Skip to main content

Full text of "Briefe von und an Joseph Joachim"

See other formats


'The  search  for  truth  even  unto  its  innermost  parts*' 


In   Honoi    of 

Mr.  and  Airs.  Herman  A.  Mintz 
on  their  40th   Wedding  Anniversary 

The  Gift  of 
Several  Friends 


The  National  Women's  Committee 
of  Brandeis  University 


Mut 


^^fi 


^ 

BRARY 


/  . 


Joseph  Joachim  1867 

Nach  dem  Gemälde  von  G.  F.  Watts 

ll'ith  permhsion  of  Mr.  Frederick  Hollyer,  London 


BRIEFE 

VON  UND^AN 

JOSEPH    JOACHIM 

Gesammelt  und  herausgegeben 

von 
JOHANNES    JOACHIM 

und 
ANDREAS   MOSER 

Zweiter  Band:  Die  Jahre  i858  — 1868 
Mit  sieben  Bildbeilagen 


Verlegt  von  Julius  Bard  in  Berlin 
1912 


m" '- 

BROUDE  BROS, 

M  u  s  i  c 

NEW  YORK 

i 

Mm4^  iHifO-  >f:'.S- 


.,^0,  C<',\\\.'^G1  ulcitvAttf 


v*'t?'^tSEm'"'ru,<o 


Gedruckt  von  der  Spamerschen  Buchdruckerei  in 
Leipzig.  Eine  einmalige  F^orzuqsausqabe  von 
hundert  Exemplaren  wurde  auf  van 
Gelder-Bütten  abgezogen^  nume- 
riert und  mit  der  Hand  in 
Maroquin  gebunden 


123674 


VORWORT 

Auch  für  den  zweiten  Band  hatten  wir  uns 
von  manchen  Seiten  freundwiUiger  Unter- 
stützung zu  erfreuen,  für  die  wir  uns  zu  leb- 
haftem Dank  verpflichtet  fühlen.  Besonders  her- 
vorgehoben seien  die  Herren  Prof.  D""  Bernhard 
Scholz  in  Florenz,  Prof.  D*"  Max  Bruch  in  Frie- 
denau  und  Prof.  Y}^  Ernst  Rudorff  in  Groß- 
Lichterfelde ,  sowie  abermals  Fräulein  Marie 
Schumann  in  Interlaken,  der  wir  auch  die  beiden 
Bendemannschen  Zeichnungen  von  Clara  Schu- 
mann und  Joachim  verdanken,  die  hier  mit  güti- 
ger Erlaubnis  des  Sohnes  des  Künstlers,  Exz. 
von  Bendemann  in  Haiensee  reproduziert  sind. 
Das  Bild  von  Joachims  altem  Leipziger  Lehrer, 
dem  Magister  Hering  in  seinem  Arbeitsstübchen 
auf  der  alten  Pleißenburg,  über  den  der  Brief  an 
Herman  Grimm  vom  20.  Mai  1860  ausführlich 
handelt,  bringen  wir  mit  freundlicher  Erlaubnis 
des  Malers  Herrn  Lärnrnel  in  Leipzig,  die  Büste 
Amalie  Joachims  von  Elisabeth  Ney  nach  einer 
Photographie  von  Fräulein  Johanna  Eilert  in 
Berlin.  —  Von  der  Katzensymphonie  Schwinds 
gibt  es  mehrere  Fassungen:  eine  im  Besitz  von 
Herrn  D"^  Theodor  Demmer  in  Frankfurt  a.  M. 
(vgl.  O.  Weigmann,  Schwind,  1906,  S.  4^3),  eine 
zweite  in  der  Kgl.  Kupferstichsammlung  in  Mün- 


VIII  Vorwort 

chen;  die  diesem  Bande  beigefügte  wurde  s.  Z. 
vom  Künstler  an  Joachim  geschenkt  und  gehört 
jetzt  seiner  Tochter  Frau  Josepha  Fels  in  Basel. 
Auf  der  Rückseite  steht  von  Schwinds  Hand: 
„Le  chat  noir  /  Concert  Symphonie  /  pour  le  / 
Violon  /  dedie  h.  Monsieur  Joachim  de  Kitsee  / 
Debüt  en  composition  musicale  /  dun  membre  / 
de  l'ordre  sublime  du  chat  noir.  /  Nouveau 
Systeme  de  notes".  / 

Göttingen  und  Berlin,  im  April  1912. 

Die  Herausgeber. 


JOSEPH  JOACHIMS  BRIEFE 
ZWEITER   BAND 

VVVVVVVVVVVVlMMM*VVVVVVMVVVVVVVVV\VlVVVVVVVV\VV\VVVV\VWr\\V\\^ 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  3.  Januar  i858.] 

Liebe  Frau  Schumann 

Wie  vieles  giebt  es  auf  Ihre  ausführhchen  und  freund- 
schafthchen,  beghickenden  Zeilen  zu  schreiben! 
Und  doch  werde  ich  mich  heute  schon  damit  begnügen 
müssen,  nur  das  Nöthigste  zu  sagen.  Die  Zeit  vor  Post- 
schluß ist  nicht  mehr  lang.  Vorgestern,  am  ersten  Tag 
dieses  Jahres,  da  wollt'  ich  eigentlich  zu  gutem  Anfang  mich 
mit  einem  Brief  an  Sie  erquicken  —  aber  Johannes  kam 
gerade  in  den  INachmittagsstunden,  das  war  freilich  auch 
sehr  schön.  Leider  gieng  er  nach  drittehalb  Stunden  weiter; 
er  wollte  gern  seine  Eltern  an  dem  Tag  erfreuen  —  da 
konnte  der  Freund  nichts  dagegen  ausrichten.  Er  war  aber 
prächtig  frisch,  und  wir  dürfen  uns  wohl  mit  dem  Ge- 
danken schmeicheln,  daß  Johannes  nun  bei  seinem  klugen, 
tüchtigen  Sinn  einen  guten  Anfang  zu  unbesorgter  Existenz 
in  Detmold  gelegt  hat.  Große  Freude  hat  mir  eine  neue 
Umarbeitung  des  ersten  Concert-Satzes  ^)  von  Job.  gemacht. 
Es  sind  wunderschöne  Ruhe-  und  Verbindungs-Stellen  hin- 
zugekommen, mit  denen  auch  Sie  gewiß  zufrieden  sein 
werden.  Namentlich  ist  das  zweite  Thema  breiter  und 
wohlthuender  geworden.  Nur  fast  zu  reich  scheint  mir  jetzt 
das  Ganze.  Das  ist  aber  ein  guter  Vorwurf!  Wie  sehr  liegt 
meine  ganze  Hoffnung,  Neues  und  Schönes  in  der  Musik 
zu  erleben,  auf  meinem  lieben  Freund !  Es  ist  wirklich  eine 
entsetzliche  Dürre  unter  den  jüngsten  Kunst-Erscheinungen. 
Reinecke  hat  ein  Violin-Concert  geschickt  —  so  gewöhn- 
lich,  so  manchmal  sogar  ungeschickt   klingend,   wie 

^)  des  D  moU-Konzerts. 


An  Clara  Schumann 


ich's  von  einem  so  routinirten  Componisten  nie  erwartet 
hätte. 

Wie  kommen  Sie  nur  darauf,  nach  Richard  Wurst  zu 
fragen  ?  Ich  muß  nur,  damit  ich  den  uninteressanten  Mann 
nicht  vergesse,  gleich  sagen,  daß  ich  aus  der  letzten  Zeit 
von  seinen  Werken  nichts  kenne.  Vor  vielen  Jahren  hörte 
ich  Quartette  und  eine  Ouvertüre  von  ihm,  wie  sie  eben 
ein  viel  schreibender  Musikus  aus  Spohr'schen  und  Mendels- 
sohn'schen  Reminiscenzen  mit  einigen  farblosen  eigenen 
Verbindungsfäden  zusammenwirkt.  Über  eine  neue  Sinfonie 
von  ihm  habe  ich  von  Stern  u.  A.  wenig  Lob  vernommen, 
desto  mehr  Klage  über  Langeweile  dabei.  Stern  war  zur 
9^*""  Sinfonie  hier,  mit  seiner  Schwägerin  Jenny  Meyer,  die 
auch  dabei  mit  half.  Die  Orchester  Partie  hatte  ich  nie  so 
gut,  den  Chor,  der  nicht  zahlreich  aber  sehr  correkt  war, 
nie  besser  gehört.  Nur  die  Soli  ließen  zu  wünschen  übrig. 
Aber  dennoch  war's  erhebend,  und  Sie  müssen  mir  schreiben, 
wann  Sie  wohl  hieher  zu  kommen  gedenken,  damit  ich  für 
die  Zeit  die  beabsichtigte  Wiederholung  der  Sinfonie  ein- 
zurichten suche;  Sie  müssen  sie  von  der  hiesigen  Kapelle 
hören,  und  ich  muß  die  Freude  haben,  daß  ich  Sie  ein- 
mal dabei  als  Zuhörerin  denken  kann,  wenn  ich  sie  dirigire. 
Ach  warum  sind  nur  so  wenig  Menschen  im  Stand  die 
Seligkeit  aufzunehinen,  auch  nur  auf  Momente,  die  Beet- 
hovens Geist  ausstrahlt.  Es  ist  so  schön,  unbedingt  zu 
glauben  —  und  wahrlich  ihm  verdankt  man  es,  von  der 
ersten  Note  auf  die  Höhe  reiner  Hingebung  gehoben  zu 
werden.    Lauter  Reinheit  und  Kraft! 

Und  da  soll  man  dann  Geduld  haben,  wenn  man  hin- 
terher die  Esel  sich  herumstreiten  hört,  ob  auch  der  Stand- 
punkt des  „letzten"  Beethoven  nicht  schwindelerregend, 
und  die  Nahrung,  die  darauf  w  ächst,  eine  gesunde  sei.  Frei- 
lich lauter  Morast  mit  Disteln  für  solche  Menschesel  hat 
der  freie  Beethoven  auf  seinen  Zügen  in  die  frische  Berg- 
luft nicht  aufgesucht.  Doch  verzeihen  Sie  mein  unwillkühr- 


An  Clara  Schumann 


lieh  Schimpfen  —  wenn  Sie  kommen,  dann  wollen  wir  uns 
ungetrübt  freuen,  ohne  diese  Töne,  und  Freudenvollere 
anstimmen. 

Dietrich  ist  seit  einigen  Tagen  hier  und  singt  mir  viel 
Schumannsche  Lieder,  die  er  fast  alle  auswendig  weiß. 
Wie  er  schrieb,  hat  ihn  die  „Sehnsucht"  hieher  getrieben; 
aber  ich  glaube,  das  will  bei  D.  nicht  so  ganz  viel  sagen 
—  obwohl  ich  ihm  gewiß  in  der  Verbindung  mit  der 
Düsseldorfer  Zeit  eine  angenehme  Erinnerung  sein  mag. 
Er  ist  ein  herzlich  guter  IVIensch,  vor  dessen  musikalischem 
Können  man  denn  doch  Respekt  haben  muß,  namentlich 
im  Vergleich  zu  den  hannoverschen  Musikern.  Ein  neues 
Quartett  von  ihm  aber  ist  freilich  nicht  melodisch  bedeu- 
tend genug,  um  nachhaltig  zu  erfreuen.  Wehner  hat 
gestern  den  Paulus  hier  aufgeführt  und  so  dirigirt,  daß 
nur  das  beständige  Markiren  erster  Takttheile  von  Seiten 
des  braven  Orchesters  die  Sache  vom  fortgesetzten  Um- 
werfen zurückhalten  konnte.  Ich  hätte  nie  gedacht,  daß 
ein  Dirigent  im  Stande  wäre,  die  vortrefflichsten  Sing-  und 
Instrumental-Kräfte  so  total  zu  lähmen.  Der  König  war 
entzückt  von  der  Aufführung  und  hat  eine  Wiederholung 
befohlen.  Wenn  ich  meine  Stelle  nicht  ganz  aufgebe,  so 
erbitte  ich  mir  jedenfalls  den  Urlaub  nach  Rom  aus. 
Schreiben  Sie  nur  vorher  hin  und  theilen  Sie  mir  das 
Resultat  der  Anfrage  mit.  Zu  binden  braucht  man  sich  ja 
doch  nur  einige  Monate  vorher,  nicht  schon  jetzt. 

Ich  hoffe,  Sie  lassen  mich  immer  Ihre  Schweizer  Adres- 
sen wissen;  gebe  der  Himmel  auch  diesmal  gleich  reichen 
Segen  wie  das  vorige  Mal  für  Ihren  Haushalt. 

Für  heut,  verehrte  Freundin,  mit  herzlichem  Gruß 

der  Ihrige 

Joseph  J. 


Von  Clara  Schumann 


Von  Clara  Schumann 

Stuttgart  d.  26.  Jan.  [i8j58. 

Ist  es  doch,  als  hinge  es  an  tausend  Ketten,  ehe  ich  ein- 
mal wieder  dazu  komme,  Ihnen,  liebster  Joachim,  einen 
Gruß  zu  senden.  Wie  habe  ich  mich  über  Ihren  letzten 
Brief  gefreut,  aber  wie  hat  er  auch  meine  Sehnsucht 
wieder  erregt!  Welch  ein  paar  schöne  Stunden  mögen  Sie 
mit  Johannes  wieder  verlebt  haben  —  hätte  ich  können 
unter  Euch  sein!  —  Und  wie  viel  ferner  rücke  ich  jetzt 
wieder!  Morgen  reise  ich  ab  nach  Basel,  dort  bleibe  ich 
einen  Tag,  gehe  dann  direct  nach  Genf,  vielleicht  schwimme 
ich  gerade  auf  dem  Genfer  See,  wenn  Sie  diese  Zeilen  er- 
halten. Wie  graut  mir  mit  meiner  Musik  unter  den  Fran- 
zosen! auf  die  Berge  aber  im  Winterschmuck  freue  ich 
mich,  jubeln  werde  ich,  wenn  ich  sie  auf  dem  Rückwege 
sehe  .  .  . 

Ich  habe  mich  in  der  letzten  Zeit  mehr  mit  Ihnen  be- 
schäftigt, als  Sie  wohl  ahnen.  Es  wurde  mir  nämlich  der 
Antrag  gestellt,  hierher  zu  ziehen,  um  als  Lehrerin  am 
Conservatoire  zu  wirken,  gegen  einen  fixen  Gehalt,  und 
als  ich  gesprächsweise  äußerte,  daß  ich  mich  dazu  schwer 
entschließen  würde,  weil  mir  dadurch  gänzlich  die  Aus- 
sicht genommen  würde,  mit  Ihnen  in  einer  Stadt  leben  zu 
können,  wozu  ich  in  Berlin  doch  immer  Hoffnung  hätte, 
so  versicherte  man  mich,  daß  man  Alles  aufbieten  werde, 
auch  Sie  hierher  zu  ziehen,  indem  so  die  erste  Capell- 
meisterstelle  noch  nicht  wieder  besetzt  sey  etc.  Was  ist  mir 
da  Alles  durch  den  Kopf  gefahren,  auch  wieder  mit  Jo- 
hannes, Conservatorium  in  Hannover,  wobei  mir  immer 
der  Genuß  des  herrlichen  Orchesters  vorschwebt  —  ein 
Chaos  von  Gedanken!  wir  müssen  bald  darüber  sprechen, 
es  rückt  doch  die  Zeit  immer  näher,  wo  ich  suchen  muß, 
eine  feste  Stellung  zu  gewinnen;  ich  will  auch  Alles  gern 


Von  Hans  v.  Bronsart  5 

thuen,  will  fleißig  arbeiten,  aber  nur  da,  wo  ich  mit  Euch 
leben  kann,  wo  Ihr  mit  Rath  und  That  mir  beisteht,  mich 
erhebt  durch  Eure  Musik  und  zum  Selbst -Studium  be- 
geistert durch  Tadel  und  Lob.  Jetzt  lächeln  Sie,  denn  es 
fallen  Ihnen  wohl  meine  zuw eiligen  Thranen  ein,  es 
schadet  aber  nichts,  gerade  der  Tadel  ist  unschätzbar,  der 
ächter  Freundschaft  entspringt,  und  hat  mich  schon  manche 
Stufe  vorwärts  gebracht. 

Ihre  Beschreibung  der  9""'  war  herrlich,  ach  könnten 
Sie  sie  wiederholen,  daß  ich  sie  hörte!  ich  denke,  in  3 — 4 
Wochen  kann  ich  Ihnen  Bestimmtes  über  den  Beschluß 
meiner  Reise  sagen,  vielleicht  können  Sie  in  Hannover  es 
arrangiren,  daß  ich  recht  Schönes  höre  —  ich  lechze  darnach. 

F'ür  Ihren  Bericht  über  Wurst  danke  ich  Ihnen,  meine 
Anfrage  geschah  zu  Gunsten  Rieter's,  ich  habe  aber  natür- 
lich Ihres  Namens  mit  keiner  Sylbe  erwäht.  Nota  bene: 
Johannes  schreibt  mir,  daß  Sie  Ihre  Heinrich  Ouvertüre 
doch  nicht  drucken  lassen  wollen?  ist's  so? 

Warum  sind  Sie  nicht  nach  Hamburg  ^)  gegangen  ?  waren 
Sie  wirklich  krank?  etwa  auch  die  Grippe?  bitte,  lassen 
Sie  mich  darüber  wissen,  ich  bin  immer  besorgt,  wenn 
Sie  unwohl  sind,  weil  Sie  Sich  immer  so  langsam  wieder 
erholen,  und  doch  keine  rechte  Pflege  haben,  auch  sich 
nicht  schonen  .  .  . 


Von  Hans  V.  Bronsart 

Weimar  8.  Febr.  [i8]58. 

Hochverehrter  Herr ! 

Die  Bitte  des  Herrn  Bärmann,  ihm  einen  Brief  an  Sie 
mitzugeben,  erinnert  mich  daran,  daß  es  längst  mein 
Vorsatz  war,  Ihnen  zu  schreiben,  und  ich  erfülle  seinen 

^)  J.  hatte  dort  am  14.  mit  Brahms  in  Ottens  neubegründetem  „Ham- 
burger Musikverein"  spielen  sollen. 


Von  Hans  v.  Bronsart 


Wunsch  mit  um  so  größerer  Freude,  als  ich  dadurch  zu- 
gleich Gelegenheit  habe,  Ihnen  einen  vortrefflichen  Pianisten 
zu  empfehlen  und  auch  mich  in  Ihrer  Erinnerung  wieder 
wach  zu  rufen.  Herr  Bärmann  wird  sich  am  besten  selbst 
empfehlen,  wenn  Sie  ihn  an  Ihren  Flügel  führen;  Liszt, 
dessen  Schüler  er  seit  einem  Jahre  ist,  nennt  ihn  Pruckner 
den  Zweiten.  Er  wünschte  sehr,  am  Hofe  zu  spielen  —  ich 
habe  ihm  gesagt,  daß  er  insofern  wenig  Aussicht  dazu 
hätte,  als  meines  Wissens  Jaell  in  den  nächsten  Tagen  in 
Hannover  eintreffen  würde;  sollte  es  Ihnen  dennoch  mög- 
lich sein,  seinen  Wunsch  zu  erfüllen,  so  würde  er  Ihnen 
unendlich  dankbar  sein. 

Von  mir  kann  ich  Ihnen  insofern  wenig  Erfreuliches 
mittheilen,  als  ich,  seit  wir  uns  in  Hannover  gesehen, 
durchaus  keine  Zeit  gefunden  habe,  um  irgendwelche  der 
Rede  werthe  Fortschritte  zu  machen  —  außer  daß  ich  Ge- 
legenheit hatte,  meine  Frühlingsfantasie  für  Orchester  6  mal 
in  Proben  und  2  mal  in  Aufführungen  zu  hören,  wobei 
ich  denn  Manches  gelernt  habe.  Im  Übrigen  aber  habe 
ich  mein  vagabondirendes  Leben  glücklich  angefangen  und 
muß  es  leider  Gottes!  diesen  ganzen  Winter  und  voraus- 
sichtlich bis  weit  in  den  Frühling  hinein  fortsetzen,  denn 
wahrscheinlich  schon  morgen  trete  ich  meine  Reise  nach 
Warschau  und  Petersburg  an.  Was  den  äußeren  Erfolg 
betrifft,  so  bin  ich  mit  meinen  Leipziger  Affären  ganz 
zufrieden;  ich  habe  ^md\  im  Laufe  von  4  Wochen  da- 
selbst öffentlich  gespielt  und  darunter  ein  eigenes  Concert 
gegeben.  Was  mir  dabei  von  besonderer  Wichtigkeit  ist, 
u.  mir  in  der  That  herzliche  Freude  macht,  ist,  daß  ich  in 
vieler  Beziehung  die  Spannung  gemildert  habe,  welche 
zwischen  den  musikalischen  Notabilitäten  Leipzigs  u.  der 
Weimarer  Schule  bestand  —  und  allerdings  zum  Theil 
noch  besteht;  besonders  habe  ich  den  Herren  auseinander- 
gesetzt, wie  ungerecht  es  ist,  Liszt  für  jedes  Wort  verant- 
wortlich machen  zu  wollen,  was  in  der  Brendelschen  Zeit- 


An  Ave-Lallemant 


Schrift  steht  u.  dergl.  Wenn  die  Künstler  überhaupt  erst 
auf  den  Standpunkt  kommen,  auf  das  Journalgeschvvätz 
Unberechtigter  und  Unberufener  nicht  mehr  zu  achten, 
dann  würde  Manches  besser  werden. 

Liszt  grüßt  Sie  herzhch;  ich  bitte  Sie,  mir  eine  freund- 
liche Erinnerung  und  Theilnahme  zu  bewahren. 

In  wahrer  Verehrung 


Ih 


An  Ave-Lallemant 


Hans  V.  Bronsart. 


[Anf.  März  i858. 


Lieber  Freund, 

Das  ist  ja  entsetzlich,  daß  Fianz  Schubert  in  seinen  alten 
Tagen  noch  eine  Censur  der  musikalischen  Republik 
passiren  muß!  Ich  hätte  es  Grund  weit  weniger  verdacht, 
wenn  er  gesagt  hätte,  meine  Instrumentation  wäre  schlecht, 
aber  die  Composition  ^)  ist  gut,  als  umgekehrt !  Nun,  wir 
beide  müssen  uns  trösten,  lieber  Herr  Ave!  Aber  damit 
Sie  sehen,  wie  ich  Ihnen  die  Sache  ganz  und  gar  nicht 
nachtrage,  so  mache  ich  Ihnen  und  mir  das  Vergnügen, 
Ihnen  unsere  Prima -Donna  Frau  Caggiati-Tettelbach^), 
welche  Ihr  nächstes  philharmonisches  Concert  mit  ihrem 
Gesang  verschönen  will,  vorzustellen.  Sind  Sie  schon  als 
Director  quasi  verpflichtet,  meiner  Empfohlenen  freund- 
lich zu  sein,  so  werden  Sie  als  musikalischer  und  liebens- 
würdiger Freund  Sich  doppelt  gerne  der  Dame  in  Hamburg 
annehmen  —  es  ist  eine  durch  und  durch  echte  Künstlerin, 
bescheiden  und  einfach  und  so  lebhaftes  Interesse  für  Alles 


^)  vgl.  den  Brief  von  Biahnis,  Briefw.  I,  S.  197. 

^)  vgl.  Fischer  a.  a.  O.  S.  182:  „Ida  C.  war  sehr  beliebt,  und  eine 
pflichttreuere,  opferwilligere  Sängerin  hat  die  hannov.  Oper  kaum  be- 
sessen.'' 


Von  Clara  Schumann 


in  der  Musik  Wahre  nehmend,  daß  für  mich  eine  rechte 
Freude  war,  mit  Frau  Caggiati  hier  näher  bekannt  zu 
^verden.  Sie  kannte  auch  Schumanns  schon  in  Dresden, 
und  theilt  unsere  Verehrung  für  die  herrhche  Frau  —  so 
also  daß  sie  in  mehr  als  einer  Beziehung  mit  Ihnen  Be- 
rührung für  die  Unterhaltung  finden  wird.  Brahms  wird 
Ihnen  wohl  meine  letzten  Grüße  gebracht  haben;  ich  füge 
neue  hinzu  und  werde  mich  freuen,  Sie  bald  einmal 
wieder  in  Hamburg  aufzusuchen,  wo  Sie  als  den  Alten  zu 
finden  hofft 

Ihr 

herzlich  ergebener 

Joseph  Joachim. 

Von  Clara  Schumann 

Stuttgart  d.  12.  März  i858. 

Lieber  Joachim, 
also  nach  6  Wochen,  die  ich  ohne  eine  Zeile  von  Ihnen 
blieb,  schreibe  ich  wieder  von  hier  aus!    Ihr  Schweigen 
hat  mir  weh  gethan,  obgleich  ich  es  ahnte,  da  Sie  mich 
so  eifrig  nach  meinen  Schweizer  Adressen  frugen! 

Von  Job.  fand  ich  gestern  bei  meiner  Rückkunft  aus 
der  Schweiz  einige  Zeilen,  wo  er  mir  u.  A.  schreibt,  daß  Ihr 
Beide  mit  einer  Probe  seines  Concertes  ^)  auf  mich  wartet ; 
ich  möchte  nun  gern  so  bald  als  möglich  genau  wissen, 
wann  die  Probe  sein  soll,  damit  ich  nach  Hannover  komme, 
bevor  ich  in  Berlin  war  .  .  . 

Mit  dem  Concert  von  Johannes  ist  mir  übrigens  Angst 
vor  den  Musikern!  erinnern  Sie  Sich,  mit  welchem  Un- 
willen sie  das  Conceit  Roberts  damals  begleiteten  —  wird 

^)  des  D  moll-Konzertes  von  Brahms,  das  am  3o.  März  in  Hannover  von 
Frau  Schumann  probiert  wurde;  das  Zirkular  Joachims  an  das  Orchester 
Brahms  Briefw.  I  S.  2o5  ist  also  auf  den  27.  März  zu  fixieren. 


An  Clara  Schumann  ;) 

es  bei  Johannes  besser  sein?  es  thäte  mir  um  Ihn  so 
schreckhch  leid,  müßte  er  Widerspenstigkeit  sehen,  wo 
er  mit  dem  frischen,  warmen  Herzen  eines  Componisten 
kommt !  —  ... 

Ich  habe  in  Genf  wieder  i4  Tage  völlig  unthätig  zu- 
biingen  müssen,  da  ich  dasselbe  Rheuma  wie  vorher  im 
linken,  so  jetzt  im  rechten  Arme  bekam.  Ich  saß  da  ohne 
alle  Zerstreuung,  ohne  Freund,  und  habe  recht  schwer 
gelitten.  Welche  Freude  wäre  mir  ein  Brief  von  Ihnen 
ein  Mal  gewesen !  ich  kann  mich  mit  aller  Mühe  gar  nicht 
recht  darüber  hinwegsetzen,  obgleich  ich  wohl  nicht  das 
Recht  hatte,  es  zu  erwarten,  wenn  Sie  nicht  selbst  in  mir 
die  Hoffnung  darauf  so  rege  gemacht  hätten. 

Nun,  lieber  Joachim,  seyen  Sie  sehr  gegrüßt!  Ich 
wünschte,  Sie  wüßten  es  nicht  so  gut,  wie  ich  Ihnen 
immer  dieselbe  getreue  Freundin  bin,  ich  hörte  dann  viel- 
leicht mehr  von  Ihnen,  freilich  aber  wohl  nicht  so  frei- 
willig als  jetzt.  So  wird  es  denn  wohl  immer  beim  Alten 
bleiben,  mit  Ihnen  wie  mit  mir, 

Ihrer 

Gl.  Seh. 


An  dieselbe 

[Hannover,  ay.  März  i858.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Da  die  Herren  der  Kapelle  in  dieser  Woche  gar  nichts 
zu  thun  haben,  so  werde  ich  ihnen  heute  Abend  den 
Dienstag  oder  Mittwoch  Vormittag  vorschlagen  und  morgen 
Ihnen  und  Johannes  das  Resultat  mittheilen.  Einen  vor- 
züglichen Flügel  von  Herz  aus  Paris,  im  Besitz  des  Herrn 
Kuhn,  werde  ich  zu  sichern  suchen.  Gelingt  es  mir  nicht, 
so  schreibe   ich   sogleich    an   Ritmüller,    der   dann   wohl 


10  Von  Herman  Grimm 

gleich  einen  sendet.  Julius  Otto^)  soll  dann  keinesfalls 
fehlen.  Es  thut  mir  sehr  leid,  daß  Sie  und  Johannes 
nicht,  wie  ich  vorschlug,  schon  in  voriger  Woche  kamen  — 
am  Freitag  hatte  ich  eigends  die  Concert-Probe  so  einge- 
richtet, daß  sie  kaum  über  eine  halbe  Stunde  dauerte  — 
alle  übrige  Zeit  hätten  wir  für  Johannes  gehabt,  und  es 
wäre  auf  den  besten  Willen  der  einmal  versammelten 
Orchester-Mitglieder  zu  rechnen  gewesen;  indeß,  denke 
ich,  es  soll  an  ihrem  guten  Willen  auch  in  dieser  Woche 
nicht  fehlen.  Gern  hätten  wir  Ihnen  auch  die  Bdur  Sin- 
fonie von  Schumann  vorgespielt;  sie  bildete  den  Schluß 
der  Concerte  und  ging  gleich  der  Manfred -Ouvert.  in 
einem  frühern  so  schön  wie  ich  sie  kaum  früher  gehört. 
König  und  Königin  baten  mich,  ihr  „Entzücken"  über  die 
Sinfonie  Ihnen  auszusprechen.  Daß  Sie  bei  Hof  spielen,  wenn 
Sie  hier  sind,  unterliegt  bei  der  Gesinnung  des  Königs  und 
seiner  Frau  für  Sie  gar  keinem  Zweifel.  Ich  werde  Ihr 
Kommen  der  Gräfin  Bernstorff  inorgen  mittheilen.  Apropos, 
ein  Brief  von  mir  mit  einem  Einschluß  der  letztern  nach 
Winterthur  muß  verloren  gegangen  sein;  Sie  erwähnen 
nirgends  davon.  Die  Passion  ist  „aufgehoben".  Wie  konnten 
Sie  und  Johannes  an  Bach  unter  Wehners  Leitung  ver- 
langend denken?  Es  wäre  eine  Passion  für  uns  geworden! 
Morgen  mehr.    Stets 

Ihr 

J.  J. 

Von  Herman  Grimm 

[Berlin]  Sonnabend  [3.  April  i858]. 
Lieber  Joachim 
heute  morgen  schickt  mir  die  Giesel  beifolgende  zwei  bücher 
für  dich  und  zwar  im  namen  der  Bettine,  die  dir  so  gern 

^)  J.  O.  Grimm  in  Göttingeii,  der  Schwiegersohn  des  dortigen  Klavier- 
fabrikanten Ritmüller. 


Von  Ferdinand  Hiller  ii 

das  sonnet  Beethovens  schicken  wollte  i)  und  dazu  ein  buch 
von  der  Giesel  bestellen  ließ,  das  dann  aber  zu  klein  aus- 
fiel, sodaß  du  nun  zweie  erhältst,  ich  hoffe,  es  kommt 
gerade  zum  ersten  ostertage  an.  die  Giesel  schreibt  mir, 
sie  hoffte  es,  da  sie  dächte,  es  würde  dir  freude  machen. 

Brahms  war  bei  mir,  hatte  aber  Bargiel  als  bundes- 
genossen  mitgebracht,  so  daß  wir  wenig  zusammen  reden 
konnten,  denn  man  muß  in  solchen  fällen  Bargiel  die 
freude  lassen,  niutter  zu  sein. 

es  geht  mir  recht  gut  und  ich  arbeite  zu  meinem  großen 
glücke  ordentlich  weiter,  es  wird  mich  wohl  den  sommer 
über  hier  halten,  ich  habe  einen  ganzen  packen  auf  der 
Seele,  lauter  flachs,  der  gesponnen  sein  will. 

schreib  mir  doch,  welches  deine  letzte  nummer  Wörter- 
buch ist,  es  liegen  hier  von  Schneider  für  uns  etzliche 
lieferungen. 

und  nun  lebwohl 

dein  Herman, 


Von  Ferdinand  Hiller 

Köln  5.  Apr.  [i8j58. 

Sie  erhalten  hier,  lieber  Freund,  eine  bunte  Sendung  — 
Händel,  Joachim,  Hiller  —  alles  durcheinander.  Indeß, 
da  Alles  Ihnen  gehört,  so  brauchen  Sie  nicht  viel  darin 
auszusuchen.  Ihre  Ouvertüre  zu  Heinrich  möchte  ich  hören, 
mit  dem  Lesen  ist  es  doch  bei  derartiger  Musik  kaum  eine 
halbe  Sache.  Daß  sie  viel  Interessantes  enthält,  scheint  mir 
sicher  —  vielleicht  zu  viel  davon.  So  wenig  Sie  mit  der  Zu- 
kunftsparthei  gemein  haben,  so  steuern  Sie  doch  auch  zu- 
viel auf  die  Intention,  u.  vielleicht  zu  wenig  auf  die  rein 
musikalische  Wiikung  los.    Und  nachdem  ich  doch  jetzt 

^)  vgl.  I  S.  23g;  J.  hatte  es  im  Dezember  i855  Bettinen  zurückgegeben, 
damit  es  W.  v.  Lenz  für  sein  Buch  über  Beethoven  mitgeteilt  würde. 


12  Von  Ed.  Remenyi 


so  mancherlei  habe  an  mir  vorüberziehen  sehen,  bin  ich 
überzeugter  als  je,  daß  die  Musik  vor  allem  u.  nach  allem 
Musik,  schöne  ausdrucksvolle,  möglichst  wohlklingende 
Musik  sein  müsse  —  und  daß  aller  Geist  u.  alle  Feinheit 
und  aller  Witz  nichts  helfen  ohne  jene  Grund-Lebensbe- 
dingung. Sie  wenden  mir  gar  zu  viele  Undecimen  u. 
Terzdecimen  Akkorde  u.  quasi  Orgelpunkte  in  den  Mittel- 
stimmen u.  dgl.  an  —  das  mag  Geschmackssache  sein  — 
aber  zu  viel  ist  ungesund  u.  man  kann  noch  eher  viel 
Rindfleisch  vertragen  als  viel  Trüffeln.  Nun  wir  plaudern 
hoffentlich  bald  einmal  mehr  hierüber.  Ich  bin  in  diesem 
Augenblicke,  nachdem  ich  4  Stunden  lang  Saul  gekla- 
vierauszugt  habe  noch  dummer  als  sonst  u.  sehe  kaum 
aus  den  Augen  .  .  . 

Von  Ed.  Remenyi 

Brighton  6.  April  i858. 
Carino ! 

After  so  long  an  expectation  alfine  carissimo  —  vous 
arriverez  —  grande  joie  dans  la  maison  —  große 
freude  im  hause  —  grande  gioja  nella  casa  —  great  joy 
in    the    house   —   nagy    öröm   a   hazba    —   und    noch    in 

mehreren  sprachen 

So  willkommen  denn,  Lindenrauschen  —  iger  Poet  — 
Abendglockist  —  Beethovenianer  —  Zukünftling  —  und  gebe 
acht  auf  deine  sante  —  und  komme  bald  —  weil  ich  schon 
wirklich  müde  bin  der  Sain tonischen  —  Sivorischen 
Clique  — 

Si  ä  ces  gens  jamais  j'ouvrirai  ma  porte 

Je  veux,  mes  enfants,  que  le  diable  m'emporte  (:  bis :) 

(:  Beranger :) 
Was  zu  viel  ist  —  ist  ungesund  —  und  diese  leute  sind 
wirklich  alles  —  alles  —  selbst  Stiefelputzer  —  nur  keine 
Musiker  — 


An  Clara  Schumann  i3 

Das  übrige  wird  im  klarerem  style  der  bruder  —  der 
Heinrich  1)  schreiben 

Addio  donc,  carino,  anima  bella  immortale 
Und  ich  bin  immer  derselbe  —  nur  etwas  besser 
ä  vous  de  coeur 

Remenyi  Ed. 
Magyar  ember 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  i5.  Apr.  i858.] 

Liebe  Frau  Schumann 

Eben  gelange  ich  in  Besitz  meiner  Londoner  Adresse, 
die  ich  denn  auch  gleich  mittheile;  23  Queen  Street, 
May  Fair.  Es  ist  bei  einem  Bäcker;  ich  laufe  also  wenig- 
stens nicht  Gefahr  zu  verhungern!  Piccadilly  ist  in  der 
Nähe,  damit  Sie  die  Lage  ungefähr  wissen.  —  Morgen 
spiele  ich  für  Sobolewskj  ^)  in  Bremen;  Dienstag  am  20"^" 
reise  ich  von  hier  ab,  am  21"^"  ist  Reineckes  Concert  in 
Barmen,  und  so  werde  ich  wohl  Freitag  Abend,  den  2  3''" 
bei  Mr.  Follet,  Baker,  23  Queen  St.,  May  fair  einziehen. 
Vielleicht  finde  ich  gar  bei  besagtem  Mann  ein  paar  Zeilen 
aus  der  Dessauer-Str.  vor;  das  wäre  ein  freundlich  Omen! 
War  es  nicht  schön,  daß  wir  wahrscheinlich  zu  gleicher 
Zeit  am  Tag  nach  meiner  Abreise  einander  schrieben? 
Die  schöne  Kette  3)  trage  ich  nun  als  doppelte  Erinnerung 
an  Sie  und  Johannes. 

Auch  der  wieder  geschenkten  Fantasie*)  freue  ich  mich, 
und   denke  sie  fleißig   zu  benützen.    Von  Job:   habe  ich 

^)  J's.  in  London  lebender  Bruder. 

^)  Ed.  S.,  Scliüler  v.  Weber,  i854 — 58  Theaterkapelhneister  in  Bremen 
•j*  1872  in  Amerika. 

^)  eine  Uhrkette  aus  Stahl,  wie  sie  auch  Brahms  als  Geschenk  von  Frau 
Schumann  trug.  (Vgl.  Brahms  Brfw.  I,  206.) 

*)  von  Schumann. 


i4  An  Julius  Otto  Grimm 

leider  noch  nicht  wiedergehört.  Unsere  Dubliner  Bekannten 
wollen  mich  vom  i4"^"  Mai  an  auf  eine  Woche  engagiren. 
Außer  den  4  Ella'schen  Concerten  hat  mich  auch  Pauer 
auf  zwei  Abende  gemiethet.  Nun,  wir  wollen  sehen,  wie's 
mir  gefällt,  wie  ich  gefalle,  und  ob  ich  aufs  nächste  Jahr 
vorbaue.  Am  27"""  spiele  ich  zum  erstenmal;  ich  denke  zu 
schreiben,  wie  es  ausgefallen  ist.  —  Gestern  war  der  liebens- 
würdigen Herrscherin  Geburtstag;  ich  hatte  die  Freude 
sie  aus  dem  Schlaf  mit  einem  Kinderstückchen  zu  musi- 
ciren,  und  sie  ist  wirklich  gar  so  gut,  daß  ich  es  sehr 
gern  that !  Gräfin  Bernstorff  wird  Ihnen  ja  wohl  geschrieben 
haben,  daß  die  Königin  ihren  Namen  gern  in  Ihre  Lieder- 
hefte eintragen  will.  Es  ist  mir  sehr  lieb,  daß  Sie  es 
wünschten.  Dies  sind  wohl  die  letzten  Zeilen  vor  Eng- 
land —  wünschen  Sie  mir  eine  sanfte  Fahrt!  Adieu,  ver- 
ehrte Freundin, 

von 

Ihrem 

Joseph  Joachim. 

An  Julius  Otto  Grimm 

[Hannover,  etwa  ly.  Apr.  i858.] 
Lieber  Ise 

Erstens  wollt'  ich  Dir  meine  Londoner  Adresse  auf- 
schreiben; 9.3  Queen  Street,  May-Fair,  London!  dann 
aber  auch  einliegenden  Brief  aus  üpsala  schicken,  damit 
Du  Dich  wie  ich  an  dem  Lebenszeichen  unseres  alten 
Schweden  ^)  und  der  beiden  jungen  freust.  Sende  ihn  mit 
meiner  Ouvertüre  vor  Montag  zurück;  Dienstag  geht's 
hastig  nach  London.  Bach  wird  nun  bald  nach  Göttingen 
übersiedeln.  Ich  bitte  Dich  inständigst,  lieber  Freund,  nimm 
Dich  seiner  Musikentwicklung  mit  Strenge  an.    Er  begreift 

^)  Lindblad  mit  seinen  Töchtern. 


Von  Clara  Schumann  i5 

gut,  aber  Ausdauer  und  Tiefe  fehlen  zu  Zeiten  sehr.  Da 
du  versprochen  hast,  ihm  Harmonie-  und  Compositions- 
Stunde  zu  geben,  so  darf  ich  Dich  wohl  auf  die  Noth- 
wendigkeit  aufmerksam  machen,  ihm  bestimmte  Aufgaben 
zu  Stelleu,  die  er  bis  zu  gegebener  Zeit  lösen  muß.  Wenn 
Du  Dich  wirklich  seiner  annimmst,  so  kann  ihm  der 
Aufenthalt  in  Göttingen  für  seine  Musikbildung  von  großem 
Nutzen  sein.  Lasse  ihn  Partituren  copiren,  Noten  schreiben, 
kurz  alles  thun,  was  ihm  Gewandtheit  geben  kann,  sie  fehlt 
ihm  noch  ganz;  so  hübsch  auch  seine  Geigentechnik  ge- 
fördert ist.  Verzeih,  daß  ich  so  ausführlich  bin,  aber  es 
würde  mir  nahegehen,  da  er  sich  so  vertrauend  mir  in  die 
Hände  gab,  wenn  der  liebenswürdige,  gute  Junge  durch 
mein  Fernsein  seine  Zeit  nicht  nützlich  verwendete,  und 
Du  bist  der  Einzige,  der  mich  ihm  wirklich  überflüssig 
machen  kann,  da  es  jetzt  mehr  auf  allgemein  musikalisches 
wie  auf  virtuoses  Forschreiten  bei  ihm  ankömmt.  Bitte 
schreibe  auch,  wie's  Deinem  Papa  geht,  küsse  Häuschen, 
grüße  Pinchen  und  Fräul.  Gathe  und  lebt  alle  wohl,  bis 
wir  uns  wiedersehen,  und  dann  mir  zu  lieb  womöglich 
noch  besser. 

Aufrichtigst 


der  Deine 


J.  J. 


Von  Clara  Schumann 

Berlin  d.  28.  April  i858. 

