa die 10 Thlr.,
womöglich per Geldbrief, zurückgeben? Ich muss meine
Streitmacht diessmal sehr zusammenhalten. Geht's nicht,
nun in Gottes Namen.)
Wie lange ich im bessern Jenseits bleibe, weiss ich
nicht; vielleicht nur 3 Monate, vielleicht ein Jahr. Ich entsage
natürlich für diese Zeit dem Wartegeld und nütze mich
auf diese Weise nicht an den Arbeiten eines Untor-
unter-Commis ab, welche bei der jetzigen Lage der Dinge
wahrscheinlich zu gar nichts führen würden. Du ver-
stehst schon.
Nun sei nicht böse wegen des Obigen, grüsse Directrix
herzlich von mir und sei 1000 mal gegrüsst von Deinem
getreuen _, .
* E minus.
Ich wohne noch immer Wilhelmsstrasso 41, parterre.
Der reiche Gedanken- und Gofühlsaustausch der zwei
bedeutenden ziolbewussten Männer hatte hiermit den Schnitt-
punkt erreicht, wo ihre Lebonskreiso sich schieden. Burck-
hardt massto eben, seiner innersten Natur gemäss, Revolu-
tionäre — nicht verwerfen noch missachten, über meiden,
wie er denn auch z. B. in seiner Züricher 2joit auf die Be-
rührung mit der Grösse eines Gottfried Sem per und Richard
Wttguer standhaft (oder triebhaft) verzichtet hat. lieber diesen
elementareo Zag in seinem Wesen hat Treffendes, ja Ab-
schliessendes J. V. Widmann bemerkt im Bernor „Bund"
(Feuilleton v. 80. 4. 99).
Ho wird man aaob für jene seine „Aufzeichnung*' viel-
leicht das gerechte Vent&ndnis finden, welclio — volle vier-
') Eicbborn, der Minikter.
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel. i^q
zig Jahr später verfasst') — den symphonischen Klängen
des obigen Briefwechsels die Coda anschliesst: das ist nicht
Epilog, sondern Nekrolog einer frühen Liebe, keineswegs
in elegischen Molltönen gehalten.
Die ebendort eingeflochtene schroffe Absage an poetische
Versuche und Ansprüche seiner Jugendjahre (S. 732) sollte
nun freilich wohl Bedenken wecken, hier die oben (in der
Einleitung, Anm. 6) verheissene Uebersicht über Burck-
hardts Beiträge zu den Jahrgängen des „Maikäfer"
— soweit noch feststellbar — nachfolgen zu lassen. Indessen
mag uns gegen den Vorwurf der Impietät die Tatsache
schützen, dass, obwohl seine letztwillige Verfügung (s. oben
S. 729) nicht einmal ein biographisches Andenken an seine
Person erlauben wollte, dennoch sein dankbares Vaterland ein
solches als höchste Ehrenpflicht erachtet und geschaffen hat.
Auch darf wohl auf H.Trogs ,,biographische Skizze", als Ganzes
wie insbesondere auf S. 43, 61, 64—67 verwiesen werden.
Soweit es mir ermöglicht worden ist, jene Jahrgänge
durchzusehen,-) haben sich folgende egavoi feststellen lassen:
1841.
a) Zwölf Gedichte, betitelt:
Haiborstadt — Abendstern — Sie sprach — Festgedicht (zur
Krönung Ferdinands I., Königs von Lombardien und Venedig)
— Lied voui Flohen — Unterlivinien — Zwei Spiegelrätsel
') J. Ocri hat sie iu dem „Grenzboten" v. 30. 3. 99 (= 58. Jgg. No. 13,
S. 731) zur Abwehr veröfTeutlicht. Zu B.'s dortiger Bemerkung, K. habe sich
ihm 1866, nach seiner Rückkehr aus England, genähert, erfolglos bemüht,
„auf alle Weise das alte Verhältnis zu erneuern", stimmt die von K.'s Witwe
mir gemachte Mitteilung: ,,IC führte seit 1851 ein Briefbuch, in dem jeder
Eingang und Abgang vermerkt ist. Der Briefwechsel zwischen ihm und B.
verstummt von 1847 — 67; nicht einmal ein Wort des Trostes bei Johanna's
Tode (1858) findet sich". Und was ich selbst an Briefartigem, aus dem nächsten
Jahrzehnt stammend, etwa noch gesehen, waren nur unbedeutende, kurze Billets.
*; a. 1898, in der Wohnung der Frau Prof. Kinkel, in der kurzbemes-
senen Frist einiget Stunden. Die greise Dame wachte über diesem Schatze
mit begreiflicher Aengstlichkeit, seit ihr die zwei letzten Bände der M.-K.-
Bibliothek (die, Mitte 1840 beginnend, bis 1847 fortgeschritten war), , .entführt"
worden waren. Uebrigeus soll, wie ich später erfuhr, nach mir noch Prof.
Ludwig Geiger (der Ueberarbeitcr der „Kultur der Renaissance") gelegentlich
haben Einsicht nehmen dürfen; wieweit er sie hat verwerten können, ist mir
unbekannt. Zum Kopieren der einzelnen Beiträge reichte die Tnir gegönnte
Zeit leider nicht aus.
I^O Rudolf Meyer- Kracracr.
