Skip to main content

Full text of "Briefe Jakob Burckhardts an Gottfried (und Johanna) Kinkel;"

See other formats


;^ 


'59^^5bV:  T5 


Briefe 
Jakob  Burckhardts 

an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel 


Herausgegeben  von 

Rudolf  Meyer-Kraemer 


<5^^' 


(    , , 


'^i 


Benno  Schwabe  &  Co.,  Verlag  in  Basel 
1921 


Das  vorliegende  Buch  wurde  als  Separatabdruck 
der  „Basler  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Altertums- 
kunde, XIX.  Band,  2.  Heft"  gedruckt.  In  der  Zeit- 
schrift lautet  die  Paginierung  S.  195—345,  im  vor- 
liegenden Buche  resp.  Separatabdruck  S.  1-   151. 


Druck  von  Oasser  Si  Co.,  Basel 


Errata. 

Seite     2,  Zeile  3  von  unten  lies  „schrankenlos"  statt  „Schrecken- 
los". 
„        5,  Zeile  14  von  oben  lies  „weiss"  statt  „weisst". 

6,  Zeile  7  von  unten  lies  „Küdinghoven"  statt  „Rüding- 
hoven". 
„      31,  Zeile  16  von  oben  lies  „ein"  statt  „einen". 
„    107,  Zeile  11    von  oben   lies   „Gailhabaud"   statt  „Guil- 

habaud". 
„    108,  Anmerkung  3)  unten  lies  „Aus  Eichendorff,  Der  wan- 
dernde Student",  statt  „Vielleicht  ein  Selbstzitat". 
Die  Strophe  aus  Eichendorff,  lautet: 
Frei  vom  Mammon  will  ich  schreiten 
Auf  dem  Feld  der  Wissenschaft, 
Sinne  ernst  und  nehm  zu  Zeiten 
Einen  Mund  voll  Rebensaft. 


Briefe  Jakob  Burckhardts 
an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel. 

Herausgegeben  von  Rudolf  Meyer-Kraemer, 


Nach  fünf  Basler  Semestern,  der  Theologie  und  dem 
Geschichtsstudium  gewidmet,  hatte  J.Burckhardt  (Herbst  1839) 
die  Universität  Berlin  bezogen,  um  hier  (bis  Ostern  1841) 
vor  allem  bei  Leop.  Ranke  und  dem  Kuosthistoriker  Franz. 
Kugler  weiter  zu  lernen ;  was  ihm  diese  beiden  schon  damals 
gaben  und  wurden,  hat  H.  Trogs  biographische  Skizze  kurz 
und  gut  dargestellt  (S.  17 — 21).  War  so  Burckhardts  früh- 
reifer Kunstverstand  -rasch  und  mächtig  weiterentwickelt 
worden,  so  schenkte  ihm  nun  freundliche  Fügung  auch  noch 
die  starke  poetische  und  musikalische  Anregung,  nach  der 
sein  Inneres  doch  auch  —  mindestens  uubewusst  —  sich 
kräftig  sehnte:  ein  Sommerhalbjahr  in  Bonn,  die  nieder- 
rheinische Luft  erst  weckte  uod  nährte  reichere  und  tiefere 
Kräfte  in  seiner  Seele.  Welcher  Anlass  ihn  dem  anregendsten 
und  beliebtesten  der  jüngeren  dortigen  Dozenten,  dem  drei 
Jahre  älteren  Theologen  Gottfried  Kinkel,  zuführte,  steht 
nicht  fest;  vernmtlich  waren  es  parallele  Studiengänge  auf 
dem  Gebiete  altchristlicher  Kunst.  Genug,  bald  war  Burck- 
hardt  wie  so  mancher  andere  im  Banne  dieser  frisch- 
sprudelnden,  begnadeten  Dichternatur  und  sah  sich  endlich 
sogar  in  den  engeren  Kreis  der  auserwählten  Günstlinge 
aufgenommen,  den  sogenannten  Maikäferbund.  Dieser,  seit 
Mitte  1840  um  Kinkel  und  seine  Freundin  Johanna  Mockel- 
Matliieux  geschart,  fand  sich  wöchentlich  im  Hause  Mockel 
zusammen;  als  ^ Direktrix •*  präsidierte  Johanna,  als  Minister 
assistierte  Kinkel:  unter  seiner  Redaktion  „erschien"  die 
Wochennuramer  des  Bundesblattes  „Der  Maikäfer,  eine  Zeit- 
schrift für  Nicht-Philister".  Wie  hier  schwärmende  Fröh- 
lichkeit und  die  Gunst  der  heitern  Stunde  einen  Karneval 
von  Geietesfreuden  zeitigte,  vom  leichtgewogenen  Witz  bis 
zu   edelster  Poetengabe,    ist   dem    empfänglichen  Schweizer 

1 


2  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

neu,  entzückend  und  fruchtbar  gewesen.  Den  festUclien  Höhe- 
punkt bildete  der  jährliche  Stiftungstag  (29.  .Juni)  mit 
seinem  Wettbewerb  dichterischer  Werke,  dem  „Konkurs*^; 
über  seine  Feier  hören  wir  eine  Schilderung  Johannas,  aus 
späterer  Zeit  der  Erinnerung  gewidmet:  ^Im  Schlosse 
Clemensruhe  bei  Bonn,  wo  wir  während  unserer  ersten  Ehe- 
jahre wohnten  (1843 — 45),  wurden  diesem  Feste  zu  Ehren 
zwei  Zimmer  reich  mit  Blumen  geschmückt,  deren  eines 
die  freie  Aussicht  über  den  Schlossgarten  nach  dem  fernen 
Siebengebirge  gewährte.  Der  ätherblaue  Hintergrund  hob 
sich  reizvoll  gegen  die  dunkelgrünen  Laubgewinde  ab,  die 
in  Form  eines  gotischen  Bogens  die  Türöffnung  bekleideten. 
Im  Halbkreis  sassen  Männer  und  Frauen,  die  sinnenden 
Häupter  mit  Kränzen  von  Epheu  und  Rosen  geschmückt, 
und  bildeten  das  Gericht  über  die  jüngsten  Werke  des 
heitern  Bundes,  die  hier  zum  erstenmal-  zum  Vortrag  kommen 
soUteD.  Dies  Fest  war  von  einem  wahrhaft  griechischen 
Hauche  verklärt  .  .  .  Hier  sass  Carl  Simrock,  der  Mann, 
der  mit  nie  ermüdender  Kraft  den  Hort  uralter  Schätze 
deutschen  Heldensanges  noch  einmal  aus  den  Fluten  deutscher 
Vergangenheit  förderte.  Vor  seinem  ernsten  Auge,  vor  den 
schweigsamen  Lippen  zitterte  jeder  junge  Dichter.  Und 
spät  abends,  wenn  der  Wettstreit  beendet  war,  wie  ver- 
wandelten sich  die  strengen  Züge  unter  dem  Kranz  dunkel- 
rot«r  Rosen,  wenn  der  Becher  kreiste  und  die  Scherze 
sprühten!  So  muss  Anakreon  um  sich  geschaut  haben,  alles 
zur  wonnigsten  Heiterkeit  mit  sich  fortreissend.  —  Hier 
entztlckte  uns  Emanuel  Geibel  durch  sein  wundervolles 
Talent  des  Improvisierons,  das  an  Glanz  der  Bilder,  an 
Schönheit  der  Verse  kaum  seinen  gefeilteren  Liedern  etwas 
nachgab.  —  Wie  ein  Meteor  schritt  in  düsterer  Glut  W. 
Ernst  Ackermann  •)  mit  seinem  lavasprühendon  Geist  durch 
linsre  Reih<)n.  Zu  schreckenlos,  um  ein  Gebild  reiner  Schön- 
heit zu  schaffen,  zu  krankhaft  empfindlich,  um  das  Un- 
gebenra  au  erreichen,   nach  dem  sein   Wesen   hindrängt«, 

^  Kteiffilwrgtr,  1811—46,  denMit  „Foetiicber  NacblM«"  1848  erkchieu;* 
4mi  obigflB  Bild«  «oUprkbl  guux  die  .Schilderung,  die  Burcicbardi  »elbit  von 
Ob«  ab  dsMi  HO«oii*«M  anliMlicb  Mioe«  Tode«  gibt,  ebenio  W.  Beytcblag: 
■.  darlbtr  raleo  to  Brief  37  (aue  Venedig,  vom  15.  Aaguit  1S46). 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  i 

tobte  er  gleichsam  dem  geistigen  Selbstmord  entgegen. 
Bei  dem  letzten  Stiftungsfeste,  das  wir  feierten  (1847),  stand 
schon  auf  der  Stätte,  wo  er  vor  einem  Jahr  noch  in  wildester 
Jiigendentzückung  geschwärmt,  ein  unberührter  Pokal,  seinen 
Manen  geweiht.  —  Neben  ihm  kontrastierte  der  kluge,  das 
Mass  nie  vergessende  Willibald  Beyschlag'),  dessen  reizende 
Märchen  wie  ein  Strauss  blauer  Glockenblumen  mit  Perlen 
frischen  Morgentaus  uns  anlächelten,  dennoch  überwiegend 
eine  kritische  Natur.  Auch  Alexander  Kaufmann^)  gehörte 
unserm  Hunde  an,  er,  dessen  reiche  Phantasie  Lieder  wie 
ein  Blütenregen  im  Lenz  ergoss  .  .  .'*  Den  hier  erwähnten 
bekannten  Namen  seien  noch  zwei  von  gutem  Klange  an- 
gefügt: Karl  Arnold  Schlönbach^)  und  Karl  Fresenius;  dazu 
kommen,  als  in  den  nachfolgenden  Briefen  des  öfteren 
erwähnt,  die  Mitarbeiter:  A.  Wolters  (Theologe),  Albr.  Jul. 
Schöler,  Wilh.  Seibt,  W.  Junkmann  und  der  jugendliche 
Andreas  Simons*),  der,  obschon  noch  Gymnasiast,  als  lang- 
jähriger Pflegesohn  der  Mockelschen  Familie  dennoch  der 
Aufnahme  für  würdig  befunden  war.  Als  Ehrenmitglieder 
endlich  galten  Nikolaus  Becker,  der  Dichter  des  Bheinlieds, 
und  Woltgang  Müller  von  Königswinter.  In  solcher  Gesell- 
schaft war  es,  wo  Burckhardt  jene  erste  Wiederkehr  des 
Gründungsdatums  miterlebte,  jenen  29.  Juni  1841  und  seine 
Konkurrenz  über  den  hessischen  Landgrafen  Otto  und  seine 
klevischen  Schicksale,  aus  der  Kinkel  mit  seinem  meister- 
lichen Epos  „Otto  der  Schütz"  als  umjubelter  Sieger  hervorging 


')  Ueber  ihn  —  den  später  so  namhaften  Hallenser  Theologieprofessor, 
Führer  der  sog.  „Mittelpartei"  (1823 — 1900),  der  u.a.  auch  „Erinnerungen  an 
Albrecht  Wolters"  hat  erscheinen  lassen  (Halle  1880)  —  und  sein  auch  für 
nnsere  Zwecke  wertvolles  Buch  „Aus  meinem  Leben"  (Halle  1896)  ist  schon 
von  Trog  (S.  21  und  bes.  38 — 42)  gesprochen  worden.  Hier  wird  weiter 
nnten,  in  und  zu  Brief  12,  von  ihm  (als  „Balder")  eingehend  die  Rede  sein. 

*)  Der  Bonner  Lyriker  (1817—93),  Gatte  Mathildens. 

■)  Der  westrälitche  Lyriker  und  Epiker  (1807—66). 

*)  Ihm  widmete  Burckhardt  besondere,  in  diesen  Briefen  oft  bezeugte 
gleichsam  brüderliche  Teilnahme.  Aus  einem  von  Simons  au  mich  gerichteten 
Schreiben  entnehme  ich,  dass  er  später,  als  praktischer  Architekt,  in  Berlin 
die  Michaelskirche,  in  Braunschweig  die  Bank  gebaut  hat,  seit  1861  (als  Prof. 
der  Baukunst  am  Städelschen  Institut)  zu  Frankfurt  a/M.,  seit  1869  au  der 
Techn.  Hochschule  zu  Darmstadt  bis  1895  wirkte.  Dort  hat  er  sein  Lebea 
beschlossen. 


A  Rudolf  Meyei-Kraemer. 

Mit  schwerem  Herzen  trennte  sich  der  neugewonnene 
Genosse  zu  Michaelis  1841,  um  noch  einige  Studiensemester 
in  Berlin  zu  verbringen.  Eifrig  hatte  er  zu  dem  Jahrgang 
des  ^Maikäfer''  sein  Scherflein  —  16  Nummern  Lyrik  — 
beigesteuert;  er  blieb  korrespondierendes  Mitglied.')  Wie 
hell  und  voll  aber  alles  Genossene  in  seinem  dankbaren 
Herzen  wiederklang,  das  eben  zeigen  uns  seine  Briefe. 

Ihre  stattliche  Reihe  bietet  als  erste  Gruppe  deren  zehn, 
die  Berliner  Zeit  umfassend  (Dezember  1841  bis  März  43). 

Vorausbemerkt  seien  zum  ungestörten  Verständnis 
folgende  Einzelheiten:  Eingeklammert  sind  solche  Worte, 
die  sinngemäss  ergänzt  werden  mussten,  nicht  etwa  wegen 
Unleserlichkeit  —  denn  all  diese  raschen  Ergüsse  sind 
äusserst  deutlich  und  zierlich  geschrieben  und  säuberlich 
mit  der  wohlbekannten  kleinen  Cäsargemme  petschiert  — , 
sondern  wegen  äusserer  Beschädigungen.  —  An  literarischen 
Erstlingsarbeiten,  die  dieser  (zweiten)  Berliner  Zeit  entweder 
schon  Vorauslagen  oder  aber  in  ihr  den  Abschluss  fanden, 
nennt  Trog  (S.  11  ff.)  „Bemerkungen  über  schweizerische 
Kathedralen'^,  „Ueber  die  vorgothischen  Kirchen  am  Nieder- 
rhein^,  „Beschreibung  der  Münsterkirche  ...  in  Basel"; 
über  Schickfiale  seiner  Schrift  „Conrad  von  Hochstaden, 
Erzbischof  von  Köln  und  Gründer  des  Kölner  Doms"  (S.25ff.) 
unterrichten  uns  schrittweise  eben  die  Briefe.  Eine  Frucht 
der  ersten  grösseren  Stadienreise  ausserhalb  Deutschlands, 
nach  Belgien  im  Herbst  1841,  bildete  sein  bald  darauf  er- 
schienenes Büchlein  „Die  Kunstwerke  der  belgischen  Städte" 
(Trog,  S.  29  ff.)  —  Drei  damalige  Freunde,  Focke,  Wurm 
und  Torstrick,  auch  weiterhin  nocli  von  Burckhardt  er- 
wähnt, sind  für  mich  leider  blosse  Namen  geblieben.  — 
Bei  Bettina  v.  Arnim,  der  Ewigjungen,  hatte  Johanna  als 
hochgeBchfttste  Pianistin  und  Lehrerin  während  ihres  Ber- 
liner AnfenthalU  verkehrt.  —  Ludwig  Köiiler  (1819—62) 
hatte  ein  Epos  „Ahasver"  soeben  1841  in  .leiia  erscheinen 
laaten. 

*)  E»  wird  «rUnlH  und  doch  wohl  nicht  tiuerwüokcht  »ein,  w«nn  am 
Scblnue  ao»rer  VeröfTenllirhung,  aU  Korollar,  in  kiirxer  lJel>eniicht  ver* 
MicbiMt  wird,  wa«  alle«  in  den  M-K-JabrKüogen  (1841—44:  die  foliscnilcit 
entballCD  nicht«  mthr  iron  Burckhardt)  aU  Min  KiienKnt  auftufMKlen  wni. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^ 

1.  Berlin,  30.  Dez.   1841. 

Lieber  Freund! 

So  würde  ich  Sie  nennen  auch  ohne  Ihre  Erlaubnis,  denn 
Sie  haben  das  beste  Stück  meines  Lebens  erhöht  und  ver- 
schönt und  das  werde  ich  Ihnen  nie  vergessen.  Ich  staune 
und  frage  mich:  "Wie  in  aller  Welt  ist  es  denn  Dir  leicht- 
sinnigen unbeständigen  Menschenkinde  zu  Theil  geworden 
an  jenem  lichten,  duftigen  Leben  Dich  zu  erfrischen,  die 
Güte  einer  hohen,  mir  unvergosslichen  Frau  und  die  Freund- 
schaft dreier')  jugendlicher  Gemüther  zu  geniessen,  mit 
welchen  ich  kein  ordinäres  Wort  gewechselt  —  ein  Glück, 
das  mir  zum  ersten  Mal,  vielleicht  auch  zum  letzten  Male 
zu  Theil  wurde. 

Ich  weisst  jetzt  Alles,  wie  es  gekommen  ist,  diess  und 
anderes  Glück;  ich  erkenne  die  Mutterarme  unseres  grossen, 
gemeinsamen  deutschen  Vaterlandes,  das  ich  Anfangs  ver- 
spottete und  zurückstiess,  wie  fast  alle  meine  schweizerischen 
Landsleute  zu  thun  pflegen.  Deutschland  lässt  sie  auch 
meist  wieder  laufen,  ohne  ihnen  von  seiner  Eigenthümlich- 
keit  und  seiner  Erhabenheit  etwas  initgetheilt  zu  haben;  auf 
mich  hat  es  seine  Güter  ausgeschüttet  und  mich  an  sein 
warmes  Mutterherz  gezogen.  Und  daran  will  ich  mein  Leben 
setzen,   den  Schweizern   zu  zeigen,  dass  sie  Deutsche  sind. 

Bei  Gott,  es  ist  nicht  dieser  und  nicht  jener  Genuss, 
der  mich  an  Deutschland  fesselt,  nicht  diese  und  jene  schöne 
Gegend,  nein  es  ist  die  frohlockende  Gewissheit,  dass  auch 
ich  zu  dem  Stajnme  gehöre,  in  dessen  Hände  die  Vorsehung 
die  goldenste,  reichste  Zukunft,  das  Geschick  und  die  Cultur 
einer  Welt  gelegt  hat.  Vor  diesem  Gedanken  schwindet 
mir  alles,  auch  meine  arme  Poesie,  die  diesen  göttlichen 
Weltgeheimnissen  folgen  möchte,  wenn  sie  nur  könnte. 
Hinter  einem  Schleier  von  Waldesgrün  und  rosigen  AVölkchen 
sitzt  das  ewig  jugendliche,  göttlich  schöne  Weib  Germania 
und  (harrt)  der  kommenden  Geschlechter;  sie  singt  alte 
und  (neue,  gewaltige)  Lieder,  Und  was  von  ihren  Tönen 
und  von  (dem  Sausen  ihres)  diamantnen  Webstuhls  zu  uns 
herüberdringt,  das  (möchte  man  wohl)  in  die  Geschichte 
hinein  verarbeiten,   aber  die  (Sprache  ist  noch)  nicht  dafür 

')  Andreas  Simons  ist  miteingeschlossen. 


5  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

erfunden,  —  Doch  ist  die  deutsche  (Geschichte  ein)  grosses 
Ding,  kann  sie  gleich  vor  der  Hand  nur  (gestammelt  werden). 

Nur  wer  selbst  daran  gestümpert  hat,  erhält  einen 
Begriff  von  dem  grossen  und  himmlischen  Volksgeist,  der 
durch  gute  und  schlechte  Jahrhunderte,  durch  blühende 
Grärten  und  durch  wilde  Einöden  wandelt,  jugendlich,  un- 
vertilgbar,  eine  Ewigkeit  und  die  Gewähr  einer  Zukunft  im 
Busen.  Es  ist  selbst  mir  ein  herrliches,  wenn  auch  ge- 
heimnisvolles Schauspiel  gewesen,  als  ich  bei  meiner,  jetzt 
beinah  vollendeten  Arbeit  über  den  Erzbischof  Conrad  inne 
wurde,  wie  die  Geschichte  Deutschlands  so  schön  und 
deutlich  in  die  Gegenwart  mündet. 

Freilich  das  sind  lauter  Dinge,  die  Sie  selbst  schon 
schöner  und  klarer  empfunden  haben.  Ich  spreche  auch 
nicht  davon  als  von  etwas  neuem,  sondern  als  von  etwas, 
das  Sie  in  mir  haben  hervorrufen  helfen.  Ihnen  verdanke 
ich  es,  dass  es  mir  als  ein  Majestätsverbrechen  erscheint 
an  Deutschland  zu  verzweifeln,  wie  es  jetzt  hie  und  da 
Mode  ist.  Wie  gerne  möchte  ich  meine  Poesie  auf  diese 
Bahnen  leiten  aber  ich  bin  zu  zerstreut  und  zu  sehr  im 
Sammeln  begriffen,  als  dass  ich  ans  Spenden  denken  könnte. 
£^  werden  schon  noch  die  Zeiten  kommen,  wo  mir  diese 
reichen  Jahre  in  Deutschland  als  Mittelpunkt  meiner  Sehn- 
sucht, als  Capitol  aller  schönen  Erinnerungen  vorkommen 
werden;  dann  will  ich  es  Allen  sagen,  was  diese  herrliche 
Zeit  mir  geworden  ist. 

Und  so  habe  ich  auch  jetzt  au  eine  poetische  Bear- 
beitung der  Albertussagen')  nicht  denken  können.  Wenn 
ich  sein  Bild  mir  vor  die  Seele  rief,  so  schloss  sich  alles 
Schöne  und  Grosse  au,  was  mir  Köllri  geboten  hat;  von  da 
irrte  ich  dann  weiter  Uheinaufwärta,  Hheinabwärts,  über 
Bingen  und  S.  Qoar  und  RUdinghoven  und  Bonn  und  die 
•tiilen  Buchten,  bii  ich  in  Berlin  wieder  erwachte,  mit 
dem  ganz  bectimtnten  Gefühl,  dasi  ich  vor  d(M-  liand  kein 
Rheintänger  werden  kann,  weil  ich  ein  (Werk  lei)ston  müsste, 
weK'hoN  Allel  enthielte,  Albertus  ([joroley?  und)  Hatto, 
Hcbieferfelsen  und  SoDnenuDtergaug,  den  (....)  und  den 
Gottenberg.     Ich   komme   mir    vor  wie  ein  (Mensch  von) 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  KinkeL  -j 

geizigem  Geuiüthe,  welcher  eine  grosse  Summe  Geldes 
ibesitzt)  und  dieselbe,  weil  es  eine  lunde  Zahl  ist,  nicht 
(stückweise)  vertrödeln,  sondern  nur  im  ganzen  ausgeben 
(möchte  und  der)  drüberhin  alt  und  grau  werden  kann,  ehe 
ihm  eine  Gelegenheit  zusagt.  Ein  Liedchen  habe  ich  hier 
beigelegt  welches  sich  Andreas  von  diesem  Briefe  ab- 
schneiden darf,')  damit  der  gute  Junge  wenigstens  ein 
geringes  Andenken  von  mir  hat;  ich  möchte  ihm  gerne 
mehr  und  besseres  schicken. 

Wenn  ich  noch  recht  lange  hier  bleiben  könnte,  so 
würde  ich  hoffen,  ein  Ganzes  zu  schaffen  —  in  welcher 
Form,  weiss  Gott.  Berlin  wirkt  poetisch  durch  den  Gegen- 
satz. Aber  leider  muss  ich  vielleicht  schon  Ostern  nach 
der  Schweiz,  jedenfalls  Michaelis.  Ich  reise  dann  noch 
einmal  über  Bonn. 

Focke  hat  gestern  das  Doktorexamen  glücklich  über- 
standen und  wird  Mitte  Januar  promovieren.  Er  lässt  sich 
Ihnen  und  Frau  Directrix  bestens  empfehlen.  —  Ich  meines- 
theils  grüsse  den  ganzen  Maikäfer  jeden  Tag  im  Geiste; 
über  meinem  Lager  hängen  noch  zwei  Epheukränze;  den 
einen  haben  Sie,  den  andern  Fresenius  gewunden.  —  Fresen 
hat  mir  geschrieben,  aber  nur  ein  kleines  Zettelchen,  in 
zwei  voluminöse  Briefe  von  Wurm  und  Torstrick  eingehüllt, 
welche  halb  Italien  durchstrichen  haben.  —  Frau  Bettina 
ist  noch  nicht  von  München  angekommen,  wird  aber  er- 
wartet; sobald  ich  dort  gewesen  bin,  will  ich  unsrer  verehrten 
Frau  Directrix  Rechenschaft  darüber  abstatten. 

Verzeihen  Sie  diesen  zerstreuten,  zwischen  Besuchen 
und  Arbeiten  niedergeschriebenen  Brief,  der  nichts  neues 
für  Sie  enthält.  Ich  hätte  eine  Zeit  ruhiger  Sammlung  ab- 
warten sollen,  aber  so  ist  das  Menschenkind.  Hätte  ich 
Ihnen  etwas  Rechts  zu  senden,  so  würde  auch  der  Brief 
freier  und  zuversichtlicher  ausgefallen  sein. 

Es  ist  Neujahrs woche;  ich  bin  bei  den  Burschenschaftern 
in  Leipzig  gewesen  den  Montag  über,  und  jetzt  gibt  es 
lauter  fröhliche  Abende  hier.  Ein  Jenensor  Poet  Ludwig 
Köhler,  Verfasser  eines  neuen  Ahasver,  kneipt  mit  uns  und 
heisst  vulgo   Mohren könig.     Was  in   der  Zukunft  aus   mir 

')  Dementsprechend   fehlt  es. 


8  R  u  d  o  1  f  M  e  y  e  r  -  K  r  ;i  c  ni  e  r. 

werden  soll,  weiss  ich  nicht,  aber  die  Gegenwart  ist  schön, 
und  das  verflossene  Jahr  war  schön  von  Anfang  bis  zu 
Ende.  Ich  fasse  Zutrauen  zum  Schicksal;  möge  es  auch 
Ihnen  günstig  und  freundlich  sein.  Unter  welchen  Auspizien 
werden  wir  uns  wohl  wiedersehen? 

Bis  daliin  ein  feuriges  Lebewohl  an  Sie,  lieber  Freund, 
und  meine  unausgesetzte  Huldigung  an  Frau  Directrix. 
Andreas  soll  doch  auch  etwas  von  sich  hören  lassen;  ich 
weiss,  er  hat  mich  gern.     Ihr  getreuer 

Burckhardt  (ü.  d,  Linden  72  im  zweiten  Hof). 

Burckliardts  selbstgewisse,  zielsichere  Art  sieht  schon 
jetzt  ziemlich  klar  das  Bild  ,.des,  was  er  werden  soll^.  Noch 
arbeitete  er  unter  Rankes  Auspizien,  wurde  aber  doch  schon 
ein  Eigener;  an  Kugler  schloss  er  sich  immer  inniger  an. 
Bei  .Jakob  Grimm  hörte  er  über  Tacitus'  Germania,  bei 
Stahl  über  Staatsrecht.  —  Die  Brüder  Schauenburg  (Eduard 
später  Gymnasialdirektor  in  Crefeld,  Hermann  Mediziner) 
sind  uns  jetzt  durch  den  neuerdings  veröffentlichten  Brief- 
wechsel Burckhardts  sowie  eine  Abhandlung  von  Heinr. 
Meisner  lebendig  nahegerückt  (Heft  339  der  Yircbowschen 
Sammlung  gemeinverständlicher  wissenschaftlicher  Vorträge, 
1900,  Hamburg);  Jos.  Joest-en  „Literar.  lieben  am  Rhein ** 
(Leipzig  1899)  liabe  ich  nicht  einsehen  können. 

^'  Berlin,  21.  Mart  42. 

Dem  Urmaikäfer. 

Lieber  Freund! 
Seit  gestern  meldet  sich  von  ferne  etwas,  das  wie 
Frühling  aussieht,  und  so  fasse  ich  denn  auch  Courage, 
Ihnen  endlich  zu  antworten.  Freilich,  orsählen  kann  ich 
nichtH,  denn  in  Berlin  passiert  bekanntlich  nichts.  Ks  giebt 
kein  elenderes  (ileschäft  unter  der  Sonne,  als  von  hier  aus 
Oorrospondeuzartikel  zu  schreiben.  —  Vor  allem,  ehe  ich 
6t  vergesse,  tnass  ich  meine  Abreis««  von  hier  melden;  die- 
lelbe  wird  oirca  10.  Jnny  1848  stattfinden,  ho  dass  es  leicht 
möglich  wäre,  den  29.  Juny  bei  Ihnen  zuzubringen.  Ich 
werde  mit  einem  achttägigen  Aufenthalt  in  Dresden  beginnen 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  g 

Ein  guide  von  mir  (über  die  Kunstwerke  Belgiens) 
macht  jetzt  seine  Wanderung  bei  den  Buchhändlern  und 
wird  wahrscheinlich  bald  ungedruckt  und  unverlegt  zurück- 
kommen. Welch  ein  Stoff  zu  einem  Weltschmerzgedicht, 
Ihr  Otto  Schütz  und  mein  guide,  vielleicht  neben  einander 
auf  demselben  Bureau  liegend!  —  Um  meinen  guide  freilich 
ist  es  nicht  Schade,  aber  um  den  Schüm  wäre  es  Schade, 
das  ist  der  Unterschied.  —  Meinen  Hochstaden  will  ich  gar 
nicht  durch  Herumscliicken  comproraittieren,  obschon  (ich 
beim)  Schreiben  immer  das  Publikum  und  nicht  den  kleinen 
Ranke  vor  Augen  gehabt  habe;  Er  ist  nichtsdestoweniger 
doch  recht  zufrieden  gewesen  und  meinte,  ich  solle  das 
Ding  drucken  lassen,  aber  er  lachte  dabei  recht  höhnisch, 
so  dass  ich  doch  irre  wurde.  Von  poeticis  habe  ich  wenig 
zu  melden.  Ich  bin  in  der  letzten  Zeit  dazu  recht  gut  auf- 
gelegt gewesen,  aber  die  Zerstreuungen  und  Studien  haben 
es  zu  nichts  kommen  lassen.  Eine  muthwillige  Erzählung 
„von  drei  armen  Teufeln'^,  die  in  Rüdesheim  spielt  und 
circa  zwei  Druckbogen  füllen  würde,  habe  ich  für  meinen 
Freund  Ed.  Schauenburg  geschrieben;  ich  kann  sie  aber 
niemand  als  meinen  engsten  Bekannten  vorlesen,  weil  sie 
gar  zu  mutwillig  ist.  Vielleicht  bringe  ich  Ihnen  das  Concept 
nach  Bonn  mit.  — 

Sodann  laborierte  ich  vor  einiger  Zeit  an  einer  Tragödie: 
Johann  Parricida,  die  ich  auch  zum  Concurs  einzuschicken 
gedachte,  —  denn  ich  verkaufe  immer  schon  die  Haut,  ehe 
der  Bär  geschossen  ist.  Diessoial  soll  der  Bär  (oder  respective 
der  Bock)  ungeschossen  bleiben;  ich  habe  meinen  Plan 
wegen  allzugrosser  Mängel  liegen  lassen. 

Ein  Operntext,  von  dem  ich  Ihnen,  meine  ich,  schon 
schrieb,  rückt  langsam  vorwärts  und  scheint  mir  a  priori 
verpfuscht.  Es  ist  die  Sage  vom  Schwanen  ritt  er.  ^)  Sonst 
sind  noch  ein  paar  kleine  Liederchen  entstanden,  weil  alte 
Liebe  nicht  rostet,  und  eine  Ballade,  die  ich  dem  Sefren-) 
zugeschickt   habe.     Dieselbe   handelt   in    Kürze   von   zween 


')  Vier  Jahre  später  entstand  R.  W.igners  Lohengriii. 
*)  Fresenius.  Die  harmlose  Freude  an  solchen  quasi  Schüttelreimscherzen 
teilt  Burckbardt  (oder  Kinkel.')  mit  Mozart. 


lO  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Handwerksbursclien  und  gehört  in  die  moderne  Zeit.  — 
Was  ich  Ihnen  für  den  Concurs  schicken  werde,  das  weiß 
ich  nicht,  aber  Sie  sollen  diessmal  etwas  von  mir  erhalten, 
ich  verspreche  es,  um  es  halten  zu  müssen.  Freilich,  episches 
gelingt  mir  schwer,  und  Sie  haben  den  Nagel  auf  den  Kopf 
getroffen  (mit  Ihrer)  „Begeisterung  aus  bestimmtem  localem 
Object  hervorgehend".  Meine  Figuren  sind  wesentlich  Staf- 
fage, und  wenn  sie  auch  nicht  wie  solche  aussehen,  so  sind 
sie  doch  als  solche  empfunden.  Mit  meiner  geschichtlichen 
Forschung  steht  es  gerade  ebenso,  der  Hintergrund  ist  mir 
die  Hauptsache,  und  ihn  bietet  die  Culturgeschichte,  der 
ich  auch  hauptsächlich  meine  Kräfte  widmen  will.  Selbst 
in  meiner  stümperhaften  Zeichnerei  geht  mirs  ganz  ähnlich; 
ich  sudle  Ansichten  und  Landschaften,  selten  Figuren.  Das 
sind  Einseitigkeiten,  aus  welchen  herauszukommen  nicht 
bei  mir  steht,  — 

Ueber  meine  Pläne  von  wegen  der  Zukunft  will  ich 
Sie  einmal  mündlich  unterhalten;  ein  Jahr  in  Italien  und 
einige  Monate  in  Paris  nehmen  nicht  die  letzte  Stelle  ein. 
In  Basel  will  ich  Stunden  geben,  aber  mich  durchaus  nicht 
an  die  Pennalia  fesseln.  Wer  ein  Hauptlehrer  sein  will, 
der  soll  nur  sein  geistiges  Leben  verloren  geben.  Man  hat 
dann  8(X)  Thaler  und  von  früh  bis  spät  zu  thun  und  einen 
wahren  Höllenlebtag.  Ich  bin  seiner  Zeit  auch  ein  böser 
Jaoge  gewesen  und  will  nicht  eine  schauerliche  Nemesis 
besehen.')  — 

Eine  ganze  Reihe  von  historischen  Unt(M'nehmuDgen 
beschäftigen  mein  Qemüt;  sie  würden  genügen,  ein  Leben 
von  achtzig  Jahren  zu  füllen,  und  so  alt  werde  ich  hoffentlich 
nicht.  Ein  Gelübde  habe  ich  mir  gethan:  mein  Lebeniang 
«inen  lunbaron  Styl  schreiben  za  wollen  und  überhaupt 
mehr  auf  das  iDtercssante,  als  auf  trockene  faktische  Voll- 
ttAndigkeit  auszugehen.  Es  ist  der  Schande  werth,  dass 
die  Werke  dor  meisten  detitschen  Historiker  nur  von  Ge- 
lehrten geieson  werden,  und  deshalb  fand  liauke  augenblicklich 
•in    heiMshungrigoH,    grosses    Publikum,    sowie    er  auftrat. 

')  Demxegeiiiiber  vcrgUicbe  die  Khöne  Palinodie  dei  älteren  M:itiiie» 
bei  TrOK.  S.  laj. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  i  j 

Die  Franzosen  sind  darin  längst  viel  klüger  gewesen,  und 
bei  ihnen  hat  auch  Ranke  gelernt,  er  mag  es  nur  nicht 
Wort  haben.')  Man  spricht  immer  von  einer  Kunst  der 
Geschichtschreibung,  und  manche  glauben  genug  getban 
zu  haben,  wenn  sie  an  die  Stelle  der  Schlosser'schen  Labyrinth- 
perioden eine  spröde  Nebeneinanderstellung  der  facta  setzen. 
Nein,  ihr  guten  Leute,  es  handelt  sich  jetzt  um  Sichtung 
der  facta,  um  Ausscheidung  dessen,  was  den  Menschen 
interessieren  kann;  thut  ihr  darin  was  großes,  so  wird  euch 
auch  der  Büchermensch  danken  müssen.  —  —  Ich  bin  mit 
meinem  Studium  in  die  günstigste  Zeit  gefallen;  auch  das 
Publikum  wendet  sich  wieder  mehr  als  je  der  Geschichte 
zu  und  würde  sich  ihr  nie  abgewandt  haben,  wenn  nicht 
unsere  Holzböcke  von  Historikern  an  ihrem  eigenen  Ziel 
irre  geworden  wären,  und  zwar  die  grössten  am  meisten. 
Wenn  dieser  Brief  Sie,  liebster  Freund,  schlecht  ergötzt, 
80  sind  daran  zum  Theil  die  bösen  Zeiten  Schuld.  '  Hätte 
ich  damit  bis  Mitte  April  warten  können,  so  würde  eine  sehr 
viel  fröhlichere  Epistel  erfolgt  sein,  denn  da  kommt  ein 
Freund  von  mir  aus  der  Leipziger  Burschenschaft  hieher, 
der  keine  solche  gichtbrüchige  Laune  um  sich  her  auf- 
kommen lässt.  Wenn  ich  nach  Bonn  gehe,  so  will  ich 
Ihnen  ein  paar  von  seinen  Sonetten  mitbringen,  die  sollen 
Ihnen  einleuchten.  — 

Am  meisten  ärgert  mich's,  dass  ich  diesen  Brief  so 
lange  verschoben  habe,  um  Fresenii  willen.  Wie  gerne 
hätte  ich  dem  lieben  Jungen  ein  paar  Zeilen  mit  beigelegt, 
als  Antwort  auf  einen  schönen,  herrlichen  Brief,  den  er 
mir  vor  einigen  Wochen  schrieb.  Sagen  Sie  ihm,  dass  er 
mich  damit  glücklich  gemacht  hat  und  dass  ich  ihn  wenn 
irgend  möglich  noch  sehen  will,  ehe  ich  Deutschland  verlasse. 

Morgen  sind  es  zehn  Jahre  seit  Göthe  starb,  da  geh 
ich  zu  Bettina.  — 

Andream  grüsse  ich  herzlich  von  ferne;  er  soll  nicht 
glauben,  dass  ich  ihn  minder  lieb  habe,  weil  ich  ihm  diessmal 
nicht  schreibe.  Ich  werde  ihn  in  meinem  nächsten  Brief 
auf  Gerathewohl  stud.  phil.  betiteln.  — 

')  Vgl.  Trog.  S.   l8,  26. 


12  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

Und   nun   leben  Sie  wohl!    ich   weiss  es  allzugut,  dass 

ich   nirgends   mehr  einen    Mitstrebenden   finden   werde  wie 

Sie,  als  dass  ich  hier  noch  Worte  machen  könnte.  Es  grüsst 

Sie  Ihr  getreuer  ^      ,  ,      - 

°  Burckhardt 

Meine  Adresse  noch  immer:  Unt.  d.  Linden  72. 

* 
*  * 

Dramatische,  politische,  philosophische  Bekenntnisse 
spiegeln  nun  das  gleichzeitige  Berlin  etwas  deutlicher: 
Gutzkows  letzte  Stücke,  wie  „Savage",  „Werner'^,  „Die  Schule 
der  Reichen",  „Ein  weisses  Blatf^,  behandelten  gesellschaft- 
liche Probleme.  Schelling,  seit  einem  Jahre  auf  Hegels 
Katheder  berufen,  hielt  —  es  war  sein  Schwanengesang 
—  Vorträge  über  seine  „Philosophie  der  Mythologie  und 
Offenbarung'^.  Des  Königs  Eigenart,  die  durch  die  R^de 
bei  seiner  Thronbesteigung  viele  beste  Geister  zu  kühnen 
Hoffnungen  borausc  ht  hatte,  war  inzwischen  deutlicher 
erkannt  worden;  Kinkels  Frage  nach  Burckhardts  politischem 
Credo  ent^^pringt  sichtlich  dem  Gefühl  des  Unbehagens, 
das  schon  damals  den  Dichter  gährend  erfasst  hatte.  In 
Burckhardts  Antwort  ist  namentlich  der  Schluss  bezeichnend: 
gegenüber  ungestümeren  Drängern  wahrt  er  sich  die  ruhige 
Würde  und  den  heiligen  Frieden,  gleichsam  als  nur  ein 
Feldprediger  der  Freiheit;  eines  seiner  (iredichte,  ein  «Jahr 
später  iu  Paris  entstanden,  spricht  die  gleiche  Ueberzeugung 
in  glücklich  gewählter  Form  aus.  Noch  konnte  Burckhardt 
Dicht  ahnen,  dass  die  grundverschiedene  Auffassung  poli- 
tischer Dinge  und  Pflichten  ihn  5—6  .lahro  später  in 
wachsendem  Missverstohon  von  Kinkel  entfernen  würde.  — 
Ein  Vor«puken  dos  Plans  oder  doch  der  Neigung  zu  einem 
späteren  Konstuntinswerk  (verwirklicht  1853}  werden  Kenner 
in  Burckhardts  Wunsche  finden,  Kinkels  „Gesobichto  des 
HoidentuiiKS-  kennen  zu  lernen,  flegonnen  war  diese  „Ge- 
schiebt«) doM  Heidentums  in  politischer,  religiöser  und  sittlicher 
Hinsicht  während  der  drei  ersten  Jahrhunderte  der  christlichen 
Zeitrechnung"  schon  seit  1888;  mit  ihr  war  Kinkel  von  der 
flogmatischon  mehr  und  mehr  zur  hi«torisrlien  Behandlung 
der  Theologie  in  seinen  Kollegien  i\borgegung<>n,  der  bald 
auch    eine  kunsthistorlsclio  an    die  Seite  treten  sollte. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (iiud  Johanua)  Kinkel.  i^ 

3.  An  Doctor  Kinkel. 

Berlin,  13.  Juny  1842. 
Lieber  Freund! 

Dass  und  wie  ich  hier  Gouverneur  eines  jungen  Grafen') 
bin,  steht  in  meinem  Briefe  an  die  verehrte  Frau  Directrix. 

Mitfolgend  mein  Erzbischof  Conrad  und  ein  sehr  miss- 
lungenes,  hastig  abgefasstes  Concurrenzstück:  Sanct-Goar, 
welches  mir  die  grosse  Lehre  beigebracht  hat,  dass  man 
nicht  zu  früh  sein  Wort  geben  soll,  etwas  poetisches  zu 
bestimmter  Zeit  liefern  zu  wollen.  Legen  Sie  es  so  bald 
als  möglich  ad  acta.  Hätte  ich  etwas  besseres,  so  würden 
Sie  gewiss  diess  S.  Goar  nicht  erhalten,'') 

Auch  den  Erzbischof  ('einstweilen  können  Sie  ihn  '/» 
Jahr  behalten)  werden  Sie  für  Ihren  Zweck  schwach  ge- 
arbeitet finden.  In  die  Kirchengeschichte  greift  er  fast  gar 
nicht  ein,  und  ich  will  Hans  heissen,  wenn  ihn  das  Dogma 
auch  nur  einmal  in  seinem  Leben  wirklich  berührt  hat. 
Die  Provincialsynode,  die  er  1260  abhielt,  war  blosse 
Redensart.  Ich  möchte  Ihnen  das  Ding  gleichwohl  gern 
zum  Präsent  machen,  wenn  nur  das  Abschreiben  keine  so 
tödtliche  Arbeit  wäre.  Was  Sie  davon  gebrauchen  können, 
wird  bald  excerpiert  sein.  In  den  Noten  sind  die  Quellen 
gewissenhaft  angegeben.  —  Vom  Druckenlassen  ist  nicht 
die  Rede.  Dagegen  wird  wohl  bald  mein  Belgien  erscheinen, 
welches  schon  angekündigt  und   schon  völlig  gedruckt  ist. 

Ihre  Predigten^)  habe  ich  schon  längst  bestellt,  aber 
noch  immer  nicht  erhalten. 

Diesen  Augenblick  komme  ich  vom  Buchladen  und 
trage  Ihre  Predigten  mit  mir.     Endlich! 

Wie  beneide  ich  Sie  um  Ihre  dramatischen  Inspirationen! 
Dazu  bin  ich  ein  für  allemal  nichts  nutz.  Selbst  wenn  ich 
einen    regelrechten    Plan    machen    könnte,    so    würde    sich 


')  Perponcher. 

>)  In  dem  Jahrgang  des  „Maikäfer"  1842  ist  es  denn  auch  nicht  auf- 
genonimeu;  Kunde  davon  gibt  nur  Bey&cblag  (Trog,  S.  22):  Darnach  war  es 
ein  Balladeuzyklus,  worin  die  Loreley  und  altchristliche  Missionare  eine 
Rolle  spielten. 

*)  „lieber  ausgewählte  Gleichnisse  und  Bildreden  Christi",  damals  soeben 
erschienen. 


M 


Rudolf  Mever-Kraemer. 


mir,  glaube  ich,  auch  aus  1000  Situationen  noch  immer 
nicht  ein  Charakter  ergeben.  Es  ist  ein  Elend.  —  Zwar 
flattert  mir  wohl  bisweilen  so  etwas  vor  den  Augen,  aber 
ich  weiss  es  nicht  zu  fassen.  — 

Sie  beneiden  mich  um  die  Anschauung  der  neuen 
Tragödien  und  Sie  haben  Recht,  Es  ist  ein  Unglück  für 
das  moderne  Drama,  dass  Gutzkows  Feinde  ihm  seine  Er- 
folge so  ohne  Noth  verbittert  haben  und  ihn  mit  Gewalt 
in  eine  falsche  Stellung  hetzen.  Er  hat  einen  immensen 
Fortschritt  gemacht  und  seine  Stücke  sind  alle  wunderbar 
ergreifend,  weil  sie  alle  aus  seinem  Herzen  gekommen  sind. 
Dazu  will  ich  stehen,  weil  ich  sie  gesehen  habe.  Der 
scheussliche  gebildete  Janhagel  von  Berlin  hat  mit  frommer 
Miene  darüber  gesprochen,  bloss  weil  Gutzkow,  wie  einst 
Mirabeau,  aus  seiner  Jugend  ein  Stück  schlimmen  Rufes 
am  Fusse  nachschleppt,  und  weil  es  vornehm  und  cour- 
mässig  war,  sich  über  Gutzkow  zu  indignieren.  Es  ist  rein 
anmöglich,  sich  von  der  Erbärmlichkeit  der  hiesigen  öffent- 
lichen Meinung  und  ihrer  Lenker  einen  Begriff  zu  machen. 
Der  Fortschritt  Gutzkows  ist  der:  die  ernste  Behandlung 
socialer  Fragen  der  Poesie  vindiziert  zu  haben.  Es  giebt 
einen  Punkt,  wo  er  mit  Immermanns  Romanen  zusammen- 
trifft. —  Warum  hat  man  hier  seinen  Werner  nicht  besuchen 
mögeo?  Bloss  weil  das  Geheimrathspublicum  nach  jahre- 
langer Schamlosigkeit  wieder  einmal  hätte  roth  werden 
müssen  Ich  hört«  eine  Dame  von  Stande  sagen:  ^Das  Stück 
sei  durch  und  durch  indiskret.'*  Ja  wohl,  Gott  sei  Lob 
mid  Dank! 

Sie  fragen  mich  aus  über  meine  Ansichten  der  jetzigen 
politischen  Philosophie  und  Ethik.    Ich  denke  mir  darüber 

n  ,  .  (NU.  Dieuf'K  habß  ich  telb.Ht 

Folgendes:   {  .     ,^ 

Fast  sämtlichen  europäischen  Völkern  ist  das,  was  man 
bistorischen  Boden  nennt,  unter  den  Füssen  weggezogen 
worden,  auch  den  PreuMen.  Die  völlige  Negation,  die  zu 
Eode  dee  vorigen  Jahrhunderts  in  Staat,  Kirohe,  Kunst  und 
Leben  eintrat,  hat  solch  eine  ungeheure  Masse  von  objek- 
tivem Bewusfteein  in  alle  oinigerruassen  regsamen  Köpfe 
bineingeworfen  (bei  den  besseren:  entwickelt),  dasi  an  eine 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  i^ 

Herstellung  der  alten  Unmündigkeit  gar  nicht  mehr  zu 
denken  ist.  Wie  jetzt  die  Kunst  ihre  Naivetät  verloren  hat, 
und  die  Style  aller  Zeiten  objektiv  vor  sich  nebeneinander 
liegen  sieht,  so  ist  es  auch  im  Staat;  das  eigenthümliche 
Interesse  an  den  Besonderheiten  seines  Staates  hat  bei  dem 
Einzelnen  einem  wählerischen,  bewussten  Idealismus  Platz 
machen  müssen.  Alle  Restauration,  so  wohl  gemeint  und 
so  sehr  sie  der  einzige  scheinbare  Ausweg  war,  kann  das 
Factum  nicht  auslöschen,  dass  das  XIX.  Jahrhundert  mit 
einer  tabula  rasa  aller  V^erhältnisse  begonnen  hat.  Ich  lobe 
es  nicht,  ich  tadle  es  nicht,  es  ist  eben  eine  Thatsache,  und 
die  Fürsten  würden  wohl  thun,  wenn  sie  sich  es  klar 
machen  wollten,  worin  ihre  jetzige  Stellung  von  ihrer 
früheren  sich  unterscheidet  Die  furchtbar  gesteigerte  Be- 
rechtigung des  Individuums  besteht  darin:  cogito  (ob  richtig 
oder  falsch,  gilt  gleich)  ergo  regno.  —  Ich  erwarte  noch 
überaus  schreckliche  Crisen,  aber  die  Menschheit  wird  sie 
überstehen  und  Deutschland  gelaugt  vielleicht  erst  dann 
zu  seinem  wahrhaften  goldenen  Zeitalter.  —  Was  soll  in- 
zwischen der  Einzelne  thun?  Ist  er  ein  freier,  tüchtiger 
Kopf,  so  wird  sich  ihm  der  Strom  des  Geistes,  der  in  der 
Luft  herrscht,  zum  philosophischen  Postulat  gestalten,  und 
dem  soll  er  nachleben.  Eines  kann  ihm  keine  Revoluzion 
rauben:  seine  innere  Wahrheit.  Man  wird  immer  offener, 
immer  ehrlicher  werden  müssen,  und  auf  den  Trümmern 
der  alten  Staaten  wird  die  Liebe  vielleicht  ein  neues  Reich 
gründen.  Was  meine  Wenigkeit  betrifft,  so  werde  ich  nie 
Wühler  und  Umwälzer  sein  wollen;  eine  Revolution  hat 
nur  dann  ein  Recht,  wenn  sie  unbewusst  und  unbeschworen 
aus  der  Erde  steigt.  Aber  dem  Fortschritt  des  deutschen 
Geistes  werde  ich  mich  ewig  mit  allen  Kräften  widmen 
und  thun,  was  mir  Recht  scheint 

Grüssen  Sie  Wurm  herzlich  von  mir.  Wenn  doch  Ihre 
Geschichte  des  Heidentums  schon  fertig  wäre!  —  Von 
meinen  literar.  und  histor.  Plänen  ein  andermal.  —  Ver- 
lassen Sie  mich  nicht  über  die  Zeit  meiner  Prüfung!  Vale. 
Es  grüsst 

Mit  herzlicher  Treue 

Burckhardt. 


l6  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

(Nachzettel:)  Verzeihen  Sie  dies  kleine  Sudelblättchen, 
möge  mir  auch  Frau  Direktrix  verzeihen;  mein  Postpapier 
ist  zu  Ende.  —  Schelling  ist,  wie  es  heisst,  so  gut  als  ge- 
scheitert mit  seiner  philosophia  secunda.  In  den  deutschen 
Jahrbüchern  finden  Sie  wohl  das  Umständlichste  über  seine 
Lehre.  —  Ich  habe  ein  paarmal  hospitiert  während  der 
dicksten  dogmatischen  Auseinandersetzungen,  und  mir  die 
Sache  etwa  so  zurechtgelegt:  Schelling  ist  Gnostiker  im 
eigentlichen  Sinne  des  Wortes,  so  gut  wie  Basilides.  Daher 
das  Unheimliche,  Monströse,  Gestaltlose  in  diesen  Teilen 
seiner  Lehre.  Ich  dachte  jeden  Augenblick,  es  müsse  irgend 
ein  Ungethüm  von  asiatischem  Gott  auf  zwölf  Beinen  daher 
gewatschelt  kommen  und  sich  mit  12  Armen  6  Hüte  von 
6  Köpfen  nehmen.  Es  wird  selbst  den  Berliner  Studenten 
nach  und  nach  unmöglich  werden,  diese  furchtbare,  halbsinnl. 
Anschauungs-  und  Ausdrucksweise  auszuhalten.  Es  ist  ent- 
setzlich, eine  lange  geschichtliche  Auseinandersetzung  der 
Schicksale  des  Messias  anzuhören,  welche  episch  gedehnt 
und  verwickelt  und  dennoch  ohne  alle  Gestaltung  ist.  Wer 
Schellings  Christum  noch  lieben  kann,  der  muss  ein  weites 
Herz  haben.  —  En  attendant  interessiert  sich  die  hiesige 
grosse  Welt  für  Schelling  vom  orthodox-pietistisch-aristokrat. 
Standpunkt  aus,  wie  denn  diess  unglückliche  Berlin  immer- 
fort Sympathien  und  Antipathien  für  diess  und  jenes  mit- 
macht, ohne  zu  wissen  warum,  auf  das  einem  Minister  ent- 
fallene Wort  hin.  Einen  so  entsetzlichen  Servilisnms  der 
That  giebt  es  weder  in  Wien  noch  in  München,  das  ist 
meine  Ansicht.  —  Vale. 

ZuGeibel  hatte  Hurckliardt  Beziehungen  wohl  nicht  nur 
im  Kaikftferbundo  gewonnen,  sondern  an(*h  im  Kugler'schen 
H*afe  zu  Berlin  erneuert,  (ileibt^l  hatte  l)oreita  seine 
Griecbifcbe  Lehrzeit  und  einen  Band  „Gedichte'^  (seit  1840) 
bioter  sieb.  —  Der  Brief  deutet  auf  allerlei  Hübsches,  was 
ans  dem  Fallhom  der  Konkurrenz  (vom  Juni)  über  Burck- 
bardt  inzwischen  ausgeschüttet  war. 


Briefe  Jakob  Bnrckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  17 

4.  Dem  Urmau.') 

Dresden,  19.  Sept.  1842. 

Auch  an  Sie,  liebster  Freund,  diessmal  nur  wenige  "Worte, 
während  Geibel,  mit  dem  ich  hier  glückseliger  Weise  zu- 
sammentraf, seine  Abschiedsbesuche  schneidet.  Ich  hatte 
mit  grosser  Mühe  bei  der  Gräfin  sechs  Tage  zu  einer  Reise 
nach  Dresden  losgeeiset,  und  dachte,  in  Dresden  still  für 
mich  zu  leben,  traf  aber  Geibel  gleich  auf  der  Strasse  an, 
und  die  Folge  davon  war,  dass  er  zu  mir  zog  und  Morgen 
mit  mir  nach  Berlin  geht. 

Wie  lange  hatte  ich  mich  darauf  gefreut,  Ihnen  zu 
schreiben  I  Wie  lange  auf  einen  guten  Moment  vigiliert! 
Und  jetzt  ist  es  die  höchste  Zeit  —  und  ich  muss  eben  zer- 
streut (sein)  wie  Harless  und  Neander!')  — 

Vor  allem  Dank  für  die  Lieder,  die  mich  wahrhaftig 
in  Desperation  versetzt  haben.  Während  ich  in  Berlin  zu 
Grande  gehen  möchte,  ist  in  Bonn  die  gute  Laune  in  allen 
Gassen  vorräthig.  Aber  wartet  nur,  ich  komme  auch  wieder; 
ihr  sollt  nicht  Alles  allein  aufessen 

Obenan  stelle  ich  das  Ghasel  von  Epikur,  es  ist  so 
rund  und  schön  und  warm.  Auch  das  Ghasel  von  Andreas 
gefällt  mir  ausserordentlich  und  ich  habe  es  oft  gelesen 
und  vorgelesen.  Das  „Fest"  hat  mir  jene  süssen  Nächte  auf 
dem  Kreuzberg')  lebendig  vor  die  Seele  gerufen;  ich  armer 
Teufel  hätte  dabei  weinen  mögen.  Der  Obscurenbrief  hat 
mich  an  die  Abende*)  in  Poppeisdorf  erinnert,  (deren  jetzige 
Gestalt  ich  sehr  zu  erfahren  wünsche).  Beyschlags  Lieder 
haben  eine  zarte  Vollendung,  die  auf  jahrelange  frühe  Uebung 
hindeutet;  Ihr  Sommer-  und  Winterlied,  das  auf  sein  Sommer- 
lied folgt,  überrascht  so  schön  durch  eine  individuelle  Ge- 
waltsamkeit. Alles,  A(lles),  besonders  die  Gedichte  der  Frau 
(Directrix)  stellt  mir  die  selige  Bonnerzeit  so  sch(ön)  und 
klar  vor  all  mein  Sinnen  und  Denken,  dass  ich  Tagelang 
träumte   und   fabelte,    ob    es   denn    gar  nicht  möglich  sein 

')  Abkürzender  Kosename,  statt  „Urmaikäfer";  so  noch  oft,  entsprechend 
der  Bezeichnung  des  Blattes  selbst  durch  „Mau"  oder   „Maw". 

')  Die  bekannten  tbeol.  Professoren  in  Erlangen  und  Berlin. 
»)  Bei  Bonn. 
*)  Des  Maikäfer. 


l8  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

sollte,    die    reichen    mächtigen    Eindrücke   in    ein   Lied    zu 
sammeln.  —  Es  geht  nicht.  — 

Ich  empfing  die  Sendung  in  einer  recht  odiösen  Zeit, 
und  bin  durch  dieselbe  in  meinem  Trotz  bestärkt  worden. 
Da  die  Gräfin  noch  immer  nicht  nachlässt,  mich  zu  cujonieren, 
so  werde  ich  jedenfalls  diesen  Winter  die  Stelle  aufgeben 
und  womöglich  auf  der  Reise  nach  Paris  einen  Monat  in 
Bonn  bleiben,  etwa  den  Mai,  der  voriges  Jahr  so  himmlisch 
war.  Ich  darf  nicht  daran  denken,  Deutschland  zu  ver- 
lassen, ohne  vorher  noch  mit  Ihnen  gelebt  zu  haben.  Meine 
Gedanken  sind  alle  Tage  in  Poppeisdorf,  und  wenn  die 
Furie,  die  mich  jetzt  quält,  wüsste,  wie  sehr  (von  hier)  all 
mein  Denken  und  Trachten  rheinwärts  (strebt),  sie  würde 
staunen.  Ich  darf  kaum  daran  denken,  wie  mir  Berlin 
Morgen  Abend  vorkommen  wird.  Dresden  ist  so  herrlich 
und  reich,  ich  hätte  es  gar  nicht  gedächt.  Aus  allen  Ecken 
der  Palläste  und  Gärten  springen  fabelhafte  Novellenstoffe 
hervor,  and  der  starke  August  mit  seinem  Rococo  ist  ein 
Thema,  wo  man  eben  nur  (zuzugreifen)  braucht.  Auch 
Napoleon  mit  seinem  Gefolge  von  Königen  im  Jahr  1811') 
spuckt  (sie)  an  allen  Enden. 

Doch  die  Zeit  drängt,  vor  sechs  muss  ich  auf  der  Post 
sein  mit  dem  Paket;  also  Addio! 

In  herzlicher  Sehnsucht  und  Harren  Ihr 

Burckhardt. 

Nehmen  Sie  um  Gotteswillen  vor(lieb!)  Ich  hatte  mich 
auf  Geibel  verlassen,  der  etwas  für  Sie  angefangen  hat, 
aber  der  ist  in  seinen  Träumen  zu  nichts  zu  bringen. 

Bitte  frankieren  Sie  inliegenden  Brief!  — 

Es  galt  nachgerade,  die  Förmlichkeit  der  Promotion 
vorzuboreiten.  Die  Dissertation,  inhaltlich  längst  fortig  und 
jetzt  als  blosse  Pflichtarbeit  schulgemftss  behandelt,  erhielt 
den  Titel:  ^Qaaeitionos  aliquot  Caroli  Martelli  historiuni 
illustraotes'',  die  aogohängt«  Vita  das  Datum  18.  JAArz  1843 
(Trog,  8.  87). 

')  Stall  iSia. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ig 

5.  Berlio,  25.  November  1842. 

Geliebter  Freund! 

Den  gestrigen  Tag  hindurch  bin  ich  vor  lauter  Auf- 
regung über  Ihre  Briefe  gar  nicht  zum  Schreiben  gekommen; 
unablässig  steht  Ihr  Bild  vor  meinen  Augen;  ich.  möchte 
für  Sie  mein  Bestes  wagen  und  die  unverdiente  Liebe  ver- 
dienen lernen.  Mir  ist  zu  Muth,  als  sollten  wir  nicht  für 
immer  getrennt  (bleiben),  als  sollte  ich  Ihnen  dereinst  etwas 
bieten  können.  So  lange  ich  in  Bonn  war,  durfte  ich  Ihnen 
nicht  sagen,  wie  ich  Sie  liebte;  jetzt  trete  ich  Ihnen  freier, 
im  Innern  vollständiger,  gegenüber  und  bringe  mich  Ihnen 
dar,  wie  ich  bin,  liebend  und  liebebedürftig.  Lassen  Sie  nicht 
von  mir!  ich  will  es  Ihnen  zu  lohnen  suchen.  — 

Sie  fordern  mich  auf,  Ihrem  Hochzeitsfeste')  beizu- 
wohnen als  Brautführer.  Ich  kann  es  nicht  versprechen. 
Nächsten  1.  November  muss  ich  in  Basel  schon  dozieren. 
Gott  weiss  worüber!  —  Auch  verlangen  die  Meinigen  sehnlich 
nach  mir  und  deuten  mir  es  schon  übel,  dass  ich  noch  2 
Monate  für  Paris  zulege.  Die  Hauptsache  ist,  dass  meine 
Schwester  vielleicht  um  dieselbe  Zeit  ihre  Hochzeit-  feiert, 
was  auch  meinen  Pariser  Plan  vielleicht  in  der  Art  ver- 
schieben würde,  dass  ich  erst  von  Basel  aus  im  Sommer 
hinginge.  Doch  liegt  das  noch,  im  weiten  Felde.  Liesse 
ich  mein  Heiz  offen  reden,  so  würde  ich  lieber  Ihrer  Ver- 
mählung beiwohnen,  denn  meine  Schwester  und  ihr  Ver- 
lobter sind  in  glücklichen  Verhältnissen  und  haben  der 
Freunde  genug;  es  wäre  ein  Ceremoniendienst,  den  auch  ein 
anderer  leisten  kann;  aber  bei  Ihnen  wäre  es  für  mich  ein 
Liebesdienst,  der  erste,  den  ich  Ihnen  gewähren  könnte.  — 
Nicht  bei  der  Hochzeit  möchte  ich  meiner  Schwester  dienen, 
sondern  nachher,  wenn  sie  allein  ist  und  sich  nach  dem 
Bruder  sehnt,  um  den  sie  so  viel  gelitten  und  gebetet  hat, 
der  im  Stande  war,  ihr  Herz  zu  füllen,  weil  er  sie  verstand!  — 

Endlich  weiss  ich  nicht,  ob  ich  den  Funktionen  eines 
Brautführers  genügen  kann.  Ich  tanze  nicht!  erwägen  Sie  es.  — 

Bis  zum  Stiftungsfest  kann  ich  keinenfalls  bleiben;  ich 
gedachte  Mitte  April  anzukommen  und  Mitte  Mai  abzureisen. 
Brüssel  allein  wird  mich  acht  Tage  aufhalten.  — 

')  Auf  Mai   1843  festgesetzt. 