Liebster  Joachim, 

Daß  Sie  unsere  Grüße  nicht  bei  Ihrer  Ankunft  finden, 
schreiben  Sie  nur  dem  erwachenden  Frühjahr  zu,  das 
mich  seit  einigen  Tagen  in  solche  Trägheit  des  Körpeis  und 
Geistes  versetzt,  daß  ich  gar  Nichts  thuen  konnte.  Aber 
viel  sprechen  wir  —  Johannes  und  ich  —  von  Ihnen,  und 


i6  Von  Clara  Schumann 

heute  Nacht  soll  mein  Gebet  für  Sie  zum  Himmel  dringen, 
daß  er  Sie  glücklich  hinüber  führe.  Sie  sehen,  Johannes 
ist  wieder  hier,  er  überraschte  mich,  nachdem  ich  nach 
Ihrer  Abreise,  fünf  recht  sehr  einsame  Tage  verlebt  hatte; 
er  hatte  gemeint,  es  sey  doch  für  mich  gemüthlicher,  wenn 
er  hier  sey,  und  sehr  richtig.  So  ist  er  denn  also  noch  da, 
und  bleibt  wohl  noch  einige  Tage.  —  Ich  gehe  Mitte  Mai 
nach  Göttingen,  um  ein  Logis  zu  suchen,  nebenbei  viel- 
leicht eine  Soiree  zu  geben,  und  dann  geht's  nach  Wies- 
baden. Sobald  ich  dort  bin,  theile  ich  es  Ihnen  mit,  damit 
Sie  meine  Adresse  wissen ! ! ! 

Man  wird  Sie  bald  genießen  in  England  —  seyen  Sie 
nur  nicht  zu  gut,  schaffen  Sie  Sich  lästige  Besuche  vom 
Halse,  zu  große  Leutseligkeit  ist  in  London,  wo  es  der 
Leute  so  Viele  giebt,  nicht  angebracht.  Strengen  Sie  Sich 
auch  nicht  allzusehr  an  —  ich  kenne  das  Leben  dort.  Ich 
weiß,  Sie  werden,  müssen  gefallen,  nicht  weil  das  Publi- 
kum Sie  versteht,  aber  weil  es  den  herrlichen  Künstler 
ahnet,  wie  ich  denn  überhaupt  den  Publikum's  kein  weiteres 
Vermögen  zutraue.  Das  Höchste  in  der  Kunst  wirkt  mit 
unwiderstehlicher  Macht  und  Zauber  —  so  Sie,  theuerer 
Joachim,  auf  Jeden ! 

Von  meinem  der  Bernstorff  ausgesprochenen  Wunsche 
hatte  ich  Ihnen  nichts  gesagt,  weil  ich  fürchtete,  Sie 
könnten  für  Eitelkeit  halten,  was  wirklich  nur  Anhäng- 
lichkeit. Das  hätte  ich  nun  freilich  wohl  nicht  denken 
sollen  von  Jemand,  der  mich  kennt  wie  Sie,  doch  der  Ge- 
danke kam  nun  einmal.  .  .  . 

Ich  habe  zum  mittelrheinischen  Musikfest,  Anfang  Septbr: 
eine  Einladung  angenommen  (nach  Wiesbaden),  vielleicht 
kommt  Ihnen  auch  Eine  zu,  und  Sie  nehmen  sie  an? 
Wir  haben  schon  Pläne  gemacht,  dann  kommt  Job.  auch, 
und  wir  machen  von  da  eine  Fußtour  in  die  bayrische 
Pfalz.  .  .  . 


An  Clara  Schumann  17 


An  Clara  Schumann 

[London]  Sonnabend,  den  i5''="  [Mai  i858.] 

Liebe  Freundin. 

Eben  will  ich  Ihnen  schreiben,  und  bekomme  noch  da- 
zu einen  frischen  Gruß  von  Ihnen  durch  Fräulein 
Krüger,  so  daß  es  mir  gar  nicht  ist,  als  wäre  der  Ocean 
zwischen  uns.  Fast  unglaublich  däucht  es  mir,  daß  ich 
schon  3  Wochen  hier  sein  soll.  Die  Masse  von  Eindrücken, 
von  der  schönsten  Musik  bis  zu  den  langweiligsten  Be- 
kannten läßt  einem  vorerst  gar  nicht  wissen,  daß  es  über- 
haupt so  etwas  wie  Wochen,  Monate  und  Zeit  giebt.  Nun, 
Sie  haben  das  alles  selbst  erfahren !  Ich  war  auch  schon  in 
Manchester  und  Dublin.  Dort  wurde  Ihrer  unaufhörlich 
gedacht,  bald  von  Mrs.  Robinson,  bald  von  ihm  (ich  wohnte 
bei  R's),  bald  von  mir,  im  Concert  oder  beim  Frühstück, 
im  Park;  kurz,  Sie  gehören  da  ganz  zu  den  musikalischen 
Hausgöttern  bei  den  lieben  Leuten,  who  desire  me  to  send 
you  their  love.  Das  Dublin  hat  überhau|)t  etwas  sehr 
lichtes  und  wohlthuend  freundliches  mit  den  vielen  großen 
Gärten  in  der  Mitte  der  Plätze  und  dem  gutmüthigen,  fast 
zudringlichen  Enthusiasmus  der  Irish  individuals,  nicht  des 
Publikums,  das  etwas  ziemlich  provinzialisches,  steifes  hat. 
Ich  kann  mir  denken,  daß  Ihnen  der  Aufenthalt  dort  auch 
etwas  angenehm  Ausruhendes  hatte,  denn  eine  dunkle 
drückende  Luft  und  eine  freudlose  Geschäftigkeit  ist  dem 
London,  trotz  allem  herrlichen,  nicht  abzusprechen.  Frei- 
lich des  Herrlichen  aber  auch  gar  viel:  der  Krystallpalast, 
die  vielen  bedeutenden  Aufführungen,  der  scharf  ausge- 
prägte nationale  Geist,  —  kurz,  ich  bereue  keinen  Augen- 
blick, daß  ich  Hannover  mit  London  eine  Weile  vertauscht 
und  mich  auch  praktisch  überzeuge,  daß  es  Gescheuteres 
giebt  als  sich  über  Kleinstädter  während  des  Tags  zu 
ärgern.    Ich  wollte  nur,   Sie  wären  mit  hier  und  wir  ge- 


i8  An  Clara  Schumann 

nössen  manches  gemeinschafthch,  statt  daß  ich  mich  aufs 
nächste  Jahr  damit  vertrösten  muß.  Meine  Aufnahme  hier 
war  eine  sehr  herzHche.  Man  muß  es  den  Engländern 
nachloben,  daß  sie  mit  Beständigkeit  ihren  Freunden  an- 
hängen. Mein  Spiel  in  der  Philharmonie  hatte  zur  Folge, 
daß  ich  für  den  24"^^"  "^  derselben  Gesellschaft  engagirt 
bin.  Bei  Ella  habe  ich  erst  einmal  musicirt;  am  aS'""  ge- 
schieht es  wieder  mit  Rubinstein  in  der  Kreutzer-Sonate. 
Außerdem  werde  ich  da  zum  erstenmal  in  meinem  Leben 
Beeth:'s  Septett  spielen,  worauf  ich  mich  freue.  Donnerstag 
gehe  ich  wieder  nach  Manchester,  wo  auch  Ihre  Freundin 
Garcia  singen  wird,  deren  Bekanntschaft  zu  machen  mir 
sehr  lieb  sein  wird.  Sie  ist  eben  erst  angekomiuen,  sonst 
hätte  ich  sie  schon  Ihretwegen  aufgesucht.  Miß  Busby^) 
habe  ich  gesprochen,  aber  nicht  gehört.  Fräul.  Hartmann  2) 
aber  könnt'  ich  mich  noch  nicht  gefällig  erweisen,  obwohl 
ich  mir's  wünschte.  Ich  werde  ihr  zu  Pauer's  Concert, 
Mittwoch,  Billete  schicken  und  hoffe  sie  dort  zu  sprechen. 
In  P's  erstem  Concert  hatten  wir  eine  sehr  gute  Aufführung 
von  Schumann's  Dmoll  Trio  mit  Piatti,  der  ein  ganzer 
Cellist  ist.  Wir  machten  zwei  Proben,  und  ich  glaube, 
Sie  würden  gern  zugehört  haben.  Auch  das  Esdur  Quartett 
mit  Klavier  wollen  wir  noch  einüben ;  ich  werde  dabei  die 
Bratsche  übernehmen  und  bei  der  Gelegenheit  auch  die 
Märchenbilder  vorführen. 

Betrachten  Sie,  liebe  Frau  Schumann,  diese  Zeilen  nur 
als  einen  Schreibe-Entschluß;  es  giebt  so  viel  zu  sagen, 
daß  es  mir  ist,  als  hätte  ich  noch  nicht  angefangen.  Aber 
lassen  Sie  dennoch  recht  bald  von  Sich  hören.  Wann  gehen 
Sie  nach  Wiesbaden?  Ich  bleibe  bis  Ende  Juni  jedenfalls 
hier,  da  ich  Engagements  bis  dahin  angenommen  habe. 
Am  i"^"  Juni  werde  ich  in  Liverpool  zu  einem  Philh:  Con- 
cert sein.     Heute  muß  ich   noch  bei   Hof  spielen;    (ohne 

^)  bei  der  Frau  Seh.  gewohnt  hatte. 

-)  Die  Konzertsängerin  Matliiltle  H.  aus  Düsseldorf. 


An  Clara  Schumann  19 

Empfehlungsbrief,  sonst  würde  ich  mich  schämen,  da 
eigentlich  Gretry  und  Playdy  [Kreti  und  Pleti]  da  oft  Musik 
machen).  An  Johannes  habe  ich  wohl  an  seinem  Geburts- 
tag gedacht  und  ihm  ein  seltnes,  gutes  Bild  Handels^)  durch 
Chrysanders  Güte  verschafft,  aber  nicht  geschrieben,  da  ich 
unterwegs  war.    Ich  hole  es  aber  bald  nach. 

Tausend  herzliche  Grüße  an  alle  Ihrigen,  und  auch  an 
Woldemar. 

Ganz  Ihr  ergebener 

Joseph  Joachim. 

An  Clara  Schumann 

[London]  IMontag,  am  la**"  Juli  [i858]. 

Liebe  Frau  Schumann. 

Ihre  Freundin  Frau  Townsend  hat  mir  gestern,  Sonntag, 
einen  sehr  freudigen  Nachmittag  bereitet.  Ich  habe  sie 
Ihretwegen  aufgesucht  und  bekam  auch,  als  einen  warmen 
schönen  Empfang  zur  Belohnung,  Ihre  lieben  Zeilen  mit  der 
Musikeinlage,  wie  denn  überhaupt  meine  Umgebung  jede 
kleinste  Erinnerung  an  Sie  auf  das  lebendigste  festhielt,  so 
daß  ich  den  guten  Menschen  in  Champion  Hill  recht  herz- 
lich dankbar  bin.  Denn  daß  mein  Stillschweigen  häufig 
in  keinem  Zusammenhang  mit  meinen  Gedanken  an  ge- 
liebte Freunde  steht,  das  wissen  wir  leider!  Wie  sehr  ich 
Ihrer  dachte,  werden  Ihnen  wohl  auch  die  inliegenden 
Zeilen  Ihrer  Freundin  Pauline  (um  Gotteswillen!  mir  fällt 
die  Hannoverische 2)  himmelweit  verschiedene  ein!)  zeigen, 
mit  der  ich  halb  und  halb  ein  Zusammentreffen  mit  Ihnen 
in  Pesth  für  den  November  verabredete.  Was  sagen  Sie 
dazu?  Ich  bin  sehr  begierig  dies  zu  wissen,  da  ich  es  da- 
von abhängig  mache,  ob  ich  im  Herbst  eine  Tour  in  den 

^)  Das  Schabkunstblau  Turners. 

-)  P.  Viardot-Garcia;  die  Hannoversche  ist  Frau  Wehner. 


20  Von  Clara  Schumann 

englischen  Provinzen  annehme  oder  nicht.  Daß  ich  eine 
Reise  nach  dem  heimathlichen  Ungarn  mit  Ihnen  vorzöge, 
wissen  Sie  wohl,  ohne  daß  ich  es  sage  —  aber  wenn  Sie 
nach  Pesth  zu  gehen  keine  Lust  hätten,  so  fielen  meine 
Pläne  überhaupt  ganz  anders  aus.  Bitte  also,  geben  Sie  mir 
bald  Bescheid;  ich  muß  bis  über  den  21'^"  jedenfalls  noch 
hier  bleiben,  da  ich  an  diesem  Tag  nach  Exeter  ein  En- 
gagement angenommen  habe.  Sonst  habe  ich  nicht  Pro- 
fessionelles vor  und  denke  in  den  nächsten  Wochen  das 
großartige  London  zu  genießen  und  meinen  Freunden  oft 
zu  schrei  — 

Eben  holen  mich  Goldschmidts  i)  ab,  bei  denen  ich  noch 
nicht  war,  aufs  Land  in  Rohampton,  wo  sie  wohnen.  Morgen 
Fortsetzung. 

Ihr 

J.  J. 

Von  Clara  Schumann 

Wiesbaden  d.   17.  Juli   i858. 
Lieber  Joachim, 

Ihr  Brief  hat  mich  sehr  in  Aufregung  versetzt;  Sie  muthen 
mir  einen  Beschluß  zu,  von  dem  Sie  wieder  den  Ihrigen 
abhängig  machen.  Was  soll  ich  nun  thuen?  Das  Engage- 
ment, welches  man  Ihnen  angetragen,  muß  doch  ein  sehr 
vorteilhaftes  sein,  sonst  würden  Sie  doch  nicht  daran  denken 
es  anzunehmen,  denn  solch  eine  Tour  nimmt  ein  ordent- 
licher Künstler  nicht  leicht  an,  wenn  sie  ihm  nicht  viel 
einträgt?  ich  thäte  es  freilich,  weil  ich  muß,  doch 
Sie?!  —  .  .  . 

Als  ich  Ihre  Handschrift  sah,  lieber  Joachim,  freute  ich 
mich  sehr,  aber  doch  weiß  ich  nicht,  ob  es  nicht  besser 
ist,   keinen  als  einen  halben   Brief  zu  bekommen,  aus 

^)  Otto  G.  u.  seine  Frau  Jenny,  geb.  Lind. 


An  Clara  Schumann  21 

dem  man  nicht  einmal  entnehmen  kann,  worauf  das  Herz 
hoffen  darf.  Nichts  weiß  ich,  nicht,  wann  wir  Sie  wieder 
sehen,  nicht  wo,  und  Manches  Andere  nicht!  Grimm  und 
Johannes,  auch  Woldemar,  Alle  fiagen  nach  Ihnen,  —  ich 
kann  ihnen  jSichts  sagen. 

Ich  kann  mich  doch  des  betrübenden  Gefühles  nicht  er- 
wehren, daß  Sie  doch  nicht  so  recht  ernst  an  Ihre  Freunde 
gedacht  haben,  sonst  hätten  Sie  uns  nicht  so  vernachlässigt. 

Sollte  der  Morgen  anbrechen,  an  dem  Sie  die  Fortsetzung 
Ihres  Briefes  folgen  ließen,  so  bin  ich  noch  bis  zum  23^*^"  d.  M. 
hier,  „Dotzheimer  Weg  Nro  i*^". 

Für  die  Einlage  von  Paulinen  danke  ich  sehr.  Wie 
prächtig  schreibt  sie  mir  über  Sie!  das  freut  mich  am 
meisten. 

Ich  schriebe  Ihnen  gern  mehr,  aber  ich  kann  nicht,  denn 
ich  bin  betrübt. 

Leben  Sie  wohl!    Wo  werden  Sie  am  24"^"  sein?^) 

Ihre 

Gl.  Seh. 

An  dieselbe 

[London,  Ende  Juli  i858.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  habe  mich  wegen  einer  Reise  in  die  Provinzen  er- 
kundigt. Es  ist  aber  nicht  rathsam  für  Künstler,  die 
nicht  vorher  in  der  Saison  hier  waren,  eine  solche  zu 
unternehmen;  besser  also,  Sie  und  ich  treffen  im  Herbst 
mit  der  Viardot  in  Pesth  zusammen,  was  Ihnen  jedenfalls 
auch  angenehmer  sein  wird,  und  wie  wir  es  unter  uns  schon 
in  Hannover  verabredet  hatten.  Urlaub  muß  mir  der  König 
von  Ende  Oktober  bis  Ende  November  geben  —  ich  habe  ihm 

^)  Frau  Seh.  meint  25;  J.  feierte  an  diesem  Tage  seinen  Geburtstag,  bis 
er  i863  aus  seinem  Geburtsschein  ersah,  daß  er  auf  den  28.  Juni  fiel. 


11  An  Clara  Schumann 

einmal  ja  anderthalb  Jahre  seinen  Concerten  zu  lieb  aufge- 
geben. So  viel  über  diesen  Punkt!  Was  nun  Ihren  nicht 
ganz  gütigen  und  vertrauenden  Argwohn  betrifft,  daß  ich 
des  Geldes  wegen  eine  Tournee  unternehmen  wollte,  die  ja 
sonst  kein  ordentlicher  Künstler  anderer  Gründe  wegen 
antritt,  so  werde  ich  ihn  einfach  dadurch  widerlegen,  daß 
ich  erzähle:  Halle,  Piatti  und  meine  Wenigkeit  hatten  vor, 
den  guten  und  wie  es  scheint  fortschreitenden  Sinn  der 
Engländer  (auch  in  den  Provinzen)  für  deutsche  Kammer- 
musik zu  sondiren,  in  wie  fern  er  auch  für  die  Kasse  der 
Künstler  sich  dankbar  erweise.  Halle  hätte  als  erfahrener 
englischer  Concertgeber  die  Sache  für  die  praktischen  arran- 
gements  in  die  Hand  genommen.  Mit  Beale  und  Mitchel  ^) 
etc.  habe  ich  gar  nichts  zu  thun  gehabt,  beide  kaum  ein- 
mal gesehen.  Überhaupt  glaubte  ich,  Sie  würden  von  selbst 
überzeugt  sein,  ich  würde  dem  Erfolg  unter  keiner  Be- 
dingung etwas  von  dem  Künstler  geopfert  haben,  und  bin 
daher  nicht  wenig  erstaunt,  daß  Sie  mir  in  einem  Augen- 
blick der  schlechten  Laune  wegen  meiner  Schreibefaulheit 
allerlei  Oxford-Street  business  zutrauen!  Ei,  eiü!  Zanken 
Sie  mich  lieber  ein  anderes  Mal  mit  den  ärgsten  Nainen 
und  VV^orten,  wie  z.  B.  Morenborstorftausendsapperlot- 
StötteritzBombenGranatenelementconcertmeister  !  !  !  Die 
Sache  mit  Halle  und  Piatti  unterbleibt  natürlich,  und  nicht 
nur  meinetwegen,  sondern  auch  meiner  Eltern  halber 
freut  es  mich,  wieder  einmal  nach  Pesth  zu  kommen.  Die 
Guten  scheinen  meinen  Besuch  dort  sehr  zu  wünschen,  und 
in  ihrem  Alter  hat  man  ein  Becht,  solche  Wünsche  berück- 
sichtigt zu  fordern.  Machen  Sie  Sich  also  nicht  den  gering- 
sten Scrupel  darüber,  wenn  ich  es  auch  von  Ihnen  abhängig 
machte,  ob  ich  lieber  im  Herbst  oder  im  Frühjahr  des 
künftigen  Jahres  Wien  und  Pesth  besuche.  Ich  will  nur 
hoffen,  daß  unsre  Goncerte  dort  uns  einträglich  werden. 
Hier  kann  ich  ziemlich  zufrieden  in  Bezug  auf  diesen  Punkt 
*)  engl.  Konzertunternehmer. 


An  Clara  Schumann  28 

sein;  ich  glaube,  daß  mir  nach  Abzug  der  Kosten  immer 
noch  etwa  260  Pfund  übrig  bleiben  werden,  die  ich  entweder 
zu  den  4oo  Thlrn  bei  Ihnen  oder  zu  meinen  Bruder  geben 
kann.  Ich  hätte  mehr  verdienen  können,  wenn  ich  nicht 
alle  Privatengagements  abgewiesen  hätte,  die  mir  gewiß 
über  100  £  wenigstens  bringen  konnten.  Auch  andere 
engagements  z.  B.  3  für  den  Crystal-Pallast,  für  Kube,  den 
ich  nicht  leiden  kann,  u.  s.  w.  habe  ich  ausgeschlagen,  bloß 
eben,  weil  ich  nicht  verstehe,  daß  man  sich  als  Fremder 
englischer  Unsitte  fügen  soll.  Der  Crystall-Pallast,  so  herr- 
lich als  Aufenthalt  er  ist,  und  so  sehr  es  mir  Bespekt  ein- 
flößt, daß  das  englische  Volk  aus  eigenen  Mitteln,  ohne 
die  Regierung,  ein  so  kostspieliges  Weltwunder  sich  erhält, 
ist  als  Musiklokal  ein  Unding,  wenn  nicht  mehrere  looo 
drin  singen  und  spielen  —  als  Solist  drin  zu  musiciren, 
heißt  sich  zu  einem  Schwärm  von  Mücken  als  Jüngstge- 
borenes in  die  Gesellschaft  melden.  Aber  nie  in  meinem 
Leben  habe  ich  so  bedauert,  kein  Orgelspieler  zu  sein,  wie 
in  diesem  wunderbaren  Glastempel;  Johannes  da  musiciren 
zu  hören,  auf  einer  der  vielen  schönen  Orgeln,  und  nament- 
lich auf  der  größten  in  der  Mitte  des  Gebäudes,  müßte  gött- 
lich sein.  Überhaupt  muß  Johannes  London  kennen  lernen; 
es  wird  ihm  da  behagen.  Mir  gefällt  es  so  gut,  daß  ich  mir 
nun  noch  ungestört  von  dem  Saison-Treiben,  das  jetzt  glück- 
licher Weise  vorüber  ist,  mein  liebes  London  ein  wenig 
ansehen  will.  In  voriger  Woche  war  ich  auf  der  reizenden 
Isle  of  Wight,  wo  ich  die  schönsten  Meeresufer,  die  mir 
bis  jetzt  vorgekommen,  gesehen.  Waren  Sie  dort?  Auch  in 
Exeter,  Southampton,  Salisbury  und  Bath  habe  ich  mich 
aufgehalten ;  gespielt  nur  in  ersterer  Stadt.  Aber  wunder- 
bar schöne  Kirchen  dort,  habe  ich  gesehen.  Auch  in  Cam- 
bridge einzige  Gebäude  und  Kapellen  und  College  gardens 
mit  Bennett.  Dieser  ist  mit  Weib  und  Kind  an  die  See. 
Wie  lange  ich  noch  bleibe,  schreibe  ich  nächstens  —  noch 
bin  ich  zweifelhaft.    Wann  kommt  Ihr  alle  in  Göttingen 


24  An  Herman  Grimm 

zusammen?  Lassen  Sie  bald  und  Gutes  hören  Ihrem  getreu 
ergebenen 

J.  J. 
Was  war  denn  am  24'*"?    Sie  fragen,  was  ich  an  dem 
Tag  that. 

An  Herman  Grimm 

Hannover,  Mittwoch  [22.  Sept.  i858J. 
Lieber  Herman 
ch  bin  gestern  hier  angekommen ;  auf  meinem  Tisch  lag 
Dein  Packet  mit  Brief  als  schönster  Empfang.  Vori- 
gen Freitag  habe  ich  London  verlassen,  auf  dem  Weg  hie- 
her  in  Düsseldorf  sah  ich  einen  Tag  lang  Frau  Schumann. 
Meine  Überfahrt  von  Dover  nach  Calais  geschah  in  einer 
stürmischen  Nacht  mit  Blitzen  ohne  Regen;  ich  konnte 
mich  des  herrlichen  bewegten  Meeres  ohne  Krankheit  er- 
freuen. Hier  erwartet  mich  nun  das  sauersüße  Geschäft, 
eine  Wohnung  zu  suchen,  ich  muß  den  isten  Okt^"^  aus 
meiner  bisherigen  hinaus.  Den  Shelley  (in  der  ausführlich- 
sten Ausgabe,  die  es  bis  jetzt  giebt)  und  das  Stück  elek- 
trischen Drahts^)  (der  dich  freilich  Emerson  nicht  näher 
bringt  als  Deine  Worte)  nimmst  Du  wohl  als  Zeichen,  daß 
ich  Deiner  in  England  oft  gedacht,  freundlich  an. 

Eine  Photographie  von  Shakespeares  Haus  in  Stratford, 
von  dem  Flecke  selbst  mitgenommen,  gebe  ich  Dir, 
wenn  wir  uns  wiedersehen,  was  ein  günstig  Geschick  bald 
fügen  möge.  Ich  will  trachten,  eine  Wohnung  zu  finden, 
in  der  es  Dir  ein  paar  Tage  bequem  sein  kann. 

Herzlichst 

Dein 

J.  J. 

*)  vom  ersten  Untersee-Kabel  nach  Amerika,  durch  das  am  7.  Aug.  i858 
die  erste  Depesche  befördert  werden  konnte;  freilich  riß  es  bereits  im  Sep- 
tember, wie  schon  bei  den  ersten  Versuchen  im  Vorjahre. 


An  Clara  Schumann  20 


An  Clara  Schumann 

Hannover;  Sonnabend  [25.  Sept.  i858]. 
Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  habe  Graf  Platen  gesprochen  und  von  ihm  vorläufig 
erfahren,  daß  ich  den  Monat  November  noch  benützen 
kann;  also  damit  hätte  es  keine  Schwierigkeit  mehr!  An 
der  ganzen  Geschichte  mit  X.  scheint  nichts  wahr;  im 
Gegentheil  hat  der  König  (der  X.  bei  seinem  Hiersein  auf- 
forderte überzusiedeln)  die  Bedingungen,  die  er  nachträg- 
lich stellte,  zu  hoch  gefunden.  Das  Letztere  aber  entre 
nous.  Was  sind  aber  doch  die  Herren  berühmten  Vir- 
tuosen für  unrühmliche  Flausenmacher!  Man  kann  sich 
wirklich  nicht  wundern,  wenn  der  Stand  in  Verruf  ist! 
X.  muß  doch  wohl  die  Konservatoriums-Ente  selbst  ver- 
breitet haben.  Ich  hasse  das  Geschlecht!  Eben  habe  ich 
mich  beim  König  als  wieder  gekommen  melden  lassen. 
Ich  wollte  indeß  wirklich,  die  Konservatoriums-Geschichte 
wäre  wahr;  Wehners  zudringliche  Liebenswürdigkeit  läßt 
auf  starkes  Festhalten  schließen 

Eine  Masse  Wohnungen  habe  ich  gesehen;  heute  eine 
mit  einem  Garten  vor  dem  Thor,  die  mir  wohl  zusagt, 
und  in  der  Sie  auch  gern  ein  Stündchen  sein  werden, 
hoffe  ich!  .  .  . 

Morgen  gehe  ich  nach  Göttingen,  um  noch  ein  paar 
Tage  mit  Johannes  zu  sein ;  er  hat  mir  mit  alter  Herzlich- 
keit geschrieben  und  wäre  hieher  gekommen,  wenn  ich 
nicht  selbst  die  Wahl  gelassen  hätte.  Dienstag,  denke  ich, 
geht  er  nach  Detmold.  ... 


20  All  Her  man  Grimm 

An  Herman  Grimm 

[Hannover  Okt.  i858.] 
Lieber  Herman 
13  ümpler  hat  mir  Deine  Essays  im  Auftrage  des  Herrn 
J-W  Verfassers  zugesendet,  was  mir  nicht  wenig  schmei- 
chelt. Ich  habe  schon  mit  Freuden  eine  Stunde  drin  herum- 
geblättert, wie  man  in  einer  lieben  Gegend,  die  man  wieder- 
sieht, ohne  Verweilen  bald  hierhin,  bald  dorthin  seine 
Schritte  wendet,  weil  man  in  erster  Unruh'  gern  überall 
gewesen  wäre.  Ich  hoffe  aber  auch  noch  oft  gesammelt 
zu  genießen.  Auch  für  die  Austria^)  bin  ich  Dir  dankbar; 
ich  begreife  Deine  Erregung,  mir  kehrt  der  Gedanke  an 
die  unglückliche  Mannschaft  noch  immer  wieder.  Ein 
sanfter,  lieber  junger  Mensch:  Romberg,  der  mich  vor 
Jahren  oft  auf  dem  Cello  in  London  begleitete,  war  auch 
unter  den  Verlorenen.  Ich  habe  das  Gedicht  Herrn  Nicola  2), 
dem  alten  Mann  mit  dem  Käppchen,  den  wir  einmal  be- 
suchten, gegeben.  Bekomme  ich  es  zurück,  so  will  ich 
Frl.  Seebach  bitten,  es  mir  einmal  vorzusagen;  ich  habe 
Verlangen  es  zu  hören.  Hast  Du  das  Concert  von  Lührß, 
das  ich  Dir  im  Frühjahr  vor  meiner  Londoner  Eeise  zu- 
schickte, damals  erhalten,  und  auch  noch  in  Verwahrung? 
Ich  bitte  Dich  dringend,  mir  dies  gleich  zu  beantworten, 
weil  ich  Lührß  dann  schreiben  will,  es  bei  Dir  zu  holen. 
Von  der  Bettina  höre  ich  öfters  durch  Frau  Detmold,  die 
häufig  von  der  Gfiu.  Oriolla  Nachrichten  hat.    Leider  ein 

*)  Ein  Auswandererschiff,  das  am  i3.  Sept.  auf  der  Fahrt  von  Ham- 
burg nach  Amerika  mit  600  Mann  verbrannte.  —  Ilildebrand  Romberg 
lebte  als  Angestellter  der  Packelfahrt  in  Hamburg. 

^)  Erster  Geiger  der  königl.  Kapelle,  ein  Vollblutkiinstler,  wie  ihn 
Marschner  nannte.  „Es  sei  dem  alten  Mann,  der  i856  nach  36jähr. 
Dienstzeit  in  Pension  trat,  unvergessen,  daß,  sobald  im  Egmont  bei  Klär- 
chens  Verklärung  die  Musik  begann,  er  sich  im  Orchester  erhob  und  vor 
Beethovens  Genius  sein  schwarzes  Sammetkäppchen  lüftete."    G.  Fischer. 


An  N.  W.  Gade  27 


immerwährend  Schwanken  zwischen  schlecht  und  besser, 
ohne  andauernde  Kräftigung.  .  .  . 

Dein 

J.  J. 

An  N.W.  Gade 

[Hannover,  Mitte  Okt.  1808.] 
Lieber  und  verehrter  Gade! 

Sie  müssen  diesmal  wirklich  Nachsicht  üben  —  d.  h,  ich 
verdiene  sie:  ich  habe  eben  den  Trouble  des  Wohnung- 
suchens  und  Umzugs  überstanden;  nun  werden  Sie  aus 
Ihrer  Junggesellen -Zeit  noch  wissen,  was  das  für  einen 
solchen  zu  sagen  hat!  Noch  vor  wenig  Tagen  dachte  ich 
in  wärmster  Erinnerung  Ihrer  und  unserer  Leipziger  Er- 
lebnisse; wir  spielten  nämlich  hier  zum  ersten  Mal  Ihre 
4'*  Sinfonie  (in  einer  vorbereitenden  Probe  für  neue  Sachen 
zu  den  Winter -Concerten).  Wie  schöne,  künstlerische 
Klänge  sind  das!  Ich  war  ganz  stolz  zu  denken,  daß  Ihre 
neueste  Sinfonie  mir  gehört,  wie  ich  übrigens  zufällig 
neulich  in  einer  Musikalienhandlung  sah.  Einen  so  doppelt 
zu  überraschen!  Lieber  Freund,  Sie  wissen  nicht,  wie  sehr 
es  mich  beglückt,  daß  Sie  mir  so  treu  Ihre  freundschaft- 
liche Zuneigung  bewahren,  obwohl  nun  so  viele  Jahre, 
Meilen  und  Erlebnisse  zwischen  der  Leipziger  Zeit  und 
jetzt  liegen;  das  läßt  auf  künstlerische  Verwandtschaft 
schließen!  Um  nun  auf  Ihre  Aufforderung  zu  kommen, 
einige  Wochen  in  Kopenhagen  zu  verbringen,  so  kann  ich 
nur  sagen,  ich  habe  die  größte  Lust  —  aber  vor  der  Hand 
sehe  ich  wirklich  nicht,  wie  es  in  diesem  Jahre  zu  machen 
wäre.  November  soll  ich  (mit  Frau  Schumann)  in  Wien 
concertiren;  im  December  fangen  hier  die  8  Concerte  an 
(aller  14  Tage  eins),  die  ich  zu  dirigiren  habe;  das  dauert 
bis  in  den  März.    Nun  ist's  zu  spät!  ... 


28  An  Clara  Schumann 

Kann  ich  es  einrichten,  so  frage  ich  nochmals  bei  Ihnen 
an.  Und  nun  wünsche  ich  Ihnen  alle  musikalische  Freude 
und  häuslich  Glück  für  diesen  Winter  und  uns  recht  viel 
neue  Sachen  von  Ihnen,  verehrter  Freund! 

Ihr 


Mit  freundlichem  Gruß  an  Tofte. 


Joseph  Joachim. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  16'«"  [Okt.  i858]. 
Liebe  Frau  Schumann. 
.  .  .  Heute  ist  unser  erstes  Quartett:  H.  M.  u.  B.  Die 
Schumann'sche  Sinfonie  konnte  ich  neulich  nicht  pro- 
biren;  bei  Whistling^)  waren  nicht  genug  Stimmen  vor- 
handen! Ich  spielte  die  Ocean-Sinf.  von  Rubinstein,  die 
ich  nicht  aufführbar  fand:  recht  viel  Rohes,  Häßliches 
und  Gewöhnliches  neben  manchem  Talentvollen,  ja  groß- 
artigen Anfängen  an  mehreren  Stellen.  2)  Dagegen  spielten 
wir  eine  recht  anmuthige  von  Gade  mit  reizender  Instru- 
mentirung.  Überall  der  feinfühlende  Mensch  und  Musiker, 
wenn  auch  keine  bedeutenden  Motive.  Ich  bin  in  meiner 
Wohnung  ziemlich  eingenistet  und  wohl  damit  zufrieden, 
was  viel  sagen  will,  da  ich  gräßlich  erkältet  bin.  Bis  Sie 
kommen,  will  ich  aber  trachten  gesund  zu  werden;  und 
bin  ich's  noch  nicht,  so  werd'  ich  dann  wenigstens  nichts 
von  Übelbefinden  merken. 

Mit  herzlichen  Grüßen 
Ihr 

Joseph  Joachim. 

*)  Musikalienverlag. 

*)  vgl.  Js.  irrtümlich  um  i  Jahr  zu  früh  datierten  Brief  an  Ave  Bd.  I, 
S.  446»  der  hier  einzureihen  wäre. 


Von  Clara  Schumann  29 


An  dieselbe 

[Hannover  17.  Okt.  i858.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Ihre  telegraphische  Depesche  scheint  anzudeuten,  daß 
Sie  wenigstens  in  den  allernächsten  Tagen  nicht  kom- 
men. Es  ist  mir  sehr  fatal,  vom  König  die  abschlägige 
Antwort  bekommen  zu  haben,  denn  da  ich  erst  am  lO'*'" 
bestimmt  fortkönnte  und  Anfangs  December  wieder  hier 
sein  soll,  so  ist  das  so  gut.  Meine  Eltern  hatten  sich  schon 
so  sehr  darauf  gefreut!  Und  es  ist  alles  so  unnütz;  bloß 
weil  die  Großfürstin  Anfangs  November  herkömmt  und 
also  dann  möglicher  Weise  einen  Abend  musicirt  würde! 
Ich  hatte  es  für  eine  bloße  Formsache  gehalten,  den  König 
überhaupt  noch  zu  fragen,  und  nun  spielt  er  diesen  Streich, 
nachdem  er  sich  die  ganze  Zeit  nicht  um  mich  gekümmert 
hat,  so  lange  ich  hier  bin.  Er  soll  ein  ziemlich  schiefes 
Gesicht  gezogen  haben,  als  Platen  meinen  Wunsch  nach 
Wien  zu  gehen,  vortiug.  Jetzt  brauchte  er  mich  nicht, 
aber  wenn  die  Großfürstin  kömmt,  müßte  er  mich  hier 
haben!  Nun,  es  bestärkt  mich  in  meinem  Vorsatz!  Hatten 
Sie  schon  Säle  bestellt?  Können  wir  es  im  März  nach- 
holen?  Dann  bin  ich  frei. 

Herzlich 


Ih 


Joseph  J. 


Von  derselben 


Cöln  d.  20  Octbr.  i858. 


Lieber  Joachim, 

Welch  ein  Querstrich  ist  das  aber,  der  uns  gespielt  wird ! 
wie  konnten  Sie  aber  auch  den  König  bei  solcher  An- 
gelegenheit links  liegen  lassen?  nun  ist  in  Wien  Alles  ge- 


3o  Von  Clara  Schumann 

ordnet,  ich  hatte  die  Tage  belegt,  Logis  bestellt  etc:  was 
ist  nun  zu  thuen?  ich  mag  natürlich  jetzt  nicht  allein 
dorthin  kommen,  und  wieder  im  März  ist  die  Zeit  nicht 
günstig,  da  sich  dann  Alles  zusaminen  drängt.  Und  wäre 
das  auch  nicht,  ist  denn  auf  Sie  zu  bauen?  woher  wissen 
Sie  schon  jetzt,  daß  Sie  den  März  frei  haben?  ich  weiß 
wirklich  gar  nicht,  was  zu  thuen!  wie  hatte  ich  mich 
schon  darauf  gefreut,  mit  Ihnen  zu  sein,  in  wie  vieler 
Hinsicht  wäre  es  mir  ein  Labsal  gewesen!  — 

Und  nun  sagen  Sie  mir  aber,  liebster  Freund,  wie 
konnten  Sie  glauben,  ich  gienge  an  Hannover  vorbei,  ohne 
Sie  zu  sehen ;  glauben  Sie  denn  wohl,  ich  brächte  das  über's 
Herz?  verdient  man  für  seine  Liebe  nicht  wenigstens  gutes 
Zutrauen?  wie  oft,  immer  kam  ich  ja  nur  für  Sie  nach 
Hannover!  Ihr  jungen  Leute  habt  doch  gar  kein  Ge- 
dächtniss!    Sie  haben  mich  wirklich  betrübt!  — 

Ich  denke  zum  Anfang  nächster  Woche  bei  Ihnen  zu 
sein  —  den  Tag  schreibe  ich  Ihnen  noch  genau.  Wäre  es 
nicht  möglich,  daß  ich  einige  Quartette  hörte?  Dann 
würde  ich  mich  so  einrichten,  daß  ich  einen  Tag  bliebe  — 
aber  auch  ohne  das  thue  ich  es  eben  so  gern,  wenn's 
Ihnen  lieb  ist. 

Morgen  spiele  ich  in  Aachen  und  Sonnabend  in  Crefeld. 
Das  Concert  in  Düsseldorf  fiel  gut  aus,  ich  habe  aber 
immer  an  Sie  denken  müssen!  ich  spielte  mit  Königslöw, 
er  spielte  auch  recht  schön,  aber  es  fehlt  Allen  das  Gött- 
liche, Hohe,  das  Einen  bei  jedem  Tone  von  Ihnen  durch- 
schauert. 

Eine  Freude  hatte  ich  aber  in  dem  Goncerte;  ich  spielte 
zum  ersten  Male  die  ungarischen  Tänze  von  Johannes 
öffentlich,  und  fand  begeisterte  Aufnahme  damit  —  auch 
Alle  sprachen  mir  noch  Tage  nachher  mit  Entzücken  da- 
von.   Ich  selbst  liebe  die  Tänze  so  sehr!  — 

Ich  habe  recht  viel  geplaudert  —  es  ist  mir  gar  so  wohl, 
kann  ich's  mit  Ihnen.    Daß  ich  nicht  früher  schrieb,  lag 


An  Clara  Schumann  3i 

nur  an  meinen  vielen  Geschäften!  bis  Sonnabend  habe 
ich  in  8  Tagen  5  Concerte  gespielt,  und  immer  andere 
Sachen. 

Schreiben  Sie  mir  nach  Düsseid.   Ich  bin  Freitag  Morgen 
schon  wieder  dort.   Bitte,  wegen  Wien! 

Nun  lassen  Sie  Sich  noch  die  Hand  drücken  von 
Ihrer, 

immer  Dieselbe 

getreue 

Gl.  Seh. 

An  Clara  Schuinanii 

[Hannover]  Donnerstag  [ii.  Okt.  i858]. 

Liebe  Frau  Schumann. 

Sobald  ich  hier  angelangt  war,  hatte  mir  Platen  den 
Urlaub  so  gut  wie  zugesagt,  nur  der  Form  wegen 
mußte  es  noch  an  den  König.  Ich  hatte  nun  sehr  damit 
gedrängt,  aber  Platen  wurde  Sr.  Majestät  nie  habhaft. 
Auch  hatte  ich  immer  darauf  gerechnet,  den  K,  einmal 
selbst  zu  sprechen  —  denn  ich  war  eigends  in  Herren- 
hausen, Seinem  Landsitz,  gewesen,  um  mich  zu  melden. 
Ich  muß  in  Ungnade  gefallen  sein!  Jedenfalls  hat  es  das 
Gute,  daß  ich  mein  Herz  nun  dem  König  gegenüber  nicht 
mehr  gefesselt  fühle  und  also  meine  Stellung  bald  quittire. 
Daß  ich  nicht  auf  den  Fleck  hin  um  meinen  Abschied 
einkomme,  geschieht,  weil  ich  nicht  aus  Rache  die  Leute 
eben  vor  Anfang  der  Concerte  in  Stich  lassen  will.  Anfangs 
Januar  aber  will  ich  ganz  einfach  an  PI.  schreiben,  daß 
ich  meinen  Kontrakt  nach  3  Monaten  für  erloschen  be- 
trachte. Also  im  April  bin  ich  erst  frei;  dann  müssen  wir 
aber  nach  London,  nicht  nach  Wien.  Da  muß  man  ein 
paar  Monate  dazu  haben,  Pesth  mitgerechnet.  Es  ist  wirk- 
lich zu  tyrannisch,  die  ganze  Zeit,  wo  ich  hier  bin,  kümmert 


32  An  Clara  Schumann 

man  sich  nicht  um  mich,  und  bloß  weil  die  Großfürstin 
vielleicht  bei  ihrer  Ankunft  einmal  einen  Musikabend 
wünscht,  soll  ich  eine  Reise  aufgeben,  die  meine  Concerte 

in  Hannover  nicht  gestört  haben  würde. .... 

Meine  herzliche  Freude  über  die  schönen  Erfolge.   Wie 
lieb  ist  mir  der  Beifall  für  Johannes'  Stücke! 

Immer  der  Ihrige 

J.  J. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover,  Nov.   i858.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

yorgestern  dauerte  das  Hofconcert,  zu  dem  auch  Drey- 
schock  aus  Prag  telegraphirt  war  (!)  von  ^j^  auf  lO 
bis  ^2^5  ohne  daß  die  Nummern  des  zweiten  Theils  ge- 
spielt werden  konnten,  weil  es  zu  spät  wurde!  Das  Ganze 
war  so  ungeschickt  arrangirt  (Wehner),  daß  ich  mich 
schämte,  mit  dabei  sein  zu  müssen,  und  ich  bitte  mir  heute 
eine  Audienz  beim  König  aus,  um  ihm  zu  sagen,  daß  ich 
als  Concertmeister  unmöglich  mir  solche  Dinge  gefallen 
lassen  kann.  Den  fremden  Künstlern  gegenüber  machte 
mich  mein  Titel  eigentlich  verantwortlich,  und  ich  stand 
da,  selbst  wie  ein  Gast,  der  seine  Nummer  abspielt,  eines 
der  Opfer  der  Bornirtheit  und  Geschmacklosigkeit  des  un- 
geschickten Programmfabrikanten. 