— Genua — Sie schläft — Reiselust — Biaska in Unter-
livinien — Pallast Doria.
b) In antiken Massen: Fiesole.
c) Romanzen : Die alte Anna — Die "Waldeskönigin —
Nach der Schlacht bei Austerlitz.
1842.
a) Acht Gedieh t«, betitelt:
Das sind die Glocken vom Dom — Eibstrom — Romanze
vom neuen Don Juan — Der See im "Walde — Vom vollen
Mau — Ostende — Ticino — Im Agnothal.
b) Stück: Von Jobsen und Huss.
c) Roman: Vom Candidaten Schnipselius.
1843.
a) Drei Gedichte:
Weissenfels, vor Müllners Hause (24. III.) — polemisiert
gegen dessen „Schuld".
An H. S. (Gotha, 28. III., auf der Terrasse des Schlosses) —
Schmerzerinnerung an eine „Liebe'* (vom 28. III. 41) in
Leipzig.
Vor dem Dom zu "Worms (3. IV.) — eine Vision (Chriem-
hild, Brunhild; Germania, Gallia; schliesslicher Sluvensieg!)
b) Varia: Einleitung zu einem projektierten M. K.-
Drama „Simsen" nebst Parabase (Bonn, 25. IV.)
Strassburger Gedicht vom Loch (18. IL) — Spott über Eich-
horn und Bimsen.
Historische Notiz über den Lallekünig — die Blochiiinsko
über dem heimischen Rheiutor, 1830 abgebrochen.
Cand. Scbnipselii Leben (Fortsetsung).
Oonfetsio Angustana (Gedicht; Roise-Tagebucbblatt von
1889!)
Napoleons Tiioh (Gedieht).
KuDststudioD im Loa vre (Auf. Aug. 1848, ans Parit: Ober
Marillo. Der Schluat eifert gegen Overbeckt matte Gbrist-
iichkoit, „Einfalt und (^ottteligkeif^ in malerischen Dingen.
Dazu eine Vignette — eigenhändige Zeichnung: „lo grand
uecalior du LottTre**).
Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Jobanna) Kinkel. icj
An Torstrick (Gedicht; Paris, Aug. 43: „Auch uns erschien
im Traum der Gott der Zeit* etc.)
Der Saltimbanc, Stück (HaUmke und Richter).
Femme amante, Stück.
1844.
Sechs Gedichte:
„Heut' ists ein Jahr" (fUr den 22. IIL: Trennung von
den Freunden und der „Jugend^, Komitatstag von Berlin).
„Weiss nicht, ists 'ne Spanierin" (Paris).
Ronen (26. Aug. 43, spät.: „Ruhig fliesst die grüne Seine").
Paris, auf dem Are de l'Etoile {jiimcoxe BaßvXojv i) jueydXi],
Apocal ; „Das ist der Buhlerin verwegne Abendstunde". l.II.
(Basel): „Warum wohl spricht er stets von äussren
Dingen?-^
(Basel): „Tief liegt der Schifferkahn im Meeresgrunde".
1845 (vaeat).
1846.
(„Gedichte aus Italien, 1846 von B. eingesandt": mit
dieser Beischrift von Kinkels Hand fanden sich, in J. 1843
eingelegt, noch folgende sechs, nur geographisch betitelt)^
Rom, 2. April 46 — St. Gotthard — Genua — Der
Krüppel von Livorno — Monte Argentaro — Auf dem
Aventin (11. V. 46).
Benno Schwabe & Co., Verlag, Basel
In unserm Verlage sind ferner erschienen:
Jacob Burckhardt, Vorträge (1844—1887), im Auftrage der
Historischen und Antiquarischen Gesellschaft zu Basel
herausgegeben von Prof. Dr. Emil Dürr. 3. Auflage.
Gr. 8°, XVI u. 484 Seiten. In Ganzleinenband Fr. 24.—,
in Halbpergament Fr. 28. — .
Unverkürzte wohlfeile Ausgabe. Gr. 8°, XVI und 338
Seiten. In Ganzleinenband Fr. 10.—.
Erinnerungen an Rubens. Von Jacob Burckhardt. Mit einer
kurzen Autobiographie, einem Porträt und Faksimile.
XII und 296 Seiten. 3. Auflage. Gebunden Fr. 8.40.
Briefe Jacob Burcktiardts an seinen Schüler Albert Brenner.
Gr. 8", 24 Seiten. 2. Auflage. Fr. 1.50.
E Hämpfeli Lieder. Baseldeutsche Gedichte von Jacob
Burckhardt. 26 Seiten. Kart. Fr. 2.—.
Ferien. Eine Herbstgabe. Gedichte von Jacob Burckhardt.
38 Seiten. Kart. Fr. 2.—.
Jacob Burckhardt. Persönlichkeit und Jugendjahre. Von
Otto Markwart. Mit 19 Lichtdrucktafeln. Gr. 8«, XII
und 402 Seiten. In Ganzleinenband Fr. 20.—, in Halb-
leder Fr. 26.—.
(Die Vollendung der Jacob Burckhardt-Biographie
wurde Herrn Prof. Dr. Emil Dürr in Basel übertragen.)
In Vorbereitung befinden sich:
Jacob Burckhardts Briefe an die Brfider Schauenburg.
Josef Oswald, Drei unbekannte Aufsätze Jacob Burckhardts
aus Paris und Mailand.
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