20  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Soweit  die  Sache  von  mir  abhängt,  sage  ich  zu;  aber 
ich  kann  für  die  Umstände  nicht  stehen.  Auf  diese  Weise 
könnte  ich  Mitte  Juny  in  Paris  sein,  was  noch  immer  früh 
genng  ist.  — 

Dass  Sie  meinen  Erzbischof  bei  Habicht^)  angebracht 
haben,  erfreut  mich  in  tiefster  Seele;  ich  nehme  alle  Ihre 
Propositionen  an  und  gebe  Ihnen  Vollmacht,  nötigenfalls 
davon  herunterzulassen,  wenn  Habicht  je  störrisch  werden 
sollte.  Inliegendes  ostensible  Billet  enthält  Ihre  Vollmacht^ 
soweit  der  Buchhändler  sie  kennen  darf.  Wenn  ich  auch 
keinen  Heller  besehen  sollte,  —  ganz  egal!  wenn's  nur 
gedruckt  wird.  — 

Sie  werden  staunend  fragen:  Woher  diese  Sinnes- 
änderung?') Fürs  Erste  haben  Sie  mir  Muth  gemacht; 
zweitens  nehme  ich  das,  was  Sie  hinter  meinem  Rücken 
gethan,  für  einen  Finger  Gottes,  drittens  hatte  zu  meiner 
Weigerung  die  Furcht,  an  allen  Enden  abzufahren,  nicht 
geringen  Theil,  viertens  brauche  ich  es  jetzt  nicht  für  den 
grünen  Tisch')  in  Basel  nochmals  abzuschreiben  oder  gar  zu 
latinisieren  und  kann  die  Herren  mit  einem  gednickten 
Exemplar  und  einem  schlechten  Stück  aus  dem  Karl  Martell, 
welches  schon  zum  Theil  latinisiert  ist,  abfinden;  fünftens 
werde  ich  Ihnen  von  heut  in  vierzehn  Tagen  die  Exposition 
der  köllnischen  Verfassung,^)  umgearbeitet,  doch  nicht  ver- 
mehrt, zusenden  und  bitte  Sie,  mitfolgende  Excerpte  ge- 
hörigen Ortes  zu  citieren,  höchstens  mit  Anführung  der 
wichtigsten  Worte,  und  nöthigenfalls  auch  den  Text  danach 
za  ändern;  damit  ich  mich  nicht  feierlich  beim  ersten  Debüt 
blamiere.  —  Bitte,  lesen  Sie  auch  inliegenden  Brief  an 
Habicht.  Mein  Haupt  verlangen  ist,  dass  der  Druck  nicht 
über  drei  Monate  währe,  weil  ich  sehr  gern  noch  von  hier 
aas  in  Basel  doktorieren  möchte.  Ob  die  Noten  alle,  ob 
sie  unter  dem  Text,  oder  wie  Frau  Diroctrix  wünscht,  hinten 
sollen  abgedrackt  werden  —  darüber  verfügen  Sie  wie  Sie 
wollen.  Wenn  Sie  bloss  die  Gitate  beibehalten  wollen,  auch 

*)  K  '■  Booncr  Verleger. 

•)  •.  Brief  3  Auf. 

")  d.  h.  die  Promotion. 

^  Aus  Kap.  V  des  „Coorad  von  Hocbstaden". 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  2  I 

gut.  —  Es  ist  frech  von  mir,  dass  ich  Sie,  nach  so  vieler 
Mühe  für  Unterbringung  der  Schrift,  noch  mit  solchen 
Dingen  quäle,  da  ich  doch  weiss,  wie  Ihre  Zeit  besetzt  ist. 
Aber  briefliche  Abreden  und  Aenderungen  zwischen  mir 
und  dem  Verleger  würden  den  Druck  sehr  verzögern,  und 
wenn  Sie  es  thun,  will  ich's  Ihnen  gedenken  mein  Lebenlang. 

Alles  Weitere  werden  die  nächsten  Briefe  (über  vierzehn 
Tage)  melden,  denen  wir  ^)  sonst  allerlei  beizulegen  gedenken. 
Bringen  wir  Liederspiele  zu  Stande,  so  folgt  dann  noch 
eine  Sendung  ausserdem,  Ende  Decembers. 

Auch  die  Novelle  sollen  Sie  in  Gottes  Namen  bekommen 
und  unter  Ihrer  Verantwortung  vorlesen.  Der  Frau 
Directrix  möchte  ich  für  Ihren  (sie)  herrlichen  Brief  fuss- 
fällig  danken.  Ich  küsse  Andreas.  —  Jetzt  ist  ea  gut  leben 
in  Berlin,  von  allen  Seiten  strömt  mir  Ermuthigung  zu; 
ich  bin  produktiver  als  je.     Lieber,   lieber  Freund,   es  um- 

*™'  '^'"  Ihr  Burckbardt. 

Ueber  14  Tage  weitere  Nachricht  aller  Art. 

Von  Lothar*)  das  nächstemal.  Er  hat  mich  hingerissen. 
Auch  Kugler  ist  (entzückt  davon). 

6.  Dem  Urmau.  Berlin,  7.  Dec.  1842. 

Geliebter  Freund! 

Hiermit  eine  Sendung  Allerlei,  welche  ich  Ihrem  Schutze 
anbefehle.  Ob  Ihnen  alles  zusagen  wird,  ist  höchst  zweifel- 
haft; ich  muss  also  eine  kleine  captatio  benevolentiae  voran- 
schicken. 

Die  drei  armen  TeufeP)  sind  in  einer  nicht  ganz 
natürlichen  Stimmung  geschrieben,  daher  der  etwas  gehetzte 
Humor;  auch  sind  sie  ganz  speziell  meinem  Freunde  Schauen- 
burg  bestimmt  gewesen  und  nur  eine  Kneipbande  von  3—4 
Andren  hat  sie  noch  zu  lesen  bekommen.  Daher  der  rüde, 
theilweise  gemeine  Kneipton,  der  über  dem  Ganzen  schwebt, 
und  den  Sie,  bitte  bitte,  im  Vorlesen  etwas  mildern  mögen. 

')  Toretrick  und  „Balder",  die  Bonner  Freunde,  studierleu  gleichzeitig 
in  Berlin. 

*)  L.  von  Lotbariugien,  Bonn   1842,  fdnfaktiges  Trauerspiel  von  Kinkel. 
*)  s.  Brief  2. 


22  ■  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Die  Julia  Alpinula^)  ist  binnen  einer  Woche  ent- 
worfen und  ausgeführt  und  durch  und  durch  ein  ziemlich 
schiefes  Produkt  ohne  rechten  Inhalt.  Ich  sende  sie  Ihnen, 
weil  ich  —  erschrecken  Sie!  —  alles  senden  will,  was  ich 
schaffe.  —  Das  Ding  umzuarbeiten,  hätte  der  Mühe  nicht 
gelohnt  — 

Das  umgearbeitete  Stück  aus  dem  Erzbischof  bitte 
ich  an  gehöriger  Stelle  einzufügen  und  dem  Habicht  die 
riöthigen  Anweisungen  zu  geben.  Das  beifolgende  Zusatz- 
blättchen  mit  seinen  Verbesserungen  wird  Ihnen  leider  wieder 
eine  Stunde  rauben,  es  soll  aber  gewiss  das  letzte  sein,  was 
ich  nachsende. 

Die  in  den  Maw's  und  den  Mawbriefen  enthaltenen 
Kleinigkeiten  sind  auch  hie  und  da  ein  wenig  frech.  Bitte, 
reden  Sie  das  Beste  dazu! 

Nun  zu  Plänen  und  Projekten  und  sonstigen  Arbeiten. 
—  Mein  Liederspiel  wird  wohl  ziemlich  schlecht  ausfallen, 
aber  ich  ^schreibe  eins,  damit  die  Concurrenz  zahlreicher 
werde.  Bei  Concurrenzen  habe  ich  mein  Lebenlang  nichts 
getaugt. 

Eine  lange  Novelle  geht  schief,  weil  ich  mich  ohne 
allen  Plan  ganz  weit  hineingeschrieben  habe. 

Ich  will  die  Zeit  bis  Neujahr  ganz  mit  poeticis  ver- 
dämmern und  nur  etwa  4  Stunden  des  Tages  der  Gelehr- 
samkeit widmen.  Sonst  habe  ich  nach  Neujahr  keine  Ruhe. 
Das  hat  der  scheussliche  Sommer  zu  verantworten;  ich  muss 
mich  jetzt  schadlos  halten. 

Ein  AusstoUungsboricht')  von  ßO  Pandektenseiten 
ist  Sonntags  glücklich  vollendet  worden.  Ich  hätte  mich 
nie  vermessen,  so  über  die  ganze  neuere  Kunst  abzusprechen, 
wenn  mich  nicht  Kugler  mit  aller  Gewalt  gezwungen  hätte, 
ihm  den  Bericht  abzunehmen,  weil  er  sich  mit  Rocht  davor 
scheute,  sicli  die  namhaftesten  Künstler  zu  Feinden  zu  machen. 
Ich  als  homme  sans  cons^quoucos,  den  kein  Mensch  kennt, 

')  Auch  Hrief  t;  erwähnt.  Der  M.-K.Jahrt;nnK  1K43  (Des.)  euthält 
a  ».  ein«  von  Wollert  geMichnete  Tilelvi|;iictte,  mit  Beiachrin:  „Dem  Ml 
JuHaa  Grabe  weinenden  Burckbardt  crurhcint  Alpiuti«  ul%  Geist  und  muntert 
ihn  «af,  sie  xu  betlegeo". 

*)  Rttentionen  Ober  die  KunttauMlelliing  von  184a. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Jobanna)  Kinkel.  23 

konnte  getrost  die  "Wahrheit  sagen.  Hätte  sich  Kugler  win- 
den und  drehen  wollen,  er  hätte  den  Bericht  auch  schreiben 
können,  aber  er  ist  einer  der  wahrheitsliebendsten  Menschen, 
die  mir  vorgekommen  sind.  Er  hat  meine  Arbeit  unbändig 
gelobt,  obschon  ich  sie  von  A  bis  Z  mit  bösem  Gewissen 
geschrieben  hatte.  —  Uebrigens  können  auch  meine  Finanzen 
ein  Honorar  von  33  Gulden  per  Bogen  trefflich  brauchen. 
Das  Kunstblatt  macht  sich  darin  sehr  nobel. 

Die  Uebersetzung  des  französischen  Prachtwerkes, 
von  welchem  ich  Ihnen  schrieb,  geht  ruhig  ihren  nichts- 
sagenden Gang  fort.  —  Endlich  brüte  ich  über  einem  Trauer- 
spiel, das  aber  schon  desshalb  nichtswürdig  ausfallen  muss, 
weil  ich  dergleichen  nie  recht  überlege,  sondern  mit  wüthen- 
der  Schnelligkeit  ausarbeite  und  dann  nachher  nie  verbessern 
mag;  das  Produkt  scheint  dann  der  Mühe  nicht  zu  lohnen. 
Ueberhaupt  treibe  ich  dergleichen  nur  zur  Uebung  in  der 
Darstellung.  Zum  Dramatiker  bin  ich  nicht  einmal  ver- 
dorben, sondern  gar  nie  angelegt  gewesen.  Wenn  ich  Ihren 
Lothar  lese,  so  springe  ich  auf  und  denke,  das  muss  fainos 
sein,  solche  Sachen  auch  schreiben  zu  können  —  und  mac^e 
dann  Pläne  und  Luftschlösser. 

Ueberhaupt  kenne  ich  kein  so  anregendes  Stück  wie 
den  Lothar.  Ich  glaube,  Ihre  hegelin gischen  Freunde  sind 
in  ihrem  Urtheil  über  den  Charakter  der  Hauptperson  ein- 
seitig und  in  Doktrinen  befangen.  Mir  kommt  die  Sache 
so  vor: 

Die  bisherigen,  von  Lessing  und  Schiller  abhängigen 
Dramatiker  sind  Idealisten ;  d.  h.  sie  verlangen  1)  strikte  und 
klare  ethische  Gegensätze,  2)  dem  gemäss  auch  eine  mora- 
lische Gerechtigkeit  des  Poeten.  Die  Tugend  muss  auch  im 
Untergehen  noch  geistig  siegen,  die  Zuhörer  müssen  was  man 
nennt:  befriedigt  werden. 

Ihr  Lothar  aber  ist  eins  von  den  Stücken,  welche  einen 
Uebergang  bezeichnen  von  der  ethisch  idealen  Richtung  zur^ 
realen  fatalistischen  im  echten  historischen  Sinne.  Hier  sind 
die  ethischen  Conflikte  Nebensache  und  bedingen  mehr 
Schmuck  und  Haltung  des  Stückes  als  den  eigentlichen  Kern. 
Die  Hauptsache  aber  sind  historische,  somit  unlösbare 
Conflikte  streitender  Weltmächte,  wo  sich's  erst  zeigen  muss 


2±  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

wer  gewinnt,  damit  man  wisse  wer  Recht  hat.  Ich  halte 
diese  Art  für  eine  höhere,  poetisch  reichere,  Ihren  Schritt 
aber  für  einen  Fortschritt.  —  Denn: 

Es  entsteht  ein  unendlicher,  von  Ihnen  zuerst  mit  kecker 
Hand  (und  doch  vielleicht  unbewusst?)  ausgebeuteter  Reiz 
für  den  Zuschauer  resp.  Leser,  dadurch  dass  die  Gegensätze 
der  Weltmächte  für  die  betreffenden  Personen  und  Zeiten 
in  ethischer  Hülle  erscheinen,  während  der  Zuschauer  in 
seinem  modernen  Bewusstsein  sehr  wohl  weiss,  dass  dies 
nicht  ihre  Natur,  dass  ihr  Conflikt  ein  nur  durch  die  Zeit 
und  ihre  Entwickelungen  lösbarer  ist. 

Damit  erst  ist  die  wahre  Geschichte,  die  im  Grossen 
kein  Gut  and  Böse,  sondern  nur  ein  So  oder  Anders 
kennt,  ins  Drama  ausgegossen.  Damit  erst  eröffnet  sich 
eine  volle,  unendliche  Quelle  der  Individualistik,  die  dem 
bloss  moralischen  Dramatiker  und  seinen  ethischen  Gegen- 
sätzen verschlossen  bleibt. 

Mein  Satz,  den  ich  hieraus  ziehe,  ist  somit  folgender: 
Jeder  durch  seine  Zeit  berechtigte  Charakter  (wenn  er 
anders  ein  poetischer  ist)  ist  dramatisch  darstellbar,  und 
wir  müssen  zu  seinen  Gunsten  unsem  alten  moral-dramati- 
schen  Masstab  aufgeben. 

Sie  werden  vielleicht  vor  diesen  Consequenzen  erschrecken 
and  mit  gutem  Gewissen  betheuern  können:  es  hätte  Ihnen 
ein  Gegensatz  von  Gut  und  Böse  vorgeschwebt.  De  facto 
aber  stirbt  Ihr  Lothar  doch  versöhnt,  gegen  die  gewöhn- 
liche poetische  Gerechtigkeit  und  ich  finde  darin  einen 
grossen  Fortschritt. 

Ein  Uebalstand  würde  erst  dann  eintreten,  wenn  ein 
Dramatiker  die  Gesetze  der  ewigen  Moral,  die  zu  allen 
Zeiten  gilt,  absichtlich  übersehen  wollte.  Unsere  bisherigen 
Dramatikor  haben  aber  den  entgegengesetzten  Mangel,  sie 
tragen  auch  das,  was  an  der  Moral  bloss  ihrer  Zeit  an- 
gehört, auf  ihren  Gegenstand  über  und  erheben  es  sogar 
zain  dramatischen  Hauptmotiv.  —  Ich  weiss  wohl,  mit  alle- 
dem habe  ich  doch  den  Nagel  nodi  nicht  auf  den  Kopf 
getroffen,  vielleicht  bin  ich  später  einmal  klüger. 

Eintheiiung,  Charakteristik  und  Auüführung  sind  mächtig 
•cbOo.    Das  Stück  ist  hie  und  da  noch  herbe,  weil  Sie  sich 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  25 

aus  übergro8ser  dramatischer  Keuschheit  so  sehr  vor  aller 
SeDtimentalität  gescheut  haben.  Besonders  wunderbar  ist 
es,  dass  Sie  bei  dem  höllentiefen  Gehalt  des  Stücks  so  viele 
brillante  Bühneneffekte  haben  hineinbringen  können.  So 
das  prächtige  Einschreiten  Rodoalds  im  zweiten  Akte  bei 
der  Vermählung,  der  ganze  dritte  Akt,  das  Gebet  des  Papstes! 
im  vierten  Akt  die  Entschleierung  Thietbergens,  vor  Allem 
die  Trennung  von  Waldrade!  und  die  herrlichen  Schlussreden 
Lothars.  Im  fünften  Akte  der  Schwur  Lothars  hinter  der 
Szene  und  der  ganze  Schluss.  — 

Ich  habe  unlängst  meine  Exzerpte  aus  Hincmar,  Annales 
Fuldenses  etc.  vorgenommen  und  Sie  von  Neuem  bewundern 
müssen.  Wie  in  aller  "Welt  haben  Sie  aus  diesem  schmutzi- 
gen Stoff  diess  schöne  Drama  herausgebracht?  — 


Beyschlag  wird  mir  jeden  Tag  lieber.  Wie  vieles  hat  er 
von  Ihnen  angenommen,  so  dass  ich  Sie  wieder  darin  er- 
kenne! Auch  Wolters  ist  ein  lieber  Junge.  Wir  leben  wie 
die  Engel  im  Himmel.  Die  Dienstage  werden  in  B.'s  Kneipe 
gehalten  und  sind  mir  Festtage. \) 

Wir  alle  leben  in  gespannter  Erwartung  in  Betreff  Ihrer 
„Geschichte  des  Heiden tumes."  *)  Werden  Sie  nicht  endlich 
inne,  geliebter  Freund,  dass  die  Hauptseite  Ihres  Wesens  die 
gestaltende  Kraft  ist,  dass  somit  die  Theologie  auf  die  Länge 
nicht  Ihre  Sache  sein  kann  ?  Und  nun  diese  hässliche  Ortho- 
doxie mit  ihren  Quälereien  und  Verfolgungen!  —  Ich  erachte 
es  für  den  entscheidenden  Schritt  in  Ihrem  Leben,  dass  Sie 
aich  der  Darstellung  zuwenden  —  denn  diese  wird  Sie  nicht 
mehr  loslassen.  Die  Geschichte  wird  Ihnen  treu  bleiben 
und  Sie  werden  von  der  Geschichte  auch  nicht  mehr  weg- 
kommen.   Verzeihen  Sie  diesen  meinen  Vorwitz.    Renegaten 

müssen  keilen.  

8.  Dez.  42. 

Fast  hätte  ich  vergessen,  Ihnen  meine  Erwartungen  in 
Betreff  des  Bühnensuccesses  Ihres  Lothar  mitzuteilen.  Ber- 
lin  wird   ihn  zurückweisen;   die   Intendanz   darf   es   nicht 

>)  Anschaulich  und  dankbar  schildert  das  Beyschlag  selbst  bei  Trog, 
S.  38—40. 

•)  s,  Vorbem.  zu  Brief  3. 


20  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

wagen,  ein  Stück  in  Szene  zu  setzen,  bei  welchem  der 
hiesige  feinere  Pöbel  gleich  Tendenzen  wittern  und  dem- 
gemäss  ,.freimüthig"  seine  ^Gesinnung"  durch  die  altbekann- 
ten Zeichen  ausdrücken  würde.  —  Erst  wenn  Lothar  von 
andern  Bühnen  aus  nach  Berlin  kommt,  dann  sind  die  Ber- 
liner mäuschenstill  und  werden  ihn  prächtig  finden.  —  Von 
Kölln  hoffe  ich  wegen  der  kathol.  Prüderie  nichts,  dito  von 
München;  aber  auf  Stuttgart,  Frankfurt,  Hamburg 
und  "Weimar  wäre  schon  zu  bauen. 

üebrigens  geben  Sie  nur  Acht!  die  kathol.  Blätter  wer- 
den Ihnen  bald  Knixe  schneiden,  die  Ihnen  recht  unbequem 
werden  könnten!  Es  ist  sehr  gut  gethan,  dass  Sie  in  Ihre 
Gedichte  einigen  Liberalismus  verwoben  haben.  Das  wird 
wenigstens  von  dieser  Seite  dem  (Gehetz?)  bald  Einhalt  tliun. 
In  Bonn  werden  die  (p.  p.)  Madammen  sagen,  Frau  Directrix 
hätte  Sie  katholisch  gemacht.  Von  dem  was  geschichtliche 
Betrachtung  ist,  hat  heutiges  Tages  selten  ein  Mensch  einen 
Begriff. 

Mit  den  Liederspielen  hoffentlich  ein  mehreres.  Für 
alle  Ihre  Freundschaft  meinen  innigsten  Dank!  Leben  Sie 
wohl,  geliebter  Freund!    Ihrer  gedenkt  sehnsuchtsvoll  Ihr 

Burckhardt. 

Ihre  Predigten  haben  mir  viel  zu  denken  gegeben;  hätte 
man  mir  immer  so  gepredigt,  ich  wäre  kein  solcher  Heide. 

P.  S.  Die  armen  Teufel  und  Julia  gehören  dem  M.  K. 
Archiv;  nur  bitte  ich  wenigstens  letztere  recht  tief  unten 
zu  legen,  damit  sie  nicht  Jeder  findet. 

7.  Berlin,  26.  Dec.  1842. 

Geliebtor  Freund! 

Ich  bätto  eigentlich  spätstens  gestern  an  Sie  schreiben 
sollen,  aber  ein  Spaziergang  im  Thiergarten  (in  Folge  eines 
sehr  fröhlicbeu  Weihnachtsabends) ')  machte  solclies  unmög- 
lich. — 

Nun  vorerst  die  Geschäfte:  (folgen  fünf  umfangreiche 
Notizen  über  notwendige  Korrekturen  zum  Conrad  von  Hoch- 
•toden  —  und  die  Schlussbemerkung).    Und  nun  nochmals 

*)  Mit  Baldcr  und  Toritrick. 


Briefe  Jakob  Biirckhardts  an  Gottfried  (und  Johapna)  Kinkel.  27 

Dank  und  abermals  Dank!  Was  hätte  ich  in  der  Welt  an- 
fangen wollen,  wenn  es  nicht  so  viele  gute  Menschen  gäbe, 
die  mir  weiter  helfen!  — 

(Das  Folgende,  woraus  wiederum  viel  bibliographisches 
Detail  hier  erspart  wird,  erklärt  sich  aus  Kinkels  lebhaftem 
dramaturgischem  Interesse  an  dem  Martellstoff  und  geäusser- 
ter Bitte  um  Quellennachweise.) 

Mein  Carl  Martell  ist  seit  vollen  2  Jahren  fertig  und 
steht  Ihnen  zu  Diensten.  Ich  latinisiere  jetzt  bloss  einige 
bes.  critische)  Stücke  daraus,  weil  in  Basel  der  doctorandus 
neben  einer  deutschen  Arbeit  (dem  Conrad)  auch  eine  latei- 
nische (,.Quae8tiones  Martell ianae"!  — )  einsenden  muss.  — 

Ich  will  es  so  machen:  —  Ich  sende  den  Carl  Martell 
mit  den  Liederspielen  und  Sie  behalten  ihn  dann  bis  ich 
nach  Bonn  komme  und  ihn  in  meinem  Koffer  mitnehme.  — 
Er  ist  übrigens  weniger  darstellender  als  critischer  Natur. 

—  Auch  das  Excerpt  aus  Capefigue  würde  ich  Ihnen  gleich 
raitsenden,  wenn  nicht  über  die  Weihnachtsferien  die  Büche- 
reien hierselbst  geschlossen  wären. 

Sie  werden  übrigens  aus  meiner  Darstellung  sehen,  dass 
es  des  religiösen  Motivs  (was  sonst  poetisch  gar  brauchbar 
wäre)  nicht  bedurfte,  um  den  Abderrahman  gegen  Munuza 
aufzubringen;  indem  letzterer  mitAquitanien  im  Bunde  stand. 
Für  den  ersten  Heisshunger  lesen  Sie:  Lembke  (u,  s.  w.). 

Mich  wundert,  wie  Sie  die  Sache  fassen;  die  ziemlich 
dunkle  Aquitanenwirtschaft  der  Eudonen  wird  Sie  vielleicht 
am  Stoffe  irre  machen,  vielleicht  nur  noch  mehr  begeistern. 

—  Mit  sämmtlichen  Quellen  steht  es  dabei  fatal;  man  muss 
sich  aus  deren  Armseligkeit  zuerst  ein  Mosaik  zusammen- 
setzen, ehe  eine  kulturhistorische  Gesammtanschauung  auf- 
taucht. Da  giebt  es  keine  solche  alte  Plaudertasche  wie 
Caesarium  Heisterbacensem! ')  Die  betreffenden  Vitae  Sanc- 
torum,  welche  noch  am  ehesten  daranstreifen,  sind  doch  gar 
zu  starr!  Einer  hat  immer  die  Lobpreisungen  eines  Andern 
über  einen  andern  Heiligen  abgeschrieben  .... 

....  Ich  würde  Ihnen  rathen,  wenigstens  für  die  Fort- 
setzer des  Fredegar,  Gregorii  Turonensis  opera  (ed.  Rui- 

')  De&seo  „Dialogus"  viel  Stoff  für  den  Conrad  von  Hocbstaden  ge- 
liefert hatte. 


82  .       Rudolf  Meyer-Kraemer. 

nart)  vorzunehmen.  Die  Fortsetzer  sind  Esel,  aber  wichtige 
Esel,  weil  sie,  wenn  auch  nicht  jährlich,  doch  etwa  von  5 
zu  5  Jahren  ihre  dürre  Wissenschaft  nachgetragen  haben  ,  .  . 

Wenn  Sie  einiges  in  der  Geschichte  ändern,  so  muss 
sie  sich  dramatisch  zurechtsetzen  lassen.  Sie  sind  der  Hexen- 
meister dazu,  so  was  zu  arrangieren.  0  es  liegen  noch 
mehrere  dramatische  Stoffe  im  Carl  Martell,  so  z.  B.  sein 
Auftreten  und  sein  Ende.    Vielleicht  giebt's  eine  Trilogie.  — 

Das  wichtigste  wird  ein  genaues  Studium  der  Aquitanen- 
wirtschaft  sein,  welche  hübsch  zwischen  Thür  und  Angel 
lagen  .... 

Nun  allseitige  herzliche  Neujahrswünsche !  d.h.  nur  vor- 
läufige, denn  die  rechten  kommen  erst  mit  den  Liederspielen, 
welche  Sie  wenigstens  amüsieren  werden. 

Leben  Sie  wohl,  geliebter  Freund,  Ihrer  gedenkt 

beständig  Ihr 

Burckhardt. 
*  * 

.  „Ich  bin  produktiver  als  je",  hatte  Burckhardt  ein  Viertel- 
jahr zuvor  geschrieben  (Brief  B,  Schluss).  Er  steckte  jetzt  aktiv 
und  passiv  recht  in  der  Belletristik;  hier  ein  Beleg  dafür. 
Nicht  bloss  dem  „Maikäfer"  lieferte  er  das  verheissene  Lieder- 
spiel („Die  Teufelsmauer")  und  die  Fortsetzung  eines  schon 
1842  angefangenen  „Romans  vom  Kandidaten  Schnipselius", 
sondern  fand  auch  noch  Zeit,  einem  Kollegen  Kinkels,  dem 
Privatdozenten  Dr.  Laurentius  Lorsch,  für  dessen  „Verona" 
(wie  es  scheint,  ein  Niederrheinisches  Taschen-  oder  Jahr- 
bach) beizutragen,  —  ein  Blatt,  in  dasgelegentlich  auch  Kinkel, 
liauke  und  v.  Sybel  schrieb.  Schon  begann  auch  der  (-re- 
dsnke  an  akademische  Lehrthätigkeit  vorauszuwirken,  so 
etwas  wie  ein  Kolleg  über  germanische  Urzeit  allmählich 
vorzabereiten.  —  Kinkels  literarische  Unermüdlichkeit  hatte 
etwas  Anspornondes:  Horbdt  1842  hatte  er  ein  romantisches 
Sobautptel  mit  Gesang  in  vier  Aufzügen,  „Die  Assassinen", 
geschrieben;  Neujahr  1848  erschienen  seine  gesammelten 
Gedichte,  und  daswiiohen  hatte  er  mit  Freiligrath,  der  so- 
eben in  St.  Goar  ansissig  geworden  war,  sich  zur  Heraus- 
gabe eines  poetifchen  Jahrbuches  vereinigen  wollen,  ein  Plan, 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  29 

der  freilich  scheiterte.  —  Burckhardts  Hochschätzung  für 
Theodor  Mundt  überrascht;  die  Jüngeren  wenigstens  kennen 
kaum  noch  sein  Verdienst. 

8.  Dem  Urmau. 

Berlin,  7.  Februar  1843. 
Mein  theurer  Freund! 

Ihre  Briefe  haben  mich  eine  Zeitlang  in  jenen  contem- 
plativ-träumerischen  Zustand  versetzt,  der  bei  mir  die  Er- 
innerung guter  Tage  zu  begleiten  pflegt.  Vorgestern  Abends, 
als  ich  eben  wieder  einen  Probebogen  des  Erzbischoffen  nach 
der  Post  gebracht  hatte,  fiel  mir  ein :  Du  hast  einen  Rthlr. 
in  der  Tasche  und  man  giebt  den  „Feensee"!  —  Da  konnte 
ich  der  Lust  nach  den  schönen  Dekorationen  von  Kölln  und 
der  Umgebung  nicht  widerstehen  —  auch  daran  waren  Ihre 
Briefe  Schuld.  Als  im  dritten  Akt  der  Zwischenvorhang 
aufflog  und  nun  hoch  im  klaren  Dufte  der  Dom  schwebte, 
musste  ich  weinen  vor  Freude.  —  Die  Oper  selbst,  die  ich 
schon  längst  kannte,  hat  mich  trotz  ihres  oberflächlichen 
Glanzes  doch  hingerissen,  wie  es  wahrhaft  gute  Musik  nie 
thut  Wenn  ich  Gluck  und  Mozart  höre,  so  bin  ich  viel  zu 
aufmerksam  und  zu  genussüchtig,  um  mich  der  eigentlichen 
Gesammtwirkung  der  Töne  so  ganz  hinzugeben,  dagegen 
lässt  sich  bei  Auber'scher  Musik,  wo  am  Einzelnen  nicht  viel 
zu  geniessen  noch  zu  verlieren  ist,  so  vortrefflich  träumen 
und  simulieren;  da  nioimt  mich  die  Gesammtmacht  der  Töne 
als  solcher  (ohne  Rücksicht  auf  Composition)  auf  ihren  Flügeln 
mit  sich  fort,  und  das  sind  dann  Augenblicke  voll  Poesie 
und  harmonischen  Einklangs  meines  Innern  Menschen.  — 
In  dieser  glückseligen  Stimmung  kam  mir  mein  bevorstehen- 
der "Weltgang  als  etwas  so  schönes  und  poetisches  vor!  Ich 
pries  mich  glücklich.  — 

Dass  Ihnen  mein  Carl  Martell  behagt,  freut  mich  ausser- 
ordentlich, wie  mir  denn  überhaupt  viel  mehr  drtrum  zu 
thun  ist,  ob  jemand  meinen  Beruf  zur  Geschichte  anerkennt, 
als  um  Anerkennung  meiner  Verse.  Lassen  Sie  mich  hier- 
über ausreden. 

Ich  weiss  sehr  wohl,  dass  ich  mit  meiner  Lindscbafts- 
Miniaturmalerei  und  meiner  Kleinlyrik  mir  einen  gewissen. 


30 


Radolf  Meyer-Kraeraer. 


Kreis  von  Lesern  und  Freunden  günstig  stimmen  könnte, 
aber  für  solche  Rühmchens  danke  ich ;  ein  Zeitdichter  kann 
ich  doch  nicht  werden.  Ich  beschränke  mich  daher  mit  meinen 
Versen  darauf,  hie  und  da  meinen  Nächsten  ein  Vergnügen 
zu  machen.  —  Aber  ein  Zeitgeschichtschreiber  möchte  ich 
gerne  werden!  — 

Ich  habe  schon  mehr  als  einmal  an  meinem  Berufe  zur 
Geschichte  verzweifelt,  und  dazwischen  kommt  mir  dann 
doch  wieder  vor,  als  sei  es  meine  Bestimmung,  besonders 
das  Mittelalter  auf  eine  neue  Weise  darzustellen,  interessanter 
als  es  bisher  geschehen.  —  Ich  gäbe  alle  Anerkennung  die 
ich  als  Poet  auch  im  allergünstigsten  Falle  finden  könnte, 
herzlich  gerne  um  die  Gewissheit,  in  der  Geschichte  etwas 
wahrhaft  Neues  zu  leisten. 

Meine  Novelle^)  geht  schief;  ich  kann  sie  nicht  mehr 
fortsetzen.  Dagegen  hoffe  ich  von  der  nächsten  Zeit  einige 
Lyrik  und  eine  Ballade.  Lebte  ich  nur  nicht  in  einer  so 
unsäglichen  Zerstreuung!  — 

Ich  habe  den  Ammianum  Marcell.  mit  Andacht  durch- 
gelesen und  auch  für  Ihr  Heidenthum*)  manches  Wichtige 
gefunden.  Die  betreffenden  Nachweisungen  bringe  ich  Ihnen 
an  den  Rhein  mit,  um  Ihnen  das  Durchlesen  des  ganzen 
dicken  Schmökers  zu  ersparen, 

Ach  was  haben  Sie  mit  dem  Heidenthuin  für  einen 
glücklichen  Wurf  gothan!  —  Das  wird  das  erste  lesbare  Werk 
über  alte  Geschichte.  Gibbon")  ist  doch  in  der  Anschauungs- 
weise veraltet.  —  Die  Philologie  beweist  ihren  geistigen 
Bankerott  immer  mehr  dadurch,  dass  sie  noch  nicht  Eine 
gute  DardtelluDg  des  Altorthums  hervorgebracht  hat.  — 
Niebuhr  ist  bloss  zum  Studieren;  —  zum  Lesen  scheusslicli. 
Uebor  Griechenland  existiert  noch  nichts;  Ottfriod  Müller 
hatte  bloss  gelehrte  Zwecke.  Man  wird  noch  den  Triumph 
erleben,  dass  die  erste  lesbare  alte  Geschichte  ohne  Zuthun 
der  Philologen  ans  Tageslicht  treten  wird.  —  Die  Philologie 
ift  jetzt  nur  noch  eine  Wissenschaft  zweiten  Ranges,   so 


')  In  Brief  $  vertpro^m. 

*)  Siebe  Itrief  3. 

*t  ErKbieti  1788  mit  Mintm  uniterblichen  Werkt. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  au  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  7  i 

grosse  Airs  sie  sich  auch  giebt.  —  Lesen  Sie  doch  auch 
Philostratus'  Vita  Apollon.  Tyan.,  es  ist  ein  kurioses,  tolles 
Buch.  —  Sie  kennen's  wohl?*) 

Balder  oxt  jetzt  an  seinem  Nicolaus  I.  Ich  freue  mich 
auf  den  Spektakel,  wenn  ihm  der  Stoff  in  hohen  Wellen 
über  dem  Kopf  zusammenschlägt.  Er  ist  beharrlich  und 
wird  etwas  durchsetzen. 

Für  die  Verona  habe  ich  eine  kleine  Arbeit  zur  Hälfte 
geschrieben  —  das  Ding  missfällt  mir  aber  jetzt  so,  dass 
ich  es  gar  nicht  fertig  machen  mag.  Wenn's  bis  morgen 
Abend  fertig  werden  sollte,  so  schick'  ich's  mit.  —  Dass  aus 
dem  Unternehmen  mit  Freiligrath  nichts  geworden  ist,  thut 
mir  bloss  um  Ihretwillen  Leid;  mir  selbst  geschieht  damit 
kein  Unglück.  Warten  Sie  nur,  wenn  meine  Reise  mir  recht 
viele  gute  Laune  giebt,  so  liefre  ich  einen  ganzen  Scheffel 
Reiseliedchen,  die  dann  einen  Gesammtcorpus  bilden  mögen. 
Vielleicht  ist  Paris  hierin  auch  ergiebig.  Bei  dem  jetzigen 
totalen  Verstummen  der  politischen  Poesie  nimmt  man  viel- 
leicht wieder  mit  solch  leichter  Waare  vorlieb.  Davon  können 
Sie  dann  bei  Gelegenheit  in  die  Welt  spedieren,  soviel  Sie 
wollen.  —  Wären  nur  Ihre  Gedichte  bald  da!  — 

Abends  5  Uhr. 
So  eben  komme  ich  von  einem  Besuche  zurück;  — 
ratlien  Sie  bei  wem  ich  war?  —  Bei  Theodor  Mundt.  Ich 
war  dem  Mann  nach  Lesung  seiner  Schriften  so  gut  geworden, 
dass  ich  dachte:  den  musst  du  kennen  lernen;  er  muss  zu- 
gänglich sein,  da  die  öffentliche  Gunst  sich  von  ihm  ab- 
zuwenden beginnt.  Und  so  nahm  ich  vor  einer  Stunde  die 
Handschuh  in  die  Tasche  und  den  Weg  unter  die  Füsse  und 
Hess  mich  melden.  Ich  fand  ihn  mit  seiner  Frau,  Louise 
Mühlbach,  und  kundschaftete  ihn  aus  über  die  Freiburger 
Jesuiten   und  über  Paris  u.  s.  w.     Er  war  äusserst  gefällig 

')  Den  schwierigen  Problemen  des  Quasievaugeliums  über  diesen  Mittler 
westö&tlicber  Religionen  und  Philoscpheme  (an  das  sich  nur  wenige  wagen) 
glaubt  mau  neuerdings  durch  den  Nachweis  beizukommen,  Ap.  sei  ein  durch 
hellenische  Bildungsgänge  geläuterter  stammechter  und  ursprungsstolzer  Athravan 
(persischer  Feuerpriester),  ein  arestagläubiger  Grosskophta  pythagoreischer 
Observanz  gewesen. 


32 


Rudolf  Mever-Kraemer. 


und  liebenswürdig,  unsere  Unterhaltung  frei  und  leicht.  Ich 
werde  ihn  noch  öfter  sehen.  —  Was  mich  bewog,  ihn  auf- 
zusuchen, war  das  lebhafte  Gefühl,  dass  Mundt  ein  Charakter 
sei  und  dass  ihm  Tausende  Unrecht  thun  und  gethan  haben, 
während  er  doch  einer  von  denen  ist,  welche  das  moderne 
Leben  am  gründlichsten  zu  deuten  wissen.  — 

Ihre  Assassinen  sind  ein  ganz  vorzüglicher  Opemtext; 
wie  machen  Sie  es,  um  so  viele  Effekte  mir  nichts  dir  nichts 
in  solch  ein  Ding  zu  bringen?  —  Das  ist  alles  so  brillant 
und  so  frisch,  man  wird  auf  der  Bühne  erstaunen.  Ich  möchte 
die  Melodien  der  Directrix  hören!  —  Die  Situationen  sind 
fast  alle  schon  an  sich  musikalisch  und  brechen  so  mit  Not- 
wendigkeit in  Lieder  aus,  was  das  einzig  Richtige  beim 
Liederspiel  sein  wird.  —  In  der  Teufelsmauer  ist  alles  so 
willkürlich  hineingesetzt  und  könnte  ebenso  gut  anders  sein. 
Das  ganze  Intermezzo  habe  ich  nur  hineingesetzt,  um  ein 
Musikstück  mehr  zu  bekommen. 

Uebrigens  wird  vielleicht  nach  und  nach  auch  das  ma- 
terielle Loos  deutscher  Operncomponisten  und  dann  inclusive 
das  der  Librettisten  sich  bessern  und  dann  wird  ein  guter 
Opemtext  auch  honoriert  werden  können,  wie  jetzt  in  Frank- 
reich; Cammarano  hat  von  Donizetti,  St.  Georges  von  Adam 
ganz  enorme  Summen  für  ihre  schlechten  Texte  bezogen. 
Und  ein  Honorar  ist  nothwendig,  da  an  einem  Opemtext  gar 
viel  Arbeit  und  Handwerk  ist.  St.  Georges  bezieht  für  einen 
dreiaktigen  Text  immer  2000  Francs,  und  was  liefert  er  für 
Zeug!  bloss  bühnengerecht,  sonst  keinen  Teufel  werth.  — 
Und  dann  kriegt  er  erst  noch  kleine  Tantiemen. 

Noch  ein  Wort  über  Carl  Martell.  Ich  lasse  ihn  nie 
drucken  and  betrachte  ihn  rein  als  Vorarbeit  zu  meinem 
Projekt:  das  alte  AUemannien  zu  schildern.  Unlängst  machte 
ich  Jacob  Grimm  meinen  Besuch  and  sachte  die  wichtigsten 
Beraltato  Über  AUemannien  von  ihm  herauszubringen.  Aber 
Jacob  Grimm  giebt  nur  unendlichen  Stoff  zu  Resultaten, 
niobi  letetere  selbst.  Einiges  Hochwichtige  habe  ich  aus 
ihm  doch  hersosgof ragt ,  aber  mit  Mühe.  Und  doch  ist 
er  so  gat  aod  freundlich  und  hält  mit  Willen  Nichts 
sarück. 


Briefe  Jakob  Barckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^2 

Von  dem  Erzbischoffen  erwarte  ich  jetzt  den  vierten 
Bogen,  Ich  fürchte,  es  wird  mit  dem  Ding  dauern  bis  ich 
in  Bonn  bin.  Unlängst  ist  in  Basel  ein  lithograph.  Werk 
über  unser  Münster  herausgekommen,  wozu  ich  schon  183^ 
einen  schlechten  Text  geschrieben  habe,  der  mich  jetzt 
schändlich  ärgert.  Auch  die  Bilder  sind  sehr  unvollkommen 
und  das  Ganze  sieht  einer  Pariser  Spekulation  ähnlich.  — 

Ich  besuche  keine  Gönner  mehr,  weil  ich  mich  schlechter- 
dings nicht  mehr  dazu  entschliessen  kann,  einen  Schniepel 
anzuziehen.  Nur  zu  Leuten,  wo  man  in  Rock  erscheinen 
darf,  gehe  ich  noch  hin.  Von  Berlin  nehme  ich  gar  keine 
Notiz  mehr  und  verhärte  mich  geflissentlich  gegen  alles 
was  zu  dessen  äusserer  Erscheinung  gehört.  —  Meine  letzten 
unabhängigen  Monate  will  ich  mir  nicht  mit  Gesellschaften 
verbittern.  — 

Dem  Andreas  schreibe  ich  das  nächste  Mal. 

Leben   Sie   wohl,   geliebter  Freund   und   gedenken  Sie 

Ihres  sehnsüchtigen 

Burckhardt. 

(Quergeschrieben)     9,  Febr. 

Den  Schnipselius  bitte  ich  mir  zu  verzeihen.  Den  letzten 
Maw  werden  wir  ganz  mit  Lyrik  füllen. 

Sagen  Sie  Dr.  Lorsch,  man  möge  bei  der  Verona  keine 
Rücksicht  auf  mich  nehmen.  Vielleicht  schicke  ich  in  einem 
Monat  etwas;  kommt's  zu  spät,  so  behälts  der  Maw.  —  Vom 
Erzbischoffen  habe  ich  gestern  den  vierten  Bogen  corrigiert 
und  wieder  nach  Essen  geschickt. 

* 
♦  * 

In  besonders muntereLauneversetzteBurckhardtdieimmer 
näher  rückende  Aussicht  auf  Abreise  zum  „Weltgang"  und 
Wiedersehen  in  Bonn.  Dankbar  empfing  er  dorther  noch  zwei 
Gaben  des  MK:  „Der  letzte  Saltzbock,  politisches  Drama 
in  5  Aufzügen"  —  eine  Satire,  deren  Held  als  Missionar  in 
China  wirkt  — ,  von  Johanna  verfasst,  und  „Friedrich  Roth- 
bart in  Suza,  oder:  Vasallentreue",  ein  schon  .Juli  41  von 
Kinkel  geschriebenes  Lieder-  und  Lustspiel  in  3  Aufzügen. 

3. 


%^  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

9.  Dem  Urmau. 

,;.  Berlin,  3.  Merz  1843. 

Dieser  Brief,  viellieber  Freund,  wird  nicht  viel  Ge- 
scheidtes  enthalten.  Daran  ist  zum  Theil  das  P.  S.  Ihres 
Briefes  Schuld,  als  in  welchem  ich  so  furchtbar  um  einen 
Beitrag  für  die  Veronam  gezwiebelt  worden  bin,  dass  ich 
mich,  obwohl  von  Zeitmangel  hart  bedrängt,  hinsetzte  und 
einen  schon  begonnenen  Aufsatz  um-  und  zu  Ende  schrieb. 
Was  dabei  herausgekommen  ist,  sehen  Sie  an  beiliegendem, 
klngthuenden  Wisch,  welchen  ich  womöglich  zu  lesen 
und  falls  er  Ihnen  missfällt,  sammt  dem  Brief  an 
Lersch  zu  zernichten  bitte.  Glauben  Sie,  das  Ding 
könne  passieren,  so  schicken  Sie  es  gütigst  dem  Lersch, 
sammt  dem  Brief. 

Doch  halt!  im  Zemichtungsfalle  müssen  Sie  letzteren 
doch  zuerst  aufmachen  und  lesen  was  wegen  Ranke  drin 
steht.  Der  Halunke  hat  nichts  schreiben  mögen,  so  flehent- 
lich ich  drum  bat.  Dafür  wiederfuhr  mir  die  Gunst,  ihn  bei 
Lersch  entschuldigen  zu  dürfen!  — 

Sagen  Sie  dem  Lersch,  ich  hätte  mich  vielleicht  mit 
der  ganzen  Schreiberei  und  Einsendung  besser  bemühen  und 
sputen  können,  wenn  ich  nicht  wegen  mangelhafter  Ab- 
fassung des  Auftrages  schon  vor  einem  Monat  geglaubt  hätte, 
es  sei  zu  spät.  Hätte  ich  gewusst,  dass  es  bis  Anfang  Merz 
Zeit  habe,  so  würde  ich  wohl  einen  andern  Gegenstand, 
und  den  gründlicher,  behandelt  haben. 

Nun  ad  meliora.  Der  letzte  Salzbock  hat  mächtig  ge- 
wirkt und  ich  will  Hans  heissen,  wenn  so  etwas  anonym 
auf  dem  Bonner  Theater  vorgebracht  nicht  besser  amüsierte 
alt  alle  französ.  Conversatioiisstücke.  —  Sodann:  wir  haben 
Ihre  Gedichte  schon  im  November  bestellt,  es  sind  wohl 
mehr  als  5  Exemplare;  in  einigen  Tagen  muss  die  Sendung 
▼OD  Cotta  kommen.  Einstweilen  behelfen  wir  uns  mit  Haiders 
Eisemplar.  Hier  wird  es  mir  denn  nach  und  nach  möglieb, 
iio6D  Totaleindnick  von  Ihrer  Dichterlaufbahn  zu  gewinnen. 
O  wenn  ich  dran  denke,  —  es  ist  doch  schändlich,  dass  ich 
io  Bonn  so  rein  Bcbwiemol  war  und  so  rein  nur  für  mein 
Amüsement  sorgte!  —  Femer  den  Frits  in  Susa  habe  ich 
Docb  nicht  gelesen;   Frits  und  Salsbock  werden   circa,  den 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^^ 

16.  huju8  von  hier  abgehn,  hoffentlich  im  Geleit  bedeuten- 
der Briefe  und  andrer  Mawsachen, 

Vorliegender  Brief  ist  somit  ein  bloss  provisorisches 
Billet,  und  so  auch  der  an  die  hohe  Directrix. 

Heut  Nachmittag  fang  ich  an  den  Martell  zu  latinisieren 
(d.  h.  vier  Bogen  sind  Gottlob  schon  lateinisch  vorhanden), 
obschoD  der  erste  schöne  kalte  Tag  im  Jahr  ist,  der  wol 
nach  Tisch  ziemlich  warm  sein  wird. 

Sehen  Sie,  so  gewinne  ich  einen  schön  stylisierten  Ueber- 
gang  zu  dem  Hauptpunkt,  nämlich  meiner  Reise.  Und  jetzt 
halten  Sie  still,  denn  hier  ist  das  Zwiebeln  an  mir.  Wie 
können  sie  sich  unterfangen,  mir  1)  ein  so  schlechtes  Ein- 
sehen in  meinen  eigenen  Vortheil,  2)  eine  solche  Untreue 
gegen  Sie,  3)  eine  solche  Felonie  gegen  unsre  Lehnsherrinn 
zuzutrauen,  dass  ich  Bonn  schwänzen  könnte?  Da  Sie  sich 
aber  einmal  hier  schwach  im  Glauben  gezeigt  haben,  so  sehe 
ich  mich  nothgedrungen  veranlasst,  Ihnen  das  Evangelium 
der  Reise  wie  es  sich  nach  den  Synoptikern:  S.  Necessius, 
S.  Humorius  und  S.  Pecunius  gestaltet,  mitzutheilen.  Ich 
reise  circa  den  20,  Merz  von  hier  ab,  vielleicht  zuerst  noch 
in  den  Harz,  jedenfalls  aber  über  Naumburg  und  Jena.  Dann 
durch  das  Schwarzathal  (auch  wenn  Schnee  liegt)  nach  Co- 
burg und  Bamberg,  für  welches  ich  eine  grosse  alte  Inkli- 
nation habe.  Dann  (vielleicht  noch  bis  Nürnberg  und)  nach 
Würzburg,  von  wo  ich  durch  den  Odenwald  nach  Heidelberg, 
Weinheim,  Speyer  ziehe.  Dann  über  Worms,  Oppenheim, 
Nierstein,  Bodenheim,  Laubenheim  nach  Mainz  und  Frank- 
furt, wo  ich  circa  4  Tage  liegen  muss  wegen  alter  Schmöker. 
Dann  langsam  und  mit  Ausdruck  den  Rhein  abwärts.  Von 
Koblenz  aus  besuche  ich  u.  a.  Limburg.  —  So  lange  ich 
20. — 25.  April  in  Bonn  an,  und  bleibe  bis  zu  Ihrer  Hoch- 
zeit (dort).  Auf  diesem  vollen  Monat  Aufenthalt  ruhen 
(jedoch)  folgende  Servitute:  2—3  Besuche  in  Kölln,  eine  Ahr- 
tour,  ein  Besuch  in  Siegen  bei  meinem  Freunde  Schauen- 
burg,  der  sich  in  diesem  Monat  dort  als  Lehrer  am  Gym- 
nasium festsetzt  — 

Unmittelbar  nach  Ihrer  Hochzeit  fahre  ich  den  Rhein 
hinunter  nach  Cleve  zu  Siegfried  Nagel ')  und  von  da  nach 

')  Ein  unbekannter  Napae. 


56  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

Holland,  Belgien  und  Paris,  wo  ich  circa  20.  Juny  abzusteigen 
hoffe.  Unterwegs  hoffe  ich  viel  zu  zeichnen,  zu  dichten 
und  zu  trachten.  (Unter  letzterer  Rubrik  subsumiert  sich 
bummeln,  kneipen  u.  s.  w.)  —  Einen  kleinen  Koffer  schicke 
ich  nach  Bonn  voraus  und  reise  mit  einem  Ranzen  und 
Schlafrock.  —  Ein  spezielles  Augenmerk  richte  ich  diessmal 
auf  die  sächsische  und  fränkische  Byzantinik  und  die  Main- 
weine, von  welchen  ich  bisher  nur  den  Bocksbeutel  kenne. 

Vom  Conrad  ist  der  achte  Bogen  schon  corrigiert.  Ich 
erwarte  heut  den  neunten.  Im  Ganzen  werden  es  ihrer  eilf, 
die  ich  noch  alle  hier  zu  corrigieren  hoffe. 

Und  nun  Gott  befohlen,  liebster  Freund.  Ich  schreibe 
Ihnen  Mitte  dieses  Monats  noch  einmal  und  gebe  so  Gott 
will,  von  der  Reise  aus  ein  Lebenszeichen  nach  Bonn,  da- 
mit Sie  nicht  meinen,  ich  sei  abhanden  gekommen. 

Leben  Sie  wohl!    In  Sehnsucht  Ihr  getreuer 

Burckhardt. 

P.  S.  Balder  lässt  Ihnen  melden,  dass  die  Geschichte 
wegen  Marheineke')  bestritten  werde  und  nicht  völlig  gewiss 
sei.  Den  Brief  an  Herrn  Seibach')  trug  ich  gleich  beim 
Empfang  des  Paketes  auf  d.  Post. 

10.  '  Berlin,  15.  Merz  1843. 

Viellieber  Freund ! 
Vorerst  ein  Geschäft,  dessen  Besorgung  Ihnen  wohl 
Andreas  abnehmen  kann  —  sonst  würde  ich  Sie  nicht  da- 
mit behelligen  in  einem  Augenblick,  da  Ihre  Gedanken  wohl 
anderswo  sind.  Ich  habe  nemlich  durch  inliegendes  Billet 
Herrn  Habicht  beauftragt,  Ihnen  die  50  Exemplare  des 
Conrad,  der  wohl  jetzt  vollendet  sein  wird,  zu  überantworten. 
Ist  diesa  geschehen,  so  bitte  ich  Sie,  fünf  Exeinp).  zu  ver- 
pftcken  and  per  Post  nach  Basel  zu  senden  mit  der  Adresse: 
Antiites  Barckbardt  HochwUrden,  Basel,  (unfrankiert,  ver- 
steht steh.)  —  Den  Rest  beherbergen  Sie  gütigst,  bis  ich 
komme.  Das  soll  die  letzte  Mühe  sein,  die  Sie  mit  dem 
Opus  haben  werden. 

I)  Irgend  ein  Berliner  Klatsch  Über  den  berühmten  Theologen. 
*)  Richard  S.,  Theologe,  Jugendfreund  K.'n. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  au  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^-j 

Ihr  Friedrich  in  Suza  müsste  sich  auf  dem  Theater 
sehr  gut  und  rasch  ausnehmen.  Es  geht  die  Sage,  Sie  hätten 
ihn  binnen  24  Stunden  geschrieben,  was  ich  nicht  fasse.  — 

Sie  schreiben  von  Ihrer  Brautreise,  die  vielleicht  bis 
in  den  Schwarzwald  reichen  soll.  Nach  Basel  zu  gehn, 
kann  ich  Ihnen  mit  gutem  Gewissen  nicht  rathen  —  doch 
Sie  kennen  ja  das  Nest.  —  Aber  Freiburg  im  Breisgau,  eine 
der  herrlichsten  deutschen  Städte,  kennen  Sie  vielleicht  noch 
nicht.  Auch  mache  ich  Sie  auf  den  Odilienberg,  6  Meilen 
von  Strassburg  in  den  Vogesen,  aufmerksam,  von  wo  auch 
die  Alpen  sichtbar  sind.  Ich  bin  leider  nicht  selbst  oben 
gewesen,  es  soll  aber  der  reizendste  Bergwald  sein,  etwa 
1600'  über  der  Ebene.  Dazu  denken  Sie  sich:  drei  Klöster 
und  drei  Schlösser,  alles  von  einer  ungeheuren  sog.  Heiden- 
mauer, nämlich  einem  altceltischen  Felsenwall,  umschlossen. 
Sehen  Sie  die  Karte  in  Schöpflin  Alsatia  illustrata  Band  1. 
Zugleich  ein  höchst  poetisches  Lokal;  ein  alter  Stammsitz 
der  Etichonen,  welche  die  frühsten  allemann.  Duces  sind; 
eine  Tochter  Eticho's  war  die  heil.  Odilia,  die  hier  wohnte. 
Prächtige  Quellen;  alte  Kirchen  und  ein  sehr  gutes  Wirths- 
haus.  Fragen  Sie  doch  nach;  einer  von  Ihren  Bekannten 
muss  dort  gewesen  sein,  vielleicht  Lersch. 

Nun  sind  auch  Ihre  Gedichte  da;  mehrere  meiner  Be- 
kannten haben  sie  auch  bestellt.  Hier  will  ich  Ihnen  aber 
keine  Recension  hinschreiben,  weil  ich  über  manches  münd- 
lich mit  Ihnen  sprechen  will.  Einstweilen  pack'  ich  sie  zu 
mir  in  den  Tornister  und  lese  unterwegs  das  Tjesbare,  und 
singe  das  Sangbare.    Ist's  so  recht?  — 

16.  Merz,  in  Eile. 
Da  ich  gar  nicht  mehr  weiss,  was  Zeit  ist,  und  im 
Strudel  eins  über  dem  Andren  vergesse,  so  kann  ich  Ihnen 
auch  jetzt  nur  noch  ein  paar  unvernünftige  Zeilen  hinsetzen. 
Dem  Andreas,  dem  ich  auch  nicht  mehr  schreiben  kann, 
will  ich  in  Bonn  zum  Ersatz  eine  kleine  Landschaft  zeichnen. 

Gestern  ist  hier  die  Petition  der  Stände  des  Grossherzog- 
thums  Posen  und  das  königliche  Responsum  in  den  Zeitungen 
erschienen.  Damit  fällt  ein  grelles,  schauerliches  Schlaglicht 
auf  die  Abgründe,  denen  wir  zueilen.    Man  sieht,  die  Maje- 


58  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

stät  glaubt  im  Rechte  zu  sein  und  in  der  That  ist  das  jetzige 
Staatsrecht  in  dem  Responsum  buchstäblich  vollkommen 
geschont.  Aber  schon  die  Billigkeit  ist  nicht  mehr  geschont, 
und  noch  weniger  die  offen tliche'Meinung  und  die  Sehnsucht 
der  Nation.  Wehe  dem  Rathgeber,  der  dem  König  diesen 
Schritt  eingab;  der  König  selbst  wird  ihm  einst  flachen, 
aber  wenn  es  zu  spät  ist.  Man  wagt  es,  einen  durch 
Stimmenmehr  bei  den  Ständen  durchgegangenen  Be- 
schluss  ein  Parteiwerk  zu  nennen!  —  Man  wagt  es,  den 
Ständen  wegen  dieses  Beschlusses  zu  drohen,  man  werde 
sie  nicht  mehr  zusammenberufen!  —  Mit  diesem  einzigen 
Wort  ist  Preussen  dem  Zustande  von  Hannover  gleichgestellt. 
Um  von  der  nochmaligen  in  recht  übler  Laune  gegebenen 
Ablehnung  der  Gesammtstände  zu  schweigen,  —  wie  muss 
der  König  berichtet  sein,  wenn  er  meint,  seine  Argumente 
gegen  die  Pressfreiheit  machten  noch  Eindruck  auf  das  Publi- 
kum! —  Ich  glaube  in  diesen  Sachen  jetzt  klarer  zu  sehen 
als  bisher,  und  so  scheint  mir:  der  König  ist  schon  frühe 
durch  seine  Lehrer  in  das  alte  Staatsrecht  (d.  b.  Absolutis- 
mus in  juridischer  Form)  festgebannt  worden  und  kann 
über  gewisse  Folgerungen  und  Fragen  nicht  hinauskommen, 
was  vielleicht  uns  in  seiner  Lage  auch  passieren  würde; 
ferner  ist  er  von  seiner  Umgebung  viel  abhängiger  als  man 
glaubt,  und  diese  hüllt  ihn  täglich  mehr  in  eine  Anschauungs- 
weise hinein,  die  über  kurz  oder  lang  zu  einem  Bruche 
führen  muss.  Mir  ist  recht  weh  zu  Muthe,  wenn  ich  an 
diese  Dinge  denke;  es  ist  als  läge  das  Sohloss  von  Berlin 
unter  einem  düstern  Zauberbann  und  als  sehnte  sich  die 
Majestät  selbst  nach  Frieden,  Ruhe  und  Verständigung,  ohne 
doch  je  dahin  gelangen  zu  können;  denn  durch  die  ver- 
zaubert«)!!  Fenster  des  Schlosses  erscheint  die  Gegend  blühend, 
reich  und  friedlich,  während  doch  von  ferne  Klagen  und 
Stöhnen  schallt,  was  der  Minister  für  eine  Partei  Stimmung 
einigHf  böswilliger  Eichen  und  Tannen  ausgiebt,  die  mürrisch 
io  der  Ferne  ftehen. 

Addio   hersliebtr  Freund;   in   5  Wochen   bin   ich   bei 
I'>n«o!  Ihr  getreuer 

Burckhardt. 