Ich   hoffe   bald   von   Ihnen   zu   hören.    Mit   herzlichem 
Gruß 

Der  Ihrige 

J.  J. 


r 


<"'j^^\^ 


Clara   Scliuniann 

Zeii.liiiuMf;  von   Eduard   Beiuleiiiann    1859 


An  Julius  Otto  Griiniu 


An  seine  Schwester  Johanna  v.  Aranyi 

[Hannover]  27.  [Nov.  i858]. 

Geliebte  Schwester 

Herzlichen  Dank  für  Deinen  freundlichen  Mahnbrief. 
Bin  ich  auch  leider  nicht  bei  Euch,  so  beschäftige 
ich  mich  doch  oft  mit  Euch  in  Gedanken  —  ich  compo- 
nire  gerade  etwas  Ungarisches^),  das  Du  hoffentlich  auch 
bald  einmal  hören  wirst.  Ich  bin  vielfach  in  Anspruch  ge- 
nommen, zudem  ist  ein  junger  Musiker,  der  sich  meinet- 
wegen hier  aufhält,  gefährlich  erkrankt,  und  ich  als  der 
ihm  hier  nahe  stehende  mußte  mich  seiner  annehmen,  was 
mir  Zeit  nahm.  Daß  Frau  Schumann  in  Pesth  die  Leute 
entzückt,  ist  natürlich;  aber  namentlich  ist  es  mir  lieb, 
daß  Du  die  liebe  Frau  so  richtig  würdigst  und  öfter  siehst. 
Ich  bitte  Dich,  ihr  die  einliegenden  Zeilen  zu  übergeben, 
und  den  theuern  Eltern  und  Geschwistern  die  herzlichsten 
Grüße  zu  sagen  von 

Deinem 

treu  ergebnen 

Joseph  J. 
P.S.    Es  ist  so  spät,  daß  ich  den  Brief  nicht  mehr  frei 
mache;    frankire   Deine   Briefe   auch   nicht.    Es   ist   auch 
sicherer. 


An  Juhiis  Otto  Grimm 

[Hannover]  Sonntag  28.  [Nov.   i858]. 

Lieber  Grimm 

Ich  habe  Dir  und  unseren  Göttinger  Freunden  eine  trau- 
rige Nachricht  zu  sagen,  die  Deine  Theilnahme  erregen 
wird.    Denke  Dir,  unser  armer  Bach,  der  so  oft  und  so 

*)  Sein  Concert  „in  ungai'ischer  Weise". 


34  Von  Julius  O.  Grimm 

lebendig  mit  uns  war  und  musicirte,  hat  —  aufgehört  zu 
sein.  Seit  3  Wochen  kränkelte  er  an  Erkältung,  die  später 
in  Nervenfieber  überging.  Ich  zog  zuletzt  einen  berühmten 
Arzt  hinzu  —  aber  selbst  dessen  Hülfe  war  vergebens. 
Heute  Morgen  um  ^/gS  Uhr  hörte  er  auf  zu  athmen.  Be- 
wußtlos war  er  schon  die  letzten  Tage  her.  Mich  hat  das 
ganze  Kranksein  sehr  erschüttert,  wie  Du  Dir  leicht  denken 
kannst.  Ich  fürchtete,  Ihr  möchtet  die  Nachricht  auf  eine 
verletzende  Weise  durch  Fremde  hören,  und  darum  schrieb 
ich  diese  Zeilen.  Lasse  doch  bald  durch  Dich  oder  Deine 
Frau  etwas  von  Euch  hören. 

Herzlich  ergeben 

J.  J. 

Von  Julius  O.  Grimm 

[Göttingen]  Montag  [29.  Nov.  i858]. 
Lieber  Joachim! 

Habe  Dank  für  Deine  traurige  Mittheilung,  —  Bachs 
Tod  hat  uns  alle  hier  sehr  erschreckt  und  betrübt, 
wer  hätte  denken  können,  daß  dieser  blühende  gute  Junge 
so  jählings  hingerafft  werden  würde!  Unter  allen  seinen 
hiesigen  Bekannten  ist  große  Bestürzung,  sie  kommen  und 
fragen,  ob's  denn  wahr  ist.  — 

Auch  ich  habe  Dir  Trübes  zu  melden  von  Dirichlets. 
Der  Professor  kehrte  schwer  krank  aus  der  Schweiz  zu- 
rück, lag  eine  Woche  lang  zwischen  Tod  und  Leben  und 
wird  wohl  den  ganzen  Winter  durch  sein  Bett  nicht  ver- 
lassen dürfen;  wenn  auch  sein  Zustand  augenblicklich 
etwas  leichter  ist,  so  soll  doch  keine  Aussicht  auf  vollstän- 
dige Genesung  sein,  denn  er  hat  einen  Fehler  am  Herzen, 
ein  heftiger  Anfall  kann  seinem  Leben  plötzlich  ein  Ende 
machen.  — ^)    Seit  gestern  Nacht  ist's  aber  fürchterlich  dort 

^)  -J-  5.  Mai  d.  nächsten  Jahres. 


An  Clara  Schumann  nach  Budapest  35 

im  Hause:  Frau  Dirichlet  hat  denselben  Zufall  bekommen, 
an  welchem  Fanny  Hensel  und  Mendelssohn  gestorben 
sind  und  liegt  seit  1 6  Stunden  im  Starrkrampf,  ohne  Atheni 
vollständig  wie  todt.  Baum^)  zweifelt  an  ihrem  Wieder- 
aufkommen. Stelle  Dir  die  alte  90jährige  Mutter  vor,  die 
einzige  Gesunde  an  zwei  Krankenlagern.  —  Dirichlet  liegt 
kraftlos  in  seinem  Bett  und  darf  sich  nicht  rühren,  die 
Thränen  sollen  ihm  fortwährend  über  die  Wangen  rinnen. 
Die  Ärzte  verlassen  das  Haus  nicht.  —  ...  Von  Johannes 
haben  wir  manches  Schöne.  Eine  neue  Serenade,  d.  h.  ein 
erster  Satz  in  A  dur,  w  underschön  sanft  leyernd  ohne  Geigen, 
einen  Grabgesang  für  Chor  ebenfalls  ohne  Geigen,  und 
herrliche  Lieder.  In  Detmold  scheint  ihm  außer  seiner 
Prinzeß  nichts  recht  zu  behagen.  .  .  .  Wie  befindet  sich 
Dein  Streichquartett? 2)  Schick  es  mir,  bitte,  bitte!  — 

An  Clara  Schumann  nach  Budapest 

[Hannover]  Am  So««"  [Nov.   i858]. 
Liebe  Frau  Schumann. 

Der  arme  Bach  ist  nach  einigen  meist  in  bewußtlosem 
Phantasieren  hingebrachten  Tagen  gestern  am  Nerven- 
fieber entschlummert.  Sie  können  denken,  daß  mich  des 
gutmüthigen,  lebenslustigen  Jungen  Tod  recht  erschüttert 
hat.  Außerdem  daß  er  mein  Schüler  war,  verpflichtete 
mich  der  Umstand,  daß  die  Seinigen  so  weit  weg  sind,  für 
ihn  mit  zu  sorgen.  In  den  letzten  Tagen  freilich  besuchte 
ich  ihn  nur  auf  Sekunden,  wie  es  der  Arzt  wollte.  Ich 
sage  dies  zu  Ihrer  Beruhigung,  da  Sie  vielleicht  die  Krank- 
heit für  ansteckend  halten.  Ich  bin  aber  körperlich  sehr 
wohl,    und    geistig   läßt   es  jetzt  schon   mein  Concert   zu 

*)  Dirichlets  Schwiegersohn  u.  zugleich  Prof.  der  Medizin  in  Göttingen. 
^)  Der  erste  Satz  eines  Quartetts  in  Cmoll,  der  Schrift  nach  aus  den 
5oer  Jahren,  ist  erhahen. 

3* 


36  An  Clara  Schumann  nach  Budapest 

keinem  Weltschmerz  kommen.  Meiner  Familie,  nament- 
lich der  lieben  Mutter  aber,  bitte  ich  die  Sache  zu  ver- 
schweigen; Sie  wissen,  mütterliche  Besorgniß  macht  leicht 
eine  Mücke  zu  einem  Mammuth,  oder  eine  Violinsaite  zum 
weltverbindenden  Kabeltau. 

Am  2"^"  December. 
Soweit  schrieb  ich  vorgestern;  seitdem  war  Bach's  Vater 
hier,  das  Begräbniß.  Heute  sollte  ich  w  ieder  von  dem  Auf- 
hören eines  Menschenlebens  hören,  das  mir  lieb  und  werth 
war.  Wer  konnte  glauben,  daß  die  lebendige,  geistig  immer 
strebende  Frau  mit  den  klugen  Augen,  Frau  Diiichlet  in 
2  Tagen  erkranken  und  aufhören  sollte!  Dasselbe  Schick- 
sal hat  sie  erreicht,  das  auch  ihren  Bruder  Felix  und  die 
Hensel  der  Erde  entriß.  Dabei  liegt  auch  Professor  Dirichlet 
an  einem  Herzübel  darnieder,  sehr  gefährlich.  Die  arme, 
heimgesuchte  Familie!  Wenn  man  sich  dabei  die  arme 
90jährige  Großmutter  denkt,  die,  sonst  so  glücklich,  in 
wenig  Tagen  all  den  Jammer  plötzlich  hinnehmen  muß. 
Was  es  für  Geschicke  giebt !  Ich  bin  ganz  zerklopft,  kaum 
fähig  über  die  raschen  Erlebnisse  zu  denken.  Es  ist  ein 
wahrer  Segen,  daß  ich  in  wenig  Tagen  die  Stärkung  vor 
mir  habe,  Bach's  große  Passion  zu  hören;  sie  wird  von 
Grädener  in  Hamburg  zu  wohlthätigem  Zweck  in  einer 
Kirche  gegeben,  und  ich  konnte  der  Aufforderung,  das 
Violin -Solo  dabei  zu  übernehmen,  nicht  widerstehen.  Es 
wird  mir  unter  den  vorliegenden  Umständen  eine  doppelte 
Wohlthat  sein;  ich  habe  bis  jetzt  nur  Bruchstücke  daraus 
gehört.  Ich  gehe  Sonntag  Abend  nach  Hamb.  und  kehre 
Mittwoch  früh  wieder;  am  ii'^'""  ist  unser  erstes  Concert, 
vermuthlich  aus  der  Melusinen-Ouverture,  einer  Arie  aus 
Medea,  dem  Violin-Concert  von  Beethoven  (hier  seit  meh- 
reren Jahren  nicht  gespielt)  und  der  Schubert'schen 
Sinfonie  bestehend.  Zum  zweiten,  am  8'*"  Januar  will  ich 
von  neuen  Sachen  das  hier  nie  gesungene  2"=  Finale  aus 


An  Clara  Schumann  nach  Budapest  87 

Don  Juan  (nach  dem  Untergang  des  Helden)  und  das  Con- 
cert  von  Johannes  vorschlagen.  Ich  bin  neugierig,  was 
Platen  mir  morgen  in  der  Conferenz  für  eine  Antwort 
giebt.  —  Wann  denken  Sie  wiederzukehren?  Überhaupt 
dünkt  es  mich  sehr  lange,  seit  ich  von  Ihnen  und  Ihren 
Plänen  gehört.  Schicken  Sie,  wenn  Sie  nicht  selbst  schreiben 
können,  nur  die  Programme  zu  Ihren  Concerten;  das  ist 
dann  doch  etwas!  Meine  lieben  Verwandten  schreiben 
auch,  außer  Vorwürfen  über  Stillschweigen,  gar  nichts  von 
dem,  was  zu  Hause  geschieht.  Ich  habe  wirklich  so  viele 
Briefe  zu  schreiben,  daß  ich  manchmal  nothgedrungen  dem 
einen  oder  andern  gegenüber  pausiren  muß. 

Johannes'  Serenade  habe  ich  noch  nicht  instrumentirt, 
ohne  indeß  die  Idee  aufzugeben.  Er  ist  rege  und  fleißig, 
wie  sich's  nicht  anders  von  ihm  erwarten  läßt.  Schreck- 
lich leid  thut  mir's,  daß  wir  die  Viardot  nicht  (allem  An- 
schein nach)  hier  sehen  werden.  Platen  schob  mich  erst 
mit  einer  Antwort  auf  die  lange  Bank  unter  dem  Vorwand, 
die  Sache  dem  Könige  vorzutragen;  nachher  schämte  ich 
mich  der  von  mir  so  hoch  gehaltenen  Frau  Ungewisses 
mitzutheilen,  wollte  mich  auf  meine  versprochene  Audienz 
beim  König  verlassen,  die  aber  theils  durch  Krankheit, 
theils  wohl  durch  majestätische  Gleichgültigkeit  nicht  ge- 
geben wurde,  kurz  ich  richtete  nichts  aus  —  und  die  ganze 
Geschichte  ist  wiederum  recht   Hannoverisch.    Adieu,  du 

unmusikalische  Hofwirtschaft ! 

*  * 

Ich  muß  noch  mit  einer  Bitte  schließen,  nämlich  der- 
jenigen, einer  quasi  Schülerin  von  mir,  Frl.  X.,  auf  deren 
Musikenthusiasmus  und  liebenswürdig  bescheidenes  Wesen 
ich  große  Stücke  halte,  freundlich  zu  begegnen  und  etwas 
vorzuspielen,  wenn  Sie  sie  in  Wien  etwa  sehen. 

Herzlich  ergeben 

J.  J. 


38  Von  Clara  Schumann 

Von  Julius  Otto  Grimm 

[Göttingen  i.  Dez.  i858.] 
Lieber  Joachim 

Es  ist  nun  an  mir,  Dir  eine  Trauerbotschaft  zu  melden  — 
Frau  Dirichlet  ist  nicht  mehr;  heute  morgen  um  */^ 
nach  7  ist  sie  verschieden,  nachdem  ihr  Zustand  von  vor- 
gestern gegen  5o  Stunden  ohne  Veränderung  fortgedauert 
hatte.  Der  Professor  hat  beide  Tage  viel  geweint  und  muß 
auf  seiner  Stube  liegen,  — jetzt,  da  sie  wirklich  todt  ist, 
soll  er  gefaßter  sein,  —  aber  bei  der  alten  Mutter  geht  das 
Jammern  erst  an,  sie  soll  außer  sich  sein.  —  Es  ist  eine 
düstere  Zeit,  überall  Jammer  u.  Trauer.  —  ... 

Von  Clara  Schumann 

Wien  d.  9  Dec:  [i8]58. 

Drei  Tage  lang  hatte  ich  einen  fertigen  Brief  an  Sie, 
lieber  Joachim,  ich  konnte  mich  nicht  entschließen, 
ihn  abzuschicken,  und  schließlich,  heute,  hab  ich  ihn  zer- 
rissen —  er  war  so  traurig,  daß  ich  mich  schämte  in  meiner 
Schwachheit  Ihnen  gegenüber.  Nun  aber,  Avird's  heute  viel 
besser  werden?  Ihren  Brief  neulich  erhielt  ich  gerade  nach 
meinem  Concerte,  glücklicherweise  hatte  ihn  mein  Bruder 
zurückbehalten  bis  dahin,  er  erschütterte  mich  wahrhaft. 
Daß  Sie  dem  armen  Bach  beigestanden,  erschreckte  und 
erfreute  mich  zugleich.  Wären  Sie  mein  Sohn,  so  würde 
ich  trotz  aller  Sorge  sagen,  Sie  haben  Recht  gethan!  Gott 
sey  Dank,  daß  Sie  Sich  wohl  fühlen  und  gerade  jetzt  in 
rechter  Thätigkeit  leben. 

Und  wie  betrübt  hat  mich  der  Dirichlet  Tod!  hatte  ich 
auch  nie  große  Sympathie  für  sie,  so  war  sie  mir  doch 
werth,  als  ein  Vermächtniß  des  unvergeßlichen  Mendels- 


Von  Clara  Schumann  89 

söhn  —  so  geht  Eines  nach  dem  Andern,  und  uns  bleibt 
nur  die  Erinnerung!  —  Ich  habe  die  letzten  Nächte  sehr 
wenig  geschlafen  und  immer  daran  denken  müssen,  ob  sie 
nun  wohl  mit  ihren  Geschwistern  vereint,  und  warum  der 
Himmel  solch  lebenslustigen  Menschen,  wie  den  Bach  hin- 
wegrafft, und  Menschen,  die  täglich  des  Lebens  Bürde 
schwer  empfinden,  leben  läßt!  ach,  wäre  ich  doch  zur  Ruhe 
gegangen  an  ihrer  Stelle! 

Seyen  Sie  froh,  daß  Sie  nicht  mit  mir  sind,  denn  mein 
Gemüthszustand  ist  furchtbar  traurig  und  oft  so,  daß  meine 
Willenskraft  ganz  ohnmächtig  dagegen.  Freilich  gebe  ich 
Concerte,  aber  unter  welch  inneren  Quaalen?  Meine  Ge- 
sundheit geht  dabei  zu  Grunde.  Denken  Sie,  daß  ich  kein 
Concert  gebe,  wo  ich  nicht  unter  Todesangst  ein  Stück 
nach  dem  Anderen  spiele,  weil  mich  das  Gedächtniß  immer 
zu  verlaßen  droht,  und  die  Angst  davor  quält  mich  schon 
Tage  lang  vorher. 

Ich  habe  nicht  mehr  die  Kräfte,  diesen  Zustand  zu  be- 
kämpfen. In  Pesth  im  letzten  Concerte  blieb  ich  in  zwei 
Stücken  gänzlich  stecken,  meine  Gedanken  verwirrten  sich 
so,  daß  ich  wirklich  den  letzten  Funken  Kraft  zusammen- 
nehmen mußte,  um  nicht  aufzuhöi'en.  Sie  können  denken, 
in  welchem  Zustand  ich  nach  solchen  Erfahrungen  mein 
Concert  hier  gegeben.  Nach  dem  ersten  Stücke  bekam  ich 
solch  einen  Weinkrampf,  daß  es  lange  Zeit  brauchte,  bis 
ich  wieder  zu  einiger  Fassung  kam.  Ich  glaube  aber,  es 
wäre  besser,  wären  Sie  mit  mir,  es  wäre,  abgesehen  von 
der  künstlerischen  Wohlthat,  Balsam  für  mein  Herz,  das 
furchtbar  allein  steht.  Ach,  liebster  Joachim,  es  wird  wohl 
bald  ein  Ende  mit  meiner  Künstlerschaft  haben,  denn,  gäbe 
es  auch  der  Körper  noch  her,  so  ist  doch  mein  Geist  ge- 
schwächt, und  mein  Herz  wie  geknickt.  Wüßte  ich  nur 
das  Eine,  ob  ich  meinen  Robert  wieder  finde!  —  Seyn 
Sie  nicht  bös,  lieber  Joachim,  und  bleiben  Sie  mir  gut, 
und  der  nachsichtige  Freund  meiner  Schwächen.  Ich  weiß, 


4o  An  Clara  Schumann 

ich  sollte  stolzer,  kräftiger  sein  Ihnen  gegenüber,  doch 
ich  weiß  auch,  Sie  sind  ein  zu  edler  Mensch,  das  offene 
Zutrauen  eines  warmen  Herzens  mißbrauchen  zu  können, 
und  es  darum  minder  zu  achten,  selbst  wenn  es  Ihnen 
zur  Last  würde.  Doch  genug,  ich  will  Ihnen  Anderes  er- 
zählen, zuerst  von  Pesth. 

Die  Ihrigen  waren  Alle  wohl.  Ihre  liebe  Mutter  sehr 
betrübt,  auch  Josephine,  Sie  nicht  zu  sehen.  Erstere  über- 
legte viel,  ob  sie  Sie  nicht  im  Frühjahr  in  Hannover  be- 
suche könne.  Ich  war  einen  Abend  dort,  es  war  die  ganze 
Familie  versammelt  —  ich  mußte  gehörig  Rede  stehen,  that 
es  aber  geduldig,  weil  ich  immer  an  Sie  dachte,  und  wie 
gut  es  Ihre  Eltern  doch  meinten.  Ihre  Schwester  sah  ich 
öfter,  und  da  waren  Sie  und  ihre  Hermine  immer  die  Gegen- 
stände unserer  Unterhaltung.  .  .  . 

Leben  Sie  wohl,  lieber  Freund,  gedenken  Sie 

Ihrer 

Getreuen 

Gl.  Seh. 

Schreiben  Sie  mir  auch  von  den  Fortschritten  Ihres  Gon- 
certes  und  überhaupt  immer  recht  viel  von  Sich!  — 


An  Clara  Schumann 

[Hannover,  Mitte  Dez.  i858.] 

.  .  .  Ob  ich  Ihrer  neulich  im  Quartett  gedacht  habe?  Und 
wie  lebhaft  wünschte  ich  Sie  herbei!  Es  waltet  manchmal, 
an  seltenen  Abenden  freilich,  ein  besonderer  Glücksstern 
über  Aufführungen;  und  so  war  es  neulich.  So  unbeengt 
frei  und  warm  habe  ich  nie  vor  dem  Publikum  mit  andern 
Quartett  gespielt;  ich  war  gar  nicht  im  Saal,  sondern 
namentlich  beim  Schumann'schen  Quartett  dem  Kompo- 
nisten gegenüber,  und  bei  den  Variationen  war  es  mir, 
als  müßte  ich  versuchen,  mich  recht  in  sein  Herz  einzu- 


An  Clara  Schumann  4^ 

schmeicheln:  es  ist  so  gemüthvoll,  mit  weicher  Hingabe 
an  das  liebewarme  Thema  weiterphantasierend!  Die  Mit- 
spielenden schienen  ebenso  zu  empfinden,  und  so  sprach 
es  auch  zum  Herzen  des  Publikums.  Das  Sch'sche  Quar- 
tett hat  an  dem  Abend  von  allen  den  meisten  Eindruck 
gemacht.  Das  Cis  moll  von  Beeth.  ist  doch  wohl  vielen  im 
Saale  zu  tiefsinnig  und  dann  wieder  mit  Riesen-Energie 
eingreifend  gewesen,  wenn  sie  sich  auch  bescheiden  vor 
dem  geahnten  Musik-Gott  duckten.  Wie  mancher  mag  da 
wie  an  Sonnenschein  an  den  edlen  Dichter  zurückgedacht 
haben,  der  menschlich  so  trostreich  zu  und  mit  ihnen 
sprach  im  vorhergehenden  Stück. 

Nach  dem  Quartett  mußte  ich  noch  (mit  leichtern  Füßen 
als  Gedanken)  zum  König  in's  Schloß;  ich  sollte  mit 
Blagrove^)  auf  Befehl  ein  Duett  (2  Sätze  eines  Spohr'schen) 
spielen,  was  auch  pflichtschuldigst  geschah;  nachher  hatte 
der  K.  die  Rücksichtslosigkeit,  mich  statt  den  Gast  Blagrove 
zum  Solospiel  aufzufordern.  Ich  hatte  natürlich  nichts 
mitgebracht  und  ließ  es  bleiben.  B.  spielt  nun  morgen  im 
Theater,  und  ich  werde  seinen  Kalliwoda  und  eignen  — 
Pegasus  vom  Orchester  aus  dirigiren.  Es  ist  ein  guter  Kerl, 
und  ich  habe  die  Engländer  ja  lieber  als  ihre  Kompositionen. 
Ein  schauderhaftes  Männchen  aus  Berlin,  X.,  spielte  dann 
Abend  auch  beim  König ;  Gott  soll  mich  bewahren !  Kennen 
Sie  es?  Ich  hoffe  nicht.  ...  O  du  meine  Güte,  das  nennt 
man  Musik!  Dabei  sah  er  aus,  wie  ein  gemästeter  Kapu- 
ziner mit  angeborner  Tonsur,  der  eben  vom  halbvollendeten 
Schweinebraten  weggeholt  wurde  und  die  betreffende 
Sauce  dazu  mit  vielem  gemeinen  Gewürz  nachspült.  Ob- 
wohl er  ganz  rein  griff,  glaubte  icJi  doch  immer,  ein  Kell- 
ner müßte  für  seine  feisten  Finger  eine  Serviette  bringen 
statt  des  battistenen  Taschentuchs,  mit  dem  er  als  Mann 
von  Bildung  coquettirte.  Ich  bin  unwirsch  über  den  guten 
Burschen,  denn  er  behandelte  mich  wie  einen,  der  auch 

^)  Henry  G.  Bl.,  geb.  181 1,  Schüler  Spohrs,  -|-  1872. 


42  An  Clara  Schumann 

mit  zu's  Geschäft  gehört.  Der  eben  bei  mir  gewesene 
Wehner  sagt  mir,  daß  der  König  sich  das  Violoncello  auf 
den  nächsten  Sonnabend  wieder  von  Berlin  verschrieben 
hat.  Werde  auch  spielen  müssen !  Ich  bin  ja  in's  Plaudern 
gerathen  und  statt  mich  zu  bessern,  muß  ich  auf  Ihren 
Befehl  diesmal  noch  einen  Musiker  anschwärzen,  denn  ich 
sollte  ja  über  Herrn  Y.  Auskunft  geben.  Leider  kann  es  keine 
gute  sein.  ...  Es  fehlt  dem  Mann  gänzlich  an  Geschmack 
und  an  musikalischer  und  ästhetischer  Bildung.  Daß  seine 
Schülerin  Frl.  Z.  hier  mit  Erfolg  gastirt  habe,  weiß  ich 
nicht,  glaube  es  aber  auch  nicht.  Da  es  sich  um  die 
Ausbildung  einer  jungen  Dame  handelt,  für  die  Sie  Sich 
interessiren,  mußte  ich  meine  volle  Meinung  sagen,  warnen, 
ich  hätte  sonst  über  den  Mann  nicht  so  viel  geredet.  Von 
etwas  Besserem! 

Wie  mild  und  bescheiden  ist's  von  Johannes,  meinen 
Quartett-Satz  zu  loben.  Er  kann  ihn  wirklich  nicht  be- 
friedigen ;  es  ist  keine  falsche  Schüchternheit,  daß  ich  nicht 
gut  davon  sprach,  und  ich  will  hoffen,  daß  ich  einmal 
einen  bessern  schaffe  .  .  . 

Lassen  Sie  bald  von  Sich  und  Ihren  Plänen  hören,  liebe, 
bewegliche  Freundin!  Von  der  Bettine  hörte  ich  durch 
Frau  Detmold  gute,  wenigstens  wieder  bessere  Nachricht. 
Sehen  Sie  Jemand  aus  dem  Hause,  so  sagen  Sie  das  Beste 
und  Wärmste,  dessen  ich  fähig  bin. 

Der  Ihrige 

Joseph  J. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover,  Mitte  Decbr.   i858.] 

.  .  .   Auf  Ihren   Wunsch   schicke   ich   auch   heute   den 

Brief  von  Frl.  Gisela  an  Sie;  er  war  erbrochen,  als  er  in 

meine  Hände  kam.    Ich  weiß,  daß  G.  es  für  vmzart  hält. 


An  Clara  Schumann  4^ 

versiegelte  Briefe  zur  Besorgung  zu  überschicken.  Sie  ist 
in  den  kleinsten  Dingen  rücksichtsvoll  und  harmonisch! 
Das  erste  Concert  fiel  sehr  gut  aus;  alle  Dinge  giengen 
schön,  und  mit  der  Auswahl  mußte  man  doch  zufrieden 
sein:  Gluck,  Cherubini,  Beethoven  und  Mozart!  Mein  Arm 
ist  aber  ein  wenig  angegriffen  vom  Spielen  und  Dirigiren, 
darum  auch  meine  kleine  unruhige  Schrift;  das  ist  immer 
das  erstemal  und  geht  rasch  vorüber.  Neulich  in  der 
Probe  spielten  wir  auch  die  Cdur  Sinfonie  von  Schumann; 
zur  großen  Freude  an  dem  Werk  bei  den  Musikern.  Wir 
führen  sie  jedenfalls  auf.  Was  hätte  ich  drum  gegeben, 
dieses  Lieblingswerk  einmal  für  den  Komponisten  einstu- 
diren  zu  dürfen!  —  Die  Passions-Musik  in  Hamburg  war 
ergreifend  schön.  Grädener  hatte  das  W^erk  sehr  gut  ein- 
studirt;  auch  die  Solisten  waren  befriedigend,  nichts  störte 
den  Eindruck  in  der  großen  Kirche  mit  der  herrlichen 
Orgel.  Sie  hätten  auch  Ihre  Seele  recht  erlabt,  und  Ihrer 
Stimmung  würde  es  eine  W^ohlthat  gewesen  sein,  liebe,  ver- 
ehrte Frau!  Harren  Sie  nur  muthig  aus  in  der  großen 
Kaiserstadt  und  denken  Sie  einstweilen  an  die  Freude,  die 
Sie  den  Ihrigen  machen  werden,  wenn  Sie  zu  Weihnachten 
heimkehren  und  Sich  sagen  dürfen,  Sie  hätten  all  das  ver- 
breitete Glück  durch  die  schwersten  Opfer  ihnen  allein 
geschaffen.  Gott  schütze  Sie.  Ich  hoffe  auf  sehr  baldiges 
Wiedersehen !  Unser  lieber  Joh.  war  leider  nicht  in  Ham- 
burg; er  hat  mir  viel  Anerkennendes  und  Liebes  über  mein 
ungarsches  Adagio  geschrieben,  was  mich  herzlich  freut. 
Platen  habe  ich  noch  nicht  gesprochen  wegen  des  Concerts 
von  Joh. ;  er  wird  mir  es  aber  gewiß  nicht  abschlagen.  Er 
thut  jetzt  Alles  mit  Freundlichkeit  für  mich. 

Der  Ihrige 

J.  J. 


44  An  seine  Eltern 


An  seine  Eltern 

[Hannover  1 1.  Januar  iSSg.] 
Liebe,  gute  Eltern. 

Ihnen  vielmals  für  Ihre  Gratulation  dankend,  erwidere 
ich  alle  besten  Wünsche  durch  meine  herzlichsten,  auch 
an  die  liebe  Regi,  Ich  kann  seit  meinem  letzten  nur  an- 
genehm Erlebtes  mittheilen,  obwohl  ich  leider  nicht  viel 
arbeiten  konnte.  In  Leipzig  gieng  alles  gut;  überall  Theil- 
nahme  und  Herzlichkeit  für  meine  Leistungen  und  mich. 
Bei  meiner  Rückkehr  von  dort  hatte  ich  hier  für  das 
2^^  Concert  zu  sorgen,  das  sehr  guten  Erfolg  hatte.  Ich 
dirigirte  eine  Mendelsohn'sche  Ouvert.  und  Beethovens 
Pastoral-Sinfonie  und  spielte  mit  einem  Mitglied  unserer 
Kapelle,  Kömpel,  der  Spohr's  Lieblingsschüler  war  und 
sehr  schön  geigt,  eine  Concertante  für  2  Violinen  von 
Spohr.  Der  König  war  nicht  [da],  denn  er  ist  noch  immer 
krank,  aber  die  Königin  und  der  Herzog  v.  Altenb.  etc,  etc. 
Der  König  hat  mir  einen  sehr  liebenswürdigen  Beweis  ge- 
geben, daß  er  dennoch  fortfährt,  sich  für  mich  zu  interes- 
siren,  und  mich  dadurch  sehr  erfreut,  da  ich  glaubte,  er 
wäre  seit  einiger  Zeit  kälter  gegen  mich  geworden.  Er  hat 
mir  nämlich  vorgestern  den  Guelphen-Orden  (4"^  Klasse) 
zugeschickt,  ein  silbernes  Sternchen  mit  den  Worten  „nee 
aspera  terrent"  und  dem  Königlichen  Namenszug  des  Stifters 
Ernst  August  darauf,  an  einem  blauen  Band.  Ich  lege 
keinen  großen  Werth  auf  äußerliche  Erfolge,  aber  als 
Zeichen  des  Wohlwollens  und  der  Zufriedenheit  mit  meinen 
Leistungen  vom  König  macht  mir  die  Sache  Vergnügen, 
denn  ich  weiß,  daß  der  König  gegen  Künstler  mit  seinem 
Orden  sehr  sparsam  ist.  Aber  mit  meinem  Abschieds- 
fordern  sieht  es  immer  schwieriger  für  mich  aus!  Mein 
Freund  Brahms  wohnt  jetzt  auf  einige  Tage  bei  mir;  er 
wird  mir  als  Freund  und  Künstler  immer  lieber,  und  ich 


An  Clara  Schumann  4-^^ 

staune  seine  enorme  musikalische  Begabung  mit  wärmster 
Freude  täglich  an.  Alles  vielmals  grüßend  was  zum  Hause 
gehört,  Ihr 

Joseph. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  d.  i6.  Jan.  5g.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Wie  lange  schon  bin  ich  ohne  Nachricht  von  Ihnen; 
zum  Glück  weiß  ich  jetzt  durch  Johannes,  der  seit 
8  Tagen  bei  mir  ist,  Ihre  Adresse  und  daß  Sie  nur  Gutes  erlebt 
haben.  Er  schreibt  eben  einen  Satz  seiner  Ddur  Serenade 
in's  Reine  für  den  Copisten,  und  wir  werden  sie  nun  am 
nächsten  Sonntag,  den  2 3"^"  mit  der  alten  Besetzung  hören, 
da  er  sich  nicht  gern  von  den  ursprünglichen  Instrumenten 
trennen  mag.  So  lange  bleibt  er  also  jedenfalls  auch  noch 
bei  mir,  und  es  sind  prächtige  Stunden,  die  ich  aus  dem 
Zusammensein  mit  dem  Freunde  schöpfe.  Sein  Concert 
soll  nun  auch  in  unserm  nächsten,  3"^"  Ab.-Conc.  endlich, 
am  22"="  hoffe  ich,  von  Stapel  laufen,  und  ich  freue  mich 
aufs  flott  machen  und  steuern.  Warum  können  wir  Sie 
nicht  als  einen  guten  Geist  dazu  haben!  Nun,  ich  weiß, 
mit  Ihren  Gedanken  werden  Sie  dabei  sein,  und  bin  ich 
auch  ein  unzuverlässiger  Correspondent,  bei  dieser  Gelegen- 
heit werden  Sie  nicht  über  Mangel  an  Pünktlichkeit  und 
gewissenhaftem  Detail  zu  klagen  haben;  da  Sie  natürlich 
jedes  kleinste  Nötchen  der  Aufführung  interessirt.  Wie 
habe  ich  Theil  genommen  an  der  Seeligkeit,  die  es  Ihnen 
gewähren  mußte,  Schumann's  Compositionen  so  vielen 
Menschen  zum  Mitgenuß  erschlossen  zu  haben.  Sogar  die 
Kreisleriana  haben  Sie  gespielt!  Die  habe  ich  noch  nicht 
einmal  von  Ihnen  gehört,  treffen  wir  aber  wieder  zu- 
sammen, so  muß  ich  sie  auch  genießen  dürfen.  Es  sind 
einige  Lieblinge  von  mir  in  dem  Heft.    Vor  Ihrer  hollän- 


46  Von  Clara  Schumann 

dischen  Fahrt  wird  mir  es  wohl  kaum  so  gut  werden,  Sie 
zu  sehen;  aber  auf  Ihrer  Eeise  dahin,  hoffe  ich,  halten  Sie 
Ihr  Versprechen  und  spielen  einmal  hier.  Platen  sagte 
neulich  von  freien  Stücken,  dann  müßte  auch  endlich 
die  Schuld  an  Sie  vom  Hof  abgetragen  werden,  was  mir 
lieb  war.  Der  König  war  die  ganze  Zeit  krank;  und  hat 
mir  zu   seiner  Genesung   den  Guelphen-Orden    verliehen. 

Sie  lächeln  gewiß,  liebe  Freundin ! Was  Sie  mir  von 

Frl.  X.  schreiben,  erfreut  mich,  denn  der  guten  Seele  waren 
die  Stunden  in  Ihrer  Nähe  wahrscheinlich  eine  Wohlthat, 
an  der  sie  lange  zehren  und  nachschwärmen  kann!  Ich 
danke  von  Herzen,  daß  Sie  meiner  Empfehlung  so  viel 
Ehre  erwiesen  haben.  —  Johannes'  neue  Sachen,  nament- 
lich der  Grabgesang,  gefallen  mir  sehr;  mit  dem  Braut- 
gesang befreundete  ich  mich  weniger.  Aber  die  neue 
Serenade  ist  überaus  lieblich  und  originell.  Ich  staune 
über  unseres  Freundes  Produktivität  und  komme  mir 
recht  wie  ein  fauler  Junge  vor!  In  Leipzig  wollen  sie 
meine  Heinr.  Ouvertüre  u.  das  Schubertsche  Duo  spielen; 
ich  bin  gespannt,  wie  es  ausfällt.  Hat  Ihnen  die  Frege  ge- 
schrieben? Wir  wollten  es  zusammen  thun,  als  ich  am 
i"="  in  Leipzig  spielte.  Wie  oft  schreibe  ich  mit  den  Ge- 
danken!   Aber  mit  Feder  und  Tinte Lassen  Sie 

mich's  nicht  entgelten  und  beschenken  Sie  bald  wieder 
mit  einigen  Worten  Ihren 

treu  ergebenen 

Joseph  J. 

Von  Clara  Schumann 

Wien  d.   16  Jan:  iSSg. 

Lieber  Joachim, 

Halten  Sie  es  nicht  für  Zudringlichkeit,  wenn  ich,  trotz 
Ihres  Stillschweigens  auf  meinen  Brief  zu  Weihnachten 
an  Sie,  heute  wieder  schreibe.    Es  betrifft  jedoch  keines- 


Von  Clara  Schumann  4? 

wegs  mich,  sondern  lediglich  Frl.  X,  dessentwegen  ich  es 
thue.  Ich  schrieb  Ihnen  schon,  daß  ich  Dieselbe  kennen 
gelernt,  und  auf  meine  Frage,  warum  sie  nicht  bei  Ihnen 
studire,  die  Antwort  erhielt,  es  sey  der  Leute  wegen  nicht 
geschehen;  jetzt  nun  bei  meiner  x\nwesenheit  in  G.  lernte 
ich  ihre  Angehörigen  kennen,  welche  mir  erzählten, 
daß,  auf  eine  Anfrage  an  Sie,  ob  die  X  nach  Hannover 
kommen  düife,  Frau  D.  ihnen  geschrieben  habe,  es  sey 
Ihr  specieller  Wunsch,  daß  sie  nicht  komme  wegen  des 
Geredes  der  Leute :  Mit  Thränen  erzählte  mir  die  Schwester, 
wie  tief  diese  Antwort  das  arme  Mädchen  gebeugt  habe, 
wie  sie  ihr  ganzes  Glück  gefunden  hatte  in  der  Hoffnung, 
wieder  bei  Ihnen  studieren  zu  können  etc:  etc:  Ich  habe 
ihnen  nun  versprochen,  Sie  zu  fragen,  ob  es  wirklich  Ihr 
Wunsch  nicht  war,  daß  sie  kam,  oder  ob  es  nur  die  Mei- 
nung der  Frau  D.  war?  ich  kann  sie  mir  nicht  recht 
denken  als  die  Ihrige,  denn  wo  das  ganze  künstlerische 
Glück  eines  so  strebsamen  Mädchens  auf  dem  Spiele  steht, 
kann  doch  nicht  in  Betracht  kommen,  was  Dieser  oder 
Jener  etwa  darüber  sagt,  was  sich  ja  doch  bald  als  un- 
gegründet ausweisen  müßte.  Die  Schwester  wollte  Ihnen 
schreiben,  ob  Sie  ihre  Schwester  noch  die  3  Monate  bis 
April  (England)  unterrichten  wollten;  da  es  jedoch  für  sie, 
nach  dem,  was  Frau  D.  ihr  geschrieben,  gar  zu  peinlich 
war,  nochmals  zu  schreiben,  so  versprach  ich  es  zu  thuen, 
und  bitte  Sie  nun,  mir  offen  Ihre  Meinung  darüber  zu 
sagen  —  ich  werde  ihr  kein  Wort  mehr  sagen,  als  Sie  mir 
Erlaubniß  geben  —  nur  damit  sie  wisse,  woran  sie  sey, 
thuen  Sie  es.  Böhm  behagt  ihr,  glaube  ich  nicht,  er  hat 
ihr  gesagt,  sie  werde  in  einem  Jahre  die  größte  jetzt 
lebende  Virtuosin  sein  etc:,  das  gefällt  mir  nicht  von  ihm, 
es  klingt  mir  so  Charlatan-artig.  Ich  fürchte  im  Gegen- 
theil,  wie  ich  Ihnen  schon  schrieb,  daß  sie  technich  zu 
spät  angefangen,  und  wie  schwer  die  Technik  zu  erringen, 
wenn  schon  die  Hände  ausgewachsen,  ist  eine  bekannte 


48  An  Clara  Schumann 

Sache;  auch  ist  sie  musikahsch  doch  noch  zurück.  Ich 
bat  Sie  schon  um  Ihre  Meinung  hierüber,  bitte,  sagen  Sie 
sie  mir.  Eine  Antwort  hierauf  wollen  Sie  mir  nach  Dresden 
schicken,  wo  ich  d,  21  oder  22'^"  einzutreffen  denke.  Ich 
werde  bei  Bendemann's,  Halbe  Gasse  N'"  3  wohnen  und 
wohl  einige  Zeit  bleiben.  Ihretwegen  frage  ich  nicht  mehr! 
Leben  Sie  wohl!  ich  grüße  Sie  wie  immer  von  Herzen, 
obwohl  sehr  betrübt, 

Ihre 

Cl.  Seh. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover,  Sonntag,  28.  Januar  iSSg.] 
(Liebe  Freundin)  Verehrte  Frau  Doctorin! 

Y ergeben  Sie,  daß  ich  mich  schon  wieder,  nach  8  Tagen, 
schriftlich  an  Sie  wende  und  Sie  auf  einige  Augen- 
blicke Ihren  Dresdner  Freunden  und  Verwandten  entziehe, 
aber  es  betrifft  keineswegs  mich,  sondern  lediglich  Herrn 
Johannes  Brahms  — ^)  Ne!  das  hielt  ich  doch  nicht  aus, 
einen  ganzen  Brief  lang  so  fortzufahren !  Liebe  Frau  Schu- 
mann, wir  haben  gestern  Abend  also  Johannes'  Concert  vor 
einem  hohen  Hannoverschen  Adel  und  sonstigem  Publi- 
kum, ja  selbst  vor  sämmtlichen  allerhöchsten  Herrschaften 
gespielt.  Und  es  gieng  sehr  gut!  Es  wurde  das  Concert 
sogar  durch  Hervorruf  des  Spielers  und  Componisten  ge- 
ehrt, dessen  Bücklinge  so  aussahen,  als  wollte  er  nach 
Untei tauchen  im  Wasser  die  Feuchtigkeit  aus  den  Haaren 
schütteln.  Er  hat  sich  aber  sonst  sehr  gut  aufgeführt, 
namentlich  sehr  erträglich  und  im  Tacte  gespielt  und  ist 
wirklich  ein  ganzer  Kerl!  Sie  wißen,  wie  sehr  ich  das 
Concert  liebe,  und  ich  kann  sagen,  daß  im  Ganzen  meine 
Neigung  dazu  durch  die  Aufführung  bestätigt  wurde,  ob- 

*)  Vgl.  den  Anfang  des  vorhergehenden  Briefes. 


An  Clara  Schumann  49 

wohl  ich  empfand,  daß  Einiges  im  ersten  Satz  ruhiger, 
gedrängter  werden  muß.  Aber  herrlich  ist  das  Adagio, 
und  voll  wunderbar  schöner  Einzelheiten  der  letzte  Satz, 
namentlich  der  Schluß  von  prächtiger  Ursprünglichkeit 
und  Frische.  Langsam,  aber  desto  sicherer  wird  sich 
die  Empfindung  für  das  Genie  unseres  Freundes  Boden  bei 
den  Musikern  und  in  immer  weitern  Kreisen  erringen,  das 
ist  mir  klar  geworden.  Denn  wer  ist,  selbst  unter  Musi- 
kern, klar  und  tief  genug,  um  gleich  alle  reichen  Ver- 
schlingungen für  wahre,  aus  der  Tiefe  einer  mächtigen 
Phantasie  entspringende  organische  Gebilde,  und  nicht  als 
Gesuchtheit  zu  erfassen?  Wer  wird  denn  das  rücksichts- 
lose Schwelgen  in  der  angeborenen  Energie  seines  Cha- 
rakters gleich  als  den  natürlichen  Kontrast  einer  bedeu- 
tenden Kraft  gegen  das  weiche,  warme,  träumerische  Vei- 
senken  verstehen,  dessen  Johannes  mit  seinem  liebevollen 
Verständniß  der  leisesten  Regungen  in  dem  Menschen- 
herzen und  der  Natur  fähig  ist?  Aber  doch  Niemand  wird, 
wenn  unser  Freund  sich  selbst  treu  bleibt  und  fortwächst, 
dem  Allen  widerstehen,  so  sehr  sich  in  der  Regel  Menschen 
(u.  Musiker  zumal!)  wehren,  das  über  ihnen  stehende  an- 
zuerkennen. Wir  hatten  zwei  Proben,  und  das  Verständ- 
niß der  Spieler  wuchs,  wie  sie  denn  am  Abend  mit  sicht- 
licher Aufmerksamkeit  und  Liebe  begleiteten.  Daß  Sie, 
liebe  Freundin,  nicht  zuhörten,  hat  mich  natürlich  mit 
herzlichem  Bedauern  erfüllt;  es  tröstet  mich  einigermaßen, 
daß  Sie  das  Stück  vermuthlich  in  Leipzig  hören  werden. 
Nicht  wahr?  Ich  denke  mir  Sie  am  Donnerstag  im  Ge- 
wandhaus, obwohl  Sie  dieser  Brief  in  Dresden  aufsucht. 
Daß  ich  nicht  augenblicklich,  wie  Sie  wollten,  in  der  An- 
gelegenheit V.  Frl.  X  geantwortet  habe,  kommt  daher,  daß 
eben  nichts  mehr  in  der  Sache  zu  ändern  ist.  Es  ist  wirk- 
lich auch  meine  Überzeugung  gewesen,  nachdem  ich  sah, 
wie  sehr  die  südliche,  enthusiastische,  sorglos  i'eine  Natur 
des  lieben  Mädchens  hier  beobachtet,  commentirt  und  für's 


5o  Von  L.  Spohr 

Gespräch  benutzt  wurde,  daß  es  ihr  auch  innerhch  nicht 
förderhch  sei,  sich  dem  ferner  auszusetzen.  Bei  einem  Mann 
gleitet  das  ab,  was  Gerede  heißt,  ein  so  zartes  Mädchen 
aber  könnte  dadurch  verwundet  werden,  oder  minde- 
stens von  dem  zarten,  reizenden  Schmetterhngsstaub,  weib- 
hche  Schüchternheit,  einbüßen.  Das  sind  die  Hannove- 
raner, oder  überh.  Kleinstädter  nicht  werth.  Dazu  kömmt, 
daß  gerade  dasjenige,  was  ihr  im  Violinspiel  hauptsächlich 
fehlt,  die  Bogenführung,  von  Böhm,  meinem  frühern  Lehrer, 
eine  Specialität  ist  etc.  etc.  Wir  müssen  eben  bald  darüber 
sprechen,  wie  über  manches  Andre,  und  ich  danke  nur 
noch  für  das  liebenswürdige  Interesse,  das  Sie  meiner  Em- 
pfohlenen geschenkt. 

Daß  die  Bettina  ausgelitten,  wissen  Sie  wohl  schon.  Sie 
starb  Donnerstag  früh;  am  Todestage  Achim's  v.  Arnim! 
Sie  ist  gestern  in  Wiepersdorf  beerdigt  worden.  Wie  viel 
Gedanken  kreuzten  sich  in  mir  durch  die  Nachricht  —  wie 
sehr  hat  sie  mich  ergriffen.  Sie  werden  das  begreifen,  liebe 
Freundin  .... 

Schreiben  Sie  bald 

Ihrem 

J.  J. 

Heut  um  3  probiren  wir  Johannes'  Serenade;  Abends 
ist  Sommernachtstraum.    Fidelio  hörten  wir  2 mal. 


Von  L.  Spohr 

Caßel  den  24^^^"  Januar  iSSg. 
Hochgeehrter  Herr  und  Freund, 

In  seiner  Neujahrsgratulation  meldete  mir  Kömpel  voller 
Freude,  daß  er  im  2^*^"  Ihrer  dortigen  Abonnement  Con- 
certe  die  Ehre  und  das  Glück  haben  würde,  meine  2'^  Con- 
certante  in  Hmoll  mit  Ihnen  zu  spielen,  und  sprach  den 


Von  L.  Spohr  5i 

Wunsch  aus,  daß  ich  herüberkommen  möge,  um  sie  mit 
anzuhören.  Leider  war  ich  damals  nicht  ganz  wohl  und 
durfte  daher  Mitte  Winter  es  nicht  wagen,  die  Reise  zu 
machen. 

Seit  der  Zeit  hat  er  mir  nun  abermals  geschrieben  und 
sagt  unter  anderm,  das  Auftreten  mit  Ihnen  habe  ihm  so 
viel  Ehre  und  Ruhm  gebracht,  daß  er  noch  gar  nicht  recht 
wiße,  wie  ihm  eigentlich  geschehen  sey,  und  voller  Freude 
fügt  er  hinzu,  Sie  hätten  nachher  geäußert:  Sie  würden, 
wenn  Sie  mir  damit  eine  Freude  bereiten  könnten,  die  Con- 
certante  nochmals  mit  ihm  in  Gaßel  wiederholen.  Ist  diese 
Äußerung  wirklich  von  Ihnen  geschehen  und  haben  Sie 
vielleicht  die  Absicht,  eine  größere  Kunstreise  über  Caßel 
anzutreten?  ich  hörte  kürzlich  von  einer  Reihe  von  Gon- 
certen,  die  Sie  in  Wien  zu  geben  gedächten  —  so  könnte 
mich  in  der  That  nichts  mehr  erfreuen,  als  Sie  einmal  hier 
in  einer  meiner  Lieblingskompositionen  zu  bewundern  und 
die  Veranlassung  zu  seyn,  daß  eins  unserer  Abonnement- 
concerte  durch  einen  fremden  Künstler  reich  ausgestattet 
würde,  während  mein  Nachfolger,  Kapellmeister  Reis  deren 
vorigen  und  diesen  Winter  schon  eine  ganze  Reihe  der- 
selben in  dieser  Weise  ausgestattet  und  unserer  Wittwen- 
kaße  dadurch  zu  glänzenden  Einnahmen  verholfen  hat. 
So  noch  das  letzte  unserer  Concerte,  welches  durch  die 
Anwesenheit  der  Harfenistin  Frl.  Mösner  und  des  Geigers 
Herren  Weißenborn  aus  Weimar  verherrlicht  wurden. 
Sollte  Sie  also  Herr  Reis  zu  einem  der  nächsten  Goncerte 
einladen,  so  gedenken  Sie  wohlwollend  und  freundlich 
Ihrer  Äußerung  und  nehmen  Sie  Ihren  Weg  über  Gaßel. 

Gewiß  würde  dann  auch  Herr  Amtsrath  Lueder  einmal 
wieder  uns  besuchen,  und  Zeuge  Ihrer  Triumphe  sein 
wollen. 

Herr  Zillinger^)  war  einen  Tag  hier  und  hat  mir  Ihre 

^)  Schüler  Spohrs,  war  später  Organist  in  Dresden,  wo  er  im  34-  Lebens- 
jahre gestorben  ist. 

i* 


52  An  Th.  Ave-Lallemant 

Grüße  überbracht.  Er  hatte  die  Absicht  nach  Naumburg 
zu  reisen  und  sich  um  die  dortige  Stadtmusikdirector-Stelle 
zu  bewerben.  Ich  gab  ihm  zu  dem  Behuf  einen  Brief  an 
den  dortigen  eifrigen  Musikfreund  Herrn  Oberweg  mit, 
der  ihm  dann  auch  zur  Erlangung  der  Stelle  behülflich 
gewesen  ist.  Heute  früh  kam  er  von  dort  zurück  und 
fühlte  sich  sehr  glücklich,  sein  projektirtes  Auswandern 
nach  Südamerika  nun  aufgeben  zu  können. 

Mit  inniger  Freundschaft  ganz 

der  Ihrige 

Louis  Spohr. 

NS.  Herrn  Kömpel  bitte  ich  herzlich  zu  grüßen.  Ich 
laße  ihm  für  seine  beyden  freundlichen  Briefe  bestens 
danken. 


An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover,  Mitte  Februar  iSSg.] 
Lieber  Freund. 

Ich  denke,  es  ist  eine  längst  abgemachte  Sache,  daß  ich 
am  24"^"  März  komme!  Habe  ich's  denn  noch  nicht 
geschrieben?  Oder  ist  mein  Brief  nicht  angekommen? 
Brahms'  Concert  hat  mir  bei  näherer  Bekanntschaft  immer 
mehr  Liebe  und  Achtung  eingeflößt.  Bei  den  meisten 
Intelligenten,  die  ich  aus  dem  Publikum  u.  dem  Orchester 
gesprochen,  hat  sich  eine  hohe  Meinung  über  Brahms  als 
Musiker  kund  gegeben;  über  sein  eminentes  Spiel  sind 
selbst  Gegner  seines  Concerts  einig.  Daß  theilweise  Vor- 
urtheil,  dann  das  Befremden  über  eine  so  rücksichtlos  ideal 
sich  gebende  Individualität,  wie  die  unseres  Freundes,  dem 
Glanz  des  Erfolges  hindernd  entgegentreten  würden,  habe 
ich  von  vornherein  nicht  anders  erwartet.  Auch  werden 
einige  Längen  in  der  Composition,  hie  und  da,  selbst  gut 
disponirte,   an   einzelnen   Stellen    im   Vollgenuß    stören. 


An  Gisela  v.  Arnim  53 

Trotzdem  darf  man  sagen,  es  hat  das  Concert  einen  Pu- 
blikum und  Künstler  gleich  ehrenden  Erfolg  gehabt;  so 
in  Hannover.  Nun  mögen  Mäkler  und  böswillige  Ver- 
leumder wie  Wehner  ausstreuen,  was  sie  wollen,  mich 
kümmert's  nicht,  wir  haben  recht  gethan.  Die  Leipziger  ^) 
haben  aber  in  ihrer  Blasirtheit  ein  testimonium  der  Ärm- 
lichkeit und  Herzlosigkeit  gegeben,  das  mir  um  so  mehr 
leid  thut,  als  ich  dort  selbst  erfahren,  daß  so  etwas  trotz 
aller  Philosophie  schmerzt  den,  welchem  solche  Theilnahm- 
losigkeit  das  kalte  Wasser  über  das  warme  Herz  gießt. 
Nun  mögt  Ihr  in  Hamburg  thun,  was  ihr  wollt;  aber  wenn 
Sie,  lieber  Freund,  das  Concei^t  im  Philharmonie  bringen, 
so  komme  ich  und  dirigire.  Das  ist  ja  längst  ausgemacht. 
Im  übrigen  grüße  ich  von  Herzen  alle  guten  Menschen  in 
Ihrem  Haus  und  Ihrer  Stadt.  Brahms  wird  wohl  auch 
schon  darunter  sein! 

Ihr 

J.  J. 


An  Gisela  v.  Arnim 

[Hannover  23.  od.  24.  Febr.  iSSg.] 

.  .  .  Klaus  Groth  kam  zweimal  in  den  letzten  i4  Tagen 
hier  durch  und  hat  mich  da  jedesmal  aufgesucht.  Er  ist 
mir  sehr  sympathisch,  und  ich  denke  immer,  daß  ich  ihn 
quasi  durch  Dich  habe  kennen  lernen.  Seine  Braut  und 
ihre  Familie  kannte  ich  lange  vor  ihm;  sie  heißt  Doris, 
hatte  sehr  angenehme  Züge,  als  ich  sie  zuletzt  vor  mehreren 
Jahren  sah,  kam  mir  aber  ein  bischen  ehrgeizig  und  be- 
wußt angenehm,  mit  Sehnsucht  nach  Genialität  vor.  Um 
Klaus  Groth's  Ideal  zu  entsprechen,  müssen  die  Jahre  gut 
an  ihr  gewirkt  haben ;  er  scheint  sehr  glücklich. 

Hermanns  Schriften  haben  auf  einige  Menschen,  die  ich 

^)  vgl.  Brahms'  Brief  vom  28.  Jan.  Sg  an  Joachim,  Briefwechsel  I. 


54  An  Th.  Ave-Lallemant 

hier  damit  bekannt  machte,  außerordenthchen  tiefen  Ein- 
druck hervorgebracht,  namenthch  die  prosaischen  Aufsätze: 
Essay's,  die  Schrift  über  Akademie  u.  s.  w.  Ich  würde  es 
nicht  erwähnt  haben,  wenn  es  gewöhnliches  Wohlgefallen 
wäre,  aber  es  ist  wirklich  die  herzlichste  Theilnahme  und 
wahres  Verstand niß  seiner  Natur,  die  man  als  berechtigt 
harmonisch  anerkannte,  selbst  wo  man  nicht  mit  ihr  über- 
einstimmte. Alle  wollten  nach  und  nach  seine  sämtlichen 
Sachen  lesen  oder  sagten  unwillkührlich :  lebte  ein  Solcher 
hier !  —  auch  der  Königin  Hofdamen,  denen  ich  indeß  alle 
Pläne  gleich  damit  durchschnitt,  daß  ich  äußerte:  Grimm 
ist  ein  zu  stolzer  Patriot,  um  irgendwo  anders  als  in  Berlin 
zu  existiren,  —  Wie  lange  ich's  hier  aushalte,  weiß  ich 
auch  nicht;  mein  Ideal  wäre  jetzt,  mir  alle  Jahre  durch 
mein  Spiel,  ohne  Anstellung,  so  viel  zu  verdienen,  daß  ich 
meinen  Aufenthalt  wählen  könnte.  Leider  Gottes  sind  die 
meisten  Künstler  und  Institute  (zumal  an  Höfen!)  derart, 
daß  man  unwillkührlich  in  Störendes,  ja  Gemeines  hinein- 
gezogen wird.  —  Sonnabend  gehe  ich  bis  zum  3"^"  März, 
also  bis  nächsten  Mittwoch,  nach  der  Universität  Utrecht 
in  Holland.  Die  dortigen  Studenten  haben,  nachdem  ich 
mehrere  Jahre  lang  ihre  Einladungen  abgeschlagen,  ja 
zuletzt  nicht  beantwortet  hatte,  vor  Kurzem  einen  der 
Ihrigen  eigends  zu  mir  hierher  geschickt,  und  ich  habe 
solcher  Liebenswürdigkeit  nicht  widerstehen  wollen.  Ist  das 
nicht  herzlich  von  den  jungen  Leuten.  „Irrende,  Suchende, 
die  ihr  hinanjubelt  den  Parnassus,  zu  Kastalias  Quell!"  .  .  . 

An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover,  Mitte  März  iSSg.] 

Liebster  Ave. 

.  .  .  Zur  Probe  komme  ich  rechtzeitig  mit  Stockhausen 

—  wir    wollen    nämlich    zusammen   Extrapost   nehmen, 

also  werden   wir   etwa  gegen   9 — 10  Mittwoch   bei   Euch 


An  Clara  Schumann  55 

sein  —  hoffe  auch  unterwegs  alle  Muße  zu  haben,  meine 
diplomatische  Mission  Avegen  der  Wohnung  bei  Stockhausen 
zu  Ihrer  Zufriedenheit  zu  erledigen.  Aber  daß  ich  diesmal 
bei  Johannes  wohnen  ■  soll ,  wird  Ihnen  und  den  Ihrigen 
doch  nichts  helfen  —  zu  Hause  werde  ich  mich  doch  bei 
Euch  auch  fühlen.  Nur  bin  ich  bange,  daß  mein  dies- 
maliger Rivale  mich  und  meine  Geige  für  alle  Zeit  mit 
seiner  Liebenswürdigkeit  und  seiner  Stimme  in  Schatten 
stellt.  Der  Kerl  singt  unbeschreiblich  schön ;  sagen  Sie  nur 
Joh.,  er  möchte  alle  seine  Lieder  copiren  lassen.  Ich  will 
bis  Montag  nach  der  Soiree  bleiben,  dann  muß  ich  aber 
spornstreichs  zurückgallopiren. 

Vielleicht  bringe  ich  Bronsart  nach  Hamburg,  der  gern 
Johannes'  Concert  hören  will.  Nehmt  ihn  gut  auf,  wenn 
er  kömmt. 

In  aller  Eile  und  in  alter  Freundschaft 

Joseph  J. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Donnerstag  Nachmittag.  [3 1.  März  1859.] 

Liebe  Frau  Schumann. 
.  .  .  Sonnabend  spielt  Jaell  das  Beeth.'sche  Esdur  Con- 
cert, imd  die  C  moll  Sinfonie  wird  gemacht.  Ich  wollte  ur- 
sprünglich die  Schum[ann]'scheGdur  No.  2  aufführen,  wage 
es  aber,  da  das  Concert  im  Theater  ist,  vor  einem  so  ge- 
mischten Publikum  nicht.  Das  wäre  Caviar  fürs  Theater- 
volk; Beeth.  sitzt  ihnen  schon  eher  in  den  Knochen,  und 
aus  Respekt  vor  dem  Namen  finden's  auch  die  meisten 
schon  göttlich.  —  Unsere  Soiree  in  Hamburg  ist  sehr  gut 
ausgefallen,  der  Saal  war  übervoll,  und  die  Serenade  hat 
trotz  der  zum  Theil  mangelhaften  Ausführung  in  den  letzten 
Sätzen  namentlich  entschieden  angesprochen :  Brahms  wurde 
gerufen,   und   da  er  in  der  Loge  war,   u.  erst  gar  nicht 


56  Von  Frau  Amalie  Herstatt 

kommen  wollte,  dauerte  der  Spectakel  sehr  lange.  Die 
Serenade  ist  aber  auch  ein  köstliches,  frisches,  graziöses, 
und  dann  doch  wieder  tiefes  Stück,  und  ich  hatte  beim 
Einstudiren,  trotz  der  Gimpel  und  Faulthiere  von  Pfeifern 
und  Streichern  der  freien  Stadt,  großen  Genuß.  Soviel 
darüber.  . . .  Ich  habe  von  Stockhausen  mit  Freuden  von  der 
Aussicht  gehört,  zusammen  Concerte  ^)  zu  geben.  Ich  werde 
natürlich  spielen,  so  oft  und  was  Sie  wollen,  u.  damit  Sie 
sehen,  liebe  Freundin,  daß  ich  aufrichtig  bin,  so  habe  ich 
nur  die  Bitte,  daß  mein  Name  nicht  mit  als  Concertgeber 
auf  dem  Programm  steht,  sondern  nur  als  engagirtes  Mit- 
glied, denn  ersteres  könnte  wirklich  meinen  Beeth.  Quartett- 
Abenden  schaden.  Sonst  bin  ich  aber  in  allen  Stücken 
ungebunden  und  wie  immer  für  Alles,  was  Ihnen  ange- 
nehm sein  kann, 

Ihr 

getreuer,  herzlich  ergebener 

J.  J. 


Von  Frau  Amalie  Herstatt 

Cöln  d.  2.  April  1859. 

. . .  Ihre  Fürsorge  für  Friedemanns  Grab  war  auch  mein 
Wunsch,  nur  wagte  ichs  nicht,  Sie  in  Betreff  eines  Leichen- 
steins von  Neuem  zu  belästigen.  Sollte  die  kleine  Summe, 
die  durch  mein  schlechtes  Rechentalent  in  Ihren  Händen 
ist,  nicht  ausreichen,  so  bitte  ich  Sie  über  mich  zu  verfügen. 
In  voriger  Woche  war  ich  noch  in  Bonn  beim  Vater  Bach, 
der  nicht  zu  trösten  ist;  wie  viel  wir  von  Ihnen  sprachen 
—  ach  —  das  können  Sie  wohl  denken.  —  Geehrter  Herr 
Joachim,  Sie  sagen  mir,  daß  meine  Worte  Ihnen  wohlthun, 
und  doch  sind  sie  nur  der  schwache  Ausdruck  meiner  Ge- 
sinnung  und   meines  dankbaren  Gefühls!    Die  großartige 

*)  in  England. 


Von  Jenny  Lind-Goldschmidt  Sy 

Hochherzigkeit  Ihrer  Denkungsart  habe  ich  durch  die  That 
kennen  gelernt  in  ihrer  prunklosen  edlen  Art;  ja  ewige 
Hochachtung  vor  dem  seltnen  Manne  und  uneigennützigen 
Künstler!  Nie  werde  ich  das  Wort  vergessen,  was  Sie  mir 
schrieben,  als  Sie  vom  Sterbebette  des  armen  Künstlerkindes 
kamen,  wo  Ihr  eignes  Leben  durch  Ansteckung  in  Gefahr 
schwebte,  und  ich  Sie  mit  mütterlicher  Angst  bat,  den 
Kranken  zu  verlassen,  ihn  nicht  mehr  zu  sehen!  Da  schrie- 
ben Sie  mir  das  herrliche  Wort:  „Ich  werde  ihn  nicht 
mehr  sehen,  bis  er  mich  wieder  erkennt."  . . .  Enthalten 
diese  paar  Worte  nicht  die  ganze  Ghristuslehre  von  der 
wahren  sich  selbst  vergessenden  Nächstenliebe?  Eingraben 
mit  glühenden  Buchstaben  möcht  ich's  . . . 

Von  Jenny  Lind-Goldschmidt 

Oak  Lea  9.  Juni  [iSSg]. 

Verehrter  Herr  Concertmeister 
ch  habe  eine  sehr  große  und  unverschämte  Bitte  an  Sie 


I 


wenn  Sie  können  dieselbe  gewähren  —  so  möcht 
ich,  thuen  Sie  es  (wenn  Sie  nicht  können  —  so  weiß  ich 
ebensogut,  daß  Sie  mir  verzeihen). 

Am  ai'^'en  (J.  M.  (Dienstag)  werde  ich  einige  sehr  liebe 
Freunde  bei  uns  sehen  —  alle  aus  der  besten  Gesellschaft 
und  sehr  musikalisch.  Sie  schwärmen  alle  für  Sie  — 
und  haben  mich  gefragt,  ob  Sie  nicht  hei  auskämen  —  ich 
sagte,  ich  wollte  fragen  —  Wollen  Sie  gegen  9  —  u.  halb 
10  den  Abend  kommen  —  und  uns  etwas  spielen?  Ich 
kehre  mich  um  keine  andere  Musik  —  Sie  sind  die  reinste 
Manifestation  der  Kunst,  die  ich  kenne,  und  kann  ich  Sie 
nicht  haben  —  so  arbeite  ich  lieber  selbst  (was  ich  natüi- 
lich  ohnedem  thun  werde)  meinen  Gästen  vor.  Denn  ich 
kann  keine  Musik  von  Jemand  Anders  als  von  Ihnen  hören. 
Welch  Eindruck  habe  ich  von  Beethovens  Concert  mitge- 


58  An  Clara  Schumann 

bracht!  Sowie  Sie  spielen  —  hätte  Adam  spielen  müssen, 
ehe  die  Sünde  kam,  und  so  lange  er  nur  vom  lieben  Gott 
direct  gelernt,  seine  Unschuld  zu  bewahren! 

Unmöglich  ist  es  zu  sagen,  wie  schön  es  ist  —  das  erste 
Geschöpf  Gottes  so  dar  zu  stellen,  wie  Sie  thuen,  wenn  Sie 
von  Ihrer  Sache  beseelt  sind! 

Wollen  Sie  mir  ein  Wort  (und  bald)  wissen  lassen  —  ob 
Sie  kommen  wollen  und  können,  und  der  Wagen  soll  bei 
Ihnen  seyn,  wann  Sie  befehlen. 

Wie  wohl  thut  es,  einmal  im  Leben  ein  Künstler  so  recht 
und  acht  bewundern  zu  können,  wie  es  thut  Ihre 

ergebene 

Jenny  Goldschmidt. 

An  Clara  Schumann 

[London]  Am  8^^"  Juli  [1859]. 
Liebe  Frau  Schumann 
.  .  .  Die  Concerte  sind  bei  der  drückenden  Hitze  ganz 
unausstehlich.  Doch  machte  mir  das  Beethoven'sche  Sep- 
tett  vorgestern  bei  Ella  Freude;  es  ist  doch  ein  Stück 
voll  jugendlicher  F'rische  und  Anmuth,  und  ich  kann  die 
dummen  Grübler  nicht  begreifen,  die  das  nicht  mehr  gou- 
tiren,  als  ob  nicht  das  jugendlich  freie  Lächlen  eines  starken, 
reinen  Helden  eben  so  entzückend  wäre,  wie  seine  großen 
Thaten  begeisternd.  Es  wird  Ihnen  sonderbar  vorkommen, 
daß  ich  darüber  etwas  sage,  aber  ich  kenne  das  Septett  am 
wenigsten  von  allen  Beeth. 'sehen  Sachen.  Montag  spiele 
ich  zum  letzten  Mal,  u.  z.  in  der  Philharmonie  das  9'^  Con- 
cert  von  Spohr  in  D  moll,  das  Sie  wohl  nicht  kennen.  Die 
Directoren  haben  mich  gebeten,  für  diesmal  zu  Gunsten 
Meyerbeers  auf  die  Aufführung  einer  Ouvertüre  von  mir 
zu  verzichten,  da  er  ein  älterer  Künstler  und  ein  Ehren- 
mitglied der  Gesellschaft  sei.  Sie  schickten  eigends  Hogarth 


An  Clara  Schumann  69 

zu  mir,  der  mir  die  ursprüngliche  Skizze  des  Programmes 
zeigen  mußte,  wo  den  richtig  eine  M,  S.  Ouv.  von  J.  .1. 
figurirte.  Es  bleibt  mir  also  nichts  übrig,  als  ruhig  die  un- 
ruhige Struensee-Ouv.  über  mich  ergehen  zu  lassen,  über 
deren  Partitur  Bennett  sehr  wenig  erfreut  scheint.  Es  ist 
aber  auch  ein  kleinliches  Hin  und  Hergezerre,  und  nur  das 
Dänische  Volkslied  darin  musikalisch  anziehend.  . . .  Diens- 
tag gehe  ich  für  2  bis  3  Tage  auf's  Land  zu  Sir  George 
Smart  1)  nach  Chertsey,  wo  es  sehr  angenehm  sein  soll,  und 
wo  ich  mich  zur  Arbeit  zu  sammeln  hoffe.  .  .  . 
Von  Herzen,  liebe  Frau  Schumann, 

Ihr 
alter  musikalischer  Verbündeter 
Joseph  J. 

An  dieselbe 

[London  26.  August  iSSg.] 

Liebe  Frau  Schumann 

Otto  Goldschmidt  sagt  mir,  daß  Sie  mich  im  Verdacht 
haben,  einen  Brief  von  Herrn  X'^)  aus  Nachlässig- 
keit zurückgehalten  zu  haben.  Der  Verdacht  ist  unbe- 
gründet —  in  Geschäftssachen  bin  ich,  glaubeich,  erträg- 
lich genau.  Goldschm:  hatte  mich  in  die  ganze  amerik. 
Angelegenheit  durch  Mittheilung  der  Aktenstücke  einge- 
weiht, und  um  dieselben  nicht  erst  wieder  an  G.  nach  Wim- 
blanden  zurückzuschicken  und  so  Zeit  zu  verlieren,  hatte 
ich  mit  ihm  verabredet,  Ihnen  den  Brief  von  Scharfenberg 
(und  nur  diesen)  selbst  einzusenden;  froh  wie  ich  immer 
bin,  mit  Ihnen  zu  verkehren,  war  mir  das  ein  willkommenes 

^)  Sir  G.  Sm.,  geb.  1778  Begründer  d.  Philharm.  Soc,  Freund  Webers, 
der  in  seinem  Hause  starb,  verdient  um  die  Einführung  der  deutschen 
Klassiker  in  England.   -|-  1867. 

^)  Ein  bekannter  Impresario,  der  Frau  Seh.  eine  Toiu-nee  nach  Ame- 
rika vorschlng. 


6o  An  Clara  Schumann 

Übereinkommen.  Der  Brief  von  X  an  Scharfenberg  ent- 
hält an  Thatsachen  nichts,  was  der  letztere  nicht  theil- 
nehmencler  u.  zarter  ausdrückt.  Ich  wollte  Ihnen  nament- 
lich nicht  (weil  es  unnöthig  war  und  Porto  gekostet  hätte 
obendrein)  direct  vor  die  Augen  bringen,  mit  welcher  Un- 
verschämtheit und  Fühllosigkeit  so  ein  puffender  Spekulant 
uns  Künstler  wie  ein  Stück  Waare  abschätzt,  Faser  nach 
Faser  von  unserer  Persönlichkeit  wie  von  einem  Stück 
Tuch  unter  seinen  groben  Fingern  zerreibend,  und  noch 
dazu  mit  Biedermanns-miene,  heuchlerisch  abschätzend. 
Der  Brief  war  so  trocken  neben  der  Dummheit,  daß  ich 
die  Verhältnisse  nicht  einmal  in  komischem  Licht  ansehen 
konnte.  Der  abgeschmackteste,  abstoßendste  Sklavenhandel ! 
Ich  danke  meinem  Schöpfer,  daß  Sie  nicht  dahin  über- 
gehen. Ja,  wären  Unmöglichkeiten  möglich  —  dann  wünschte 
ich  aber  lieber,  daß  wir,  lauter  gute  Musiker  zusammen, 
in  der  wunderschönsten  Gegend  Schlösser  erspielten  und 
eigne  Kapellen,  bloß  dadurch,  daß  wir  recht  für  Bach  und 
Beethoven  schwärmen  und  uns  unsere  Lieblinge  ab  und 
zu  vormusiciren  dürften!  Das  gienge  aber  gerade  ebenso 
leicht,  als  daß  Sie,  mit  Ihren  hohen  künstlerischen  An- 
sprüchen und  mit  Ihrer  Geschmacksrichtung,  in  einem  Jahre 
3oooo  Thaler  von  einem  Entrepreneur  gesichert  bekämen. 
So  weit  über  den  Brief  von  X.  Der  E  . .  .  soll  uns  nicht 
entzweien.  Was  nun  meine  Reise  nach  Irland  (Island  ist 
bei  der  Hitze  ein  angenehmerer  Gedanke!)  betrifft,  so  wird 
sie  Ende  des  Septembermonates  beginnen;  am  Anfang  No- 
vembers werde  ich  in  Hannover  zurück  sein.  Auf  wie  lange, 
weiß  ich  nicht;  das  hängt  dann  von  dem  ab,  was  ich  Gutes 
in  den  Concerten  ausrichten  kann.  Ich  freue  mich,  daß 
ich  einen  materiellen  Gewinn  von  England  fortnehme  — 
um  durch  ein  paar  Tausend  Thaler  mehr  Unabhängigkeit 
von  meiner  Hannoverischen  Stellung  zu  haben.  Wie  sehr 
empfinde  ich  mit,  was  Sie  in  diesen  Tagen  in  Bonn  durch- 
leben müssen.    Erst  vorgestern  brachten   mir  einige  Schu- 


An  Clara  Schumann  6i 

mann'sclie  Lieder  den  ganzen  Reichthum  von  Liebe  und 
Güte  seiner  schönen  Natur  vor  die  Seele.  Schätze  reinster 
Empfindung.  Wie  sieht  wohl  jetzt  die  Ruhestätte  aus !  Der 
Herbst  hat  für  mich  immer  etwas  tief  bewegend  Weh- 
müthiges  —  aber  nicht  ohne  den  Trost  der  Verklärung,  wenn 
die  schrägen  Strahlen  auf  das  bunte  Laub  fallen.  Es  ist 
meine  liebste  Jahreszeit  —  und  ich  wollte,  ich  wäre  mit 
einem  Ränzel  auf  dem  Rücken  bei  Johannes,  und  am  Rhein. 
Das  ist  doch  besser  wie  England! 

Ihr 


An  Clara  Schumann 


Joseph  J. 


[London  lo.  Sept.  iSSg.] 


Liebe  Freundin 

Ich  habe  nur  ein  paar  Minuten,  um  Ihnen  vor  Postschluß 
(Sonnabend)  zu  schreiben  i);  thue  dies  aber,  um  Ihnen 
meine  frische  Freude  über  Ihre  Zeilen  auszudrücken. 
Morgen  gehe  ich  aufs  Land,  und  wohl  auch  Montag,  und 
will  daher  nicht  aufschieben  zu  danken.  Ich  hatte  gehofft, 
vor  Irland  nach  Wales  und  Schottland  zu  gehen  —  aber 
statt  dessen  bin  ich  ein  Reconvalescent,  der  über  8  Tage 
fast  immer  im  Bett  gelegen  hat:  ein  Karbunkel,  der  auf- 
geschnitten werden  mußte,  schmerzhaft  und  „nasty"!  Nun 
muß  ich  mich  noch  sehr  in  Acht  nehmen,  um  keine 
frischen  zu  bekommen.  Die  Irländische  Tour  verlangt, 
daß  ich  meine  Violine  pflege,  und  auch  einige  Irländische 
Melodien  will  ich  für  Klavier  u.  Violine  mit  Gold- 
schmidt  setzen,  und  so  bin  ich  um  meine  Reise!    Möchte 

^)  Am  i3.  war  Frau  Seh. 's  Geburtstag,  und  da  Sonntag  in  England 
keine  Briete  befördert  wurden,  so  fürchtete  J.,  sein  Brief  würde  zu  spät 
kommen.  Charakteristisch  ist,  daß  er  zu  gratuheren  vergißt,  wofür  ihn  die 
Empfängerin  dann  in  ihrer  Antwort  aufzog. 


62  An  Clara  Schumann 

die  Tour  mich  in  angenehme  Landschaft  bringen  —  mich 
verlangt  nach  dem  i4tägigen  Arrest  noch  recht  nach 
Herbstschönheit.  Am  Rhein  muß  es  wundervoll  sein,  und 
ich  wollte,  ich  wäre  dort.  Geben  Sie  doch  endlich  die  Idee 
auf,  liebe  Frau  Schumann,  als  könnte  ich  je  mit  Fühlen 
und  Sinnen  etwas  anderes  sein,  als  ein  rechter  deutscher 
Musikant  .  .  . 

Von  Johannes  so  lange  nichts  gehört  zu  haben  und  ihm 
geschwiegen  zu  haben,  kommt  mir  wie  ein  Märchen  vor. 
Doch  er  war  glücklich  und  hat  gearbeitet  —  während  dem 
ich  etwas  Geld  verdient  habe. 

Wie  freue  ich  mich  auf  seine  Sachen.  Ich  schreibe,  be- 
vor er  nach  Detmold  geht.  . . . 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  5.  Dez.  iSSg.] 
Liebe  Frau  Schumann 

Das  Concert  vorgestern  und  der  gestrige  Tag  waren 
durch  Johannes  rechte  Feste.  Wir  haben  mancherlei 
musicirt,  gestern  früh  bei  mir  unter  anderm  das  schöne, 
tiefe  Gmoll  Trio  von  Schumann,  und  Ihrer  oft  gedacht. 
Die  Adur  Sinfonie  gieng  herrlich,  ich  hatte  sie  nie  schöner 
gehört.  Warum  ist  dies  Orchester  in  Hannover?!  Die 
Serenade  kam  rechtzeitig.  Ich  halte  bis  jetzt  doch  den 
ersten  und  den  letzten  Satz  für  die  schönsten.  Da  ich  sie 
bis  Sonnabend  jedenfalls  hier  behalte  (Johannes  ist  eben 
fort),  so  können  wir  noch  recht  darüber  sprechen.  Es  bleibt 
für  Ihr  Concert  jedenfalls  beim  lO'^"  (Sonnabend).  Schon 
des  Quintetts  von  Seh.  wegen;  es  ist  zu  unsicher,  ob  wir 
die  Herrn  an  einem  andern  Tag  haben  könnten.  Ich  habe 
den  Saal  genommen,  auch  Karten  bestellt  (3oo  Stück)  und 
Annoncen  in  die  Zeitungen  besorgt.  Morgen  geht  eine 
Subskription-Liste  herum,  natürlich  bloß  die  Anzeige  ent- 


An  Th.  Ave-Lallemant  63 

haltend,  und  als  ob's  gar  nicht  von  Ihnen  veranlaßt  wäre, 
sondern  von  der  Musikalienhandlung  und  mir,  da  es  die 
beste  und  sicherste  Art  ist,  anzukündigen,  und  hier  Styl 
scheint.  Ich  habe  es  sorgfältig  besprochen  und  erwogen. 
Das  Programm  bitte  ich  mir  aber  umgehend,  wäre  es 
auch  nur  durch  andere  Hand  aus.  Ich  schlage  außer  dem 
Quintett  von  Schumann  (einer  sehr  glücklichen  Wahl!) 
die  Kreutzer-Sonate  vor.  Wir  könnten  damit  beginnen. 
Müssen  Sie  Sich  ausruhen,  so  bin  ich  mit  Freuden  bereit 
ein  oder  2  Soli  einzuflechten,  die  Scholz  begleiten  könnte, 
wenn  es  Sie  ermüdet.  Dieser  und  seine  Frau  sind  ganz 
glücklich  über  Ihr  Herkommen,  und  wäre  ein  kleines, 
schreiendes  Kind  von  5  Wochen  nicht  im  Haus,  so  lüden 
sie  Sie  gern  ein,  bei  ihnen  zu  wohnen.  Ersteres  ist  aber 
nicht  einladend.  Wollen  Sie  ein  paar  ungarische  Tänze 
von  Johannes  spielen?   Das  wäre  schön  . . . 

Job.  hat  in  Hamburg  als  Solo-  und  Componist  großen 
Triumph  gefeiert.  Endlich!  Er  war  fidel.  Auch  ich  will 
mich  aufs  Wiedersehen  freudig  halten ! . . . 

An  Th.  Ave-Lailemant 

[Anf.  Dez.  iSSg.] 
Lieber  Freund 

Der  10'^  Febr.,  und  der  i3'^  passen  ganz  gut  mit  unsern 
Concert-Tagen,  und  wenn  nicht  eine  unvorherzu- 
sehende  Königliche  Gegenordre  kömmt  (was  ich  indeß 
kaum  glaube),  so  könnte  ich  dann  vergnügt  mit  Euch 
musiciren.  Mehr  kann  ich  mitten  unter  Brahms,  der  auf 
der  Diehle  schnarcht,  und  andern  angenehmen  Hinder- 
nissen nicht  schreiben. 

Aber  herzliche  Grüße  an  alle  Ave's  von 

Joseph  Joachim. 


64  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  3i.  Dec.  iSSq.] 
Liebe  Frau  Schumann 

Ich  möchte,  daß  Sie  als  gutes  Omen  für  meine  Besserung 
als  Correspondent  am  i'*"  Tage  von  1860  ein  paar 
Worte  von  mir  erhalten.  Meine  Wünsche  sind  immer  die- 
selben, herzlichen,  auch  dei  egoistische  ist  darunter,  daß 
Sie  mir  Ihre  Güte  und  Liebenswürdigkeit  erhalten  mögen, 
und  daß  ich  im  Stande  sein  möchte,  dies  immer  mehr  zu 
verdienen.  Sie  wissen,  das  ist  keine  Redensart,  und  es  be- 
dürfte des  durch  Ihre  Freundessorgfalt  behaglich  warmen 
Fußbodens  gar  nicht,  um  mich  dies  auch  in  diesem  Augen- 
blick dankbar  empfinden  zu  lassen.  Aber  ich  freue  mich 
doch  besonders,  wenn  mein  Blick  jetzt  unwillkührlich  auf 
das  liebe,  weiche  Fell  unter  mir  fällt.  Ich  war  zu  Weih- 
nachten hier,  und  war  ich  auch  nicht  bei  denen,  die 
meinem  Herzen  auf  Erden  am  allernächsten  stehen,  so 
war  ich  doch  unter  angenehmen,  freundlichen  Menschen, 
bei  Kaulbach  ^).  Auch  Fräulein  Ney^)  war  dort,  und  ich 
denke  mir,  meine  Vermuthung  wird  sich  wohl  bestätigen ! 
Das  Mädchen  ist  mir  seines  Talentes  wegen  und  in  seiner 
anmuthigen  Erscheinung  werth,  und  es  würde  mir  sehr 
leid  thun,  anderes  als  Gutes  über  es  zu  hören.  Ich  schreibe 
dies  als  Antwort  auf  Ihre  Neckerei  und  auf  die  „kuriosen 
Geschichten".  Hier  hielt  mich  zu  allermeist  der  Wunsch 
in  meiner  Umarbeitung  des  Goncerts^)  vorwärts  zu  kommen, 
und  der  i"^  Satz  ist  denn  auch  in  den  Händen  des  Copisten, 
da  eine  neue  Partitur  und  andere  Stimmen  nöthig  sind. 
Wär's  mir  erst  ganz  aus  den  Knöcheln!  Nun,  bald!  — 
Der  Flügel  steht  in  der  Nebenstube,  wohlbehalten.    Jaell 

')  Der  Maler  Friedrich  K.,  Vater  von  Fritz  Aug.  v.  K. 
*)  Bedeutende  Bildhauerin,  -j-  1908. 
^)  des  ungarischen. 