Briefe  Jakob  Bnrckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^g 

Die  drei  Berliner  Semester  hatte  Burckhardt  gründlich 
ausgenutzt.  So  sehr  ihm  die  Stadt  und  das  Gebahren  ihrer 
GeSeilschaft  ^scheusslich^  dünkte  und  rein  negativ  auf  ihn 
wirktp,  so  emsig  war  er  doch  den  vorhandnen,  namentlich 
künstlerischen  Anregungen  nachgegangen,  hatte  u,  a.  Rezen- 
sionen über  die  Kunstausstellung  von  1842  geschrieben 
und  sich  vor  allem  an  Kugler,  den  nur  zehn  Jahre  älteren 
Lehrer,  immer  herzlicher  angeschlossen.')  Jetzt  aber  kam 
der  Augenblick  der  Trennung;  Burckhardt  erlebte  noch  die 
Freude  —  gerade  als  er  selbst  von  der  Universitätszeit  für 
immer  Abschied  nahm  — ,  dass  der  verehrte  Mann  mit  seiner 
Berufung  zum  Geheimen  Rat  im  Kultusministerium  einer 
noch  umfassenderen  Betätigung  seiner  reichen  Kräfte  ent- 
gegenzugehen schien. 

Mit  leichtem  Gepäck  schied  der  Exstudent  von  hinnen  — 
eben  brach  der  Frühling  an,'^)  —  und  offnen  Sinnes,  in  voller 
Wanderlust  zog  er  der  Elbe  zu,  das  Saaltal  aufwärts,  über 
denThüringerWald,  das  heimischere  südwestdeutsche  Becken 
zu  erreichen.  In  schönem  Wechsel  von  Arbeit  und  Genuss, 
zwischen  liebender  Betrachtung  alter  Architekturen  und 
fröhlicher  Zecherstimmung  mitten  hindurch,  gings  ^dichtend 
und  trachtend"^  weiter,  vom  Main  über  den  Neckar  zum 
Rhein,  mit  dessen  Talfahrt  seinen  gesegnetsten  Ufern  vorbei 
.langsam  und  mit  Ausdruck"  dieser  vierwöchentliche  Lenz- 
gang aufs  würdigste  beschlossen  wurde.  Dem  Maikäfer  zulieb 
und  dem  Versprechen  gemäss  hatten  unterwegs  einige  lyrische 
Grillen  gezirpt;  und  als  der  sehnlich  Erwartete  um  den 
20.  April  bei  den  Freunden  eintraf,  konnte  er  aus  seinem 
poetischen  Rucksack  wenigstens  drei  Gedichte  stürzen:  am 
24.  März  hatte  er  in  y,  Weissenf  eis,  vor  MüUner's  Hause**  für 
dessen  Schicksalsdrama  „Schuld"  einen  unschuldigen  Trost 
gefunden ;  am  28.  zu  Gotha,  auf  der  Terrasse  des  Schlosses, 
eine  schmerzlich  süsse,  zwei  Jahre  alte  Erinnerung  „an  H.  S.** 
in  Leipzig  aufgefrischt;  am  3.  April  „vor  dem  Dom  zuWorms" 
in  einer  Vision  Chriemhilds  und  Brunhilds  ein  Sinnbild 
Ghillia's  und  Germania's  gefunden,  die  beide  schliesslich  dem 
Slaventum   zu   erliegen   drohen.     Und    alsbald    nach    seiner 

')  „Als  ein  Kind  des  Hauses",  bezeugt  1855  die  Widmung  de«  Cicerone. 
*)  Am  22.  März  jjabcn  ihm  die  Freunde  den  Comitat. 


40 


Rudolf  Mevcr-Kracnier. 


frohen  Ankunft  schrieb  er  (*25.  April)  eine  Einleitung  nieder 
„zu  einem  projektierten  Maikäferdrama  Simson,  nebst 
Parabase*^. 

In  Bonn  fand  er  die  glücklichste  Stimmung  vor:  Kinkel, 
ven  Plänen  und  Hoffnungen  wie  immer  erhoben,  begann 
«oeben  mutig  sein  neues  Kolleg  über  Kunstgeschichte  zu 
lesen  und  sah  das  ersehnte  Ziel,  Johanna  nach  so  manchen 
Kämpfen  und  Anfeindungen  endlich  die  Seine  zu  nennen, 
in  wenig  Wochen  vor  Augen.  Und  wie  ihm  Burckhardt 
seither  immer  teurer  geworden,  zeigte  jetzt  der  Austausch 
des  brüderlichen  Du.  Den  Bund  besiegelte  ein  gemein- 
samer Pf ingstausflug  in  das  nahe  Ahrtal:  der 
Verfasser  des  „Konrad  von  Hochstaden^  wandelte  hier  auf 
den  Spuren  seines  Helden,  dessen  stolzes  Haus  in  diesem 
Gau  den  Sitz  seiner  Macht  gehabt;  der  Gefährte  und  Führer, 
der  jeden  Winkel  dieses  heimischen  Bodens  kannte,  fand 
da  den  Stoff  zu  seiner  spätem,  vielgelesenen  Dorfgeschichte 
^Margret".  Der  ganze  Zauber  holden  Mutwillens  und  bester 
Laune  umwob  diese  fünf  oder  sechs  Wandertage;  und  ob 
nun  die  beiden  zu  Altenahr  in  Caspari's  Gasthause  noch 
om  Mittemacht  eine  lustige  Gesellschaft  zu  romantischem 
Fackelzug  nebst  Quartettgesang  und  vaterländischem  Vivat 
in  die  düstere  Schlucht  des  ,^ Durchbrachst  hinaus  anführten, 
ob  sie  den  altkeltischen  Basalt  ring  des  ^Heidengartens" 
am  Hochtürner  durchmassen  oder  die  Quarztrümmer  der 
fjTeufelslei^,  das  alte  Satansscbloss,  unsicher  machten,  — 
ob  sie  von  den  stattlichen  Kuppen  der  Nürburg,  der  Hohen 
Acht,  des  Ahrernbergs  ins  weite  Land  schauten  oder  im 
Stftdtchen  Blankenheim,  an  der  Quelle  des  Flusses,  das 
T(k:hterleiu  der  würdigen  Gastwirtin  Le  Tixerand  neckend 
in  „Fräulein  Diiexerat"  umtauften  —  für  Burckhardt  blieb 
das  alles  auf  .Jahre  hinaus  „die  unsterbliche  Mairoise**,  „einer 
der  besten  BisHeii  von  meinem  Leben'',  „einer  der  KuUiii- 
DatioDipuukte  iiieiooH  armen  Lebens^. 

Findiich  nahte  der  Florhzoitstag,  der  22.  Mai;  bei  der 
Trauung  des  Paares  (in  der  Woiinung  des  Pfarrers  Wiciiel- 
liauf)  fungierte  Burckhardt  als  Zeuge  nebco  Goibel.  Andreas 
8imoot,  Johanna'H  Eltern  und  zwei  Freundinnen  der  Familie: 
Angutto  Heinrich  und  Linda  Bemdt. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^  i 

Weoige  Tage  später  treDnte  man  sich:  Kinkels  fuhren 
nach  St.  Goar.  Freiligraths  zu  besuchen,  Burckhardt  zunächst 
nach  Cleve,  dann  durch  Holland  (bis  Rotterdam)  und  Belgien 
(mit  gebührendem  Aufenthalt  in  Brüssel)  nach  Paris.  Auf 
vier  Monate  war  er  den  Freunden  nun  entrückt  und 
^e minus"  =  nur  aus  der  Ferne  erreichbar. 

11.  Paris,   16.  Juny  1843. 

Vieltausendmalgeliebter  Urmau! 

Ich  bin  den  8.  hujus  hier  angelangt  und  habe  mir  Paris 
8  Tage  lang  schmecken  lassen ;  jeden  Morgen  im  Louvre 
und  in  den  Kirchen;  jeden  Abend  auf  den  Boulevards  und 
im  Theater.  Damit  Du  aber  siebest,  wie  zuverlässig  ich 
bin,  80  wisse,  dass  ich  den  1.  hujus  von  Rotterdam  aus  eine 
Recension  Deiner  Gedichte ')  an  die  Köllner  Zeitung  schickte, 
welche  angekommen  sein  muss,  da  ich  sie  frankierte;  aber 
die  Schlingel  haben  sie  noch  nicht  abgedruckt. 

Ferner  folgt  an  mit  das  Gedicht  von  Alten  ahr,  welches 
mir  jetzt  sehr  missfällt.  Es  ist  halb  in  Gent,  halb  in  (?  is) 
gemacht,  also  in  zwei  berühmten  Fabrikstädten.  Sobald  ich 
Briefe  von  Euch  habe,  schreibe  ich  Euch  wieder,  und  dann 
mehr.  Gestern  bin  ich  zum  erstenmal  auf  der  biblioth. 
royale  gewesen;  mit  dem  was  dort  ist,  kann  ich  schon  fertig 
werden;  für  meinen  Zweck  brauche  ich  dort  etwa  130 — 140 
Stunden  Arbeit,  also  2  Monate.')  Am  15.  August  wird  d. 
bibl.  geschlossen,  dann  arbeite  ich  in  den  Bibl.  vom  Arsenal 
und  von  S**  Genevieve  bis  gfgon  den  Oktober  hin. 

Ich  habe  Hugo's  Burggrafen  gesehen.  Die  Intentionen 
sind  hie  und  da  höchst  grandios,  aber  am  Ende  überwiegt 
doch  der  Unsinn.')  Beauvallet  in  seinen  guten  Momenten 
erinnerte  an  das,  was  ich  von  Ludwig  Devrient  habe  er- 
zählen hören.  Der  Alexandriner  ist  aber  ein  unleidlicher 
Vers,  selbst  auf  dem  Theätre  fran9ais.  —  Im  Odeon  hörte 
ich   ein    kleines   Ding  von  Moliere,    welches   köstlich   war; 

')  t.  meine  Vorbemerkung  zu  Br.  8. 
*)  Am  20,  Juni  fing  er  an  „regelmässig  zu  copiren". 
')  Man  vergleiche  H.  Heine's  gleichzeitige  vernichtende  Kritik  (Hamb. 
187a.  Bd.  n,  S.  366^ 


AZ  Rudolf  Meycr-Kraemer. 

darauf  begann  Racine's  Andromaque,  wo  ich  denn  freilich 
nach  dem  ersten  Akt  auf  und  davon  lief.  Den  Racine  halt' 
ich  nicht  mehr  aus.  —  Was  sagst  Du  zu  der  Idee  eines 
kleinen  Stückes  =  la  fille  de  Figaro,  welches  im  Theatre 
du  palais  royal  gegeben  wird  —  es  ist  ein  weiblicher  Figaro, 
d.  h.  eine  Gelegenheitsmacherinn  und  AUerweltsmädchen, 
die  zwei  Liebende  durch  alle  mögl.  Intriguen  protegiert. 
Ist  der  Gedanke  nicht  glücklich?  —  Der  Figaro  des  Beau- 
marchais ist  doch  am  Ende  ein  Halunke  und  was  er  thut, 
that  er  um  des  Geldes  willen,  während  diese  fille  de  Figaro 
(die  weiter  mit  Figaro  nichts  zu  thun  hat)  aus  Gutherzigkeit 
das  Ihre  thut.  —  Es  ist  übrigens  merkwürdig  mit  dem 
französischen  Theater;  selten  trifft  man  ein  grosses  Talent, 
aber  ein  mittel  massiger  französ.  Schauspieler  ist  immer 
mittelgut,  ein  mittelmäss.  deutscher  Schauspieler  aber  in 
der  Regel  mittelschlecht.  Daher  ist  auch  in  den  kleinen 
Winkeltheatem  von  Paris  immer  ein  Ensemble  und  der 
Dichter  kann  seine  Freude  daran  haben.  Freilich  kann 
sich's  kein  Mensch  verhehlen,  dass  das  französ.  Drama,  bes> 
das  Trauerspiel,  auf  gottlosen  Abwegen  ist. 

Das  nächstemal  mehr.  Dieser  Brief  ist  nur  der  erste 
Nothschuss,  welcher  sagt:  schreibt  mir!  —  Ich  wohne 
Bue  MarsoUier  N®  13.  —  Hier  das  Gedicht:  *) 

Altenahr. 

„Weil  wir  doch  einmal  so  weit  sind,  —  liebe  Jungens,  hört  mich  an  I  — 
Weil  wir  doch  einmal  so  weit  sind,  war'  es  besser  nicht  gethan, 
Wenn  Caspari*)  selbst  uns  wählte  auf  den  Weg  'nen  guten  Wein? 
Schreit  nur  nicht  so  durcheinander !  Wirds  nicht  so  am  besten  sein  ?  — " 

„Ja!"  ,Jal"  „Jal"  —  Cahpari  schreitet  durch  die  Thür,  der  Flaschen  sechs 
Uoterm  Arm  und  in  den  Händen,  eitel  edles  Ahrgewächs, 
Und  mit  «w'gem  Oüttorlächeln  fragt  er  die  vorwirrte  Scliaar: 
.^letzt,  um  Mitternacht?  Wahrhaftig,  mir  wird  dieser  Spass  nicht  klar!  — " 

„NichtN  für  ungut,  Herr  Caspari,  aber  daH  vertteliu  Sie  nicht! 
HOren  Sie  wie'ii  draiuiaeu  poltert,  wie'«  in  allen  Lüften  ficht, 
Wie  der  Wind  pfeift  In  den  Pelien,  wie'«  in-  allen  Wipfeln  brauit, 
OnUU  ao  wie  wenn  der  Satan  »einer  Mutter  Mutter  zaust?" 


I)  Abgetiruckt  auf  S.  J09  von  Kiokeli  „D\e  Ahr"  (worüber  antcn  NäheroK)« 
■)  Nocb  heat«  ifiebt»  io  A.  „Hölel  Canpari". 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Job<tnua)  Kinkel.  ai 

„S'ist  heut  Abend  Polterabend,  den»  der  grosse  Altenar 
Hat  ein  Bräutchen  aufgestöbert  —  ach  das  wird  ein  hübsches  Paar! 
Morgen  heisst  sie  Altenärinn,   heut  noch  Fräulein  Teufelslei; 
Jetzo  bringen  wir  ein  Ständchen  für  die  treuverliebten  Zwei!" 

„Aber  wo  denn?"  fragt  Caspari;  —  „Wo's  am  besten  wiederhallt, 
Dort  im  düstern  Felsendurchbruch,  dran  die  Ahr  vorliberwallt ! 
Fackeln  her  für  unsre  Füchse!  nur  den  Wein  trägt  das  Quartett! 
Jetzo  Marsch!"  —  Caspari  lächelt:  „Ich  geh'  auch  noch  nicht  zu  Bett!"  — 

Draussen  —  wie  zu  einer  Hochzeit  hat  die  klare  Frühlingsnacht 
Rings  umkränzt  die  Felsen  alle  hell  mit  ew'ger  Sterne  Pracht. 
Seligfroh  im  Festessturmschritt  eilt  die  Schaar  zum  Felsengang; 
Ua  bricht  wie  mit  Donnertosen  los  der  jubelnde  Gesang. 

Dann  getrunken,  dann  gerufen:  „Altenahr,  hoch!  dreimal  hoch! 

Teufelslei,  sie  möge  leben  hoch!  und  dreimal  höher  noch!"  — 

„Ja,  die  ganze  Eiffel  lebe!"  schreit  ein  guter  Trierer  drein  — 

„Und  der  Wester  wald!"  ein  andrer,  und  ein  dritter:  „Hoch  der  Rhein!"  — 

„Und  der  Harz!"  und„Hoch  dieAlpen!" — „undThüringens  Waldesnacht!"  — 
,^ein,  der  grossen  Mutter  Aller  sei  ein  feurig  Hoch  gebracht!"  — 
Ha  wie  dröhnt  es  durch  die  Nacht  von  Felsenwand  zu  Felsen  wand!  — 
„Auf!  die  Fackeln  hoch!  stimmt  an:  Was  ist  des  Deutschen  Vaterland?"  — 

Wie  sie  aus  den  Felsen  traten,  —  schöner  glänzt  der  Sterne  Chor, 
Süsser  duften  alle  Wiesen  —  „Schwebt  um  uns  ein  Zauberflor?" 
Nein,  es  ist  die  Macht  des  Liedes,  das  vom  Vaterlande  singt 
Und  verborgne  Lieb'  im  Busen  still  zu  seligem  Blühen  bringt. 

Werft  die  Fackeln  hier  zusammen,  wo  die  duftigen  Sträucher  blüh'n ! 
So  vergehn  die  Jugendtage,  wie  die  Flammen  hier  verglühn  — 
Doch  die  Jugend,  sie  ist  unser  und  sie  bleibt  uns  frisch  und  neu. 
Unser  sind  die  heiligen  Sterne:  Vaterland  und  Lieb'  und  Treu'.') 


Da  hast  Du's,  es  gehört  Dein.  Zerreiss'  es,  andre  es, 
druck's  ah,  —  wie  Du  willst.  Meinen  Namen  fass  wo- 
möglich weg.  Ach  was  sollt  ihr  für  schöne  Briefe  kriegen, 
wenn  ihr  mir  bald  schreibt!  —  Ich  will  auch  wieder  Ge- 
dichte machen.  Wenn's  nicht  so  spät  geworden  war  mit 
diesem  Ahrgedicht,  so  hätte  ich  wohl  noch  mehr  Ahrlieder 
machen  können.  Melde  mir,  ob's  noch  Zeit  ist,  aber  richte 
Dich  im  Druck  nicht  danach,  da  ich  gar  nichts  ver- 
sprechen kann. 

')  Die  zwei  ltt/.ten  Zeilen  sind  später  geändert  (s.  uuten  Br.    1 7). 


A^  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Nun  Addio,  herzlieber  Urmau.  Ich  sehne  mich  bitterlich 

nach  Euch   und  gehe   alle   2  Tage  auf  die  Post,    um    nach 

Briefen   poste  restante   zu  fragen,   obschon  ich  zum  Voraus 

weiss,    dass    ich    nichts  vorfinde.     Addio,   Dich   küsst  Dein 

getreuer  ^^    . 

^  •  Jljminus. 

* 

Von  Willibald  Beyschlag  war  oben  bereits  in  der  Ein- 
leitung (S.  3)  sowie  in  Brief  6  die  Rede,  wozu  nochmals 
auf  Trog  (S.  39— 42)  verwiesen  sei.  Es  hiesse  wohl  die 
Pietät  gegen  sein  verdientes  Andenken  —  allö  in  dem 
folgenden  theologischen  Aktenstück  Genannten  sind  ja  längst 
tot  —  zu  weit  ti-eiben,  wollte  man  etwa  den  Anfangsteil 
dieses  Briefes,  um  gewisser  peinlicher  Rekriminatiouen  der 
Freundesliebe  willen,  dem  Abdruck  entziehen.  Zwar  ver- 
langt Bdrckhardt  selbst  dessen  Vernichtung  im  Anfang  des 
nächsten  Briefes,  verbessert  sich  dann  aber:  denen,  die  ihn 
dennoch  geles'.m,  solle  nun  auch  seine  „Abbitte"  mitgeteilt 
werden.  Später  übrigens  (Br.  30)  kehrt  er  im  wesentlichen 
zu  seinem  ersten  Urteil  zurück.  Es  kündet  sich  eben 
schon  hier,  was  Trog  (S.  161/162)  als  bezeichnend  für 
den  gereiften  Mann  hervorhebt:  ,.ge8chlossne  religiöse  An- 
schauung'' schätzte  er  weit  höher  ein  als  „eine  hinkende, 
rationalisierende'^. 

A.Wolters  war  seit  Ostern  1843,  von  Bonn  nach  Berlin 
übergesiedelt,  bei  Beyschlag  gleichsam  an  Burckhardts  Stelle 
getreten.  Dieser  Wechsel  in  seiner  Umgebung  blieb  auf  den 
leicht  bestimmbaren  „Balder'^ ')  wohl  nicht  ohne  Einfluss: 
er  hört©  jetzt  allerlei  Gerücht  über  Kinkel's  wachsende  Zweifel- 
sucht —  und  ward  besorgt.  Während  er  noch  zu  Weih- 
nachten (in  dem  Postskript  eines  Burckhardt'scheu  Briefes) 
Kinkel  in  alter  Liobo  „geküssf*  hatte,  trat  jet^ct  der  asketisch- 
kritische  Zug  Huines  Wesens  scharf  hervor,  der  ihn  nach 
einom  andorn  Stundpunkt  in  christlichen  Dingen  hinwies. 
So  mnsste  donn  Kinkel,  während  er  —  nicht  ohne  den  Einduss 
Jobaona'«,    der   fünf  Jahr  älteren,   eben   Convertierten    — 

')  Seiuc  Haiidtchrifl  im  M.  K.  /cicl  :iii»Ke«prochrn  weiblichen  '/.»g; 
•ein  Ueltcrname  »ellMil  (ibm  von  AofiinK  im  im  M.  K.  ei|;eii)  int  am  Knde 
nicht  blo«»  ScIiliiKiitchnörlcel  ncinct  Vornamen«,  »ondern  tollle  vielleicht  an 
dm  liebten  Odiiusobn,  drn  AnenlieblipK,  erinnern. 


i 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  4^ 

alimählich  „auf  gewaltiger  Strömung,  von  Kant  bis  Feuer- 
bach, hinaustrieb  in  den  Pantheismus"  ')  und  während  er 
seinen  ^Traum  im  Spessart"  schrieb,  sich  den  Vorwurf 
machen  lassen,  dass  er  nicht  verstehe,  sich  dank  den  Ge- 
heimnissen der  „neueren  Philosophie"  von  der  Negation 
doch  wieder  zum  Glauben  hinüberzuretten.  Auf  die  „un- 
glückseligen Briefe  voll  Insolenz",  zu  denen  sich  Balder 
mit  Wolters  und  Torstrick  zusammengetan,  erfolgte  eine 
energische  Abwehr  seitens  des  Angegriffenen  —  und  der 
Bruch  war  da. 

Burckhardt  konnte,  wenn  er  erst  beide  Teile  vernommen 
hatt«,  wohl  unparteiisch  urteilen;  er  hatte  der  Theologie, 
mit  der  1837  in  Basel  freilich  sein  Studium  begonnen  hatte, 
bald  für  immer  entsagt. 

12.  Paris,  20.  August  1843. 

Lieber,  lieber  Doctor! 

Eure  Briefe  haben  mich  unendlich  gefreut!  Wie  man 
solchen  Trostes  in  Paris  bedarf,  glaubst  Du  gar  nicht.  Ach 
wie  herzlos  ist  diess  Nest  und  diess  Volk !  Lärm  machen  und 
Lärm  geniessen  wollen  sie,  weiter  nichts. 

Nun  zu  der  Geschichte  mit  Balder.  Der  Teufel  des 
philosophischen  Hochmuths  ist  einer  von  den  bösen,  das 
weiss  ich  schon  lange  und  zwar,  ich  kann  es  getrost  sagen, 
nicht  aus  eigner  Erfahrung.  Da  hat  nun  der  verrückte 
Balder  ein  wenig  Schellingianismus  geathmet  (nicht  viel, 
das  weiss  ich)  und  denkt  nun  mit  diesem  Laudanum  durch 
die  Theologie  ohne  weitren  Steuermann  durchzuschiffen. 
Nun  giebt  es  aber  keinen  Fanatismus  wie  den  eines  Systems, 
denn  der  ist  gepaart  mit  Mitleid  gegen  alle  die,  so  draussen 
stehen.  Ich  habe  unter  solchen  Menschen  gelitten  und  es 
mit  erlebt,  wie  dieser  Fanatismus  in's  tägliche  Leben  eingriff 
und  ein  persönliches  Verhältnis  nach  dem  andern  zerstörte. 
Da  heisst  es  dann  ganz  kurz:  diess  und  diess  habe  ich  auf 
diesem  und  diesem  Wege  gewonnen,  thust  du  nun  nicht 
ebendasselbe,  so  bist  du  mir  nicht  mehr  geistig  ebenbürtig  und 
unsre  Freundschaft  hat  ein  EInde.     Als  ob  der  Mensch  mit 


')  Die«  der  Ausdruck  »eines  eignen  Tagebucben. 


a()  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

seiner  Persönlichkeit  und  deren  inneren  Bedingungen 
nicht  ebensoviel  werth  wäre  als  alle  Erkenntniss!  — 

Dem  Balder  hätte  ich  es  aber  am  wenigsten  zugetraut! 
Ich  glaubte,  er  liebe  Dich  nicht  nur  als  seinen  Lehrer,  als 
den  Ersten,  der  seine  Erkenntniss  von  den  Banden  der 
Kindheit  und  des  Vorurtheils  befreite;  ich.  dachte  er  hänge 
auch  an  Deiner  Person.  Ich  hielt  ihn  für  stärker,  und 
dachte,  er  wäre  fähig,  in  seinem  Innern  Dein  Bild  aufrecht 
zu  halten  gegen  all  den  kalten  Wind  Berlins.  Ich  hielt  es 
nach  seinem  letzten  Briefe  an  mich  für  möglich,  dass  er  Dir 
theologisch  hart  zusetzte  wegen  Ansichten  u.  dgl.  Dingen, 
die  ich  nicht  mehr  verstehe;  aber  dass  er  Dich  als  Dichter, 
als  Menschen  hat  herunterreissen  wollen,  das  ist  zu  arg. 
Jetzt,  da  ihm  die  klugen  und  grossen  Berliner  Theologen 
„die  Augen  geöffnef*  haben,  wurmt  es  ihm  wohl,  dass  Du 
ihm  bisher  imponiertest.  Lieber,  theurer  Gottfried,  ich  danke 
dem  Himmel,  dass  ich  theologisch  mit  keiner  Seele  mehr 
(ausg.  die  Baseler  Pietisten')  was  zu  thun  habe,  und  dass 
unsere  Freundschaft  auf  freier,  unwandelbarer  Grundlage, 
auf  Persönlichkeit  ruht. 

Ich  dachte  anfangs:  Du  seiest  zu  rasch  gegangen,  und 
ich  könne  vielleicht  vermitteln.  Aber  das  wird  wohl  kaum 
möglich  sein.  Ich  errathe  deutlich  genug,  dass  Balder  damit 
auch  mich  excludiert.  Jetzt  endlich  verstehe  ich  seinen 
letzten  Brief,  worin  er  soviel  von  möglicher  künftiger  Ent- 
wicklung und  Entzweiung  zwischen  den  jetzt  befreundeten 
munkelt;  —  und  wie  harmlos  hatte  ich  ihm  darauf  ge- 
antwortet! —  Es  thut  mir  in  der  Seele  leid  um  ihn, 
obflchon  eigentlich  immer  eine  Kluft  zwischen  uns  bestanden 
hatte,  die  ich  immer  fühlte,  er  nicht  immer.  Auf  Menschen 
wie  Hermann  Schauenburg  und  Du  sind,  baae  ich  kühn, 
weil  ich  weiss,  dass  viel  Persönlichkeit  in  Euch  steckt  und 
Ihr  mir  wohl  wollt;  Haiders  Persönlichkeit  dagegen  habe 
ich  immer  für  dünn  und  durchsichtig  gehalten.  Er  ist 
saerat  Gebildeter,  danu  Theolog  und  Philosoph,  und  dann 
kommt  noch  ein  furchtsames  Bischen  Mensch.  Dartim  lialx^ 
ich  nie  recht  aaf  ihn  gebaut,  obschon  er  Anfangs  auf  seine 
Manier  für  mich   begeistert  sn  sein  schien.     Mich   macht 

*)  Wohl  vtrmögt  der  Stellung  Meinet  Vateri,  de«  AotUtei  B. 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^j 

sichts  so  bange,  als  wenn  jemand  am  Anfang  ein^r  Be- 
kanntschaft sehr  für  mich  enthusiasmiert  ist,  weil  ich  die 
Enttäuschung  schon  vor  der  Thür  warten  sehe.  Das  ist 
denn  auch  bei  Balder  schon  früher  erfolgt  als  er  mir  gern 
hat  sagen  wollen.  Da  lobe  ich  mir  Torstrick,  der  meine 
Unphilosophie  gleich  in  ihrer  ganzen  Entsetzlichkeit  kennen 
lernte,  sich  aber  aus  Freundschaft  für  mich  zu  dem  merk- 
würdigen Rothwelsch  bequemte,  welches  halb  aus  Realismus, 
halb  aus  Philosophie  bestand  und  uns  beiden  viel  Spass 
machte.  Er  sprach  so  unmittelbar  als  er  konnte,  ich  so 
abstract  als  mir  möglich  war,  und  die  uns  zuhörten,  sagten: 
Seht,  die  Kerls  verstehn  einander!  —  Ueberhaupt  ist  mit 
Torstrick  nicht  nur  sehr  gut  auszukommen,  wenn  er  einen 
gern  hat,  sondern  man  findet  unter  einer  weit  rauheren 
Hülle  als  die  Haiders  ist,  ein  warmes,  treues  Herz,  das 
keinen  philosophischen  —  leider  aber  einen  politisch-socialen 
Fanatismus  leistet,  der  freilich  nicht  so  schlimm  ist  wie 
der  philosophische,  weil  er  nicht  egoistisch  ist. 

Sieh  mal,  Balder  ist  von  Philosophie  berauscht  und 
hat  dazu  noch  in  diesen  Dingen  was  man  einen  schlimmen 
Suff  nennt.  Könnte  ich  mich  in  Philosophie  berauschen  — 
setze  den  unmöglichen  Fall  —  so  würde  ich  kraft  meines 
vortrefflichen  Naturells  einen  guten  Suff  haben;  und  wenn 
Du  mich  Nachts  durch  die  Poppeisdörfer  Allee  schlepptest, 
so  würde  ich  Dir  um  den  Hals  fallen  und  Dich  mit  meiner 
Philosophie  vermitteln  wollen.  Am  Ende  wärst  Du  aber 
doch  geplagt  mit  mir  und  würdest  bei  Dir  selbst  sagen: 
„Ich  weiss  wahrhaftig  nicht,  was  schlimmer  ist,  ein  guter 
oder  ein  böser  Suff  in  Philosophie!  Wären  wir  nur  schon  in 
Poppeisdorf,  da  will  ich  den  Kerl  oben  in  die  Kammer  legen, 
da  kann  er  ausschlafen  und  Teufel  malen i"^  —  Nicht  wahr?  — 

Wie  blöde  ist  das:  „Wenn  ein  jüngrer  Docent  nach 
Bonn  käme,  der  die  neuere  Philosophie  durchgemacht  hätte, 
der  würde  Dich  in  Jahresfrist  todtlesen,  und  solche  Leute 
wüsste  Er  —  Balderchen  —  in  Berlin  schon  zu  finden."  — 
Fürs  erste  existiert  ja  ein  solcher  Käfer  schon  in  Bonn  und 
zwar  in  Gestalt  des  D«"  Hasse  (!) ');  zweitens  gieb  wohl  acht 

•)  Leo  H.,  der  das  erste  Jahr  zum  M.  K.  beitrug,  dann  aber  an  Kinkel 
irre  wurde  und  austrat;    ihm  sang  K.  das  Gedicht  nach:  „Der  Welt  Trotz!" 


^8  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

auf  das  Wort  ^durcligemaclit^ ;  Balder  will  sagen:  „durch- 
gemacht und  deshalb  doch  noch  seinen  Glauben  behalten 
hat."  Er  spricht  von  den  wissenschaftlichen  Pektoral- 
theologen '),  von  den  annoch  frommen  Leuten,  welche 
durch  alle  Systeme  Spiessruthen  geloffen  haben;  aber  man 
weiss  doch  jetzt  wirklich,  was  an  diesen  Leuten  ist!  Dass 
68  Balder  ignoriert,  finde  ich  etwas  stark.  Wie  pflegte 
er  sich  über  Nitzsch")  zu  mocquieren,  wenn  von  dessen 
Amalgani  aus  Speculation  und  Glauben  die  Rede  war.  Das 
ist  nun  Alles  bei  ihm  Weisheit  von  heute!  Der  Junge 
ist  sehr  rasch  zur  Praxis  übergegangen!  Weiss  Gott!  — 
Ach  das  wäre  schön  gewesen,  wenn  Du  ihm  ganz  kalt 
und  sicher  geantwortet  hättest:  theologische  Vorwürfe  zu 
machen  komme  ilim  deshalb  nicht  zu,  weil  das  eins  der 
schwierigsten  und  spätesten  Probleme  der  Pastoraltheologie 
sei,  deren  Behandlung  erst  im  letzten  Semester  an  der  Stelle 
zu  sein  pflege.  Mit  so  etwas  kann  man  Balder  confus 
machen.  Doch  er  ist  wohl  schon  confus  genug!  —  Er  ist 
ein  schöner  Stern,  lasst  jhn  im  Dunkeln  funkeln  und 
munkeln  etc.  etc.  —  Aber  ich  begreife  wohl,  dass  es  Dir 
im  ersten  Moment  nicht  ums  Spassen  war,  so  wenig  wie 
mir.  Ich  habe  seitdem  —  Gott  verzeih  mirs  —  in  Gedanken 
ebenfalls  mit  Balder  abgerechnet  und  gefunden,  dass  ich 
mit  keiner  Lebensader  an  ihm  hänge.  Ich  muss  jetzt 
auch  auf  einen  Bruch  mit  ihm  gefasst  sein.  Den  Wolters 
begreife  ich  nicht*);  er  hat  Dich  kaum  gekannt,  und  macht 
Dir  Vorwürfe?  So  was  fasse  ich  nicht.  Bei  Balder  ist  es 
anders;  der  erschrickt,  weil  er  eine  Solidarität  mit  Dir 
fürchtet  Basta  von  dieser  Geschichte.  Doch  noch  eins: 
Was  Dir  Balder  aus  meinem  Briefe  an  ihn  mittheilt,  ist 
heillos  entstellt  und  ich  werde  ihn  ersuchen.  Dir  diesen 
fragliühen  Brief  im  Original  zuzusenden.  Bin  ich  denn  ein 
■olcber  E^el,  dasi  ich  Deine  Hinneigung  zu  dem  was  die 
Theologen  Negation  tanfen,  äusseren  Gründen  zuschreiben 
würde!  Trane  mir  uins  Himmelswillen  nicht  so  eine  elend" 

')  NModcr't  Schule. 

*)  K«rl  ImmMiuel    N.,    Haupt  Vorkämpfer  der  MVermitllutiKktheologie", 
btldd«  mit  Sack  ood  Ble«k  dM  DreigMiirn  der  Fakultüt  xu  Bonn. 

';  B.  lernt«  Ihn  iplter  genauer  kennen  und  beurteilen,  «.  Brier  30,  .{j,  37. 


« 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (uud  Jobanua)  Kinkel.  ^q 

gutgemeinte  Auffassung  Deines  "Wesens  zu!  Nur  das  Eine 
nicht!    — 

Was  soll  ich  Dir  von  Paris  schreiben?  Ich  lebe  nun 
seit  dritthalb  Monaten  still  in  Gott  vergnügt  vor  mich  hin 
d.  h.  bin  zuweilen  geplagt  und  müde  wie  ein  Hund,  vor 
lauter  Scrupel  die  Zeit  gut  zu  benutzen.  Auf  der  Bibliothek 
grossen  Respeckt  (sie)  gehabt  vorm  menschlichen  Wissen  — 
im  Louvre  rumgeloffen  wie  ein  verlorner  Mops  —  in  Theatern 
wenig  geklatscht  um  nicht  mit  den  Claqueurs  verwechselt 
zu  werden  —  auf  dem  Boulevard  mich  zuweilen  interessant 
gemacht  —  überall  nobbel  und  leider  nicht  viel  auf  das 
Geld  gesehen.  Ach  Himmel  welch  Heidengeld  verthut  man 
in  Paris!  Aber  man  amüsiert  sich  auch,  wenigstens  die 
ersten  drei  Wochen.    — 

Du  fragst  mich,  ob  ich  über  Bonn  zurückkehre?  — 
Es  ist  höchst  unwahrscheinlich,  weil  mein  Geld  wohl 
kaum  reichen  würde,  und  noch  mehr,  weil  ich  nach  einem 
Besuche  bei  Euch  die  Heimkehr  doppelt  scheue.  Du 
verstehst  mich  wohl,  ich  kann  nicht  dafür,  dass  Gott  Basel 
so  und  so  geschaffen  hat.  Komme  ich,  so  ists  doch  nur 
für  2 — 3  Tage,  da  ich  in  diesem  Fall  den  Eduard  Schauenburg 
besuchen  muss,  während  die  Meinigen  Tage  und  Stunden 
zählen.  Der  Verstand  sagt:  geh  nicht  nach  Bonn,  aber  im 
Geheimen  reisst  es  mich  doch  zu  Euch,  das  weiss  der 
Himmel.  Rheims  und  Metz  besuche  ich  jedenfalls  und  wie 
nahe  ist  es  von  Metz  nach  Coblenz!  Bloss  drei  Tage,  wenn 
ich  einen  Tag  auf  Trier  rechne.  Richtet  Euch  um  Gottes- 
willen nicht  nach  mir,  denn  es  ist  nicht  wahrscheinlich, 
dass  ich  komme. 

Gott  weiss,  ich  käme  gern!  Andreas  hat  sich  auf- 
gegeben, wie  er  mir  schreibt!  Lass  mich  um  Gottes- 
willen wissen,  was  hieran  ist!  Der  Junge  macht  sich  oft 
Grillen,  das  weiss  ich;  aber  diesmal  erschreckt  er  mich!  — 
Ich  möchte  ihn  so  gerne  sehen.  —  Ach,  wir  alle  zusammen 
haben  uns  noch  lange  nicht  ausgesprochen ;  es  wäre  noch 
so  viel  zu  erörtern,  dass  ich  am  besten  mein  Lebenlang  in 
Bonn  bleiben  sollte  oder  mit  Euch  ziehen,  wohin  ilir  zöget. 
In  Basel  wartet  meiner  ein  Leben  voll  Zurückhaltung  und 
Höflichkeit;    keinem  Menschen  darf  ich  völlig  trauen;    mit 

4 


Rudolf  Mever- Kraemer. 


keinem  ist  geistiger  Umgang  ohne  Rückhalt  zu  pflegen. 
Die  paar  Privatdozenten  sind  vornehme  junge  Herren  aus 
der  Stadt,  denen  ich  im  Leben  nie  die  Avancen  machen 
würde,  denn  wie  lächerlich  und  ausgebreitet  der  Baseler 
Geldstolz  ist,  davon  hast  Du  keinen  Begriff,  magst  Du  auch 
noch  80  viel  erlebt  und  beobachtet  haben.  Einige  Ordinarii 
sind  mir  wohlgesinnt,  aber  welche  Kluft  einen  Ordinarius 
von  einem  Privatdozenten  trennt,  weisst  Du  am  besten,  und 
dann  muss  ich  z.  B.  Wackernagel ')  schonen  wie  ein  Kind, 
weil  er  ein  eigensinniger  Pietist  geworden  ist,  wie  mir 
Hoffmann  von  Fallersleben  sagte.  Am  Ende  bleibt  mir  nur 
mein  alter  Freund  Picchioni,  ehemaliger  Carbonaro  und 
Ingenieur  in  der  Lombardie;  eine  edle,  bedeutende  Persön- 
lichkeit, jung  und  muthwillig  bei  HO  Jahren,  trotz  der  aller- 
bittersten  und  furchtbarsten  Schicksale.  Der  ist  nun  zwar 
kein  Gelehrter,  hat  aber  unser  Jahrhundert  mit  vollen  Zügen 
durchgelebt  und  weiss  von  der  Eitelkeit  menschlicher  Dinge 
ein  langes  Lied  zu  singen.  Er  ist  Professor  extraord.  und 
steht  mit  aller  Welt  gut.*) 

Ein  Germane,  dessen  Jugondtäuschungen  zu  Grunde 
gegangen  sind,  wird  leicht  mürrisch  und  unleidlich;  der 
Bomane  wird  in  solchem  Fall  erst  recht  liebenswürdig; 
Letzteres  habe  ich  hier  zur  Genüge  beobachten  können ;  die 
jangen  Franzosen,  welche  an  der  jämmerlichen  politischen 
Zersetzung  und  dem  socialen  Wirrwarr  Frankreichs  so  oder 
so  Theil  nehmen,  sind  stürmisch,  grob,  schlimm  gelaunt, 
während  es  nichts  angenehmeres  giebt,  als  einen  alten 
Franzosen,  der  sich  vom  Convent,  vom  Directorium,  vom 
Coosulat,  vom  Kaiserreich,  von  der  Restauration  und  von 
der  Julirovolution  hat  satt  täuschen  und  enttäuschen  lassen. 
Da  beginnt  dann  der  schöne,  liebreiche  AUerweltshuraor, 
der  auch  die  jungen  hinreisst. 

Auf  den  Scbnaase')  bin  ich  doch  höchst  begierig. 
Kugler  ist  froh  wie  ein  Kind,  dass  das  Work  ihm  dedioiert 

*)  Wilb.  W.,  der  Gemumitt,  bei  dem  B.  früher  deutache  Literatur 
gdi5rt  hatte. 

•)  k.  H.Trog,  S.  10$.  114.  Ibm  iit  die  „Kultur  der  Kenaiuanre" 
gewidmet. 

*)  Seine  „Getcfa.  der  biid.  KÜDtte"  begano  1843  io  Düiieldorf  tu 
ertcbeineo. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johauna)  Kinkel.  ej 

ist.  Ach  welch  schönen  Brief  habe  ich  von  Kugler  be- 
kommen! Er  trägt  mir  SmoUis  an!  —  Das  ist  nun  auch 
ein  Verhältniss,  wie  es  selten  einem  hergelaufenen  Studenten 
zu  Theil  wird.  Er  hat  mich  immer  geschont  und  mir  doch 
immer  die  Wahrheit  gesagt  (z.  B.  über  meine  Gedichte), 
und  nun  giebt  er  mir  von  freien  Stücken  ein  Zeichen  der 
Freundschaft,  das  bei  seiner  schweigsamen,  scheinbar  kalten 
Natur  so  unendlich  viel  sagen  will!  —  Und  was  habe  ich 
ihm  bisher  leisten  können?  — 

Ach  Gott,  meine  Poesie  ist  völlig  eingetrocknet!  — 
Die  ewige  Aufregung,  die  man  in  Paris  fühlt,  consumirt 
tagtäglich  das  bischen  Sammlung,  das  man  sich  erübrigen 
könnte.  Und  Eure  schönen  Mawbriefe,  wie  soll  ich  die 
beantworten?  So  mutterseelallein  hat  man  gar  keinen 
Humor,  das  weiss  der  Himmel.  Denn  dass  ich  unterweilen 
mitten  auf  der  Strasse  über  die  100000000000  Pariser  Narr- 
heiten laut  auflachen  muss,  ist  noch  kein  Humor  und  dass 
ich  bisweilen  den  Boden  unter  meinen  Füssen  zittern  fühle, 
z.  B.  in  Notre  Dame  oder  in  den  Tuilerien,  ist  noch  keine 
Poesie.     Wie  es  mit  der  Concurrenz  wird,   weiss  ich  nicht. 

Ich  wollte  ich  hätt  Deine  Kunstgeschichte ')  mit  an- 
hören können!  Du  schreibst  mir  ganz  naiv:  Du  dächtest 
wohl  auch  einiges  Neue  gefunden  zu  haben.  Teufel  auch! 
Daran  zweifle  ich  a  priori  nicht,  und  glaube,  ich  hätte  was 
Merkliches  lernen  können,  denn  meine  kunsthistorischen 
Studien  sind  doch  gar  zu  principlos  und  bequem  vor  sich 
gegangen. 

Die  spanische  Geschichte*)  ist  empörend  und  beweist, 
wie  infernal  die  Politik  des  frommen  Guizot  ist  und  bleiben 
wird.  Man  muss  freilich  auch  die  berstende  Fieberwuth 
der  Franzosen  über  die  Nichtigkeit  ihrer  auswärt.  Politik 
kennen!  Das  Ministerium  musste,  sagt  man,  eine  glänzende 
Demonstration  zu  Gunsten  des  französischen  Einflusses 
wagen.  Lieber  Freund,  glaube  nur  in  Deinem  Leben  nie 
an    die    Loyalität   der   auswärt.    Politik   Frankreichs,    denn 

')  Dies  Kolleg  war  43  uud  44  das  besuchteste  in  Bonn. 

*)  Am  30.  Juli  hatte  sich  der  Regent  von  Spanien,  General  Espartero, 
nach  England  einschiffen  müssen.  —  Im  Jahrg.  1844  des  M.  K.  begegnet  eine 
Titelvignette  (gezeichnet  von  A.  Simons):  „Isabella,  Espartero,  Olozaga,  Masken 
a.  d.  tpan.  Caroarilla." 


52 


Rudolf  Meyer- KLraemer. 


gegen  das  Ausland  hat  dieselbe  immer  Recht,  mag  sie 
auch  das  Allerscheusslichste  thun.  Die  Franzosen  glauben 
nämlich  noch  immer  ein  Besitzrecht  auf  Europa  und 
andere  Länder  zu  haben  und  betrachten  alle  Infamien 
ihrer  Ministerien  gegen  das  Ausland  als  eine  notwendige 
^Reparation  d'honneur"  von  wegen  181B.  Die  Idee,  dass 
das  Rheinland  von  Gottes  und  Rechtswegen  Frankreich 
gehöre,  ist  hier  noch  immer  ganz  allgemein;  ich  antworte 
darauf  nur  noch  mit  höflichem  Hohn,  weil  jeder  Vernunft- 
grand, den  ich  vorbrachte,  an  der  Borniertheit  dieses  Volkes 
scheiterte.  —  Ueberhaupt  geht  der  französische  Hochmuth 
auch  über  die  überspannteste  Möglichkeit  des  National- 
stolzes hinaus  und  ich  fange  an,  eine  theilweise  fieberhafte 
Verrücktheit  dieser  Nation  zu  statuieren,  welche  durch  die 
furchtbare  Aufregung  der  letzten  50  Jahre  leicht  zu  erklären 
ist.  Ich  bin  überzeugt,  dass  diese  Zeit  einen  unheilbaren, 
zehrenden  Schaden  im  Busen  dieses  edlen,  grossartig  an- 
gelegten Volkes  zurückgelassen  hat.  Man  brandschatzt  und 
verwüstet  Europa  nicht  umsonst.  Auch  solltet  ihr  diese 
politische  Abspannung  sehen,  die  mit  all  dem  Zorn  ver- 
bunden ist!  man  schäumt  noch,  aber  man  ist  erschöpft  und 
die  Regierung  kann  reineweg  machen  was  sie  will.  Die 
Kammersitzungen  werden  laut  verhöhnt,  auch  in  Betreff 
der  linken  Seite;  alles  Vertrauen  zu  den  republican.  Formen 
der  Julydynastie  und  zu  den  Constitutionen  ist  verschwunden. 
Ich  habe  auf  dem  Theater  Folgendes  laut  applaudieren  sehen : 
1.  eine  bittere,  höchst  lebhafte  und  gute  Satyre  auf  die 
Republik  um  das  Jahr  1799;  2.  Einen  unsäglichen  Hohn 
ganz  aristokratischer  Art  über  die  Epiciers  und  Epiciers- 
weibor,  die  sich  am  jetzigen  Hofe  linkisch  benehmen;  3.  zahl- 
lose and  fast  in  jedem  Stück  mit  Haaren  herbeigezogene 
AnsptelaDgen  anf  die  Nichtigkeit  der  constitutionellen 
Formen.  —  Bo  geht's. 

Hingegen  kannst  Da  endlich  mit  Recht  fragen:  Was 
tbot  denn  der  Schlingel  eigentlich  in  Paris?  —  Antwort, 
der  Schlingel  ist  jeden  Werktag  drei  Stunden  auf  der  königl. 
Bibliothek  and  excerpiert  alles  mögliche;  6  Wochen  lang 
hat  der  Schlingel  italienische  Handschriften  über  die  Schweiz 
(des  ond  andrer  Schlingel  Vaterland)  vorgehabt;   seit  Ende 


I 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Jobaona)  Kinkel.  ^j 

July  aber  hat  er  begonnen,  die  Geschichte  vom  Zug  der 
Arinagnaken  nach  der  Schweiz  im  J.  1444  zu  erforschen. 
Nächstes  Jahr  nämlich  giebt  Basel  ein  grosses  Schützenfest*); 
es  sind  dann  grade  400  Jahre  seitdem  die  Armagnaken  sich 
in  der  Nähe  der  Stadt  bei  S.  Jacob  geschlagen  haben.  Johann 
V.  Müller  hat  das  Ding  zum  letztenmal  aus  den  Quellen 
erzählt,  und  zwar  etwas  bombastisch  und  mangelhaft.  Der 
Schlingel  aber  nimmt  jetzt  in  Paris  die  Urkunden  und 
Handschriften  durch  und  findet,  dass  die  Sache  ganz  anders 
sich  zugetragen  hat  als  Müller  meint;  er  bereitet  sich  nun 
vor  zu  einer  Gelegenheitsschrift  über  diesen  Gegenstand  für 
das  Fest.  Das  muss  aber  mit  Handschuhen  angefasst  werden, 
wenn  der  beleidigte  Nationalstolz  nicht  sehr  bösartig  werden 
und  dem  Schlingel  übel  lohnen  soll,  besonders  bei  dessen 
Debüt  in  der  Schweiz.*) 

Sodann  hat  der  Schlingel  täglich  l'/a — 2  Stunden  Louvre 
und  eine  Stunde  Lesecabinet.  Der  Rest  geht  drauf  mit 
Briefschreiben,  Herumlaufen,  Kirchen  besehen.  Kaffeehäuser 
sitzen,  Theatergehen,  Lesen  und  dergl.  Kurz,  er  hat  genug 
zu  thun,  —  zumal  da  die  Herrlichkeit  ihrem  Ende  ent- 
gegeneilt. Den  10.  Sept.  will  ich  abreisen,  und  von  Anfangs 
October  an  ist  meine  Adresse:   Basel,  pr.  Adr.:  Antistes  B. 

Paris,  21.  August  1843. 
Liebe  Direktrix! 

Verzeihen  Sie  diesen  mechanten  Fetzen  Papier,  auf 
dem  ich  an  Sie  zu  schreiben  anfange;  mein  sonstiges  Post- 
papier ist  mir  leider  heute  ausgegangen.  Verzeihen  Sie  aber 
noch  mehr  den  ungeweihten  Augenblick!  Nämlich  soeben 
beginnt  eine  Chorprobe  mir  gegenüber  in  der  italienischen 
Oper,  von  irgend  einem  Donizettischen  Schauersal,  das  auf 
nächsten  1.  October  eingeübt  wird.  Ich  lege  als  Gegengift 
einige  Glucksche  Arien,  die  ich  jüngst  ertrödelte,  neben 
mich  auf  den  Tisch. 

Ueber  den  Balder  habe  ich  mein  Gutachten  dem  Urmau 
geschrieben,  der  Ihnen  meinen  langen  Brief  nach  Tische 
vorlesen  mag,   nach  Art  eines  guten  Hausvaters,     Gedichte 

*)  Weiter  uotea,  in  Er.  2i,  ist  davon  ausfiibrlicber  die  Rede. 
*)  Tgl.  Trog,  S.  44—48. 


r^.  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

leiste  ich  gar  nicht  mehr;  auch  erhalten  Sie  hiemit  nur  ein 
vielleicht  sehr  wenig  interessantes  Geschreibe  über  Murillo^), 
das  mir  jetzt  unleidlich  vorkommt,  und  das  ich  Ihnen  nur 
sende,  weil  die  von  Ihnen  bezeichneten  Mawblätter  heiliges, 
unantastbares  Gut  sind.  Eins  davon  behalte  ich  noch,  für 
spätere  Zeiten. 

Ach  wenn  Sie  Paris  sehen  könnten!  Ich  glaube,  diese 
Stadt  ist  für  eine  Dame  noch  interessanter  als  für  einen 
Mann,  weil  so  alles  mit  Mode  und  Eleganz  durchdrungen 
ist,  wofür  ich  so  wenig  Sinn  habe.  Ich  roher  Scythe  streife 
an  den  schönsten  Modeladen  kalt  vorüber,  der  schönste 
Cachmirshawl,  das  kokettste  Häubchen,  der  zierlichste  Schuh 
lassen  mich  ungerührt.  Mein  armer  Kopf  ist  trotz  aller 
Reflexion  nicht  im  Stande,  Nachmittags  im  Taileriengarten 
die  Toiletten  mehr  zu  bewundern  als  in  Deutschland,  da 
ich  nicht  genug  bedenke,  dass  von  hier  aus  das  Costüm 
der  Welt  beherrscht  wird.  Mich  Bücherwurm  beseelt  dabei 
immer  nur  der  Gedanke:  in  einem  Monate  sind  diese  Moden 
alle  historisch  d.  h.  vorüber,  passiert,  und  ich  brauche  nur 
1000  Schritte  weiter  zu  gehen,  so  bin  ich  im  Louvre  und 
sehe  die  unendlich  schönren  Moden  der  Damen  van  Dyck's!  — 
(Lassen  Sie  mich  in  Gottes  Namen  fortplaudern,  ich  bin 
im  Zug.)  Aber  im  Tlieater,  d.  h.  auf  der  Szene  sieht  man 
wirklich  reizende  Toiletten.  Sie  sollten  sehen,  mit  welcher 
Coquetterie  ein  Hirtenmädchen  im  Genre  des  vorigen 
Jahrhunderts  ausstaffiert  ist!  —  Unsre  deutschen  Theater- 
princessen  sind  meist  furchtbar  aufgetakelt  im  Vergleich. 
Mao  moss  freilich  auch  wissen,  dass  Leute  wie  Dumas  und 
Victor  Hugo  sich  hier  dazu  verstehen,  ihron  Darstellern 
und  Darstellerinnen  auch  die  Farbe  eines  Schuhbandes  oder 
die  Zahl  der  Falten  einer  Schürze  anzugoben.  Und  wie 
b<»rechncn  diese  Französinnen!  Ich  glaube  dioss  Volk  lebt 
▼OD  Leidenschaft  und  Intriguen.  Ich  habe  unlängst  bei 
einem  eiemlich*  zwnidnutigon  Dali  in  den  Champs  t^lys^es 
einer  Dame  nachgezählt;  sin  ermuthigte  sechs  Anbeter 
BQgleicb,   tage   sechs.     NB.   Es   war  eine   scheinbar   Hchr 

')  DicMr  umfanitreicbe,  iicbonc  AufMiK,  Anfallt;  Aii|;.  ({eichriebcii,  bildet 
die  ScbliMftnamro«r  de«  M.  K.  43,  nU  „Kunit»tadi(!ii  im  I^tivre" ;  duriibcr 
ein«  «igeobändige  Vignttl«  B't  ^\t  grand  etcalier  du  Louvre". 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ec 

anständige  Dame.  Auch  ist  hier  Jedermann  unter  dem 
Pantoffel;  die  Frau  führt  in  wirklichem  wie  in  figürlichem 
Sinne  das  Hauptbuch.  Summa:  Deutsche  Frauen  begeistern, 
Französinnen  fangen  die  Männer.  Doch  genug  davon;  diess 
Kapitel  ist  zu  lang  und  zu  interessant. 

23.  August. 

Bei  reiferm  Nachdenken  finde  ich  den  Aufsatz  über 
Murillo  nicht  eines  speziellen  Porto's  werth  und  werde 
Ihnen  selbigen  wohl  erst  dereinst  von  Basel  aus  senden.  — 
Gestern  sah  ich  im  Theätre  des  Varietes  u.  a.  eine  Zauber- 
posse, worin  der  Regierung  Folgendes  aufgetischt  wurde: 
Der  Teufel  sitzt  im  Kreise  „vieler  kleiner  Teufelein",  deren 
Einer  sich  erkühnt  hat,  ihm  zu  widersprechen. 

Teufel:  Bref,  je  n'aime  pas  les  raisonneurs,  taisez-vous! 
Unterteufel:  Mais  alors  vous  etes  un  despote,  un  tyran!  — 
Teufel:  0  qua  non!  je  regne  par  les  lois  (laute  Bravo's 
und  Gelächter).  —  Dergleichen  hört  man  hier  auf  dem 
Theater  sehr  oft  und  das  Gouvernement  hat  das  Unglück 
und  die  Klugheit,  sich  möglichst  viel  gefallen  zu  lassen. 
Ich  habe  von  neuem  dran  denken  müssen,  was  man  für 
eine  herrliche,  politische  Comödie  mit  solchem  Zauberspuk 
und  Verwandlungen  zurechtmachen  könnte !  —  O  wenn  die 
Theatercensur  auch  nur  eine  Woche  fortwäre!  Denken  Sie, 
der  Eichkater')  und  die  Frommen  in  Berlin!  Der  König 
von  Bayern !  Die  Geschichten  in  Kurhessen !  Der  ver  . . . .  te 
Darmstädter  Hof!  Was  liesse  sich  da  nicht  für  Ulk  auf- 
stellen! Die  Theater  sollten  eine  bessere  Einnahme  machen 
als  mit  der  Medea  von  Euripides  und  Taubert*).  A  propos, 
das  möchte  ich  doch  auch  gerne  wissen,  wie  sich  der  elegante, 
moderne  Taubert  mit  den  Chören  der  Medea  geholfen  hat, 
denselben  Chören,  die  sich  Felix  Mendelssohn")  als  ganz 
uncomponierbar  verbeten  hatte!  — 

Ich  habe  hier  ein  Lustspielchen  angefangen  und  wieder 
liegen  lassen.     Gedichte   schreibe   ich   hier  nicht   mehr;   es 

')  Minister  Eichhorn  im  Jargon  des  M.  K. 
*)  Hofkapellmeister  in  Berlin.  , 

•)  Dieser  zeichnete  Johauna's  Können  durch  Hochschätzung  und  Em- 
pfehlungeo  aus. 


^6  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

fehlt  doch  gar  zu  sehr  die-Euhe  und  ich  inuss  hier  über- 
haupt mehr  lernen  als  produzieren.  Darin  ist  aber  auch 
Paris  einzig;  man  lernt  hier  mit  jedem  Atemzug  wider 
Wissen  und  Willen.  — 

Ferner  habe  ich  allerlei  Pläne,  wie  immer.  So  denke 
ich  z.  B.  an  ein  Drama:  Salomo.  wozu  mir  das  bei  Ihnen 
im  blauen  Stübchen  geübte  Oratorium  die  Idee  gegeben  hat. 
Das  Hauptmotiv  wäre  die  Königinn  von  Saba,  welche  den 
Salomo  wie  ein  glänzendes  Irrlicht  verlockt  und  dann 
plötzlich  verlässt;  mit  wahnsinnigem  Schmerz  giebt  sich 
dann  der  König  den  Göttern  Syriens  hin.  —  Doch  es  wird 
nichts  daraus,  ich  weiss  es  wohl.  In  Basel  habe  ich  ent- 
setzlich zu  arbeiten  und  doch  habe  ich  jetzt  die  Erfahrung 
gemacht,  dass  man  auch  beim  emsigsten  Arbeiten  nicht  so 
vom  poetischen  Producieren  abkömmt  wie  bei  dieser  heil- 
losen Zerstreuung,  deren  Inbegriff  man  Paris  nennt.  Und 
doch  kann  ich  nicht  anders,  wenn  ich  hier  was  lernen  will. 
Man  muss  hier  in  einer  und  derselben  Stunde  einem  Posaen- 
reisser  und  Wahrsager  zusehen,  die  Asphaltpflasterung  be- 
trachten, 100  Laden  aller  Art  angucken,  10  Journale  durch- 
fliegen, ein  paay  Gebäude  betrachten  und  einen  Gang  im 
Louvre  machen  können,  und  zwar  Alles  mit  Andacht.  Be- 
sonders die  Wahrsager,  diseurs  de  bonne  fortune,  die  immer 
zwischen  Louvre  und  Tuilerien  stationieren,')  machen  mir 
vielen  Spass,  obwohl  es  eigentlich  betrübt  ist,  dass  diese 
geistreiche  Nation  in  diesen  Dingen  dem  dichtesten  Aber- 
glauben huldigt.  Die  Hauptsache  ist  mir  auch  nicht  die 
Wahrsagung,  sondern  die  Possen,  die  dazwischen  erzählt 
werden  und  die  Gesichter  der  Umstehenden,  wenn  geweis- 
sagt wird. 

Aaf  welchem  Punkte  die  hiesige  Musik  angelangt  ist, 
das  sei  (tott  geklagt.  Ich  hörte  unlängst  die  Dame  blanche, 
was  doch  auch  eigentlich  nicht  mehr  dem  strengen  Style 
angehört  —  das  klang  ganz  altertliümlich  wie  aus  einer 
andern  Welt.  In  deo  neusten  Pariser  Opern  ist  das  aus  den 
Italienern  Goitohleoe  noch  das  Beste!  Alles  tlbrigo  hat 
kaum  mehr  Sian  and  Verstand;  Harmonie  und  Satz  sind 
meiat  gerhackt  and  vorschränkt  auf  ganz  unleidliche  Manier 

')  Er  OMg  lieb  wie  weiland  Horac  (Sat.  I,  6,  114)    vorKekommen    tain. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (uod  Johanna)  Kinkel.  cy 

—  alles  will  Neu  seio,  aber  auch  weiter  nichts.  Bellini 
und  Donizetti  haben  wenigstens  den  gesunden  Sinn,  nicht 
pikant  sein  zu  wollen  bei  innerer  Ohnmacht,  aber  Balfe '), 
Isouard*),  Halevy  und  Consorten  haben  Meyerbeer  seine 
kostspielige  Instrumentation  abgeguckt  und  bringen  ihre 
nichtswürdigen  Motive  mit  den  anspruchsvollsten  Künsteleien 
zu  Tage.  Sie  sollten  so  eine  Arie  aus  dem  Puits  d'amour') 
hören  mit  Oboen  und  zwei  Harfen  begleitet!  Tant  de  bruit 
(mehr  ists  auch  nicht)  pour  une  Omelette!  —  Es  ist  auch 
hier  eine  ganz  anerkannte  Sache,  dass  das  Schicksal  der 
französ.  Musik  vor  der  Hand  von  der  nächsten  Oper 
Meyerbeers*)  abhängt.  Sie  denken  gewiss:  das  ist  ein 
saubrer  Trost?  — 

26.  August. 
Ich  glaube  auch  im  Allgemeinen  sagen  zu  können,  dass 
die  Franzosen  ein  höchst  unmusikalisches  Volk  sind.  In 
Deutschland  ist  Klavierspiel  bei  den  Damen  wenigstens 
Regel,  hier  in  Paris  ist  es  Ausnahme.^)  In  Deutschland 
hat  jedes  passable  Theater  mindestens  eine  oder  2  gute 
Stimmen;  hier  in  der  grossen  Oper  ist  ausser  Duprez")  und 
Barroilhet,  welche  beide  in  Deutschland  mehrfach  ihren 
Mann  finden  würden,  keine  aussergewöhnliche  Stimme. 
Massol  ist  ein  sehr  starker  Bariton,  singt  aber  etwa  wie 
Formes  in  Kölln,  Ueberhaupt  steht  die  grosse  Oper  an 
mittelmässigen  Abenden  etwa  auf  der  Stufe  der  Köllner 
Oper  — :  und  das  ist  nun  das  Institut,  welches  mit  dem 
weitberühmten  Conservatoire  de  Paris  seit  einem  Jahr- 
hundert in  Verbindung  steht  und  alles  an  sich  zieht,  was 
in  der  Provinz  irgend  Glück  macht!  —  Glauben  Sie  um 
Gotteswillen  an  keine  Pariser  Renommeen,  bevor  Sie  die 
Leute  gehört  und  gesehen  haben.    Die  berühmte  Dorus-Gras 

*)  Engländer,   1808 — 70. 
«)  Malteser,   1777—1818. 