An  Clara  Schumann  65 

bat  die  Dmoll  Sonate  von  Schumann  drauf  mit  mir  zu 
spielen;  ich  denke,  Sie  werden  nichts  dagegen  haben.  Auch 
die  Hebräischen  Melodien  will  ich  wieder  einmal  hören, 
da  sich  ihnen  neue  zugesellen  möchten.  ^  Johannes  hat 
mir  den  größten  Theil  seiner  Serenade  instrumentirt  über- 
schickt; meist  als  ob  er  nie  etwas  anderes  gethan  hätte 
als  mit  dem  Orchester  umgehen.  Nun,  es  ist  ja  auch  mit 
ihm  geboren !  Für  ein  Ürchester-Concert  in  Berlin  bin  ich 
nicht;  Ruhm  läßt  sich  nicht  über's  Knie  brechen.  Und 
ein  Goncert  mit  unsicherer  Einnahme  ist  ein  gewaltsam 
Mittel,  das  wir  lieber  den  Weimaranern  überlassen  wollen  — 
meinen  Sie  nicht?  Künstler  sollen  mit  ihren  Leistungen 
verdienen,  nicht  den  Leuten  was  schenken.  Hannover, 
Hamburg,  Leipzig  werden  das  Werk  geben,  hoffentlich 
Jemand  es  verlegen,  die  andern  kommen  schon  nach.  Ich 
spreche  wohl  unwillkührlich  dagegen  aus  noch  einem 
Grund  —  ich  wäre  gern  auch  dabei,  und  das  geht  in 
diesem  Winter  nicht,  weil  die  Zeit  mir  fehlt.  Sie  werden 
Sich  wohl  morgen  an  Orpheus  eine  Freude  bereiten?  Hier 
war  kürzlich  Fidelio;  das  Orchester  vortrefflich,  die  Sänger 
mittelmäßig,  die  Tempi  oft  schlecht.  Doch  hat's  mich  tief 
gepackt  wie  immer!  Aber,  wie  musikalisch  einsam  laufe 
ich  doch  hier  herum!  —  Heute  geleitete  ich  Marschner's 
letzten  Sohn  mit  zu  Grabe. 

Nach  Holland  w  ill  ich  von  Ihnen  an  Haakman  schreiben. 
Wie  steht's  mit  Braunschweig? 

Wann  bekonmie  ich  mein  grünes  Schirmchen,  und  wann 
spielt  mir  Fräulein  Marie   vor?    Grüßen  Sie  sie  und   alle 
Geschwister  herzlich  und  schreiben  Sie  bald  wieder, 
verehrte  Freundin, 

Ihrem  aufrichtigen 

J.  J. 


66  ""  Von  Clara  Schumann 

Von  Clara  Schumann 

Berlin  d.  x.  Jan.  1860. 

Ihr  schöner  langer  Brief,  lieber  Joachim,  hat  mich  gestern 
Abend  so  innig  erfreut,  daß  er  mir  den  Schluß  des 
nicht  eben  freudigen  Tages  zu  einem  frohen  gemacht. 
Weiß  ich  auch,  daß  Sie  mein  treuer  Freund,  so  liegt  es 
denn  eben  in  der  weiblichen  Natur,  daß  das  Herz  doch 
nach  einem  lieben  Worte  zuweilen  verlangt,  und  das  thut 
dann  innig  wohl !  — 

Ich  war  am  Sylvester  im  Sommernachtstraum,  und  als 
^^^  J  J^  J^  J  j  J^)  kam,  da  bildete  ich  mir  fest  ein,  Sie 
müßten  angeklopft  haben,  und  ich  müßte  Sie  bei'm  nach 
Hause  kommen  finden,  und  Frau  Gisela's  Äußerung,  daß 
Sie  versprochen,  einen  Tag  hierher  zu  kommen,  bestärkte 
mich  darin.  Der  Sommernachtstraum  war,  obgleich  mittel- 
mäßig ausgeführt  (namentlich  der  inusikal.  Theil  unter 
Taubert),  entzückend!  ein  solches  Stück  mit  solcher  Musik 
vereint  ist  doch  höchste  Wonne! 

Frau  Gisela  schenkte  mir  neulich  einen  Abend,  leider 
war  Herman  Grimm  nicht  mit  —  es  war  eigen,  sie  sagte, 
er  sey  nicht  wohl,  und  daher  habe  sie  Ihn  spatzieren  ge- 
schickt; bei  mir  habe  er  gefürchtet,  Musik  zu  hören,  und 
die  würde  Ihn  zu  sehr  aufgeregt  haben.  Es  ist  doch  sonder- 
bar, daß  die  Leute  immer  glauben,  Musiker  könnten  sich 
nur  wohl  befinden  bei  ihrer  eigenen  Musik.  Ich  verbrachte 
den  Abend  mit  Frau  Gisela  und  Rudolph  Grimm  allein, 
ohne  Musik  und  doch  schön.  Die  Stunden  waren  schnell 
vergangen. 

Ich  habe  es  mir  wohl  gedacht,  daß  Sie  jetzt  sehr  fleißig 
an  Ihrem  Concerte,  und  um  so  schwerer  wird  mir  meine 
heutige  Bitte,  die  Ihnen  von  Ihi^er  kostbaren  Zeit  viel 
raubt.    Ich   sende   Ihnen    nämlich   die   Bach'schen   Cello- 

*)  Der  Rliythnius  des  Scherzos. 


An  Clara  Schumann  67 

Sonaten^)  mit  der  Bitte,  sie  durchzugehen  und  mir  zu 
sagen,  ob  ich  sie  so  drucken  lassen  kann  —  Schubert  will 
sie  so  schnell  als  möglich.  ... 

Mit  Johannes,  lieber  Joachim,  haben  Sie  mich  aber  nicht 
ganz  verstanden.  Ruhm  will  ich  Ihm  ja  nicht  machen, 
finde  es  aber  so  einfach,  daß  er,  wenn  ich  hier  Concert 
gebe,  seine  Serenade  hier  auffürt.  Das  ist  kein  Aufdrängen 
dem  Publikum;  thue  ich  es,  so  ist's  ja  nur  um  der  Sache 
halber,  hingegen  sucht  Johannes  in  Leipzig  die  Aufführung 
der  Serenade  zu  erzwingen,  so  könnte  man  das  wohl  eher 
über's  Knie  brechen  nennen.  Dort  kämpft  er  entschieden 
mit  bösem  Willen.  Hier  höchstens  mit  Unwissenheit,  ob- 
gleich er  ein  kleines  Publikum  theilnehmend  findet,  das 
bin  ich  überzeugt.  Hamburg  hat  aber  für  die  Anerkennung 
und  Verbreitung  seiner  Sachen  gar  kein  Gewicht,  Berlin 
nach  Leipzig  doch  am  meisten.  Daß  Sie  aber  dabei  sein 
könnten,  hatte  ich  gehofft!  —  Nun,  ich  erzwinge  nichts, 
dazu  ist  mir  Johannes  viel  zu  lieb  und  gut,  also,  liegt 
Ihm  nichts  daran,  so  unterbleibt  es.  Ich  habe  es  ihm 
vorgeschlagen,  weil  er  selbst  mir  schrieb,  er  möchte  gern 
seine  Serenade  so  viel  aufführen  als  möglich. 

Jetzt  seyen  Sie  auf's  herzlichste  gegrüßt !  bleiben  Sie  mir 
im  neuen  Jahre  gut!  meiner  treuen  Freundschaft  sind  Sie 
versichert  für  alle  Zeiten. 

Ihre  Gl.  Seh. 

An  dieselbe 

[Hannover  i3.  Januar  1860.] 
Liebe  Frau  Schumann 

Yor  allem,  wir  sind  ganz  wohl  und  sehr  munter  Mitt- 
woch 2)  hier  angekommen,  nachdem  wir  unterwegs 
tüchtig  geschlafen.    Ich  entdeckte  hier,  daß  ich  das  Bach- 

*)  Rob.  Schumanns  Be{];Iei  tung  dieser  Solosonaten  ist  ungedruckt  geblieben. 
*)  aus  Berlin  vom  Besuch  bei  Frau  Clara  und  Grimms. 


68  An  Clara  Schumann 

heft  für  Violoncell  mit  Schum.'s  Begleitung  bei  Ihnen  ge- 
lassen. Bitte,  schicken  Sie's  baldmöglichst.  Käme  es  Sonn- 
tag früh,  so  könnte  auch  Johannes  noch  mitrathen,  er 
fährt  erst  Montag  früh,  da  Sonntag  Morgens  nach  aller 
Wahrscheinlichkeit  seine  i^^  Serenade  im  Atelier  von 
Kaulbach  probirt  wird.  Mittwoch  Abend  war  nichts  bei 
Hof,  dafür  gestern.    Wir  spielten  Beethoven's  Fdur  Sonate 

I  ^  \  f*  CjLT  •  zusammen  u.  ich  noch  ein  paar  Kleinig- 
keiten, Job:  nichts  allein.  Es  musicirt  sich  herrlich  mit 
ihm,  wenn  er  will,  das  wissen  wir  schon  lange!  Der  König 
war  ganz  enthusiasmirt,  und  selbst  der  musikfeindliche 
Slicher^)  wurde  ganz  warm  nach  dem  Adagio.  Wir  sind 
auf  morgen  (nach  der  ersten  Quartett-Soiree)  wieder  be- 
fohlen. Ich  erzählte  dem  König,  daß  wir  Sie  nach  aller 
Wahrscheinlichkeit  zum  nächsten  Concert  hier  sehen  wür- 
den 2):  und  er  frug  gleich  sehr  freudig  überrascht,  W'as  Sie 
spielen  würden.  Ich  mußte  antworten,  daß  Jaell  engagirt 
sei,  und  da  meinte  er,  das  wäre  Schade,  Sie  in  der  Nähe 
zu  wissen,  ohne  Sie  zu  hören.  Er  rief  gleich  die  Königin, 
und  ich  versprach  beiden,  sofort  an  Sie  die  Bitte  zu  schreiben, 
Sie  mögten  wenigstens  ohne  Orchester  die  Majestäten  am 
Klavier  entschädigen,  entweder  Freitag,  Sonntag  oder  Montag 
Abend  nach  dem  Abonn:  Concert.  Ich  hoffe  sehr,  daß  Sie 
können  und  daß  ich  eine  angenehme  Antwort  mittheilen 
darf.  Schreiben  Sie  bald,  wenn's  auch  nur  ein  paar  Worte 
sind.  Johannes  ist  eben  ausgegangen,  die  Serenade  ist  ganz 
durchgesehen ;  wie  werde  ich  mich  freuen,  wenn  sie  erst  leben- 
dig auch  zu  andern  Herzen  dringt !  Grüße  an  alle  im  Haus ! 

J.  J. 
[von  Brahms'  Hand :]  Brief  nicht,  aber  Gruß  erhalten.  Von 
den  Eltern  Grüße  an  Dich.    Von  mir  die  herzlichsten. 

Johannes. 

^)  Oberst  V.  Sliclier,  Flüj;eladjutant  des  Königs. 

^)  um  der  Aufführung  von  Schumanns  B  dur-Symphonie  beizuwohnen. 


Von  Robert  Franz  6(j 

An  Herman  Grimm 

[Hannover  i6.  Januar  1860.] 

Lieber  Herman. 

Inliegend  die  2  Schiller-Briefe;  der  gelbe  ist  von  Deinem 
Namensvetter  in  Göttingen  copirt.  Das  Original  hatte 
ich  meinem  kleinen  Pathen,  seinem  Sohn,  als  Talisman  in 
ein  silbernes  Becherchen  geschenkt,  da  ich  zwei  besaß. 
Ich  lege  auch  einen  von  Herder  bei,  wahrscheinlich  auch 
an  Frau  Mereau;  Du  findest  vielleicht,  da  er  nicht  un- 
interessant ist,  Vergnügen  ihn  zu  lesen,  und  schickst  ihn 
gelegentlich  wieder. 

Johannes  ist  heute  nach  Hause  gereist,  seine  2*^  Serenade 
probirten  wir  gestern,  und  sie  hat  allen  Musikern  Freude 
gemacht.  Sie  ist  im  Charakter  von  der  ersten  ganz  ver- 
schieden, sanft  hinträumend,  und  das  ist  mir  sehr  lieb 
dabei.  Ich  habe  noch  oft  an  den  Michel-Angelo  ^)  denken 
müssen  und  wünsche  mir  sehr  die  Fortsetzung,  an  der  ich 
Dich  schreibend  mir  einbilde.  Gottes  Segen  fahre  fort  auf 
Eurer  entzückend  lieben  Häuslichkeit  zu  ruhen ! 

J.  J. 

Von  Robert  Franz 

Halle  d.  20'  Jan.  60. 

Bester  Freund! 

Verzeihen  Sie,  wenn  ich  Sie  mit  einer  Doppelbitte  be- 
lästige. Im  vergangenen  Jahre  brachte  eins  der  Ge- 
wandhausconcerte  das  von  Ihnen  für  Orchester  bearbeitete 
große  Cdur  Duo  von  Schubert.  Meines  Wissens  ist  das 
Werk  in  dieser  Form  seitdem  noch  nicht  gedruckt  wor- 

^)  Grimms  Biographie,  deren  Anfan{{  er  J.  vermutlich  bei  seinem  Be» 
suih  am  Anfang  des  Monats  vorgelesen  hatte. 


70  Von  Robert  Franz 

den,  u.  die  es  gern  benutzen  möchten,  müssen  sich  daher 
an  Ihre  Güte  wenden.  Da  wir  nun  in  den  nächsten  Wochen 
hier  ein  Concert  haben  werden,  in  welchem  ich  es  sehr 
gern  aufführen  möchte,  so  frage  ich  bei  Ihnen  freund- 
schafthchst  an,  ob  Sie  mir  leihweise  Partitur  u.  Orchester- 
stimmen auf  kurze  Zeit  überlassen  können  u.  wollen.  Ich 
weiß  zwar  recht  gut,  daß  dieser  Wunsch  bei  Lichte  be- 
sehen ziemlich  stai^k  ist:  allein  die  Liebe  zu  jenem  Werke 
u.  das  Vertrauen,  welches  ich  in  Ihre  schlichte  Künstler- 
natur setze,  läßt  mich  über  derartige  Bedenklichkeiten  hin- 
wegsehen. Für  einen  möglichst  baldigen  u.  kurzen  Be- 
scheid in  dieser  Sache  würde  ich  Ihnen  sehr  verbunden 
sein. 

Dabei  regt  sich  denn  ganz  von  selbst  ein  alter  Lieblings- 
wunsch, der:  einmal  die  Freude  zu  haben,  den  Hallensern 
Ihre  außerordentlichen  Leistungen  vorführen  zu  können. 
Freilich  werden  wir  wohl  kaum  im  Stande  sein,  nur  einiger- 
maßen den  Forderungen,  die  Ihr  Talent  zu  stellen  voll- 
auf berechtigt  ist,  zu  entsprechen,  lieber  6  Friedrichsd'or 
würde  ich  nicht  hinausgehen  dürfen,  da  die  hiesigen  Cassen- 
kräfte  eine  größere  Anspannung  nicht  erlauben.  Ich  denke 
nun  nicht  entfernt  daran,  Sie  in  dieser  Bagatelle  expreß 
von  Hannover  nach  Halle  sprengen  zu  wollen  —  vielleicht 
ließe  sich  aber  mein  Vorschlag  mit  einer  Absicht  auf 
Leipzig,  das  Sie  ja  jährlich  im  Winter  einmal  zu  besuchen 
pflegen,  in  Verbindung  bringen,  u.  Sie  wäien  demnach  im 
Stande,  meine  Bitte  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen. 
Ich  brauche  Ihnen  wohl  kaum  zu  sagen,  wie  glücklich  ich 
mich  schätzen  würde,  unserm  Publikum  Leistungen  wie 
Ihr  Beethoven'sches  Concert  vorzuführen  —  das  Vergnügen, 
Sie  einmal  wieder  sehen  u.  sprechen  zu  können,  rechne 
ich  noch  gar  nicht  einmal  hinzu.  —  Unser  Concert,  auf 
das  ich  mich  hier  beziehe,  fällt  auf  den  lO'*"  Febr.  u.  findet 
jn  der  hiesigen  Berggesellschaft  statt.  — 

Sind    Sie    mir   aber   doch   nicht   böse   über   meine    Zu- 


Von  Ad.  Fr.  Lindblad  71 

muthungen?  Lassen  sie  sich  durch  meine  Lage,  stets  auf 
fremden  Beistand  rechnen  zu  müssen,  entschuldigen?  Doch 
ich  mag  Ihnen  gegenüber  weiter  keine  Redensarten  schmie- 
den u.  bin  der  Überzeugung,  daß  Sie  mir  in  dem  einen 
oder  dem  andern  Falle,  wenn  Sie  können,  helfen  werden. 
Indem  ich  die  Bitte  wiederhole,  mir  in  zwei  Worten  mög- 
lichst bald  auf  meine  Anfragen  Bescheid  geben  zu  wollen, 
bin  ich  mit  den  besten  Grüßen 

Ihr 

Rob.  Franz. 


Von  Ad.  Fr.  Lindblad 


Stockholm  2.  Febr.   1860. 


Geehrtester  Herr! 

Hier    werden    Sie    die    Folgen    Ihrer    gar    zu    großen 
Liebenswürdigkeit  sehen.    Nehmen  Sie  sich  künftig 
in  Acht. 

Der  Überbringer  dieser  Zeilen:  Herr  Dente  aus  Stock- 
holm ist  ein  junger  Musiker,  welcher  den  hiesigen  Künst- 
lern und  Dilettanten  die  Hoffnung  eingeflöst,  er  würde  mit 
der  Zeit  ein  guter  Violinenspieler  werden.  Die  allgemeine 
Theilnahme,  die  er  geweckt,  hat  ihm  in  den  Stand  gesetzt 
eine  Zeitlang  sich  die  Leitung  des  Herrn  Leonard  in  Brüssel 
anzuvertrauen,  aber  ehe  er  nach  seinem  Vaterlande  zurück- 
kehrt, hat  er  gewünscht  Ihre  Bekanntschaft  zu  machen, 
Sie  spielen  zu  hören  und,  wenn  sich  die  Gelegenheit  dazu 
darbietet,  Ihre  sonstige  Güte  und  Bereitwilligkeit  durch 
meine  Empfehlung  auszusetzen.  Diesse  Empfehlung  habe 
ich  mich  um  so  weniger  entziehen  können,  da  der  junge 
Mann  auch  mich  interessirt,  obgleich  er  ein  arger  Schu- 
mannianer  ist,  was  ich  hier  erwähne,  damit  er,  wenn  auch 
mich  weniger,  Sie  um  desto  mehr  gefallen  werde.  Thun 
Sie  ihm  Gutes  an  und  Verzeihen  Sie,  wenn  ich  vielleicht 


72  An  J.  O.  Grimm 


zu  sehr  auf  Ihre,  mir  einmal,  jene  unvergeßhchen  Tage  in 
Göttingen,  gezeigte  außerordenthche  Güte  rechne  — 

Meine  älteste  Tochter  ist  verheirathet  und  wohnt  weit 
von  mir.  Meine  Freude  an  Musik  hat  dadurch  einen  großen 
Anstoß  gelitten,  und  dieser  Umstand  mit  samt  mein  zu- 
nehmendes Alter  trocknet  mir  das  Mark  des  Lebens 
aus.  Todt  sind  auch  alle,  die  mir  in  meiner  Jugend  lieb 
waren 

In  diesem  Sommer  wird  Jenny  Lind  nach  Schweden 
kommen.  —  Vielleicht  kommen  Sie  auch  mit?  —  Doch! 
was  kann  Ihnen  hier  geboten  werden?  Meine  Freude  und 
Freundschaft  wäre  ein  gar  zu  geringer  Ersatz  für  die  lange 
Reise. 

Und  nun,  Leben  Sie  recht  wohl  und  seyn  Sie  von  der 
Dankbarkeit  und  Erkenntniß  alles  dessen,  was  Sie  dem 
jungen  Freunde  machen,  überzeugt. 

Mit  der  größten  Hochachtung 
Ihr  ergebenster 

Adolf  F.  Lindblad. 


An  J.  O.  Grimm 

[Hannover   i3.  Febr.    1860.] 
Lieber  Grimm 

Dein  Werner  hat  sich  noch  nicht  eingestellt;  ich  war 
aber  auch  nicht  hier,  sondern  auf  2  Tage  in  Ham- 
burg, wo  Johannes'  2'"  Serenade  zu  großer  Befriedigung, 
auch  des  Publikums,  aufgeführt  wurde.  Das  Stück  kennst 
Du;  der  Klang  ist  reizend,  und  das  Ganze  so  tief  und  frisch 
in  schöner  Abwechslung,  daß  einem  das  Herz  lacht,  sol- 
cher Schöpfungen  Erblühen  mit  zu  erleben.  Job:  i'^  Sin- 
fonie Serenade  sollte  auf  Königs  Befehl  schon  im  nächsten 
Concert  hier  aufgeführt  werden  —  da  aber  lange  keine 
Beethoven'sche  auf  dem  Programm  war,  fürchtete  ich  diesen 


Von  C 1  a  r  a  S  c  li  u  m  a  n  n  7  3 

Umstand  für  Brahnis,  des  Beethoven  durstif^en  Publikums 
halber,  und  will  sie  erst  am  4"^^"  März  bringen  (vielleicht 
wenn  es  nicht  zu  viel  des  Neuen  scheut,  auch  mein  um- 
gegossenes Concert).  Nächsten  Sonnabend  giebt's  die  Eroica, 
Mendelssohn's  Dmoll  Concert,  eine  Chopin'sche  Polonaise 
mit  Orchester  und  wohl  auch  Stockhäuser,  der  bis  jetzt 
stockheiser  war.  Der  Klavierspieler  heißt  Nacciarone ;  recht 
gut.  Nun  komme  womöglich  zu  beiden  Concerten  und 
bringe  Deine  Damen  mit. 


Herzlich 


J.  J. 


Von  Clara  Schumann 


Wien  d.  3  März  1860. 


Also  wieder  einmal  aus  der  Kaiserstadt,  und  wieder 
ohne  Sie,  lieber  Joachim !  —  Und  heute,  welch  herr- 
liche Musik  macht  Ihr,  und  ich  kann  nicht  dabei  sein !  i)  — 
Ob  Ihr  wohl  meiner  dabei  auch  gedenkt? 

Nun,  mir  geht  es  sonst  aber  gut  hier!  mein  erstes  Con- 
cert war  vorgestern  —  es  war  ein  herrlicher  Empfang,  ein 
nicht  enden  wollender  Applaus,  als  ich  erschien,  so  daß 
ich  wirklich  ganz  gerührt  wurde,  was  viel  sagen  will  bei 
mir,  denn  Sie  wissen,  was  ich  vom  Publikinii  halte.  So 
gute  Concerte  wie  diese  Drei  habe  ich  noch  keine  hier  ge- 
geben, es  ist  schon  lange  voraus  kein  guter  Platz  mehr  zu 
haben  gewesen.  Das  freut  Einem  doch!  pecuniär  steht  es 
nur  leider  sehr  schlecht  hier,  denn  das  Geld  hat  keinen 
Werth,  es  steht  so,  daß  man  ein  Drittel  verliert.  Aber  hier 
zu  musiciren,  das  ist  doch  eine  Lust,  da  steigt  Einem  die 
Kraft,  man  weiß  nicht  wie. 

Ihrer,  lieber  Freund,  habe  ich  aber  nicht  nur  sehnsüchtig 

')  Am  3.  fand  in  Hannovci  die  Aufführung  von  Brahms'  erster  Sere- 
nade statt. 


74  ^on  Clara  Schumann 

bei  den  Concerten  gedacht,  sondern  auch  geschäfthch  mit 
Spina.  Er  will  diesen  Sommer  Ihr  Duo  drucken  mit  Ver- 
gnügen —  ich  dachte  nun  aber,  für  das  Vergnügen  könnte 
er  doch  auch  etwas  bezahlen,  und  sagte  ihm  daher  in  Be- 
tracht dessen,  daß  das  Werk  ein  kostspieliges  und  nicht  so 
verdienendes  sein  könne,  als  z.  B.  ein  Solostück  etc.,  wür- 
den Ihre  Ansprüche  nicht  allzu  hoch  sein,  Sie  hätten  mir 
schon  gesagt,  daß  Sie  einen  Theil  des  Honorar's  gern 
mit  den  Schubert 'sehen  Werken  aus  seinem  Verlage  ge- 
deckt sehen  würden,  und  dachte  nun,  Sie  sollten  doch 
wenigstens  noch  so  viel  verlangen,  daß  Sie  Abschreiber- 
kosten der  Partitur  und  Stimmen  gedeckt  sehen,  also  etwa 
noch  100  Gulden,  die  jetzt  5o  Thaler  P.  C.  geben.  Ich 
weiß  genau,  das  hätte  Robert  auch  gethan,  und  ich  bin 
überzeugt,  Spina  giebt  es^);  oder  finden  Sie  es  zu  viel,  so 
verlangen  Sie  60  Gulden,  diese  hat  Ihnen  das  Abschreiben 
doch  sicherlich  gekostet,  und  würde  ich  das  Spina  an  Ihrer 
Stelle  auch  sagen,  denn  als  Honorar  darf  das  ja  nicht  an- 
gesehen werden.  Er  trug  mir  auf,  Sie  zu  bitten.  Ihm  bald 
Alles  zu  schicken.  Wollen  Sie  mir  in  der  Sache  noch  auf- 
tragen, so  wissen  Sie,  wie  gern  ich's  thue. 

Wegen  Johannes  habe  ich  gestern  auch  mit  Herbeck-) 
gesprochen  —  er  will  bei  nächster  Gelegenheit  das  Ave 
Maria  und  den  Begräbniß- Gesang  auffühi'en.  Könnte  ich 
nur  mit  Eckert  3)  wegen  der  Serenade  etwas  ausrichten  — 
jedenfalls  versuche  ich  es.  Das  Duo  v.  Schubert  bringt  nun 
Spina*)  jedenfalls  in  einem  der  ersten  Concerte  nächsten 
Winters  heraus,   das   sagte  er  mir  gleich,    als  ich  davon 

^)  Er  dachte  gar  niclit  daran,  schob  aucli  den  Druck  auf  Jahre  hinaus, 
törichterweise,  denn  J.  wurde  in  der  Folgezeit  von  verschiedenen  Konzerf- 
direktionen  um  Überlassung  zur  Aufführung  angegangen ;  es  erschien  erst 
1873  bei  Spinas  Nachfolger. 

^)  artistischer  Direktor  der  Gesellsch.  der  Musikfieunde. 

')  Kapellmeister  der  Wiener  Hofoper  und  Dirigent  der  philharmon. 
Konzerte. 

*)  Wahrscheinlich  verschrieben  für  Herbeck. 


Von  Clara  Schumann  75 

sprach.  Hätte  ich  nur  die  Partitur  der  Serenade,  denn 
natürhch  fragt  gleich  Jeder  darnach,  der  sie  aufführen  \vill. 

Nach  Pest  weide  ich  wohl  nicht  kommen,  es  sieht  gar 
so  unruhig  dort  aus. 

Ich  lege  Ihnen  einen  Aufsatz  hei  von  Hanslick  über 
Liszt's  Prometheus  —  er  wird  Sie  interessieren  —  es  freut 
Einem  doch,  wenn  das  Publikum  einmal  das  Herz  auf  dem 
rechten  Flecke  hat.  Ich  hätte  mögen  dabei  sein,  ich  hätte 
wollen  mitjubeln  1). 

Neulich  hat  Eckert  in  den  philh.  Concerten  Roberts 
Dmoll  Symphonie  und  Ouvertüre,  Scherzo  u.  Finale  auf- 
geführt, und  beide  Sachen  haben  den  größten  Enthusias- 
mus erregt  —  hätte  ich  nur  dabei  sein  können !  auch  vom 
Manfred  ist  noch  Alles  voll  Entzücken.  Warum  nur  erst 
jetzt!  Freude  und  Schmerz  empfinde  ich  immer  zugleich, 
wenn  ich  davon  höre. 

Morgen  höre  ich  im  Gesellschaftsconcert  drei  Lieder  für 
Chor,  die  ich  noch  nicht  kenne,  da  Whistling  sie  seit  Jahren 
ungedruckt  liegen  ließ,  und  Arnold  sie  erst  jetzt  heraus- 
gegeben hat.  Herbeck  spricht  mir  sehr  erbaut  davon  — 
ich  freue  mich  darauf.  Was  hört  und  sieht  man  hier  Alles ! 
Morgen  Ruinen  von  Athen  (habe  ich  noch  nie  gehört), 
Montag  Sommernachtstraum,  Dienstag  Faust  (Mephisto: 
Lewinsky)  und  so  fort  die  ganze  Woche  Interessantes.  Nun, 
ich  muß  doch  Etwas  haben  für  das  Entbehren  der  Sere- 
nade! ich  darf  heute  gar  nicht  daran  denken,  dann  rührt 
sich's  in  mir. 

Bitte,  lieber  Joachim,  schreiben  Sie  mir  darüber  und 
über  Alles  sonst,  was  Sie  betrifft  —  Alles  ist  mir  so  lieb, 
was  ich  von  Ihnen  höre. 

^)  Vgl.  E.  Hanslick,  Geschichte  d.  Konzertvvesens  in  Wien  Th.  2,  1870, 
S.  200:  „Auf  Liszt's  Prometheus  Heß  die  Gesellschaft  der  Musikfreunde 
unmittelbar  und  ganz  allein  Mozart's  G-moll-Symphonie  folgen  ...  Es  er- 
eignete sich  der  unerhörte  Fall,  daß  nach  den  ersten  vier  Takten  der  all- 
bekannten Symphonie  das  ganze  Publikum  in  jubelnden  Beifall  ausbrach  ..." 


76  Von  Unbekannt 


Ich  will  eben  auch  an  Johannes  nach  Hamburg  schrei- 
ben, da  ich  fürchte,  mein  Brief  trifft  Ihn  nicht  mehr  bei 
Ihnen. 

So  leben  Sie  denn  wohl.  Gedenken  Sie  Ihrer  alten  ge- 
treuen Freundin 

Gl.  Seh. 

P.  S.  Mein  2'"  Goncert  ist  am  8"""  —  mein  Trioi)!!!  was 
sagen  Sie  zu  dieser  Gourage?  (es  geschieht  zum  ersten 
Male,  daß  ich's  öffentlich  spiele,  und  wahrhaftig  nur  auf 
dringendes  Zureden  von  vielen  Seiten),  Edur  Sonate  v. 
Beethoven  etc:  Das  3'*  ist  am  i5'^"  —  Davidsbündler,  So- 
nate Hmoll,  Glementi  (vielleicht)  etc: 
Noch  'mal  Adieu! 


Von  Unbekannt 

Hannover  5.  März  [1860]. 

Brahms  Serenade  ist  ein  Monstrum,  ein  Zerrbild,  eine 
Unnatur,  welche  niemals  einen  Verleger  hätte  finden, 
geschweige  denn  hier  zur  Aufführung  gelangen  sollen: 
wir  sagen  hier,  indem  uns  das  im  vergangenen  Winter  auf- 
getischte Klavier -Goncert  noch  in  den  Gliedern  steckt! 
Unverantwortlich,  daß  ein  solcher  Mist,  dem  nach  guter 
Musik  dürstenden  Publikum  ist  vorgeführt  worden.  Das 
war  eine  Stunde  —  eine  Höllenqual,  an  die  man  denken 
kann.  Armer  Mozart,  armer  Beethoven,  —  wenn  Ihr  herab 
geschaut:  wohin  ist  es  mit  Euch  gekommen!!  —  Mögten 
wir  doch  für  alle  Zeiten  mit  ähnlichen  Grimassen  verschont 
bleiben,  wir  rufen  dem  Herrn  Brahms,  ein  einstimmiges 
Lebewohl  zu  und  Herrn  K.[onzert]  M.[eister]  [?]:  die  Ge- 
duld der  Zuhörer,  auf  eine  nicht  zu  arge  Probe  zu  stellen, 
oder  denselben,  einen  Geschmack  aufbürden  zu  wollen,  der 

^)  Gmoll  op.  17. 


An  Clara  Schumann  77 

für  ein   gesundes  Menschen  Ohr   die   größte   Pein    sein 
und  bleiben  würde. 

Genehmigen  Sie  die  Hochachtung  aller  Zukunftsanbeter  — 
nur  nicht  die  der  edelern  und  besseren 
Musikfreunde. 

M.  H. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  etwa  i3.  März  1860.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Da  Ihr  letztes  Concert  am  i5'^"  ist,  so  wird  dies  Blatt 
wohl  gerade  eintreffen,  um  anzudeuten,  wie  gern  ich 
zuhörte.  Wie  herzensfroh  bin  ich,  daß  meine  lieben  Wiener 
sich  so  liebenswürdig  gegen  Sie  aufführen;  es  lockt  mich 
ganz  gewaltig,  auch  in  die  Kaiserstadt  zu  kommen.  Nun 
nächsten  Herbst,  so  Gott  will.  Aber  Ihrem  letzten  Concert 
wird  gewiß  ein  allerletztes  und  dann  ein  Abschiedsabend 
folgen;  das  sehe  ich  voraus.  Brahms  wird  Ihnen  wohl  von 
seiner  Serenade  und  unserm  Zusammensein  vorige  Woche 
schon  geschrieben  haben.  Daß  Sie  uns  sehr  fehlten,  zum 
Anhören  und  dann  zum  Mitfreuen,  wissen  Sie  (oder  solltens 
wenigstens  wissen),  ohne  daß  ich's  sage.  Das  Werk  hat 
entschieden  durch  sein  neues  Kleid,  aus  Metall  und  Thier- 
fellen,  gewonnen.  So  frisch  und  warm  jubeln  die  Trom- 
peten und  Pauken,  daß  man  mit  einjauchzen  möchte  im 
ersten  und  letzten  Satz.  Und  das  Adagio  voll  schöner  Me- 
lodik und  tiefer  Harmonie  gemahnt  oft  auch  im  Klang  an 
die  Orgel.  Das  Orchester  konnte  leider  nur  2  mal  2  Stunden 
lang  probiren,  aber  wenn  auch  bei  so  entschieden  Neuem, 
Individuellem,  die  Wiedergabe  an  Freiheit  und  Hingebung 
nicht  unserm  Ideal  entsprach,  gieng  es  doch  gut  und  klar. 
König  und  Königin,  auch  Hauptmann,  der  hier  war,  waren 
sehr  befriedigt,  und  das  Publikum  —  ziemlich  aufmunternd, 


78  An  Clara  Schumann 

wie  ich's  beschönigend  nennen  will.  Es  ist  das  alte  Lied: 
wo  der  bloße  Name  nicht  zur  Aufmerksamkeit  und  Hin- 
gebung von  vornherein  zwingt,  da  sind  die  Leute  zerstreut 
oder  befangen,  abwehrend  oder  faul.  Wenn  ich  hier  bleibe, 
werde  ich  nicht  los  lassen!  Übrigens  ist  mir,  auch  wenn 
ich  an  die  Stumpfheit  des  Publikums  denke,  für  Johannes 
nicht  bange,  —  Sonnabend  komme  ich  mit  meinem  Ma- 
gyarember-Concert  an  die  Reihe;  wie  wird  mir's  gehen? 
Daß  Sie  nicht  nach  Pesth  gehen,  thut  mir  der  Eltern  und 
Schwester  wegen  leid  —  Sonst  ist  wohl  die  politische 
Stimmung  ^)  der  musikalischen  zu  sehr  entgegen.  Gott  gebe, 
daß  es  künftiges  Jahr  anders  werde,  aber  mag's  kommen, 
wie  es  wolle,  ich  gehe  hin.  Daß  Spina  meine  Schubert'sche 
Bearbeitung  drucken  will,  danke  ich  Ihnen  herzlich;  auch 
muß  ich  Ihrem  diplomatischen  Geschick  wegen  „ein  Theil 
des  Honorars"  alle  Gerechtigkeit  wiederfahren  lassen.  Die 
40  Rthlr.  „Copirkosten"  sind  gewiß  auch  mir  lieb;  dafür 
kann  man  im  Sommer  ein  paar  Berge  mehr  erklettern. 
Wie  will  ich  die  freien  Monate  den  Sommer  genießen  und 
benützen;  Chappells^)  erhalten  heute  von  mir  Nachricht, 
daß  ich  nicht  nach  London  komme.  Ich  bin  des  Paradirens 
auf  Konzertzetteln  schrecklich  überdrüssig,  und  so  leid  es 
mir  auch  thut,  London  aufzugeben,  bin  ich's  meiner  gei- 
stigen und  leiblichen  Gesundheit  schuldig.  Wissen  Sie  schon, 
wo  Sie  den  Sommer  weilen  werden?  Lassen  Sie  mich's  bald 
hören;  auch  wann  Sie  dem  König  Ihr  Versprechen  erfüllen, 
nochmals  gegen's  Frühjahr  herzukommen.  In  letzter  Zeit 
war  oft  Musik  bei  Hof,  Hauptmann's  wegen  zweimal,  der 

König  ist  auch  von  dessen  Kompositionen  „entzückt" 

Nur  schwärmen  scheint  die  harmlose  Devise  des  liebens- 
würdigen Königspaars.  H.'s  Gmoll  Sonate  spielte  ich  auf 
spezielle  Bitte  d,  K.  mit  Wehner,  2 mal!    Hätte  ich  dafür 

^)  Infolge  der  Niederlagen  Österreichs  im  Kriege  mit  Frankreich,  die 
1867  zum  Ausgleich  zwischen  Gis-  und  Transleithanien  führten. 
*)  Konzertunternehmer. 


Au  Robert  Franz  79 

lieber  Ihr  Trio  hören  können;  ich  entsinne  mich  eines  Fu- 
gato  im  letzten  Satz  —  und  daß  Mendelssohn  ein  Mal  bei 
Freges  großen  Spaß  darüber  hatte,  daß  ich's  nicht  glauben 
wollte,  eine  Frau  könne  so  etwas  componiren,  so  ernst  und 
tüchtig!  Sie  entgehen  dem  Schicksal  nicht,  nun  auch  das 
Trio  neben  den  Romanzen  aufs  Königliche  Repertoire  auf- 
genommen zu  sehen  !  Könnte  ich  mein  Bennett'sches,  halb- 
schadenfrohes  Lachen  mit  in  den  Brief  schließen,  damit  Sie 
einstimmten  und  dabei  mit  dem  Finger  dem  Ungezogenen 
drohten ! 

Von  unserm  hier  ausgeheckten  Protest  gegen  das  Treiben 
der  Liszt'schen  Clique  werden  Sie  durch  Job:  erfahren 
haben.  Ihnen  wird's  recht  sein.  Es  läßt  sich  viel  dagegen 
sagen  vom  Standpunkt  der  tiftelnden  Klugheit  —  aber  mir 
ist\s  darum  zu  thun,  so  kuiz,  trocken  und  einfach  auch 
öffentlich  zu  wiederholen,  was  privatim  bloß  meine  Freunde 
wissen ;  damit  ich  klar  für  alle  Zeit  von  dem  Vorwurf  der 
Feigheit  sei.  Das  Übrige  wird  die  Folge  bringen,  ist  mein 
leichtsinniger  Nachsatz.   —   Sonnabend  schließen   wir  mit 


der  Fdur  Sinfonie  von  Beethoven:     Av[>  g   j '  *8     J  !   Die 


fröhlichsten  Frühlingsgedanken  möge  der  Gedanke  Ihnen 
erwecken  in  der  herrlichen  Kaiserstadt,  wo  er  zuerst  ent- 
sprang. Adieu  für  heut,  und  grüßen  Sie  Elise  freundlich 
von  mir. 

Der  Ihrige 

Joseph  Joachim. 

An  Robert  Franz 

Am  ai»"^"  [März  1860.]  Bach's  Geburtstag. 
Verehrter  Freund. 

Es  scheint  mir  meine  Pflicht  nach  reiflicher  Erwägung, 
Sie  nicht  nur  mit  dem  Inhalte  der  inliegenden  Er- 
klärung bekannt  zu  machen,  bevor  Sie  veröffentlicht  wird. 


8o  An  Robert  Franz 

sondern  Sie  aufs  eindringlichste  aufzufordern,  Ihre  Sanktion 
durch  Naniensunterschrift  mit  zu  geben.  — 

Durch  den  Aufsatz  von  ßerlioz  äußerlich  dazu  angeregt, 
besprach  ich  jüngst  mit  Freund  Brahms  und  einigen  andern 
Kunstgenossen  das  schädliche  Wirken  der  „Neudeutschen" 
durch  ihre  Werke  und  die  kein  Mittel  scheuende  Art  die- 
selben zu  verbreiten,  wozu  namentlich  auch  die  heuchle- 
rische Weise  gehört,  sich  mit  Namen  zu  brüsten,  die  zum 
Heil  der  Kunst,  Apoll  sei  Dank!  nicht  das  Geringste  mit 
den  „Neudeutschen"  gemein  haben.  Es  schien  uns,  als  wäre 
es  Lässigkeit,  wenn  auch  wahrlich  nicht  Feigheit,  nicht 
längst  protestirt  zu  haben  gegen  Leute,  die  in  Eitelkeit  und 
Frechheit  alles  Heilige,  Hohe,  das  die  musikalische  Kraft 
unseres  Volkes  bisher  erschaffen,  gleichsam  als  Dünger  für 
die  verkrüppelten,  machtlosen  Wucherpflanzen  —  Liszt- 
scher  —  Phantasien  betrachten.  Das  Wort  Liszt  ist  her- 
aus, so  schwer  es  mir  auch  wird,  diesen  Namen,  an  den 
sich  viel  liebe  Erinnerungen,  manche  verehrungswürdige 
glänzende  That  aus  frühester  Zeit  knüpft,  mit  einem 
öffentlichen  Protest  gegen  Kunstgemeinschaft  mit  ihm 
zu  verbinden;  aber:  Amicus  Liszt,  magis  amica  Musica. 
Sein  Treiben  ist  jetzt  zu  unnatürlich  verderbenbringend 
in  der  Gonsequenz,  die  er  halb  gezogen,  halb  gesunken  fest- 
halten muß.  Ich  begnügte  mich  vor  3  Jahren  etwa,  bei 
Gelegenheit  der  Karl  August  Feier,  zu  der  ich  geladen  ward, 
ihm  privatim  zu  schreiben,  daß  ich  nicht  als  Neugieriger 
oder  Heuchler  kommen  wollte,  nicht  anders  kommen  könnte 
—  es  ward  mir  schwer  genug,  dem  älteren,  oft  gegen  meine 
Leistungen  so  nachsichtigen  Mann  gegenüber  — .  Aber  trotz- 
dem muß  ich  seiner  verderblichen  Propaganda  wegen  als 
Hüter  einer  meinem  Herzen  am  nächsten  liegenden  Kunst 
mit  in  den  Schrei  der  Nothwehr  einstimmen,  der  nun  auch 
zu  Ihnen  dringt.  Kräftigen  Sie  unseren  Protest  durch  das 
Gewicht  Ihres  Namens;  er  vor  allen  würde  die  irrenden 
Strebenden    von    einem    falschen    Ideal    zurückschrecken, 


Von  Robert  Franz  8l 

welche  durch  die  KriegsHst  der  „iXeudeutschen"  in  dem 
Wahn  sind,  Sie  billigten  diese  Schule,  mit  der  Sie  doch  nichts 
gemein  haben.  Viel  lieber  bespräche  ich  (ungeübt  zu  schrei- 
ben wie  ich  bin)  die  Sache  mit  Ihnen;  aber  zu  einer  Reise 
kann  ich  jetzt  unmöglich  kommen:  am  24""'  ist  unser  letztes 
Concert,  am  27""  habe  ich  alten  Versprechen  gemäß  in 
Bremen  und  Hamburg  zu  spielen.  Kirchner,  Grädener, 
Bargiel,  Dietrich,  Wüllner  haben  zugestimmt,  an  Gade, 
Rietz,  Hiller  denke  ich  auch  zu  schreiben.  Gerne  forderte 
ich  H.  V.  Saran^)  auf,  weiß  aber  seine  Adresse  nicht.  Man 
hat  mir  viel  Gutes  von  seinen  Sachen  erzählt,  und  ich  hoffe 
sie  bald  aufzutreiben  und  sie  kennen  zu  lernen.  Daß  die 
BrendeFsche  Zeitung  gut  von  ihnen  spricht,  wie  ich  durch 
einen  Freund  erfahre  (da  ich  selbst  das  genannte  Blatt  nur 
manchmal  zufällig  lese),  so  ist  das  eben  eines  der  verwirren- 
den, unklaren  Manöver,  mit  welchen  sie  glauben  macht, 
Künstler  gehörten  zu  ihrer  Partei,  welche  ihre  Tendenz 
verdammen  müssen. 

Als  Freund  und  Lehrer  Sarans  sind  Sie  wohl  so  gütig, 
ihm  die  Erklärung  bekannt  zu  machen,  wenn  er  in  Halle 
weilt.  Ich  habe  Ihnen,  verehrter  Freund,  noch  die  ange- 
nehme Mittheilung  zu  machen,  daß  ich,  angeregt  durch  Ihre 
Sympathie  für  meine  Bearbeitung  des  Schubert'scheu  Duos, 
dieselbe  Spina  angeboten  habe,  welcher  sie  drucken  will. 
Sobald  Sie  die  Partitur  entbehren  können,  schicken  Sie 
mir  sie  wohl,  und  wenn  Ihnen  irgend  etwas  beim  Anhören 
aufgefallen  ist,  das  geändert  werden  könnte,  so  theilen  Sie's 
freundlich  mit:  es  sind  denn  doch  über  4  Jahre,  daß  die 
Arbeit  von  mir  gehört  ward. 

In  der  angenehmen  Aussicht  bald  von  Ihnen  zu  hören, 
Ihr  aufrichtigst  ergebener 

Joseph  Joachim. 


*)  Aug.  Fried.  S.,  geb.  i836  bei  Genthin,  gab  iSyS  die  Schrift  heraus 
,R.  Franz  und  das  deutsche  Volks-  u.  Kirchenlied". 


82  Von  Robert  Franz 

Von  Robert  Franz 

Halle  d.  2  3"="  März  60. 
Mein  sehr  lieber  Freund! 

Sie  werden  es  mir  hoffentlich  nicht  als  Schwäche  oder 
gar  Feigheit  auslegen,  wenn  ich  Anstand  nehme,  dem 
mitgetheilten  Proteste  beizutreten.  Zwar  finde  ich  ihn  durch 
die  Verhältnisse  gerechtfertigt  u.  erblicke  in  ihm  eigentlich 
nur  einen  Akt  der  Nothwehr  —  dem  ohngeachtet  verbieten 
mir  persönliche  Gründe,  mich  von  L.  öffentlich  loszusagen. 
Dazu  erfahre  ich  noch,  daß  L.  seit  geraumer  Zeit,  in  Folge 
vieler  bitterer  Erfahrungen,  mit  der  Welt  wie  zerfallen  ist 
—  sicherlich  würde  er  durch  einen  neuen  Schlag  in  noch 
trübere  Zustände  versetzt  werden.  Derartige  sentimentale 
Erwägungen  müßten  jedoch  schweigen,  könnte  ich  mich 
überzeugen,  daß  der  Kunst  durch  die  „Neudeutschen"  auf 
die  Dauer  ernste  Gefahr  drohe.  Zwar  wird  sich  der  oder 
jener  eitle  Schwächling  in  das  tolle  Lager  hinüber  ködern 
lassen  —  dem  kann  durch  keinerlei  Maßregeln  gesteuert 
werden  —  geht  aber  an  solchen  Individuen  der  Kunst  viel 
verloren?  Ich  glaube  kaum !  Außerdem  lebe  ich  der  festen 
Überzeugung,  daß  Lug  u.  Trug  den  vernünftigen  Entwick- 
lungsgang der  Welt  langhin  nicht  zu  stören  vermag:  Wahr- 
heit u.  Schönheit  leuchten  ja  durch  ihren  Gegensatz  nur 
um  so  strahlender!  Trügen  nicht  alle  Anzeigen,  so  sind 
wir  diesem  erwünschten  Ziele  näher  wie  je:  —  die  Zukunfts- 
musik hat  sich  durch  ihre  eigene  Jämmerlichkeit  vollstän- 
dig gerichtet  und  wird  fürder  nur  dazu  noch  nützlich  sein, 
das  Echte  unverhüllter  zu  zeigen.  Dies  alles  zusammen- 
gefaßt, zürnen  Sie  mir  über  meine  Zurückhaltung  sicherlich 
nicht,  da  ich  überdieß  kaum  annehmen  darf,  durch  meine 
Person  die  gegenwärtige  Lage  der  Dinge  wesentlich  mit 
ändern  zu  helfen.  Zudem  ist  mein  ganzes  Leben  ein  fortge- 
setzter Protest  gegen  „Jung- Weimar"  —  der  Unbefangene 


Von  Robert  Franz  83 

muß   davon   längst   ohne   meine   Versicherung    überzeugt 
sein.  — 

Große  Freude  hat  es  mir  gemacht,  daß  Ihre  Bearbeitung 
des  Schubert'schen  Duo  gedruckt  wird.  Darf  ich  Sie  bitten, 
mir  die  Partitur  noch  auf  kurze  Zeit  zu  lassen?  Der  Copist 
ist  noch  nicht  ganz  fertig  —  ich  habe  ihn  aber  angetrieben, 
sem  Geschäft  möglichst  zu  beschleunigen.  Sollten  Sie  da- 
gegen keine  Frist  geben  können,  so  erhalten  Sie  Alles  um- 
gehend mit  einigen  jDersönlichen  Bemerkungen  zurück.  — 

Demnach  freue  ich  mich  herzlich  über  Ihre  Theilnahme 
an  Saran.  In  dem  steckt  ein  ungewöhnliches  Talent,  das 
wohl  der  nachdrücklichsten  Aufmuntrung  werth  sein  dürfte. 
Leider  lebt  er  in  ziemlich  gedrückten  Verhältnissen  —  als 
temporisirender  Schulmeister  an  dem  hiesigen  Waisenhause! 
Ihr  Schreiben  habe  ich  ihm  mitgetheilt  —  aus  gerecht- 
fertigter Bescheidenheit  lehnt  er  aber  einen  öffentlichen 
Protest  ab.  — 

Schließlich  bin  ich  weit  davon  entfernt,  mit  meinen  Be- 
denklichkeiten bestimmend  auf  Ihre  u.  der  Übrigen  Ent- 
schließungen einwirken  zu  wollen:  einen  Schritt,  wie  den 
vorliegenden,  hat  die  Brendersche  Clique  längst  doppelt 
u.  dreifach  verdient.  Meine  Stellung  zur  Sache  ist  eine  rein 
persönliche  u.  daher  völlig  gleichgültige.  Wäre  ich  L.  nicht 
zuviel  Dank  schuldig  —  er  hat  sich  stets  edel  u.  uneigen- 
nützig mir  gegenüber  gezeigt  —  so  wäre  es  ein  ander  Ding, 
u.  mit  aller  Wonne  würde  ich  meine  jahrelange  Liebe: 
„den  großen  Franz  Brendel"  in  den  Misthaufen  zurück- 
schleudern helfen,  aus  welchem  er  frech  gekrochen  ist. 

Mit  den  herzlichsten  Grüßen 

Ihr 

Roh.  Franz. 


84  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  i  3""  April  1 860.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Natürlich  will  ich  an  Ghappell  schreiben;  nur  fürchte 
ich,  daß  es  nicht  viel  nützen  kann.  Sein  Interesse  ist 
es  zu  sehr,  für  Künstler  thätig  zu  sein,  die  ihm  Jahr  aus 
Jahr  ein  dienstlich  für  seine  Unternehmungen  sind,  als 
daß  er  viel  Mühe  daran  wenden  sollte,  einer  fremden,  noch 
so  bedeutenden  Erscheinung  zu  nützen.  Indeß  schaden 
kann's  ja  auch  nicht !  Also  Sie  werden  doch  wahrschein- 
lich wieder  das  liebe  Insulanervolk  aufsuchen?  Ich  habe 
zu  Zeiten  ordentlich  Heimweh  nach  den  alten  schönen 
Bäumen  in  manchen  Squares  und  nach  dem  buntbewegten 
Leben  und  der  eigenthümlichen  Einsamkeit,  die  einen  ge- 
rade in  dem  Gewühl  beschleicht  und  nach  den  Park's  hin- 
zieht. Kurz,  es  ist  doch  vieles  herrlich  in  dem  dear,  dear 
London!  Aber  ich  will  fest  dabei  bleiben,  diesen  Sommer 
herzhaft  zu  arbeiten  und  im  Herbst  nach  Wien  und  Pesth 
zu  ziehen.  Einstweilen  bleibe  ich  hier,  habe  aber  zugesagt, 
Pfingsten  in  Düßeldorf  zu  spielen.  Wäre  ich  nicht  durch 
ein  Versprechen,  in  Hildesheim  zu  spielen  (für  den  alten 
Heinemeyer),  nächste  \Voche  hier  gefesselt,  ich  hätte  Sie 
am  Ende  in  Dresden  aufgesucht.  —  Morgen  ist  der  Königin 
Geburtstag  und  letztes  Quartett.  Wir  spielen  Es  dur  v. 
Mozart,  A  moll  von  Roh.  Schum.  und  C  moll  von  Beeth. 
Wenn  Sie  herkommen  und  zeitig  genug  schreiben,  möchte 
ich  trachten,  Ihnen  das  Ungar.  Goncert  u.  vielleicht  das 
Schnbert'sche  Duo  zu  spielen,  das  ich  gern  hörte  (bevor 
ich's  an  Spina  sende),  oder  Brahms'  a""  Serenade.  Ver- 
sprechen kann  ich's  freilich  nicht. 

Grüßen  Sie  die  Dresdner  Freunde,  namentlich  Rietz. 

Der  Ihrige 

J.  J. 


Von  Claia  iSchumann  85 

Von  derselben 

Berlin  d.  2.5  April  1860. 

Lieber  Joachim, 

Ich  gehe  nicht  nach  England,  fühle  mich  physisch  und 
moralisch  zu  sehr  abgespannt  —  andere  Gründe  sage  ich 
Ihnen  später  mündlich.  Sehen  werde  ich  Sie  nun  erst  im 
Mai  —  wird  da  auch  noch  Hoffnung  zu  einer  Probe  sein? 
nun,  auf  Quartett  hoffe  ich  mindestens.  Der  Entschluß  mit 
England  ist  mir  schwer  geworden,  daß  ich  aber  zum  Musik- 
fest jetzt  in  Düsseid.  sein  kann,  freut  mich  sehr. 

Haben  Sie  vielen  Dank,  daß  Sie  gleich  zu  Graf  Platen 
gegangen  sind.  Mit  dem  Hof  aber,  wie  kurios!  Sind  Sie 
wieder  einmal  in  Ungnade? 

Erschrecken  Sie  nicht  über  den  furchtbaren  Briefe)  hier, 
lesen  Sie  ihn  aber,  und  dann  rathen  Sie  mir.  Ich  kann 
doch  nicht  dahin  gehen,  um  ein  solches  Fest  mit  den  Men- 
schen zu  begehen,  die  ich  aus  tiefster  Seele  (als  Musiker) 
verachte.  Soll  ich  unumwunden  meine  Herzensmeinung 
aussprechen?  Machen  diese  Weimaraner  sich  nicht  überall 
herbei,  wo's  gilt  sich  großthuen  mit  Roberts  Kameradschaft? 
wüßte  ich  nur  kurz  und  bündig,  aber  fein  dabei,  mich  aus- 
zusprechen. Meinen  Sie  überhaupt,  ich  gehöre  zu  solch 
einem  Feste?  mein  Gefühl  sagt  mir,  daß  ich  als  Frau  gar 
nicht  dahin  passe,  auch  wenn  nicht  die  Weimaraner  dabei 
wären.  Ist  es  nicht  eine  Selbstquälerei?  kann  ich  gleich- 
gültig dabei  sein?  mein  Gefühl  aber  zur  Schau  tragen  bei 
solcher  Gelegenheit,  um  Alles  nicht!  also  ist's  doch  in  jedem 
F'alle  eine  schiefe  Stellung.  Soll  ich  nun  Dieses  oder  das 
Andere  offen  sagen?    Bitte,  rathen  Sie  mir!  — 

Wie  steht's  denn  mit  der  bewußten  Erklärung?  könnte 
ich  mich  da  nicht  auch  mit  unterschreiben?  bin  ich  auch 

^)  eine  Einladunjj  zur  Scliuinaniil'cier  in  Zwickau  am  7. — S.Juni;  vgl. 
Kalbeck  I*  S.  4io. 


86  An  Clara  Schumann 

nicht  producierend,  so  doch  reproducierend.    Da  wüßten's 
die  Leute  auch  von  mir  und  frügen  nicht  immer. 

Senden  Sie  mir  den  Brief  zurück,  recht  bald,  und  Ihre 
Meinung.  Seyn  Sie  nicht  bös,  lieber  Freund,  die  Sache  ist 
aber  doch  zu  wichtig,  als  daß  ich  sie  ganz  ohne  Freundes- 
rath  erledigen  möchte. 

Ich  bleibe  noch  8 — lO  Tage  hier  —  dann,  hoffentlich, 
sehe  ich  Sie. 

Mit  herzlichstem  Gruße 

Ihre 

getreue 

Cl.  Seh. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover,  Ende  April  1860.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Verzeihung,  daß  ich  nicht  gleich  schrieb;  indeß  da  das 
beabsichtigte  Fest  des  Zwickauer  Herrn  (oder  Herrn 
Zwickauer)  erst  im  Juli  sein  sollte,  so  pressirte  es  am  Ende 
nicht.  Ich  bin  natürlich  ganz  Ihrer  Meinung:  nicht  Theil 
zu  nehmen.  Zu  den  Gründen  gehört  namentlich  auch  die 
Anwesenheit  „Weimar 'scher  Koryphäen".  Hätte  man  letztere 
nicht  von  vornherein  erwähnt,  und  kämen  sie  bloß  wie 
der  Rest  des  Publikums  verehrend,  theilnehmend  oder  neu- 
gierig, Sie  könnten  nicht  aus  der  Anwesenheit  der  Herrn 
Anlaß  zur  Ablehnung  nehmen ;  aber  indem  die  Veranstalter 
Ihnen  officiell  gleich  bei  der  Bitte  um  Mitwirkung  mit- 
theilen, daß  die  Liszt'schen  vertreten  sein  würden,  da  ferner 
einer  der  Wortführer  dieser  Leute  im  Gomite  sitzt,  so  hieße 
anzunehmen  eine  Bestätigung  geben  für  die  Annahme 
Unwissender  und  Urtheilsloser,  daß  Schumann  mit  den 
neuesten  Fortschritten  zur  Unmusik  gemeinschaftliche  Sache 
gemacht  habe.    Bei  der  Unredlichkeit  und  Zudringlichkeit 


An  Clara  Sclmmann  87 

vieler  zu  Weimar  gehörenden  Persönlichkeiten  würde  man 
nicht  verfehlen,  dies  auf's  rührigste  auszuheulen.  Aher  auch 
abgesehen  davon,  finde  ich,  daß  sich  die  Herren  vom  Ko- 
mite  nicht  sonderlich  anstrengen:  eine  Gedenktafel  am 
Hause,  und  eine  Gedecktafelei  im  Wirthshause  —  Wär's 
eine  Büste  oder  die  Aufführung  des  Faust !  Aber  so  sollen 
Sie  auch  noch  das  Einzige  bedeutende  Künstlerische  dazu 
leisten.  So  feiern  wir,  Gott  sei  Dank,  Schumann  oft  in  unsern 
vier  Pfählen  und  brauchen  nicht  eine  Reise  zu  unternehmen. 
Wäre  gemüth volle  Wärme  und  nicht  „eitler  Stolz"  das 
Motiv,  so  sollten  die  Herrn  ganz  bescheiden  und  demüthig 
das  Wenige,  was  sie  thun  können,  darbringen,  eine  Gedenk- 
tafel setzen  und  die  wirklich  in  herzlicher  Beziehung  zu 
Ihnen  stehenden  nähern  Freunde  zusammen  bitten,  das 
könnte  gemüthlich  erhebend  sein.  Übrigens  fände  ich  den 
„Stolz"  ohne  Eitelkeit  auf  das  „berühmte  Stadtkind"  ganz 
in  der  Ordnung,  nur  müßte  man  sich  hübsch  zusammen 
nehmen  und  etwas  hervorbringen,  das  von  gehobenem  Be- 
wußtsein Zeugniß  giebt. 

Sie  werden  wohl  den  Herrn  in  Zw.  geantwortet  haben 
—  sollten  Sie  aber  erst  auf  meine  Meinung  gewartet  haben, 
(eine  Ehre,  die  ich  kaum  verdiene),  so  möchte  ich  sagen, 
daß:  so  freundlich  und  angemessen  die  Absicht  der  Herrn 
sei,  ihre  Theilnahme  zu  bezeigen,  Sie  eine  Betheiligung  bei 
der  vorgeschlagenen  Feier  dankend  ablehnten,  da  es  Ihnen 
unmöglich  wäre,  bei  einem  Anlaß  mitwirkend  vor  das 
Publikum  zu  treten,  der  Ihre  Empfindungen  so  heftig  er- 
schütterte. Aber  auch  in  künstlerischer  Beziehung  würde 
das  Zusammenwirken  und  Feiern  mit  „Koryphäen  der 
Weimar'schen  Schule",  deren  Betheiligung  man  Ihnen 
officiell  mittheilte,  dem  Geiste  Schumann's  zu  sehr  wider- 
sprechen, der  seine  Abneigung  und  Mißbilligung  eben 
dieser  Schule  zu  oft  und  nachträglich  ^)  ausgesprochen  hätte, 

^)  Selbstgebildetes  [?]  Wort  im  Sinne  von  „nachtrachtlich"  =  eifrig, 
nachdrücklich. 


88  Von  Clara  Schumann 

als  daß  Sie  einen  Zweifel  darüber  haben  könnten.  —  Über 
den  Protest  habe  ich  nichts  mehr  erfahren  —  Franz  lehnte 
ans  sentimentalen  Rücksichten  gegen  Liszt  ab,  andere  ver- 
klausuliren  sich,  kurz,  da  doch  nicht  an  ein  würdig  ernstes 
Auftreten  en  masse  zu  denken  ist,  so  muß  eben  jeder  für 
sich  arbeitend  suchen,  einen  dauerhaftem,  im  Grund  noch 
wirkungsvollem  Damm  durch  Werke  zu  errichten.  —  Daß 
Sie  nicht  nach  London  gehen,  ist  mir  für  Sie  lieb;  Ruhe 
wird  Ihnen  gut  thun,  und  ich  darf  so  auch  hoffen,  Sie 
öfter  zu  sehen.  Der  König  erwartet  Sie,  wie  er  mir  neu- 
lich sagte,  mit  großer  musikalischer  Ungeduld.  Für  die 
Probe  mit  Orchester  ist  der  Mai  jedenfalls  günstiger  .  .  . 
In  herzlicher  Ergebenheit 

Joseph  Joachim. 


Von  Clara  Schumann 


ßerün  d.  3  Mai   1860. 


Lieber  Freund, 

Herzlichsten  Dank  für  Ihren  lieben  rathenden  Brief.  Ich 
hatte  allerdings  mit  meiner  Antwort  auf  Ihre  ge- 
wartet, und  das  war  sehr  gut,  denn  so  schön  hätte  ich  es 
gar  nicht  schreiben  können,  wie  Sie  es  mir  gesagt,  so  recht 
nach  meinem  Sinn,  kurz  und  kräftig  und  doch  fein  dabei. 
Morgen  soll  gleich  die  Antwort  fort.    Nochmals  Dank. 

Nun  muß  ich  Ihnen  aber  von  mir  erzählen:  denken  Sie, 
ich  war  gerade  bei  Job:,  als  Ihr  schönes  Mozart-Geschenk 
ankam.  Johannes  hatte  mich  so  dringend  gebeten,  zu  seiner 
letzten  Frauenvereinigung  anwesend  zu  sein,  daß  ich  nicht 
widerstand.  Ich  blieb  da  bis  Dienstag,  gehe  aber  am  Sonn- 
tag wieder  bis  zum  Musikfest  in  Düsseldorf  nach  Ham- 
burg, er  wünschte  es  so  dringend,  und  auch  mir  ist  es  ja 
eine  Freude!  Ich  wollte  Ihnen  aber  nun  einen  schönen 
Vorschlag  machen!  Kommen  Sie  (ohne  Job:  davon  zu 
schreiben,  von  mir  weiß  er  auch  den  Tag  nicht)  Sonn- 


An  Clara  Schiunann  89 

>fag  Abend  an,  bleiben  Sie  im  Hotel  Petersbuiff  die  eine 
Nacht  (ich  habe  mich  nämlich  dort  eingemiethet),  und  Mon- 
tag früh,  als  am  7"",  lassen  Sie  uns  zusammen  Ihm  unseren 
Geburtstag-Gruß  bringen.  Das  wäre  herrlich  —  wollen 
Sie?  Mittwoch  hat  er  seinen  Verein,  und  Donnerstag 
(wenn  Sie  überhau[)t  nach  Hannover  /Airück  wollen)  gehen 
wir  zusammen  dahin,  wenn  Sie  nämlich  wirklich  an  einem 
der  Tage  die  Probe  veranstalten  können,  denn,  wegen  des 
Königs  konnne  ich  nicht,  das  ist  nur  nebenbei.  Vielleicht 
geht  dann  Job:  mit,  wenn  nicht,  so  nehmen  Sie  mit  mir 
allein  fürlieb,  —  Freude  machen  Sie  mir  für  Zehn  und 
mehr!  — 

Sollten  Sie  nun  aber  nicht  nach  Hamburg  kommen 
mögen,  so  stehe  ich  jeden  der  Tage  nach  Mittwoch  be- 
reit, zu  Ihnen  zu  kommen,  also  könnte  die  Probe  Freitag 
oder  Sonnabend,  oder  Sonntag  sein.  Montag  ist  wieder 
Verein,  da  habe  ich  versprochen,  immer  dabei  zu  sein, 
Bitte,  schreiben  Sie  mir  gleich;  dann  erhalte  ich  Ihre  Ant- 
wort noch  am  Sonnabend,  nur  Wenig,  Ja  oder  Nein  (oder 
vielmehr  nur  Ja),  und  den  Tag,  wo  ich  in  Hannover  sein 
soll. 

Der  Zug  geht  gleich  ab,  daher  in  großer  Eile  nur  noch 
herzlichsten  Gruß.  Bitte  kommen  Sie,  wenn's  irgend 
geht.  Im  Hotel  Petersburg  (Jungfernstieg)  finden  Sie  mich. 
Getreu 

Ihre 

Gl.  Seh. 

An  dieselbe 

[Hannover  5.  Mai   1860.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  wollte  bei  Hof,  da  ich  für  Leipzig  u.  Düßeldorf  Reise- 
erlaubniß  nachholen  muß,  nichts  von  Hamburg  sagen, 
sondern  so  hinrutschen.    Nun  inliegende  Störung  unserer 


90  Von  Clara  Schumann 

Kleeblattfeier!  Ich  dachte  ganz  sicher  zu  sein,  da  der  König 
gestern  nichts  sagte.  Indeß  werdet  Ihr  auch  ohne  mich  in 
Hamburg  froh  sein,  so  leid  es  mir  immer  thun  mag,  nicht 
dabei  zu  sein.  Das  herzlichste  an  Johannes,  dem  ich  morgen 
schreibe,  wenn  ich  nicht  komme. 

Das  Leipziger  Klatschblatt  i)  hat  denn  also  schon  losge- 
keift,  ganz  wie  Fisch weiber  thun,  oder  Eckensteher;  noch 
bevor  wir  veröffentlicht !  Das  möge  uns  die  Gemeinplätze, 
falschen  Stimmführungen  und  Querstände  andeuten,  die 
auf  dies  Vorspiel  folgen  sollen. 

Never  mind! 

Der  Ihrige 

J.  J. 

Von  Clara  Schumann 

Hamburg  d.  8.  Mai   1860. 
Lieber  Joachim, 

Das  war  ja  eine  rechte  Enttäuschung,  nach  Ihren  Zeilen 
nach  Berlin  diese  Depesche,  die  ich,  in  freudiger  Hoff- 
nung, sie  werde  mir  die  Stunde  Ihrer  Ankunft  melden, 
öffnete,  dann  Ihre  Zeilen,  die  mir  alle  Hoffnung  benahmen, 
und  die  bittere  Pille  „indeß  werdet  Ihr  in  Hamburg  auch 
froh  ohne  mich  sein"  noch  hinteidrein !  ei,  wie  garstig! 

Sagen  Sie  mir  nur,  ich  begreife  das  nicht,  wozu  brauchen 
Sie  jetzt  Urlaub,  Sie  haben  ihn  ja  ohnehin?  wollen  Sie 
denn  von  Düsseldorf  wieder  zurück?  werde  ich  denn  den 
Sommer  gar  nicht  irgendwo  mit  Ihnen  sein  können?  Job: 
hatte  mir  gesagt,  Sie  kämen  gewiß  auch  hierher  in  dieser 
Zeit!  Vielerlei  möchte  ich  noch  fragen,  doch  ich  sehe  Sie 
ja  wohl  bald? 

*)  Eine  Parodie  des  Protestes,  der  noch  ungedruckt  war,  stand  in  der 
Brendelschen  AHg.  Musikzeitg.  v.  4-  Mai.  Vgl.  Kalbeck,  i.  Aufl.,  Bd.  I, 
423  ff.  Otto  Jahn  hatte  H.  v.  Bülow  einmal  in  den  „Grenzboten"  einen 
„betrunkenen  Eckensteher"  genannt. 


An  Her  man  Grimm  91 

Meine  Überraschung  mit  Johannes  ist  mir  ganz  geglückt, 
er  hatte  keine  Ahnung,  daß  ich  früher  als  mit  dem  Nach- 
mittagzug am  7"""  eintreffen  ^vürde.  Er  hatte  mir,  zur 
großen  Überraschung,  seine  2"^  Serenade  vierhändig  arran- 
giert, und  ganz  reizend.  Was  ein  prächtiges,  frisches  Werk 
ist  das,  wie  muthet  Einem  Alles  an !  und  welche  Meister- 
schaft dabei  in  Form  und  Charakteristik.  Nun,  Sie  wis- 
sen's  besser  als  ich!  ach,  wie  gern  hörte  ich  sie  bald  in 
ihrer  ursprünglichen  Gestalt,  imd  Ihr  Concert,  wovon  Joh: 
mit  Entzücken  immer  spricht.  Spielen  Sie  es  auf  dem 
Musikfest?  . . . 

Herzlichst 

Ihre  Gl.  Seh. 

An  Herman  Grimm 

[Hannover,  9.  Mai   1860.] 

Lieber  Herman. 

Ich  habe  die  Bitte  an  Dich,  Kaulbach,  der  jetzt  wieder 
in  Berlin  ist,  freundlich  zu  sein,  wenn  seine  Persönlich- 
keit Dir  nicht  von  vornherein  widerstrebt,  was  ich  nicht 
glauben  kann,  wenn  auch  seine  Werke  Dir  nicht  zusagen 
mögen.  Meine  Bitte  zu  inotiviren,  gebricht  mir  in  diesem 
Moment  die  Zeit,  aber  nur  im  Allgemeinen,  daß  ich  ihm 
unter  dem  Druck  trüber  Erlebnisse  den  wohlthätigen  Ein- 
fluß eines  Mannes  gönne  und  wünsche,  dem  man  anfühlt, 
daß  geistiger  Gehalt  seine  Laufbahn  bestimmt.  Ich  will 
damit  keinen  Wechsel  auf  Deine  Zeit  ausstellen,  den  Du 
aus  freundschaftlicher  Schonung  acceptiren  sollst  —  der- 
gleichen darf  man  nicht;  aber  nur  nicht  von  vornherein 
abwehrend  w  ünscht'  ich  Dich,  da  bei  einer  etwas  sensiblen 
Natur  wie  K.  ein  Schmerz  statt  der  Freude  erwachsen 
könnte,  die  Dein  und  der  Deinen  edles  Dasein  zu  gewähren 
ihm  vielleicht  im  Stande  ist.  ... 

J.  J. 


92 


Von  Otto  Goldschmidt 


An  Otto  Goldschmidt 


rano     Fidel ! 


soprano     r idel ! 


^gg^ 


^E^glS 


[Hannover]  Am  9"="  Mai  [  1 860]. 

Mein  lieber  Goldschmidt 

Mit  diesem  heitern  Sang,  den  ich  noch  immer  von 
unserer  Reise  i)  her  oft  unwillkührlich  höre,  grüße 
ich  auch  Dich  wieder  nach  so  langer  Pause.  Ich  habe  mich 
Deines  Grußes  durch  meinen  Bruder  recht  erfreut;  nament- 
lich that  mir  wohl,  daß  Du  und  Deine  liebe  Frau  bei  Ge- 
legenheit der  Reise  nach  Schweden  an  ein  Zusammensein 
mit  mir  denket.  Mein  erstes  Gefühl  war,  unbedingt  mit  zu 
reisen,  und  den  alten  Lindblad  mit  Euch  aufzusuchen  — 
aber  nun  ich  an  die  Ausführung  ausführlich  denke,  an 
meine  Unkenntniß  der  Sprache,  an  die  Last,  die  ich  da- 
durch den  Freunden  bereiten  muß,  die  dadurch  doppelt 
bei  ihrer  Güte  an  mich  gefesselt  wären  etc.  etc.,  kömmt 
denn  doch  die  Reflektion  und  will  meinem  Enthusiasmus 
die  Flügel  nachträglich  ein  wenig  stutzen.  Das  Beste  wird 
wohl  sein,  ich  spreche  Dich  selbst  erst  einmal  über  die 
Sache,  denn  dazu  wäre  die  schönste  Aussicht,  wenn  Du, 
wie  mir  Deine  Mama  erzählte,  im  Juni  wirklich  nach 
Hamburg  kommen  willst.  Dann  mußt  Du  ja  über  Hannover; 
oder  noch  schöner,  wir  träfen  in  Düsseldorf  beim  Musik- 
fest zusammen  und  hörten  wie  in  Leeds  mit  einander! 
Was  meinst  Du  dazu?    Gar  zu  gerne  spielte  ich  auch  bei 

^)  nach  Irland  mit  Otto  G.  und  Jenny  Lind  im  Herbst  1869,  auf  der  sie 
die  von  Goldschm.  und  Joachim  komponierte  Fantasie  über  irische  Melodien 
spielten;  sie  ist  erhalten  (z.T.  skizziert)  und  ungedruckt  geblieben ;  vgl.  S.  61. 


Von  Otto  Goldschmidt  98 

dieser  Gelegenheit  Dir  und  Deiner  Jenny  mein  Concert,  das 
ich  diesen  Winter  gänzlich  umgeschrieben  habe  und  das 
nun,  wie  ich  glaube,  meiner  Liebe  zum  Geist  der  ungari- 
schen Musik  mehr  entspricht,  als  damals  im  Philharmonie. 
Daß  Du  noch  au  eine  Herausgabe  unseres  Irischen  Duos 
denkst,  ist  jedenfalls  ein  gutes  Zeichen  für  dasselbe.  Ich 
muß  gestehen,  daß  ich  eigentlich  kein  Urtheil  darüber  habe; 
damals  machte  mir  die  Sache  an  sich,  so  etwas  frisch  Ge- 
backenes dem  Publikum  vorzusetzen,  und  was  damit  an 
Freuden  und  Leiden  zusammenhieng,  Spaß!  Nun  müßt 
ich's  erst  nochmals  hören,  um  zu  wissen,  ob's  mehr  als  ein 
Gelegenheits-Stück  war;  ohnehin  eilt's  nicht  damit,  denn 
für  den  Verleger  ist's  jedenfalls  günstiger,  wenn  wir's  kurz 
vor  der  Vei'öffentlichung  zusammen  in  London  gespielt. 
Bitte,  vergiß  nicht,  es  in  den  Koffer  zu  thun,  wenn  Du  von 
dort  fährst,  damit  wir  es  prüfen  können.  —  Ich  bin  eben 
im  Begriff,  auf  einige  Tage  (vielleicht  6 — 8)  nach  Leipzig 
zu  fahren.  Ein  Sprung,  der  sich  schon  in  Irland  zeigte, 
hat  meiner  Violine  die  Behandlung  von  Bausch  in  Leipzig 
nöthig  gemacht.  Die  Operation  ist  aber  zum  Glück  gefahr- 
los. Lieb  ist  es  mir,  bei  dieser  Gelegenheit  Kiengel  wieder 
zu  sehen.  Eine  andere  mit  Dresden  zusammenhängende 
Kunsterscheinung  wird  Dich  wohl  aufgesucht  haben;  ein 
dort  im  Klavierspiel  gebildeter  amerikanischer  Knabe,  der 
von  Kaskel  an  Dich  empfohlen  ist,  wie  mir  sein  Vater 
mittheilte.  Der  1 3jährige  Junge  heißt  Denck,  und  da  er 
Anlage  hat,  (namentlich  technisch)  fleißig  gewesen  ist  und 
mich  an  mein  armes  Selbst  erinnert,  als  ich  auch  gerade 
so  alt  in  das  riesige  London  hineinzog  und  guter  Hülfe  so 
bedürftig  war,  möchte  ich  ein  empfehlend  Wort  nicht  ver- 
säumen. Sei  so  gut  und  lasse  Dir  von  ihm  etwas  spielen, 
der  Knabe  wird  Dir  durch  sein  bescheidenes,  liebes,  kind- 
liches Wesen  von  vornherein  gefallen  .  .  . 


94  An  Herman  Grimm 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  i8.  Mai  1860.] 
Verehrte  Freundin. 

Bitte,  schreiben  Sie  mir  doch  ja  ein  Wort,  ob  x\ussicht 
vorhanden  ist,  daß  Sie  vor  Düßeldorf  noch  hieher 
kommen.  Der  König  fragt  jedesmal,  ob  Sie  auch  Ihr  Ver- 
sprechen, im  Frühjahr  zu  kommen  nicht  vergäßen,  wo  Sie 
wären,  wann  wir  wieder  bei  ihm  spielten!  Auch  gestern 
noch.  Sonntag  muß  ich  wieder  hin,  nach  Herrenhausen. 
Meine  Violine  ist  durch  die  Reparatur,  wie  das  gewöhnlich 
nach  einer  solchen  zu  sein  pflegt,  schwerer  in  der  Ansprache, 
und  ich  muß  viele  Stunden  täglich  drauf  arbeiten,  um  sie 
zum  Fest  zurecht  zu  spielen.  Also  kann  ich  nicht  nach 
Hamburg,  denn  dort  könnte  ich  unmöglich  mehrere  Stun- 
den täglich  üben.  Gern  möchte  ich  Ihren  Rath  diesmal 
wegen  Zwickau.  Soll  ich  auf  das  gedruckte  Circular  ant- 
worten, da  ich  wüßte,  daß  Sie  nicht  hingiengen,  schiene 
mir  auch,  als  ob  Sie  das  Ganze  nicht  guthießen?  Das  gienge 
doch  wohl  nicht.  Im  Circular  ist  eigentlich  nichts  Takt- 
loses; anders  war  es  mit  dem  Brief  an  Sie.  Was  wird  Jo- 
hannes thun?  Wir  müssen  jedenfalls  entweder  beide  hin, 
oder  beide  schreiben,  weßhalb  wir  nicht  kämen. .  . 

An  Herman  Grimm 

Hannover,  Sonntag  [30.  Mai   1860]. 
Lieber  Herman. 

Am  liebsten  zöge  ich  mit  durch  so  viel  unbekannte 
Städte  und  wünsche  nun  gefesselt  wenigstens  Dir  die 
beste  Laune  und  feste  Körperkraft.  Ich  wäre  in  diesen 
Tagen  doch  kaum  gekommen,  hoffe  aber  sehr  auf  die  Zeit 
nach  dem  Musikfest,  um  Euch  wieder  zu  sehen.    Werden 


An  Herman  Grimm  yS 

dann  die  Kartons  noch  zu  sehen  sein^)?  Vom  Brief  des  ehr- 
würdigen Mannes  habe  ich  aus  Deiner  gedruckten  Ankün- 
digung seiner  Schätze  vernommen;  ich  freue  mich  darauf, 
wenn  Du  ihn  mir  zu  lesen  giebst.  In  Berlin.  Eine  Aner- 
kennung und  ein  Verständniß  Deines  Strebens  hat  mir 
unerwartet  in  Leipzig  große  Freude  gemacht,  von  Seiten 
eines  alten  Lehrers 2)  von  mir;  nicht  Kiengel,  von  dem  ich 
Dir  wohl  bisweilen  gesprochen,  sondern  ein  viel  älterer 
Mann,  der  schon  seit  zwanzig  Jahren  fast  wie  ein  Einsiedler 
auf  der  Sternwarte  wohnt,  den  ganzen  Tag  Bücher  corri- 
girt,  um  unabhängig  zu  leben,  und  deßhalb  höchstens  ein 
Mal  in  der  Dämmerung  zu  den  Menschen  herabsteigt,  weil 
er  dann  doch  nicht  arbeiten  kann,  um  spazieren  zu  gehen. 
Er  war  früher  Theologe,  hat  aber,  da  seine  Ansichten  nicht 
ganz  mit  den  auf  der  Kanzel  geforderten  übereinstimmen, 
die  Unabhängigkeit  einer  Anstellung  vorgezogen,  obwohl 
er  nicht  nur  Sinn  für  die  Gesellschaft  hat,  sondern  auch 
als  Tenorist  mit  schöner  Stimme  und  gebildeter  Musiker 
von  allen  Seiten  verhätschelt  ward.  Auf  Mendelssohn's 
Empfehlung  hatte  er  mich  als  Schüler  im  Latein  und  bib- 
lischer Geschichte  angenommen,  und  ich  kletterte  denn 
mehrmals  wöchentlich  zu  ihm  hinauf,  wirklich  und  bild- 
lich. Dieser  nun  brach,  als  zufällig  Dein  Name  erwähnt 
ward,  und  ohne  zu  wissen,  wie  nah  wir  uns  ständen,  in 
das  wärmste  Lob  für  Dich  aus,  dessen  edle,  feine,  männ- 
liche Sprache  (ich  citire  bloß,)  und  tiefe  sittliche  Anschau- 
ung, die  er  nur  aus  den  Aufsätzen  im  Morgenblatt  kennt, 
ihn  auf  eine  durch  und  durch  bedeutende  Persönlichkeit 
schließen  ließen.  War's  da  nicht  schön,  als  ich  ihm  Deinen 

*)  Die  Ausstellung  der  Kartons  des  in  Deutschland  damals  fast  ver- 
gessenen Cornelius  wurde  den  Bemüliungen  H.  Grimms  und  AI.  v.  Hum- 
boldts verdankt,  vgl.  darüber  und  über  Grimms  persönl.  Verhältnis  zu 
Cornelius:  i5  Essays  N.  F.  iSyS,  S.  5oo  ff ;  die  Erklärung  Grimms  wieder 
abgedruckt  in :  Zehn  ausgew.  Essays. 

^)  Magister  Hering,  vgl.  über  ihn  Moser  I,  S.  46  u-  Gartenlaube  1882, 
S.  267  ff,  wo  auch  ein  Holzschnitt  nach  d.  Gemälde  M.  Lümmels. 


96  An  Jenny  Lind-Goldschmidt 

Aufsatz  über  Cornelius  mittheilen  konnte,  den  Du  mir 
eben  geschickt,  und  ihm  sagen  konnte,  weßhalb  ich 
seine  Wärme  ganz  verstände?  Gestehe,  es  passirt  noch 
manchmal  ganz  Erlebenswerthes  —  Daß  Ihr  von  meinem 
Concert  Gutes  gelesen,  ist  mir  sehr  lieb;  ich  habe  keine 
Zeile  darüber  gesehen.  Aber  allerdings  viel  Freundliches 
gesagt  bekommen;  am  schönsten  vom  Orchester  hier,  das 
mir  ganz  gegen  seine  sonstige  sich  verklausulirende  Mei- 
nungsverschiedenheit nach  der  Probe  einen  hellen,  freudigen 
Tusch  brachte.  Ich  muß  gleich  nach  Herrenhausen,  zum 
armen,  blinden  König.  Willst  Du  mir  untervsegs  sagen, 
wie's  Dir  geht,  und  mir  dadurch  ein  bischen  Mitgenuß  an 
Deiner  und  Deines  Apapa  Reise  gönnen,  so  thu's  poste  re- 
stante  nach  Düsseldorf.  Ich  reise  Donnerstag  hin.  Ich  will 
der  Gisel,  die  ich  von  Herzen  grüße,  schreiben,  wie's  mir 
dort  ergeht. 

Leb'  so  wohl,  wie  ich's  wünsche. 

D. 

J.  J. 

Kaulbach  war  also  richtig  nicht  bei  Dir!   Nun,  ich  meint's 
gut  mit  ihm. 

Von  Jenny  Lind-Goldschmidt 

Argyle  Lodge  il\.  May  1860. 
Lieber  Herr  Joachim  (ohne  Titeln) 
's  hat  uns  sehr  gefreut,  wieder  einmal  direct  von  Ihnen 


E^ 


zu  hören,  da  wir  sonst  geglaubt  hätten,  wir  wären 
bei  Ihnen  ganz  vergessen  worden  sammt  unsere  letzte  Reise 
—  worunter  Sie  doch  unter  meinen  Mütterlichen  Schutz  sich 
gestellt  hatten ! !  Indessen  —  ich  glaube  an  einer  Natur 
wie  die  Ihrige  —  ich  weiß,  wie  sie  ist  —  und  daher  können 
Sie  schweigen  oder  sprechen,  wir  w  erden  Sie  immer  gleich 
lieb  behalten.   Nun  muß  ich  Ihnen  mein  Unglück  mittheilen 


Magister   Hering   in   seinem    Studierzimmer 
1880  gemalt  von  Martin  Laniniel  für  Johann   Anibrosius  Barth 


Von  Elisabeth  Ney  97 

—  2  mal  bin  ich  diesen  Winter  nach  London  gewesen,  um 
Musik  zu  hören,  und  was  war  mein  grausames  Schicksal? 
Die  Tartinische  Sonate  (d.  h.  Ihre  Sonate)  und  das  Men- 
delssohnsche  Concert  (ebenfalls  Ihr  Concert,  Herr  Musik-, 
Concert-  und  Ehren-Director!)  von  Herrn  X.  zu  hören! 
pfui!  pfui!  das  war  mir  sauer  —  und  heute  will  ich  auch 
weiter  nichts  sagen  —  als  daß  jede  Note  von  Ihnen  mir 
im  Herzen  klingt  —  und  Sie  machen  keine  Pause  —  oder 
irgend  sonst  was,  was  ich  nicht  fühle  und  weiß,  daß:  nur 
so  war  es  gemeint!  ja!  ja!  Sie  sind  begabt  mit  etwas 
musikalischer  Noblesse,  Sie  schlechter  Violin-Spieler.  — 
nun  —  willkommen  nach  Schweden,  falls  Sie  sich  ent- 
schließen hinzugehen  . . .  Gott  sey  mit  Ihnen. 
Ihre  ergebene 

Jenny  Goldschmidt, 

Von  Elisabeth  Ney 

Berlin  d.  4/6  1860. 
ein  lieber,  verehrter  Freund!  Nur  ganz  Außerordent- 


M 


liches  konnte  mich  bewegen,  mehr  als  mein  Ver- 
sprechen gegen  Sie  zu  erfüllen:  zu  schreiben,  wenn  ich 
einen  Ort  verließe.  Die  Nachricht  hat  mich  heut  getroffen, 
nach  der  ich  all  die  Tage  gesucht:  Glänzend  ist  Ihr  Werk^) 
dem  Vergessensein  mit  Einem  Male  enthoben,  jauchzend 
hat  das  Volk,  für  das  Sie  gearbeitet,  es  hingenommen!  — 
Wie  dank  ich  den  Leuten  allen,  die  mir  wie  aus  der  Seele 
gesprochen,  u.  wie  neide  ich  sie  nur  um  des  Glückes  willen, 
das  ihnen  geworden.  Mir  ist  es  damals  wie  ein  Erlebniß 
gewesen,  ein  großes  gewaltiges,  als  ich  es  zum  erstenmale 
gehört.  Erfüllt  mich  jetzt  doch  die  Gewißheit,  daß  Sie  ge- 
tragen von  den  Seelen   dieser  Menschen   alle,   im   Fluge 

^)  Bezieht  sich  auf  das  Unfjar.  Concert  und  seine  Aufnahme  in  Düssel- 
dorf beim  Musikfest  am  29.  Mai. 