*)  Oper  Balfe'g,    20.  April  43    in  der  Opera  Coroique  zuerst   und  dann 
sehr  oft  aufgeführt  (Text  von  Scribe  u.  Leuven), 
*)  Dem  lange  erwarteten  „Prophet". 

»)  H.Heine  klagt  rerzwcifelnd    über    das  Gegenteil!    (Bd.  11,    S.  367), 
•)  Er  findet  bei  Heine  (Bd.  11,  S.  417/18)  keine  Gnade, 


cg  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

siogt  etwa  wie  die  Fassmann  in  20  Jahren  singen  wird. 
Es  giebt  in  Frankreich  ganz  gewiss  lange  nicht  so  viele 
schöne  Stimmen  wie  in  Deutschland.  —  Damm  machen 
deutsche  Sänger  und  deutsche  Musik  hier  ein  solches  Glück 
—  wenn  die  Journalistik  ihnen  nicht  ganz  malitiös  aufsitzt. 

Die  Journalistik  und  der  unsägliche,  furchtbare  Druck, 
den  sie  hier  auf  Politik  und  Gesellschaft  ausübt,  giebt  mir 
täglich  zu  denken.  Sie  glauben  nicht,  wie  leichtsinnig  und 
frivol  hier  diese  entsetzliche  Waffe  gehandhabt  wird!  — 
"Wenn  ich  nicht  im  Punkte  der  Pressfreiheit  seit  langer 
Zeit  mit  mir  eins  geworden  wäre,')  so  hätte  Paris  mich 
irre  machen  können.  Der  Missbrauch  der  Presse  ist  ein 
viel  grösseres  Übel  als  man  glaubt,  und  keine  Tyrannei 
ist  ärger  als  die  der  Zeitungsschreiber.  Gesellschaftlich 
wirken  sie  hier  besonders  zerstörend,  weil  ihnen  die  schiefe 
französische  Auffassung  des  künstlerischen,  literarischen 
politischen  und  militärischen  Ruhmes  so  in  die  Hände 
arbeitet  Diess  ewige  Ausderhandindenmundleben  der  französ. 
Kunst  und  Literatur  ist  zum  Theil  eine  Folge  der  Journalistik; 
es  wird  gar  nichts  dauerndes  mehr  geschaffen. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebe  Directrix!  Ich  denke  Ihrer 
täglich  und  meine  immer,  ich  würde  mehr  lernen,  wenn 
ich  jeden  Abend  nach  Poppeisdorf  kommen  und  Ihnen 
fleissig  erzählen  könnte!  Inzwischen  erzähle  ich  Ihnen  und 
dem  Urmau  recht  fleissig  im  Geiste  und  wünsche  nur,  Sie 
könnten  die  ferne  Stimme  hören  Ihres  in  Treuen  ergebenen 

Burckhardt  — 

(Nachsührift  de8  obigen  Briefs  an  Gott  fr.  K.  vom  26.  August.) 

26.  August. 

Na,  in  einer  Stande  fahre  ich  noch  Rouen !  Zwei  Tage 
Ferien  darf  ich  mir  nach  dieser  ewigen  Hetzerei  wohl  gönnen. 
GMtfe  Schöler ')  sehr  scböo  von  mir  und  Seibt')  auch;  die 

*)  B.  bitte  vielleicht  die  Petition  um  PreMfreiheit  nicht  tintcrichrieben, 
die  von  K.  —  Mchi  Tage  vor  »einer  Hochzeit  —  verftust,  von  den  Bonner 
BArgcm  an  den  Verrinigten  Ijindleg  abgesandt  wurde. 

*)  Mitglieder  d«t  M.  K.;  ■.  oben  meine  KiDleitting.  Sichtlich  war 
teiwlgchwi  aodi  «Im  Sandang  des  M.  K.  eiogetroßen. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^g 

Versbriefe  haben  mir  ganz  unendlichen  Spass  gemacht,  be- 
sonders eine  Stelle  von  Directrix:  Spitzbogen,  Mopsbogen, 
Randbogen  etc.  Das  ist  einer  der  schönsten  Unsinne,  die 
mir  im  Leben  vorgekommen  sind,  —  Dein  Eingang  des 
romant.  Briefes  ist  mir  so  angenehm  wie  eine  milde  Satyre 
auf  mich  selbsten  die  Gurgel  hinabgegangen.  Prächtig  ist: 
„Geist  der  Kirche,  der  geschaffen  etc."  Davon  schick  ich 
Dir  das  nächstemal  eine  Copie,   das  musst  Du  besitzen. 

[Ich  frankiere  diesen  Brief  nicht,  weil  die  grosse  Post, 
wo  man  allein  nach  dem  Ausland  frankieren  kann,  gar  zu 
weit  nach  der  Cite  hineinliegt.  —  Frankiert  mir  auch  nicht, 
das  ist  das  Einfachste.') 


13.  Mainz,  3.  Sept.  (spät)  1843. 

Lieber  Doktor ! 
Ich  bin  in  Frankfurt  bei  Fresen  und  Balder  gewesen 
und  heute  haben  Beide  mich  in  Mainz  besucht.  Höre  mich 
au!  —  Sei  nicht  unversöhnlich  mit  Balder!  In  meinem 
Briefe  aus  Paris  habe  ich  ihm  schweres  Unrecht  gethan, 
zerreiss  denselben.  Deine  Äusserung:  B.  sei  zur  kirchl. 
Partei  übergegangen,  hatte  mich  hauptsächl.  irre  gemacht. 
Du  hast  geirrt;  ich  habe  Balder  in  kirchl.  Dingen  gerade 
so  gefunden,  wie  er  in  Berlin  war;  es  hat  wirkl.  keine 
Apostasie  Statt  gefunden,  und  mit  der  Orthodoxie  ist  B. 
so  unzufrieden  wie  jemals.  Die  unglückseligen  Briefe,  deren 
Insolenz  ich  nicht  in  Schutz  nehme,  sind  der  wohlmeinende 
aber  fehlgegriffene  Ausdruck  von  einem  nicht  bloss  theolog. 
Entwickelungsstadium  Balders;  er  hat  mit  einer  früheren 
Autorität  als  solcher  brechen  müssen,  um  sich  freie  Bahn 
für  neue  Resultate  zu  machen.  Von  Schelling  will  er 
wenig   wissen. 

Empfange  ihn  als  einen  Dir  neu  geschenkten,  vor 
Allem  als  einen  selbständig  gewordnen,  in  theolog.  Grund- 
ansichten ebenbürtigen!  Er  ist  nicht  mehr  Dein  Schüler, 
er  steht  auf  einem  andern  Boden,  darum  musst  Du  mit 
ihm  verhandeln  wie  Macht  zu  Macht,  auch  wenn  er  1000  mal 


')  Diese  Worte  tind  nachträglich  gestrichen;  Der  Poststempel  ist :  Reuen. 


6o  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

weniger  wüsste  und  wäre  als  Du.  Mach  es  mit  ihm  wie 
Du  es  mit  mir  gemacht  hast  —  Du  verstehst  mich  schon. 

Ich  weiss  es,  dass  Ihr  nicht  nebeneinander  in  Bonn 
existieren  könnt,  ohne  aus  einem  leidlich  frostigen  Ver- 
hältniss  in  Liebe  oder  in  Hass  überzugehen.  Ich  und  noch 
Jemand  in  Deiner  Nähe  bitten  Dich  um  das  Erstere.  Bis 
jetzt  ist  das  Geheimnis  dieses  Streites  in  wenigen  Händen. 
Balder  wird  Dir  schreiben;  wenn  Du  mir  nach  so  vieler 
Liebe  und  Treue  noch  ein  Übriges  zu  Liebe  thun  willst, 
80  antworte  ihm  versöhnlich  und  mache  dadurch  auch  mein 
Unrecht  gut. 

Er  liebt  Dich  noch  wie  immer,  glaube  mir!  —  Ich 
glaube,  er  würde  so  schmerzlich  wie  Du  den  Riss  fühlen, 
der  durch  eine  dauernde  Entzweiung  in  die  Bonner  Er- 
innerungen käme.  Ich  schreibe  diesen  Brief  ohne  Anregung 
von  seiner  Seite,  hauptsächl.  um  meines  eignen  Unrechtes 
willen,  als  Abbitte,  und  verlange  nur,  dass  er  denjenigen 
mitgetheilt  werde,  welche  meinen  Brief  aus  Paris  gelesen 
haben.  — 

Sprecht  Euch  einen  einzigen  Abend  aus  und  ihr  werdet 
von  Neuem  Freunde  sein. 

Torstrick  ist  von  Deinem  Brief  heftig  erschüttert  worden 
und  hat  manchen  trüben  Tag  darüber  gehabt.  Auch  er  hat 
es  gewiss  nicht  so  schlimm  gemeint  und  wenn  Deine  Sache 
mit  Balder  erledigt  ist,  so  hoffe  ich  auch  hier  Versöhnung, 
wenn  auch  weniger  zuversichtlich. 

Ich  sehe  jetzt  klar  in  Alles  hinein  und  könnte  nun 
Alles  wenn  nicht  rechtfertigen,  doch  entschuldigen  und 
erklären,  die  Angriffe  wie  die  Antworten.  Drum  lass  mir 
die  schöne  Hoffnung,  dass  rocht  bald  Alles  wieder  gut 
•ein  werde!  — 

Der  Direktrix  hoffe  ick  durch  diese  2Seilen  ein  kleines 
Artonal  von  HQlfswaffen  für  ihre  edlen  Bemühungen  zuzu- 
fahren. Ich  gebe  hier  unverküinmert  den  Eindruck  wieder, 
den  ich  von  Haider  empfangen  habe,  diese  und  nicht  mehr 
noch  minder.  Grütie  Direktrix  herzlich  von  mir!  Ach 
Gott,  ich  hab  schon  wieder  Heimweh  nach  Bonn. 

Grüfte  Andreas  und  Wurm. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  au  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  5l 

Zernichte  das  erste  Blatt  meines  Briefes  aus  Paris, 
d.  h.  Alles,  wo  von  Balder  die  Rede  ist;  ich 
widerrufe  das  Alles.  Andreas  soll  mit  seinem  Brief 
dasselbe  tlmn. 

In  herzlicher  Treue  grüsst  Euch 

Euer     Saltimbanque.') 

P.  S.  Ich   habe   das   Alles   mit   einer   längst  zerschriebenen 
Stahlfeder  kratzen  müssen. 


Von  Paris  heimreisend,  war  Burckhardt  doch  noch  — 
seiner  Sehnsucht  (s.  Brief  12,  Mitte)  folgend  —  kurz  in  Bonn 
eingekehrt,  wie  Brief  23  (Anfang)  beweist;  dann  aber  spann 
sich  der  junge  Dr.  phil.')  in  allerlei  Vorarbeiten  für  die 
Habilitation  und  weitere,  auch  nicht  akademische,  Betätigung 
in  Basel  ein.     (Trog,  S.  44  ff.) 


14.  Basel,  12.  Oct.  1843. 

Herzlieber  Doctor! 

Ich  bin  hier.  Meine  Familie  verspricht  mir  ein  an- 
genehmes Leben ;  die  Aussichten  auf  Fortkommen  aber 
stehen  höchst  zfeibelhaft.  Hier  ist  in  meiner  Absenz  viel 
gebaut  (darunter  auch  manches  entworffen)  worden,  sodass 
ich  Basel  kaum  mehr  kannte. 

Der  Directrix  liege  ich  andächtig  zu  Füssen,  und  denke 
nur  allzuviel  an  Euch.  Meld  mir  bald  was^  Neues.  Hat 
Balder  Dir  geschrieben?  Grüss  Andreas.  Euer  herzlich 
^^^"^^  Salti  mbanque. 

*)  Dieser  Scherzname  wurde  B.  von  Kinkels  beigelegt  und  hartnäckig 
festgehalten.  Zu  seiner  Erklärung  diene  die  (von  B.  eingelieferte)  Pariser 
Anekdote,  die  wir  dem  Jahrgang  1843  des  M.  K.  entnehmen.  „Ein  Halunke 
tritt  vor.  Le  juge:  Quel  est  votre  metier?  Halunke:  Je  suis  sailimbanque. 
Le  juge:  Vous  savez  tresbien,  que  ce  n'est  pas  un  metier  comme  il  faut ; 
cc  n'est  qu'un  pretexte  pour  la  faineantise.  Halunke:  Oh  que  si!  c'est  un 
metier  comrae  un  autre,  et  puisque  mon  pere  ne  savait  pas  faire  autre  chose 
de  moi .  . .  Le  juge:  Je  dis  que  ce  n'est  pas  un  metier!  Halunke:  Sans 
doute,  c'est  un  metier!  et  vous  garantis,  nionsieur  le  juge,  <|iie  vous  ne 
l'apprendriez  pa«  en  24  heures!     (Gelächter)." 

*)  Seit  dem   ig.  Mai  promoviert;  s.  Troi^,  S,  37. 


02  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

16.  Basel,  24.  Nov.  1843. 

Herzlieber  Doctor ! 

Ich  hab'  Euch  lange  warten  lassen ;  Du  weisst  aber  selber 
wohl,  was  ein  Ankömmling  in  der  sog.  Vaterstadt  alles  thun 
und  beobachten  muss,  ehe  er  ruhig  an  seinem  Schreibtisch 
sitzt.  Auch  wollte  ich  den  Eindruck  erst  unparteiisch  ab- 
warten, was  nun  auch  geschehen  ist  und  jetzt  sage  ich  aus 
voller  Ueberzeugung:  Basel  wird  mir  ewig  unleidlich  bleiben. 
Ich  bleibe  hoffentlich  kaum  2  Jahre  hier  —  diess  unter  mir 
und  Euch,  denn  meine  sog.  Landsleute  finden,  man  müsse 
sich  durchaus  hier  wohl  fühlen  und  ich  würde  Verdacht 
erwecken,  Hesse  ich  was  andres  verlauten.  Kein  Wort  wird 
verziehen,  eine  Zwischenträgerei  ohne  Gleichen  vergiftet 
Alles.  Uebrigens  wisse,  dass  ich  nächsten  Sommer  an  der- 
jenigen stillen  Musick  (sie)  Theil  nehme,  die  man  Lections- 
catalog  und  Universität  nennt.  Ich  kündige  sepl.  Kunst- 
gesch.  u.  dtsche.  Q^sch.  an.  Ersteres  hätte  ich  gerne  noch 
bei  Dir  hören  mögen!')  Ich  sage:  ich  kündige  an.  Es  sind 
nämlich  hier  nur  noch  28,  sage  achtundzwanzig  Studiosen 
und  von  solchen  über  die  Hälfte  Stipendiaten.  Der  Stähelin') 
hat  gewiss  nicht  mit  der  Sprache  herauswollen  de  hoc,  als 
er  bei  Dir  war!  —  Nun  heisst  es  natürlich  immer  lauter: 
Hebt  den  Luxus  auf!  Und  wenn  es  einmal  circa  20 — 15 
sein  sollten,  so  wird  gewiss  die  Aufhebung  erfolgen,  wenig- 
stens de  facto  wird  Kaliban  einschlummern.  Binnen  2  Jahren 
kratze  ich  sicher  aus,  nach  Jena  oder  sonst  wo  hin.  Wenn 
Dur  in  Bonn  nicht  jeder  Gedanke,  anzukommen,  Unsinn 
wäre!  Ihr  seid  jetzt  zu  übersetzt,  ich  würde  ohne  weitres 
scheitern.  — 

Die  Facalt&t  ist  mir  ziemlich  gewogen,  bes.  mein  guter 
alter  Ordinarius  Brömmel'),  von  Goslar  gebürtig.  Mit  den 
Deutflehen  komm'  ich  noch  am  besten  aus,  halte  mich  aber 
Qborhaupt  äusserst  zurückgezogen,  spreche  wenig  und  sehr 
bedächtig  (ausg.  im  Hause)  und  sehe  fast  keinen  MeDScheo,  — 
▲llee  gegen  meine  Natur.  Meine  Politik  ist,  mit  Allen 
freundlich  zu  sein  und  mit  Keinem  anzuknüpfen.  Keinem 
WM  zu  verdanken.  — 


t)  HMcbMtaiMlig*',  •.  Trog,  S.  4S    Ueber  KinkeU  Kolleg  •.  Brief  1 2  (Mitte). 
*)  Hattra  i8j7— J9  in  Burckbiirdti  Lehrern  gehört;  Trog,  S.  a,  j. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (uud  Johanna)  Kinkel.         53 

Wie  90  eine  Stadt  versumpft  ohne  anregende  Lebens- 
elemente von  Aussen!  Gelehrte  Leute  sind  da,  aber  man 
hat  sich  recht  gegen  die  Fremden  versteinert.  Es  ist  nicht 
gut  in  unsrer  Zeit,  wenn  solch  ein  kleiner  Winkel  ganz 
seiner  Individualität  überlassen  bleibt.  —  Sapienti  sat,  sonst 
hochverrathe  ich  noch. 

26.  Nov. 

0  lieber  Freund,  könnt'  ich  mit  Euch  leben!  —  Einst- 
weilen lebe  ich  gar  nicht,  d.  h.  ich  oxe  bloss.  Wenn  die 
ehemaligen  Zeitgenossen  von  mir  wüssten,  dass  ich  deshalb 
so  artig  und  reserviert  mit  ihnen  bin,  weil  sie  mir  allesammt 
zum  Umgang  zu  langweilig  und  philiströs  sind  —  so  würde 
man  mich  lästern  und  anfeinden  ohne  Unterlass.  Ich  lasse  aber 
nichts  merken.  Ja,  es  ist  wahr,  Deutschland  hat  mich  verzogen, 
indem  es  mir  den  Umgang  mit  den  Besten  darbot,  und  deshalb 
m  u  s  s  ich  hier  mich  verlassen  fühlen  —  aber  ich  will  es 
gerne,  denn  ich  habe  Erinnerungen,  die  für  Alles  Trost  geben. 

Wir  haben  hier  eine  Fa9on  Opposition,  aber  es  sind 
eben  auch  Philister,  nur  anders  gefärbt  als  die  Andern,  und 
hie  und  da  maliziös,  so  dass  ich  mich  mit  diesen  nicht 
einlassen  mag.  In  Bez.  auf  Politik  muss  ich  vollends  an 
mich  halten,  weil  ich  alle  Parteien  verachte,  denn  ich  kenne 
sie  alle  und  stecke  in  keiner.  Einstweilen  oxe  ich  für 
nächsten  Sommer  an  einem  Colieg  deutsche  Gesch.  und 
beginne  daneben  den  Ulk  über  Altalemannien.')  Wovon 
ich  leben  soll  ist  noch  nicht  klar;  einstweilen  hat  mir  Kugler 
die  Neuredaktion  der  Kunstartikel  fürs  Brockhaus'sche  Conv. 
Lex.  9*®  Aufl.  zugewandt,  wobei  sehr  schön  bezahlt  wird. 
Litera  E  ist  schon  seit  10  Tagen  umgearbeitet  und  nach 
Leipzig  versandt.  A — D  hatte  Kugler  gearbeitet;  es  wurde 
ihm  aber  zu  lästig,  weil  er  sonst  viel  zu  thun  hat,  und  so 
wies  er  Brockhaus  an  mich.  Würde  ich  nach  und  nach 
Correspondent  auch  für  anderes,  etwa  für  die  Leipz.  Zeitung, 
80  hätte  ich  sorgenfreie  Existenz.  Nu,  wir  wollen  sehen.  — 
Ich  denke  immerfort  nur  an  Deutschland,  besonders  aber 
an  Dich  und  an  Hermann  Seh.*)  Neben  Euch  ist  mir  alles 
was  mich  hier  umgiebt,  reiner  Bettel.     Ich  arbeite  um   zu 

')  Vgl.  Brief  8  (Besuch  bei  J.  Grimm);  Trog,  S.  52. 
*)  Schaoenburg. 


64  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Euch  ZU  kommen;    all  mein  Sinnen  und  Denken   geht  auf 

Deutschland   allein.    —    Denke,    es    speculiert  hier  jemand 

drauf,  ich  soUe  Jemandes  Tochter  heirathen.    Wie  ich  aber 

diesem  Volk  im  Stillen  lange  Nasen  drehe  und  mit  welchem 

Vergnügen,  ist  unsagbar. 

29.  Nov. 
Ihr  habt  doch  das  Geld  richtig  erhalten? 

Ich  arbeite  jetzt  „vielfach  aufgefordert"  daran,  nach 
Neujahr  vor  einem  gemischten  Bupflikum  über  d.  Malerei 
seit  Rafael  zu  lesen,  nur  12  Stunden.^)     Hä?  — 

Sag  mir  einmal,  wie  steht  Ihr  jetzt  mit  Bai  der?  Ich 
habe  jetzt  zu  viel  zu  thun,  sonst  schriebe  ich  an  ihn.  Gott 
weiss,  ich  bin  jetzt  gut  im  Oxen,  und  doch  nicht  genug, 
denn  aufs  eigentl.  Oxen  kommen  doch  kaum  8  Stunden  des 
Tags.  Man  vertrödelt  in  der  Familie  und  sonst  viele  Zeit.  — 
Jetzt  ist's  wieder  mildes  Wetter  und  Mondschein,  da  habe 
ich  allerlei  Posthorn-  und  Reisephantasien,  vielleicht  hilft 
mir  das  zu  einer  poetischen  Erzählung,  obwohl  ichs  nicht 
glaube.  —  Hier  sind  übrigens  zwei  schöne  Augen,  die  mir  zu 
gefallen  anfangen.  Es  wird  aber  auch  nichts  Rechtes  daraus, 
denn  man  will  von  mir  Unterhaltung  und  Anregung,  nicht  — . 

Schatzkind,  ich  möchte  gern  mit  Euch  sein,  das  weiss 
Gott;  Ihr  habt  mir  so  viele  Gedanken  in  den  Kopf  gesetzt, 
die  schlagen  jetzt  alle  in  Sehnsucht  nach  Euch  um.  — 
Ueber  deine  Perspektive  hat  der  Stähelin  nichts  Rechtes 
gewusst;  —  es  muss  doch  einmal  vorwärts  oder  rückwärts 
gehen,  denke  ich  und  rechne  mir  die  Probabilität  aus. 

1.  December. 

Bitte  gieb  die  2  Episteln  auf  die  Post;  ich  erspare  auf 
die  Art  viel  Porto,  da  ich  auf  diese  Art  nicht  zu  frankieren 
brauche.  Aus  der  Vorlesung  für  das  gemischte  Bupflikum 
wird  wegen  Mangeli  an  Lokal  wohl  nichts  werden.  Bitte 
Doctor,  schreibt  mir  bald,  wenn's  auch  nur  2  Zeilen  sindf 
Ich  will  daoD  artig  sein  und  Mäwo  füllen.  — 

Beiliegend  DiBsertation')  von  mir  zu  beliebigem  Ge- 
braacb.  —  Addio  lieber  Doctor,  dich  küsst  in  Treuen  Dein 
Em  in  US. 

•)  Trofc  8.  4$. 

*)  Trog.  S.  37. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  6^ 

P.  S.  Saltimbanque  mag  ich  doch  nicht  mehr  heissent 
C'est  un  metier,  ja  aber  was  für  eines! 

Grüsst  Balder  herzlich  von   mir.    wenn   Ihr   ihn    seht. 

16.  Basel,  28.  Dec.  1843. 

Glöcksillig  Neujohr! 
Guten  Morgen  herzlieber  Doctor! 

Dass  ich  Euch  jetzt  etwas  schicke,  ist  Folge  einer  ver- 
wünschten Gewohnheit  von  mir,  dass  ich  nämlich  leicht 
halbe  Versprechungen  so  hinwerfe.  Nun  schrieb  ich  Euch 
unlängst:  ich  würde  vielleicht,  doch  nicht  wahrscheinlich 
mitconcurrieren.  Das  reut  mich  jetzt  gehörig,  da  ich  mir 
hätte  denken  sollen,  dass  Ihr  alle  und  jegliche  Lebens- 
äusserung  (sonst  Briefe  genannt)  bis  nach  dem  4.  Jan.  44 
verschieben  würdet,  um  dann  gleich  auch  mein  letztes  mit 
zu  beantworten,  falls  ein  solches  ankäme.  Bloss  um  endlich 
unfehlbar  ein  Lebenszeichen  in  meine  Einöde  zu  erhalten, 
verfasste  ich  beiliegenden  Wisch,  den  Ihr  am  besten  den 
Flammen  weihen  möget.*)  Ich  habe  wieder  einmal  ohne 
allen  Plan  angefangen.  — -  Melde  mir  jetzt  unfehlbar  ob  Du 
meinen  Brief  von  Mainz  aus  und  die  5  Rthlr  und  die 
letzten  Briefe  erhalten  hast  und  ob  es  nicht  etwa  10  Rthlr 
gewesen  sind,  die  Ihr  mir  pumptet?  Mir  ist  hinterdrein 
so  ein  Zwyfel  aufgestiegen.  —  Und  dann  schreibt  mir  um 
Gotteswillen  gut  und  viel  und  reichlich,  denn  ich  habe  seit 
einem  Vierteljahr  keinen  Ton  aus  Deutschland  vernommen. 
Mit  dem  Oxen  gehts  so  so  la  la  —  Aussichten :  keine, 
Laune:  passabel.  —  Die  projektierten  Kunstvorlesungen 
kommen  wegen  Mangel  an  Local  nicht  zu  Slande.  Es  wird 
vielleicht  eine  Zeitungsredaction  sich  für  mich  aufthun,  doch 
erst  in  Jahr  und  Tag.  Sag's  nicht  weiter,  damit  es  die  Schweizer 
in  Bonn  nicht  erfahren  und  wieder  hieher  verklatschen. 

Addio  lieber  Doktor,  Dich  küsst  in  Treuen  Dein 

Em  in  US 
(vormals  Saltimbanque). 

')  Ein  M.  K.  Beitrag,  betitelt;  „Der  Alchymist",  eine  in  Kiirköin  spie- 
lende Novelle,  von  der  es  in  den  Briefen  noch  mehrfach  (bis  nach  Rom  hin, 
Br.  35)  spukt.  Kinkel  selbst  spielt  darauf  an  in  einem  Briefe  d.  J.  1850 
(s.  Grenzboten,  1899,  Märzheft,  731).  Sie  war  wohl  ein  Nachklang  der 
Studien  zu  seiDem  „Hochstaden"  (Trog,  S.  25 — 28). 


<56  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

P.  S.  Leider  kann  man  die  Pakete  von  hier  aus  nur 
bis  Ffurfc  frankieren ;  drum  habt  Ihr  wol  (sie)  beim  Letzten 
tüchtig  nachzahlen  müssen.  Drum  frankiert  mir  such  nur 
bis  Ffurt,  es  ist  das  Klügste. 

Die  histor.  Gesellschaft  dahier  wird  sich  in  nächster 
Sitzung  den  Kopf  darüber  zerbrechen,  warum  ich  nicht  mehr 
Saltimbanque  sondern  wieder  Eminus  heisse.  Sie  treibt  oft 
Quisquilien.  Ich  halte  jetzt  öfter  Vorträge  in  der  Künstler- 
gesellschaft, wo  meist  junge  Leute  sind,  und  werde  jetzt 
regelmässig  darum  getreten.  Z.  B.  über  Murillo,  über  Still- 
leben, das  nächste  Mal  über  d.  Rococo  u.  s.  w.  Das  kommt 
unter  die  Leute  und  macht  Spass  —  — 

17.  An  Urmau. 

Basel,  18.  Januar  1844. 
Herzlieber  Doctor! 

Jetzt,  auf  Eure  schönen  Briefe  hin  reut  michs  erst  recht, 
dass  ich  Euch  den  abgeschmackten  Alchymisten  geschickt 
habe.  Nun,  es  ist  geschehen.  —  Uebrigens  mathmusse  (sie) 
ich,  dass  Ihr  die  Concurrenz  diesmal  gänzlich  eingestellt 
habt,  weil  in  keinem  Eurer  Briefe  aucli  nur  mit  einer  Sylbe 
davon  steht.  Schrecklicher  Gedanke,  wenn  bei  derselben  nur 
mein  gottverlassener  Alchym ist  einsam  auf  dem  Tisch  läge!  — 

Was  ist  Dir  eingefallen,  liebster  Urmau,  meine  Dis- 
sertationen an  alle  Welt  zu  verthoilen  und  gar  vom  Lesen 
derselben  zu  sprechen?  Ich  sandte  sie  rein  als  Ballast  mit, 
sie  waren  zu  Deinem  Hausgebrauch  bestimmt  —  und  jetzt 
geht  der  Etcaetera  und  theilt  sie  aus  wie  unsre  Pietistou 
die  Traktätlein!  —  (Letztere  pflegen  aus  Malice  auf  Schrtib- 
papier  gedruckt  zu  werden.)  — 

Für  Uobersenduug  der  Julia  Alpiuula')  schönen  Dank! 
Jetzt  sehe  ich  erat  recht,  wie  unsäglich  schlecht  das  Ding 
int  Hieran  hAog  ich  meine  Bitte:  schickt  mir  bei  Gelegen- 
heit den  Anfang  zu  einer  Coniödie,  den  ich  von  Paris  mit- 
brachte. Mach  ich  das  Ding  nicht  fertig,  so  sollt  Ihr  es 
binnori  .Jahresfrist  wi(>der  haben.  — 

')  *.  XU  Br.  6. 


II 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (uud  Johaona)  Kinkel.  67 

Ferner  inöcht  ich  gern  den  kleioeu  Mawbrief,  welcher 
die  Liedchen  von  Paris  und  Rouen  ')  euthält,  in  Copia 
besitzen.  Hast  Da  einmal  Zeit,  so  bitte,  schreib  mir  die 
2  Bagatellen  ab !  —  Ich  will  ja  brav  sein  und  Euch  schicken 
soviel  ich  produziere.  Die  2  Liedchen  sind  ohne  allen 
Werth,  aber  es  sind  Tagebuchblättchen. 

Und  die  sammle  ich  mit  Eifer.  Weisst  Du  was  es  heisst: 
rein  in  Sehnsucht  und  Erinnerung  leben  ?  —  Ich  habe  hier 
keine  Seele,  mit  der  ich  geistigen  und  gemüthlichen  Um- 
gang pflegen  könnte,  denn  wer  ist  hier  geistig  frei?  Sie 
meinen's  alle,  aber  ich  weiss  doch,  dass  auch  das  geringste 
Postulat  der  neuern  Zeit  hier  lauter  taube  Ohren  findet.  Ich 
mag  keinen  halb  angenehmen  Umgang,  seitdem  ich  in  Berlin 
und  bei  Euch  das  Höchste  in  dieser  Beziehung  genossen 
habe.  In  Gottes  Namen,  einsame  Sehnsucht  ist  besser  als 
Vergeudung  der  guten  Laune  an  dieses  langweilige  Volk. 
Ein  Kästchen  in  meinem  Schrank  enthält  die  Briefe  meiner 
Freunde  d.h.  die  vom  Mau  und  seinen  Angehörigen,  von 
den  Schauenburgs  etc.  etc.  und  in  meinem  Zimmer  hängen 
ein  paar  Porträts  —  das  ist  Alles  was  mir  Freude  macht. 
In  der  Familie  lebe  ich  so  viel  ich  muss,  um  den  guten 
Leuten  keinen  Anstoss  zu  geben;  ich  nehme  auch  an  eini- 
gen Gesellschaften  und*  Vereinen  Theil,  knüpfe  aber  nirgends 
Verhältnisse  an.  Was  an  meinem  Leben  Gutes  und  Freu- 
diges ist,  das  habe  ich  schon  genossen.     Aber 

„Nur  kühner  schlägt  in  Einsamkeit  die  Brust  — " 
Ihr  meine  deutschen  Freunde  habt  mich  zu  stolz  gemacht 

—  wer  Dich  und  Fresen  und  Hermann  und  Eduard  Schauen- 
burg  zu  Freunden  hat,  der  kann  sich  nicht  von  Herzen 
zu  den  hiesigen  jungen  Zeitgenossen  herablassen.  Glück- 
licher Weise  sind  die,  mit  welchen  ich  der  Präcedentien 
wegen  umgehen  müsste,  alle  auswärts  angestellt.  —  Ich 
wusste  ja,  dass  es  so  kommen  würde.  Ewig  bleibt  mir  mein 
Kapitol  von  Erinnerungen,  in  welches  ich  mich  rette,  und 
das  soll  mir  genügen.    Aber  mein  Inneres  blutet  bisweilen, 

—  drum  kann  ich  Euch  nicht  jedesmal  lustige  Briefe  ver- 
sprechen. Jetzt  fühle  ich's,  was  es  für  ein  Glück  sein  müsste 
ein    grosser   dramatischer   Dichter   zu   sein;    eine   Tragödie 

*)  Drei  solche  enthält  der  Jahrg.  1 844  des  M.  K. 


68  Rudolf  Mcyer-Kraemer. 

würde  jetzt  meine  ganze  Seele  läutern  und  all  dieses  dumpfe 
Leiden  in  klare  Schmerzen  und  Freuden  auflösen.  —  Nicht 
wahr,  Urmau,  du  denkst  schon  lange:  Wenn  der  thörichte 
Burckhardt  nur  die  dramatischen  Flausen  Hesse  und  dafür 
Landschaftsbildchen  schriebe !  denn  eine  Tragödie  bringt  der 
im  Leben  nicht  zu  Stande!  —  Du  magst  wohl  Recht  haben, 
ürmaa.  — 

Hierait  folgt  auch  ein  Brief  für  Torstrick,  dessen  Auf- 
enthalt ich  nicht  weiss,  Balder  wirds  besorgen.  Zürne  mir 
nicht,  lieber  Freund,  ich  liebe  Torstrick  herzlich  und  kann 
mir's  in  meiner  Sehnsucht  gar  nicht  mehr  denken,  dasä  Ihr 
beide  entzweit  sein  solltet. ')  Ich  will  nicht  vermitteln,  denn 
das  wäre  s^hr  dumm  von  mir,  aber  in  meiner  Erinnerung 
seid  Ihr  gute  Freunde  zusammen. 

Sag  mir  einmal,  wann  kommt  das  Ahrbüchlein  heraus? 
—  Geniere  dich  um  Gotteswillen  nicht  wegen  meines  Poems!') 
Lass  es  lieber  weg,  wenn's  Dir  nicht  beliagt;  ich  gebe  nichts 
drauf.  In  dem  Gedichte  vom  Heidelberger  Studenten,  welches 
ich  aus  dem  Gedächtniss  aufgeschrieben  habe,  kannst  Du 
verbessern : 

„Und  aus  den  Gärten  klang's  empor  so  leis  —  |^    Strophe  6, 
Die  alten  Lieder,  der  Geliebten  Preis !  /  zweite  Hälfte 

Str.  10,  Z.  6:  Zu  Ihr!  zu  Ihr!  —  doch  Sie,  die  er  verlor  — " 

Auch  die  andern  Sachen  habe  ich  aus  dem  Gedächtnis 
so  ziemlich  herstellen  können.  Ich  hatte  anfänglich  im  Sinn, 
statt  des  Alchymisten  die  Affaire  zwischen  Isabellchen  und 
Olozaga')  in  Freiligrath'Hcher  Jugendmanier  zu  behandeln, 
aber  mit  Possen  reiche  ich  heuer  nicht  mehr  so  weit.  Bei- 
liegendes Blatt  aus  Schnipselii  Leben  ist  forciert  und  hat 
mir  nicht  woblgethan. 

Meine  Arbeiten  rücken  nicht  recht.  Den  Dr.  Lersoh 
grttste  frenndlich:  ob   ich   etwas  werde  arbeiten   können,*) 

•)  ».  Br.  13, 

*)  E«  •lebt  In  Br.  11 :  da«  Buch  ertchien  cr»t  Mitte  1845  in  Bonn,  uii 
„Die  Abr.  LandicbafI,  Geitcbichte  und  Volktleben".  Vgl.  Strodtmunn,  Gottfr. 
Kiokd  (llambarg  1850,  2  Bde.),  I,  S.  as4.  '97:  II>  ai. 

*)  •.  SU  Br.  ta. 

*)  In  Min«  ..Vtrotia**:  ».  Br.  8. 


Briefe  Jakob  Burckhardtä  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  69 

weiss  ich  ganz  und  gar  nicht;  denn  in  so  ein  Taschenbuch 
darf  nur  ganz  glatte,  lesbare,  gute  Waare.  und  die  Wahl  des 
Gegenstandes  ist  so  verhängnissvoll  wie  bei  einem  Drama. 
Läuft  mir  etwas  übern  Weg,  so  soll  er's  haben. 

Den  21.  Jan. 

Ich  habe  den  TiOthar')  dreimal  wieder  durchgelesen  und 
auch  einer  Dame  vorgelesen.  Letztere  fand  vieles,  besonders 
in  den  letzten  Akten,  ausserordentlich  schön,  verrieth  aber 
ihre  Prüderie,  von  der  sie  sonst  ziemlich  frei  ist,  durch 
gänzliches  Missverständniss  des  verständlichsten  Charakters : 
AValdrade.  —  ^Ja,  Waldrad  hätte  weichen  sollen,  wirklich 
weichen  sollen  und  nicht  bloss  wollen  sollen  — "  etc. 

Ich  habe  mein  Urtheil  über  das  Stück  wenig  modi- 
ficiert,  aber  erweitert.  Es  ist  ein  grosses  Glück  für  Dich, 
Urmau,  wenn  dasselbe  nicht  aufgeführt  wird.  Es  liegen 
Verheissungen  genug  Deiner  künftigen  dramatischen  Be- 
deutsamkeit drin,  aber  so  wie  es  ist,  würde  es  die  Szene 
noch  nicht  ertragen.  Gegen  Lothar's  Immoralität  wende  ich 
gar  nichts  ein,  er  könnte  viel  unmoralischer  sein  und  den- 
noch die  Hauptfigur  des  Stückes  bleiben,  wenn  er  nur 
persönlich  mächtig  und  wichtig  genug  bleibt  um  der  Gegenpol 
der  römischen  Kirche  zu  sein.  Meine  Einwendungen  gehen 
nicht  gegen  die  Charaktere,  denn  die  jetzige  Bühne  hat 
sich  welche  gefallen  lassen,  die  tief  unter  den  Deinigen 
stehen.  Aber  die  Ausführung!  Mensch,  schreib  um  Gottes 
willen  inskünftige  in  Prosa  und  begreife,  dass  der  ver- 
flucht« shakspearsche  Jambus  eine  Scheidewand  zwischen 
Dichter  und  Publicum  ist,  die  z.  B.  Mosen-)  den  Hals  ge- 
brochen hat  und  ihn  auch  Qeibel  brechen  wird.  Grade  wie 
das  Publikum  jetzt  mit  der  grossartigsten  Freskomalerei 
kein  Verhältniss  mehr  knüpft,  sondern  individuellstes  Leben, 
Charakteristik  und  Colorit  verlangt,  ebenso  will  es  auch 
in  der  Tragödie  Menschen,  nicht  solche  die  wirklich  Seines- 
gleichen sind,  wie  Platen  höhnte,  sondern  solche,  die  seines- 
gleichen sein  können.  Das  Drama  braucht  deshalb  noch 
keinen    modernen   Gegenstand    de   rigueur   zu   haben;    man 

*)   s.  Er.    5    und  6.      Das    Stück    hatte    beim    Stiftungsfeste    1842    den 
Preis  gewonnen  (Strodtmann,  p.  297). 
•)  Im   Bernhard  von   Weimar? 


•jQ  R  u  d  o  1  f  M  e  \  e  r  -  K  r  a  e  ni  e  r. 

könnte  auch  Brunhild   und  Fredegund  in  Prosa  schreiben. 

—  Der  Vers  allein  ist  es  nun  freilich  nicht,  der  Dichter 
und  Hörer  scheidet;  sondern  das  ist  es,  dass  Leute  wie 
Geibel  und  Du,  im  Besitz  einer  reichen  prächtig  wogenden 
Diction,  sich  alle  Augenblicke  hinreissen  lassen  vom  Klang 
des  eigenen  Verses  und  den  sprechenden  Menschen  darüber 
Tergessen.  Lege  dir  einmal  die  Rede  des  Nicolaus  an 
Rodoald  in  Prosa  auseinander  und  siehe  dann  zu,  wie  un- 
endlich anders  das  Alles  zu  stehen  käme,  wie  viel  bündiger 
sich  charakterisieren  Hesse!  —  Du  hast  es  einmal  als 
Marotte  verspottet,  dass  Göthe  die  Iphigenie  zuerst  in  Prosa 
schrieb  —  Glaub  mir,  es  war  nicht  ohne,  und  ihm  hat  das 
ne  quid  nimis  so  nachdrücklich  vorgeschwebt,  dass  er  sich 
selber  völlig  misstraute.  —  Dein  Graf  Hubert  der  mit  den 
ersten  Worten  des  zweiten  Aktes  so  majestätisch  beginnt, 
geht  in  den  übrigen  Szenen  ganz  in  den  schönen,  allge- 
meinen Jamben  verloren,  und  doch  ist  ein  Wendepunkt  des 
Stückes  sein  Werk.  Femer  was  für  ein  Prachtskerl  wäre 
Conrad  vom  Elsass  in  Prosa  geworden !  —  Wie  hätte  Günther 
von  Colin  gewonnen!  Ganz  besonders  aber  würde  Waldrad 
in  scharfer,  kantiger  Prosa  ein  feurig  leuchtender  Edelstein 
geworden  sein.  Ich  glaube  gern,  dass  du  dem  Verse  nicht 
gern  entsagen  wirst,  aber  ich  weiss  jetzt  auch,  warum  mir 
deine  Stedinger')   immer  besser   gefallen  haben  als  Lothar, 

—  liechne  hinzu,  dass  die  Schauspieler  Prosa  viel  besser 
geben  als  Verse!  In  ganz  Deutschland  giebt  es  vielleicht  ein 
Dozend  (sie)  Schauspieler,  die  einen  erträglichen  Jambus 
sprechen.  Wenn  man  dir  mit  Tendenz  der  Charaktere  den 
Kopf  heisH  machen  will,  so  glaube  das  Alles  nicht;  von 
der  Seite  würde  das  Stück  Qlttck  machen.  —  Neben  dem 
Umstand  wogen  der  Prosa  ist  vielleicht  nur  noch  eine 
we8-<ntlicho  Aussetzung  zu  machen :  das  Stück  rückt  in 
einigen  Partion  nicht  genug  vorwärts,  doch  dergl.  weisst 
da  bosser  alt  ich.  Aber  ein  Dramatiker  bist  und  bleibst 
du  und  wirst  wachsen.     Dixi. 

Doch  nein,  noch  nicht  Dixi.  Ich  werde  mich  von  den» 
Lothar  nie  trennen  können,  weils  obon  doch  ein  schönes 
Stock  ist  und  mich  jedesmal  packt,  wonn  ichs  lese.  Günther 

•)  Ant  n.  1K40,  Sirodim.,  p.  aia,  305. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (uud  Jobauna)  Kinkel.  -j  \ 

von  Kölln  klingt  besonders  deutlich  in  mir  selber  wieder; 
ich  kann  sein  Schicksal  nicht  vergessen.  Und  dann  behält 
wohl  Lothar  am  Ende  Unrecht  gegen  die  Kirche,  aber  das 
Verhältniss  bleibt  dann  doch  gar  schön  in  der  Schwebe 
und  mau  scheidet  versöhnt.  Mensch,  fasse  einen  Entschluss 
und  geh  einmal  in  die  moderne  Zeit!  Nimm  einmal  den 
Gebhard  Truchsess  mit  seiner  Gräfinn  von  Mansfeld.'j  Das 
Stück  kann  theilweise  auf  dem  Drachenfels  spielen.  Es 
liegt  da  so  um  den  30jähr.  Krieg  herum  noch  so  mancher 
Stoff  —  tragisch  und  doch  recht  genrehaft,  du  verstehst 
schon.  Die  Franzosen  haben  diese  Renaissance-Epoche  fast 
nur  komisch  ausgebeutet,  weil  ihre  Quellen  dabei  Memoiren, 
der  Grund  und  Boden  aber  die  elende  Fronde  ist  d.  h.  der 
Vorabend  des  Glanzes  unter  Ludwig  XIV.  Bei  uns  da- 
gegen ist  der  Hintergrund  durchaus  tragisch,  ein  Eeligions- 
krieg  und  Bürgerkrieg,  der  mit  schauderhafter  Verwüstung 
schliesst.  —  Halbkomisch  wird  dann  wieder  das  deutsche 
Hofleben  von  Leopold  I  an,  den  ich  gewissermassen  auf 
dem  Korn  habe.  —  Denke,  wie  wenig  Schiller's  Wallen- 
stein  und  Mosen's  Bernhard  von  Weimar  die  reiche  Scenerie 
des  BOjähr.  Krieges  mit  seinen  Jesuiten,  Salzböcken'),  Hexen- 
processen,  Intriguen  u.  s.  w.  erschöpft  haben!  Wo  spricht 
im  Wallenstein  (mit  Ausnahme  der  paar  Zeilen  im  Lager) 
das  furchtbar  gequälte  deutsche  Volk?  —  Nicht  wahr,  es  ist 
albern,  dass  ich  dir  solche  gütliche  Vorschläge  einrede, 
ich  denk  nur  immer:  Was  würde  der  Urmau  da  und  da 
nicht  leisten  können,  wenn  er  einmal  hinter  den  und  den 
Stoff  käme. 

27.  Januar. 
Halleluja,  gestern  habe  ich  Eure  Brieffe  (sie.)  erhalten 
mit  den  fröhlichen  Nachrichten;  Prosit  Urmau,  quod  bonum 
felix  faustumque  sit!  Und  nun  gar,  dass  mein  Alchymist 
den  Preis  erhalten  hat!  —  Woraus  zu  schliessen,  dass  das 
Schlön bachische  ^)  Epos  unter  der  Kanone  sein  (muss.  Sagt) 
mir  um  Gotteswillen,  was  habt  Ihr  an  dem  Alchymisten 
ge(fandeD?)   Ich   schickte  Euch    das   Concept,    weil    mir  an 

')  vgl.  das  Abrbucb,  S.   58—70  und  80—84. 
*)  VorbeiD.  zu  Br.  9. 
•)  «.  Strodtm.,  S.  211. 


^2  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

dem  Ding  nichts  (gefiel,  und  so)  hätte  mich  die  Zeit  gereut, 
mir  noch  zuvor  eine  Copie  davon  (zu  nehmen.)  Lies  den 
Salm  noch  einmal  durch  [leider  fehlen  hier  durch  seit- 
lichen Ausriss  7 — 8  halbe  Zeilen;  davon  Bruchstücke 
geben  nur  den  ungefähren  Sinn  einer  inhaltlichen 
Kritik  des  eigenen  Werks:  —  solch  einen  abenteuer- 
lichen Unsinn  —  der  Kurfürst  sollt«  —  Alte  dadurch  dem 
Gifte  verfallen  —  einer  solchen  mühseligen  Zote  nicht  werth 
—  Ding  und  macht  damit  was  Ihr  wollt  —  Ich]  mag  es 
weder  im  Original  noch  in  Copie  und  (auch  nicht)  gedruckt 
wiedersehen.  Die  Hauptsache  ist,  (dass  mir)  das  Producieren, 
wenigstens  am  Anfang,  Freude  macht;  am  Product  liegt 
mir  nur  dann  was.  wenn  es  ein  Tagebuchblatt,  Zeugniss 
einer  Stimmung  ist;  dann  wird  es  mir  wichtig  und  ich  lege 
es  zu  meinen  übrigen  Heiligthümern  unter  das  Kästchen, 
wo  Eure  Briefe  sind.  Gegen  aussen,  auf  das  Publicum 
möchte  ich  nie  anders  wirken  als  durch  das  Drama. 
Und  das  ist  mir  versagt.  —  Drum  bleibe  ich  auf  die 
Geschichte  beschränkt,  denn  die  wird  mir  nicht  mehr 
untren  und  ist  der  einzige  Trost  für  einen  stürmenden 
Bnsen.  Darum  kann  ich  auch  nicht  mehr  ganz  unglücklich 
weiden. 

Apropos  lieber  Urmau,  frag  einmal  bei  Habicht  nach, 
ob  UDd  wie  der  Erzbischof  geht?  Ich  habe  ihn  nur  im 
Kunstblatt,  ohne  Zweifel  von  Kuglers  Hand,  mit  zwei  Zeilen 
angezeigt  gefanden,  sonst  schläft  er  noch  vollständig  als 
Embryo  in  der  Literatur.  Hat  die  kölln.  Zeitung,  die  ich 
hier  Dicht  zu  sehen  bekomme,  noch  keine  Anzeige  gehabt? 

1.  Febr.  44. 
Für  das  Ahrliod')   find   ich   in  Gottes  Namen   keinen 
rechten  SchhiKs,  Ach  Urmau,  mach  du  das  »»eiber!  —  Oder 
etwa  so: 

„Und  beaucht  in  HpAtou  .fahren  Einer  noch  diese  Felsonthal, 
TfiVre  f>r  mit  glühndein  Weine  hier  ein  stumm  Gedäohtniss- 

mal  (sie)!' 

*)  In  Br.  II.  K.  giebt  e»  int  Abrbuch  S.  jm^  mil  B't  Nnmoii  und 
dem  5kblaM:  „DcKrh  hcaucht  iu  Krauen  Hanreii  .  .  .  birr  ein  ktunint  Go 
dicblniamabl !" 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  -j  ^ 

Das  taugt  auch  nichts.  Machs  selber  oder  lass  am  lieb- 
sten das  Gedicht  weg.  es  missfällt  mir  jetzt.  Jedenfalls  setz 
meinen  Namen  nicht  dazu,  ich  bitte  Dich.  — 

Hier  sind  Briefe;  bitte  frankiere  den  an  die  Kölln. 
Zeitung!  —  Die  übrigen  lass  schlechtweg  auf  die  Post 
schmeissen,  und  vertheile  die  an  die  Bonnenser.  Den  an 
Torstrick  wird  (Balder)  besorgen.  (Somit)  leb  (wohl)  Herzens- 
freund; Dich  grüsst  in  Treuen 

Dein  Eminus, 

(ist  besser  als  Saltimbanck,  welcher  Name  hiermit 

feierlich  aboliert  wird,  da  er  der  Würde  des  academ. 

Amtes  schlecht  zu  Gesichte  stehet.     Addio.). 

18.  Basel,  29.  Januar  1844. 

Liebe  Directrix! 

Glück  und  alles  Wünschenswerthe  zuvor. 

Das  war  eine  rechte  Erquickung  für  mich,  die  Briefe 
von  Ende  Decembers  und  vom  22.  Januar!  Man  hat  mich 
doch  nicht  vergessen  —  daran  erkennt  man  die  Maws!   — 

Meine  Verwunderung  von  wegen  der  guten  Aufnahme 
des  Alchymisten  habe  ich  in  meinem  Brief  an  den  Urmau 
sattsam  zu  erkennen  gegeben.  Aber  den  Calderon ')  lass 
ich  mir  doch  gern  gefallen  und  küss  Ihnen  dankbar  die  Hand. 

Nun  les  ich  Ihren  Brief  vom  December  wieder  durch 
und  beschliesse  nach  einiger  Erwägung,  dass  Ich  darin 
doch  gar  schlecht  wegkomme.  Sie  haben  mir  Unrecht 
gethan,  liebe  Directrix,  mit  Ihrem  Vorwurf  der  Feigheit. 
Feigheit  würde  mein  Benehmen  gegen  die  hiesigen  Philister 
erst  dann,  wenn  ich  den  Leuten  schön  thäte  und  mich  um 
ihren  Umgang  bemühte.  Das  thu  ich  aber  nicht,  sondern 
lebe  so  einsam  wie  möglich.  Sollte  es  denn  wirklich  meine 
Pflicht  sein,  Leute  die  mir  nichts  zu  Leide  thun,  so  aus 
dem  Stegreif  vor  den  Kopf  zu  stossen?  Bessern  würde  ich 
damit  die  Leute  nicht,  sondern  mir  und  Andern  das  Spiel 
verderben.  Stehe  ich  einmal  auf  dem  Catheder  oder  an 
der  Spitze  eines  Journal  (welches  Letztere  noch  gute  Weile 
haben  dürfte),  dann  ist  es  Zeit  die  Stimme  zu  erheben  gegen 

')  Den  B.  als  Preisgewinn  erhielt;  s.  Str.,  -S.  354.  % 


•7^  Rudolf  Meyer- Kraemer. 

das  Philisterthum,  aber  jetzt  könnte  das  za  nichts  führen. 
Also  warten  Sie  ab,  was  mir  die  Zeit  bringt  und  bedenken 
Sie,  dass  meine  Briefe  hie  und  da  der  Rettungsbalken  aus 
desperater  Laune  sind,  was  sie  freilich  nicht  sein  sollten. 
und  sollten  Sie  mir  wirklich  nicht  zutrauen,  dass  ich  ein 
edles  Naturell,  wo  es  sich  in  meiner  Nähe  fände,  heraus- 
finden könnte?  Legen  Sie  einmal,  wenn  Sie  noch  nicht 
von  meiner  Unschuld  überzeugt  sein  sollten,  dem  billig 
denkenden  Urmau  Anklage  und  Antwort  vor.  —  Sodann 
glauben  Sie  ja  nicht,  dass  man  in  dem  selbstgenügsamen 
Basel  die  Mittheilsamkeit  eines  Neuaugekommenen  immer 
gut  aufnehme!  —  Es  grämt  sich  kein  Mensch  darüber, 
dass  ich  mich  der  Gesellschaft  entziehe,  man  hat  nicht  auf 
mich  gewartet  und  wenn  ich  schweige  bis  ich  grau  bin,  so 
kümmert  sich  keine  Seele  drum.  Und  das  ist  recht  und  in 
der  Ordnung.  Ich  halte  mich  gar  nicht  für  einen  solchen 
Phönix  und  finde  hier  gar  viele  Leute  die  geistig  über  mir 
stehen.  Schade  nur,  dass  die  Meisten  davon  gräulichem 
Philisterthum  verfallen  sind.  Verderbe  ich  meine  Sache 
nicht  voreilig,  so  kann  sich  doch  vielleicht  nach  und  nach 
ein  angenehmes  Verhältnis  zu  den  gebildeten  Kreisen  ge- 
stalten. 

Ich  habe  g«>genwärtig  den  Schnupfen  und  darum  kommt 
nur  ein  Mawbri^ff  (sie)  mit  (der  andre  ist  misslungen),  der 
noch  dazu  eine  gar  trübselige  Erwiederung  auf  Euern  herr- 
lichen Bündel  von  Unsinn  vorstellt.  Sehr  schön  ist  besonders 
der  Huibbeking  M.  K.  Brief.  Solche  Possen  kann  Einer  so 
mutterseolenwindailein  gar  nicht  reissou :  sie  können  nur 
das  Resultat  gegenseitiger  Steigerung  sein.  Ackermann ') 
hat  mich  darin  ullnrliebst  angeredet,  ich  wollt  nur  ich  könnt 
ihm  so  erwiedorn,  aber  in  meiner  Klause  gelingt  das  nicht. 
Sodann  ist  der  Saltiinbank  M.  K.  Brief  ein  Juwel  vom  Urniau; 
ich  hlltte  mich  vor  Lachen  imsschütten  mögen,  besonders 
auch  wegen  dos  herrlichen  Metrums.  —  Wer  in  den  Huibbe- 
king Brief  einen  gewissen  Vors  mit  verstellter  Hand  hinein- 
•chrieb,  habe  ich  bald  errathen  an  der  Gestalt  des  H.  —  Der 
kliMische  M.  K.  Brief  onth&It  bes.  von  Ackermann  ein  paar 
•cböoe,  aotciiaulicho  Z<Mlen.     Sodaon   ist  ein    roniantis('lii>r 


Briefe  Jakob  Biirckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  -j  ^ 

ein  wahres  Hauptstück  von  Ihnen,  werthe  Directrix,  im  Vers- 
mass:  Nun  ruhen  alle  Wälder.  Kann  sich  denn  der  Acker- 
mann immer  noch  nicht  von  der  Psychologie  entwöhnen 
und  dafür  die  Welt  geniessen  wie  sie  liegt?  Immer  Narren 
vorhaben!  Es  kommt  einem  dann  manchmal  vor  als  diente 
man  ihm  auch  nur  als  Narrenstudium,  besonders  wenn  man  wie 
ich  zu  Zeiten  wirklich  einen  kleinen  Sparren  hat.  —  Den 
pessimistischen  M.  K.  Brief  habe  ich  mir  laut  vorgelesen  und 
besonders  Seibt's  wundervolles  Ghasel  bewundert: 
jjWenn  der  Schöler  bekneipt  wie  ein  Dämon  lacht,  Huhu!" 

Summa  Sumarum:  ich  dank  Euch  Allen  von  Herzen, 
denn  den  ganzen  Neujahrsnachmittag,  da  ich  die  Briefe 
erhielt,  bin  ich  glücklich  gewesen  wie  ein  Kobold  und  stak 
nicht  in  Basel  sondern  in  Bonn ;  war  ich  bei  Euch,  ich  wollt 
Euch  helfen  an  Fresen  schreiben,  dass  es  eine  Art  hätte! 
Das  sollten  Brieffe  (sie)  werden!  — 

Nun  weiss  ich  sehr  wohl,  liebe  Directrix,  dass  Sie  diesen 
Brief  schon  lange  von  vom  und  von  allen  Seiten  ansehen, 
ob  denn  nichts  von  meiner  Liebschaft')  darinstehe?  —  Ich 
kann  Ihnen  nur  sagen,  dass  es  bisher  keine  Liebschaft  ist, 
indem  ich  durch  Erfahrung  vorsichtig  geworden  bin  und 
mich  hier  auf  keine  Weise  binden  will.  Diesem  Mädchen 
will  ich  keine  unnöthigeu  Schmerzen  machen.  Das  tönt 
sehr  hochmüthig,  ist  aber  wahrhaftig  ein  der  Lage  der  Dinge 
ganz  angemessenes  Ultimatum.  Die  Zeit  wird  das  Fernere 
lehren,  Basel  wird  nie  mein  Himmel  werden,  auch  mit  Ihr 
nicht  Fort!  Fort!  Das  ist  das  Losungswort  und  wird's 
wol  bleiben.  — 

1.  Febr.  44. 
Mein  Brief  ist  dürftig,  nicht  wahr,  liebe  Directrix!    Ich 
habe    diessmal    zu    stark    aufgeladen;    es    schreibt   niemand 
ungestraft  an  so  vielen  Briefen    zugleich,    es   sei    denn    ein 
Ingenium  wie  weiland  Julius  Cäsar. 

Nun  nochmals  innigen  Dank!  In  Treuen  und  Sehnsucht 

Ihr     Eminus. 
P.  S.    Dem    Andreas   schreib    ich    das    nächste  mal 
onfehlbar. 

')  Br.  20  (v.   2  2.  Mai). 


■j()  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

19.  Basel,  21.  April  1844. 

Herzlieber  Freund! 

Es  ist  hier  zu  Land  wieder  grüner  goldener  Frühling 
und  ich  befinde  mich  so  recht  im  Zuge,  den  vorjährigen 
Andenken  fromme  Vigilien  zu  halten  '),  dem  Tage  da  ich 
ankam  -),  dem  Abend  da  Du  —  das  einzigemal  —  bei  mir 
kneiptest  im  Hauss  des  Judden  2  Stiegen  hoch  rechts,  und 
nun  bald  auch  der  Ahrreise.  Ich  könnte  bei  alledem  still 
dankbar  sein,  wüsste  ich  nicht,  dass  Uir  inzwischen  be- 
kümmert sein  müsst  wegen  Deines  Missgeschickes. '')  0  das 
Leben  macht  einem  bisweilen  verzweifelt  ernste  Fratzen! 
ich  hätt's  auch  nicht  gedacht.  Am  Gründonnerstag  erhielt 
ich  Deinen  Brief,  nachdem  ich  schon  eine  Woche  früher 
die  Sendung  durch  Stähelin  bekommen  hatte.  Ich  habe 
mich  mit  Hagenbach*)  ungeniert  über  dieses  gräuliche  Be- 
nehmen Sack's  ausgesprochen  und  weiss  jetzt,  dass  es  auch 
Dewette""^)  erfahren  wird.  —  Seitdem  bin  ich  in  einer  stillen 
Wut  gegen  das  ganze  Sackische  Gelichter,  womit  Euch 
freilich  wenig  gedient  ist.  Wäre  Euch  nur  damit  gedient, 
dass  ich  täglich  mit  Sclmiorzen  und  Verlangen  Euer  gedenke! 
Wäre  ich  in  Bonn !  —  Ach  Gott,  wie  lang  wirds  wohl 
dauern  bis  ich  Euch  wiedersehe!  — 

Zwei  Hauptpunkte:  a)  Schicke  mir  sobald  als  möglich 
unfrankiert  per  Post  ein  Exemplar  Deines  lithograph. 
Werkes"),  sammt  dem  kurzen  Grundriss  in  §§,  kann  ich's 
brauchen,  so  nehme  ich  vielleicht  eine  ganze  Partie  zum 
Behuf  meiner  Vorlesungen,  b)  Vorn  1.  Juny  an  redigiere 
ich  die  hiesige  „conservative'^  Baseler  Zeitung,  welche  ganz 

')  So  dem  Berliner  Komitntiabeiid  (23.  3.  43),  desteu  Beyccblagsche 
Schnderiiiit;  Troy  S.  42  gibt.  Im  Jgg.  1844  de«  M.  K.  steht  eine  Ode  d.d. 
23.  3.:  „Heut  isU  ein  Jahr  — "  (Abicliicd  v.  d.  Jugend).  Siehe  ob.  meine 
Vorticre.  zu  Br.   11. 