98  An  Herman  Grimm 

weiter  u.  weiter  den  Geist   der  Ewigkeit   uns  hernieder- 
bannen. — 

Genug.  Sie  brauchen  mir  nicht  zu  erwiedern,  mir  nicht 
zu  danken  für  meine  Theilnahme.  Daß  sie  Ihnen  Heb  ist, 
haben  Sie  mir  gesagt,  das  ist  ja  das  Wenigste,  was  wir 
Ihnen  wieder  schenken  können. 

Ehsabeth  Ney 

Den  Sommer  bleibe  ich  hier.  Schreiben  Sie,  wohin  Sie 
gegangen  sind. 

An  Herman  Grimm 

[Hannover]  Am  10'*".  [Juni  1860.] 
Lieber  Herman. 

Die  beifolgenden  Photographien  sollten  schon  vor  mei- 
ner Düsseldorfer  Reise  fertig  sein,  kommen  aber  nun 
hoffentlich  auch  nicht  unwillkommen.  Die  Photographie 
der  Madonna  ist  nach  einer  Zeichnung,  die  Preller  von 
dem  Michel-Angelo'schen  Werk  in  Brügge  gemacht  hat. 
Ich  bin  erst  seit  letzter  Nacht  um  12  Uhr  zurück,  und 
freute  mich  Eures  Empfangs  mit  der  Constantia.  Müde 
wie  ich  war,  wollte  ich  zuerst  gleich  einen  guten  Zug  zur 
Stärkung  aus  der  Flasche  thun,  kräftigte  mich  aber  lieber 
mit  dem  Entschluß,  sie  mit  nach  Berlin  zu  nehmen  und 
mit  Euch  gemeinschaftlich  aus  zu  s — chlürfen.  Wie  lange 
werden  Cornelius'  Bilder  noch  zu  sehen  sein,  und  wann 
käme  ich  am  gelegensten?  Ich  kann  von  jetzt  an  immer 
auf  ein  paar  Tage.  Wenn  ich  nicht  irre,  ist  der  Meister 
z.  Zt.  selbst  in  Berlin. 

Ich  war  mit  Frau  Schum.  u.  Töchterchen,  Bargiel,  Brahms 
u.  Stockhausen  im  Aarthal,  in  der  Eifel  u.  am  Laacher-See, 
an  Schumanns  Sojährigem  Geburtstag  am  8.  Juni  in  Bonn. 
Von  dem  argen  Regenwetter  wurden  wir  oft  tüchtig  ge- 
plagt; die  Bergluft   that  aber  doch  wohl.    Hannover  wird 


An  Julius  O.  Grimm  99 

mir  immer  unangenehmer;  so  wenig  mich  die  poHtischen 
Ungebührhchkeiten  ^)  auch  angehen  und  treffen,  es  ist  mir 
doch  zu  Muth,  als  spielt'  ich  mit  imreinen  Fingern  Geige, 
wenn  ich  zu  Hof  commandirt  werde.    Pfui.    Stinnerreb' ! 

Grüße  Rudolf  von  mir  und  bitte  vergiß  nicht  ihm  zu 
sagen,  daß  ich  in  Düsseldorf  noch  in  seiner  Wohnung  ge- 
wesen bin,  ohne  ihn  aber  leider  mehr  anzutreffen.  Von 
Dir  zu  hören  hoffend 

Euer  getreuer 

J.  J. 


An  Julius  O.  Grimm 

[Hannover,   i3.  Juni   1860.] 
Liebster  Ise 

Bis  jetzt  hätte  ich  wirklich  noch  gar  nicht  kommen 
können!  Sonnabend  und  Montag  war  Orchester- 
Concert  in  der  Herrenhäuser -Orangerie,  d.  h.  der  König 
ließ  sich  (bloß  von  der  allernächsten  Suite  und  etwa  einem 
1/2  Dutzend  Gäste  umgeben)  das  i^*^  Mal  die  Sinfonie  mit 
Schlußfuge  von  Mozart  und  die  in  Cmoll  von  Beeth.  und 
das  2'^  Mal  die  Adur  Sinfonie  von  Ditto  und  die  Mendels- 
sohn'sche  Amoll  vorspielen.  Was  ich,  wenn  ich  Rex  wäre, 
auch  öfters  thun  ließe,  denn  es  gieng  gar  seere  scheene, 
und  war\s  nur  Schade,  daß  die  lieben  Göttinger,  d.  h.  Du, 
Pine,  Gathe  und  Pemma  nicht  auch  zugehört  haben.  Mein 
ältester  Wiener  Bruder  war  ganz  entzückt,  obwohl  er 
die  Wiener  Hofkapelle  oft  gehört.  Er  ist  gestern  Abend 
wieder  fort,  nachdem  er  2  Tage  hier  gewesen  war.    Du 

*)  Die  Erhebung  des  reaktionären  Ministers  v.  Borries  in  den  Grafenstand, 
die  allgemein  als  Belohnung  für  seine  in  ganz  Deutschland  mit  Entrüstung 
aufgenommene  Äußerung,  die  deutschen  Fürsten  würden  zur  Rettung  ihrer 
Souveränität  im  Notfall  selbst  auswärtige  Hilfe  nicht  verschmähen,  auf- 
gefaßt wurde. 


100  An  Clara  Schumann 

siehst  also,  aus  mehreren  Gründen  war  ich  hier  gefesselt. 
Nun  kann  ich  aber  auch  noch  nicht  nach  Göttingen,  da 
ich  seit  einem  Vierteljahr  schon  immer  einen  Besuch 
nach  Berlin  aufgeschoben  habe  und  endlich  hin  will.  Ich 
habe  die  dortigen  Freunde  über  ein  Jahr  nicht  gesehen 
und  mich  definitiv  für  diese  Woche  angekündigt.  . . . 

Dein 

J.  J. 

An  Clara  Schunianii 

[Hannover]    i3.  [Juni    1860]. 
Liebe  Frau  Schumann. 

Es  ist  leider  mit  der  Erfüllung  unseres  Wunsches,  noch- 
einmal  in  Herrenhausen  vereint  zu  musiciren,  nichts 
geworden.  Ich  habe  mich  am  a'*^"  Tage  in  Herr.'^"  ge- 
meldet, aber  die  Herrschaften  nicht  gesehen;  nun  höre  ich 
eben,  der  König  wäre  gestern  nach  Berlin.  Er  hat  meiner 
an  seinem  Geburtstage  in  sehr  liberaler  Weise  gedacht. 
Eine  Zulage  von  looo  Thalern  Gehalt  ohne  iVnsuchen  zu 
ertheilen,  muß  man  wirklich  recht  königlich  nennen !  Ein 
Rescript  vom  Finanz -Ministerium  setzte  mich  vorgestern 
davon  in  Kenntniß,  daß  mein  Gehalt  verdoppelt  sei,  ohne 
daß  mir  dadurch  neue  Verpflichtungen  auferlegt  werden. 
Ich  habe  dann  gestern  einen  Dankbrief  abgeschickt  und 
habe  für's  Erste  —  nicht  gekündigt.  Wie  lange  ich  nun 
noch  bleibe,  weiß  ich  nicht,  keinesfalls  über  i4  Tage^). 
Nach  Berlin  will  ich  noch  vorher  auf  2  Tage;  nach  Ham- 
burg bin  ich  deshalb  nicht,  weil  ich  doch  nach  der  Gnaden- 
bezeugung mich  melden  mußte,  und  jetzt  ist's  zu  spät,  da 
Goldschmidt's  am  i5.  nach  Stockholm  segeln.  —  Morgen 
gehe  ich  mit  Lindner  die  Sonaten  von  Bach  2)  durch.    Wo- 

^)  Vor  seiner  Fahrt  nach  Bonn  für  Jen  Sommer. 
')  die  von  Schumann  hearbeiteten  Cellosonaten. 


Von  Clara  Schumann  loi 

hin  soll  ich  dann  das  M:  Scrpt.  senden?  Ich  erwarte  Ihre 
Befehle  darüber  und  hoffe  überhaupt,  wenigstens  ein  paar 
Zeilen  vor  Ihrer  Abreise  zu  hören.  . . . 


Von  derselben 

Düsseldorf  d.   i/|  Juni   1860. 

Ein  Glück  ist's,  daß  Sie,  lieber  Freund,  mir  die  Mitthei- 
lung Ihrer  Gehalt-Erhöhung  nicht  persönlich  gemacht, 
ich  glaube,  ich  hätte  Sie  vor  lauter  Jubel  bei'm  Kopfe  ge- 
kriegt. Ach,  das  ist  ja  herrlich!  könnte  ich  nur  sagen, 
wie's  mich  freut !  nun  dürfen  Sie  aber  auch  nicht  kün- 
digen, eine  solche  Stellung,  aooo  Tbl.  für  6 — 7  Monate, 
ein  solches  Orchester,  das  finden  Sie  doch  in  ganz  Deutsch- 
land nicht  mehr,  und  bleiben  Sie  dort,  so  kommen  auch 
Andere  noch.  Machen  Sie,  daß  sie  mich  dort  auch  für 
2000  Tbl.  anstellen,  dann  komme  ich,  und  Sie  haben  daim 
wenigstens  doch  immer  leidliche  Begleitung,  Von'  Allen, 
die  mich  umgeben,  soll  ich  Ihnen  auch  die  Freude  aus- 
sprechen. .  .  . 

Die  Bach  scheu  Sonaten  wollen  Sie  freundlichst  in  mei- 
nem Namen  (und  mit  meinem  Danke  im  Voraus)  direct  an 
Seh.  nach  Leipzig  schicken  —  es  ist  das  Kürzeste, 

Ich  schreibe  so  kritzlich,  bin  aber  so  erregt,  daß  ich 
nicht  anders  kann.  Es  giebt  doch  kaum  größeres  Wonne- 
gefühl, als  wenn  einem  lieben  Freunde  Freudiges  pas- 
siert —  erst  das  herrliche  Concert  anerkannt,  dann  die 
1000  Tbl,!  freilich,  die  Prosa  der  Poesie  auf  dem  Fuße, 
nun,  solch  ein  Wechsel  ist  ja  das  ganze  Leben  für  den 
Künstler.  .  .  . 


102  All  Herman  Grimm 


An  Herman  Grimm 

Hannover,  am  28^*^"  Juni.  [1860.] 

Lieber  Hermann. 

Erst  morgen  gehe  ich  von  hier  nach  Bonn.  Ich  nehme 
in  meinen  Sommeiaufenthalt  die  Erinnerung  an  Eure 
Herzhchkeit  aus  dem  F'rühhng  mit  hinüber,  und  unter  die- 
sem heben  Schutz  wirds  mir  wohl  gehen.  Auf  Deinen  Wunsch 
habe  ich  die  2  Briefe  Goethes  mit  dem  gedruckten  Brief- 
wechsel verglichen.  Der  eine  ganz  kurze  vom  la**""  Novbr. 
18 10  ist  wortgetreu ;  zu  dem  andern  vom  iS'*""  Septbr.  1809 
ist  leider  viel  Neues  gekommen,  auch  Vorhandenes  ge- 
ändert; es  ist  der  Art,  daß  ich  das  mir  vertraute  Andenken 
doppelt  gewissenhaft  vor  Neugierigen  hüten  will.  Nur  Dir 
werde  ich,  wenn  Du's  später  verlangst,  eine  Kopie  geben. 
Der  Herzog  kömmt  im  geschriebnen  Brief  z.  B.  nicht 
vor»  —  Die  Erinnerung  an  die  herrlichen  Eigenschaften  der 
Bettine  ist  in  mir  so  tief,  meine  Anhänglichkeit  so  echt, 
daß  ich  mir  meine  Verehrung  aus  dem  schmerzlichen  Ein- 
druck rette,  den  die  Vergleichung,  ich  leugne  es  nicht, 
hervorgerufen.  Bei  Wesen,  die  wir  wirklich  lieb  haben, 
erfüllt  uns  die  Entdeckung  von  Fehlern  ^)  mit  einem  eigen- 
artigen Mitleid,  das  der  doppelten  Heftigkeit  der  Neigung 
der  Mütter  zu  ihren  hülfbedürftigen  schwächern  Kindern 
verwandt  sein  mag,  als  folgerte  die  Kraftanstrengung  des 
Schätzens  die  Liebe. 

Auch  Thaers^)  Aufsatz  habe  ich  wiedergelesen;  um  ge- 
wissenhaft zu  sein,  muß  ich  ihn  von  meiner  Anklage  frei- 

^)  Diese  Auffassung  von  „Goethes  Briefwechsel  mit  einem  Kinde"  ist 
bei  J.  bald  der  jetzt  allgemein  angenommenen  gerechteren  Würdigung 
Bettinens  gewichen,  für  die  in  erster  Linie  H.  Grimms  Nachruf  (abgedr. 
i5  Essays,  3.  Folge,  1882,  besonders  S.  276  f.)  Bahn  gebrochen  hat. 

^)  Thayer,  vermutlich  seine  Rezension  von  Marx'  „Beethoven"  im  „At- 
lantic Monthly",  übersetzt  von  Otto  Jahn. 


An  Herman  Grimm  io3 

sprechen,  er  habe  Verstöße  in  matter  of  fact  begangen. 
Flüchtiges  Lesen  gab  bei  einer  StylundeutHchkeit  Ver- 
anlassung dazu.  Auch  machte  mich  stutzig,  daß  er  meine 
Lieblingsouverture  zuCoriolan  ^)  mit  geringern,  sogenannten 
Gelegenheitsarbeiten,  zusammen  nennt.  Es  mag  auch  ein 
„work  to  Order"  sein.  Die  Biography  of  Ludwig  v.  Beeth. 
aber  wird,  trotz  meines  Geständnisses,  auch  nach  der 
wackern  Anstrengung  unseres  würdigen  Amerikaners  still 
remain  to  be  written!  Nur  eine  selbst  schöpferische  Kraft 
kann  von  dem  geheimnißvollen  Schaffen  des  Genies  eine 
Vorstellung  haben,  und  gewöhnliche  Biographen  sollten 
gar  nicht  versuchen,  durch  Kommentare  den  Schleier  von 
der  Entstehung  eines  Kunstwerks  zu  nehmen.  Was  Du 
bald  zu  Anfang  Deines  Essay  über  Friedrich  d.  Gr. 2)  sagst, 
paßt  auch  darauf  ganz  einzig.  Bei  Gelegenheit  der  Essays 
schicke  ich  ein  Briefchen  der  verstorbenen  Hofdame  Bern- 
storff  mit,  das  die  Gisel  freuen  wird.  Ich  hatt'  es  längst 
hervorgesucht;  sie  hört  ja  so  gern  ihre  Kunstkameraden 
loben!  In  der  beifolgenden  Rolle  ist  ein  jetzt  raies  Portrait 
Händeis,  von  dem  voriges  Jahr  auf  einer  Auktion  in  Lon- 
don zwei  Exemplare  in  meine  Hand  kamen.  Es  wird  Dir 
besser  gefallen  wie  die  Büste,  wenn  es  auch  ein  wenig 
manierirt  ist.  . . . 

Viel  Schönes  und  Gutes  Deiner  Gisel  von 

Deinem  getreuen 

Joseph  Joachim. 


^)  Über  die  Coriolan  Ouv.  vergl.  die  Worte  J.'s  im  Programmbuch  zum 
Bonner  Beethovenhest  v.  1907. 

*)  Abgedr.  in  i5  Essays,  Berlin  1874,  S.  116,  wo  Oulibicheffs  „Beet- 
hoven" u.  „Mozart",  Lewes'  Goethe,  Macaulay's  Friedrich  kurz  charak- 
terisiert werden. 


io4  An  Clara  Schumann 

An  Clara  Schumann 

[Bonn  5.  Juli  1860.] 

Liebe  Frau  Schumann 

Soeben  war  ich  bei  Dr.  Breusing;  die  Kinder  waren  aus- 
gegangen, aber  durch  ihn  erfuhr  ich,  daß  die  Ferien 
erst  am  iS**^"  d.  M,  anfangen.  Ihre  Annahme  mußte  also 
auf  einem  Mißverständniß  beruhen.  Für  Ihren  Zweck  paßt 
ja  aber  gerade  die  erwähnte  Erholungszeit  am  besten,  und 
ich  will  also  den  Kindern,  wenn  sie  mich  in  diesen  Tagen 
besuchen,  wie  Dr.  B.  versprach,  vorläufig  erzählen,  wie 
schön  es  bei  Ihnen  ist.  Ja,  wirklich  reizend  war  der  Auf- 
enthalt 1),  vom  Stübchen  im  Thal  mit  den  Bach'schen  Suiten 
bis  zur  höchsten  Spitze  der  rothen  Felsen,  und  ich  werde 
noch  oft  im  Leben  daran  denken.  Wir  konnten  uns  auch 
nicht  entschließen,  ganz  direkt  mit  der  Eisenbahn  auf  einen 
Ruck  in  die  Einsamkeit  der  Studirzimmer  hinein  zu  rut- 
schen; wir  fuhren  erst  nur  bis  Bingen,  von  da  giengen 
wir,  die  Ränzel  auf  dem  Rücken  nach  Bacharach.  Unter- 
wegs besuchten  wir  Sonneck  und  kletterten  auf  Leitern 
und  Gerüsten  alles  aus,  bis  zur  Thurmspitze!  Die  Burg 
wird  für  die  Königl.  Familie  ganz  ausgebaut.  Obwohl  wir 
zur  Mittagszeit  wanderten,  hatten  wir  nicht  von  Hitze  zu 
leiden,  der  Himmel  war  sanft  umwölkt,  und  am  Rhein  hin 
wehte  lieblich  frische  Luft.  Es  giebt  doch  nichts  Schön'res 
als  zwischen  Wald  und  Weingärten  abwechselnd  mit  einem 
treuen,  guten  Kameraden  hinzuwandern.  Ich  hoffe  den 
Sommeraufenthalt  recht  zu  genießen.  Heute  früh  haben 
wir  schon  musicirt,  durch  äuf3ere  Veranlassung;  Dr. 
Becker  2)  reiste  ab,  und  da  wir  ihn  gern  mochten,  wollten 
wir  ihm   vorher    noch   etwas   Angenehmes   erzeigen.     Ich 

^)  vgl.  Litzmann,  III  81. 

*)  Der  berühmte  Heidelberger  Augenarzt,  war  später  mit  einer  Cousine 
J's.  verheiratet. 


An  Clara  Sclimnann  lo5 

spielte  Schumann's  Phantasie,  und  Job:  viel  Fugen  aus 
dem  wohl  temp :  Klavier,  auch  ich  einige  Bach'sche  Stücke. 
Nachher  giengen  wir  zusammen  die  Begleitung  zu  den 
Violoncellsonaten  ^)  durch,  natürlich  ohne  Zuhörer.  Da 
ich  mir  gewißenhafte  Aufrichtigkeit  gegen  Sie  zur  Pflicht 
mache,  darf  ich  nicht  anders  handeln,  als  nach  abermaligem 
Durchgehen  der  Arbeit  die  Hoffnung  Ihnen  auszusprechen, 
daß  Sie  an  Seh.  kein  festes  Versprechen  der  Veröffent- 
lichung gegeben  haben  mögen.  Ich  hatte  bei  der  Revision 
in  Hannover  manches  angestrichen,  das  ich  zu  ändern 
wünschte,  bei  andern  Stellen  hatte  ich  gehofft,  Johannes 
würde  meine  Bedenken  zu  scrupulös  finden  —  aber  dieser 
unser  Freund  ist  in  allem,  was  ich  an  Bedenken  sagte,  ganz 
mit  mir  einverstanden,  ja  er  hat  mit  seinem  scharfen  Ver- 
ständniß  und  mit  seiner  tiefen  Bachempfindung  auch  mich 
von  vielem  Unbach'schen  überzeugt,  das  ich  nun  nicht 
mehr  stehen  laßen  möchte!  —  Kurz,  ich  muß  nun  wirklich 
ganz  ernsthaft  von  der  Publikation  abrathen,  so  wehmüthig 
es  mir  auch  bei  dieser  Pflichterfüllung  an  dem  geliebten, 
theuern  Meister  ist,  an  dessen  Werken  ich  ja  noch  täglich 
mit  neuer  Verehrung  und  Dankbarkeit  für  so  viel  Herr- 
liches hinaufblicke.  Grade  aber  weil  die  Lorbeerblätter  an 
dem  Kranz  der  Unsterblichkeit,  den  ihm  die  Nachwelt  ge- 
wunden, so  dicht  und  frisch  sind,  dürfen  wir  nicht  meinen, 
mit  Nachsicht  ein  welkes  Blatt  noch  hinzutragen  zu  sollen, 
statt  es  den  Blicken  der  musikalischen  Welt  mit  wachen- 
der Liebe  zu  entziehen.  —  Seh.  braucht  man  ja  das  „Warum" 
nicht  zu  sagen;  er  verdient  ja  mit  seiner  ausbeutenden 
Marktschreierei  nicht,  daß  wir  ihm  unsere  innerste  Meinung 
preisgeben.  Sie  könnten  ihm  einfach  schreiben,  daß  sich  bei 
Vergleichung  mit  dem  Berliner  Bach'schen  M-Script.  zu  viele 
Differenzen  ergeben  hätten,  und  daß  bei  der  Genauigkeit  der 
Kritik,  mit  der  man  jetzt  bei  Herausgabe  von  Bach'schen 
Werken  verführe,  nur  Schumann  selbst  darüber  hätte  ent- 

*)  Bearbeitung  v.  Schumann. 


io6  An  Th.  Ave-Lallemant 


scheiden  können,  was  an  der  Begleitung  dem  zu  folge  ge- 
ändert werden  sollte  oder  nicht.  So  Jemand  ist  immer 
leicht  abzufertigen! 

Sie  werden  wohl  jetzt  allmälig  in's  Concert,  und  ich 
wünsche  Ihnen  einmal  im  Leben  das  trübste  Wetter  dazu ! 
Lassen  Sie  hören,  wie's  ausgefallen,  da  wir  leider  nichts 
anderes  davon  hören  können. 

Ich  grüße  Sie  und  die  lieben  Kinder  von  Marie  bis  Felix 
herzlichst  und  verbleibe,  verehrte  Freundin, 

Ihr  altergebener 

J.  J. 

Von  Clara  Schumann 

Kreuznach  d.  8  July  1860. 

.  .  .  Vor  Allem  danke  ich  Ihnen,  daß  Sie  die  Bach'schen 
Sonaten  noch  einmal  so  gewißenhaft  durchgegangen  und 
mir  so  aufrichtig,  und  doch  in  so  zarter  Weise,  Ihre  Mei- 
nung gesagt.  Wie  erkenne  ich  in  Ihrer  Gewißenhaftigkeit 
wieder  Ihre  Liebe  und  Verehrung  für  den  Theuren,  wie 
denn  überhaupt  die  Art  und  Weise,  wie  Sie  immer  Seiner 
erwähnen,  mir  im  Innersten  wohl  thut. 

Ich  stimme  in  Allem  mit  Ihnen  übereiu  und  werde  an 
Seh.  schreiben,  wie  Sie  es  mir  gerathen.  Scharfe  Debatten 
wird's  freilich  geben,  denn  er  hatte  die  Publication  schon 
angezeigt . . . 

An  Th.  Ave-Lalleniant 

[Hannover]  Am  10'*^"  Septbr.  [1860]. 
Lieber  Ave. 

Meine  Reise  nach  Wien  kömmt  erst  im  Februar  zur 
Ausführung,  und  so  hoffe  ich  denn,  es  wird  sich  be- 
stimmt ein  Tag  finden,  die  Mozart'sche  Concertante  mit 


Au  Th.  Ave-Lallemant  107 

Eyertt  bei  Euch  zu  spielen-  denn  Du  weißt  ja,  wie  gern 
ich  bei  Euch  musicire !  Schwerer  wiid  es  indeß  sein,  Deinen 
Hebenswürdigen  Wunsch,  noch  ein  anderes  Mal  zu  kommen, 
auszuführen.  Du  weißt,  daß  ich  Otten's  Verein  (dessen  Mit- 
glied ich  obendrein  bin)  schon  mehrere  Jahre  zugesagt 
habe  da  zu  spielen,  ohne  bis  jetzt  dazu  gekommen  zu  sein. 
Ich  muß  also  trachten,  es  in  diesem  Winter  möglich  zu 
machen.  Mehr  als  zweimal  aber  kann  ich  mich  Eurem 
Hamburger  Publikum  nicht  gut  octroyiren  lassen!  Der 
Vorschlag  indeß,  an  einem  Abend  mit  Eyertt  die  Mozart'- 
sche  Concertante  zu  spielen  und  am  Tag  darauf  mit  Frau 
Schumann  in  ihrer  Soiree  zu  musiciren,  hat  meinen  Beifall, 
wenn  Du  es  so  arrangiren  kannst.  Unsere  Hannov.  Concert- 
Tage  sollst  Du  erfahren,  sobald  sie  festgestellt  sind:  Das 
kann  aber  noch  mehrere  Wochen  dauern.  In  8  Tagen  etwa 
wird  Euch  Bargheer  besuchen,  von  dem  Dir  Brahms  wohl 
schon  öfter  gesprochen  hat;  es  wäre  schön,  wenn  Ihr  diesem 
talentvollen  jungen  Künstler,  der  nur  zu  bescheiden  ist, 
um  mehr  von  sich  reden  zu  machen,  Gelegenheit  gäbet, 
sich  den  Winter  einmal  hören  zu  lassen.  Er  wäre  über- 
haupt eine  gute  Acquisition  für  Hamburg,  und  ich  glaube, 
mit  einigem  Entgegenkommen  brächtet  Ihr  ihn  leicht  dahin, 
sich  ganz  dort  nieder  zu  lassen.  Ich  habe  in  diesen  Tagen 
so  oft  interessante  Auszüge  aus  dem  Reisebuch  Deines 
Bruders^)  in  den  Zeitungen  gefunden,  daß  ich  nun  das 
Ganze  lesen  werde  und  mich  auf  die  Lektüre  freue.  Die 
allgemeine  Anerkennung  und  der  Nutzen,  den  das  Buch 
für  unsere  Landsleute  zu  stiften  scheint,  muß  Dir  doch  ein 
freudiges  Gefühl  geben  als  Bruder  des  Verfassers ! 

Ich  hoffe  bald  wieder  von  Dir  zu  hören,  und  indem  ich 
die  Deinigen  alle  grüße,  und  auch  den  großen  Johannes, 
verbleibe  ich  herzlich  ergeben 

Joseph  Joachim. 

^)  Robert  A.  (1812 — 84):  Reise  durch  Südbrasilien  iSSg;  durch  Nord- 
brasilien  1860. 


io8  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  d.  •3.1\.  September  1860.J 
Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  war  diesmal  wirklich  etwas  unruhig,  da  Ihre  ge- 
wissenhafte Pünktlichkeit  mich  bisher  so  verwöhnt  hatte. 
Nun,  Gott  Lob,  es  ist  alles  in  bester  Ordnung!  Ich  freue 
mich  auf  unsere  Musik  in  Dresden  und  bin  mit  allem  ein- 
verstanden, namentlich  auch  mit  den  3  verschiedenen 
Plätzen;  denn  obwohl  ich  glaube,  daß  in  einer  großen  an 
Fremden  reichen  Stadt  auch  bei  erhöhtem  Preis  genug  Zu- 
spruch zu  unsern  Soireen  wäre,  so  halte  ich's  für  Pflicht, 
auch  unbemittelten  Leuten  den  Zugang  für  gute  Musik  zu 
öffnen.  Schullehrer,  niedere  Beamte  sind  oft  die  innigsten 
Zuhörer!  . . . 

Rietz  zu  einem  Trio  aufzufordern,  hat  viel  für  sich.  Doch 
muß  ich  die  Entscheidung  darüber  Ihnen  überlassen,  da 
Sie  gewiß  später  als  ich  mit  ihm  musicirt  haben.  In 
früherer  Zeit  fand  ich  seinen  Ton  etwas  hart  luid  die 
Technik  etwas  steif;  aber  freilich  war  er  sehr  zuverlässig, 
und  eine  gewisse  musikalische  Gewissenhaftigkeit  im  En- 
semble machte,  daß  ich  gerne  mit  ihm  spielte.  —  ... 

Meine  i''"  Orchesterprobe  wird  nächsten  Freitag  sein. 
Ich  will  Ouvertüre,  Scherzo  u.  Finale  darin  versuchen  und 
Ihrer  dabei  gedenken.  Vielleicht  mache  ich  auch  meine 
Schubert-Bearbeitung  unter  Scholz'  Leitung  durch,  damit 
ich  mich  nochmals  von  der  Wirkung  als  Zuhörer  über- 
zeuge. Der  Spina  ist  aber  doch  sonderbar;  vor  etwa 
12  Tagen  habe  ich  ihm  geschrieben,  und  noch  immer  bin 
ich  ohne  Nachricht.  Vielleicht  reut  ihn  jetzt,  was  er  Ihnen 
damals  nicht  abschlagen  mochte.  Gestern  habe  ich  das 
Quintett  von  Schubert  für  2  Viol.,  Viola  und  2  Celli  durch- 
gespielt. Vieles  ist  ganz  wunderschön,  von  überquellender 
Empfindung  und  so  eigenartig  im  Klang;  vmd  leider  macht 


An  Clara  Schumann  109 

das  Ganze  wieder  keinen  befriedigenden  Eindruck !  Maaß- 
los  und  ohne  Gefühl  für  Schönheit  in  den  Gegensätzen. 
Was  ein  Jammer,  daß  ein  solches  Genie  nicht  zur  Voll- 
endung durchgedrungen  ist !  Und  dennoch  hat  man  den 
armen,  guten  Schubert  so  lieb !  ^)  Wie  freue  ich  mich  auf 
die  neuen  Sachen  von  Johannes.  Ich  gönne  Ihnen  von 
Herzen  die  schöne  Überraschung,  die  Ihnen  zum  Geburts- 
tage damit  ward  2).  Mein  Freund  übertrifft  mich  weit,  wie 
an  Talent  so  an  zarter  Aufmerksamkeit;  aber  wenn  Sie 
bedenken,  daß  ich  eigentlich  seit  meinem  9^""  Jahr  immer 
in  der  Fremde  war,  weit  vom  Elternhause,  so  liegt  darin 
eine  kleine  Entschuldigung,  wenn  nicht  mein  Sinn  für  ähn- 
liche Zartheit  und  nicht  der  warme  Wille  für  meine  Freunde, 
aber  die  Übung  solcher  Aufmerksamkeit  fehlt.  Ich  hoffe 
mich  aber  noch  zu  bessern.  Meine  herzlichsten  Wünsche 
zum  Geburtstag  nachträglich,  Sie  schreiben  gar  nichts  wegen 
der  lieben  Jungen.  Wie  war's  mit  dem  Vorschlag  von  Frau 
Bendemann?^)    Soll  ich  noch  an  Kiengel  schreiben? 

Jedenfalls  hoffe  ich  Ihre  Adresse  nach  dem  Aufenthalt 
in  Mehlem  zu  hören.  Ich  grüße  Sie  und  Fräulein  Marie 
vielmals  und  bin  wie  immer 

Ihr  aufrichtigst  ergebner 

Joseph  Joachim. 

An  dieselbe 

[Hannover  9.  Oktober.   1860.] 
Liebe  FVau  Schumann. 

Ich  habe  Ihre  beiden  inhaltreichen  Schreiben  zusammen 
bekommen,  da  ich  von  Freitag  Nachmittag  über  Sonn- 
abend in  Göttingen  war.    Bei  herrlichem  Wetter  machten 

*)  Dieses  blühendste  aller  Instrumentalstücke  Schuberts  war  in  spä- 
teren Jahren  eine  Lieblingskomposition  Joachims. 

*)  Über  die  Kompositionen,  mit  denen  Brahms  Frau  Seh.  zum  Geburts- 
tag am  i3.  Sept.  überrascht  hat,  s.  Litzmann,  III,  84. 

')  Sie  sollten  aus  der  Pension  in  Bonn  fortgenommen  werden. 


1 10  An  Clara  Schumann 

wir  einen  reizenden  Spatzirgang  über  Mariaspring  links 
an  der  Pleßburg  vorbei  nach  dem  Hardenberg  und  zu- 
rück: ich,  Ritmüllers,  Grimms,  Bargheer  und  Braut,  und 
Agathe,  die  sehr  schön  2  Beethoven'sche  (mir  unbekannte) 
Lieder  und  Bach'sche  und  Händel'sche  Arien  sang  und 
sehr  anmuthig,  aber  ernster  als  sonst  war.  Bargheer  war 
voll  guter  Nachrichten  aus  Hamburg  und  Leipzig  zurück- 
gekehrt. An  beiden  Orten  hat  er  Einladungen  zum  öffent- 
lichen Spiel  erhalten,  und  kömmt  noch  Berlin  dazu,  so 
wird  ihn  das  ein  gut  Stück  vorwärts  in  seiner  Carriere 
bringen,  wie  ich  hoffe.  Sie  können  ihm  nach  Detmold 
schreiben,  und  er  meint  immer  für  Ihren  Zeck  loszukoin- 
men,  freut  sich  auch  natürlich  sehr  auf  Ihre  Einladung. 
Mit  Laub  wird  auch  mir  das  Rathen  schwer.  Ich  hielt  ihn 
immer  für  den  besten  Geiger  unter  meinen  Kollegen,  habe 
ihn  aber  nun  wohl  5  Jahre  nicht  gehört.  Da  kann  sich 
denn  im  Guten,  wie  im  Bösen  viel  geändert  haben.  Eine 
Noth wendigkeit  ihn  aufzufordern  liegt  nicht  vor,  wenn 
Sie  nicht  schon  früher  mit  ihm  in  Berlin  öffentlich  gespielt 
haben.  Haben  Sie  aber  ja  bereits  mit  ihm  musicirt,  so  wäre 
es  allerdings  eine  Zurücksetzung,  ihn  bei  Ihren  Soireen  zu 
ignoriren.  Ein  Honorar  mit  solcher  Zartheit  anzubiethen, 
daß  es  nicht  verletzt,  wird  Ihrem  Takt  nicht  schwer  wer- 
den. Wäre  es  eine  kleinere  Stadt  wie  Leipzig,  Hannover  etc, 
so  würde  ich  nicht  dazu  rathen,  in  London,  Wien  oder 
Berlin  aber,  wo  das  Leben  soviel  Ansprüche  an  die  Zeit 
der  Künstler  macht,  kann  eine  taktvolle  Anfrage  nicht  ver- 
letzen. Hellmesberger  spielt,  glaube  ich,  fortwährend  in 
den  Konzerten  gegen  Honorar.  Ich  habe  Piatti  in  London 
auch  um  seine  Terms  gefragt  und  nichts  darin  gefunden, 
obgleich  ich  befreundeter  mit  ihm  stehe,  als  Sie  mit  Laub. 
Indeß  kann  ich  doch  die  Berliner  Verhältnisse  nicht  genau 
genug  beurtheilen,  um  meine  Meinung  für  gültiger  als  die 
Ihre  zu  halten.  Nur  eins  halte  ich  für  wichtig:  daß  Sie 
Bargheer  nicht  nach  Laub  spielen  lassen.  Ersterem  könnte 


An  Clara  Schumann  iii 

es  schaden  bei  Laub's  Behebtheit,  und  diesen  in  seiner 
Eitelkeit  verletzen.  Meine  Mitwirkung  in  den  Berliner 
Soireen  habe  ich  für  diesmal  mit  gutem  Grund,  wenn  auch 
Ihnen  gegenüber  mit  schmerzlichem  Bedauern,  abgelehnt. 
Ich  kann  das  Gefühl  nicht  los  werden,  daß  die  dortigen 
Menschen  mich  mit  einer  Art  persönlicher  Neugierde  ^)  be- 
trachten; und  wenn  dies  auch  Ihnen  übertrieben  und  un- 
haltbar scheint,  so  kann  ich  die  Empfindung  nicht  los  wer- 
den, und  diese  ist's,  die  mich  bei  den  Leistungen  stören 
würde.  Mit  der  Umänderung  der  Tage  in  Dresden  bin  ich 
vollkommen  einverstanden.  Auch  in  Betreff  von  Rietz  gebe 
ich  vollkommen  Recht.  Ich  habe  ihm  geschrieben,  aber 
noch  keine  Antwort.  Spina  schweigt  ebenfalls  beharrlich.  — 
Ouvertüre,  Scherzo  und  Finale  haben  uns  neulich  allen 
viel  Freude  gemacht.  Es  geht  so  frisch  vorwärts  in  der 
Entwicklung,  daß  einzelne  Bedenken  nicht  zu  Wort  kom- 
men. Nach  der  unholden  Faust -Ouvertüre  von  Wagner 
und  Abt  Voglers  Lärmen  um  nichts  in  einer  Samori-Ouver- 
ture  war  die  Schumann'sche  Musik  eine  Wohlthat  des 
Schöpfers.  Außerdem  spielte  ich  die  Spohr'sche  CmoU  Sin- 
fonie durch,  die  ich  seit  der  Kindheit  nicht  gehört  hatte. 
Mit  Maaß  genossen  ist  doch  die  Musik  dieses  Meisters  der 
Feinheit  und  des  Wohlklangs  wegen,  die  darin  herrschen, 
von  großem  Reiz.  Wäre  nur  nicht  die  Stimmung  gar  so 
monoton  kränklich! 

Doch  genug  für  heut!    Bald  komm'  ich  wieder  mit  der 
Fortsetzung  der  Antwort. 

Ihr 

Joseph  J. 


*)  wegen  der  Verheiratung  Giselas  v.  Arnim  mit  H.  Grimm. 


s 


12  Von  Clara  Schumann 


Von  Clara  Schumann 

Godesberg  d.   ii.  Octbr:   1860, 

Lieber  Joachim, 
chon  seit  einigen  Tagen  hoffe  ich  auf  die  versprochenen 
Programms.  Denken  Sie,  ich  kann  gar  nicht  dai^an 
denken,  da  werde  ich  ganz  nervös,  und  zwar  so,  daß  ich 
kein  einziges  Stück  ohne  Stocken  kann  in  dem  Gedanken 
an  Publikum.  Was  wird  nur  daraus  werden !  bitte,  machen 
Sie  Programms,  ich  kann's  nicht.  .  . . 

Tausend  Dank  für  alle  Ihre  Rathschläge,  die  ich  gern 
befolge.  Bargheer  soll  in  allen  drei  Soireen  spielen.  Ihr 
Gefühl,  was  Berlin  betrifft,  begreife  ich  ganz,  obgleich  der 
Mann  wohl  solche  Empfindungen  bezwingen  soll,  die  man 
dem  zarter  organisirten,  aber  auch  beschränkteren  Weibe 
nachsieht.  Mir  nun  thut  es  unendlich  wohl,  wenn  ich  bei 
einem  Manne  ein  solches  Feingefühl  finde!  —  Wollen  Sie 
denn  aber  nie  mehr  in  Berlin  spielen?  Sie  müßen  auch 
bedenken,  daß,  da  einmal  die  Neugier  der  Leute  durch  ein 
Factum  gestillt,  das  Intereße  schnell  sinkt  (ich  meine 
das  neugierige).  Ich  komme  wohl  Ende  nächster  Woche 
durch  Hannover,  wäre  es  nicht  möglich,  daß  ich  Jo- 
hannes' Sextett  hörte?  er  schrieb  mir,  daß  er  es  Ihnen 
geschickt. 

Spielen  Sie  am  19'*"  Nov:  in  Leipzig?  Job:  2""  Sere- 
nade wird  da  auch  gemacht  —  da  komme  ich  von 
Berlin,  Sie  müßen  sie  aber  dirigieren,  er  will  nicht 
hin.  .  .  . 

Herzlichst  wie  immer 

Ihre 

Gl.  Seh. 


An  Clara  Schumann  ii3 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  12.  Okt.  1860.] 
Liebe,  verehrte  Freundin 

Daß  Sie  alles  Klavierspielen  gänzlich  verlernt  haben, 
ist  mir  gar  nichts  Neues;  schon  zu  oft  habe  ich  das 
von  Ihnen  gehört,  auch  mich  in  Kreuznach  noch  zur  Ge- 
nüge davon  überzeugt,  als  Sie  die  ßach'schen  Suiten  und 
Beethovenschen  Sonaten  spielten !  Das  kommt  davon,  wenn 
man  Spatzirgänge  auf  die  Eberburg  und  den  Rheingrafen- 
stein  macht,  statt  hübsch  Fingerübungen  zu  studiren! 
Und  wie  wirds  erst  mit  dem  Zusammenspielen  von  uns 
werden ;  gewiß  lauter  Taktfehler !  Übrigens  gehts  mir  auch 
jeden  Winteranfang  so;  ich  begreife  dann  nie,  wie  ich's 
nur  anfangen  würde,  vor  so  viel  Leuten  da  zu  stehen  ohne 
vor  Scham  in  die  Erde  zu  sinken,  wenn  ich  vorher  daran 
denke.  Darum  muß  man  das  auch  nicht;  nachher  gehts 
doch,  weil  man  eben  über  die  Musik  allen  Plunder  ver- 
gißt! Und  so  wollen  wir  eben  nur  an  die  Programme 
denken.  Da  ist's  mir  nun  doch  nicht  ganz  recht,  daß  wir 
gleich  zu  Anfang  3  Gesangspiecen  haben!  Katharinchen 
ist  ein  gans  nettes  Kind,  und  das  kleine  Vögelchen  pfiff 
in  Ihres  Papas  Käfig  ganz  allerliebst,  als  ich  im  Frühjahr 
in  Dresden  war,  aber  —  warme  Kunst,  wie  wir  sie  gern 
vertreten,  ist's  doch  nicht,  und  dasselbe  gilt  von  Ihrer  ge- 
ehrten Schwester,  die  ich  ja  sonst  sehr  schätze.  Wir  soll- 
ten eigentlich  nur  3  Sonaten  spielen,  von  Mozart,  Bach, 
Beethoven  od.  Schumann.  Um  Programme  mit  einiger 
Sicherheil  festzustellen,  müßte  ich  unsere  frühem  Dresdner 
einmal  durchsehen.  Sie  ordentliche  (und  außerordentliche) 
Freundin  besitzen  sie  gewiß  noch  und  schicken  sie  wohl 
an  mich  ein,  und  zwar  bald,  damit  ich  gleich  an's  Werk 
gehe. .  . .  Mündlich  mehr  darüber,  denn  es  ist  eine  prächtige 
Aussicht,  Sie  Ende  nächster  Woche  hier  zu  sprechen.    Sie 


ii4  An  Hans  v.  Bronsart  in  Leipzig 

sollen  Johannes'  Sextett  in  der  2*^"  unserer  hiesigen  Quartett- 
Soireen,  Sonnabend  20'*",  hören.  Sonntag  früh  probire  ich 
zum  1"^"  mal  daran.  Auch  der  letzte  Satz  ist  gar  schön 
geworden.  Bei  Hof  will  ich  schon  zeitig  melden  und  zweifle 
nicht,  daß  wir  nach  Herrenhausen  müssen,  wo  man  in 
alter  Herzlichkeit  neulich  Ihrer  und  der  Ihrigen  gedachte. 
Schreiben  Sie  bald  den  Tag  Ihrer  Ankunft  und  schicken 
Sie  die  Programme. 