*)  Anfang  Mai,  in  linun. 

■)  Die  S.icki«che  Denunciation,  Str.  11,  9— >o:  Sack  war  Schwager 
Hii'hbom«. 

*)  Ba*el«r  Theolog,  B'a  früherer  I..«hrer. 

•)  Trog,  S,  3. 

*)  vgl.  Br.  30  Anf.  E«  iit  betitelt:  „34  Tnfeln  archilekton.  Zeichnungen 
(<a  Vortrlgen  über  die  Geschichte  der  bildenden  Künate  hei  den  chriHilichen 
Vdlkero).  Auf  Stein  getdchoet  von  Andreas  Simon«,  «utammeogeitcllt  und 
kurx  erliulert  von  Ootlfried  Kinkel.    (Bonn.  1844.  Selhitverlag.)". 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  ^7 

honett  zu  leben  giebt,  so  lang  man's  ausbält.  Ich  habe  sie 
hauptsächlich  übernommen,  um  den  hier  regierenden  schnö- 
den Sympathien,  mit  allem  Absolutismus  (z.B.  dem  russischen) 
nach  und  nach  den  Garaus  zu  machen  und  beinebens  dem 
schweizerischen  Brüllradikalismus  entgegenzutreten,  welcher 
letztere  mir  accurat  ebenso  ekelhaft  ist  wie  jener.  Ich  werde 
mir  damit  wie  alle  bisherigen  Redaktoren  der  Baseler  Zeitung 
eine  continuierliche  Reihe  persönlicher  Angriffe  der  gemein- 
sten Art  zuziehen;  aber  es  giebt  einen  Trost,  der  mir  völlige 
Kaltblütigkeit  verleihen  wird,  und  das  ist  der:  Lass  die  Kerle 
sich  den  Hals  ausschimpfen  —  auf  der  zweiten  Poststation 
nördlich  von  Basel  weiss  man  nichts  mehr  von  ihrem  Geschrei. 
—  Die  Redaction  nimmt  mir,  auch  wenn  ich  ganz  eingefädelt 
bin,  doch  gut  den  halben  Tag,  und  das  wöchentlich  sechsmal. 

„Was  es  dabei  mit  der  Poesie  wird,  weiss  der  Deibel, 
aber  die  allererste  Pflicht  ist,  sich  zu  soutenieren." 

VRMAV. 
Besonders  anziehend  wird  die  Sache  dadurch,  dass  der 
Redakteur  des  hiesigen  Oppositionsblattes  als  ehmaliger 
Heidelberger  Corpsbursch  sich  bei  den  ptiar  Studenten  als 
einzige  echteQuelle  des  sonst  gänzlich  unbekannten  Comments 
in  Gunst  gesetzt  hat,  während  ich  bisher  aus  übertriebener 
Delicatesse  noch  mit  keinem  Studenten  gesprochen  habe, 
damit  es  nicht  heisse,  ich  keile  für  meine  Collegien.  (Letz- 
tere sind  auf  dem  Sprung  zu  beginnen,  wenn  sich  Zuhörer 
finden.)  O  Krähwinkel,  mein  Vaterland!  —  Der  Zug  mit 
dem  Corpsburschen,  der  beinebens  ein  tüchtiger  Advokat 
ist,  würde  in  jeder  Lokalposse  Glück  machen.  Summa,  es 
giebt  hier  noch  immer  „Zustände  und  Verhältnisse",  über 
welche  ich  mir  den  Buckel  voll  lachen  kann.  Aber  leider 
Gotts,  es  lacht  niemand  mit  mir.  — 

Doktor,  ihr  seid  ein  Racker.  Ihr  schreibt  mir,  dass 
ihr  wiederum  ein  Drama  unter  Händen  habt  und  verhehlt 
mir  den  Stoff.  Ich  habe  aus  edler  Rache  einer  Dame  eure 
Gedichte  als  Vielliebchen  verehrt;  Schweighauser  hatte  gerade 
noch  ein  Exemplar  auf  dem  Lager.  Voran  schrieb  ich  ein 
schönes  Gedicht  hinein,  worin  ihr,  Doktor,  sehr  gelobt  wurdet, 
aber  hier  fängt  meine  Malice  an:  ich  theil'  es  euch  nicht  mit. 


yg  Rudolf  Meyer- Ivraemer. 

Wenn  Du  mir  jene  betreffende  Nummer  des  Dom- 
blattes mit  der  Recension  meines  Conrad  mic  Bequemlich- 
keit verschaffen  kannst,  so  thue  es;  aber  mühe  dich  nicht 
zu  sehr  darum.  So  wenig  die  Köllner  mit  gut  geschriebenen 
oder  auch  nur  ertiäglich  und  lesbar  gearbeiteten  Stücken 
aus  ihrer  Geschichte  um  sich  werfen  können,  so  sauer  würde 
es  doch  Herrn  Püttmann,  etwas  Dir  Dediciertes  anzuerkennen. 

26.  April. 
Es  ist  mir  aber  ganz  recht,  wenn  von  dem  unvoll- 
kommenen Ding  weiter  nicht  mehr  die  Rede  ist;  was  es 
sollte,  hat  es  mir  geleistet.  Es  hat  mir  hier  ein  odiöses 
Examen ^)  erspart  und  den  hiesigen  Leutchen  Sand  in  die 
Augen  gestreut;  denn  zehn  Bogen  machen  hier  mehr  Auf- 
sehen als  in  Berlin  zehn  Bände.  Ich  möchte  nur  wissen, 
was  der  arme  Häbbicht  damit  für  Geschaffte  (sie)  macht! 
Wer  hiess  den  Armen,  das  Mscpt.  übernehmen?  —  Ich 
habe  zwei  Abhandlungen  geschrieben,  die  ich  Euch  vielleicht 
dermaleinst  schicke;  die  eine  las  ich  in  der  histor.  Gesell- 
schaft, um  mich  zu  introducieren  und  hatte  dauiit  ziemlichen 
Beifall;  die  zweite  war  meine  Antrittsvorlesung,  welche  auch 
gut  aufgenommen  wurde.*)  Mit  diesen  beiden  Dingen  habe 
ich  mich  hier  in  einiges  Ansehn  vor  der  Welt  gesetzt,  dessen 
ich  gar  sehr  bedarf.  Wackernagel  sagt,  meine  beiden  Col- 
legien  würden  zu  Stande  kommen.  Gott  geb's!  bin  ich  ein- 
mal lanciert,  so  kann  ich  wenigstens  CoUegien  ausarbeiten 
für  alle  künftigen  Fälle.  — 

Ich  sende  schon  jetzt  ab,  wegen  der  Lithographion  dio 
ich  wünsche.  Die  2  Tbalor  sollen  gleich  folgen,  und  viel- 
leicht noch  mehr,  sobald  ich  weiss  wo  und  wie  und  was. 
Ich  denke  recht  ernstlich  dran,  wenn  Du  vernünftig  gewählt 
hatt,  eine  Parthie  (sie)  zu  übernehmen,')  was  Dir  nur  ganz 
lieb  sein  könnte.  Hättst  Du  mir  vorher  davon  gescIirnbiMi, 
flo  hAtt'  ich  vielleicht  noch  dein  guter  Ratb  sein  kotnuMi. 

An  Direktrix,  Haider,  Andreas  und  Pocke  das  nächste- 
mal;   j«tst  bin   ich   zu   überladen   mit  Geschäften.    I)i<  sit 

•)  Trog,  S.  37. 

1)  Trog,  S.  44  u,  45. 

*)  Ffir  «igene  Koll«ggwecke. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  yg 

Brief  soll  auch  gar  nicht  als  Sendung  gelten.  —  Inliegende 
Epistel  wirf  auf  die  Post;  wenn  Balder  wieder  zurück  in 
Bonn  sein  sollte,  so  frag  ihn  zuerst,  ob  Stift  ^)  wirklich 
noch  in  Cleve  sei  oder  schon  in  Siegen?  —  Ist  Balder  nicht 
da  oder  weiss  er  nichts,  so  wirf  den  Brief  ohne  Weiteres 
ins  Briefloch.  —  Ich  suche  jetzt  täglich  in  der  Köllner  Zei- 
tung nach,  ob  Dein  Ahrbuch  schon  heraus  ist,  damit  ich 
niir's  gleich  bestellen  kann.  Weiss  ich  doch,  dass  einer  der 
besten  Bissen  von  meinem  Leben  darin  quasi  in  Weingeist 
aufbewahrt  sein  wird.  Wart  nur,  ich  will  es  recensieren 
und  Dich  am  Ende  vor  allem  Bupflico  fragen ,  warum  die 
Quarzode -i  nicht  darinnen  stehe?  — 

Mit  Balder  hab  ich  recht  herzliches  Mitleid,  denn  der 
wird  in  seinem  Leben  noch  hübsch  zwischen  Thür  und 
Angel  gerathen.  Unser  Einer  ist  doch  wenigstens  innerlich 
frei,  mögen  die  Umstände  sein  wie  sie  wollen,  aber  kläglich 
gehts  am  Ende  denen,  welche  sich  überreden  sie  seien  noch 
gläubig  und  es  doch  schon  lange  nicht  mehr  sind.  Alle 
Pektoraltheologen  sind  mehr  oder  weniger  in  diesem  Fall, 

—  Geibel  ist,  wie  mir  Kugler  schreibt,  zu  Berlin  in  dulci 
jnbilo.  Er  hat  einige  Zeit  unlängst  in  Weimar  zugebracht 
und  mit  dem  Erbgrossherzog  Freundschaft  (ich  vermuthe 
sogar  SmoUis)  gemacht.  Er  wird  in  Weimar  und  Berlin 
furchtbar  fetiert.  Ich  glaube  nicht,  dass  es  ihm  schadet, 
gieb  Acht,  jetzt  wird  die  Romantik  in  praxi  erst  recht  an- 
fangen. —  Ein  so  guter  Junge  wie  er,  so  wenig  gesonnen, 
die  poetischen  Illusionen  aufzugeben,  verdient  wohl  ein 
reiches  buntes  Leben,  in  welchem  er  vielleicht  untergehen 
kann  —  es  schadet  nichts,  er  hat  dann  doch  gelebt  nach 
seiner  Manier.    Dann  heisst  es:  lasst  ihn,  er  hat  gedichtet! 

—  denn  einer  der  grössten  Lyriker  unsrer  Zeit  ist  er  eben 
doch,  und  wenn  ich  mich  an  sein  Wesen  und  Dichten  er- 
innere, so  wird  mir  so  recht  klar,  mit  welch  leichtem  Muthe 
ein  Kerl  wie  ich  sein  Talentchen  schlafen  legen  kann.  Ich 
glaube  auch  die  letzte  Spur  von  poetischem  Ehrgeiz  abgelegt 
zu  haben,  nachdem  ich  in  Strassburg  noch  einmal  mit 
Fresen  in  hohen  Plänen  geschwärmt. 

')  Kneipname  Siegfried  Nagelt,  den  die  Schauenburg-Briefe  oft  erwähnen. 
•)  s.  Ahrbuch,  S.  lO. 


8o  Rudolf  Meyer-Kraera er. 

Das  war  mir  ein  Jubel,  als  ich  in  der  allg.  Zeitung 
von  der  Aufführung  des  letzten  Saltzbocks')  las!  Ich  glaub 
Du  hast  das  recht  für  mich  hingeschrieben.  Wie  aber  die 
Bonner  Zensur  Eure  Zettel  passieren  Hess,  bleibt  mir  ein 
Baszel.  — 

Jetzt   grüss    Directrix    von    Herzen,    sodann  Andreas, 

Balder,  Ackermann  und  den  Magister,    wenn  er  da  ist.  — 

Hoffentlich   in    einigen  Wochen   schreibt   Dir  wieder   Dein 

sehnsüchtiger  und  getreuer  _,    . 

^  ^  Emmus, 

den  gewisse  Lausbuben  Saltimbanck  nennen. 
Schreibe    diesen    Namen    dem  „basellandschaftl.  Volks- 
blatt''; dasselbe  ist  in  Verlegenheit  wegen  eines  passlichen 

Spottnamens.  ^  ^ 

* 

Diese  Zeilen  vom  26.  April  sollten  eingestandenermassen 
nicht  als  „Sendung*^  gelten.  Indes  beabsichtigte  Burckhardt, 
sehr  bald  einen  grösseren  Beitrag  für  den  M.  K.  zu  liefern : 
einen  Anfangsteil  dafür  (auf  dem  vorschriftsmässigen  bzw.  ge- 
lieferten blauen  „Maubogen*'  geschrieben)  fortzusetzen,  fand 
er  dann  aber  keine  Zeit  mehr;  er  war  „zu  überladen  mit 
Geschäften",  zumal  die  Uebornahme  der  Zeitungsredaktion 
ihm  bevorstand.  Dieses  Stück  „Aus  Saltirabancks  politisch- 
moralischen  Schriften"  ist  indes,  als  Einlage  in  den  Floren- 
zer Brief  36  (vom  22.  Juli  1846),  erhalten  geblieben,  und 
80  möge  es  seine  Stelle  hier  finden,  —  nicht  nur  aus  chro- 
nologischer Rücksicht  und  um  der  Zeitanspielungen  seines 
loitialbildes  willen,  sondern  auch  um  die  Stimmung  zu  kenn- 
zeichnen, die  den  angehenden  bourreur  de  crane  beherrschte. 

(Titelvignette,  eine  Federzeichnung  B.'s:  Rheinland- 
schaft; links  vorn  sitzend  grüssen  zwei  karnevalistisch  auf- 
geputzte Gestalten  —  offenbar  Mitglieder  des  M.  K.  —  die 
Frau  Fama,  die  als  posatinonder  Engel  von  rechts  über  die 
Berge  bereinfliogt;  atis  ihrer  Tuba  flattern  die  Worte  vor 
ihr  bor:  Liszt,  Antigone,  Sie  sollen  ihn  nicht  haben  etc.  etc.")') 

E»  giebt  auf  der  Welt  nichts  Selteneres  als  wahre,  wirk- 
liche Aufrichtigkeit.    Wir  stecken  voll  innerer  und  äusserer 

')  ■.  ob.  S.  aa;  n.  2»h. 

*}  Zn  diMM  iMuetten  Nachrichten  (vom  April  44)  au«  Pari«  vgl.  Heinr. 
HeiiM,  IM.  it,  S.  {98  II.  402  fr. 


Briefe  Jakob  Bnrckhardls  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  g  I 

Lüge,  durch  und  durch,  und  die  Besten  oft  am  meisten.  Zum 
Tröste  kann  man  beifügen,  dass  doch  dabei  nur  Wenige  von 
Haus  aus  innerlich  unwahr  sind  und  dass  es  bei  den  Meisten 
die  heutige  Bildung  verschuldet  hat.  — 

0  diese  verflachte  universelle  Bildung,  die  man  alle  Tage 
in  den  Himmel  erheben  hört!  Sie  ist's,  die  dem  grossen  Haufen 
alle  paar  Wochen  eine  neue  Mode  von  Begeisterung  aufsalzt'), 
die  tagtäglich  ein  ganzes  Gehäuse  von  Conventionellen  An- 
schauungen, d.  h.  Täuschungen  rund  um  uns  herum  aufbaut, 
in  welchen  sich  dann  ganze  grosse  Schichten  der  Gesellschaft 
bewegen.  Der  Fluch  des  heutigen  Lebens  ist  dessen  ein- 
förmige Langweiligkeit  und  das  daraus  hervorgehende  Be- 
dürfniss  nach  Aufregung  in  wiederholten  Ansätzen  in  kleinen 
Portionen  —  denn  grosse  Aufregungen  würden  in  unsren 
jetzigen  Zuständen  horribel  aufräumen.  Diese  kleinen  Auf- 
regungen verpesten  dann  die  Luft  in  Gestalt  von  conven- 
tionellen  Moden.  Davon,  dass  es  noch  möglich  wäre,  dass 
ein  Mensch  sich  rein  aus  seinen  eigenen  Antrieben  heraus 
bildete,  davon  ist  längst  keine  Rede  mehr.  Die  Noth  der 
Zeit  ist  zu  gross,  man  kann  die  Menschen  nicht  mehr  machen 
lassen,  sie  bedürfen  eines  allgemeinen  Stempels,  damit  Jeder 
in  das  Ungethüm,  welches  man  das  moderne  Leben  nennt, 
auf  jeden  Fall  hineinpasse.  Die  wenigen  Originale,  die  diese 
heillose  Methode  noch  durchdulden  ohne  daran  zu  crepieren, 
werden  in  ihrem  Streben  nach  Emancipation  von  den  in- 
neren Lügen  von  der  ganzen  Welt  gehöhnt  und  gehetzt 
und  schlagen  dann  auf  der  andren  Seite  über. 

So  liegen  die  Sachen.  Habe  einer  die  Stärke  Herculis, 
des  Sohnes  Jupiters,  er  wird  den  Augiasstall  nicht  aus- 
misten, er  wird  dieser  Hyder  nicht  alle  Köpfe  abschlagen. 
Aber  eine  Bürgerkrone  verdient  Jeder,  der  irgend  eine 
falsche  Begeisterung,  die  den  Leuten  en  masse  aufgeschwatzt 
worden  ist,  mit  Spott  oder  mit  Ernst  gründlich  zu  Nichte 
zu  machen  sucht.  Freilich  gehört  dazu  eine  lächelnd  gross- 
artige Gesinnung,  denn  der  Ostracismus  des  Phillsteriums 
wird  nicht  ausbleiben  und  dabei  muss  man  innerlich  frei 
genug  sein  um  gleich  Aristides  den  eigenen  Namen  auf 
die  Scherbe  zu  schreiben. 

•)  Sic,  nicht :  aufhalft. 


82 


Rudolf  Meyer-Kraemer. 


Aus   Saltimbancks 
politisch-moralischen    Schriften. 

Von  dem  Enthusiasmus. 

Der  Enthusiasmus  in  politischen  Dingen  wird  eingetheilt 
in  einen  bequemen  und  einen  unbequemen.  Der  Enthusias- 
mus ist  ein  bequemer,  so  lange  er  nur  in  abstracto  d.  h.  in 
Büchern  gepredigt  wird;  unbequem  aber  wird  er,  sobald  sich 
der  Enthusiast  mit  grossarügem  Aufruf  an  Einzelne  wendet 
und  diese  Unglücklichen  zu  bekehren  sucht.  Eine  Mittel- 
gattung entsteht,  wenn  der  Enthusiast  vor  grösseren  Ver- 
sammlungen spricht,  wobei  der  Einzelne  sich  aus  dem  Staube 
machen  oder  unbemerkt  sich  der  Zerstreuung  hingeben  kann. 
Die  Unbequemlichkeit  kann  sich  bis  zum  Uebelbefinden 
steigern,  wenn  ein  ganzer  grosser  Chor  von  Begeisterten 
auf  eioen  einzigen  Unbegeisterten  losrednert  und  selbigen, 
wie  gewöhnlich  zu  geschehen  pflegt,  des  Verrathes  an  den 
heiligsten  Gütern  der  Menschheit  bezüchtigfc  (sie).  Ein  ver- 
nünftiger Mensch  lässt  es  selten  soweit  kommen,  sondern 
heult  lieber  mit  den  Wölfen,  ehe  es  soweit  kömmt. 

Der  unbequeme  Enthusiasmus  nimmt  in  unsren  gebil- 
deten Zeiten  so  sehr  überhand,  dass  es  Zeit  ist  auf  Prä- 
servativa  und  Rettungsraittel  zu  denken  oder  wenigstens 
vor  der  Hand  denselben  rationell  ins  Auge  zu  fassen  und 
so  auch  den  Weg  zu  den  wahren  Heilmitteln  gegen  selbigen 
zu  finden. 

Daa  vorige  Jahrhundert  trägt  den  Spottnamen  des 
Aufgeklärten,  das  unsrig<)  wird  dereinst  das  gebildete 
heissen.  Heut  zu  Tage  strömen  nämlich  einem  Jeden,  er 
eei  80  dnmm  wie  er  wolle,  so  viele  einzelne  Funken  der 
Bildung  zu,  dass  er  sich  eben  mit  Haut  und  Haaren  fUr 
gebildet  hält.  Vor  Zeiten  war  Jeder  ein  Esel  auf  seine 
Faust  und  Hess  die  Welt  in  Frieden;  jetzt  dagegen  hält 
man  «ich  für  gebildet,  flickt  eine  „Weltanflohauung"  zu- 
Hammnn  und  predigt  auf  die  Nebonmenschen  lo.s.  Lernen 
will  Niemand  mehr,  schweigen  noch  weniger,  einen  Andern 
in  seiner  Entwicklung  anerkennen  am  Allerwenigsten.  Es 
ist  um  des  Teufels  zu  worden. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel  g^ 

20.  Base],  22.  Mai  1844. 

Guten  Morgen,  Doktor! 
Das  Paket  hat  mich  sehr  erfreut  und  verdient  sofortige 
Antwort.  Inliegend  folgen  6  Thaler,  wofür  Du  mir  6  Exem- 
plare der  Lithographien  schicken  sollt  (sie);  ich  hätte  sie 
gerne  bis  circa  20.  Juny.  Ich  habe  nämlich  6  Zuhörer!  Bis 
dort  bin  ich  an  der  christlichen  Baukunst  angelangt.  Du 
hast  für  Deinen  Zweck  recht  gut  gewählt  und  die  Dinger 
sind,  wenn  auch  nicht  gründlich,  so  doch  hübsch  ausgefallen. 
Ich  würde  gleich  mehr  bestellen,  wenn  ich  voraussähe,  binnen 
dreier  Jahre  das  Collegium  noch  einmal  lesen  zu  können; 
aber  das  geht  nicht  und  vor  ein  gemuschenes  Bupflikum 
kann  ich  mich  mit  der  Architektur  noch  lange  nicht  wagen ; 
auch  muss  ich  vor  der  Hand  noch  meine  Finantzen  etwas 
zusammenhalten.  Heut  Nachmittag  gehe  ich  „über  Feld"* 
nach  Dornach,  wo  meine  Schuldner  wohnen,  die  ich  begrüssen 
muss;  ich  habe  nämlich  jetzt  die  eigene  Verwaltung  meiner 
Vermögenstrümmer  übernommen,  welche  jährlich  doch  nur 
etwa  170  Rthlr.  Renten  abwerfen;  darauf  laure  ich  nun  wie 
ein  Luchs.  Auch  muss  ich  in  Doruach  den  Capucinern 
guten  Abend  wünschen  und  mich  auf  das  nächste  Portiun- 
culafest  zu  Gaste  bitten.  —  Gott  gebe  Dir  guten  Fortgang 
mit  den  öffentlichen  Vorträgen !  Weil  es  denn  einmal  sein 
muss,  80  lass  die  Theologie  fahren,')  man  kommt  heuer  da- 
mit auf  keinen  grünen  Zweig  mehr;  der  Boden  ist  schon 
allzusehr  zerwühlt.  Die  historische  Theologie,  ja  die  Kirchen- 
geschichte hat  schon  auf  die  meisten  Fragen  satis  superque 
geantwortet  und  die  dogmatische  Theologie  ist  jetzt  im 
höchsten  Grade  unerfreulich  und  degoutant,  weil  alle  Stand- 
punkte durchgekostet  sind.  Wenn  die  deutsche  Theologie 
ihren  Vortheil  verstünde,  so  schwiege  sie  einmal  etwa  30  Jahre 
lang  und  träte  dann  wieder  auf.  —  Mein  Rath  wäre  nun 
der,  dass  man  Dir  eine  Brücke  zu  einer  andern  Fakultät 
bauen  sollte.  Unterhandle  jetzt  mit  Nitzsch  oder  mitBleek,*) 
du  kannst  dabei  ziemlich  derb  sein,  glaube  ich.  —  Doch  das 
war  unter  Altenstein  der  rechte  Weg,  wie  es  jetzt  ist,  weiss 
ich  nicht.     Von  Bonn  darfst  Du  sonst  doch  nicht  fort,  ehe 

')  Ein  Jahr  später  geschab  das;  Str.  II,  20. 
*)  8.  Er.  12, 


8^  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Du  ein  neues  Nest  hast.  Ach  Gott,  ich  denke  für  Dich 
alle  Tage  dran!  Lass  Dich  nur  nicht  auf  das  blosse  Lite- 
ratenleben ein!  Da  wird  man  schrecklich  schnell  abgenützt! 
Behalte  wenigstens  immer  einen  Fuss  im  akademischen 
Bügel,  wenn  auch  ohne  Aussichten!    Ich  machs  auch  so. 

Der  Häbbicht  mit  seinem  Quarz- Weyden ')  ist  ein 

Für  den  Lersch  habe  ich  nichts  schreiben  können;  grüss 
ihn  schön  von  mir. 

Was  war  doch  heut  vor  einem  Jahr?*)  —  Um  diese 
Stunde  waren  wir  auf  dem  Bonner  Rathhaus  und  unter- 
zeichneten ein  gewisses  Aktenstück  —  und  um  Mittag  fuhr 
man  zum  Coblenzer  Thor  hinaus  und  ich  sass  reisemuthig 
auf  dem  Bock  und  griff  nach  den  Baumzweigen  über  mir  — 
Was  ist  doch  das  arme,  vielgequälte  Leben!  —  Jetzt  sitze 
ich  hier  und  versimple.  Die  Poesie  ist  eingetrocknet,  viel- 
leicht auf  lange  Zeit,  vielleicht  auf  immer.  Ich  bin  bei 
allem  äusserlichen  Wohlsein  ein  Schatten  von  dem  was  ich 
war.  Bisweilen  ist  mir  zu  Muth,  als  sollte  ich  eine  Circular- 
note  bei  allen  meinen  Freunden  in  Deutschland  herumgehen 
lassen:  ich  sei  eingegangen  und  man  habe  fortan  nichts 
mehr  an  mir.  Mein  Aufenthalt  in  Deutschland,  der  doch 
fast  4  Jahre  dauerte,  kommt  mir  immer  mehr  wie  ein  Traum 
vor;  alles  Hässliche,  selbst  die  Perponcher,  ist  vergessen; 
alles  Schöne  ist  mir  geblieben  und  tröstet  und  peinigt  mich 
zugleich.  Wahrscheinlich  werde  ich  mich  nach  und  nach 
in  diesen  Zustand  finden  und  indolent  und  langweilig  werden, 
denn  ohne  tägliche  Anregung  durch  Freunde  bin  und  werde 
ich  nichts. 

Mit  den  „blauen  Augen*^  hat  es  gute  Weile.  Die  Schick- 
sale gehen  weit  auseinander.  Um  meinetwillen  soll  Sie  keine 
schlimme  Viertelstunde  haben")  und  an  mir  liegt  mir  selbst 
nichts  mehr. 

Oaoz  traurig  sieht  mich  das  Lust«pielfragment  an,  das 
ich  in  einer  heitren  Stunde  von  Dir  verlangte,  um  es  zu 
vollenden/)    Mit  der  nächsten  grösseren  Sendung  sollt  Ihr 

*)  Vgl.  Abrbucb,  Vorrede  p.  XIII  a.  S..IO;  auch  hier,  Br.  19. 

<)   K.'t    HorbMll. 

•)  »    Br.  18  (ScbluM). 
«)  Br.  17  Anf. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (uud  Johanna)  Kinkel.  g^ 

68  wiederhaben,  weil  Euch  dran  zu  liegen  scheint.  —  Um 
das  Domblatt  bemühe  Dich  nicht;  die  Geschichte  wegen  der 
Becension  ist  mir  jetzt  ganz  indifferent  geworden.  Es  ist 
ja  in  Kölln  fast  niemand,  der  den  „Conrad"  gründlich  recen- 
sieren  kann!  Wenn's  der  alte  Fuchs  war,  das  wäre  was 
anderes.  — 

23.  Mai. 

Unter  mancherlei  Arbeiten  habe  ich  auch  meine  Quellen- 
stellen zur  Kunstgesch.  des  früheren  M.  A.  vermehrt  und  im 
VI.  Band  von  Pertz  über  150  wichtigere  und  geringere 
Notizen  gefunden.  Witigowo's  Bauten  auf  ßeichenau  sind 
das  umständlichste;  etwa  120  Verse  über  Schmuck  und  Ein- 
richtung der  Abtei  im  X.  Jahrh.  Ich  sammle  nun  immer 
weiter,  bald  werde  ich  bei  1000  Stellen  haben;  Anastasius') 
ist  noch  gar  nicht  dabei.  So  etwas  unternimmt  nun  kein 
Anderer,  weil  die  Mühe  für  die  Kungtmonschen  zu  gross 
und  für  die  Viri  eruditissimi  der  Stoff  zu  unwichtig  ist. 
Nach  und  nach  will  ich  mich  in  Stand  setzen,  über  die 
Jahrhh.  von  Constantin  bis  auf  die  Hohenstaufen  eine  Auto- 
rität zu  werden.  — 

Levin  Schücking  hat  Dich  wacker  herausgestrichen,^) 
da  jubelte  meine  Seele!  —  Die  Dame,  welcher  ich  Deine 
Gedichte  verehrte,  hat  sich  ungeheuer  hineingelesen  und 
spricht  rechts  und  links  mit  Entzücken  davon. 

Grüss  Balder,  Wolters  und  Ackermann !  Ich  kann  Ihnen 
in  diesem  Moment  nicht  schreiben;  die  nächsten  14  Tage 
gehören  Brockhaus,  für  den  ich  die  literas  H  und  J  aus- 
arbeiten und  baldigst  einsenden  muss.  Ich  lese  viel;  deutsche 
Gesch.  ist  nicht  zu  Stande  gekommen;  auf  nächsten  Winter 
kündige  ich  M.  A.  an.  Vielleicht  lese  ich  da  vor  einem  ge- 
muschenen  Bupfl.  über  die  Malerei  seit  Rafael,  wie  Du  über 
die  Gesch.  des  Rheinlandes,  wozu  ich  meinen  Segen  gebe. 
—  Die  „Cronica"  von  Kölln  gäbe  ich  ganz  genau  im  alten 
Idiom.')  Nimm  dich  aber  in  Acht,  das  Ding  kann  weiter 
reichen,  als  Du  denkst.  —  Vom  rupertinischen  Krieg*)  weiss 

')  Doch  wohl  Sinaita. 

*)  Durch  eine  Rezension  im  Feuilleton  der  Köln.  Zeitung;. 

')  Iit  im  Abrbucb  geschehen  (vgl.  dort  p.  X). 

*)  In  Lerschs  „Niederrhein.  Jahrbuch"  (s.  Ahrbucb,  S.  179). 


86  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

ich  vor  Gott  noch  nichts.  —  Den  Uebergangsstylaufsatz ') 
erwarte  ich  mit  Sehnsucht.  —  Ueber  Saltimbanck  und  Lallen- 
könig*)  habe  ich  an  die  Directrix  geschriebeu.  — 

Nun  Addio,  herzlieber  Doctor;  Euch  grüsst  in  treuer 
Sehnsucht  Euer  Saltimbanck. 

Vor  dem  Stiftungsfest  schreibe  ich  jedenfalls  noch  ein- 
mal, wenn  auch  nichts  mitkommt. 


Die  nun  folgende  Gruppe  von  12  Briefen,  rund  1'/«  Jahr 
umfassend,  entstammt  der  ßedaktörzeit  des  rastlos  Viel- 
beschäftigten. 

21.  Basel,  30.  Juny  44. 

Signalschuss  an  Urmau  und  Direktrix. 

Himmelsmenschen!  Ich  hab  Eure  Sendung')  aufs  schönste 
erhalten  und  mich  daran  von  Herzen  erquickt.  Antworten 
kann  ich  Euch  vielleicht  noch  ein  paar  AVochen  nicht,  da 
ich  von  Geschäften  und  Besuchen  etc.  ganz  ecrasiert  bin. 
Gerade  jetzt  hat  auch  unser  tobendes,  prachtvolles  Fest*) 
begonnen,  um  welches  ich  mich  als  Redaktösor  wohl  oder 
ungern  kümmern  muss.  Basel  hat  den  Kopf  verloren  und 
das  will  viel  sagen.  Alles  rappelt.  Es  ist  aber  auch  fast 
soviel  Pomp  da  wie  beim  R«»gierungsantritt  eines  müchtigen 
Königs.  —  Und  ich,  der  bei  Festen  weder  zu  fühlen 
noch  zudenken  weiss,  mitten  unter  rasenden  Enthusiasten! 
Cilfick).  Weise  ist  einer  meiner  nächsten  Bekannten  noch 
Hkeptischer  als  ich,  so  dass  ich  als  Apologet  auftreten  kann 
trotz  Sack.  Es  macht  mir  rechten  Kummer,  dass  ich  eine 
fio  ganz  nnfostlicho  Natur  bin  und  kein  anderes  wahres  Fest 
kenne  als  das  welches  historischen  Sinn  hat  und  der  Gipfel- 
punkt und  Ausdruck  eines  noch  ganz  frischen  Factums,  einer 
Umwandlung  u.dgl.  ist,  während  mir  die  Erinnerungs- und 
Sauffesto  gleichgültig  sind.  — 

*)  Abrbuch,  S.  41—49. 

*)  Zum  M.  K.  Jgg.  1843  hat  B.  eine  „hiMor.  NolU  vom  LillenloWiig" 
gMt«o«rt    (Maftke  eioet  gekrönten  Kopfe«,  ehedem  am  GroMbiulcr  Rhcintor). 

*)  Vor  6*r  Konkarretui  de«  SiifiungRfeatc«. 

*)  Br.  la  hatte  #•  «agekfiniligt  (Sttkularfeier  der  Schlacht  bei  St.  Jokob), 
vgl.  Boch  Trog,  S.  44. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  y^ 

0  ich  hätt'  Euch  gern  was  zu  Eurem  Fest  geschickt! 
Ich  hatte  einen  schönen  Stoff,  aber  diese  wirre  Journalistik 
hat  mir  in  den  letzten  Zeiten  alles  Gemüth  verwüstet.  Es 
kommt  aber  noch.  Ich  merke  nach  und  nach,  dass  ich 
in  diesen  meinen  Verhältnissen  ohne  das  Bischen  Poesie  zu 
Grunde  gehen  müsste.  Auch  ziehen  dramat.  Pläne,  gegen 
all  meine  guten  Vorsätze,  ihre  Coraetenbahnen  durch 
meinen  armen  Schädel.  —  Mein  Collegium  über  Gesch.  der 
Baukunst  ist  jetzt  vierstündig  und  geht  sehr  gut  von 
Statten;  die  Kerls  schwänzen  nie  und  schreiben  nach,  als 
diktiert'  ihnen  etc.  etc.')  In  Deinem  Aufsatz-)  hast  Du  oft 
und  viel  den  Nagel  auf  den  Kopf  getroffen,  das  nächstemal 
einige  Randglössleiu  von  mir.  Für  jetzt  das:  CONSECRNM 
heisst  wohl  consecrationem.  Mit  der  Mariennische  hast  Du 
wohl  ganz  recht,  hättest  aber  wissen  sollen,  dass  in  un- 
zähligen cathol.  Kirchen  der  Eine  grosse  Seitenaltar  regel- 
mässig Muttergottesaltar  heisst  (der  andere  der  Saciaments- 
altar).  —  Famos  sind  bes.  S.  321 — 26.  —  Den  Lersch 
grüsse  bestens  von  mir  und  sag'  ihm,  ich  hätte  das  Paket 
richtig  an  die  alterth.-forscheude  Gesellschaft  dahier  ab- 
geliefert. — 

Deine  Aufsätze  in  der  A.  A.  Z.*)  sind  mir  Lappsal  (sie). 
Um  Gotteswillen,  citiere  mich  nicht  mehr;*)  als  Autor  habe 
ich  schon  zuviel  wohlverdientes  Malör  gehabt!  —  Liebste 
Direktrix,  ich  danke  Ihnen  mit  getreuem  Handkuss  für  den 
schönen  Brief  und  gebe  meinen  Segen  zu  Ihrer  glücklichen 
Stimmung.  Ich  habe  ein  Gedicht  im  Sinne,  welches  ganz 
Ihnen  gehören  soll.  Schicken  Sie  rothe  Blättchen,  die 
blaunn^)  füll'  ich  doch  nicht  leicht;  es  ist  mir  zuviel  zu- 
sammengekommen. Ach,  nach  Bonn  komm  ich  doch  nicht 
mehr  so  leicht,  obschon  man  Abends  6  Uhr  von  hier  ab- 
fährt und  in  28  Stunden  bei  Ihnen"  ist;  ich  bin  angenagelt. 
—  Grüsst  Balder  und  Wolters  herzlich. 
In  Treue  Euer 


Saltimbanck. 


*)  „Der  heilig  Geist"  (Mephisto  zum  Schüler). 

')  Vom  Uebergangsstyl ;  8.  Br.  20  (Schluss). 

•)  Augsburger  Allgem.  Zeitung. 

*)  Nämlich  die  „Kunstwerke  der  belgischen  Städte". 

')  Die  Farbe  des  Papiers  ist  jähr  gang  weise  verschieden. 


88  Rudolf  Meyer-Kraeraer. 

Diesen  Brief  frankier'  ich  nicht,  weil  das  Frankatur- 
bureau noch  nicht  offen  ist  und  ich  sehr  mit  der  Zeit  be- 
drängt bin.    Frankiert  Euer  Nächstes  auch  nicht.    Addio. 

22.  Basel,  2.  Aug.  44. 

Vor  Allem  Vivat  hoch  der  Mibes ! ')  —  Jetzt  aber  bitte 
ich  Dich,  herzliebster  Urmau,  schreib  mir  mit  Nächstem  den 
eigentlichen  Christennamen  des  Kindes,  damit  ich  selbiges 
nicht  fortwährend  mit  diesem  entsetzlichen,  halb  rabbinisch 
klingenden  Titel  belegen  muss!  Wo  Teufels  hast  Du  das 
Wort  Mibes  her?  — 

Allso  (sie)  Vivat  Hoch !  —  Was  wollt  Ihr  mit  dem  Mibes 
anfangen?  Soll  er  auch  ein  Pastor  werden?  Ich  habe  un- 
längst, als  ich  nicht  einschlafen  konnte,  eine  lange  Geschichte 
ausgedacht,  wie  Mibes  dermaleinst  in  Berlin  studieren  wird 
und  was  dann  für  eine  Philosophie  in  Berlin  regieren  mag. 
Das  Absolute  und  der  Lallenkönig  tanzen  ein  Pas  de  deux 
auf  den  Gräbern  Hegels,  Schellings  und  Eichhorns.  Der 
Mibes  geht  im  Thiergarten  spazieren  und  raucht;  es  kommt 
ein  Gendarm  uud  da  wird  dem  Mibes  plötzlich  der  Gegen- 
satz zwischen  dem  Absoluten  und  der  Welt  klar  in  Gestalt 
einer  Busse  von  2  Reichsthalern.     Etc.     Unsinn.  — 

Dass  Du  endlich  auf  eine  gewisse  Veränderung')  denkst, 
ist  schön  und  brav  und  ich  glaube,  es  muss  gehen.  Wenn's 
geht,  so  ist  Alles  gut.  —  Schreibe  mir  gleich,  wenn  die 
Sache  rückt!  — 

Mit  Deinem  ewigen  Citieren  meines  Wisches  in  der 
Allg  Tteituug*)  hast  Du  mir  einen  verruchten  Streich  ge- 
spielt! Ich  bitte  Dich  hiemit  kniefällig,  erwähne  dieses  elende 
Ding  nicht  mehr,  sonst  kommt  mir  Einer  über  die  ganz 
groben  Schnitzer,  die  der  Dr.  Förster  nicht  gefunden  bat, 
weil  er  ein  E^tel  ist!  —  Ich  stehe  jedesmal  Höllenangst  aus, 
wenn  von  diesem  Belgien  die  Rede  ist  —  Deine  Brieffe") 
waren  sonit  gar  schön  und  liebblich  zu  lesen,  aber  in  die 
Steine  gehanwen  hast  Du  aucL  — 

')  K.'»  Kratgeboroiier,  der  »pätere  ZQricher  I'rivat(fosent  Gottfried;  den 
KoMfiamen  erhielt  er  wegen  idner  Kleinheit.  (Er  endete  1891  bei  Bonn  in 
des  Finten  de*  Rheins). 

*)  Uebertrilt  sur  phllutoph.  Fakultät. 

*)  t.  dmi  vorlgM  Brief. 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  89 

6,  Aug. 

Gestern  Abend  spazierte  ich  mutterseelallein  nach 
Deutschland,  d.  h.  nach  der  badischen  Grenze,  wo  nahe  über 
dem  Zollhaus  einer  der  letzten  Ausläufe  des  Schwarzwalda 
in  Gestalt  einer  Felswand  gegen  den  Rhein  abstürzt.  Unten 
ringsherum  auf  tausendjährigem  Felsenschutt  wuchern  und 
wachsen  die  schönsten  Reben,  von  steilen  Pfaden  durch- 
kreuzt. Ach  wie  liebreich  streckten  die  ihre  Ranken  nach 
mir  aus!  Ich  war  drauf  und  dran,  Versehe  zu  machen.  — 
Wenn  man  hier  wüsste,  wie  ich  mich  nach  Deutschland 
sehne,  so  hätte  die  Nationalzeitung  Donnerstags  einen  lei- 
tenden Artikel:  Der  Red.  der  Baseler  Ztg.  als  Vaterlands- 
verräther. — 

Unsere  polit  Zustände  werdea  in  Betreff  der  Frage: 
Wer  denn  Recht  habe?  immer  unentwirrbarer.  Thatsache 
ist,  dass  in  mehreren  Kantonen  das  Volk  per  majora,  in 
offenem  Aufstand,  kraft  seiner  Souveränetät  die  so- 
genannten Fortschrittsmänner  zum  Teufel  gejagt  hat  und 
noch  jagen  wird.  Nun  muss  man  wissen,  dass  diese  Fort- 
schrittsmänner in  wüstem  Wirrwarr  Schlechtes  und  Gutes 
miteinander  ausgerottet  hatten  und  noch  fürder  ausrotten 
wollen,  dass  sich  überhaupt  ein  so  eminentes  Rumor-  und 
Spektakelwesen  an  die  sog.  Sache  des  Fortschrittes  hängte, 
dass  kein  reputierlicher  Mensch  mehr  so  recht  dabei  sein 
will.  Die  Stellung  unsrer  Zeitung  ist  nun  die,  der  falschen, 
unreinen  Fortschrittspartei  entgegenzutreten  zu  Gunsten  der 
Antriebe  welche  in  den  Bevölkerungen  selbst  liegen.  Nun 
höre  aber  weiter.  Wer  steckte,  wenn  auch  nur  za  geringem 
Theil,  hinter  jenen  antiradikalen  Aufständen?  Die  patres  soc. 
Jesu,  und  gegen  jede  Complicität  mit  diesen  müssen  wir 
uns  mit  Händen  und  Füssen  sperren.  (Ich  habe  unlängst 
einen  schönen  Artikel  darüber  geschrieben,*)  welcher  „den 
besten  meiner  Stadt  genug  gethan"  und  also  lebt  für  alle 
Zeiten ,  d.  h.  so  lang  bis  alle  Exemplare  der  Zeitung  zum 
Hausgebrauch  benutzt  sein  werden.)  —  Hier  hast  Da  den 
Schlüssel  zu  vielem,  worüber  Euch  die  deutschen  Zeitungen, 
zumal  die  Kölnische,  nur  anlügen. 

•)  Von  ihnen  und  ihrer  Rolle  in  den  Wirrnissen  des  „Souderbunds" 
handelt  B.'s  Leitartikel  vom   16.  Juli  d.  J.  in  der  Basler  Zeitung. 


90 


Rudolf  M  e  V  e  r  -  K  r  a  e  m  e  r. 


6.  Aug. 
Siehe,  Urmau,  so  muss  ich  meine  Zeit  zersplittern  um 
nur  auch  ein  paar  Zeilen  an  Euch  schreiben  zu  können. 
Ich  bitt  Euch  alle,  habt  auch  nur  ein  paar  Monate  Geduld 
mit  mir!  —  Das  Lustspiel  werde  ich  wohl  Andere  schreiben 
lassen,  obwohl  es  an  Laune  im  Ganzen  nicht  fehlt,  so  blut- 
einsam ich  mich  auch  fühle.  —  Ich  hätte  Dir  gern  über 
Alles  mögliche  geschrieben,  aber  Zeit  und  Sammlung  fehlen 
ganz.  Addio  herzlieber,  glückseliger  Urmau!  Dich  küsst 
von  Hertzen  Saltimbanck. 

Liebe  Direktrix! 
Alles  was  ich  dem  Urmau  gemolden  und  gewunschen 
habe,  gilt  auch  Ihnen,  da  ich  mich  leider  auch  diessmal 
erbärmlich  kurz  fassen  muss.  "Wenn  ich  etwas  von  meiner 
Sehnsucht  nach  Euch  in  ein  Schächtelchen  mit  Baumwolle 
verpacken  und  Euch  schicken  könnte  —  Ihr  würdet  die 
Kürze  meiner  Brieffe  gern  verzeihen.  Dem  Mibes  wünsche 
ich  alles  Heil  auf  Erden,  da  sonst  schon  Leuthe  (sie)  ge- 
nug da  sein  werden,  welche  für  sein  ewiges  Heil  sorgen  und 
wünschen.  Mög  der  Mibes  sein  Leben  lang  frank  und  frei 
durch  all  den  irdischen  Spektakel  einhergehen,  nicht  kalt 
noch  sentimental,  kein  Ultra  noch  Indifferentist;  mög  er 
Glück  haben  bei  Gott  und  den  Menschen,  zumal  bei  den 
Frauen.  "Was  mag  der  Kerl  dermaleinst  denken,  wenn  er 
io  20  Jahren  die  sämintlichen  Jahrgänge  des  Maw  in  einem 
Schranke  finden  und  Mutter  und  Vater  drüber  quästionieren 
sollte!  Vielleicht  worden  sie  sich  dann  zur  Abfassung  eines 
fortlaufenden  Commentars  entschliesson  müssen!  —  Denken 
Sie,  liebe  Direktrix,  dem  Zefron  habe  ich  seit  Strassburg 
noch  immer  nicht  geschrieben,  und  jetzt  weiss  ich  vol- 
lends nicht  mehr,  ob  er  in  Weinhoim  oder  sonst  wo  sitzt. 
Und  doch  bin  ich  entschlouen ,  in  8  Jahren,  wenn  ich 
mir  etwa  120  Louisdor  verdient  habe,  mit  ihm  nach 
Italien  zu  reifen  —  diess  sollen  nur  Sie  und  der  Urmau 
wiMeo.  Melden  Sie  mir  doch  im  näobsten  Brief,  wo  Fresen 
jetst  wohnt  Ein  Rri^f  an  ihn  ist  4  Monate  angefangen. 
Meine  AdroMo  ist  fortan:  Dr.  J.  B.,  Red.  der  Baseler  Zei- 
tung. —  Habt  Geduld  mit  mir,  ich  wills  Euch  lohnen.   Ver- 


Briefe  Jakob  Burckhardts  au  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel  gi 

gesst  nicht,  dass  ich  an  meine  Zeitung  angenagelt  bin  wie 
eine  Nachteule  an  ein  Scheunenthor.  Alle  literarischen, 
studiorlichen  u.  a.  Interessen  müssen  jetzt  für  einige  Zeit 
das  Maul  halten.  —  ürmau,  siegle  die  Brieöe  an  Stift  und 
Schauenburg  und  wirf  sie  auf  die  Post. 

Liebe  Direktrix,  ich  bin  mit  Papier  und  Besinnung  am 
Ende  und  sudle  schon  ganz  unverantwortlich.  Der  Brief 
rutscht  mir  unter  den  Händen  fort. 

Grüs-en  Sie  das  Rheinland  und  Alles,  was  sich  meiner 
noch  erinnert!  Empfehlen  Sie  mich  Ihren  Eltern  und  den 
Damen  Heinrich  und  Bernd!')  —  Das  nächstemal  schreibe 
ich  an  Focko   und  Andres.     Was   macht   letzterer  Bengel? 

Ich  verbleibe  in  unvergänglicher  Treue  Ihr 

Saltimbanck. 

23.  "  Basel,  14.  Sept.  1844. 

Herzlieber  Urmau! 

0  jetzt  ist  es  bald  ein  Jahr,  seit  ich  das  letzte  Mal 
bei  Euch  in  Bonn  war  —  ich  darf  nicht  daran  denken, 
denn  dieses  Jahr  war  ein  verlornes.  Gearbeitet  habe  ich 
wohl,  geoxt  im  Schweiss  meines  Angesichtes,  bin  auch  zu 
einem  ganz  guten  Auskommen  durchgedrungen  —  aber  öde 
und  leer  ist  es  um  mich  gewesen  und  so  wirds  bleiben. 
Ich  hätte  unter  Wilden  nicht  isolierter  dastehen  können; 
die  paar  Tage  mit  Fresen  und  der  Abend  mit  Ackermann 
waren  die  einzigen  Augenblicke  da  ich  meine  Sprache  reden 
konnte.  Meine  glückliche,  innerlich  feste  Natur  hat  mich 
allerdings  vor  der  Melancholie  bewahrt;  unglücklich  bin  ich 
fast  nie  gewesen,  aber  unbeglückt  bin  und  bleibe  ich;  in 
diesem  Boden  werde  ich  niemals  festwurzeln  können. 

Ich  dichte  auch  nicht  mehr'^),  nicht  eben  weil  die  Zeit 
dazu  völlig  fehlt«,  sondern  weil  mich  das  Poetisieren  ä  ma 
fa9on  in  eine  weichliche,  elegische  Stimmung  bringt,  indem 
es  mir  Tage  des  Glücks  vorzaubert,  die  niemals  wieder- 
kehren werden.  Und  wenn  ich  auch  die  schönsten,  gött- 
lichsten Eingebungen    hätte,    ich    müsste    sie   ja   doch   still 

')  8.  Vorbem.  zu  Brief  ii. 
■  •)  Im  M.  K.  Bcbliessen  B's  Beiträge    mit  Jahrg.    1844  bis  auf  weiteres, 
erst   1846  bringt  noch  eine  Nachlese  aus  Italien. 


02  Rudolf  Meyer-Kraenier. 

herunterschlucken,  schon  aus  dem  einfachen  obwohl  hoch- 
müthigen  Grunde,  dass  mir  Niemand  gut  genug  ist  um 
ihm  dergleichen  mitzutheilen.  Es  sind  viele  Philister  und 
Wissens  nicht,  and  die  sind  grade  die  fatalsten.  Wenn  das 
so  fort  geht,  so  kann  ich  ein  nützlicher  Bürger,  vielleicht 
mit  der  Zeit  sogar  ein  passabler  Professor  werden  und  doch 
ist  am  Ende  mein  Leben  für  den,  welchen  es  hauptsächlich 
angeht,  nämlich  für  mich,  ein  verlornes  —  wie  dieses  letzte 
Jahr  ein  verlornes  gewesen  ist. 

8.  Oct.  1844. ') 

Ich  bins  ja  nicht  der  sie  heraufbeschwört, 
Vergangne  Freuden,  die  mich  einst  bethört. 

Verschwimmend  blasse,  süsse  Schatten! 
Der  Nebel  ist  es  der  den  Wald  durchzieht 
Das  fallende  Laub,  das  vor  dem  Herbstwind  flieht, 

Der  Abendduft  ist's  auf  den  Matten! 

Es  ist  das  Flüstern  in  dem  düstern  Hain 
Es  ist  das  Brausen  fern  eher  vom  Rhein 

Es  ist  der  Abenddämmrung  Grauen  — 
S'ist  die  Natur,  sie  ists  die  grausam  weckt 
Was  in  des  Herzens  Tiefen  sich  versteckt 

Und  die  mich  zwingt  es  anzuschauen. 

0  seid  gegrüsst,  ihr  theuren  Schemen  all 

Ihr  naht,  doch  hör'  ich  nicht  der  Schritte  Hall 

Ich  weiss  ich  darf  euch  nicht  umarmen  — 
Nur  Nebelbilder  sind's  —  und  doch,  sie  sehn 
Mich  bittend  an:  „lass  uns  nicht  ferne  stehn! 

0  lass  zum  Leben  uns  erwarmen! 

0  zieh  uns  kühn  an  die  gequälte  Brust 

Dann  werden  wir  lobendig  —  komm!     Du  musst! 

Za  leben  still  in  unsrer  Mitte!  — ^ 
Und  wie  ich  starrte,  zog  die  Nacht  heran, 
Der  Bohemen  Kreis  mit  leisem  Hauch  zerrann, 

Und  •chaudernd  wandt'  ich  meine  Schritte. 


•)  Vgl.  biercu  den  VierteOtr  d«r  fteiNrwmat,  mit  dem  diu  Kkp.  i  der 
KinUfncckuUui-  KblieMl :  „Q«nlO  h  btOfH  giOflPiW  etc."  . . . 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  g^ 

6.  November. 

0  Dir  Lieben !  gebt  mir  ein  Zeichen  ob  Ihr  mir  nicht 
zürnt,  dass  ich  Woche  um  Woche  vergehen  Hess  ohne  Euch 
zu  schreiben!  Es  schwebte  mir  immer  das  Ideal  eines 
schönen,  einsamen,  freien  Abends  vor,  welchen  ich  einem 
langen,  langen  Briefe  widmen  wollte,  aber  der  Abend  ist 
nicht  gekommen  und  ich  bin  noch  immer  im  Rückstand, 
und  schliesse  jetzt  nur  ganz  dürftig  und  kurz.  —  Ich  hätte 
Euch  so  viel  zu  schreiben  was  interessieren  könnte  wenn 
ich  bei  Euch  wäre,  aber  geschrieben  wären  es  doch  nur 
Miseren  wie  meine  ganze  hiesige  Existenz.  Letztere  wird 
mir  bloss  durch  die  Zeitung  erträglich,  indem  ich  ohne 
dieses  tüchtige  Mass  laufender  Geschäfte  entweder  vor  Ekel 
davonlaufen  oder  des  Todes  sterben  müsste.  Ihr  macht 
Euch  keinen  Begriff  von  der  tiefen  und  durchgehenden 
Isolirung,  in  welcher  ich  hier  bei  anscheinendem  Umgang 
lebe.  Die  Besuche  Ackermann's  und  Sefren's  blitzten  wie 
Wetterleuchten  an  mir  vorüber  und  Hessen  mich  in  einer 
Melancholie  zurück,  welche  ich  durch  tobende  Geschäftigkeit 
vergebens  zu  zerstreuen  suchte.  Sefren  hat  mir  bereits  von 
Clevio^)  aus  geschrieben;  es  ist  ihm  doch  nicht  ganz  geheuer 
in  dem  neuen  Elemente ;  die  grossen  kalten  Säle  und  Hallen 
sind  so  unheimlich  in  dieser  Jahreszeit!  Aber  er  wird  bald 
Boden  gewinnen  und  triumphieren. 

Meine  Lage  muss  ich  Euch  doch  mit  Wenigem  aus- 
einandersetzen. Ich  nehme  von  Zeitung  u.  a.  Arbeiten  und 
Rentchen  so  viel  ein,  dass  ich  jährlich  etwa  300  Rthlr 
zurücklegen  kann,  ja  noch  drüber.  Dieses  spare  ich  zu- 
sammen um  in  c.  2  od.  3  Jahren  etwas  zu  haben,  wenn 
ich  mit  Einem  Satz  aus  allen  hiesigen  Verhältnissen  heraus- 
springe. (Dieses  nur  für  Euch!  hier  darf  maus  nicht  ahnen!) 
Daraufhin  spare  ich  bereits  nach  Kräften  und  lasse  mir  diess 
liiesige  Hundeleben  in  Gottes  Namen  gefallen.  Jetzt  wisst 
Ihr  was  ich  will. 


')  Fresenius,  der  gleichaltrige  Freund  (und  habilitierte  Chemiker)  war 
wohl  eben  jetzt  in  die  ersten  Stationen  einer  Italienreise  (von  Giessen  aus) 
eingerückt:  es  wird  hier  Kläfen  (Chiavenna)  gemeint  sein.  Uebrigens  war 
er  Nov.   1845  wieder  in  Venedig, 


qA  Rudolf  Meyer-Kraenier. 

7.  Nov. 

Lieber  Urmau,  nimm  Dir  einmal  eine  lialbe  Stunde 
Zeit  und  schreibe  mir  die  Liedchen  von  Paris  und  Rouen 
ab '),  ich.  möchts  gern  zum  Übrigen  tbun.  Die  schöne  Zeit 
der  Freiheit  wird  mir  mehr  und  mehr  objektiv  und  mythisch, 
und  ich  wünsche  so  sehr,  die  dahin  einschlagenden  Akten- 
stücke möglichst  vollständig  zu  besitzen!  Es  ist  ja  doch 
das  beste  Stück  von  meinem  Leben  gewesen. 

Urmau,  was  treibst  diesen  Winter?  Ich  lese  vierstündig 
Mittelalter  vor  4  Zuhörern  und  einstündig  Gesch.  der  Malerei 
vor  gemuschenem  Bupfliko.  *)  In  zehn  Tagen  fang  ich  an 
mit  Letzterem  und  weiss  noch  keinen  Buchstaben.  Ich  bin 
durch  wunderliche  Fügung  dazu  gekommen  und  glaube 
desshalb,  es  werde  mir  auch  durch  dämonische  Fügung 
gelingen.  Diesen  Sommer  habe  ich  vor  6  Zuhörern  (am 
Ende,  Anfangs  October  —  denn  so  lange  musste  ich  lesen 
um  fertig  zu  werden  —  hatte  ich  noch-  fünf)  Gesch.  der 
Baukunst  vorgetragen  was  ganz  gut  ablief  und  mir  etliche 
Bekanntschaft  mit  denen  Studiosis  zuzog.  Das  M.  A.  fang 
ich  nächsten  Montag  an. 

"Was  macht  Mibes?  Ich  geb'  ihm  meine  Benediction 
aus  der  Ferne.  Schreib  mir  genau,  wie  Du  jetzt  stehst,  was 
Deine  Aussichten  sind  u.  s.  w.,  damit  ich  weiss  was  Trumpf 
ist.  Mir  gehts  insofern  gut,  als  ich  genug  habe  und  der 
Opposition  lache,  die  da  noch  meint,  mir,  der  ich  Euch 
zu  Freunden  habe,  der  ich  Erinnerungen  besitze  wie  Wenige, 
mit  Schimpfen  etwas  anhaben  zu  können.  Die  ärgsten  langen 
Nasen  weise  ich  den  Kerls  ganz  im  Stillen. 

Lebwohl,  herzlieber  Urmau,  grüss  alles  Grüssbare! 

In  bittrer  Sehnsucht  .., 

Saltimbanck. 

Bitte,  Single  das  Briefcben  nach  Elberfeld  (es  ist  ein 
kommaner  Trotbriof,  ich  thue  als  ob  ich  in  der  Noth  wäre) 
und  wirf  os  auf  die  Post!  — 

')  Au»  dem  Jgg.  1843  de»  M.  K. 
•)  ».  Trog,  S.  4$. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  g^ 

24.  Basel,  23.  Dec.  1844. 

Liebster  Urmau! 

Seit  Freitag  liegen  Sefrens  Blätter  bei  mir  und  immer 
hoffte  ich,  Euch  etwas  beilegen  zu  können  und  jetzt  ist  doch 
nichts  draus  geworden ! 

Ich  hätte  Euch  gern  einen  poetischen  guten  Morgen 
gewünscht,  aber  es  wird  daraus  nichts  mehr.  Ich  fühle 
mehr  und  mehr  eine  Leere  und  Öde,  sobald  ich  nicht  von 
früh  bis  spät  mit  Geschäften  überladen  bin.  Das  wird  nicht 
eher  enden  bis  ich  in  eine  andre  Luft  komme;  hier  gedeih 
ich  einmal  nicht.  Was  mir  hier  von  Anerkennung  und 
Theilnahme  entgegenkommt,  nehme  ich  äusserlich  an  um 
mich  innerlich  um  so  ungestörter  dagegen  zu  verhärten. 
Es  sind  ja  doch  alles  lauter  Leute,  mit  denen  ich  keine 
innere  Berührung  habe.  Calderons  „Leben  ein  Traum" ') 
wird  zur  Wahrheit;  ich  sehe  Alles  was  mich  umgiebt,  wie 
eine  Welt  von  lauter  Schemen  an.  Und  da  kommen  die 
guten  Leute  und  meinen  noch,  die  Angriffe  in  den  Zeitungen 
müssten  mich  schmerzen  und  der  Success  (von  Dem)  und 
Jenem,  was  mir  gelingt  müsse  mich  (freuen). 

A  propres  von  Success,  dieVorlesung(en  über)  Geschichte 
der  Malerei  ziehen  das  ganze  (gebildete)  Basel  zu  meinen 
Füssen  und  tragen  mir  (ungefähr)  130  Rthlr  ein,  wie  ich 
glaube.  Das  darf  (das  Publikum)  natürlich  hier  nicht  wissen, 
dass  es  mir  (dabei  um)  nichts  Anderes  zu  thun  ist  als  um 
ein  paar  (Monate  der)  Freiheit  mehr,  die  ich  mir  dereinst 
mit  diesem  Gelde  erkaufen  kann.  Man  leiht  mir  hier  bald 
diesen  bald  jenen  ehrgeizigen  Plan,  sogar  vornehme  Heirath 
u.  dgl.  und  ich  kann  nichts  gescheidteres  thun  al^die  Leute 
im  Glauben  lassen;  denn  wenn  die  Philister  merken,  dass 
man  gar  nichts  im  Schilde  führt,  so  beginnen  sie  alsbald, 
einem  insolent  zu  begegnen,  weil  sie  einen  für  dumm 
halten.  —  0  Schiida,  mein  Vaterland!  Hätte  ich  Zeit,  Humor 
und  Mitlacher! 

Ich  schreibe  allwöchentlich  in  die  Köln.  Zeitung  unter 
dem  Zeichen  3J|=;  ihr  werdet's  wohl  schon  bemerkt  haben.') 
Ich    bin    gerade    jetzt    durch    meine    rein    staatsrechtliche 

•)  8.  Brief  i8,  Auf. 

')  B.  hatte  zunächst  um  das  Feuilleton  ambiert,  jedoch  Levin  Schücking 
weichen  müssen. 


g5  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Ansicht  schweizerischer  Zustände,  welche  sich  durch  Jesuito- 
phobie  u.  dgl.  nicht  aus  dem  Concepte  bringen  lässt,  für 
die  vorsichtige,  pfaffenschonende  Köhi.  Zeitung  ein  ganz 
geeigneter  Correspondent.  Ich  habe  nicht  ohne  Absicht 
mit  Damont  angeknüpft;  es  ist  immer  ein  Zweig  mehr, 
woran  man  sich  halten  kann,  wenns  hier  zu  toll  wird.  Auch 
zahlt  er  räsonnabel ;  per  Spalte  zu  120  Zeilen  (. .  ?  .  .).  Wenn 
ich  das  Geheimniss,  welches  (nur  wenige  der)  hiesigen 
Bekannten,  sonst  durchaus  gute  discrete  Leute,  wissen, 
bewahren  kann,  so  (werde  ich)  in  der  Kölnischen  immer 
ungenierter  (werden).  In  meiner  Vorlesung  über  M.  A.  an 
der  Universität  habe  ich  6  Zuhörer.  Rechnet  diess  (zu- 
sammen) :  6  mal  wöchentlich  die  Zeitung,  3  Stunden  (Colleg), 
einmal  vor  gemuschenem  Bupfliko,  und  Ihr  (werdet)  begreifen» 
dass  mir  für  Nebensachen  nicht  viel  (Zeit)  und  Stimmung  bleibt 
Wo  sind  die  Zeiten,  da  ich  wenigstens  noch  den  Alchy- 
misten  schreiben  konnte?  —  Es  wird  Abend;  solls  wohl 
noch  einmal  Morgen  werden?  "Woher  diese  dumpfe,  sterile 
Stimmung,  während  mir  doch  Niemand  bisher  etwas  hat 
zu  Leide  thun  können  auch  bei  schlimmster  Absicht? 

0  wenn  ich  doch  nur  wieder  ein  paar  Tage  bei  Euch 
in  Deutschland  sein  könnte! 

Grüss  Directrix!  Grüss  Andres!  und  wer  sonst  nach 
mir  fragt!  Schreibt  mir  wieder  einmal,  obwohl  ichs  nicht 
werth  bin.  Bedenkt,  dass  in  der  Erinnerung  an  Euch  jetzt 
für  mich  der  letzte  Pulsschlag  wirklichen,  warmen  Lebens 
schlägt,  dass  nur  in  ihr  das  Schein-  und  Schattenlebeu  auf 
Angeoblicke  aufhört  Ein  paar  schöue  Augen,  die  mir 
einige  Zeit  im  Sinne  lagen,  gehören  jetst  auch  nur  noch 
dem  Schattenleben  an  und  werden  zudem  nächstens  Basel 
▼erlaMen.  In  Qottes  Namen,  ich  will  mich  darüber  nicht 
grämen;  es  wäre  doch  nichts  für  mich  gewesen. 

0  Gott,  ein  Jahr  Freiheit,  Poesie  (—  und  dann)  sterben !  nur 

nicht,  wenn  ich  (denn  doch  loben)  inuss,  in  der  bittren  Tücke 

anterg(ehen,  an)  welcher  ich  hier  immerfort  würgen  werde. 

Schreibt  mir  bald!    KüMt  den  kleinen  Gottfried!    Addio 

Urmau,  grüsf  Alles!  Von  Hersen      ^  ,  ^ 

Euer  getreuer      B. 

Von  Ackermann  weiss  ich  kein  Wort 


Briefe  Jakob  Burckhardts  aii  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.  g-j 

26  Basel,  7.  Jan.  1846. 

An  den  ürmau. 

Herzliebster  ürmau! 

Vergieb,  dass  ich  im  Drang  der  Umstände  nur  diess  kleine 
Blätt<'hen  vor  mich  nehme,  um  Dir  zu  schreiben!  Ich  habe  die 
ganze  Zeit  über  alle  Tage  oft  an  Euch  gedacht,  und  hatte  auch 
eine  Ahnung,  Du  müsstest  nicht  ganz  auf  dem  Strumpf  sein. 
Ich  weiss  jetzt  auch  ein  Lied  zu  singen  von  dem  Nicht- 
fertigwerden  —  und  Du  hast  doch  noch  Deinen  Engel  zur 
Seite,  der  Dich  treibt,  wenn's  allzutoll  wird,  aber  ich  bin 
ganz  allein,  und  habe  keinen  Menschen  um  mich,  sondern 
nur  gate,  mitt^lmässige  und  böse  Leute.  0  das  weisst  Du 
nicht,  wie  das  stimmt,  wenn  man  einen  Freuden-  oder  Klage- 
schrei aus  der  eigentlichen  Seele  gellen  lässt  und  die  guten 
Leute  sehen  einen  ganz  verwundert  an !  —  Doch  davon 
habe  ich  Euch  schon  genug  die  Ohren  vollgeleiert. 

Du  urtheilst,  die  Zeit  sei  gekommen,  Dein  jetziges 
Bonner  Verhältuiss  abzuschliessen  und  den  Biss  zu  wagen. 
Thu  es,  mein  Freund;  ich  rathe  dazu  schon  desshalb,  weil 
ich  glaube,  dass  ein  Zugwind  Deine  Seele  erfrischen  wird. 
Aber  am  besten  wäre  es,  wenn  Du  dabei  in  dem  seligen 
Bonn  bleiben  könntest!    Sollte  es  denn  nicht  möglich  sein, 

die  Sache  so  einzurichten aber  freilich,  Du  musst  Dich 

zur  Disposition  des  Ministeriums  stellen.  —  Ich  fürchte  immer 
sie  schicken  Dich  nach  Greifswald  oder  nach  Breslau  —  aber 
auch  da  will  ich  Euch  einmal  heimsuchen. 

Was  Du  mir  von  der  Politik  unter  den  Studiosen 
schreibst,  hat  mich  ausserordentlich  überrascht,  obschon 
grade  ich  es  hätte  sollen  kommen  sehen.  Ich  hätte  nie 
geglaubt,  dass  die  Aussaat  von  Berlin  Anno  1842  —  denn 
die  ist  es')  —  so  rasch  aufgegangen  wäre.  Ehrlich  gestanden, 
ich  erwarte  nicht  viel  davon,  weil  ich  an  mir  selbst  erfahren 
habe,  was  das  Zeitungslesen  für  Confusion  stiftet.  Für 
Preussen  ist  die  Sache  vollends  ein  Unglück,  weil  da  der 
politisierende  Student  fast  mit  Nothwendigkeit  den  Pli  einer 
besondren,  bestimmten  Opposition  annimmt,  indem  die 
Parteien,  an  welche  man  sich  angruppieren  könnte,  noch 
gar   nicht   vorhanden    sind.     Alles    bläst    nun    mehr   oder 

«)  Vgl.  Br.  3  Scblusi  (auch  lo  Schi.) 


q8  Rudolf  Meyer-Kraemer, 

minder  nach  einer  Richtung  hin,  die  mehr  oder  minder 
philosophisch  aufgestutzt  im  Ganzen  das  Richtige  enthält, 
im  Einzelnen  aber  ein  Holzweg  ist.  Was  soll  das  werden. 
wenn  man  alle  Mittelstufen  und  Consequenzen  überspringt 
and  in  Gedanken  schon  beim  Socialismns  anlangt,  während 
man  faktisch  noch  nicht  über  den  erleuchteten  Absolutismus 
hinaus  ist?  wenn  man  jeglichen  Masstab  der  Wirklichkeit  als 
etwas  Unwesentliches,  rationell  Ueberwundenes  bei  Seite  legt 
und  dafür  in  Gedanken  die  riesenhaftesten  Portschritte  macht? 
Mir  kommt  die  ganze  Geschichte  vor  als  wollte  man  ein 
Haus  bauen,  stritte  sich  aber  vor  der  Hand  gerichtlich 
herum,  ob  das  obere  Zimmer  hinten  hinaus  gelbe  oder  rothe 
Vorhänge  erhalten  solle.  Dieses  ist  meine  einfältige  Meinung. 
Wir  haben  in  der  Schweiz  auch  solche  „geistige,  rationelle'* 
Ueberwinder,  das  sied  die  Rohmerianer  in  Zürich,  •)  welche 
inzwischen  doch  den  schändlichen  Freibeuterzug  nach  Luzern 
unter  ihrer  Nase  mussten  geschehen  lassen.  Du  glaubst  gar 
nicht,  wie  sehr  man  in  der  Schweiz  auf  das  Thunliche, 
auf  die  einfachen,  handgreiflichen  Mittel  merken  lernt.  Ganz 
lächerlich  ist  mir  z.  ß.unsore  Köln.Ztg.(welche  mir  beiläufig  ge- 
sagt einiges  Geld  eintragen  soll)  mit  ihrem  Liberalismus  gegen 
Berlin  und  ihrer  erbärmlichen  Knechtschaft  unter  den  Pfaffen ! 
Glaube  mir,  ich  massige  mich  in  meinen  =||r:  Corrospondenzen, 
aber  Dumont  streicht  mir  die  harmlosesten  Ausdrücke  übardie 
Jesuiten  u.dgl.  Da  soll  mir  noch  einer  mitLiberalismus  kommen! 

Hätt'  ich  nur  mehr  Zeit  in  dem  Augenblick!  Aber  Du 
sollst  einen  schönen  langen  Brief  haben,  einen  ganz  aparten! 
Für  den  Maw  za  arbeiten  —  daran  darf  ich  in  der  nächsten 
Zeit  gar  nicht  denken. 

Liebster  Urmau,  ich  liege  in  diesem  Augenblick  an 
Deinem  Halse  und  küsse  Dich  und  möchte  Dich  gerne  er- 
beitern! Nimm*s  für  empfangen  an !  Lieber,  lieber  Freund, 
wenn  ich  Dir  auch  manchmal  die  Ohren  volljammere  —  die 
gotoD  Augenblicke  sind  eben  auch  Dir  geweiht!  — 

Lebewohl!        in  alter  Treue  Dein  Sahimbanck. 

';  So«b«o  war  (1844  in  KrAuenfeld)  von  Fricdr.  Kobmer  (1814  —  56) 
crMrbiatMo:  ML<ebre  voo  d«n  pollli>cben  I'iirteien".  lu  den  Denkwürdigkeiten 
Kjup.  BluniMrblit  (der  ticb  voo  den  londcrbareo  Schwirmern  einfangen  lieu) 
Ul  bieräbcr  Niberet  tu  finden. 


I 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (uud  Jobanna)  Kinkel.  gg 

Ein  nächster  Brief  ist  nur  ein  kurzes  Billet;  Kinkel 
bereitete,  zum  Uebertritt  von  der  theologischen  zur  philo- 
sophischen Fakultät  in'  Bonn  nunmehr  entschlossen,  ein 
Kolleg  über  Kunstgeschichte  des  Mittelalters  vor  (das  er 
nachmals,  im  Winter  1845,  gelesen  hat),  vielleicht  auch  ein 
Werk  darüber.  Burckhardt  hatte  ihm  für  diesen  Zweck  die 
eignen  Collectaneen  und  Exzerpte  hergeliehen.  Dies  Billet 
—  vom  21.  Januar  1845  —  bittet  nun  in  plötzlicher  Besorg- 
nis wegen  verzögerter  Rücksendung  um  sofortige  Abfertigung 
des  schlechthin  unersetzlichen  Manuskripts. 


27.  T  •  ,    .      TT  .  Sonntag,  2.  Merz  1845. 
Liebster  Urmau! 

An  Dich  diessmal  nur  ein  paar  Worte  als  Umsch'ag; 
das  Weitere  ersiehst  Du  aus  inliegendem  Brief)  an  Directrix. 
—  Wolters.  Andreas  und  Alexander*)  müssen  diesmal  warten. 

O  lieber  Urmau,  ich  weiss,  es  thät  Dir  wohl,  wenn  ich 
jetzt  zu  Dir  träte  und  den  Arm  über  Deine  Schulter  legte, 
drum  thu  ich  os  jetzt  im  Geiste!  Ich  hab  in  den  letzten 
Tagen  soviel  an  Euch  denken  müssen,  als  ich  Musterung 
hielt  über  All  das,  woran  mein  Herz  noch  hängt.  Ich  dachte, 
ob  ich  mein  Schicksal  eher  an  das  Deine  oder  das  Her- 
manns'*) hängen  möchte  und  bin  zweifelhaft  geblieben.  Mit 
Hermann  werde  ich  es  vielleicht  eher  probieren,  denn  Du 
hast  schon  Jemand  um  Dich.  Vivat  die  Lumperei  und 
das  Durchbrennen!  Grade  weil  ich  ein  so  besonnener,  or- 
dentlicher Mensch  bin,  habe  ich  ein  Recht,  so  zu  sprechen ; 
denn  mit  den  Eventualitäten  muss  man  sich  doch  vertraut 
machen!     Addio!     Von  Herzen  Dein  sehnsüchtiger        S. 

28.  T  •  u  .      TT  .  Basel,  19.  April  1845. 
Liebster  Urmau!  ^ 

Ich  muss  Euch  doch  auch  schreiben,  dass  ich  noch 
am  Leben  bin  und  überhaupt  in  diesem  Monat  kein  Bulffer 
gerochen  habe.  Es  ist  noch  ziemlich  gut  abgelaufen;  die 
mobile  Anarchie,  deren  Führer  im  Sinne  hatten,  von  Kanton 

')  Der  leider  verloren  gegangen  ist. 
')  Kaufmann. 

•)  Schauenburg.  Für  K.  bandelte  es  sich  um  Genehmigung  seines 
Fakultätswechüels,  deren  Verzögerung  ihn  in  peinvoller  Spannung  hielt. 


lOO  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

ZQ  Kanton  zu  ziehen  und  daselbst  Alles  über  den  Haufen 
zu  werfen,  hat  einstweilen  an  den  Thorpfosten  von  Luzern 
eich  den  Kopf  eingerannt;  allein  über  kurz  oder  lang  kömmt 
das  Ding  wieder  und  kann  wohl  auch  einmal  der  jetzigen 
Existenz  in  Basel  ein  Ende  machen.  Mir  ist  durch  diesen 
grässlich  brutalen  Gemüthszustand  der  Schweiz  die  ganze 
Geschichte  furchtbar  verleidet  und  ich  werde  mich  expatriiren, 
sobald  es  irgend  angeht,  so  Gott  will  im  Sommer  1846. 
Das  Wort  Freiheit  klingt  schön  und  rund,  aber  nur  der 
sollte  darüber  mitreden,  der  die  Sklaverei  unter  der  Brüll- 
masse, Volk  genannt,  mit  Augen  angesehen  und  in  bürger- 
lichen Unruhen  duldend  und  zuschauend  mitgelebt  hat.  Es 
giebt  nichts  Kläglicheres  unter  der  Sonne,  experto  crede 
Ruperte,  als  eine  Regierung,  welcher  j«der  Intrigantenclub 
die  executive  Gewalt  unterm  Hintern  wegstehlen  kann  und 
die  dann  vor  dem  ,,Liberalismu8''  der  Schwünge,  Knoten 
und  Dorfmagnaten  zittern  muss.  Ich  weiss  zuviel  Geschichte, 
um  von  diesem  Massendespotisnms  etwas  andres  zu  er- 
warten als  eine  künftige  Gewaltherrschaft,  womit  die  Ge- 
schichte ein  Ende  haben  wird.  Es  wird  auch  in  Deutschland 
die  Zeit  kommen,  da  der  vernünftige  Fortschritt  (dessen 
Ziel  die  Constitution  ist)  sich  sondern  wird  von  der  blinden 
und  intriganten  Agitation.  Bis  dahin  seid  ihr  faktisch 
politische  Kinder,  und  solltet  Gott  danken,  dass  in  Köln, 
Koblenz  u.  a.  0.  preussische  Garnisonen  liegen,  so  dass  Euch 
nicht  über  Nacht  jede  beliebige  Schaar  kommunistisirter 
Knoten  über  den  Pelz  kommen  und  Euch  Euro  Kisten  und 
Kasten  ausnehmen  kann.  Glaub  mir,  das  politische  Volk, 
an  wolchos  gewisse  Leute  prahlend  appeiliren,  existirt, 
wenigstens  in  Deutschland  und  in  der  Schweiz,  noch  nicht; 
statt  seiner  ist  eine  Masse  vorhanden,  in  der  eine  Menge 
berrlicber  Keime  und  Charakteren  schlummern,  die  aber  als 
Maate  in  den  Händen  jedes  Schuftes  wttro  und  sich  dann  aln 
B<^tie  goriren  würde. 

Saptenti  sat. 

Von  der  völligen  Verwüstung  jeglicher  Laune,  welche 

dieee  Geeobichten  mit  sich  führen,  machst  du  dir  gar  keinen 

Regriff.  Man  kommt  nicht  einmal  ssam  Arbeiten,  geschweige 

dnnn   zu  Htwa«  Beeaerem.     Die  leisten  4  Wochen  sind  für 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        loi 

lüich  eine  total  verlorene  Zeit  gewesen;  die  nöthigsten  Dinge 
blieben  liegen;  Alles  nahm  die  Zeitung  und  das  Herumlaufen 
in  Beschlag.  Wesshalb  ich  noch  ein  Jahr  hier  ausharre,  das 
macht:  ich  bin  Willens,  mir  noch  einiges  Geld  zu  verdienen, 
und  berechne  meine  Geduld  zu  diesem  infamen  Zeitungs- 
metier auf  ungefähr  noch  14  Monate;  dann,  weis  ich,  kann 
ich  nicht  länger.  Ich  glaube  Euch  gemeldet  zu  haben,  dass 
ich  inzwischen  zum  Prof.  extraord,  ohne  Gehalt^)  ernannt 
worden  bin;  schreibe  ich  nun  nicht  länger  die  Zeitung,  so 
verdiene  ich  hier  auch  nichts  mehr  und  kann  dann  eben- 
sogut anderswo  leben  als  hier,  da  ich  ja  doch  aus  meinem 
Gelde  leben  muss.  Dass  ich  aber  an  jedem  andern  Orte 
besser  und  an  weit  den  meisten  Orten  auch  wohlfeiler  lebe, 
unterliegt  keinem  Zweiffell  (sie);  auch  will  ich  mir  dann 
schon  was  zu  thun  machen.  Sieh,  ürmau,  arbeiten  kann 
ich  hier  nicht  (so  plage-  und  qualvoll  auch  mein  Tag  ist) 
und  dessbalb  muss  ich  fort.  Zudem  hängt  mein  Herz  hier 
an  nichts,  ich  mag  mich  prüfen  wie  ich  will.  Das  hiesige 
Treiben,  das  Geschäftigthun  mit  den  vielen  Ehrenausgaben 
u.  8.  w.,  ist  mir  herzlich  zuwider.  Da  ich  mich  doch  einmal 
mit  meiner  Hände  Arbeit  ernähren  muss,  so  will  ich  mir 
auch  gerade  einen  bequemen  Platz  dazu  aussuchen.  Vielleicht 
würde  ich  mich  dann,  wenns  irgend  möglich  ist,  nach  ge- 
wissen Leuten  richten,  nach  welchen  die  Magnetnadel  meiner 
Seele  beharrlich  hinweist.  Schicksal  und  Aufenthalt (sort) 
dieser  Leute  sind  bis  dahin  so  Gott  will  entschieden.  Mög- 
licher Weise  gehe  ich  zuvor  für  einige  Zeit  nach  Italien, 
doch  ist  es  kaum  wahrscheinlich,  indem  bis  dahin  meine 
kunstgeschichtl.  Quellenstudien  nicht  genugsam  vorgerückt 
sein  können,  um  durch  die  Anschauung  ihren  Beschluss 
zu  gewinnen;  ich  hätte  nachher  noch  Jahre  lang  nachzuoxen. 

Ich  schreibe  diesen  Brief  schnell  hin,  damit  Ihr  wieder 
Nachricht  von  mir  habt.  Zu  allem  Übrigen  geht  der  ge- 
plagten und  zerstreuten  Seele  die  Fassung  ab.  Ihr  habt 
jetzt  wieder  ein  Bulletin  von  mir. 

Die  Sommerreise  zu  Euch  soll,  so  Gott  will,  zu  Stande 
kommen,  Ende  Juli.  Könnt'  ich  zu  einer  andern  Zeit  kommen, 
ich  thät's  gewiss.    Mein  Stellvertreter  über  die  botreffende 

•j  s.  Trog,  S.   30  ff. 


1 02  R  u  d  o  1  f  AI e y  c  r  -  K  r a  e  m  e  r. 

Woche  ist  gewonnen  und  sagt:  wenn's  nit  Judenjiingen 
hagele,  so  wolle  er  für  mich  einstehen.  Ich  werde  ihm  für 
jeden  Tag  2  Rthlr.  geben,  woraus  ihr  sehen  möget,  dass  ich 
mir  es  etwas  kosten  lasse.  Die  Sehnsucht  steigt  und  steigt; 
Gott  gebe,  dass  nicht  etwa  der  politische  Satan  neues  Unheil 
dazwischen  säet. 

Ich  erwarte  halb  und  halb  Focke,  der  mich  partout 
in  Strassburg  sehen  wollte;  allein  über  meinen  einzigen 
freien  Tag,  den  Sonntag,  in  Strassburg  zusammenzukommen 
hätte  nicht  der  Mühe  gelohnt,  da  ich  Sonnabend  spät  an- 
gekommen wäre  und  Sonntag  Morgens  11  Uhr  wiederhätte 
abreisen  müssen.  Gott  weiss,  ob  Focko  sich  nun  dennoch 
meiner  erbarmt,  und  die  alten  schönen  Zeiten  wieder  aufzu- 
wecken kommt.  Ich  gehe  jetzt  an  die  Eisenbahn  um  ihn,  wenn 
er  da  ist.  abzufassen  und  jubelnd  in  meine  Höhle  zu  führen. 

Leb  wohl,  herz  liebster  Urmau!  —  Ach  Gott,  soeben 
fährt  der  Omnibus  vor  und  Focke  ist  nicht  darin. 

Lebwolil  Urmau;  mein  Herzensgruss  an  Directrix!  Dem 
Andreas  schreib  ich  ein  andermal,  grüsst  ihn,  Wolters  und 
was  sich  noch  meiner  erinnert,  bestens  von  mir. 

Lieber  Urmau,  sei  gegrüsst  von  Deinem 

sehnsüchtigen  B. 

29.  Basel,  11.  Juny  1846.') 

Guten  Abend  Urmau. 

Es  ist  üigontlich  Luxus,  dass  ich  an  Dich  schreibe, 
denn  den  2().  July  hoffe  ich  Dich  von  Angesicht  zu  sehen. 
Allein  ich  weiss,  dass  Du  gern  ein  paar  Zeilen  von  mir 
hast  und  im  Oxen  bist,  da  schmecken  die  Briefe  von  guten 
Frennden  am  besten.  Diessmal  solltet  Ihr  eigentlich  ein 
Paket  kriegen,  nämlicli  2  Ex.  von  einer  nnulichen  Abhand- 
lung von  mir  über  die  Kirche  zu  Ottmarsbeim  im  Elsass,') 
aber  ich  bring  sie  lieber  in  Persohn  (sie)  mit,  damit  die 
ßrieffn  an  und  vor  (•ic)  sich  sobnellor  lauffen. 

Unsere  Politica  stehen  jetct  so,  dass  der  Teufel  bis  in 
6—7  Wochen  wieder  los  sein  könnte,  aber  da  bin  ich  unter- 

*)  Zu  dickem  Datum  vgl.  Strodtmann  II,  ao  (K.'t  belKiicbe  Keit^). 
•)  :  Trog.  S.  49. 


I 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        103 

weges  und  kümmere  mich  nichts  um  das  Zeug.  Denn  das 
schwör  ich,  bin  ich  einmal  über  die  Greoze,  was  so  Gott 
will  den  13.  Juli  geschehen  soll,  so  mach  ich  meine  14tägige 
Ferienreise  ab  auch  wenn  gleich  hinter  meinem  Rücken 
die  Freischaaren  wieder  ausziehen  sollten.  Helfen  kann 
man  doch  nicht;  anzünden  tliun  sie  Basel  nicht  leicht;  was 
vorbestimmt  ist,  das  wird  geschehen  —  also.  0  diese 
schweizerische  Agitation!  Ihr  habt  das  alles  nur  erst  in  der 
Idee,  wir  in  der  krassen  handgreiflichen  AVirklichkeit.')  In 
unserra  alten  Gesangbuch,  gab  es  ein  Lied:  „Behüt'  uns, 
Herr,  vor  Pöfelsgrimm"  ;  man  hat  es  heiausgcthan,  wesshalb, 
das  weiss  der  Himmel.  Ich  habe  die  Volkssouveränetät  bis 
hierher -j  ... 

Was  soll  man  nur  auch  anfangen?  Die  Massen  sind  von 
den  Wühlern  (nicht  Wählern,  wie  mir  der  Correktor  der 
Köln.  Z.  beharrlich  stehen  lässt)  in  die  Politik  hineinge- 
zogen worden  und  reden  nun  mit.  Es  ist  ein  wahres  Babel. 
Ich  habe  für  den  Maw  ein  Sammelsurium  „aus  Saltiinbank's 
politisch-moralischen  Schrifften**  angefangen,  aber  es  ist 
liegen  geblieben.  Vielleicht  bring  ich  Euch  2  Blätter  mit.") 

O  Urmau,  es  ist  schon  über  2  Jahre  seit  ich  Euch  das 
letztemal  sah!  Ich  habe  besonders  die  Anniversarien  der 
Reisetage  in  der  Ahr  andächtig  wieder  gefeiert,  '/'innst*) 
Du  Dich  noch  an  (sie)  den  Quarzsatan?  und  an  den  Heiden- 
garten wo  ich  so  heidnisch  hungericht  wurde?  und  an  den 
Suff  in  Altenahr?  und  an  Nürburg  und  die  huh  Aach?  und 
Aremberg?  und  Fräul.  Dilexerat?  —  Es  war  doch  einer 
der  Ciilminationspunkte  meines  armen  Lebens.*) 

Gut  Nacht  Urmau,  es  ist  spät  und  ich  schmiere. 

Dein  getreuer 

Saltimbanck. 

•)  Aebniicb  nur  noch  drastischer  in  einem  Briefe  atn  Ed.  Schauenburg 
(4.  Juni  45):  „O,  ihr  im  Reiche  draussen  habt  die  Agitation  immer  nur 
erat  in  abstracto;  ich  aber  habe  ihr  in  das  wüste,  versoffene  Auge  gesehen"  u.  s.  w, 

•)  Am  Rande  ein  Brustbild  gezeichnet,  durch  dessen  Hals  eine  punktierte 
Linie  geht. 

*)  s.  ob.  der  Eintcbub  in  Br.  20. 

*)  Mit  griech.  grossem  Psi  geschrieben. 

•)  s.  meine  Vorbeni.  zu  Br.  11,  sowie  Br.  19  und  20,  insbesondere  aber 
m  K.'g,  Ahrbuch  S.   i8,    10;,  341,   103,  336,  306 — ü,  358,  385. 


104  Rudolf  Meyer-Kraenaer. 

90.  Basel,  28.  Juni  1845. 

Liebster  Urmau! 

Villen  Dank  für  Deinen  schönen  Brieö!  Die  37  Thlr. 
hebt  mir  auf,  ich  kassiere  sie  bei  meiner  Anwesenheit  ein, 
sintemal  Andreas  sie  nicht  mehr  haben  will. 

Das  schöne  Kaufmann'sche  Bildchen  von  Weidenbach') 
prangt  an  der  Wand  bei  mir  und  meine  Bekannten,  die  ich 
rathen  lasse,  denken  sich  Gott  weiss  was;  einer  hats  für 
einen  Rebus  erklärt. 

Das  Ottmarsheimer  Ding  kriegst  Da  jetzt  noch  nicht, 
ich  möchte  das  Porto  nicht  dran  wenden.  Endresultat:  erste 
Hälfte  des  elften  Jahrhunderts.  Gieb  Dich  nur  zufrieden, 
es  sind  urkundliche  Beweise  da,  welche  mit  den  kunst- 
geschichtlichen zusammenklappen. 

Sag,  was  hast  Du  denn  über  den  Limes  geschrieben? 
Das  ist  brav  von  Dir,  dass  Du  mir  es  schickst.  Ich  ver- 
muthe  80  halb  und  halb,  dass  diese  Sachen  Deinen  Ueber- 
gang  zu  einer  andern  Fakultät  legitimiren  sollen,  woran  Du 
sehr  wohl  tliust.  Mit  irgend  etwas  muss  der  Durchbrand 
geschehen.  —  Bocks  Abhandlungen  über  die  Kaiserpal laste 
kenne  ich  nicht. 

Dass  Du  H.  Schauenburg  noch  nicht  hast  zu  sehen  be- 
kommen, ist  ganz  sträflich.  Besuch  ihn  nun  auf  mein  Gebot; 
er  wohnt,  falls  er  noch  nicht  von  Bonn  fort  ist,  No.  918  am 
Rheineck.     Ich  will,  dass  Ihr  Euch  sehen  sollt. 

Was  die  Orthodoxen  betrifft,  so  sah  ich  das  schon  im 
Winter  1842/8«)  kommen. 

29.  Juni. 
Ein  gewissem  hohepriesterliches  Wesen  spuckte  (sie) 
schon  damals  in  Balder  und  Wolters.  Das  aber  kann  ich 
nicht  bi^reifen,  dais  Haider  noch  1845  Euch  zum  Herrn 
bekehren  will.  Mein  guter  Rath  wäre  übrigens,  Ihr  liesset 
die  dogmatische  Oorrespondenz,  als  mit  welcher  Ihr  auf 
keinen  grünen  Zweig  kommt.  Wenn  Du  Dich,  wie  ich 
•chliesson  muss,  drauf  einlassest,  ihnen  auf  ihre  Marotten 
SU  antwortet ,  no  ist  dnn,   während  Dein  Rückzug  aus  der 

•l  ».  Abrbucb  p.  XU;  S.  aj|.  lü. 

*l  •.  ob.  III  Br.  ij.    Woltert  tcbeiot  übrigen«  bald  dcprexiert  tu  haben. 


Briefe  Jakob  Btirckhardts  au  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        j  05 

Theologie  schon  augetreten  ist,  allermimlestens  ein  Luxus. 
Zudem  haben  sich  die  Leute  ja  einen  Entschluss  gefasst, 
glauben  zu  wollen  (ungefähr  so  wie  man  sich  zu  einem 
Brechmittel  oder  zum  Zahnausreissen  entsch Hessen  muss) 
und  da  ist  ja  Alles  vergebens.  Haben  die  Herren  denn 
wirklich  ihre  Kirchengeschichte  gänzlich  vergessen?  wissen 
sie  nicht  mehr,  dass  jeder  Glaube,  solange  er  zur  Weltherr- 
schaft berechtigt  war,  als  eine  Gewalt  über  die  Menschen 
kam?  Wie  ungeheuer  positiv-religiös  sind  nicht  selbst  die 
Häretiker!  Dass  das  Christeuthum  seine  grossartigen  Stadien 
hinter  sich  hat,  ist  mir  so  evident  als  dass  2  mal  2  vier  ist; 
wie  sich  sein  ewiger  Gehalt  in  neue  Formen  retten  soll, 
das  wird  die  Geschichte  zu  seiner  Zeit  schon  lehren.  Aber 
mit  diesen  jetzigen  Restauratoren  habe  ich  wahres  Mitleid, 
und  wenn  sie  den  Arm  des  Staates  für  sich  in  Anspruch 
nehmen,  so  verachte  ich  sie.  Wenn  man  sie  machen  Hesse, 
man  wäre  mit  ihnen  in  ein  paar  Jahren  so  schlimm  daran 
als  mit  den  Jesuiten,  grade  weil  sie  ehrlicher  d.  b.  innerlich 
verblendeter  sind  als  diese. 

Ich  merke  aus  meiner  Zeitungslektüre  und  aus  dem 
was  Freiligrath ')  mir  sagte,  dass  am  Rhein  der  Socialismus 
stark  im  Wachsen  ist,  und  bin  nun  begierig  zu  vornehmen, 
ob  wirklich  schon  etwas  davon  unter  die  grosse  Masse  ge- 
kommen ist.  Ich  glaube,  dass  diese  Geschichte  vom  Übel 
ist,  ganz  besonders  weil  sie  sich  mit  der  politischen  Un- 
zufriedenheit combinirt  und  schon  förmlich  als  consequente 
Fortsetzung  der  letzteren  auftritt.  Für  meine  werthe  Person 
habe  ich  hier  jeglicher  Theilnahme  den  Riegel  gestossen 
und  zwar  desshalb,  weil  man  sich  bei  einer  Sache,  deren 
Mittel,  Ziel  und  Ausgang  völlig  unberechenbar  sind,  nur 
compromittiren  kann.  Ich  bin  übrigens  fest  überzeugt,  dass 
ohne  das  gewaltsame  Zurückdrängen  der  politischen  Wünsche 
die  sozialistischen  jetzt  tief  im  Hintergrunde  ständen. 

Jetzt  Adieu,  Urmau,    grüss  Alles   schön   von   mir.     In 

8  Wochen  ist  bei  Euch*)  v„^„ 

*^"**^  Salltimbauck. 

')  Wohl  bei  einem  Besuch  in  Baäel. 

*)  KinkeU  Vorrede  zu  seinem  Ahrbucb  ist  datiert  vom  20.  Juli  1845, 
i«t  al«o  wohl  bei  B.'s  Besuch  geschrieben.  Fast  gleichzeitig  erschien  seine 
„Kunstgeschichte",  Bd.  I  (Strodtmann  II,  21). 


Io6  Rudolf  Meyer- Kraenier. 

31.  Basel,  14.  August  4  (5). 

spät,  müde. 
Liebster  Urmau! 

Vor  Allem  den  schönsten  Glückwunsch  zur  Geburt  der 
Mibia!')  Möge  es  selbiger  wohl  gehen  in  ihrem  Leben!  Ich 
melde  es  morgen  an  Sefren. 

Mein  Urmau,  die  Dinge  nehmen  hier  zu  Lande  eine 
hässliche  Wendung.  Hier  in  Basel  fängt  es  nun  auch  an 
und  die  Verhältnisse  gerathen  in  jenes  angenehme  Schwanken, 
welches  mit  der  Stimmung  des  Magens  unmittelbar  vor  Aus- 
bruch der  Seekrankheit  zu  vergleichen  ist.  In  diei  Monaten 
spätestens  geht  dann  die  Schweinerei  in  der  westlichen 
Schweiz  los  und  Gott  weiss  was  alles  noch  kommen  wird: 
man  mag  es  gar  nicht  ausdenken.  Wie  es  dabei  mit  dem 
wissenschaftlichen  Arbeiten  aussieht,  das  ist  ein  Jammer; 
ich  laborire  an  de(iner)  Recension*)  (das  Buch  gefällt  und 
behagt  mir  immer  mehr)  und  werde  wohl  vor  Samstag  mit 
dem  ganz  kurzen  Geschreibsel  nicht  fertig.  Du  weisst  wie 
es  ist,  wenn  die  Sorge  hinten  die  Feder  festhält.  Ich  werde 
Basel  so  Gott  will  im  nächsten  Jahre  für  einige  Zeit 
verlassen. 

Hiermit  folgt  nun  1)  ein  Paket  für  Andreas,  2)  ein  P«ket 
für  Dich,  welches  die  gewünschten  (^legenstände  enthält. 
Die  Excerpte")  brauche  ich  vielleicht  im  December  wieder; 
bis  dabin  behältst  Du  sie  jeden(falls.  Bei)  einem  Theil  der- 
selben (liegt)  ein  kleiner  Realcatalog  bei,  Du  wirst  schon 
sehen.  Es  wäre  am  besten,  Du  nähmest  die  betreffenden 
Bände  von  Portz  nach  Hause  und  suchtest  die  Stellen  (ob- 
wohl ich  sin  genau  abschrieb)  selber  nach,  so  hast  Du  auch 
den  Zusammenhang.  Ich  fürchte,  die  Ausbeute  wird  sehr 
gering  sein.  NB.  es  ist  lange  nicht  alles  aus  Pertz.  —  Das 
Ding  vom  Münster  allhiero*)  und  von  Ottmarsheim  lege  ich 
suinit  zu  Deinen  Füssen  nieder  und  schickte  i^Dir)  gern  was 
B«NterAt,  wenn  iohs  nur  hfttte. 

i  t.ih  i{c«lorl{cn.     Zum  Namen  vkI.  Br.  ti;  getauft  war  sie  Johniuin, 
*)  Ueber  K.'n  KunMüeschichle  für  die  Köln.  Zeiliing  («.  Br.  ja  Schluu). 
^  Für  da«  KuMikolleK. 
•)  ».  Trog,  S.  33— JS. 


Briefe  Jakob  ßuickhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        107 

Freitag,  15.  Aug. 

Grüss  Andreas,  ich  kann  ihm  (nicht)  schreiben,  so  wahr 
Gott  lebt.  Heut  Nachmittag  soll  ich  lesen,  Aveiss  aber  noch 
nichts  und  soll  noch  die  Zeitung  fertig  machen.  Grüss 
Wolters,  empfiehl  mich  Simrock  und  Alex.  K.  *) 

Vor  allem  aber  küss  ich  die  Hand  der  Direktrix  und 
die  Pfote  des  Mibes.     Addio!     Bald  mehr. 

Euer         Ol  1  •    1        1 
Salti  mbanck. 

Bitte  bewahre  mir  das  Nürnberg  und  die  4  Hefte 
Guilhabaud")  wohl  auf! 

32.  Basel,  Allerheiligen  tag  46. 

Liebster  Urmau!*) 

Ich  schreibe  diessmal  nicht  ganz  ohne  selbstsüchtigen 
Zweck,  nämlich  um  zu  wissen,  ob  das  Paket  mit  den  Kupfer- 
werken und  mit  meinen  Excerpten,  sowie  auch  mit  den 
Sachen  für  Andreas,  das  ich  Mitte  August  absandte,  richtig 
in  Eure  Hände  gelangt  ist.  Besonders  wegen  der  Excorpte 
bin  ich  nicht  ohne  Sorgen.  Bittf»,  sende  mir  dieselben  wo- 
möglich bis  Ende  dieses  Monats  zurück  und  assecuriere  sie 
auf  der  Post  mit  einem  Werthe  von  30  Rthlr.  Sollte  sie  je 
der  Teufel  holen  wollen,  so  hätte  man  doch  dafür  etwas  zu 
verkneipen.  Ich  gedenke  das  nächste  Jahr  ganz  auf  diese 
Art  von  Forschungen  zu  verwenden  und  daraus  eine  Kunst- 
archäologie von  Constantin  bis  auf  den  Uebergangsstyl  aus- 
schliesslich aus  den  Autoren  zusammenzustellen.  Wo 
ich  das  Ding  arbeiten  werde,  das  weiss  ich  nicht.  Hoffent- 
lich nicht  hier.  Ich  bin  gesonnen,  mich  in  der  Stille  von 
hier  zu  drücken,  vielleicht  nach  Rom,*)  vielleicht  nach  Göt- 
tingen, Gott  weiss.  Ob  ich  später  noch  einmal  die  aqua- 
demische  Laufbahn  ergreife,  weiss  ich  nicht;  ich  will  weiter 
nichts  als  mich  durch  die  Welt  bringen.  Hier  hätte  ich 
im  günstigsten  Fall  die  Perspective,  10  Jahre  lang  am  obern 

')  Kaufmann. 

*)  Knpfersticbwerke;  s.  den  folgd.  Brief. 

•)  .adressiert  an  Herrn  „Professor"  K.!  (dage|;en  Jan.  4O  wieder  Dr.); 
t.  Strodtmanu  II,  45.  —  K.  und  die  Seinen  wurden  übrigens  in  diesem  Herbst 
und  Winter  schwer  von  Krankheiten  heimgesucht  (Strodtmann  II,  33). 

*>  So  geschehen  Miirz   1846. 


Io8  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Gymnasium  Stunden  geben  zu  müssen/)  mit  300  Rthlr. 
Gehalt,  ohne  dass  mir  Zeit  zu  irgend  etwas  vernünftigem 
übrig  bliebe;  denn  rechne  ich  auch  nur  4  Stunden  wöchentl. 
CoUegien  und  die  Abhaltungen  aller  Art,  auch  die  in  der 
Familie  hinzu,  so  geht  die  Zeit  grade  auf  und  ich  schlage 
mein  Geld  umsonst  todt  Lieber  anderswo  mit  */,  von  dem 
leben  was  ich  hier  brauche  und  dabei  tüchtig  und  fortwäh- 
rend arbeiten.  Mein  von  Gott  erleuchteter  Alter  ist  glück- 
licher Weise  hierin  ganz  coulant  und  verlangt  nicht,  dass 
ich  beständig  um  ihn  sei,  wie  die  hiesigen  Väter  sonst  thun. 
—  rFrei  von  Mammon  will  ich  schreiten '^  etc.-)  Ich  werde 
eben  doch  am  Ende  ein  verlaufenes  Subjekt.    Schadt  nischt. 

Diesen  Winter  setze  ich  die  malerischen  Vorlesungen 
vor  gemuschenem  Bupflico  fort.  Die  Pietisten  suchten  mich 
indirekt  daran  zu  verhindern;  sie  hätten  gerne  einen  Erbau- 
licheren gehabt  als  mich  Weltkind.  Jetzt  sollen  sie  os  aber 
grade  so  weltlich  als  möglich  haben,  und  das  was  ich  gegen 
Ende  des  Aufsatzes  über  Murilio'')  sagte,  soll  vor  ihren  Oliren 
entwickelt  werden,  dass  ihnen  die  Haare  zu  Berge  stehen. 
Damit,  wenn  ich  auskratze,  in  Erfüllung  gehe,  was  ge- 
schrieben stehet:  Und  er  fuhr  aus  und  hinterliess  einen 
grossen  Stanck. 

0  liebster  Alter,  mir  ist  bisweilen,  als  müsste,  wenn 
ich  wieder  in  die  weite  Welt  gehe,  eine  neue  Jugend  und 
eine  neue  Poesie  auf  mich  hernieder  kommen.  Der  Welt 
kann  es  sehr  gleichgültig  sein,  ob  ich  noch  einmal  anfange 
Versehe  zu  machen  oder  nicht,  aber  mir  selber  nicht,  denn 
mein  Verlangen  danach  ist  ein  subjektives.  Es  ist  nicht 
Rowohl  die  prosaische  Umgebung,  welche  mir  jetzt  die  Poesie 
verleidet,  ai«  die  Geschäftigkeit,  welche  man  hier  vorlangt, 
die  TtoXtmQayftoaurrj,  in  wolcho  hier  Jeder  hineingeritten 
wird,  dazu  noch  der  politische  Satan,  der  in  diesen  engen 
Hexenkesiieln  holvetiscbor  Cantonalität  viel  beengender  wirkt. 
Mein  liebster  Umgang  ist  einer  meiner  frühem  Freunde 
vom  Jahre  88  und  89,  etwas  angesoffen  von  Heidelberg  her, 

')  vgl.  Trog,  S.  5t. 

*)  VMIeicbl  ein  SelUtciUI  nut  dem  M.  K. 

*)  vgl.  Br.  12. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        lOQ 

noch  dazu  ein  Erzradikaler,  und  selbst  etwas  überworfen 
mit  der  Existenz  im  Allgemeinen,  aber  der  Einzige  spezifisch 
▼on  dem  hiesigen  Philisterio  Verschiedene,  und  wirklich  aus 
einem  guten  probehaltigen  Stoff  geschnitzt.  Mit  ihm  und 
2 — 3  andern  sind  insgeheim  schon  allerlei  Suiten  ausgeführt 
worden;  der  Ton,  durch  welchen  ich  seine  Seele  getroffen 
habe,  ist  die  Sehnsucht  ,,nach  der  alten,  schönen  Zeit",  der 
Cultus  der  Jugend.  Der  Schlingel  ist  sonst  trockener  Natur, 
aber  er  versteht  mich.  Professor  Jehring,^)  der  heiterste 
und  drolligste  aller  Ostfriesen,  ist  verlobt  und  seitdem  un- 
brauchbar; der  gute  Wackernagel  ist  durch  seine  Hausvater- 
schaft von  einem  enfant  perdu,  wie  ich  eigentlich  im  Innern 
eins  bin,  geschieden.  Zum  „Hausfreund"  bin  ich  noch  nicht 
alt  und  artig  genug.  —  Uebrigens  stehe  ich  hier  in  ganz 
passabler  Achtung  und  die  Leute  meinen,  ich  warte  auf 
nichts  anderes  als  auf  einen  fixen  Gehalt  von  100  Louisdor, 
um  dann  ganz  regelrecht  zu  heirathen  und  hier  zu  bleiben 
bis  an  mein  selig  End.     Die  guten  Leute! 

Die  Rec.  Deiner  Kunstgeschichte  in  der  Köln.  Z.,  so 
ich  mit  saurei'i  Schweiss  geschrieben,  hast  Du  wohl  gelesen? 
Deine  Rec.  über  die  Kunstausstellung  war  im  Grunde  so 
frech  als  die  Meinige  1842  in  Berlin.*) 

Urmau,  gieb  bald  ein  Lebenszeichen  Deinem 

vielgetreuwen  r,  ,,.    , 

Salti  mbanck. 

33.  Basel,  11.  Jan.  1846. 

Liebster  Urmau!     Liebste  Directrix! 
Vor  Allem  ein  verspätet  glöcksillig  Neujohr  und   eine 
demüthige   Entschuldigung,    dass   ich   Euch  so  lange   nicht 
geschrieben,  obwohl  Eure  lieben  Briefe  schon  seit  Monats- 
frist in  meinen  Händen  sind!  — 

Was  müsst  Ihr  guten  armen  Leute  in  dieser  letzten 
Zeit  ausgestanden  haben !   Seid  nur  gewiss,  ich  denke  Euer 

')  Gemeint  ist  Rudolf  Jbering,  der  1845  in  Basel  Profe^^sor  wurde,  der 
•[»tere  berühmte  Jurist. 
»)  s.  Br.  6. 


1  lO  Rudolf  Meyer- Kraemer, 

alle  Tage,  wenn  ich  auch  selten  schreibe.  Auch  der  Mibes 
mit  seinem  gescheidten  leidenden  Blick  ist  mir  immer  noch 
gegenwärtig.  Aus  Euerm  seitherigen  Schweigen  schliesse 
ich,  dass  Ihr  neue  Hoffnung  habt,  den  guten  kleinen  Kerl 
durchzubringeu.  Schreibt  mir  nur  Alles  was  Euch  bekümmert, 
man  kann  ja  doch  auf  dieser  elenden  Welt  nichts  besseres 
thun  als  einander  gegenseitig  Liebe  und  Zutrauen  be- 
weisen. 

Ich  hätte  von  Gottes  und  Rechtswegen  an  Eurer  Neu- 
jahrsconcurrenz  Theil  nehmen  sollen,  aber  den  Dezember 
über  hatte  ich  den  Redactionswechsel  einzuleiten  (was  noch 
ein  ander  Ding  ist  als  der  Semesterschluss)  und  war  ganz 
ungeniessbar.  Erst  am  Sylvester,  Mittags  uui  12  Uhr,  als 
ich  die  letzte  Correctur  meiner  letzten  Zeitung  aus  den 
Händen  legte,  schlug  die  Stunde  meiner  Befreiung,  welche 
ich  gleich  Nachmittags  durch  einen  prächtigen  Spaziergang 
Dach  Hüningen  und  alldortigen  Genuss  des  Kaffe's  feierte. 
Seitdem  ist  die  Welt  für  mich  wieder  anders  angemalt;  ich 
habe  im  strengsten  Sinne  des  AVortes  seitdem  keine  Zeitung 
mehr  angesehen.  Auch  von  Dumont,  der  mir  auf  das 
nobelste  gleich  den  betrefflichen  Wechsel  schickte,  habe  ich 
Abschied  genommen;  die  Politik  soll  mich  so  bald  nicht 
wieder  fangen.  —  Nun  bin  ich  aber  weit  entfernt,  freie 
Zeit  zum  Dichten  u.  dgl.  zu  haben.  Ein  dreistündig  an- 
gefangenes Collegium  lese  ich  seit  Neujahr  fünfstündig;  auch 
musa  ich  die  Arbeit  für  das  Conv.  Lf»x.  noch  in  möglichster 
Eile  fertig  macheD,  da  ich  sie  nicht  über  die  Alpen  mit- 
Dehmen  kann. 

Denn  Endo  Merz  g«.'he  ich  direkt  nach  Rom.  Ich  habe 
da.9  sichere  Gefühl,  dass  ich  nie  mehr  hinkomme,  wenn  ich 
jetzt  nicht  dazu  tbue.  Ich  habe  (obwohl  ich  als  lediger 
Mensch  bei  einfachem  Wandel  hier  nicht  unter  100  Louisdor 
durchkam)  doch  ein  schönes  (iold  erspart,  welches  im  bessern 
Jenseits  verklopft  werden  soll.  Wat  sagt  Ihr  dazu?  Der 
poetische  Menscli  niuss  auch  hie  und  da  etwas  zu  „ässon" 
haben,  wenn  er  nicht  draufgohon  soll.  Übrigens  habe  ich  mich 
bei  Dumont  gemeldet  zu  Correspondonzon  fürs  Feuilleton, 
auch  d(>m  SchQcking  kann  mich  der  Ilrmau  beiläufig  em- 
pfehlen, wenn  er's  fflr  gut  findet.    (A  propos,  davs  ich  das 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        i  i  i 

Feuilleton  ')  nicht  bekam,  war  doch  ein  wahres  Glück,  ich 
hätte  [doch]  nicht  dafür  gepasst.) 

Wolters  war  vor  einigen  Wochen  auf  der  Durchreise 
nach  Neapel  bei  mir.  0  wie  steht  diesem  feinen  Schalk 
die  Orthodoxie  so  übel  zu  Gesicht!  Aber  ich  weissage  ihm 
eine  glänzende  Zukunft;  er  hat  das  Naturell,  womit  man 
in  Preussen  am  weitesten  kömmt,  so  etwas  ä  la  Bunseu.  ^) 
Balder  ist  ungleich  wahrer,  er  ist  seiner  ascetisch-kritischen 
Natur  nachgegangen  und  das  ist  sein  Schicksal.  Wolters 
dagegen  —  es  ist  himmelschade  dass  er  nicht  katholisch 
ist,  das  wäre  ein  Diplomat,  Hierarch  und  Lebemann  zugleich 
geworden.^)  Er  hat  versprochen,  im  April  nach  Rom 
herüberzukommen;  auch  Ackermann  wird  dann  noch  dort 
sein.     Gott  weiss  was  das  wieder  für  eine  Bande  wird. 

0  der  beneidenswerthe  Urmau,  welcher  für  sein  Ge- 
muschenes  200  Reichsthaler  einnimmt!  Ich  nehme  für 
ein  Gemuschenes  von  88  Zuhörern,  Liebenden  und  Nicht- 
liebenden, kaum  90  Thlr  rein  ein,  sintemal  jeder  nur  einen 
Ktonthaler  zahlt  und  die  Saalmiethe  mich  150  Franken 
kostet  für  16  Vorlesungen !  —  Wie  der  Preis  allraälig  auf 
einen  Kronthaler  herabgedrückt  worden,  wie  mir  dann  die 
übliche  Unterstützung  von  circa  70  Thlr  (welche  sonst  allen 
Vortragenden  durch  die  hiesige  akademische  Gesellschaft 
verzapft  wird)  durch  Bemühung  der  Pietisten  entgangen, 
nachdem  sie  vergeblich  mein  Auftreten  zu  verhindern 
gesucht,  das  gehört  der  mündlichen  Erzählung  an ;  für  solche 
Miseren  ist  vorliegendes  Postpapier  zu  gut.  Die  Kinder 
Gottes  sind  hier  eben  grade  so  wie  sonst  überall. 

Was  die  schöne  Engländerin  betrifft,  so  war  sie  zwar 
schön  wie  ein  Engel  aber  marmorkalt.  Das  kleine  Ding 
kann  sich  eigentlich  nicht  einmal  rühmen  mich  an  der 
Nase  herumgeführt  zu  haben;  ich  wusste  von  Anfang  an  wie 
ich  dran  war.  Ich  habe  jetzt  etwas  Anderes,  Glühendes, 
Schwarzäugiges,  ,.die  bei  mir  hört."  Überhaupt  soll  ich 
hie  und  da  Eindruck  gemacht  haben,   was  meinem  armen, 

*)  8.  zu  Br.  24,  Anf. 

»)  Josias  von  B.'s  Wesen  wird  hier  (wie  wohl  in  K.'s  Kreise  überhaupt) 
doch  verkannt;  seine  „Verfassung  der  Kirche  der  Zukunft"  (1845)  fand  nicht 
die  verdiente  Würdigung. 

>)  Von  W.'s  Art  redet  weiter  Br.  37. 


1J2  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

mehrfach  verschmähten  Herzen  so  wohl  thut  wie  der  Duft 
von  Apfeltorten  Vormittags.  Ich  sage  nicht:  wie  die  Apfel- 
torten selbst,  denn  das  ist  mir  nur  zu  klar,  dass  es  dabei 
bleibt,  einem  die  Schätze  des  Lebens  an  der  Nase  vorüber- 
zutragen. Ach  Gott,  ich  könnte  vielleicht  reiche  Partien 
machen,  —  aber  so  ohne  rechte  Liebe  sich  an  die  Geld- 
säcke eines  hiesigen  Schwiegervaters  anlehnen  —  pfui 
Teufel!  (pardon!)  —  Italien  ist  mir  jetzt,  Gott  verzeih  mir, 
beim  Lichte  betrachtet  noch  lieber  als  selbst  das  glühende 
schwarzäugige  Etwas. 

Es  war  komisch,  lieber  Urmau,  als  deine  freche  Ana- 
lyse des  neuen  Don  Juan ')  in  der  Augsb.  Allg.  erschien. 
Für's  erste  sahen  mich  die  hiesigen  Kälber  Mosis  ganz  er- 
staunt an:  was?  Der  macht  auch  noch  Gedichte  und  schickt 
sie  mehr  als  hundert  Stunden  weit  über  Land?  für's  zweite 
plagte  die  Leute  die  Neugier,  sie  hätten  das  Ding  gerne 
gelesen  um  mich  dann  zu  chikaniren,  und  doch  war  nur 
ein  Ex.  hier  und  das  eine  kostete  ein  Heidengeld!  Endlich 
entschloss  sich  eine  reiche  wohlwollende  Dame  und  koff 
dasselbe.  Hier  weiss  ich,  es  war  nicht  wegen  Schlegel's 
und  nicht  wegen  des  Hauses  Dhaun^),  sondern  meinetwegen. 
Übrigens  bittich  Dich  kniefällig,  citir  mich  utn  des  Himmels 
willen  nicht  mehr  in  der  A.  A.  Z.;  so  frech  ich  hier  zu 
Lande  drein  fahre,  so  schüchtern  bin  ich  in  der  Deutschen 
Jonmalwelt.  Wart  jetzt  ein  wenig;  wenn  ich  aus  Italien 
zurücke  bin,  lass  ich  vielleicht  einen  Band  von  lauter  neuen 
Sachen  drucken;  dann  blaset  mit  der  Posaunen  von  den 
Zinnen  unsros  geistlichen  Zions  und  fahret  drein  mit  dem 
Schwerte  Nimrod;  dann  will  ich  mich  verhärten  und  nicht 
mehr  roth  werden  ob  Eurem   Harffenspiell. 

Addio,  Heber  Urmau,  liebe  Directrix,  ich  nmss  schliessen. 
HoffeDtlich  sollt  Ihr  bald  wieder  von  mir  hAren. 

In  alten  Treuen  Euer  ^  ,^.    ,        , 

Saltimbanck. 

Grüsst  AndreaN  und  alles  Qrttttbare. 

')  Utbcr  diM  Opuakel  H't  ».  Trog,  S.  4J. 

*)  Der  trtte  Jgg.  dei  Rbciniicben  Jahrbticba  «.  Scbücking  (Köln  1846) 
enibiell,  wie  «u  vermuten,  u.  n.  aucb  diese  twei  Auftitie  (Über  den  1845 
vcntorbeaen  Bonner  Sannkrili^ten  Aug.  Wilb.  von  Scbl.,  über  die  ebemalige 
Rekh«f«te  Dtan  in  der  Hochrifel). 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        i  i  j 

34.  Basel,  9.  Merz  1846. 

Liebster  Urmau! 

Heute  über  2  Wochen,  so  der  Herr  will,  reise  ich  ab, 
den  23.  hujus;  also  wenn  Ihr  mir  noch  einen  schönen  Reise- 
segen  mitgeben  wollt,  sputet  Euch.  Bei  Zefren  in  Mailand^) 
bleibe  ich  3  Tage,  dann  gehts  über  Genua  und  Livorno 
unaufhaltsam  vorwärts  nach  dem  ewigen,  unparteiischen^ 
unmodernen,  tendenzlosen,  grossartig  abgethanen  Rom. 

Nun  möcht  ich  doch  nur  Eins  wissen:  bist  Du  nun 
wirklich  Professor?*)  Die  A.  A.Z.  hat's  von  Neuem  mit  frecher 
Stirne  (die  ihr  so  wohl  anstehet)  versichert  und  allerlei 
Detail  hinzugethan  welches  man  nur  in  Bonn  wissen  kann. 
Also  tuncke  noch  einmall  Dein  himblische  Federen  ins 
Dinttenfas  und  thue  mir  grundtlich  zu  wissen,  wie  es  sich 
damit  verhallttett. 

Jetzt  vor  Allem  herzlichsten  Dank  für  die  schöne  grosse 
Sendung,  welche  ganz  wohlbehalten  angekommen  ist.  Das 
Ahrbuch  wird  von  meiner  Familie  gelesen,  welche  mich 
mit  grossen  Augen  angesehen  hat  als  mir  zum  erstenmal 
etwas  dedicirt  wurde.  Der  Kniff,  mir  etwas  als  „rheinischem 
Geschichtsforscher"  zu  dedicieren,  ist  wirklich  nicht  übel 
und  hat  mir  wacker  zu  lachen  gegeben.  —  Beim  Anblick 
meiner  Exzerpte  vergoss  ich  Thränen  der  Rührung  und 
gelobte  mir,  in  den  heissen  Tagesstunden  in  Italien  den 
Muratori  wenigstens  bis  ins  12.  Jahrhundert  durchzuoxen.  — 
Ach  Gott,  das  Ahrbuch  ist  gar  schön,  besonders  der  arme, 
hülflose  deutsche  Rococo  gegenüber  dem  Ludwig  XIV;") 
das  hat  was  rührendes;  ich  wälze  so  eine  Novelle  ä  la 
Alchymist  in  mir  herum;  Centrum:  eure  kurköln.  Caaba, 
der  Calvarienberg*).  Es  soll  ein  Früchtchen  der  unsterb- 
lichen Maireise  1843  werden. 

Armer,  guter  Urmau!  wie  lange  hätt'  ich  schon  in 
Deiner  Lage*)    Muth   und  Concept   verloren!    und  der  hält 

')  Der  war  also  —  vgl.  Br.  23  —  noch  immer  (oder  wieder?)  auf 
ital.  Boden. 

*)  vgl.  zu  Br.  32. 

»)  S.   123—41. 

*)  bei  Bonn;  s.  übrigens  Br.  35  Anfg. 

*)  Vor  allem  den  Krankheitsnöten  im  Hause. 


11^.  Rudolf  Meyer-Kraeraer. 

sich  noch  immer  aufrecht.  "Was  die  vollen  Tische  mit  Papieren 
und  Büchern  betrifft,  so  höre  folgenden  Rath:  suche  Dir 
einen  armen  und  diskreten  Studenten,  der  eine  schöne 
Hand  schreibt  und  Dir  schon  sonst  durch  Gefälligkeiten 
verbunden  ist,  miethe  solchen  zu  1  Thlr.  per  Tag  als  Sekretär, 
schliesse  in  den  ersten  Tagen  nach  dem  Semesterschluss 
alle  Thüren  mit  7  Riegeln  und  expedire  von  früh  bis  spät. 
Ich  wette.  Du  bist  in  3  Tagen  fertig  und  das  nachherige 
Wonnegefühl  wird  bei  Gott!  mehr  als  3  Rthlr.  werth  sein. 
Fürchtest  Du  etwa,  die  Leute  möchten  sagen:  „aha,  der 
Professor  Kinkel  macht  sich's  in  seiner  neuen  Würde  doch 
gleich  bequem!"^  —  so  schneide  Dich  vorher  in  den  rechten 
Zeigefinger  und  lass  an  jedem  Brief,  den  Du  diktirst,  den 
Beisatz  anbringen :  „Ich  würde  mir  billigermassen  selbst 
die  Ehre  nehmen,  an  Ew.  Wolgeboren,  Hochwohlgeboren, 
Excellenz,  Hochwürden  u.  s.  w.  zu  schreiben,  wenn  nicht 
eine  fatale  Verwundung  an  meiner  rechten  Hand  etc.  etc.  — " 
(Doch  —  Mäue  sollen  ja  nicht  lügen,  hat  Directrix  einst  gesagt) 

Nun  noch  ein  guter  Rath:  Lass  umb  Gotzwillen  alle 
tinnöthige  Opposition  sein.')  Jetzt,  da  Du  Dein  Brevet  hast, 
kann  ich  Dir  sagen,  wie  mich  die  Einleitung  in  die  Kunst- 
geschichte und  einzelner  Stellen  der  Recension  über  die 
Kölner  Ausstellung  geängstigt  haben,  besonders  der  malitiöse 
Hieb  mit  den  königl.  preuss.  Bestellungen  bei  belg.  Künstlern, 
den  die  gerechte  Nemesis  durch  nachlässige  Ausdrucksweise 
zam  Uosion  gemacht  hat  Du  kannst  und  sollst  vielleicht 
alle  diese  Dinge  sagen,  aber  nicht  in  dem  heillos  frechen 
Tod,  der  leider  auch  meinen  „frühern  Werkken"  hie  und 
da  anhängt.  Jener  eine  Witz  hat  vielleicht  bewirkt,  dass 
sie  Dich  ein  paar  Monate  länger  zappeln  Hessen. 

Überhaupt  herrscht  in  Bonn  ein  frecher  Lufft  in 
kuDstgeschicbtl.  Dingen.  Da  bat  mir  Andreas*)  einen 
Brieff  geschrieben,  in  welchem  Freund  Kugler  per  Ochs 
und  E«el  bnhandelt  wird,  womit  man  sich  bei  mir  schlecht 
empfiehlt.  Onwöbnt  doch  dem  Andrea«  dieses  ewige  Köpf- 
oiobauno,    diese    lactiöse    Leidenschaftlichkeit    über    arme, 

>)  Bei  K.  bagaoa  »llmlhlicb  die  Stimmung  des  „Münnerliedet"  (Strodt- 
maon  U,  46)  vorstupakm. 
■)  Simoof. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        nc 

stumme  Säulen  und  Gewölbe  ab,  wenn  Ihr  könnt!')  —  Ich 
meines  armen  Theils  werde  auf  diese  briefliche  Debatte 
über  den  Centralbau  gar  nicht  eingehen,  da  ich  in  der  Aus- 
drucksweise nicht  mit  A.  concurriren  kann.  Wenn  einst 
das  Ganze  sammt  Belegen  da  sein  wird,  soll  A.  eine 
brillante  Rec.  im  Kunstblatt  haben,  womit  er  zwar  wiederum 
nicht  zufrieden  sein  wird,  denn  womit  wäre  A.  je  zufrieden 
gewesen?  "Wer  ihm  nicht  Alles  bis  aufs  Jota  zugiebt,  der 
riskirt  in  jene  obbenannten  angenehmen  Kategorien  aus 
dem  Brief  über  Kugler  zu  fallen.  Das  wird  sich  A.  nie 
klarmachen,  dass  man  bei  einer  Menge  kluger  und  ge- 
wichtiger Leute  schon  desshalb  Unrecht  behält,  weil  man 
in  wissenschaftl.  Dingen  grob  und  leidenschaftlich  ist.  Ich 
sehe  im  Geiste  schon  jenen  Text,  vorgeblich  ruhig  gehalten, 
aber  so  voll  malitiöser  Zusammenstellungen  bisheriger  An- 
sichten, als  hätte  es  irgend  ein  bärbeissiger  Philologe  ge- 
schrieben. Es  ist  das  die  Art  der  Detailentdecker,  weil  sie 
die  bisherigen  Leistungen  und  ihr  Verhältniss  zur  Gesammt- 
wissenschaft  nicht  überschauen. 

Ich  gebe  Euch  soviel  von  vornherein  zu,  dass  es  schwer 
sein  wird,  irgendwo  den  Widerspruch  einzusetzen.  Wir 
haben  schon  in  karoling.  Zeit  den  Centralbau  (Dom  von 
Aachen)  und  die  Basilica  (Ingelheim);  in  beiden  Formen 
wird  von  da  an  gebaut,  bis  sie  sich  endlich  zur  Gewölb- 
kirche mit  Kuppel  vereinigen.  Wenn  denn  Byzanz  noch 
ausserdem  eingewirkt  haben  soll,  ich  habe  in  Gottes  Namen 
nichts  dagegen,  obschon  ich  die  Nothwendigkeit  nur  für 
einige  Kleinigkeiten  einsehe.  Wenn  Ihr  schon  den  Dom 
von  Aachen,  resp.  San  Vitale  byzantinisch  nennt,  so  habe 
ich  auch  nichts  dawider.  Man  muss  den  Leuten  ihr  Ver- 
gnügen lassen.  Jetzt  sage  ich  kein  Wort  weiter,  in  Er- 
wägung jener  schönen  Debatte  über  den  Kapellenkranz, 
weisst  Du  noch,  auf  dem  Kreuzberg,  wo  A.  behauptete,  der- 
selbe (nämlich  nicht  der  Kreuzberg)  sei  ausschliesslich 
constructiv. 

Ach  Gott,  wären  doch  die  14  Tage  schon  vorüber!  es 
fallen  noch  12  Vorlesungen   hinein,  worunter  die  2  letzten 

')  Dieser  beginnende  Architekt  brütete  wohl  soeben  seine  „Kirche  von 
Schwarz-Rbeiudorf   aui   (vgl.  Strodtm.  I,  S.  2il.    Lübke  I,  464);   s.  Br.  39. 


I  l6  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

gemuschenen.  Dann  Heil  uns!  Ich  gehe  von  Como  aus  einen 
Tag  in  das  Blüthenmeer  der  Brianza  und  dann  erst  nach 
Mailand.  Ende  Juni  gedenke  ich  nach  Neapel  zu  gehen, 
Ende  Juli  nach  Florenz*),  Anfangs  September  wieder  nach 
Rom  und  dann  dort  zu  bleiben  so  laoge  ich  kann.  Einst- 
weilen müssen  aber  die  3  Monate  April,  Mai  und  Juni 
in  Rom  das  Beste  thun.  Ich  komme  noch  auf  die  Char- 
woche  hin,  wenn  Alles  gut  geht.  Mit  Zefren  ist  bereits 
unterhandelt,  dass  er  mich  im  August  zu  Florenz  treffen 
und  dann  für  ein  paar  "Wochen  mit  mir  nach  Rom  kommen 
wird.     Dieses  ist  aber  noch  ein  Geheimniss. 

Ich  habe  x  poetische  Gedanken,  welche  ich  jenseits  aus- 
brüten will.  Ihr  sollt  Brieffe  haben;  ausserdem  wird  im 
lieben  Feuilleton  der  Köln.  Ztg.  da  und  dort  etwas  erscheinen, 
Schücking  hat  gar  artig  und  verbindlich  auf  meine  Anfrage 
darob  geantwortet.  —  Ich  fürchte  immer  noch,  es  möchte 
mir  etwas  dazwischenkommen,  der  St.  Gotthard  möchte 
noch  zuviel  Schnee  haben,  u.  dgl.  Durch!  ich  für  meine 
Person  fürchte  mich  nicht;  aber  Jeder  hat  „Seinige", 
welche  jammern. 

Die  Miniaturausgabe  des  Schützen")  ist  von  Cotta  ein 
vortrefflicher  Gedanke;  so  was  zieht  und  macht  Aufsehen. 
Nun  bedencket  mich  noch,  lieber  Alter  und  gebt  mir  Ewern 
Glückwunsch  auf  die  Reiss  mit! 

Durch  Dick  und  Dünn 

Dein  Saltimbanck. 

Liebste  Directrix! 

Ich  habe  mich  verspätet,  der  Brief  muss  noch  rasch 
auf  die  Post,  daher  hier  nur  wenige  Zeilen. 

Vor  Altera  den  Ausdruck  meiner  liebevollen  Bewunderung 
ftlr  die  rüstige  Eotschlossonheit,  womit  Sie  diese  schweren 
Zeiten  durchgeduldet  Der  Mibos  wird  hoffentlich  auch 
dieses  schöne,  frühe  Jahr  spüren,  das  überhaupt  manchen 
bei  Leben  und  Oeinodheit  erhalten  wird,  dem  ein  strenger 
Winter  ttbel  bekommen  wäre. 

')   Soweit  halte  B.  Ilalieo   bereili   frOher    kennen    gelernt    (i8j7    und 
wl«d«r  1838;  ».  Slrcxltroann,  S.  148  ff.;  Trog,  S.  4—10). 
*)  „Otto  d.  Seh."  Ut  gr meint. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        117 

Was  musa  man  von  der  Fräul.  G. ')  hören !  Ich  glaube, 
sie  hat  die  Eigenschaft  so  vieler  junger  Damen  unserer  Zeit, 
welche  viel  zu  ausschliesslich  gute  Töchter  sind.  Ein 
grauer  40 jähriger  Millionär!  und  noch  dazu  aus  Elberfeld, 
dem  grauenvollen  Fabrikland!  Wissen  Sie  wohl,  liebste 
Directrix,  dass  ich  hauptsächlich  desshalb  mich  nach  Italien 
sehne,  weil  dort  so  viel  Bettelei  und  so  wenig  Industrie  ist? 
Dieses  Räderschnurrende  Elend  macht  mich  mehr  betrübt 
und  confus  als  irgend  ein  Anblick  oder  Geräusch  auf  dem 
Erdboden.  Und  nun  in  eine  Million  hinein,  während  ringsum 
Jammer  und  rebellische  Ideen  sich  laut  machen  —  überall 
hin,  nur  nicht  zwischen  die  Fabriken  und  Capitalien.  Konnte 
sie  nicht  einen  abgelegenen  fröhlichen  Landökonom  hei- 
rathen?  Es  wäre  die  reizendste  Bauersfrau  im  grossen  Styl 
geworden.     Doch  es  ist  alleweil  zu  spat,  sagt  ürmau. 

0  hätte  ich  noch  die  Iphigenia  mit  anhören  können! 
Hier  in  Basel  waren  den  Winter  über  einige  gute  Sänger, 
aber  ich  wagte  nur  Schund  bei  ihnen  zu  hören,  weil  sie 
den  besser  sangen  als  den  Don  Juan.  Und  nun  scheide 
ich  für  lange  Zeit  von  allen  vernünftigen  Tönen!  —  Glück- 
licher Weise  kann  ich  genug  auswendig,  um  den  ,. guten 
Geschmack^  in  meinem  Innern  wachzuhalten. 

Ganz  der  Ihrige  S. 

35.  Rom,  von  unsrer  Residenz  am  Abhang 

des  Quirinals«),  18.  Mai  1846. 

Adresse:  Roma,  Cafe  Greco,  Via  Condotti. 

Herzlieber,  schöner,  prächtiger  Urmau! 
Sei  mir  nur  nicht  böse,  dass  ich  Deinen  Brief  und  den 
der  viellieben  Directrix  so  lange  unbeantwortet  Hess!  Ich 
musste  doch  warten  bis  dass  ich  etwas  mitzuschicken  hatte 
und  damit  kann  man  selbst  in  Rom  nicht  so  auf  dem  Fleck 
aufwarten!  Zwar  der  „Genius"  der  guten  Stunden  war  und 
ist  oft  da,  aber  der  „Lurap"  ist  auch  da  und  zieht  lieber 
auf  Monte  Pincio  und  Villa  Borghese  rum,  statt  sich  irgendwo 
zu  setzen  und  Versehe  zu  schneiden.     Jetzt  ist  der  Bogen 

')  Goldfuss. 

«)  i.  Trog,  S.  52. 


llg  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

fertig  (es  ist  Bonner  Postpapier,  und  gehört  eigentlich  in 
den  Maw  von  1844,  Directrix  gab  mir's  einst  mit  und  ich 
hätt'  es  vor  circa  l'/a  Jahren  schon  ausfüllen  sollen).  Ge- 
scheidtes  steht  nichts  drin,  die  kleinen  Reiseliedchen  sind 
doch  gar  federleichte  Waare,  und  das  grössere  in  einem 
Viertelhundert  Strophen  leidet  auch  ein  wenig  an  innerer 
Nichtigkeit.     Gaudirt  Euch  dran,  so  gut  Ihr  könnt. 

Euren  Brief  bekam  ich,  Ihr  wisst  es  schon  von  Fresen, 
in  Mailand  und  wir  verspeisten  ihn  zwischen  den  Marmor- 
zacken des  Domdaches,  mit  welchem  appetitverkündenden 
Zungenschnalzen !  —  Jetzt  zu  den  Geschäften! 

Für  das  Taschenbuch ')  nimm  von  meinen  Sachen  was 
du  glaubst  brauchen  zu  können.  Ich  habe  auch  den  letzten 
Gedanken  an  poetische  Bedeutung  aufgegeben,  darum  schalte 
und  walte  mit  meinen  Gedichten  nach  Gefallen.")  "Was  ich 
jetzt  noch  dichte,  ist  rein  vor  mein  Bläsier  und  wenn's 
Euch  auch  noch  Spass  macht,  so  ist  mir's  desto  lieber.  Ich 
merke  es  den  Dingen  an,  dass  sie  immer  mehr  persönlich 
werden  und  atn  Ende  wird  sie  ausser  Euch  gar  Niemand 
mehr  verstehen  und  geniessen  können,  denn  es  bedarf  dazu 
eines  Interesses  an  meiner  werthen  Person.  Von  dem 
Alchymisten  habe  ich  nicht  nur  keine  Abschrift  bei  mir, 
sondern  ich  besitze  überhaupt  keine.  Ihr  habt  das  Concept, 
nnd  weiter  existiert  gar  nichts  davon.  Kannst  Du  ihn  noch 
ändern,  so  soll  mir's  lieb  sein;  ich  halte  ihn  dessen  nicht 
für  werth,  glaube  auch  dass  er  den  gutkatholischen  Kölnern 
nicht  ganz  angenehm  sein  würde. 

Das  Ding  mit  dem  Calvarionberg')  hat  sich  zerschlagen, 
ich  bin  von  der  Fährte  gekommen ;  —  hätte  ich  Ruhe  und 
Sammlung,  so  wären  2—3  andre  Pläne  da,  aber  jetzt  ist 
ea  in  Rom  für  mich  mit  solchen  Dingen  so  ziemlich  zu 
Ende,  denn  höre  —  sab  rosa  —  nur  fUr  Dich  und  Directrix: 

Ich  habe  leisten  Fnutag  einen  kleinen  Qiiasiruf  nach 
Berlin  erhalten,  nicht  an  die  Universität,  sondern  —  an 
die  Kunstakademie,   sobald  sie  reorganisiert  wird  —  einst- 

*)  Betitelt  „Vom  Rhein",  encbien   Herbst    1846;  darin   11.  a.  Kinkeli 
bthMBtc  Dorfgeecbicfate  „Margret"  (Strodtnuinn  11,  46). 
*)  Daa  bat  nlcb  Kinkel  oicbt  cweimal  sagen  laaieo. 
■)  f.  Br.  34  Aof, 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        ng 

weilen  500  Rthlr.  Wartegeld.  ^)  Es  ist  ein  schändliches  Miss- 
verhältniss  zwischen  diesem  S(ilar  und  dem  Deinigen,  ich 
weiss  es,  aber  vielleicht  wird  es  mit  Dir  auch  bald  besser; 
auch  kriege  ich  die  BOO  Rthlr.  nicht  gleich,  sondern  nach 
einiger  Zeit  —  kurz  es  ist  eine  Discretionssache,  aber  Kugler 
hat  den  schriftlichen  Entscheid  E.'s*)  in  Händen,  worin 
dat  Jelt  verzeichnet  steht.  Ich  muss  im  Herbst  in  Berlin 
sein  und  Italien  vorher  in  aller  Hatz  abmachen,  Neapel 
14  Tage,  Florenz  14  Tage,  Venedig  14  Tage!  Natürlich 
reise  ich  über  Bonn,  wenn  Ihr  mich  2  Tage  verpflegen 
wollt,  und  von  da  über  Herford,  denn  diessmal  muss  ich 
Hermann^)  sehen. 

Hienach  ist  leicht  einzusehen,  dass  ich  jetzt  über  Hals 
und  Kopf  zu  thun  habe  mit  Kirchen  und  Galerien.  Die 
nächste  Arbeit,  die  ich  den  Winter  über  in  Berlin  zu  voll- 
bringen habe,  ist  nämlich  nichts  Geringeres  als  die  Bear- 
beitung der  zweiten  Auflagen  von  Kugler's  1)  Kunstge- 
schichte 2)  Gesch.  der  Malerei.  Es  ist  beispiellos  frech  von 
mir,  so  etwas  zu  unternehmen,  aber  in  Gottes  Namen!  — 
Durch!!  sagte  Urmau,  als  er  seine  Kunstgeschichte  anfing. 
(A  propos,  wann  kommt  der  zweite  Band?  Es  versteht 
sich,  dass  ich  Dir  behülflich  bin  und  bleibe  wie  und  worin 
ich  kann;  ich  hoffe,  Dir  regelmässig  Nachweisungen  und 
Collectaneen  zusenden  zu  können  und  will  mir  bei  meinen 
Arbeiten  ein  besondres  „Urmaumäppchen"  anlegen,  worein 
all  dasjenige  kommt,  was  in  die  Kugler'schen  Sachen  nicht 
zu  verarbeiten  ist).  Die  „Malerei"  wird  wohl  bis  Ostern 
spätstens  fertig  sein  müssen*),  sodass  du  auch  meine  schon 
gedruckten  Resultate  wirst  benützen  können.  Geoxt  muss 
werden  diesen  Winter,  dass  die  Schwarten  krachen,  wie 
mein  erster  und  ältester  Klippschullehrer  sagte,  wann  er 
mich  durchwalkte  wegen  meiner  Bosheiten. 

Nun  siehst  Du  selbst,  dass  ich  nicht  mehr  viel  dichten 
kann.  Was  ich  noch  zu  Stande  bringe,  ist  Dein  wie  Alles 
Übrige.     Wenn   mich  nur    das  Reisen  nicht  so  heillos  zer- 

•)  8.  Trog,  S.   53. 

»)  Minister  Eichhorn. 

')  Schauenburg. 

*)  Sie  wurde  es  am   i.  Uai  1847  (Trog,  S,  54).. 


I20 


Rudolf  Meyer-Kraemer. 


streut«!  und  sieh,  selbst  hier  wenn  ich  auf  meiner  Stube 
hocke  (ich  wohne  quattro  fontane,  hoch,  hoch,  prächtig 
über  der  halben  Stadt),  so  rauscht  unten  auf  Piazza  Barberini 
mein  Freund  der  Triton  und  lockt  mich  zu  freundlicher  Zwie- 
sprach  an  das  Balkonfenster,  wo  ich  Rom  vom  Pantheon 
über  St  Peter,  Engelsburg,  Trinita  de'  Monti,  Villa  Ludovisi, 
bis  zum  Pallast  Barberini  mit  einem  Blick  überschaue, 
wie  es  in  dem  kleinen  Eingangsgedicht^)  „so  schön  gesagt 
wird".  (Du  musat  die  Dingerchen  vorher  einüben,  ehe  Du 
sie  vorliesest,  sie  sind  meist  nur  Concept  und  das  Papier 
hat  durchgeschlagen).  Meine  Aussicht  allein  schon,  besonders 
die  Sonnenuntergänge  über  Monte  Mario  —  es  ist  zum 
verrücktwerden.  Und  nun  noch  dieses  bunte,  gewaltige  Rom, 
das  meine  armen  Gedanken,  wo  sie  sich  sehen  lassen, 
wieder  in  ihre  Nester  zurückjagt!  —  Wenn  ich  poetisch 
irgend  zu  Kräften  kommen  kann,  so  habe  ich  vor,  den 
alten  Saturn  zu  schildern,  wie  er  als  Tabuletkrämer  an  die 
Tiber  kommt  und  das  „Geschäft"  allmälig  zu  einem  Kram- 
laden ausdehnt  und  die  Eingebornen  die  Mandoline,  den 
Saltarello  und  die  Morra  lehrt,  wovon  noch  die  Redensart 
herkömmt:  einen  mores  lehren.  Überhaupt  treibe  ich  mich, 
bei  meiner  Unwinsenheit  in  der  eigentlichen  römischen 
Geschichte,  nämlich  der  der  Republik,  am  liebsten  in  ganz 
uralten  Zeiten  herum,  wo  man  der  Archäologia  Rippstösse 
geben  kann  nach  Belieben.  Fragt  mich  dann  Einer,  woher 
ich  denn  das  Zeug  wisse,  so  sage  ich  nur,  es  stünde  auf 
einer  althetruskischen  Kruke  im  Vatican,  No.  so  und  so  viel 

abgemalt,  ferner 

sei      auf      einer 

andern    Scherbe 

ein    Gegenstand 

mit         Inschrift 

abgebildet,     der 

uothwendig    Sa- 

tnros  Ladentisch 

daratelien  inUsse. 


Federzeichnung: 
Saturn  mitZwickel- 
bart  und  Senito,  die 
rechte  Hand  wie  zum 
Schacborn  erhoben; 
reobU  die  Beiichrifl: 
SALRETARACCHI 
AQVA  VITK  CBONü 
SATVKNO 


InfipioDti  sat. 


Federzeichnung:  Eine 
Truhe  mit  Löwenköpfcu  als 
EckonkiiüufRn  und  Ijöwen- 
krailen  als  FÜHson,  auf  der 
unteren  vorderen  Fläche 
drei  Schubkäston  ange- 
deutet ;  darüber  die  In- 
8chrift:CARI.AMlCI.N()N. 
SI.FA.CKKDKNZA.PEN- 
8 ATE  .  ALI.A  •  CONSE- 
QVENZA 


^  Oitlert  vom  s.  April. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johauna)  Kinkel.        121 

19.  Mai. 

Ein  anderes  schönes  Sujet  wäre  —  doch  ich  will  mich 
nit  ausgeben,  sonst  machen  mir  diese  Gedanken  keine 
Freude  mehr.  Genug,  es  ist  ein  schwarzwäldisches  und  ein 
mittelrheinisches  Sujet  in  Bänken,  aber  Gott  weiss  wie  es 
damit  gehen  wird.  Hätte  ich  auf  der  Reise  am  Rhein  nur 
einen  stillen  Rasttag,  ich  wollte  so  ein  Ding  fertig  bringen. 
Hier  in  Italien  gehts  nicht.  Kann  ich  irgend  noch,  so 
sollst  Du  noch  von  hier  aus  etwas  haben.  Aber  Du  kennst  das; 
entweder  ist  trübes  Sciroccowetter,  oder  Dreckwetter,  oder  es 
ist  schön,  unmenschlich  schön,  und  da  will  man  die  besten 
Stimmungsstunden,  nämlich  die  Abende,  nicht  auf  dem 
Zimmer  zubringen,  sondern  man  presst  die  Natur  und  die 
Architektur  im  Abendschein  bis  auf  den  letzten  Tropfen 
aus,  —  in  freier  Natur  aber  eine  Brieftasche  herausziehen 
und  Gedichte  schreiben  kann  ich  nicht  recht.  (NB.  das 
Sonett  „auf  dem  Aventin'^  ist  doch  an  Ort  und  Stelle  ge- 
schrieben,^) ist  auch  darnach.)  —  Zu  einer  geschichtl.  Ar- 
beit in  Prosa  fehlt  Zeit  und  Gelegenheit,  überhaupt  ist 
Rom  nach  den  ersten  6  Wochen  noch  nicht  eine  Stadt  des 
Arbeitens.  Mein  Gott,  mit  welchem  Vergnügen  fing  ich 
in  Paris  am  12.  Tage  nach  meiner  Ankunft  das  regelmässige 
Copiren  auf  der  bibliotheque  royale  an!  In  Paris  sehnt  man 
sich  nach  irgend  einer  Arbeit,  nur  um  in  dem  furchtbaren 
Getreibe  irgend  einen  Anhaltspunkt,  einen  Prätext  des 
Daseins  zu  haben.  Gerade  ebenso  versteht  sich  in  Rom  das 
Nichtsthun  von  selbst,  und  das  hat  jetzt  für  mich  ohne- 
diess  ein  Ende,  da  ich  Notizen  machen  muss  von  früh  bis 
spät.     So  wäre  nun  das  Taschenbuch  erörtert. 

Andreas  grüsse  schön  von  mir,  sag'  ihm  aber  nichts 
von  dem  Berliner  Quasiruf,  sonst  wird  er  (womöglich)  noch 
kritischer  und  lässt  mir  in  kunstgeschichtl.  Dingen  gar 
keinen  Buchstaben  mehr  gelten.  Ich  glaube  ganz  gern, 
dass  er  in  der  Gesch.  der  Baukunst  mich  in  die  Tasche 
stecken  würde,  wenn  er  ebensoviel  gesehen  hätte  und 
studirt  hätte  wie  ich;  denn  er  bringt  zu  den  Dingen  ein 
frischeres  Auge  und  einen  ungleich  feurigem  kritischen 
Willen   mit,   während    ich  oft  mit  geniessender  Fantasterei 

')  Am  II.  Mai  —  da<  letzte  der  6  eingesandten. 


122  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

zufrieden  gewesen  bin.  Aber  jetzt  mehr  als  je  muss  ich 
eine  „stillbewusste  Auctoritaet"  zu  behaupten  suchen,  denn 
wofür  hätte  man  mich  sonst  in  Berlin? 

Sehr  allerbestens  grüsse  mir  A.  Kaufmann.  Der  sollte 
nach  Italien.  Simrock  empfiehl  mich  bestens.  Schreibt  mir 
noch  einmal  nach  Italien!  Ihr  sollt  wieder  Antwort  haben. 
15.  Juni  gehe  ich  nach  Neapel;  2.-3.  Juli  berühre  ich 
Rom  zum  letzten  Mal,  um  Geld  zu  fassen  und  im  Cafe 
Greco  nach  Briefen  zu  fragen;  —  also  sendet  bis  circa  16. — 16. 
Juni  noch  eine  Geschrifft  an  mich  ab,  es  wird  mir  gar 
wohl  thun!  Dann  soll  auch  Directrix  einen  schönen,  statiösen 
Brief  von  mir  haben;  für  jetzt  ist  es  unmöglich,  weil  sonst 
der  Brief  zu  dick  wird  und  die  hiesigen  Posteujone  ver- 
führt, ihn  aufzumachen,  bei  welcher  Operation  dann  die 
Briefe  meist  liegen  bleiben  und  cassirt  werden.  Ich  danke 
einstweilen  herzlich  für  Ihren  Brief.  Fräulein  G.')  wird  denke 
ich,  inzwischen  zu  Aller  Freude  genesen  und  zu  Balder's 
Leide  vermählt  sein.  Ach,  es  ist  wohl  Schade  um  so  viel 
Anmuth,  wenn  sie  an  einen  eisgrauen  Millionär  ver- 
geben wird! 

Den  Mibes  hoffe  ich  in  guter  Gesundheit  anzutreffen, 
wann  ich  komme.  Bis  dahin  seid  mir  Alle  in  treuer  Liebe 
herzlich  gegrüsst,  besonders  du,  Urmau 

von  Deinem  Saltimbanck. 

P.  S.  Die  Santa  Maria  Maggiore  geniesse  ich  mit 
Wonne,  und  denke  dort,  wenn  der  Abend  durch  die  roten 
Vorhänge  leuchtet,  an  den  fernen  Urmau.  NB.  Dies  ist  keine 
Phrase,  sondern  ich  kann  wirklich  diese  Kirche  nicht  be- 
treten ohne  an  Dich  zu  denken,  weil  du  mir  sie  so  sehr 
ans  Herz  gelegt  hast.  —  Sanct  Paul")  wird  zwar  schön, 
aber  was  ist  so  eine  Basilica  ohne  Weihe  des  Alters  und 
der  Echtheit? 

Ich  bin  auch  in  den  Oatacomben  von  San  Sebastiane 
gewesen  und  bringe  der  Directrix  Erde  mit  vom  Grab  der 
heil.  Caecilia.  —  Und  sonst,  wo  wäre  ich  nicht  gewesen? 
sagt.«i  <i'r  I'Voiherr.') 

*)  •.  Hr.  J4.  Scbluu. 

*)  Tttori  le  tnam  —  •!■  Neubau. 

*)  In  Immemuou  MMüncbbauten". 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        123 

Addio  Urmau!  Glaubst  Du  mir,  das8  ich  mich  hier  in 
Rom  gaiiz  unsinnig  auf  die  Rheinreise  und  auf  das  grüne 
Westfalen  freue?         Von  ganzer  Seele         p^j^  g 

36.  Florenz,  22.  Juli  1846. 

Ach  Gott,  zwei  Jahre  sind's,  seit  Saltimbanck's  Schriften  in 
obiger  Weise  gesammelt  erscheinen  sollten')  und  kein  Strich  ist 
seitdem  dran  geschehen !  Und  jetzt,  auf  der  Rückreise  von  dem 
seligen  Rom,  wo  jeder  Misslaut  in  seinem  Innern  also  auch  jede 
Ironie,  stille  geschwiegen,  soll  Saltimbanck  sein  Werk  fort- 
setzen! Bei28*'Reaumur!  In  einer  lärmenden  Locanda, vielleicht 
derselben  in  welcher  Goldoni's  Locandiera  spielt!  Doch  es  sei. 

Von  dem  ästhetischen  Enthusiasmus. 

Saltimbanck,  welcher  auf  Reisen  wunderbarlich  zunimmt 
an  Weisheit  und  Vernunft,  hat  sich  Italien  insbesondre  zu 
Nutze  gemacht.  Er  ist  zu  Rom  nicht  nur  im  caffe  Ruspoli 
gelegen  und  Abends  auf  dem  Pincio  spaziert,  wie  etliche 
Schwelger  thun,  sondern  er  hat  die  Menschheit  ganz  im 
Allgemeinen  beobachtet  und  zumal  der  fremden  Menschheit 
in  Rom  zugesehen,  wann  sie  Bauten,  Bildsäulen  und  Malereien 
betrachtet«,  ja  er  hat,  statt  die  Dinge  selber  genau  anzu- 
schauen, mehr  als  einmal  den  Führer  gemacht,  zumal  wann 
hübsche  Weibsspersonen  bei  der  Gesellschaft  waren. 
Einige  nahmen  sein  Geschwätz  einfältiglich  an  und  be- 
wahrten es  in  ihren  kleinen,  netten,  muntern  Herzen, 
wenigstens  2  Minuten  lang.  Andere  dagegen  waren  denkende 
Frauenzimmer  und  verdrehten  ihm,  was  er  gesagt  hatte, 
zu  eigenen  „originellen  Anschauungen",  indem  sie  nicht 
wussten  mit  was  für  einem  gottlosen  Schalksnarren  sie  zu 
thun  hatten.  Sie  seufzten  vor  Entzücken  über  irgend  ein 
archaistisches  Scheusal  von  ephesinischer  Diana  oder  über 
irgend  ein  altneapolitanisches  Muttergottesbild  von  der- 
jenigen Sorte,  über  welche  der  weise  Salomo  sagt:  Schwartz 
bin  ich,  doch  lieblich,  ihr  Töchter  Jerusalem!  —  Es  gab 
Fälle,  wo  der  Enthusiasmus  bis  aus  Übelbefinden  gränzte; 
auch   ist   man   in   Rom   einstimmig  der  Meinung,   dass  es 

')  •.  ob.  Vorbm.  und  Eiascbub  vor  Br.  20. 


124 


Rudolf  Mever-Kraeraer. 


eine  der  segensreichsten  Reformen  Papst  Pius  IX.  sein  würde, 
wenn  wenigstens  vor  dem  Laocoon  und  vor  dem  Apoll 
gut  gepolsterte  Lehnstühle  für  unwohlbefindliche  Damen 
aufgestellt  würden.  Dieser  administrative  Fortschritt  wäre 
um  so  leichter,  da  die  freisinnige,  hochherzige  Regierung 
Toscana's  schon  seit  Jahren  mit  dem  grossen  Exempel 
vorangegangen  ist  und  vor  der  Mediceischen  Venus,  den 
Ringern,  dem  Schleifer,  dem  Apollino  und  dem  Faun  in  der 
hiesigen  Tribuna  fünf  Polsterstühle  hat  aufrichten  lassen,  zu 
Nutz  und  Frommen  derjenigen  Damen,  welche  dem  Enthusias- 
mus unterworfen  sind.  Bei  dem  weisen,  wenn  gleich  langsamen 
Fortschritt  der  italienischen  Angelegenheiten  lässt  sich  hoffen, 
dass  ausser  den  Lehnstühlen  mit  der  Zeit  auch  Matratzen 
werden  hingelegt  werden  für  Herren,  die  sich  vor  Begeisterung 
auf  dem  Bauche  zu  wälzen  geneigt  sind,  so  wie  auch  für 
emancipirte  Damen  insoweit  solche  Hosen  tragen 

(Es  ist  Vormittags  elf  Uhr;  Seen  e:  Das  z  weite  Zimmer 
der  Galerie  Colonna;  Saltimbanck  in  einer  Ecke;  der 
Cu8tode,ein  e  gross  efranzösischeD  am  c  herum  führend.) 

Custode:  —  Und  dieses  ist  das  Bildniss  Rafaels,  von 
seinem  Vater  gemalt,  als  er  noch  ein  Junge  war. 

Dame:  Für  einen  jungen  Menschen  vortrefflich  gemalt, 
besonders  die  Agraffe  an  der  Mütze!  Herrlich!  Das  ist 
übrigens  noch  nichts;  ich  komme  soeben  aus  Barcelona, 
wo  ein  Bild  von  eiuem  dreijährigen  Kind  in  der  Catliedrale 
hängt,  ganz  aus  der  puren  Inspiration  gemalt!  Das  sollten 
Sie  sehen,  Monsieur  le  concierge. 

Der  Custode  ist  ganz  confusund  sieht  Saltimbanck 

mit  erbarmangswUrdigen  Blicken  an;  Saltimbanck 

Dähert  sich  der  grossen  Dame  und  spricht:    Das  Bild  in 

Barcelona  muss  himmlisch  sein!  so  ,„   j*,.„„j„i, ..„«„. 

(r  0  n  6  r  7,  0 1  c  n  u  u  n  g ; 

ganzunmittolbarausdorroinonPhan-  Zwui  Heilig«  und  ein  Hund, 
tasie  eine«  uomUndigen  Kindes!  In-     im  Hintorgnindo  HUgol  — 

deM  bewundem  Sie  mit  Recht  auch     '" , ,  ^^J!"''"'Tir*'''*\^'''f,f 

auf  daH  Piinrilst«  gekritzelt ; 

dieses  Bild  von  Bataert  Vater,  all  er  darunter:)  lo  ubinnu  de 
noch  ein  JaDge  war!  Barcelone,  vcolo  oMpagnole 

Dame  (nachsinnend)  Aber  wie     «"««»«fn« 
alt  war  Bafael  wohl  selber  in  jenem  schönen  Moment? 

Saltimbanck:  Das  weiss  man  nicht  (gehen  .weiter.) 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        125 

Drittes  Capitel.  Von  Saltimbanck's  Garderobe, 
hauptsaechlich  von  seinem  Rock. 

Es  ist  ganz  unglaublich,  was  ein  Rock  alles  aushalten 
kann,  ehe  er  so  aussieht,  dass  man  ihn  absolut  wegwerfen 
muss.  Als  Saltimbanck  über  die  Alpen  zog,  nahm  er  das 
auch  in  Bonn  bekannte  eselsgraue  Röcklein  mit  um  es  in 
der  ewigen  Stadt  als  ein  Symbol  der  Vergänglichkeit  alles 
Zeitlichen  vor  den  Augen  von  ganz  Rom  aufzutragen.  Das 
Röcklein  aber  hielt  sich  wacker,  soweit  die  Sache  von  ihm 
abhing;  Ermel  und  Verstösse  wollten  und  wollten  nicht 
reissen,  selbst  die  Knöpfe  hielten  nur  immer  fester.  Aber 
was  nicht  vom  Röcklein  abhing,  damit  war  es  schlecht  be- 
stellt; die  Farbe  verschoss  unter  dem  Einfluss  der  südlichen 
Sonne  zusehends,  und  was  das  Schlimmste  war,  der  Kragen 
nahm  allgemach  einen  höchst  verdächtigen,  wohlbekannten 
Spiegelglanz  an.  Ein  Freund  Saltimbanckens,  der  ihm  zu 
Zeiten  über  sein  Costüm  leise  Vorwürfe  zu  machen  pflegte, 
sah  einmal  auf  dem  Kragen  Saltimbanck's  einen  Floh  herum- 
spazieren, was  in  jenem  Clima  weder  selten  noch  be- 
schämend ist.  Er  wollte  den  Floh  wegfangen,  aber  Saltim- 
banck sagte:  Stör'  ihn  nicht,  er  macht  seine  Morgenpromenade. 
—  Oder,  meinte  der  Freund,  er  will  auf  diesem  Kragen 
lernen  Schlittschuh  laufen. 

Gegen  die  Zeit  des  Conclave's  hin ')  wurde  das  Röcklein 
auch  sonst  gebrechlich.  Derselbe  Freund  sagte  zu  Salt:  Der 
Rock  geht  hinten  auf!  —  Salt,  erwiederte  ganz  kaltblütig: 
Das  thun  Sonne  und  Mond  auch.  Auf  die  Länge  war  indess 
mit  Witzen  nicht  geholfen.  In  Neapel  zeigten  sich  an  den 
Ermein  bedenkliche  Blödigkeiten  ;  eine  durchgeriebene 
Stelle  wurde  von  einem  höchst  lächerlichen  Flickschneider 
in  der  Nähe  des  Toledo  mittelst  einiger  Gran  insoweit  zu- 
gepfuscht, dass  nach  einiger  Zeit  ein  förmliches  Loch  an 
jener  Stelle  entstand.  Indess,  wenn  Salt,  die  Arme  nicht 
zu  weit  vom  Leibe  ausstreckte,  so  sah  er  noch  halbwegs 
reputirlich  aus.  Den  Genickfang  gab  dem  Röcklein  be- 
sonders die  Reise  von  Neapel  über  Rom  nach  Florenz  und 
der  Aufenthalt  in  letzterer  Stadt.  Hier  fanden  sich  nämlich 

')  Aus  dem  (Juni  1846)  Graf  Mastai -Ferretti  als  Pio  nono  her- 
vorging. 


126  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

bereits  Leute  vor,  welche  Saltimbancken  um  seines  Röckleins 
willen  curios  ansahen,  was  ihn  bewog,  z,  B.  das  elegante 
Caffe  Donny  nur  in  jener  Dämmerstunde  zu  besuchen, 
wann  die  Sonne  unten,  das  Gas  aber  noch  nicht  angezündet 
war.  —  In  Ravenna  lag  der  Rock  offenkundig  in  den  letzten 
Zügen  und  Salt,  musste  besorgen,  dass  sich  einmal  ein 
Stück  Ermel  rundum  losrisse,  auch  pflegte  es  hie  und  da 
in  den  Rückennäthen  zu  krachen  und  zu  reissen.  Da  hält 
eines  Morgens  unweit  von  der  Colonnade  Theodorichs,  beim 
Markt  ein  Herr  den  Salt,  an  mit  der  Frage:  „Wo  Teufels 
trifft  man  denn  Ihren  Direktor  an?  —  Ach,  verzeihen  Sie, 
ich  glaubte,  Sie  wären  von  der  Truppe,  die  Donnerstags 
zum  erstenmal  spielt.''  —  Ein  paar  Stunden  später  hält 
ihn  der  Caffetier  vom  Spiegelcaffe  an  mit  der  Frage: 
„Haben  Sie  hübsche  Damen  bei  Ihrer  Gesellschaft?"  —  Es 
war  klar,  Salt,  sah  einem  italienischen  Provinzialschau- 
spieler  zum  Verwechseln  ähnlich;  es  war  Zeit,  das  Röcklein 
abzudanken.  In  Venedig  hat  er  sich  ein  Neues  machen  lassen, 
was  18  Zwanziger  gekostet  hat  aber  mindestens  noch  ein- 
mal so  eselsgrau  ist.  — 


37.     (=  zweite  Hälfte  eines  Briefes;  s.  Br.  38  Anf.) 

Venedig,  15.  Aug. 
Hab  ich  Dich  gestern  ennuyirt,  lieber  guter  Urmau? 
Ich  will's  nicht  mehr  thun,  aber  einmal  musste  ich  wieder 
meine  grämliche  deutsche  Politik  an  den  Mann  bringen.  -- 
Von  meiner  jetzt  so  sehr  beschleunigten  Reise  will  ich 
lieber  mündlich  Einiges  loslassen,  wann  ich  bei  Euch  in 
Bonn  bin,  was  so  der  Herr  will,  den  22.  und  23.  Sept.  der 
Fall  sein  wird.  Neapel  habe  ich  für  immer  gesehen,  man 
kriegt  mich  ohne  ganz  besondere  Gründe  nicht  mehr  dorthin , ') 
obschoo  das  Land  ein  Paradies  ist.  Wolters  wollte  mich 
auf  das  Frenodlichste  in  Beschlag  nehmen,  aber  icli  hutt*« 
noch  änderet  so  thun  als  mir  in  San  Jorio  wohl  soin  /.u 
laiteD.  Er  wetis  viel  von  Neapel,  treibt  Geschichte  und 
KoDit   und   ist  ein    geistvoller   Mensch   durch   und   durch. 

*)  Trog,  S.  54. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        127 

Woher  kam  es,  dass  ich  trotzdem  ein  wenig  auf  dem  Fus8 
der  Vorsicht  mit  ihm  stand?  Zweierlei  war's:  er  ist  ehr- 
geizig (obwohl  ganz  im  Stillen)  und  er  ist  orthodox.  Gott 
verzeih  mir's,  aber  ich  kann  mit  frommen  Leuten  nicht 
mehr  recht  umgehen,  selbst  wenn  sie  sich  bemühen,  ihre 
Frömmigkeit  vor  der  Weit  zu  verbergen,  was  z.  B.  dann 
statt  findet,  wenn  es  damit  noch  nicht  recht  brillant  steht 
und  sie  besorgen  müssen,  man  glaube  ihnen  nicht  genug. 
Ich  nenne  das  auf  Welsch  une  piete  honteuse,  verschämte 
Frömmigkeit.  Der  Ehrgeiz  allein  entfremdet  mich  keinem 
Menschen,  zumal  da  ich  selber  nicht  ehrgeizig  bin  und 
meiner  Natur  g»^mäs9  gerne  einem  Bedeutendem  zur  Folie 
diene;  aber  combinirt  mit  der  Orthodoxie  verschüchtert 
mich  der  Ehrgeiz  und  benimmt  mir  meine  Harmlosigkeit. 
Es  war  Schade,  dass  ich  den  rechten  Ton  mit  W.  nicht 
mehr  finden  konnte.  Denn  er  ist  an  Geist  ungeheuer  ge- 
wachsen und  ich  hätte  hübsch  von  ihm  lernen  können.  Er 
hat  eine  prächtige  Phantasie,  reich  und  elastisch  wie  ich 
kaum  eine  andre  kenne,  und  dabei  einen  Weltverstand, 
mit  dem  er  unser  Einen  zehnmal  in  den  Sack  steckt.  — 

Und  Ackermann  starb  4  Tage  vor  meiner  Ankunft. 
So  ist  denn  endlich  dieser  Comet,  der  so  unendlich  fremd- 
artig und  interessant  durch  unsere  Kreise  zog,  vor  unsern 
Aug«n  verglüht.  Er  war  von  Hause  aus  eine  egoistische 
Natur,  die  Alles  nur  auf  sich  selbst  bezog  und  ganz  unge- 
heuer viel  Lebensstoff  consumirte  oder,  wenn  sie  satt  war, 
muthwillig  verwüstete.  Aber  dabei  welch  ein  Mensch! 
Ihr  habt  ihn  nicht  recht  gekannt, ')  ich  glaube,  Torstrick 
und  ich  wissen  am  Besten,  oder  ahnen  es,  dass  er  wahrhaft 
göttlichen  Geschlechtes  war.  Sage  mir,  woher  kommt  es, 
dass  ich,  ohne  weitere  Zuneigung  zu  ihm,  doch  gleich  in 
ihm  dasjenige  witterte,  dem  ich  mich  dienend  und  auf- 
opfernd hätte  unterwerfen  können?  Ich  kann  gar  nicht 
sagen,  dass  ich  ihn  eigentlich  lieb  gehabt  hätte,  dafür  war 
er  mir  von  Anfang  an  zu  gewaltig,  zu  sehr  ausser  aller 
Linie.  Zudem,  was  hätte  er  mit  meiner  Freundschaft  an- 
fangen können?  Er  überschaute  noch  ganz  andre  Leute 
als    mich,    denn   das   ist   das  Unglück   des   Genius:  er  ver- 

')  Im  M.  K.  scheint  er  mit  Beiträgen  nicht  vertreten  zu  sein. 


128  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

einsamt  den,  welchem  er  allzumächtig  innewohnt.  —  Und 
diese  Natur  musste  zugleich  so  ungleich  angelegt  sein, 
dass  ihr  die  Krone  alles  Daseins,  das  ruhige  Gestalten  fehlte! 
—  und  zwar  im  Leben  wie  im  Dichten.  Er  hat  sich  gegen 
das  Ende  hin  furchtbar  gesteigert  und  ging  einher  zwischen 
raffinirter  Genussucht  und  noch  raffinirterer  Selbstpeinigung, 
sodass  es  brechen  musste.  Dass  seine  Liederlichkeit  sein 
Leben  verkürzt  habe,  glaube  ich  nicht,  denn  er  war  nicht 
venerisch,  und  wo  das  nicht  der  Fall  ist,  da  kann  ein  Körper 
wie  der  seinige  zehnmal  mehr  aushalten  als  er  verübt  hat 
Aber  der  Schemen  und  Popanz,  den  sich  seine  Phantasie 
von  seiner  Liederlichkeit  machte,  hat  ihn  allerdings  tödten 
helfen.  Ich  hätte  gerne  das  Weib  auf  meiner  Rückreise 
in  Rom  aufgesucht,  die  er  gehabt  hat,  aber  Wolters  sagte, 
er  habe  die  Papiere  noch  nicht  genügend  durchsucht,  in 
welchen  sich  ihre  Adresse  finde.  Er,  Wolters,  will  sie  be- 
suchen, wenn  er  nach  Rom  kömmt.  Ich  war  der  unmass- 
geblichen Meinung,  dass  man  dergleichen  am  besten  solchen 
Weltkindern  überlasse  wie  ich  bin,  aber  —  die  Papiere 
waren  einmal  noch  zu  wenig  in  Ordnung.  Es  war  übrigens 
eine  verheiratbete  Frau,  wie  sich  solches  in  Rom  von  selbst 
versteht,  und  das  war  ein  Hauptbrandscheit  in  Ackermanns 
Qoalenraffinerie) ')  Alles  in  Allem  betrachtet  sag'  ich  — 
Gott  verzeih  mirs:  —  lieber  kein  genialer  Mensch  sein  und 
dafür  gute  starke  Nerven  haben  und  ein  starkes  Gewissen, 
das  sich,  wenn  der  Mensch  gesündigt  hat,  in  herzlichem 
Wohlwollen  für  Andere  wieder  erfrischt  und  erholt.  Siehe, 
das  wäre  mein  Ideal.  Allerdings  wird  man  damit  keine 
höhere  sittliche  Erscheinung,  kein  Tugendspiegel.  Aber 
die  Tugendspiegel  laufen  ja  heuer  auf  allen  Gassen  herum, 
•o  dasa  die  Species  hinlänglich  vertreten  ist  auch  ohne  mich. 

*)  Otto  Markwart  verdanke  irh  den  Hinweii  nuf  zwei  weitere  Notizen 
ober  A.:  ^Mit  eisern  am  BawundrunK  und  Grauen  gemiiichten  Gefühle 
schieden  wir  in  ipäter  Nacht;  all  wir  uuf  der  Brüclie  um  Schifn)aucr(Umin 
um  trennten,  ■•(((«  Burrkbardt:  „Wir  werden  einmal  tagen,  daai  wir  ihn 
gekannt  hat>en."  (W.  Bcytchlag,  aui  meinem  Leben,  S.  148).  —  Ein  groites 
Gedicht  „Auf  Ernst  Ackermanns  Tod",  von  Eminus  (Jak.  Burckh.)  fand 
Markwart  unter  den  Scbauenbargbriefen ;  abgedruckt  in  einem  Album  jener 
Zeil  uBler  dem  Titel  „In  Neapel"  (?) : 

„O  sieh  Neapels  Golf  im  goldenen  Abendschimmer  I 
Sieh  tausend  Barken  siehn"  usw. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        129 

Venedig,  21.  Aug. 

Potz  Welt,  ehe  ichs- vergesse.  Ich  weiss  nicht,  ob  Dein 
Taschen-  oder  Jahr-  oder  Jahrtaschenbuch  zu  Stande  kömmt 
oder  nicht.  Geschiehts,  so  bitt  ich  inständig  um  Eines: 
Gieb  meine  Verse,  wenn  du  durchaus  welche  davon  hinein- 
haben willst,  nicht  mit  meinem  Namen,  sondern  unter 
der  Firma:  Eminus.  Du  behauptest  die  Dinge  brauchen  zu 
können,  ich  aber  will  nicht  um  eines  Andern  willen  Verse 
ausgehen  lassen  und  dann  doch  Spott  und  Hohn  auf  mich 
laden,  als  hätte  ich  selber  mich  geflissentlich  mit  meinen 
Versen  hervorgethan.  Bitte,  herzlieber  Urmau,  thu  mir  den 
Gefallen,  wenn  es  noch  Zeit  ist,  und  mach  jetzt  keine 
Geniestreiche  ohne  Noth.  Sieh,  es  ist  doch  wahrhaftig  das 
Recht  eines  jeden  Menschen,  selber  drüber  zu  entscheiden, 
wie  weit  er  sich  mit  der  Pablicität  einlassen  will,  nicht 
wahr?  Wenn  dir  der  Name  Eminus  nicht  recht  ist,  so 
nenne  mich  sogar  Saltimbanck  und  ich  will  den  Tort  eher 
verschmerzen  als  jenen,  mit  eigenem  Namen  aufzutreten. 
Denke  doch  nur,  dass  du  mir  keinen  Ersatz  dafür  bieten 
kannst,  wenn  irgend  eine  Giftfeder  unter  unsern  lieblichen 
Recensenten  meine  Sachen  noch  schlechter  macht  als 
sie  schon  sind.  Ich  als  Dr.  Burckhardt  will  nun  einmal 
keine  beiletrist.  Ansprüche  machen,  weil  ich  glaube,  dass 
selbst  ein  guter  Poet,  sobald  er  gedruckt  ist,  eine  falsche 
Stellung  zu  unsrer  jetzigen  Welt  hat.  Dixi,  sonst  wirst 
Du  bös. 

Ich  habe  in  Italien  wenige  Verse  gemacht, ')  weil  ich 
meine  Zeit  besser  brauchen  konnte.  Am  Anfang  meines 
Aufenthaltes  in  Rom  hoffte  ich  etwas  in  Zug  zu  kommen,, 
aber  es  gelang  nicht  und  verleidete  mir  bald.  Ich  habe 
einige  Landschaften  gedichtet,  bin  aber  darob  ins  Schmieren 
gekommen  und  in  eine  Manier,  die  Niemandem  unaus- 
stehlicher ist  als  mir  selbst.  Ich  kann  nun  einmal  mit 
unsern  wenigen  erlaubten  Reimen  nicht  auskommen ; 
zum  Ausfeilen  entschliesse  ich  mich  vollends  nie.  Das, 
was  mir  zu  Zeiten  Spass  macht,  ist  grade  das  rohe  Hin-^ 
schmeissen. 


•)  8.  Br.  35  (v,   19.  Mai). 


I  ^O  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

38.  Basel,  11.  Sept.  1846. 

Liebster  Urmau!  liebste  Directrix! 

Inliegendes')  ist  der  üeberrest  eines  in  Venedig  an- 
gefangenen Briefes,  dessen  erste  Hälfte  sehr  einfältiges 
Zeug  enthielt  und  deshalb  cassirt  wurde;  lest  es  also  zuerst 

Wesshalb  ich  jetzt  noch,  11  Tage  vor  meiner  Ankunft 
in  Bonn,  an  Euch  schreibe,  erkläre  folgender  Grund:  Primo 
müsst  Ihr  doch  wissen,  dasa  ich  überhaupt  noch  vorhanden 
bin.  Secundo,  dass  ich  den  22.  und  23.  Sept.  in  Bonn  zu 
verweilen  hoffe,  diessraal  übrigens  nicht  wiederum  Eure 
Gastfreundschaft  in  Anspruch  nehmen,  sondern  im  Gasthof 
logiren  werde.  Tertio,  dass  ich  von  Rom  aus  (Ende  Mai) 
ein  bläuwliches  Mawblatt  an  Euch  abgesandt  habe,  mit  lauter 
Versen  von  vorn  bis  hinten;  darunter  war  ein  Reisegedicht 
von  etwa  200  Versen,  Gott  geb,  dass  Ihr's  gekriegt  habt, 
denn  es  war  das  Concept  und  ich  habe  keinen  Zweiten  zu 
versenden.  Wer  weiss,  vielleicht  hat's  auch  die  römische 
Postverwaltung  so  interessirt,  dass  sie  es  lieber  gleich 
behalten  hat.  Auch  gut.  Quarto  habe  ich  durch  die  Schauen- 
burgs  erfahren,  dass  der  arme  Urmau  arg  krank  gewesen 
ist,  und  möchte  ihn  gerne  ein  wenig  aufheitern.  Quinto 
bitte  ich,  meinen  vorgeblichen  „Ruf"  nach  Berlin  so  viel 
als  möglich  geheim  zu  halten,  indem  ich  so  nicht  mehr 
recht  dran  glaube  und  hier  überall  ausbreite,  ich  werde 
Ende  April  wieder  in  Basel  sein.  Mit  dem,  was  Deinet- 
wegen im  Trieb  ist'),  steht  es  schon  anders,  wegen  Deiner 
Präcedentien  und  weil  Du  ein  Landeskind  bist.  —  Basel, 
das  ich  letzten  Samstag  wieder  betreten,  sieht  mich  übrigens 
so  langweilig  und  philiströs  un,  dass  ich  meinem  Herrgott 
•elbst  für  einen  Winter  in  Berlin  sehr  dankbar  bin.  Nein, 
onter  diesen  Geldbrozen  hält  es  kein  rechter  Mensch  aus! 
Rom!  Rom!  Rom!  —  capisceV 

12.  Sept. 
0  wie  ist  mir  dietsmal  der  Abschied  von  Italien  schwer 
geworden!  Ich  weiM  es  jetzt,  dass  ich  ausserlialb  Rom's  nie 
mehr  recht  glücklich  eein   werde  und  dass  mein  ganses 

0  Br.  37. 

^  Nialidi  «beofiill  ein  „RoT«  ntcb  Berlin. 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        iji 

Streben  sich  thörichter  Weise  in  dem  Gedanken  concentriren 
wird,  wieder  hinzukommen  und  wäre  es  auch  als  Lakai 
eines  Engländers.  Ich  könnte  dir  in  Rom  verschiedene 
Stellen  zeigen,  auf  der  Strasse,  in  Gärten  u. s.w.,  wo  mich 
ohne  besondern  Anlass  das  Gefühl  überraschte,  dass  ich 
jetzt  vollkommen  glückselig  sei;  es  war  eine  plötzliche, 
vom  Genuss  nicht  abhängige,  innere  Freude.  Eine  dieser 
Stellen  ist  auf  der  Treppe  des  palazzo  Farnese.  beim  ersten 
Absatz,  also  nicht  einmal  eine  sonderliche  Localität.  Eine 
andere  Stelle,  wo  ich  in  den  ersten  Tagen  des  Mai  einmal 
dasselbe  Gefühl  hatte,  ist  rechts  von  der  fontana  Trevi.  Ich 
fühlte  mich  zu  Rom  in  einer  Harmonie  aller  Kräfte  wie 
ich  sie  nie  gekostet,  einige  gute  Tage  in  Bonn  ausgenommen. 
Denn  verliebte  Zeiten,  wo  man  zwar  bisweilen  glückselig, 
aber  dabei  ausser  allem  Gleichgewichte  ist,  rechne  ich  nicht 
in  dieses  Capitel,  weil  es  da  gar  keine  Kunst  ist,  sich 
glücklich  zu  fühlen.  —  Als  ich  am  8.  Juli  Rom  zum  letztenmal 
verliess  und  der  "Wagen  um  der  Pässe  willen  vor  Porta  del 
popolo  stille  hielt,  stieg  ich  noch  einmal  aus  und  ging 
feierlich  wieder  3  Schritte  weit  zum  Thor  hinein,  wodurch 
ich  meine  künftige  Wiederkehr  habe  versinnbildlichen 
wollen.  Am  ponte  Molle  hat  es  doch  einige  Zähren  ge- 
kostet. Florenz  und  Venedig  haben  mir  auf  Rom  hin  gar 
nicht  mehr  recht  munden  wollen;  dagegen  hatte  ich  in 
Ravenna  einen  wahren  und  echten  Nachklang  von  Rom, 
besonders  als  ich  die  herrliche  einsame  Basilica  in  classe 
besuchte,  die  so  schön  und  traurig  am  Rande  des  grossen 
Pininenwaldes  liegt.  Mosaiken  sieht  man  in  Ravenna,  lieber 
Urmau!  Es  sind  die  schönsten  nächst  jenen  von  St.  Cosma 
e  Damiano  in  Rom,  und  Alles  datirt!  Ich  kann  Dir  nur 
sagen,  dass  die  Galla  Placidia  nahezu  das  Unbedeutendste 
darunter  ist,  so  schön  das  Ding  sein  mag.  Die  12  Apostel 
im  Baptisterium  (d.  h.  im  orthodoxen,  nicht  in  dem  der 
Arianer)  sind  noch  von  so  ausserordentlicher  Schönheit, 
dass  man  sie  dem  V.  Jh.  kaum  mehr  zutrauen  kann,  so 
herrliche  Sachen  auch  damals  noch  geschaffen  wurden  — 
doch  von  all  diesem  mündlich.  Ich  bin  sehr  begierig  auf 
deinen  zweiten  Band  Kunstgeschichte,  den  ich  gar  gut 
brauchen  könnte.  In  Eure  Theorie  der  rheinischen  Kirchen 


152  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

muss  ich  mich  in  Bonn  de3  Gründlichsten  einweihen  lassen, 
sonst  sitzt  Ihr  mir  auf,  wenn  ich  bei  der  Bearbeitung  von 
Kngler's  Kunstgeschichte  in  diesem  Punkte  nicht  nach 
Eurem  Sinn  rede.  ^) 

Ich  habe  gestern  das  Programm  deines  Jahrtaschen- 
oder Taschenjahrbuchs  „vom  Rhein"  gesehen  und  mit 
Freuden  bemerkt,  dass  mein  Name  dabei  nur  in  dritter  Linie 
figurirt.  0  Du  herzlieber  Erzeulen  Spiegel  und  jugendlicher 
Faselant,  der  Du  noch  mit  Herausgabe  von  Gedichten  glaubst 
etwas  wirken  zu  können!  Grade  als  ob  nicht  eine  Epoche 
vor  der  Thür  wäre,  die  unsere  ganze  jetzige  Literatur  und 
noch  viel  mehr  unter  den  Tisch  wischen  wird!  Freilich, 
Ihr  woUt's  nicht  glauben.  Gedichte  machen  —  ja!  aber 
Gedichte  herausgeben  —  ne! 

In  Berlin  wird  es  ein  sauberes  Leben  werden.  Ich  bin 
zum  Voraus  entschlossen,  mich  gegen  Berlin  vollständig 
abzuschliessen,  über  Hals  und  Kopf  zu  oxen  und  ausser 
Kugler  80  gut  wie  Niemanden  zu  sehen.  Sobald  ich  wieder 
Geld  habe,  kratz  ich  aus  nach  Rom  und  bleibe  dort  bis 
auf  den  letzten  Pfennig.  Dann  lass  ich  wieder  drucken  und 
80  mag  das  fortgehen  bis  an  mein  selig  Ende,  das  wohl 
binnen  20 — 26  Jahren  jedenfalls  erfolgen  wird.  Immer  in 
den  Zwischenepochen  schreib  ich  dann  2 — 3  Jahre  an  einem 
guten  Buche,  oder  auch  an  einer  Zeitung,  um  mich  durch- 
zubringen und  neue  Kräfte  zu  sammeln,  d.  h.  Geldkräfte. 
Eine  Familie  will  ich  dieser  infamen  Zeit  nicht  in  die 
Krallen  liefern;  es  soll  kein  Proletarier  meine  Kinder  mores 
lehren  wollen.  Du  glaubst  nicht  wie  resolvirt  ich  in  diesen 
Dingen  bin.  — 

Addio  ürmau!  Addio  liebe  Directriz! 

Auf  baldiges  Wiedersehen  hin  zählt  die  Tage 

Der  vielgetreue  Eminus. 

*  •  ♦ 

Id  die  leiste  Septenib^rwocho  fiel  dann     -  programm- 

gemBss  —  Burokbardts  vierter  AufnuthaIt(oderdoch  Besuch)  bei 

Kinkels;  doM  et  der  letzte  für  immer  sein  würde,  bat  wohl 

keiner  tod  beiden  geahnt.    Anfang  Oktober  in  Berlin  ein- 

*}  Vgl.  Kugltra  Hdb.  d.  K.'%  (S.  Aufl.  187t  I,  p.  464). 


I 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        ix^ 

getroffeo,  war  Burckhardt  nun  mehr  als  je  zuvor  an  Kugler 
und  dessen  Kreis  angeschlossen  (vgl.  die  Zitate  aus  P.  Heyse 
bei  H.  Trog,  S.  20  und  66,  deren  lebendige  Schilderungen 
den  Kenner  uujschmeicheln,  als  wäre  an  jener  Stätte  vor- 
geahnt der  Genius  Hugo  Wolfs  mitten  unter  ihnen  gewesen, 
dessen  Manen  wir  jetzt  trauernd  grüssen).  —  Die  glühende 
Sehnsucht  ins  „bessre  Jenseits"  hat  aber  genau  ein  Jahr 
später  rechtbehalten  und  sich  durchgesetzt:  am  10.  Oktober, 
auf  kürzestem  Wege,  traf  Burckhardt  wieder  in  Rom  ein, 
um  diesmal  ein  volles  Halbjahr  zu  bleiben.  Als  er  dann 
(im  Mai  48)  wieder  nach  Basel  heimkehrte,  hatte  das  grosse 
Itevolutionsdraina,  das  Kinkel  unter  seine  Protagonisten 
einreihte,  längst  begonnen;  die  Schweiz  aber  war  dabei, 
ihren  neuen  Bundesstaat  zu  gründen.  — 

In  den  hier  (Br.  39 — 43)  gespiegelten  neun  Monaten 
zieht  der  jüngere  Freund  vorsichtig  schonend,  aber  doch 
unverkennbar  das  Fazit  der  mehr  als  sechsjährigen  Geistes- 
gemeinschaft, deren  Würdestufen  er  so  rasch  emporgestiegen 
zu  sein  sich  mit  Recht  fühlen  durfte:  es  ist  wie  eine  reinlich 
abschliessende  Inventuraufnahme,  die  nun  einmal  seiner  Art 
unsentimentaler  Wahrhaftigkeit  entsprach.  (Uebrigens  vgl. 
H.  Trog,  S.  146.) 


39.  Berlin,  6.  Dec.  1846. 

Herzliebster  Urmau! 

Ich  habe  in  den  neun  Wochen  meines  hiesigen  Auf- 
enthaltes oft  geschwankt:  Soll  ich  nach  Bonn  schreiben  — 
oder  nicht?  Soll  ich  Winke  geben  oder  abwarten?  Kugler 
will  Dir  vollkommen  wohl,  aber  sein  Einflass  ist  vielfach 
contrebalancirt.  Ich  hüte  mich,  zu  viel  nachzuforschen  und 
begehre  nicht  zu  wissen  was  geheim  bleiben  soll,  weil  ich 
Dir  damit  eher  schaden  als  nützen  könnte.  —  Eins  aber 
musst  Du  wissen  —  Jemand,  Du  weist  schon  wer, ')  hat  den 
Minister  auf  Dein  verfluchtes  ^Männerlied"  am  Schluss  des 
Taschenbuches  aufmerksam  gemacht,  worüber  K.  in  Ver- 
zweiflung ist.  So  was  zerstört  wieder  Vieles  was  gut  an- 
gebahnt schien.     Sie  suchen  Dich  nun  aus  der  Patsche  zu 

•)  Vermutlich  Nitztch  oder  aber  Sack. 


111  Rudol  f  Meyer- Kraenier. 

reissen;  K.  will  beim  Minister  das  Beste  dazu  reden,  und 
ein  andrer  Freund')  will  suchen,  den  Otto  Schütz  zur  Vor- 
lesung bei  Hofe  zu  bringen.  Diess  behalte  aber  bei  Dir, 
compromittire  mich  nicht  bei  Kugler,  und  hoffe  nicht  zu 
viel,  üebrigens  gehört  es  für  mich  zu  den  ünbegreiflich- 
keiten,  dass  ein  Mensch  von  Deinem  Alter,  in  einem  Augen- 
blick, der  vielleicht  sein  Fortkommen  entscheidet,  eine 
solche  Unbesonnenheit  begehen  kann.  Du  bist  nicht  mehr 
Theologe,  kein  Mensch  auf  Erden  kann  Dir  ein  religiöses 
Votum  abverlangen,  warum  schreibst  Du  es  also  ganz  un- 
nützer Weise  in  die  Welt  hinaus  und  noch  dazu  in  solcher 
Form?  Es  ist  gar  wenig  Poesie,  gar  wenig  neu  Gedachtes 
in  dem  Männerlied,  und  viel  Renommage.  Habe  aber  ich 
mir  das  Renommiren  abgewöhnen  können,  so  kannst  Du 
es  auch.  Wenigstens  solltest  Du  auch  an  die  denken,  welche 
Dich  lieb  haben  und  ihnen  nicht  ohne  Noth  Schrecken 
einjagen. 

Sonst  ist  das  Jahrbuch  gut  und  reichhaltig;  Gott  gebe, 
dass  die  Bädekors^  auf  ihre  Kosten  kommen.  Ich  hab  es 
von  Ramersdorf  wegen  ^)  für  das  Kunstblatt  angezeigt, 
fürchte  aber,  dass  die  Anzeige  erst  nach  Neujahr  abge- 
druckt wird.  Noch  ein  Narrenstreich  von  Dir:  mein  ganz 
dummes  Gedicht  vorn  als  Motto  unter  dem  Titel  eines 
Bekenntnisses  (i.  e.  sämmtlicher  Mitarbeiter)  in  grossen 
Lettern  abdrucken  zu  lassen.  Wer  gab  Dir  eine  solche  Be- 
fugoiss?  Hinwiederum  halte  ich  die  „Margret"  für  das 
Juwel  des  Buches,  und  auch  Kugler  ist  entzückt  davon. 
Es  schmeckt  sehr  nach  mehr. 

Vorgestern  ist  auch  meine  Recension  von  „Schwarz- 
Rheindorf^  an'rt  Kunstblatt*)  abgegangen.  Ich  habe  nach 
Kr&ften  gerühmt,  aber  Andreas  wird  sagen:  ich  hätte  ihn 
nicht  einmal  beim  Loben  recht  verstanden,  vollends  aber 
•ei  ich  ein  E^el  wo  ich  ihm  Unrecht  gebe;  sag'  ihm,  ich 
bitte    AS   etwas    stark    gefunden,    dass   ich    da.s    EIxempiar, 

'i  I><*<li  wohl  Enul  Curtittf,  der  ipltere  Archäologe,  »eil  44  Ertieher 
(ic*  l'nuicu  Kritdrich. 

*)  Dit  bckannl«  EaMocr  VerUftfinna. 

■)  •.  „Vom  Rbcin".  Kunalhlalt  4. 

*)  MVom  Rbeiii",  Marienkrönung  (S.  a);  Simont  bekam  dafOr  aoo  Talor 
(Strodtn.,  8.  tu). 


Briefe  Jakob  Burckbardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        i^^ 

welches  mir  Stud.  Lübke  überbrachte,  ao  Kugler  überreichen 
musste,  gegeu  welchen  in  dem  Text  eine  so  unverhohlene 
Malice  darchblickt.  Ich  hoffe,  Kugler  liest  das  Ding  nicht. 
In  meiner  Recension  habe  ich  übrigens  nur  die  zu  weite 
Ausdehnung  des  byzantinischen  Einflusses  bekämpft  und 
die  ganz  enorme  Hypothese  von  dem  runden  Vorderab- 
schluss  von  St.  Aposteln')  und  Gross  St.  Martin.')  Wenn 
Andreas  sich  in  künftigen  Heften  noch  ferner  solchen  Con- 
jecturen  hingiebt,  so  kann  es  ihm  sehr  schaden,  so  gut 
auch  alles  Uebrige  sein  mag.  Wenn  er  bei  der  vorliegenden 
ein  gutes  Gewissen  hatte,  warum  erwähnte  er  die  Capitols- 
kirche  *)  mit  keinem  Wort?  Resp:  weil  sie  ihm  seinen  Beweis 
ganz  wesentlich  geschwächt  hätte. 

7.  Dec. 

Mir  geht  es  ganz  gut:  die  Gesch.  der  Malerei  rückt. 
Für  mein  weiteres  Fortkommen  scheinen  gute  Aspekten 
da  zu  sein;  der  Minister  soll  sich  günstig  über  mich  ge- 
äussert haben.  Ist  mir  ganz  recht,  baue  übrigens  mehr 
auf  die  Buchhändler.  Es  stehen  mir  nach  und  neben  den 
jetzigen  Arbeiten  audere  bevor,  von  mühsamer  -—  aber 
lucrativer  Natur,  d.  h.  so  dass  Unsereiner  eben  durchkommen 
kann,  und  mehr  verlange  ich  ja  nicht.  Längst  ist  der  Brust 
ehrgeiziger  Trieb  entflohn,  sagt  Platen;  und  das  war  für 
seine  Person  nicht  einmal  wahr,  wohl  aber  für  mich.  Zum 
Arbeiten  nach  meinem  Gusto,  d.  h.  zum  Strenghistorischen, 
komme  ich  vielleicht  nie  mehr,  oder  erst  dann,  wenn  die 
besten  Kräfte  dahin  sind.  Nun,  es  ist  schon  ganz  andern 
Leuten  Aehnliches  passirt. 

Berlin  tritt  mir  in  gewohnter  Scheusslichkeit  entgegen, 
und  die  Sehnsucht  nach  Rom  quält  mich  täglich  mehr. 
Vielleicht  reisse  ich  einmal  all  die  Verhältnisse,  die  man 
mir  in  der  edelsten  Absicht  vorbereitet,  mitten  durch  und 
kratze  aus.  Das  Subjekt  Eminus  würde  sich  dabei  ganz 
wohl  befinden.  Dieses  Subjekt  will  gar  nicht  blosses 
Wohlleben  und  Bummelgenuss,  es  arbeitet  gerne,  aber  al 
suo  modo.  Nur  muss  das  Subjekt  bekennen,  dass  ihm  ein 
solches  Durchbrennen  um  Kuglers  willen  leid  thäte,  welcher 

')  In  Köln. 

*)  „S.  Maria  auf  d.  Capitol"  zu  Köln. 


136  Rudolf  Meyer-Kraemcr. 

Alles  für  das  Subjekt  thut  und  viele  Liebe  und  Geduld 
beweist. 

Im  Ernst,  ich  fühle  für  Kugler  und  seine  wahrhaft 
grossen  Absichten  ein  inniges  Mitleid.  Er  für  seine  Person 
steht  jetzt  wohl  unverdrängbar  fest,  aber  das  wofür  er  lebt, 
werden  sie  ihm  doch  vereiteln  oder  wenigstens  partiell 
nach  Kräften  verhunzen,  denn  es  giebt  in  unserer  Zeit 
nichts  Mächtigeres  als  eine  Verschwörung  kleiner  Interessen 
gegen  durchgreifende  Verbesserungen.  Ich  sage  ihm  immer: 
Du  siehst  die  Dinge  viel  zu  jugendlich  an,  worauf  er  mich 
auszulachen  pflegt  und  meint:  Es  ist  so  lange  schlecht  ge- 
gangen, ich  sehe  nicht  ein,  warum  es  nicht  auch  einmal 
besser  gehen  soll.  —  Geibel  ist  schon  etwas  elegischer 
gestimmt  und  natürlich  mehr  seinen  persönlichen,  poetischen 
Plänen  hingegeben,  welche  Grosses  versprechen.  Er  mag 
mich  ganz  wohl  leiden,  weil  ich  so  harmlos  mitlaufe,  ihm 
die  Zeit  vertreibe  und  auf  seine  Gedanken  einzugehen 
suche.  Ich  bin  ihm  von  Herzen  zugethan,  weil  er  der 
nobelste  Mensch  unter  der  Sonne  ist,  und  lialte  ihm  seine 
Einseitigkeiten  zu  Gute,  weil  sie  mit  seinem  Werthe  eng 
zusammenhängen.  In  poetischen  Dingen  ecrasirt  er  mich 
durch  eine  gänzliche  Entmuthigung;  ich  mag  kaum  mehr 
einen  V«*r8  schreiben,  wenn  ich  denke,  wen  ich  in  meiner 
Nähe  habe.  Es  ist  auch  ganz  gut,  wenn  ich  nicht  mehr 
dichte,  ich  arbeite  um  so  viel  besser.  Aber  die  Acta  möchte 
ich  gerne  beisammen  haben  znr  Erinnerung.  Darum  bitte 
ich  Dich  inständig,  liebster  Urinau,  die  Gopion  des  Alchy- 
misten  und  der  Gotthardspassago  nicht  zu  vergessen  und 
mich  haldmöglichst  damit  zu  erfreuen.  Wenn  die  Copie, 
wie  zu  vormutheri,  mehr  kostet  als  ich  dafür  hiuterliess, 
■o  frankire  bloss  doine  Briefe  an  mich  nicht  und  schreibe 
doch  fleiMig,  MO  hast  Da  am  Ende  nocii  Profit  dabei,  wie 
jener  heitere  Kerl,  welcher  fast  täglich  2  Thiiler  zurücklegt, 
weiJ  er  nicht  regelmftssig  Champagner  trinkt.  -  -  Was  hier 
mitfolgt,  iit  Hchon  lange  ungefangen  gewesen  und  dann  zu 
%  hier  vollendet  worden.  Ich  habe  jetzt  nichis  besseres 
ab  diee  „Klotter"'),  und  Ihr  mOsst  damit  fUriieb  nehmen. 
Ihr  werdet   sagen,   es  sei    weit   geringere   Arbeit  als  der 

*)  Em  Mfcdot  vertcbollen  su  leiii. 


I 


Briefe  Jakob  Burckhardts  au  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        1^7 

Alchymist,  und  damit  mögt  Ihr  Recht  haben.     Ich  konnte 

nur   den   angefangenen    rothen  Mawbogen    nicht   so    liegen 

lassen;  wäre  das  Ding  auf  anderm  Papier  begonnen  gewesen, 

ich  hätte  es  längst  vergessen.  Aber  Mawblätter,  welche  die 

werthe  Hand  der  Directrix  zurechtgelegt  und  mit  Paginatur 

versehen  hat,   dürfen  nicht  so  mir  nichts  dir  nichts  cassirt 

werden.     Ich  habe  jetzt  noch  eines  und  dieses  soll  meine 

letzten  Gedichte   aufnehmen.     Es   sind   ja   immer   geweihte 

Blätter  und  sie  erinnern  mich  an  Euch  und  an  bessere  Zeiten. 

Aber  schickt  mir  keine  neuen.  — 

9.  Dec. 

Um  mit  dem  Vorhandenen  aufzuräumen :  Hast  Du  schon 
ein  gewisses  Gedicht  von  mir,  welches  ich  in  Venedig  schrieb 
und  anfängt:  Ja  Cyperwein  und  schöne  Fraun?')  Ferner: 
bat  dir  etwa  Julius  B.-)  seiner  Zeit  eine  Copie  von  dem 
Ding  geschickt,  welches  den  Eselsritt  nach  Amalfi  schildert? 
—  Ich  begreife  wohl,  dass  Euch  jetzt  an  diesem  Kram 
wenig  liegen  mag,  weiss  auch  ganz  gut,  dass  Du  von  mir 
als  Poeten  wenig  oder  nichts  mehr  erwartest,  aber  ich 
muss  etwas  haben,  um  das  letzte  Mawblatt  auszufüllen.  Ihr 
seid  fast  mein  einziges  Publikum  gewesen  und  auf.  Euch 
schütte  ich  mit  Recht  auch  die  letzten  Brosamen  aus 
meinem  Schnappsack  aus.  Hätte  ich  mein  italisches  Dasein 
ausleben  können,  ich  hätte  wohl  noch  einiges  Gute  producirt. 
All  mein  Streben  geht  jetzt  dahin,  mir  soviel  zu  ersparen 
um  wieder  nach  dem  Süden  gehen  zu  können  und  dann, 
wenn  ich  einmal  drinnen  bin,  holt  man  mich  nicht  so  leicht 
wieder  heraus.  Ich  hoffe  es  dahin  zu  bringen,  all  dem 
glänzenden  Elend  in  Leben,  Literatur  und  Politik  feierlich 

den  H zudrehen  zu  können.  Schilt  wie  Du  willst, 

liebster  Urmau,  aber  gestehe  mir  zu,  dass  in  den  jetzigen 
deutschen  Zuständen  keine  Natur  mehr  sich  harmonisch  ent- 
wickeln karm.  Das  Kleinliche,  Ängstigende,  Zersplitternde 
ruinirt  jetzt  auch  die  Besten,  während  die  Schlechtesten 
davon  profitiren.  Hier  hilft  nichts  als  eine  Luftreinigung 
im  grossen  Styl,  und  die  wird  kommen;  was  wir  bis  dahin 
schaffen,   ist  Zeitvertreib,   sind   odeurs,   womit   wir  uns  auf 

*)  E«  findet  sich  in  den  Scbauenbur<;briefen   (Notiz  von  O,  Markwart). 
•)  Bädeker? 


1^8  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

Augenblicke  den  Duft  der  allgemeinen  Fäulniss  verhehlen. 
Warum  nun  nicht  in  einfachere,  schönere  Zustände  flüchten, 
wenn  sie  noch  irgendwo  vorhanden  sind?  Ich  wenigstens 
bin  gesonnen,  noch  einmal  ehe  die  bösen  Tage  kommen, 
meine  Art  von  Leben  zu  geniessen. 

Ehe  ich  es  vergesse:  sage  Andreas  (oder  wenn  er  schon 
in  Düsseldorf  ist,  schreibe  ihm  bei  Gelegenheit),  Strack 
(Prof.  und  Oberbaurath  allhier)  hätte  sich  sehr  günstig, 
Prof.  Bötticher')  ganz  begeistert  über  sein  Schwarz-Rhein- 
dorf ausgesprochen,  und  Beide  die  eigentliche  Architekten- 
carriere  höchlichst  abgerathen,  weil  sie  mit  Chicanen  und 
Prüfungen  aller  Art  verbunden  ist,  dagegen  die  Laufbahn 
eines  sog,  Bauconducteurs  anempfohlen,  welche  für  ihn 
fast  dieselben  Vortheile  bietet.  Ich  bin  begierig  zu  sehen, 
ob  er  seinen  Plan  durchsetzt  und  wo  es  am  Ende  mit  ihm 
hinaus  will.  Vor  allem  aber,  ob  sich  am  Ende  eine  wirklich 

productive  Ader  in  ihm  aafthut 

10.  Dec. 

Wenn  ich  nur  etwas  für  das  Jahrbuch  thun  könnte! 
Bädeker's  haben  mir  und  Kugler  es  zugeschickt  und  Julius 
hat  mich  auf  das  Schönste  gebeten,  es  in  hiesigen  Blättern 
zu  empfehlen.  Was  ich  konnte,  habe  ich  mit  dem  Kunstblatt 
gethan,  aber  hier  in  die  Vossische  und  Spenersche  kann  man 
nur  dann  etwas  bringen,  wenn  man  entweder  zur  Clique 
gehört  oder  vor  selbiger  den  Hut  zieht.  Ich  habe  nur  noch 
eine  sehr  geringe  Hoffnung,  durch  einen  bosondera  Kanal 
einige  Worte  in  die  Vossische  einzuschmuggeln.  Die  „Ge- 
•innuDg*^  muss  dabei  um  Gottes  Willen  aus  dem  Spiele 
bleiben,  denn  die  schadet  hier  mehr  als  sie  nützt.  —  In 
einer  Beziehung,  lieber  Urmau,  iiast  Du  wohl  durchgängig 
Unrecht:  warum  dioss  beständige  Renommiren  mit  der 
rheinläDdisclien  Manneskraft?  Wir  Rheinländer  stehen  bei 
den  Sachsen,  Schwaben  und  Baierii  gar  nicht  im  Geruch 
betonderer  Energie  und  ausgezeichneten  Cliarakters!  Lass 
Dir  diete  MarottoD  vergehen.  Der  Rhein  beginnt  mit  der 
rohen  Heftigkeit  d(»s  Schweizers,  dann  folgt  der  commune, 
veriohiagen««  Elsäsiier,  der  ronommistische  ßadenser,  Rhein- 
baier  und  RheinhesHo,  dann  der  Judd  von  Frankfort,  dann 

')  Karl  B.,  der  Arcbaolog. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanua)  Kinkel.        i^q 

Coblenz  mit  einer  Bevölkerung  die  noch  Niemand  ernstlich 
gerühmt  hat  —  endlich  der  Gau  von  Bonn  und  der  Köln- 
gau —  na,  ich  will  lieber  schweigen.  Geibel  ist  auch  meiner 
Meinung,  —  der  hat  freilich  wieder  seineu  aparten  Hanse- 
ateuhochmuth.  Das  lass  ich  gelten,  dass  wir  alle  tutti 
quanti  zehntÄueendmal  mehr  werth  sind  als  die  Berliner; 
auch  habe  ich  mich  an  der  kleinen  berlinischen  Episode 
in  der  Margret  aus  der  Massen  ergötzt.  Übrigens  ist  das 
ganze  Ding  wunderbar  schön  und  unterscheidet  sich  wesent- 
lich von  den  ansonst  in  jetziger  Zeit  currenten  Dorfge- 
schichten ')  und  vollends  von  der  jetzt  beliebten  Proletarier- 
poesie, womit  einige  unsrer  grossen  Geister  hausiren  gehen. 
Es  ist  Schade,  dass  die  Gattung  der  Mode  anheimgefallen 
ist,  wie  seiner  Zeit  die  politische  Poesie.  —  Die  jetzige 
Literatur  lebt  fürchterlich  schnell  und  consumirt  ein  un- 
glaubliches Capital  von  Reiz  und  Abwechselung.  Und  doch! 
wie  Weniges  schlägt  so  recht  entschieden  durch!  — 

Jetzt  grüsse  von  mir  die  edle  Directrix!  Ich  wünsche 
Euch  ein  Anno  1847,  das  Euch  nach  so  langen  Sorgen  eine 
wohlige,  gesicherte  Stellung  bringe!  Ich  wünsche  dem  Mibes 
Kraft  und   Gesundheit,    den   2  Kleineren')   alles  Gedeihen! 

Und  Du,  herzlieber  alter  Urmau!  bleibe  mir  treu!  lass 
Dir  sagen,  dass  ich  nie  ein  Berliner  werden  will,  dass  ich 
Deine  Interessen  hier  nach  Kräften  und  mit  Discretion 
vertrete,  und  dass  keine  Differenz  der  Ansichten  mich  von 
Dir  trennen  soll').  Ich  sehe  ihnen  hier  genugsam  in  ihre 
Rath-  und  Prinziplosigkeit  hinein,  um  innerlich  frei  zu 
bleiben.  Dieses  musst  du  mir  auf  mein  Wort  glauben.  Die 
Politik  ist  für  mich  todt;  was  ich  thue,  das  thue  ich  als 
Mensch,  und  als  Mensch  liebe  ich  dich^),  und  wenn  du  noch 
zehnmal  ärgere  Tollheiten  machst  als  das  Männerlied. 

Glöcksillig  Neujohr!  In  alten  Treuen 

Dein  Eminus,  genannt  Jakeff. 

Wer  Focke  sieht,  grüsse  ihn!  —  meldet  mir,  wenn 
Ihr  könnt,  die  Adresse  des  Torstrick!  Meine  Adresse: 
Wilhelmstrasse  41,  parterre. 

')  B.  Auerbachs  „Schwarzwälder  D."  erschienen  seit  1843  (in  Mannheim). 

*)   1846  war  auch  Adela  geboren  (Strodtm.  II,  36). 

*)  Dies  ist  ehrlicher  Händedruck,  aber  doch  —  einer  Abschiedsstunde. 


140  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

40.  Berlin,  17.  April  1847. 

Herzliebster  Urmau! 

Ich  wollte  Dir  nicht  eher  schreiben  als  bis  mein  Maw- 
bogen  voll  wäre,  aber  das  dauert  zu  lang,  und  inzwischen 
fällt  mir  schwer  auf's  Herz,  dass  Du  von  mir  den  Kunst- 
artikel für  den  neuen  Jahrgang')  erwartest,  den  ich  doch 
unmöglich  liefern  kann.  Schatz,  es  geht  nicht!  ich  habe 
nichts  bereit  liegen,  wüsste  auch  gar  kein  Thema  und  habe 
bis  über  die  Ohren  zu  thun,  indem  der  Stuttgarter  Verleger 
für  Kugler's  Kunstgesch.  bis  im  Juni  Mscpt.  haben  muss 
und  ich  doch  mit  der  Malerei  höchstens  Ende  Mai  fertig 
werde.  —  Wenn  wir  nur  nicht  mit  dem  Druck  der  Malerei 
schon  so  weit  wären !  Kugler  und  ich  hätten  den  Abschnitt 
über  die  kölnische  Schule  gewiss  gerne  hergegeben*)  —  aber 
der  ist  nun  schon  heiaus.  Hätte  ich  nur  statt  dessen  etwas 
Historisches  für  Dich!  Aber  das  Einzige,  die  Dir  bekannte 
Armagnakenrede'),  phsst  doch  nicht  hier  herein!  —  Hätt' 
ich  Dir  nur  gleich  geschrieben!  aber  ich  dachte:  Du  kriegst 
noch  den  Mawbogen  fertig.     Thorheit!  — 

Von  Novellenschreiben  ist  natürlich  auch  keine  Rede. 
Nun  zu  Andorm.  Ich  beschwöre  Dich,  nimm  K.'s^)  Worte 
nicht  so  krumm  auf!  Hättest  Du  ihn  je  ge.sehen,  Dein  Miss- 
trauen hätte  gar  nicht  aufkommen  können.  Er  hat  das  so  im 
Allgemeinen  hingeschrieben  und  gewiss  nicht  apeciell  an 
Dich  gedacht.  Ich  weiss  nicht,  ob  Du  mir  in  solchen  Dingen 
Spürkraft  zutraust,  aber  mein  Zeugniss  beruht  denn  doch  auf 
persönlicher  Kenntniss,  während  Dein  Urtheil  sich  dessen 
nicht  rühm(>n  kann.  Bezwinge  Dich  ein  wenig,  mir  zu 
glauben!  Ich  bin  nicht  derjenige,  welcher  zu  vertuschon  sucht. 

Ül)er  Wcit^roH  keinen  Hader.  Der  Herrgott  hat  Dich 
so  gemacht  und  mich  anders  und  wenn  wir  uns  vernünftig 
anfftthren,  so  können  gute  Leute  an  uns  Beiden  Freude 
haben,  ohne  mich  indessen  Dir  gleichstellen  zu  wollen.  „In 
meine»  Vat«*rH  Hause  sind  viele  Wohnungen."  Lasst  mich 
nur  machen,   dass  ich  kein  Genie  bin,  weiss  ich.   aber  ich 

*)  „Vom  Rhein"  fBr  1848  wurde  geplaiit. 

>)  Ebeo  fdr  da«  Jabrt>uch. 

•j  «.  H.  Trog,  S.  44. 

*)  Dorb  wohl  Kugler'«;  fll>er  MkanDOgieMerode  DoKcnten"? 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        i^£ 

habe  doch  allgemach  mein  eigenes  Centrum  in  mir  und 
werde  es  noch  dahin  bringen.  Andern  was  Rechtes  sein 
zu  können. 

Mein  Schicksal  ist  so  unbestimmt  als  möglich.  Die 
kühnen  Reformpläne  ästhetischer  Dinge  scheinen  gänzlich 
beseitigt,  sei  froh,  dass  für  Dich  nichts  draus  geworden  ist.') 
Sie  haben  hier  keine  Courage,  sie  möchten  gern  und  wollen 
doch  nicht,  sie  hätten  gern  die  ganze  Welt  am  Schnürlein 
und  wissen  doch  nichts  damit  anzufangen.  Ob  man  mir 
speciell  Wort  halten  wird,  weiss  ich  nicht,  sehe  mich  aber 
tapfer  nach  Buchhändlern  um,  alß  welche  vor  einen  ledigen 
Menschen  heut  zu  Tage  eine  beßere  Außkunffth  sind  denn 
der  preussische  Staat.  Berlin  ist  grenzenlos  widerwärtig, 
obwohl  viele  gute  Leute  da  sind. 

Nicht  wahr,  Du  hättest  gern  ständische  Nachrichten? 
Ich  weiss  nichts.  Zurückgezogener  als  ich  kann  man  nicht 
leben.  Ausser  dem  Kugler'schen  Hause  und  Geibel  kennt 
mich  sozusagen  Niemand.  Die  Thronrede  ^)  hat  für  mich 
etwas  tragisch  Rührendes.  Bei  Euch  zu  Lande  wird  man 
wohl  eher  spöttisch  darauf  zu  sprechen  sein.  Mich  geht  die 
ganze  Sache  nichts  an,  aber  ich  glaube,  dass  ein  Geschicht- 
schreiber in  100  Jahren  (wenn  dann  die  Welt  noch  auf  ihren 
Beinen  steht)  diese  Sprache  nicht  unwürdig  finden  wird. 
Ein  grosser  Irrthum  geht  durch,  aber  der  Mensch,  welcher 
spricht,  ist  keine  ordinäre  Natur.  Ob  Ihr  mir  darin  bei- 
stimmt, ist  mir  ganz  gleichgültig.')  Es  ist  eine  Sache  des 
unmittelbaren,  historischen  Gefühls. 

Meldet  mir,  womöglich,  wo  sich  Torstrick  und  Zefren 
aufhalten.  Dem  erstem  habe  ich  das  bewusste  Gedicht  noch 
immer  nicht  zugeschickt  —  es  gefällt  mir  übrigens  nicht 
mehr  recht.  —  Dein  Urtheil,  liebster  Urmau,  über  das 
„Kloster"'  hatte  ich  so  erwartet,  kann  Dich  auch  versichern, 
dass   ich  das  ganze  Ding   unfertig   gelassen   hätte,    war'  es 

')  s,  Strodtm.  II,  S.  48. 

')  Jene  berühmte,  am  11.4.47  zur  EröiTuuug  des  Vereinigten  Landtages 
gehaltene,  die  ein  beschriebenes  „Blatt"  zurückwies,  das  „zwischen  Gott  im 
Himmel  und  dieses  Land  sich  als  eine  zweite   Vorsehung  eindränge". 

•)  Die  bestimmte  Form  der  Verwahrung  ist  um  so  beachtlicher,  als  auch 
„Frau  Direktrix"  eingeschlossen  scheint. 


142 


Rudolf  Mever-Kraemer. 


nicht  zufällig  auf  einem  Mawbogen  angefangen  gewesen. 
Etwa  7  Strophen  sind  in  Basel,  die  2  folgenden  in  Venedig, 
der  Rest  in  Berlin  geschrieben.  —  Vor  der  Hand  ist  jede 
Production  poetischer  Gattung  vor  den  Arbeiten  scheu  zu- 
rückgewichen; ich  will  bis  Anfangs  Sept.  mit  dem  ganzen 
Rummel  fertig  sein.  Dann  habe  ich  Geld  und  Freiheit. 
Lasst  sehn  was  ich  damit  anfange. 

Femer,  wenn  Du  den  Alchymisten  wirklich  in  den 
2.  Jahrgang  nehmen  willst,  so  heisse  ich  nicht  B..  sondern 
Em  in  US,  wie  Ihr  wohl  wisset.  Ich  muss  glauben,  dass  Dir 
wirklich  etwfiis  an  meinen  Sachen  liegt,  und  desshalb  stehen 
sie  Dir  zu  Diensten.  Es  ist  Alles  pour  le  plaisir  de  Mon- 
sieur; ich  für  meinen  Theil  würde  nie  damit  herausrücken; 
dergleichen  führt  zu  nichts  und  ruinirt  bei  der  lieben  ge- 
lehrten Clique  dem  armen  Dichter  nur  den  wissenschaft- 
lichen Ruf,  mit  welchem  ich  mich  allmälig  werde  behelfen 
müssen.  Es  giebt  aber  nichts  Einfältigeres  unter  der  Sonne 
als  die  Gelehrten  dieser  Nation.  Der  liebe  Gott  will  auch 
bisweilen  seinen  Jocas  haben,  und  dann  macht  er  Philologen 
und  Geschichtsforscher  von  einer  gewissen  Sorte,  welche 
sich  über  die  ganze  Welt  erhaben  dünken,  wenn  sie  wissen- 
schaftlich ermittelt  haben,  dass  Kaiser  Conrad  II.  am  7.  Mai 
1030  zu  Goslar  auf  den  Abtritt  gegangen  ist  u.  dgl.  Welt- 
interessen mehr.  Es  sitzt  hier  eine  rechte  Clique  dieser  Art 
beisammen  und  gönnen  sich  vor  Neid  den  Sonnenschein 
nicht  Die  gräuliclisten  Philister  haben  die  Archäologie  in 
H&nden,  sie  können  aber  nichts  machen,  was  niclit  styllos 
und  jämmerlich  herauskäme.  Es  ist  in  dieser  deutschen 
Stadierstabenwelt  eine  fia(nu)o7jo%'ia^)  ohne  Gleichen.  Das 
wissen  diese  und  andere  Leute  nicht  mehr,  dass  wahre  Ge- 
8chicht«cl)roibung  ein  Leben  in  jenem  feinen,  geistigen  Flui- 
dum  verlangt,  welches  aas  Monumenten  aller  andern  Art, 
aot  Knnst  und  Poefie  ebensogut  dem  Forscher  entgogenwoht, 
wie  aas  den  eigentlichen  Scriptoren. 

Deine  Frage  wogen  der  Gesob.  der  Malerei  ehre  ic)i 
durch  offenet  GeitAodniss:  das  Ding  wird  nidit  O).  >ii.l«rii 
mtodetteot  Ih,  vielleicht  80  Bogen  stark,  sug.s  uIkm  nicht 
witef. 

*)  Nicbiigkdukrtmerei,  ScboluelkrluMln. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        j^^ 

Grüss  herzlich  die  edle  Directrix,  empfiehl  mich  Fräulein 
Heinrich'),   grüss  Focke  bei  Anlass  und  sei  versichert  der 

alten  Treue  und  Liebe 

Deines 
In  Eile.  Eminus. 

41.  Berlin,  4.  Mai  1847. 

Liebster  Schatz,  Seelenlappsal  war  Dein  Brief.  Ich  ant- 
worte jetzt,  damit  nicht  über  dem  Ausfeilen  des  Alchymisten 
wieder  viel  Zeit,  d.  h.  3 — 4  Tage  verstreichen,  denn  so  bald 
soll  er  womöglich  nachfolgen. 

Vor  Allem,  Schatz,  komm  zuerst  nach  Berlin  und  geh 
dann  nach  Dresden.  Warum?  Kugler  und  Geibel  treten  am 
Tag  vor  Pfingsten  eine  7 — 8 wöchentliche  Fusswanderung 
nach  Süddeutschland  an,  um  ihre  abdomina  wieder  auf  den 
Strumpf  zu  bringen ;  Du  fändest  sie  also  nicht  mehr  hier, 
wenn  Du  erst  nach  Dresden  gingest. 

Ferner:  o  Du  unschuldiger  Urmau,  der  Du  meinest,  es 
würde  irgend  einer,  wenn  auch  der  grössten,  literarischen 
oder  dramatischen  Notabilität  ein  freier  Theaterbesuch  be- 
willigt! Glaubst  Du  etwa,  Geibel  hätte  ihn?  Gott  bewahre. 
Das  hiesige  Theater  ist  ein  reines  Finanzinstitut  und  lässt 
sich  auf  Generosität  nicht  ein.  Übrigens  tröste  Dich.  Es 
ist  meist  hundeschlecht;  die  Besten  spielen  rein  als  Vir- 
tuosen, die  andern  als  Affen.  Ich  bin  seit  6  Monaten  nicht 
mehr  drin  gewesen,  theils  aus  Sparsamkeit,  theils  aus  Fleiss, 
theils  weil  mir  Abends  auf  meiner  Kneipe  oder  bei  Kugler 
am  wohlsten  ist,  theils  weil  ich  das  hiesige  Judenpack  niolit 
um  mich  haben  mag,  wenn  ich  geniessen  soll.  Schon  das 
Auditorium  verleidet  mir  den  Theaterbesuch. 

Schatz,  was  wollen  wir  einen  heitern  Lebtag  führen 
diese  kurze  Zeit  über!  Kugler  und  Geibel  erwarten  Dich 
mit  Freuden,  Geibel  hat  Verlangen  nach  Dir.  Man  hofft, 
sich  über  so  vieles  mit  Dir  auszusprechen  zu  beiderseitigem 
Contentement.  Kannst  Du  aber  erst  nach  Abreise  der  Beiden 
hier  eintreffen,  so  soll's  wieder  auf  eine  andere  Manier  ge- 
müthlich  sein,  kurz,  es  soll  Dir  gut  gehen. 

')  s.  Vorbem.  z.  Er.  ii.  (Laut  briefl.  Nachricht  hat  sie  noch  April  19001 
7 8  jährig,  iu  Bonn  gelebt). 


11^  Rudolf  Meyer-Kraem er. 

Was  phantasirst  Du,  lieber  Mauz,  als  hätte  ich  gemeint, 
Du  wollest  Dich  über  mich  erheben  ?  Kein  Mensch  hat  von 
jeher  Deine  Superiorität  williger  anerkannt  und  verfochten 
als  ich!  Und  glaube  doch  ja  nicht,  dass  ich  für  mich  grosse 
Erfolge  erwarte.  Wir  armen  Menschen  des  XIX.  Jahrhunderts 
(das  gebildete,  auch  zersplitterte  genannt)  können  uns  ja  so 
wenig  recht  concentriren,  so  wenig  vorausrechnen  in  Betreff 
künftiger  Thätigkeit!  —  Mensch,  komm,  mir  schwirrt  der 
ganze  Kopf  von  Beiseplänen  und  Bücherplänen.  —  Die 
schönen  Sachen,  die  Du  mir  über  die  Gesch.  der  Malerei 
sagst,  nehme  ich,  weil  sie  die  ersten  Laute  der  Anerkennung 
sind,  mit  dankbahrem  Gemühte  ^)  als  gutes  Omen  an,  fürchte 
aber  —  nicht  bösartige,  sondern  geringschätzige  Recen- 
sionen  von  E.  F.  u.  a.  m.  Am  Ende  wird  man  freilich  das 
Bach  nicht  wohl  entbehren  können,  so  lange  kein  anderes 
dieser  Gattung  da  ist,  und  man  wird  es  kaufen,  was  mehr 
werth  ist  als  alle  günstigen  Kritiken.  Ich  kann  das  wohl 
sagen,  weil  es  nur  zum  geringsten  Theile  mein  Verdienst  ist. 
Als  mein  Verdienst  nehme  ich  hauptsächlich  nur  die  erste 
Lieferung  in  Anspruch.  Den  Mosaiken  und  dem  Verhältniss 
der  byzantinischen  Kunst  zur  abendländischen  habe  ich  zu- 
erst einigermasseu  auf  die  Beine  geholfen,  zum  Theil  durch 
Dich  angeregt.  Schuaase  hat  bei  den  Mosaiken  nach  Ab- 
bildungen geredet,  Du  uacii  Erinnerungen;  ich  fühlte,  dass 
ich  Euch  hierin  irgendwie  überbieten  müsste,  und  reiste  in 
Gottes  Namen  den  Mosaiken  nach.  —  Aber,  o  Gott!  es  hliobo 
noch  geDug  zu  thun  übrig,  und  Du  hast  gerade  die  benei- 
doDSwertheste  Aufgabe  vor  Dir,  da  Du  nicht  dieser  Galeeren- 
arbutt  der  sog.  Vollständigkeit  nachzugehen  brauchst.  Pass 
auf,  IJrmaa!  ich  will  Dir  einen  guten  liath  geben.  Lass  Dich 
wenigHtons  im  XV.  Jahrhundert  nicht  auf  dieses  verrückte 
CharakterisireD  der  Schulen  und  der  Malerei  ein,  wie  wir 
haben  thun  müssen,  Hondern  greife  mit  aller  Frechheit  die 
gegenftind liebe  Betrachtungsweise  auf  und  schreibe  ein 
groties,  allgemeines  Kapitel  über  die  nordische  Malerei  des 
XV.  Jahrhunderts,  welchem  Da  dann  einen  kurzen  AbriHS 
der  Maler  and  Schalen  aaf  drei  Seiten  höchsteuN  min;  i 
folgnn   lataen.     Euer   kleines   Kölner  Masenm  wltrd<>   ^<  Iimi 

'>  sie. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  äh  Gottfried  (uud  Johauna)  Kinkel.        145 

hinlänglich  ausreichen  um  das  Bezeichnende  im  Ganzen 
herauszukriegen.  Bin  ich  halb  verrückt  geworden  über  der 
alljährlichen  grossen  Wiedertaufe  z.  B.  in  der  flandrischen 
Schule,  so  brauchst  Du  es  nicht  auch  zu  werden.  Stelle 
Dir  die  Aufgabe  so:  Wie  spricht  sich  der  Geist  des 
XV.  Jahrh.  in  der  Malerei  aus?  —  dann  vereinfacht  sich 
Alles.  Die  Höllenarbeit,  welche  ich  eben  durchgemacht  habe, 
sollst  Du  nicht  auch  durchmachen.  Du  sollst  nicht  wie  ich 
Dich  martern  über  der  Anschauungslosigkeit  in  den  Mit- 
theilungen Passavant's,')  über  der  unsinnigen,  innerlich  un- 
wahren Begeisterung  Hotho's!  *)  Geh  nach  Köln,  meinetwegen 
ein  wenig  nach  Belgien  oder  auch  nach  Ffurt  a/M.  und  sieh 
Dich  um,  wenn  Du  die  Dinge  nicht  mehr  im  Gedächtniss 
hast,  trinke  dann  auf  dem  Heimweg  ein  paar  Flaschen  Guten, 
und  dann  setze  Dich  auf  den  Arsch  und  schreibe  eine  Ge- 
samtcharakteristik. Hätt'  ichs  nur  auch  thun  dürfen!  Aber 
von  uns  verlangt  man  ein  Nachschlagewerk.  Hundsföttische 
Schmierer,  die  als  Persönlichkeit  gar  kein  Interesse,  als 
Ausdruck  der  Zeit  aber  ein  sehr  grosses  haben,  musste  ich 
in  Gottes  Namen  mit  aufnehmen,  weil  sie  zufälliger  Weise 
ihren  Namen  auf  Bildern  haben. 

Kind,  Du  verlangst  den  Kunstartikel  für  1849')!  Ich 
sollte  eigentlich  nicht  versprechen,  weil  —  doch  das  bereden 
wir  mündlich.  —  Dass  Du  ästimirt  bist  nach  Verdienst, 
macht  mir  sonderliches  Gaudium.  Ich  möchte  gerne  gewisse 
Gesichter  sehen  bei  diesem  statu  rerum. 

Urmau,  ich  fürchte.  Du  gehst  hier  viel  Deinen  hohen 
Connexionen  nach  und  man  wird  nicht  gerade  viel  um  Dich 
soin  können.  In's  Museum  geh'  ich  aber  doch  ein  paar  Mal 
mit  und  nach  dem  Theater  kneipen!  In's  Theater  geh'  ich 
nicht  mit;  ich  habe  diesen  Woltlüsten  des  Gänzlichen  entsagt. 

Urmau,  mir  fällt  eben  ein,  ich  könnte  eigentlich  den 
Alchymisten  wohl  behalten  bis  Du  kömmst.  Geibel  will 
ihn  mir  einrenken  helfen. 

0  liebster  Schatz,  grüss  Directix  herzlich  und  komm 
bald  zu  Deinem  Salltimbanckk. 


*)  Sein  „RafTael  v.  Urbino"  erschien  seit   1 839. 

«)  Gesch.  d.  deutschen  u.  niederläctd.  Malerei  (1840 — 43). 

')  In  einem  späteren  Jahrgang  „Vom  Rhein". 


10 


14.6  Rudolf  Meyer-Kraemer. 

5.  Mai. 
Liebster,  ich  wohne  allhier  Wilhelmsstrasso  No.  41  par- 
terre, schräg  gegenüber  vom  Palais  des  Prinzen  Albrecht, 
also  ein  gutes  Ende  vom  Landhause,*)  aber  das  macht  gar 
nichts.  Wir  setzen  unser  Stelldichein  in  die  Mitte  zwischen 
beiden  Gegenden. 

42.  Berlin,  20.  Juli  47,  Dienstag. 

Lieber  ürmau,  ein  scheussiicher  Katarrh  hält  mich  ge- 
fangen, so  dass  ich  zu  allem  Schreiben  untüchtig  bin. 

Mitfolgend  Gruppe's*)  „Wanda",  welche  ich  lange  er- 
wartet, aber  erst  gestern  Abend  erhalten  habe.  Der  Stoff  ist 
sehr  schön,  das  Machwerk  gut,  der  Styl  meines  Erachtens 
falsch  gegriffen. 

Sodann  Liei  V  d.  G.  d.  Mal.  —  Ich  hoffte,  jeden  Tag 
Lief.  VI  auch  zu  erhalten,  aber  sie  trödeln  länger  als  sonst. 
—  Ich  bin  nun  mitten  im  Handb.  d.  K.  G.  —  Jetzt  sind 
freilich  ein  paar  thatenloso  Tage. 

Von  Deiner  Angelegenheit  habe  ich  gar  nichts  verlauten 
hören.  Kugler  ist  zwar  hier,  aber  nocii  immer  leidend  und 
arbeitet  noch  nicht 

Den  Alchymisten  habe  ich  weiss  Gott!  nicht  ttberarboi- 
ten  können.  Mache  damit  was  Du  willst.  Was  Du  aber 
auch  geben  magst,  verglas  nicht,  dass  ich  Eminus  hoisse. 
Mit  meinem  freien  Willen  würde  ja  kein  Vors  von  mir  ge- 
druckt werden.     Es  ist  Mittelgut  genug  vorhanden. 

Beiliegendes  erbauliche  Locuspapier  ist  nur  dazu  bei- 
gefügt, um  dem  Paket  die  postgorechte  Schwere  zu  ertheilon. 
Besorge  also  nicht,  dass  ich  etwa  einen  wohlthätigen  Ein- 
druck auf  Dein  Inneres  damit  bezwecke. 

GMfee  Directrix  herslich. 

Dein  von  katarrhalischer  Dummheit  und  einem  niclit 
herauswollenden  Schnupfen  gänzlich  darniodorgohaltonor 

Em  in  US. 

*)  OMMlal  Ul  wobi  diu  Sitcangihaii«  de«  hnntlUK*»  "ok.  Ahgeordiinleii- 
luMM,  MB  DSolMffiplatz. 

<)  Otto  Fr.  Gr.,  d«r  Dichter,  UeberMtcer  und  l.it«rnlitrhi*toriker,  «eil 
1I44  lo  B. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.       i^y 

43.  Berlin,  den  23.  Aug.  47. 

Du  wirst  Dich  wundern,  liebster  Urmau,  dass  ich  Dir 
die  sechste  Lieferung  noch  nicht  geschickt  habe,  aber  sie  ist, 
statt  10  Bogen,  15  Bogen  stark  und  wird  desshalb  sous  bände 
nicht  angenommen,  sodass  ich  noch  die  siebente  (ebenfalls 
15  Bogen)  abwarten  und  dann  beide  als  Paket  senden  will; 
die  siebente  ist  die  letzte  und  wird  binnen  3  Wochen  jeden- 
falls versendungsfähig  sein. 

Sage,  warum  hast  Du  mir  noch  kein  Lebenszeichen 
gegeben?  Ich  weiss  schon,  es  ist  wegen  der  Bädeker'schen 
Geschichte.')  Lieber  Schatz,  hättest  Du  mir  zur  rechten 
Zeit  ein  Wort  darüber  gegönnt,  ich  hätte  vielleicht  noch 
Alles  ins  Gleiche  gebracht;  statt  dessen  hast  Du  Thorheiten 
über  Thorheiten  begangen  und  Dich  so  verrannt,  dass  der 
ganze  Nachtheil  auf  Deiner  Seite  ist.  Ich  dachte  Anfangs, 
Du  hättest  eben  einen  andern  Verleger  gefunden,  bis  ich 
den  ganzen  Zusammenhang  erfuhr.  Wärst  Du  vernünftig 
gewesen,  sie  hätten  Dir  im  April  eine  Schadloshaltung  zahlen 
müssen  und  gewiss  gerne  bezahlt,  oder  aber  —  Du  hättest 
sie  von  der  Möglichkeit  und  Rentabilität  eines  zweiten  Jahr- 
ganges überzeugt.  Statt  dessen  begingst  Du  den  groben 
und  unverzeihlichen  Schnitzer,  sie  ohne  Antwort  zu  lassen 
und  in  der  ganzen  Welt  Mitarbeiter  zu  werben !  Glaube  doch, 
Kaufloute  lassen  sich  auf  solche  Weise  nicht  überrumpeln! 
—  Und  dann  das  Circular!  Gruppe  hat  mir  es  gezeigt.  Hast 
Du  wohl  überlegt,  dass  die  Empfänger  grossentheils  die  er- 
fahrensten, geriebensten  Kerls  in  Sachen  der  Buchhändler- 
contracte  sind?  dass  Dir  kein  Einziger  es  glauben  wird, 
wenn  Du  die  ganze  Schuld  auf  die  Bädekers  schiebst?  dass 
ein  solcher  Ton  die  Verleger  gegen  Dich  scheu  machen  muss? 
Doch  genug,  Da  liebst  Vorstellungen  dieser  Art  nicht,  ich 
weiss  es  wohl.  Julius')  hat  an  mich  geschrieben,  worauf 
ich  mich  erbot,  als  Vermittler  wegen  einer  Schadloshaltung 
an  Dich  za  dienen,  obwohl  sie  nach  den  schweren  Aus- 
drücken Deines  Circulars  dazu  gar  nicht  mehr  anzuhalten 
sind.  Wenn  sie  Dich  gar  vor  Gericht  nehmen,  so  kannst 
Du  nichts  machen. 

>)  Es  handelt  sich  wohl  (immer  wieder)  um  dai  Jahrbuch  „Vom  Rhein". 
*}  Bädeker. 


fig  Rudolf  Meyer- Kracmcr. 

Von  Deinen  Angelegenheiten  hier  verlautet  nichts.  — 
E.^)  ist  bis  10.  Sept.  in  Ferien.  —  Auch  meine  Sache  rückt 
nicht  und  ich  fange  an,  zweifelhaft  zu  werden.  Dem  Warte- 
geld gehe  ich  aus  dem  Wege;  den  1.  Oktober,  wenn  nichts 
dazwischen  kömmt,  reise  ich  nach  Rom.  Es  wird  diossmal 
keine  Vergnügungspartie;  Arbeit  und  Studium  hängt  ge- 
nug daran. 

(Per  parenthesin:  Kannst  Du  mir  etwa  die  10  Thlr., 
womöglich  per  Geldbrief,  zurückgeben?  Ich  muss  meine 
Streitmacht  diessmal  sehr  zusammenhalten.  Geht's  nicht, 
nun  in  Gottes  Namen.) 

Wie  lange  ich  im  bessern  Jenseits  bleibe,  weiss  ich 
nicht;  vielleicht  nur  3  Monate,  vielleicht  ein  Jahr.  Ich  entsage 
natürlich  für  diese  Zeit  dem  Wartegeld  und  nütze  mich 
auf  diese  Weise  nicht  an  den  Arbeiten  eines  Untor- 
unter-Commis  ab,  welche  bei  der  jetzigen  Lage  der  Dinge 
wahrscheinlich  zu  gar  nichts  führen  würden.  Du  ver- 
stehst schon. 

Nun  sei  nicht  böse  wegen  des  Obigen,  grüsse  Directrix 

herzlich  von   mir  und   sei   1000  mal   gegrüsst  von  Deinem 

getreuen  _,    . 

*  E  minus. 

Ich  wohne  noch  immer  Wilhelmsstrasso  41,  parterre. 


Der  reiche  Gedanken-  und  Gofühlsaustausch  der  zwei 
bedeutenden  ziolbewussten  Männer  hatte  hiermit  den  Schnitt- 
punkt erreicht,  wo  ihre  Lebonskreiso  sich  schieden.  Burck- 
hardt  massto  eben,  seiner  innersten  Natur  gemäss,  Revolu- 
tionäre —  nicht  verwerfen  noch  missachten,  über  meiden, 
wie  er  denn  auch  z.  B.  in  seiner  Züricher  2joit  auf  die  Be- 
rührung mit  der  Grösse  eines  Gottfried  Sem  per  und  Richard 
Wttguer  standhaft  (oder  triebhaft)  verzichtet  hat.  lieber  diesen 
elementareo  Zag  in  seinem  Wesen  hat  Treffendes,  ja  Ab- 
schliessendes J.  V.  Widmann  bemerkt  im  Bernor  „Bund" 
(Feuilleton  v.  80.  4.  99). 

Ho  wird  man  aaob  für  jene  seine  „Aufzeichnung*'  viel- 
leicht das  gerechte  Vent&ndnis  finden,  welclio  —  volle  vier- 

')  Eicbborn,  der  Minikter. 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Johanna)  Kinkel.        i^q 

zig  Jahr  später  verfasst')  —  den  symphonischen  Klängen 
des  obigen  Briefwechsels  die  Coda  anschliesst:  das  ist  nicht 
Epilog,  sondern  Nekrolog  einer  frühen  Liebe,  keineswegs 
in  elegischen  Molltönen  gehalten. 

Die  ebendort  eingeflochtene  schroffe  Absage  an  poetische 
Versuche  und  Ansprüche  seiner  Jugendjahre  (S.  732)  sollte 
nun  freilich  wohl  Bedenken  wecken,  hier  die  oben  (in  der 
Einleitung,  Anm.  6)  verheissene  Uebersicht  über  Burck- 
hardts Beiträge  zu  den  Jahrgängen  des  „Maikäfer" 

—  soweit  noch  feststellbar  —  nachfolgen  zu  lassen.  Indessen 
mag  uns  gegen  den  Vorwurf  der  Impietät  die  Tatsache 
schützen,  dass,  obwohl  seine  letztwillige  Verfügung  (s.  oben 
S.  729)  nicht  einmal  ein  biographisches  Andenken  an  seine 
Person  erlauben  wollte,  dennoch  sein  dankbares  Vaterland  ein 
solches  als  höchste  Ehrenpflicht  erachtet  und  geschaffen  hat. 
Auch  darf  wohl  auf  H.Trogs  ,,biographische  Skizze",  als  Ganzes 
wie  insbesondere  auf  S.  43,  61,  64—67  verwiesen  werden. 

Soweit  es  mir  ermöglicht  worden  ist,  jene  Jahrgänge 
durchzusehen,-)  haben  sich  folgende  egavoi  feststellen  lassen: 

1841. 
a)  Zwölf  Gedichte,  betitelt: 
Haiborstadt  —  Abendstern  —  Sie  sprach  —  Festgedicht  (zur 
Krönung  Ferdinands  I.,  Königs  von  Lombardien  und  Venedig) 

—  Lied  voui  Flohen  —  Unterlivinien  —  Zwei  Spiegelrätsel 

')  J.  Ocri  hat  sie  iu  dem  „Grenzboten"  v.  30.  3.  99  (=  58.  Jgg.  No.  13, 
S.  731)  zur  Abwehr  veröfTeutlicht.  Zu  B.'s  dortiger  Bemerkung,  K.  habe  sich 
ihm  1866,  nach  seiner  Rückkehr  aus  England,  genähert,  erfolglos  bemüht, 
„auf  alle  Weise  das  alte  Verhältnis  zu  erneuern",  stimmt  die  von  K.'s  Witwe 
mir  gemachte  Mitteilung:  ,,IC  führte  seit  1851  ein  Briefbuch,  in  dem  jeder 
Eingang  und  Abgang  vermerkt  ist.  Der  Briefwechsel  zwischen  ihm  und  B. 
verstummt  von  1847  —  67;  nicht  einmal  ein  Wort  des  Trostes  bei  Johanna's 
Tode  (1858)  findet  sich".  Und  was  ich  selbst  an  Briefartigem,  aus  dem  nächsten 
Jahrzehnt  stammend,  etwa  noch  gesehen,  waren  nur  unbedeutende,  kurze  Billets. 

*;  a.  1898,  in  der  Wohnung  der  Frau  Prof.  Kinkel,  in  der  kurzbemes- 
senen Frist  einiget  Stunden.  Die  greise  Dame  wachte  über  diesem  Schatze 
mit  begreiflicher  Aengstlichkeit,  seit  ihr  die  zwei  letzten  Bände  der  M.-K.- 
Bibliothek  (die,  Mitte  1840  beginnend,  bis  1847  fortgeschritten  war),  , .entführt" 
worden  waren.  Uebrigeus  soll,  wie  ich  später  erfuhr,  nach  mir  noch  Prof. 
Ludwig  Geiger  (der  Ueberarbeitcr  der  „Kultur  der  Renaissance")  gelegentlich 
haben  Einsicht  nehmen  dürfen;  wieweit  er  sie  hat  verwerten  können,  ist  mir 
unbekannt.  Zum  Kopieren  der  einzelnen  Beiträge  reichte  die  Tnir  gegönnte 
Zeit  leider  nicht  aus. 


I^O  Rudolf  Meyer- Kracracr. 

—  Genua  —  Sie  schläft  —  Reiselust  —  Biaska  in  Unter- 
livinien  —  Pallast  Doria. 

b)  In  antiken  Massen:  Fiesole. 

c)  Romanzen :  Die  alte  Anna  —  Die  "Waldeskönigin  — 
Nach  der  Schlacht  bei  Austerlitz. 

1842. 

a)  Acht  Gedieh t«,  betitelt: 

Das  sind  die  Glocken  vom  Dom  —  Eibstrom  —  Romanze 
vom  neuen  Don  Juan  —  Der  See  im  "Walde  —  Vom  vollen 
Mau  —  Ostende  —  Ticino  —  Im  Agnothal. 

b)  Stück:  Von  Jobsen  und  Huss. 

c)  Roman:  Vom  Candidaten  Schnipselius. 

1843. 

a)  Drei  Gedichte: 

Weissenfels,  vor  Müllners  Hause  (24.  III.)  —  polemisiert 

gegen  dessen  „Schuld". 
An  H.  S.  (Gotha,  28.  III.,  auf  der  Terrasse  des  Schlosses)  — 

Schmerzerinnerung  an  eine  „Liebe'*  (vom  28.  III.  41)  in 

Leipzig. 
Vor  dem  Dom  zu  "Worms  (3.  IV.)  —  eine  Vision  (Chriem- 

hild,  Brunhild;  Germania,  Gallia;  schliesslicher  Sluvensieg!) 

b)  Varia:   Einleitung  zu   einem    projektierten  M.  K.- 
Drama „Simsen"  nebst  Parabase  (Bonn,  25.  IV.) 

Strassburger  Gedicht  vom  Loch  (18.  IL)  —  Spott  über  Eich- 
horn und  Bimsen. 

Historische  Notiz  über  den  Lallekünig  —  die  Blochiiinsko 
über  dem  heimischen  Rheiutor,  1830  abgebrochen. 

Cand.  Scbnipselii  Leben  (Fortsetsung). 

Oonfetsio  Angustana  (Gedicht;  Roise-Tagebucbblatt  von 
1889!) 

Napoleons  Tiioh  (Gedieht). 

KuDststudioD  im  Loa  vre  (Auf.  Aug.  1848,  ans  Parit:  Ober 
Marillo.  Der  Schluat  eifert  gegen  Overbeckt  matte  Gbrist- 
iichkoit,  „Einfalt  und  (^ottteligkeif^  in  malerischen  Dingen. 
Dazu  eine  Vignette  —  eigenhändige  Zeichnung:  „lo  grand 
uecalior  du  LottTre**). 


Briefe  Jakob  Burckhardts  an  Gottfried  (und  Jobanna)  Kinkel.        icj 

An  Torstrick  (Gedicht;  Paris,  Aug.  43:  „Auch  uns  erschien 

im  Traum  der  Gott  der  Zeit*  etc.) 
Der  Saltimbanc,  Stück  (HaUmke  und  Richter). 
Femme  amante,  Stück. 

1844. 
Sechs  Gedichte: 

„Heut'  ists  ein  Jahr"  (fUr  den  22.  IIL:  Trennung  von 
den  Freunden  und  der  „Jugend^,  Komitatstag  von  Berlin). 

„Weiss  nicht,  ists  'ne  Spanierin"  (Paris). 

Ronen  (26.  Aug.  43,  spät.:  „Ruhig  fliesst  die  grüne  Seine"). 

Paris,  auf  dem  Are  de  l'Etoile  {jiimcoxe  BaßvXojv  i)  jueydXi], 
Apocal ;  „Das  ist  der  Buhlerin  verwegne  Abendstunde".  l.II. 

(Basel):  „Warum  wohl  spricht  er  stets  von  äussren 
Dingen?-^ 

(Basel):  „Tief  liegt  der  Schifferkahn  im  Meeresgrunde". 

1845  (vaeat). 

1846. 

(„Gedichte  aus  Italien,  1846  von  B.  eingesandt":  mit 
dieser  Beischrift  von  Kinkels  Hand  fanden  sich,  in  J.  1843 
eingelegt,    noch   folgende   sechs,  nur  geographisch  betitelt)^ 

Rom,  2.  April  46  —  St.  Gotthard  —  Genua  —  Der 
Krüppel  von  Livorno  —  Monte  Argentaro  —  Auf  dem 
Aventin  (11.  V.  46). 


Benno  Schwabe  &  Co.,  Verlag,  Basel 


In  unserm  Verlage  sind  ferner  erschienen: 

Jacob  Burckhardt,  Vorträge  (1844—1887),  im  Auftrage  der 
Historischen  und  Antiquarischen  Gesellschaft  zu  Basel 
herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Emil  Dürr.  3.  Auflage. 
Gr.  8°,  XVI  u.  484  Seiten.  In  Ganzleinenband  Fr.  24.—, 
in  Halbpergament  Fr.  28. — . 

Unverkürzte  wohlfeile  Ausgabe.    Gr.  8°,  XVI  und  338 

Seiten.    In  Ganzleinenband  Fr.  10.—. 

Erinnerungen  an  Rubens.  Von  Jacob  Burckhardt.  Mit  einer 
kurzen  Autobiographie,  einem  Porträt  und  Faksimile. 
XII  und  296  Seiten.    3.  Auflage.    Gebunden  Fr.  8.40. 

Briefe  Jacob  Burcktiardts  an  seinen  Schüler  Albert  Brenner. 

Gr.  8",  24  Seiten.    2.  Auflage.     Fr.  1.50. 

E  Hämpfeli  Lieder.  Baseldeutsche  Gedichte  von  Jacob 
Burckhardt.    26  Seiten.    Kart.  Fr.  2.—. 

Ferien.  Eine  Herbstgabe.  Gedichte  von  Jacob  Burckhardt. 
38  Seiten.    Kart.  Fr.  2.—. 

Jacob  Burckhardt.  Persönlichkeit  und  Jugendjahre.  Von 
Otto  Markwart.  Mit  19  Lichtdrucktafeln.  Gr.  8«,  XII 
und  402  Seiten.  In  Ganzleinenband  Fr.  20.—,  in  Halb- 
leder Fr.  26.—. 

(Die  Vollendung  der  Jacob  Burckhardt-Biographie 
wurde  Herrn  Prof.  Dr.  Emil  Dürr  in  Basel  übertragen.) 


In  Vorbereitung  befinden  sich: 
Jacob  Burckhardts  Briefe  an  die  Brfider  Schauenburg. 

Josef  Oswald,  Drei  unbekannte  Aufsätze  Jacob  Burckhardts 
aus  Paris  und  Mailand. 


X 


M 

O  Od 

Ci 


o 
o 
Ha 

J 


Ol 


mi 


1 


Ä 
% 
n 


ö 

C3 


5 


cd 

(U 
•rl 
U 


o 

a      s 


University  of  Toroni 
Library 


DO  NOT 

REMOVE 

THE 

CARD 

FROM 

THIS 

POCKET 


Acme  Library  Card  Pockel 
LOWE-MARTIN  CO.  UMIT