Ihr 

Joseph  Joachim. 

An  Hans  V.  Bronsart  in  Leipzig 

[Hannover  12.  Okt.  1860]. 
Lieber  Herr  v.  Bronsart 

So  gerne  ich  Ihre  herzlichen  vertrauensvollen  Worte  ^) 
ausführlicher  beantwortete,  so  muß  ich  mich  doch  be- 
gnügen, da  die  Hauptangelegenheit  sehr  dringend  ist,  Ihnen 
vorläufig  mitzutheilen,  daß  die  Soireen  in  Dresden  vom 
26"^"  Oktober  bis  zum  i'*"  Nov'^'  dauern.  Ich  bin  also 
keinesfalls  im  Stande,  Ihren  schmeichelhaften  Wunsch  zu 
erfüllen,  die  Euterpe-Concerte 2)  mit  zu  eröffnen!  Ich  hoffe 
Sie  jedenfalls  auf  der  Durchreise  nach  Dresden  in  Leipzig 
zu  sehen,  und  wir  kommen  dann  auf  den  Inhalt  Ihres 
Schreibens  zurück;  nur  noch,  daß  ich  mich  Ihrer  unver- 
änderten Gesinnung  aufrichtigst  freue,  und  daß  Sie  gewiß 
nicht  irren,  wenn  Sie  auch  mir  für  Ihren  reinen,  warmen 
Eifer  in  der  Kunst  herzliche  Theilnahme  zutrauen,  so  sehr 
unser  musikalischer  Geschmack  auch  leider  in  vielen  Dingen 
ein  verschiedener  sein  mag. 

Also,  auf  baldiges  Wiedersehen  hoffend, 

Ihr  aufrichtig  ergebner 

Joseph  Joachim 

')  Nicht  erhalten. 

^)  die  V.  Bronsart  leitete. 


An  Jul,  Otto  Grimm  ii5 


An  Jul.  Otto  Grimm 

[Hannover]  Montag  Nachmittag  [22.  Okt.  1860]. 
Liebster  Ise 

Yor  wenigen  Stunden  erhielt  ich  einhegendes  Schreiben 
des  H.  V.  Dalwigk,  dessen  Inhalt  ich  Dir  wohl  nicht 
vorenthalten  dai^,  wenngleich  mir  strengste  Reserve  nach 
allen  Seiten  anempfohlen  ist.  Bei  meinem  Vertrauen  ziemt 
der  Ausdruck  „weil"  sie  anempfohlen  ist,  Dir  gegenüber 
besser.  So  mache  ich  Dich  denn  bloß  auf  die  roth  ange- 
strichene Stelle  aufmerksam  und  bitte  Dich,  mir  den  Brief 
mit  einigen  Zeilen  sogleich  nach  dem  Hotel  de  Baviere 
in  Leipzig  nachzusenden,  wohin  ich  morgen  gehe  und 
bis  zum  Donnerstag-Concert  (Manfred-Musik)  bleibe.  Ich 
denke,  der  Inhalt  wird  wesentlich  auf  Deine  Entschließung 
wegen  Münsters  Einfluß  üben.  Die  Kapelle  in  Oldenburg 
ist  jedenfalls  von  den  kleineren  eine  der  besten  Deutsch- 
lands; der  Detmolder  z.  B.,  die  Du  kennst,  vorzuziehen. 
Vom  Intendanten  kann  ich,  sowohl  was  Charakter  als  was 
Bildung  anlangt,  nur  das  Beste  sagen:  ich  wünschte  mir 
einen  ähnlichen,  der  mit  entschiedener  Bildung  dem  Neuen 
in  der  Kunst  folgt,  ohne  Illusion.  Auch  für  Literatur  und 
Malerei  hat  er  offenen  Sinn,  und  so  ist  auch  in  seinem  ge- 
bildeten Kreis  bei  Beaulieu,  Wedderkopp,  Strackerjahn 
Kunstinteresse  vorhanden  und  im  Umgang  die  angenehmste 
Abwesenheit  aller  Adelsbornirtheit.  Sollte  meine  Meinung 
über  Deine  „etwaige  Qualifikation"  wirklich  einigen  Ein- 
fluß üben  können,  so  weißt  Du  ja,  wie  ich  darüber  denke 
und  also  auch  schreiben  muß.  Und  nun  in  aller  Eile  Glück- 
auf! Johannes  ist  vor  einer  Stunde  fort,  Hamburgwärts. 
Frau  Schumann  den  Nachmittag  um  ^/g  3. . . . 

*)  Grimm  hätte  die  Oldenburger  Kapellmeisterstelle  lieber  als  die 
Münsterer  angenommen;  entweder  konnte  er  seine  dorthin  gegebene  Zusage 
aber  nicht  mehr  rückgängig  machen  oder  sein  Freund  Alb.  Dietrich  wurde 
ihm  vorgezogen. 


Il6  Von  C.  A.  Spina 

Von  CA.  Spina 

Wien,  am  7/ II   1860. 

. . .  Was  nun  den  Inhalt  dieses  Schreibens  i)  betrifft,  er- 
laube ich  mir  denselben  zu  wiederholen,  indem  ich  vor 
Allem  bemerken  muß,  daß  ich  nur  mit  der  grösten  Freude 
das  schöne  Werk  Schuberts  in  Ihrer  Bearbeitung  übernehme, 
und  es  als  eine  ebensolche  Auszeichnung  als  Ehre  für 
meinen  Verlag  erkenne,  dieses  mit  einem  so  gefeierten 
Nahmen,  als  den  Ihren,  geziertes  Werk  —  dem  Publikum 
übergeben  zu  können.    Es  freut  mich  um  so  mehr,  als  ich 

—  als  Eigenthümer  des  Originals  das  Erscheinen  dieses 
Werkes  in  einem  anderen  Verlage  nicht  gestatten  könnte. 

—  Wenn  ich  mir  aber  erlauben  muß,  bezüglich  der  mit- 
getheilten  Bedingungen  einige  Bemerkungen  hinzuzufügen, 
welche  Ihrer  freundlichen  Berücksichtigung  empfehle,  so 
hoffe  ich,  daß  Sie  dieselben  nicht  ungütig  aufnehmen  wer- 
den, da  selbe  nur  den  materiellen  Theii  betreffen.  —  Die 
Auflage  eines  so  großen  Werkes  ist  mit  bedeutenden  Kosten 
verbunden,  und  die  Theilname  leider  nicht  im  Verhältnisse 
des  Werthes  der  Arbeit  und  des  Werkes  —  da  namentlich 
bei  großen  Orchester- Werken  die  Abnahme  nur  eine  sehr 
geringe,  was  durch  die  größeren  Schwierigkeiten  der  Auf- 
führung seine  Erklärung  findet.  —  Ich  würde  mir  daher 
nur  erlauben,  Sie  zu  bitten,  den  zweiten  Theil  der  mitge- 
theilten  Bedingungen  aufzuheben,  indem  ich  Ihnen  mit 
großem  Vergnügen  ein  Complettes  Exemplar  sämtlicher 
bei  mir  erschienen [en]  Werke  Franz  Schubert  (inclusive 
Gesangswerke)  zur  Verfügung  stelle,  welches  einen  Betrag 
von  circa  rth  190  representirt  und  den  bei  weitem  größten 
Theil  der  sämtlichen  Werke  Schubert  ausmacht. 

Wenn  es  mir  auch  nicht  möglich  wäre,  die  Herausgabe 
dieses  Werkes,    welches  gewiß   ein   ziemlich  bedeutendes 

^)  eines  auf  der  Tost  verlorenen  ersten  Briefes. 


An  Clara  Schumann  117 

bezüglich  des  Umfanges  wird,  alsogleich  in  Angriff  zu 
nehmen,  da  ich  einige  sehr  dringliche  und  große  Werke, 
worunter  Rubinstein's  Oper^),  gegenwartig  in  Arbeit  habe, 
so  bitte  ich  dennoch  überzeugt  zu  sein,  daß  ich  gewiß  be- 
müht sein  werde,  ein  so  schönes  Werk,  das  ich  als  einen 
Stern  meines  Verlages  und  als  eine  besondere  Ehrensache 
desselben  betrachte,  gewiß  möglichst  beschleunigen 
werde . .  .'^) 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  d.  16.  Nov.  i86o.] 

.  .  .  Ich  bin  durch  unser  1'**  Concert  morgen  recht  in 
Anspruch  genommen.  Dirigiren  und  Spielen  zusammen 
greift  mich  immer  etwas  an.  Wir  machen  die  Ddur  Sin- 
fonie von  Beeth:,  die  Abenceragen  Ouvertüre  v.  Cherubini, 
dazu  spiele  ich  Mendelssohns  Concert,  und  Frau  Castellan 
(eine  Prima  Donna  der  mittelmäßigen  Operngesellschaft, 
die  jetzt  hier  vor  leeren  Häusern  gastirt,  weil  es  ja  vor- 
nehm ist  für  italienischen  Gesang  sich  zu  interessiren)  singt 
eine  Gavatine  aus  Teil  und  die  Variationen  von  Rhode  3), 
s'  Neieste  was  mer  erseht  kriagt  hab'n!  Die  gute  Dame 
würde  mit  ihren  Trillern  schwerlich  vor  der  Thee-Gesell- 
schaft  in  der  Rampe'schen  Gasse  Gnade  finden,  —  doch 
singt  sie  nicht  ohne  Geschmack  und  war  vor  lO  Jahren, 
wo  ich  sie  in  London  kannte,  nicht  ohne  Anmuth.  — 

Ihr  altergebener 

J.  J. 


^)  Bei  Spina  ist  nichts  von  Rubinstein  verlegt. 

*)  vgl.  S.  74  Anm.  1. 

^)  Die  V^iolinvariationen  von  Rode  mit  unterlegtem  Text. 


Ii8  An  Theod.  Ave-Lallemant 

An  Tlieod.  Ave-Lallemant 

[Hannover  i8.  Nov.  1860.] 
Liebster  Ave. 

Ich  habe  mit  gutem  Bedacht  gestern  zu  telegraphiren 
gezögert.  In  der  Voraussetzung,  S.  M.  den  König  im 
Concert  selbst  zu  sprechen,  hoffte  ich  Dir  zu  Gefallen  die 
Reise  nach  Hamburg  zum  4'^"  noch  möglich  zu  machen. 
Aber  da  der  König  mir  sagte,  er  käme  am  i"^"  von  Herren- 
hausen zur  Stadt  und  hoffte  recht  nachzuholen,  was  er 
von  Musik  durch  Trauer  und  Abwesenheit  versäumt  habe, 
und  da  ich  ferner  von  Graf  Platen,  als  ich  eben  in  die  K. 
Loge  trat,  zugeflüstert  bekam,  mich  selbst  an  den  König 
um  Urlaub  zum  26'*""  nach  Leipzig  zu  wenden,  da  er  es 
noch  nicht  gethan,  so  blieb  mir  nichts  übrig,  als  herzlich 
bedauernd  meine  Hamburger  Freunde  für  diesmal  auf- 
zugeben. Graf  PI.  hat  nämlich  die  gütige  Eigenthümlich- 
keit  mir  nie  gern  „Nein"  zu  sagen,  und  dann  traut  er  sich 
dem  König  gegenüber  (nach  Höflingsart)  doch  nicht  zu 
verlangen,  was  vielleicht  ein  angefangenes  Lächeln  einen 
Augenblick  unterbräche!  Dies  sehr  entre  nous!  Euch  Re- 
publikanern kömmt  dies  wohl  wie  Sklavenbrut  vor?  — 

Das  gestrige  Concert  fiel  Gott  sei  Dank  so  aus,  daß  ich 
hoffe,  vertrauenssicher  für  den  Rest  der  Saison  agiren  zu 
können.  Im  nächsten  Concert  wollen  wir  die  Clauß  bringen, 
und  ich  glaube,  wenn  Ihr  Euer  Concert  am  4"^"  g^bt,  wird 
sie  am  Ende  sehr  gern  zu  Euch  hinüber  fahren.  Sie  spielt 
wirklich  sehr  schön,  und  Du  alter  Klavierpapa  und  Johannes 
werdet  Euch  sie  zu  hören  freuen.  Sie  ist  fortgeschritten. 
Für  Ersatz  wäre  dann  dem  Novität  begierigen  Publikum 
reichlich  gesorgt,  wenn  ich  auch  weiß,  daß  ein  paar  nette 
Gesellen  mich  ungern  vermissen.  Nun  später  gewiß.  Mit 
dirigir-  und  spielmüdem  Arm,  lieber  Ave, 

Dein       Joseph  J. 


An  die  Eltern  1 19 


An  die  Eltern 

[Hannover]  Am  20^'"  Nov''*^  [1860]. 
Liebe  Eltern 

Ich  habe  eben  an  Herrn  Spina  in  Wien  geschrieben,  der 
so  gütig  war,  sich  mir  für  den  Fall  meines  Kommens 
zur  Disposition  zu  stellen,  daß  ich  im  Februar  dort  sein 
würde.  Was  die  Angelegenheit  mit  dem  Musikverein  be- 
trifft, so  hoffe  ich  auch,  daß  diese  zur  beiderseitigen  Zu- 
friedenheit geordnet  werden  kann,  und  daß  ich  wenigstens 
nichts  vernachlässigen  will,  verspreche  ich  zu  Ihrer  Be- 
ruhigung, lieber  Vater,  denn  ich  wünschte,  daß  Sie  keine 
Sorge,  nur  womöglich  Vergnügen  von  meinem  Kommen 
haben  möchten.  In  Dresden  hat  es  mir  sehr  gut  gegangen; 
ich  war  14  Tage  dort,  habe  mich  an  der  herrlichen  Ge- 
mälde-Gallerie  und  an  den  Theaterauftührungen,  die  auf 
einer  sehr  hohen  Kunststufe  stehen,  sehr  ergötzt,  und  was 
die  3  Soireen  mit  Frau  Schumann  anlangt,  so  sind  diese 
sehr  gut  ausgefallen;  die  Theilnahme  des  Publikums  war 
bis  zum  Schluß  wachsend.  Seit  10  Tagen  bin  ich  zurück, 
war  aber,  da  vorvorgestern  unser  erstes  Orchester-Concert 
stattfand,  sehr  in  Anspruch  genommen.  Es  ist  alles  vor- 
trefflich geglückt:  die  von  K.-M.  Scholz  dirigirte  Cheru- 
binische Ouvertüre  und  die  Sinfonie  von  Beethoven  in  D 
unter  meiner  Leitung  giengen  ausgezeichnet,  und  auch 
mein  Spiel  des  Mendelssohn'schen  Concertes  fand  mehr  als 
gewöhnlichen  Anklang.  Nach  dem  Concert  ließen  mich 
die  Majestäten  zu  sich  in  die  Loge  rufen  und  waren  sehr 
gnädig.  Daß  sie  überhaupt  trotz  der  Trauer  erschienen 
waren,  ist  ein  erfreuliches  Zeichen  für  ihr  Musik-Interesse. 
Zum  aö**""  muß  ich  nach  Leipzig,  um  im  Pensions-Con- 
cert  der  Musiker,  meiner  ehemaligen  Orchester-Kollegen, 
zu  spielen,  ein  Versprechen,  das  ich  um  so  lieber  halte, 
als  es  mich  freut,  mit  so  guten  Kräften  mein  ungarisches 


120  Von  Clara  Schumauii 

Conceit  in  Leipzig  zu  Gehör  zu  bringen.  —  Dem  lieben 
Fritz  will  ich  selbst  gratuliren.  Gott  sei  Lob  und  Dank, 
daß  ihm  Ernstchen  erhalten  worden!  Verzeihung  für  die 
eilige  Schrift,  liebe  Eltern! 

Ihr 

Joseph. 
P.  S.  Sollte  Kapellmeister  Scholz  von  hiei-,  der  morgen 
nach  Wien  geht,  nach  Pesth  kommen,  was  möglich,  wenn 
auch  nicht  wahrscheinlich  ist,  so  bitte  ich  ihm  freundlich 
zu  sein.  Er  ist  ein  als  Mensch  und  Künstler  gleich  von 
mir  hochgeschätzter  Freund, 

Von  Clara  Schumann 

Leipzig  d.  7  Dec:  1860. 
Liester  Joachim, 

Wie  schade,  daß  ich  morgen  nicht  bei  Ihnen  sein  kann ! 
ach,  wie  so  gern  säße  ich  als  begeisterte  Zuhörerin 
unter  Ihnen.  Ueberhaupt,  wie  sehne  ich  mich  nach  einem 
ruhigen  Stündchen  mit  Ihnen  —  ich  habe  das  Herz  so  voll 
wegen  unseres  lieben  Johannes.  Fühlte  ich  es  je,  daß  Ihr 
mir  theuer  seyd,  so  war  es  hier. 

Wie  tief  empfand  ich  die  Freude^)  mit  Ihnen,  wie  das 
Leid  mit  Johannes  —  vielleicht  mehr  als  Ihr  selbst.  Die 
Trauer  wegen  der  schlechten  Aufnahme  Johannes'  wuide 
etwas  gemildert  durch  den  Abend  im  Gonservatorium,  wo 
doch  die  Musiker  fast  Alle  nach  der  Serenade  mir  gestanden, 
daß  dieselbe  schön  sey. 

Johannes  reiste  Sonnabend  nach  Ihnen  ab  —  in  den 
letzten  Tagen  doch  etwas  heiterer  gestimmt.  .  .  . 

Gade's  3'*  Symphonie  war  gestern  schön  —  ein  Viol.  Con- 
cert  (Dreyschock)  v.  Rietz  unbeschreiblich  langweilig ! 

^)  J.  hatte  im  Gewandhaus  am  26.  Nov.  sein  ungar.  Konzert  unter 
großem  Beifall  gespieh,  während  im  selben  Konzert  Brahms'  2.  Serenade 
sehr  unfreundhch  aufgenommen  wurde,  vgl.  Litzmann  III,  S.  92  f. 


Au  Clara  Schumann  121 


An  dieselbe 

[Hannover,  d.  i-?..  Decbr.  1860.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  wollte,  ich  könnte  für  Sie  ein  lockenderes  Programm  ^) 
hinschreiben,  als  das  Folgende: 
I.)  Ouvertüre  von  Scholz  (M.  S.) 
2.)  Concert  für  Violine  von  Paganini  (Ole  Bull) 
3.)  Ouvertüre  zu  Euryanthe 
4.)  Solo  von  Ole  Bull. 


5.)  Cmoll  Sinfonie. 


Daß  Ole  Bull  spielt,  geschieht  eigentlich  nur  halb  durch 
mich;  ich  wünschte  ihm  die  Erlaubniß  zu  erwirken,  im 
Theater  Concert  zu  geben,  und  sprach  S'  M.  davon;  dieser 
aber  ließ  sich  nicht  davon  abbringen,  ihn  für's  Concert  ein- 
laden zu  lassen,  und  obwohl  ich  Anfangs  meinte,  daß  es 
Ole  Bull  selbst  lieber  sein  mußte,  in  der  Theaterumgebung 
zu  spielen,  und  dies  auch  mehrmals  betonte,  ließ  es  der 
Anstand  nicht  zu,  dem  König  länger  zu  widersprechen,  da 
es  schließlich  wie  eine  Art  neidischer  Befürchtung  ausge- 
sehen hätte.  Indeß  interessirt  mich  der  iNorvveger  wirklich 
mehr,  als  ich  dachte:  er  hat  sein  Instrument  ganz  merk- 
würdig in  der  Gewalt,  einen  sehr  schönen  Ton,  und  viel 
Leben.  Freilich  habe  ich  ihn  nur  im  Zimmer  Fragmente 
und  sehr  schöne  kleine  Norweg'sche  Volkslieder  einfachster 
Art  spielen  hören  .  .  . 

Der  Ihrige 

Joseph  J. 


*)  zum  3.  Abonn.-Konz.  am  i5.  Dez. 


122  An  Herman  Grimm 


An  Herman  Grimm 

[Hannover,  etwa  22.  Dez.  1860.] 
Lieber  Herman. 

Ole  Bull  ist  seit  über  acht  Tagen  hier  und  gefällt  mir 
als  Mensch  sehr.  Wir  haben  schon  mehrmals  davon 
gesprochen,  auf  zwei  Tage  nach  Berlin  zu  fahren  um  Euch 
zu  besuchen,  und  denke  auch,  wir  führens  noch  aus.  Ich 
komme  jedenfalls  auch  ohne  den  Norweger,  wenn  er  sich 
nicht  entschlösse;  am  besten  könnte  ich  am  Neujahrsanfang. 
Wäre  Dir  der  i"'  recht  oder  habt  Ihr  da  zu  vielerlei  vor? 
Die  Flasche  Kapwein  und  den  reizenden  Murillo  verdanke 
ich  wahrscheinlich  Ernst  Rudorff,  der  wohl  meinen  Erfolg  ^) 
gemeldet  hat?  Ich  habe  mich  kindisch  über  die  Sachen 
gefreut,  wie  über  alles,  was  von  meinen  beiden  Freunden 
kommt.  Der  Aufsatz  über  Humboldt  2)  brachte  mir  den 
Spaziergang  im  Thiergarten,  voriges  Frühjahr,  in  lebendigste 
Erinnerung.  —  Dein  Michel- Angelo  scheint  sich  sehr  zu 
verbreiten:  ich  habe  die  verschiedenartigsten  Menschen 
mit  Wärme  davon  reden  hören.  Mijch  hat  er  zum  Italienisch- 
lernen angetrieben ;  ich  lese  und  übersetze  bei  einem  Signor 
Caggiati.  Das  Bildchen  der  Ristori,  das  im  Norvvegschen 
Buch  liegt,  macht  der  Gisel  vielleicht  Spaß.  Auch  das 
Buch,  trotz  der  schlechten  Übersetzung.  Ole  Bull  hat  neu- 
lich im  Concert,  und  Sonntag  gleichzeitig  mit  Frau  Schu- 
mann bei  Hof  gespielt.  Vielleicht  hören  wir  ihn  noch  im 
Theater.  Sein  Spiel  gefällt  mir  im  Zimmer  besser  als  öffent- 
lich, weil  er  privatim  oft  sehr  originelle  Norwegische  Me- 
lodien wählt.  Sein  Ton  ist  wohlthuend  weich  und  seelen- 
voll. —  In  Deinem  Elternhaus  hat  wohl  Dahlmanns  Tod 
sehr  viel  Kummer  erregt.    Ich  hatte  ihn  in  Bonn  nicht  auf- 

*)  in  Leipzig,  wo  Rudorff  damals  das  Konservatorium  besuchte. 
-)  Alexander  v.  H.,  -{-  6.  Mai  iSSp;  der  Aufs,  ist  wieder  abgedruckt  in 
„Fünfzehn  Essays"  1874. 


An  Clara  Schumann  128 

gesucht,  da  er  schon  damals  sehr  leidend  war  und  Gesell- 
schaft mied.  Seit  8  Tagen  war  ich  durch  ein  rheumatisches 
Uebel  an  der  linken  Hand  sehr  mißgestimmt;  ich  konnte 
nichts  ohne  Schmerz  anfassen ;  es  geht  aber  Gottlob  wieder 
gut. 

Mit  tausend  Grüßen 

von  Herzen 

Dein 

J.  J. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  22"'"  Dec'"  [1860]. 

Liebe,  verehrte  Frau  Schumann 

Daß  ich  auch  in  diesen  Tagen,  wie  immer,  Ihrer  ge- 
denke, darf  wohl  diesmal  das  schlichte,  diese  Zeilen 
begleitende  Buch  ^)  verkörpern.  Ich  habe  nur  darin  ge- 
blättert, aber  Johannes,  der  es  besitzt,  stellt  es  sehr  hoch, 
und  für  Sie  als  schwärmerische  J^aturfreundin,  und  mit 
der  Absicht  Norwegen  zu  besuchen,  wird  die  Schilderung 
von  Schneeregionen  anziehend  und  erfrischend  sein.  Joseph 
im  Schnee  liest  Ihnen  Fräulein  Marie  wohl  mal  vor.  Ich 
kenne  es  noch  nicht,  aber  Auerbach'sche  Dorfgeschichten 
waren  mir  oft  eine  liebe  Zerstreuung.  Ich  gehe  nun  weder 
nach  Berlin,  noch  auch  nach  Düsseldorf,  weil  mich  der 
König  in  Folge  einer  Audienz,  die  ich  mir  in  der  Kömpel'- 
schen  Angelegenheit  erbeten  hatte,  auf  den  zweiten  Feiertag 
mit  Graf  Platen  zu  sich  bestellt  hat,  um  das,  was  ich  vom 
König  erwünschte,  gleich  zu  ordnen.  Es  ist  mir  sehr  lieb, 
daß  ich  die  schändlichen  Verläumdungen,  die  man  über 
mein  Verhalten  zuKömpeP)  in  Umlauf  gebracht  hat,  durch 

*)  Tschudis  Tierleben  der  Alpenwelt. 

*)  Eifersuchtsanwandlungen  Kömpels,  des  späteren  weimarschen  Kon- 
zertmeisters, Joachim  gegenüber. 


124  ^on  Clara  Schumann 

Thatsachen  wiederlege.  Daß  ich  nicht  nach  Berlin  konnte, 
thut  mir  auch  wegen  Eugenien  und  Felix  sehr  leid.  Für 
den  kleinen  Geiger  ^),  der  doch  eigentlich  auch  Ihrem  Willen 
nach  mein  Pathchen  war,  habe  ich  mir  etwas  ausgedacht, 
das  Sie  mir  gewähren  müssen.  Ich  möchte  ihm  nämlich 
meine  Guarneri- Geige  schenken,  auf  der  ich  zuerst  in 
Leipzig  öffentlich  gespielt  habe,  und  die  ich  erst,  seitdem 
ich  die  Stradivarius- Violine  vor  lo  Jahren  bekam,  nicht 
mehr  öffentlich  benütze.  Sobald  seine  Fingerchen  nicht 
mehr  „zu  kurz"  sind,  soll  er  sie  ganz  in  die  Hände  be- 
kommen. Dann  wird  er  hoffentlich  auch  mein  Schüler. 
Sie  dürfen  auf  keinen  Fall  „Nein"  sagen,  denn  das  Instru- 
ment ist  mir  so  lieb,  daß  ich's  dennoch  nie  verkaufen 
würde ;  und  ich  sorge  also  nur,  daß  es  auf  eine  edle  Weise 
benutzt  wird,  da  ich  ja  doch  nicht  darauf  spiele.  Ich 
rechne  darauf,  Sie,  liebe  Frau  Schumann,  im  Januar  hier 
zu  sehen;  der  König  sagte,  er  wollte  uns  dann  bitten,  ohne 
alle  Zuhörer,  bloß  für  ihn  und  die  Königin  die  DmoU  Sonate 
zu  wiederholen. 

Von  Herzen  ergeben 

Joseph  Joachim. 

v^on  Clara  Schumann 

Düsseldorf  d.  27  Der:  1860. 
Lieber  Joachim, 
. . .  Was  ich  Ihnen  aber  auf  Ihren  lieben,  lieben  Brief  sagen 
soll,  weiß  ich  kaum,  nur  das  weiß  ich,  daß,  hätten  Sie,  als 
ich  ihn  las,  in  mein  tief  bewegtes  Herz  sehen  können,  Sie 
gewiß  den  schönsten  Lohn  für  Ihre  so  liebevoll  zart  ge- 
botene Gabe  empfunden  hätten.  Ich  nehme  sie  an,  d.  h., 
wenn  Gott  will,  daß  mein  Felix  sich  solcher  Gabe  würdig 

^)  Felix  Schumann ;  J.   konnte  nicht  Pathc  werden,  weil  er  noch  nicht 
zum  christlichen  Glauben  übergetreten  war. 


An  Th.  Ave-Lallemant  I25 

zeigt.  Möchte  dann  von  Ihrer  wunderherrlichen  Kunst  ein 
klein  Wenig  mit  auf  ihn  übergehen.  Ach,  und  welche 
Freude  wäre  es  mir,  ihn  einstens  als  Ihren  Schüler  zu 
sehen !  —  Sie  lieber,  theurer  Freund,  könnte  ich  Ihnen  nur 
Alles  sagen,  was  mir  im  Sinn  und  Herzen  liegt,  wie  Ihre 
Freundschaft  so  manchen  wohlthuenden  Strahl  in  mein 
Inneres  wirft,  doch  genug,  bald  sehe  ich  Sie  und  drücke 
Ihnen  dann  die  Hand  recht  aus  vollster  Seele. 

Was  haben  Sie  wohl  mit  Platen  ausgerichtet?  der  Kömpel 
nennt  sich  übrigens  schon  überall  Concertmeister,  darf  er 
das  denn  eigentlich?  . . . 


An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover]  am  2'^"  [Januar  1861J. 
Lieber  Ave. 

Meine  freundschaftlichste  Erwiderung  Deiner  Neu- 
jahrsgrüße, und  vor  allem  meine  Freude  darüber, 
daß  wir  uns  sobald  sehen  sollen,  als  gutes  omen  für  61!  ... 
Ich  habe  mich  sehr  gefreut,  endlich  Johannes'  Sachen  für 
Orchester')  gedruckt  vor  mir  zu  sehen.  Nun  können  sie 
getrost  von  den  Signalen  und  andern  oberflächlichen  Ge- 
sellen verschimpfirt  werden.  Sie  werden  noch  freundlich 
fortlächeln  mit  ihren  schönen  Motiven,  wenn  die  plumpen 
Tadler  längst  verstummt  sind.  Adies !  und  grüße  die  Deinen 
herzlich  von  mir. 

Aufrichtigst  ergeben 

J.  J. 


^)  Die  beiden  Serenaden,  1860  erschienen. 


126  An  seine  Eltern 


An  seine  Eltern 

[Hannover,  Januar  1861.] 
Liebe  Eltern 

Es  steht  fest  in  meinem  Willen,  am  4'^"  kommenden 
Monats  von  hier  abzureisen.  Wenn  nun  mein  Gon- 
cert  in  Wien  am  11"^"  ist,  so  kann  ich  recht  gut,  um  den 
Tag  des  beglückenden  Festes  1)  nicht  zu  ändern,  am  i3'*" 
in  Pesth  sein  und  ein  oder  zwei  Tage  bleiben,  und  wieder 
nach  Wien  zurückfahren,  um  später  auf  längere  Zeit 
nach  Pesth  zu  kommen  und  Concerte  zu  geben.  Ich  schreibe 
dies  für  den  Fall,  daß  Sie  die  Feier  nicht  gerne  aufschieben, 
liebe  Eltern,  da  ich  mich  darin  ganz  so  richten  will,  wie 
es  Ihnen  am  angenehmsten  ist.  Über  das  Datum  der  in 
Pesth  zu  gebenden  Concerte  kann  ich  aber  unmöglich  vor 
meiner  Ankunft  in  Wien  etwas  bestimmen,  und  es  ist  auch 
vollkommen  Zeit  dann.  Obwohl  der  Aufenthalt  in  Pesth 
meine  Reise  veranlaßt,  und  obwohl  mir  natürlich  das  Fest 
am  i3'*"  der  Haupttag  sein  wird,  so  ist  mir  doch  in  mu- 
sikalischer Hinsicht  Wien  wichtiger  wie  Pesth,  so  sehr 
ich  mich  auch  freue,  in  meiner  Vaterstadt  zu  musiciren 
und  namentlich  für  das  Conservatorium  zu  spielen.  —  Sie 
schreiben  mir  von  allerlei  Gerüchten,  auch  daß  Frau  Schu- 
mann mitkommen  würde.  Das  ist  ganz  falsch;  und  zwar 
hat  es  Frau  Seh:  selbst  aufs  entschiedenste  abgelehnt,  als 
ich  ihr  anbot,  einige  gemeinschaftliche  Goncerte  zu  arran- 
giren,  weil  sie  sagte,  daß  es  mir  in  pekuniärer  Hinsicht 
schaden  würde.  Aber  Sie  sollten  Sich,  liebe  Eltern,  nicht 
um  Zeitungsschreibereien  über  mich  beunruhigen  —  sol- 
cher Klatsch  verdient  wirklich  keine  Beachtung.  Ich  habe 
mir  durch  meine  langjährigen  Erfahrungen  darin  das 
kälteste  Blut  angewöhnt  und  werde  mich  auch  in  Wien 
u.  Pesth  nicht  beunruhigen  lassen.    Etwas  leisten  und  be- 

*)  Goldene  Hochzeit  der  Eltern. 


An  Clara  Schumann  127 

harren !  —  Auf  der  Reise  will  ich  mich  in  meinen  warmen 
Pelz  hüllen;  haben  Sie  keine  Angst,  liebe  Mutter! 

Mit  herzlichsten  Grüßen  an  die  lieben  Geschwister,  und 
mich  aufs  Wiedersehen  freuend, 

Ihr 


Joseph. 


An  Clara  Schumann 


[Hannover  d.  3.  Febr.   1861.] 

Tiiebe  Frau  Schumann. 

Nach  einem  sehr  genußreichen  Concert  gestern  Abend, 
zu  dem  ich  Sie  sehr  lebhaft  herbeiwünschte,  bereite 
ich  mich  nun  zur  Wiener  Reise,  die  ich  morgen  Mittag 
um  2  antrete.  .  .  .  Mit  vielem  Danke  habe  ich  die  Auf- 
schriften an  Ihre  Freundinnen  u.  an  Laube  gelesen  und 
hoffe  von  erstein  gemüthlich  freundliche  Aufnahme,  von 
letzterem  Theaterbillette.  Wenn  mir  nur  alle  in  Oester- 
reich  so  gütig  entgegen  kämen,  wie  ich's  von  denen  er- 
warte, an  welche  Sie  empfehlende  W^orte  gerichtet!  Nun, 
Sie  sollen's  erfahren,  wie  es  mir  am  Sonnabend  ergangen 
sein  wird.  —  Ihre  Quittung  an  Hn,  X.,  der  des  Königs  Gold 
in  bittere  Pillen  hinein  reibt,  statt  es  umgekehrt  zu  machen, 
habe  ich  überschickt.  Verpflichtungen  lese  ich  sonst  nicht 
aus  der  Quittung,  als  die  eine,  im  April  oder  Mai  (oder 
auch  Ende  März)  noch  einmal  bei  Hofe  zu  spielen,  wie 
Sie  ja  dem  Könige  versprochen  haben.  Wahrscheinlich 
hat  der  letztere  bloß  einfach  Hrn.  Y.  gesagt,  daß  das  Ho- 
norar für  Ihre  nächste  Leistung  bei  Hofe  in  dem  einge- 
schlossen sei,  was  er  Ihnen  jetzt  überschickte.  Die  takt- 
lose Ausführung  des  K.  Auftrags  ist  bloß  ein  neuer  Beleg 
für  den  Unterschied  zwischen  den  feinen  Gesinnungen  der 
Herrschaften  und  der  plumpen  Ausführung  von  Seiten  der- 
jenigen,   die   sich   auf  Kosten    ihrer   Gnade   brüsten.     Ich 


I a8  Von  Clara  Schumann 

konnte  es  übrigens  nicht  unterlassen,  Frl.  v.  G.[abelentz]  die 
Sache  zu  erzählen  und  derselben  zu  sagen,  daß  ich  vor- 
hätte, Ihnen  zu  schreiben  (auf  eigne  Gefahr),  die  Herr- 
schaften hätten  gewiß  nichts  von  dem  Wortlaut  des  Schrei- 
bens geahnt,  ich  wollte  bloß  von  Frl.  v.  G.  wissen,  ob  sie 
die  Sache  nicht  ebenso  wie  ich  ansähe.  Sie  gab  mir  voll- 
kommen recht  und  sagte,  daß  leider  nur  zu  oft  ähnliche 
Unzartheit  vorkäme.  Zu  meiner  größten  Freude  nun  er- 
hielt ich  auch  noch  eine  schriftliche  Bestätigung,  die  ich 
Ihnen  confidentiell  mittheile,  weil  Sie  dadurch  vollkommen 
über  die  Sache  beschwichtigt  sein  werden.  —  Auch  theilte 
mir  Frl.  v.  G.  mit,  daß  die  Königin  geäußert  hätte,  Sie  be- 
dürften der  Königin  Empfehlung  nach  Brüßel  nicht,  wenn 
Sie  von  der  Erzherzogin  eine  bekämen,  wenn  dies  aber 
nicht  geschehen  sollte,  so  wollte  I.  M.  den  Ausweg  treffen, 
in  der  3'^"  Person  an  ihre  Verwandtin  zu  schreiben.  Das 
ist  wieder  so  recht  nach  der  Königin  freundlicher  Gesin- 
nung ;  ordentlich  rührend.  . .  . 

Doch  nun  genug,  liebe  Frau  Schumann,  ich  muß  leider 
an's  Packen!  Lassen  Sie  mich  ja  durch  Spina  hören,  wo 
Sie  meine  Gedanken  suchen  dürfen. 

Der  Ihrige 

Joseph  J. 

Von  Clara  Schumann 

Düsseldorf  d.   lo.  Febr:    1861. 

Lieber  Joachim, 

Wie  viel  habe  ich  heute  an  Sie  gedacht,  wie  innig  ge- 
wünscht, daß  Ihnen  Alles  recht  nach  Wunsch  gehen 
möge:  Welche  Sehnsucht  erfaßte  mich  heute  Mittag  —  hätte 
ich  doch  nur  ein  Weilchen  lauschen  können!  Bald  hoffe  ich 
von  Ihnen  einige  Worte  zu  hören,  muß  aber  diese  Zeilen 
doch  früher  abschicken,  weil  ich  Ihren  lieben  Eltern  so 


Von  Clara  Schumann  129 

gern  auch  meinen  Glückwunsch  senden  wollte.  Ich  möchte 
so  gern,  daß  Sie  gerade  an  dem  Tage,  wo  Ihre  Eltern  ein 
so  herrliches,  seltnes  Fest  begehen,  auch  meiner  einmal  ge- 
dächten, die  mit  so  vollem  Herzen  unter  Ihnen  ist.  Welche 
Seligkeit  muß  es  doch  sein,  solch  Fest  zu  erleben !  und  wie 
freue  ich  mich  für  Ihre  Eltern,  daß  sie  an  dem  Tage  auch 
Sie  bei  sich  haben  —  der  Gedanke  an  Ihrer  Eltern  Glück 
erleichtert  Ihnen  auch  gewiß  Manches. 

Ihren  lieben  Brief  nach  Detmold  erhielt  ich,  und  danke 
für  Alles  —  so  hat  sich  ja  die  Sache  in  Wohlgefallen  auf- 
gelöst! —  Ich  will  übrigens  der  v.  Gabelentz  einige  Worte 
des  Dankes  für  Ihre  Majestäten  schreiben. 

Der  Aufenthalt  in  Detmold  wird  mir  um  Eins  unver- 
geßlich sein.  Ich  benutzte  dort  die  Gelegenheit  des  Or- 
chesters und  lernte  die  Concerte  in  G  d  u  r  und  A  d  u  r  von 
Mozart  kennen.  Gejubelt  und  geweint  habe  ich  dabei.  Bis 
mir  die  Thränen  bei  der  Musik  kommen,  da  muß  sie  schon 
herrlich  sein  —  das  Adagio  im  G  dur  Concert,  welche  Him- 
melswonne ist  das,  und  die  ersten  Sätze,  und  im  Adur  der 
letzte  Satz,  welch  frisches  Leben  in  all  den  Instrumenten, 
was  ein  Reichthum  an  Gemüth  und  Humor !  Hätte  ich  nur 
Einen  noch  gehabt,  der  mit  mir  gejubelt  hätte  —  solche 
Freude  allein  tragen,  ist  auch  schwer.  Wie  betrübt  ist  es, 
daß  das  Publicum  bei  solcher  Musik  beinah  theilnahmlos 
bleibt,  und  es  brauchte  doch  weiter  nichts  als  natürliches 
Empfinden.  .  . . 

Ein  Bekenntniß  muß  ich  Ihnen  noch  thuen :  so  gern 
hätte  ich  Ihnen  mündlich,  als  wir  uns  jetzt  sahen,  meinen 
Dank  für  Ihren  Weihnachtsbrief  ausgesprochen,  viele  Male 
setzte  ich  an  dazu,  dann  fühlte  ich  aber  jedes  Mal,  als  ob 
mir  die  Stimme  versage,  kurz  ich  fühlte  mich  weich  wer- 
den und  schwieg  dann.  Sie  wissen  aber,  wie  mit  der 
Freundschaft  auch  der  Dank  für  alles  Liebe  in  mir  immer 
lebt. 

Von  Johannes  hatte  ich  lieben  Brief  —  Sie  können  den- 


i3o  Von  Bernhard  Scholz 

ken,  wie  ich  in  Detmold  bei  der  Musik  und  im  Walde 
seiner  gedacht  habe.  Er  schrieb  mir  gestern,  die  Concerte 
von  Mozart  seyen  wie  aus  einem  Jungbrunnen  geschöpft. 

An  Clara  Schumann 

[Wien  1 1 .  Februar  1 86 1 .] 

Liebe  Frau  Schumann 

Ich  weiß,  daß  es  Sie  freuen  wird  zu  erfahren,  daß  alle 
Ihre  Prophezeihungen,  die  Sie  mir  für  Wien  ^)  machten, 
erfüllt  sind.  Darum  schreib  ich's  in  aller  Kürze  auf  diese 
Karte.  Ich  spielte  Beethovens  Concert,  ein  Spohr'sches 
Adagio  und  Tartini,  und  obwohl  Anfangs  beklemmt,  ward 
ich  bald  so  verzogen,  daß  ich  mich  wie  zu  Hause  fühlte 
und  ganz  warm  wurde.  Morgen  gehe  ich  nach  Pesth;  am 
i5""  komme  ich  wieder  zurück  und  gebe  das  3"^  Concert 
am  18'*"  um  5  Uhr;  da  spiele  ich  dann  mein  eigen  ung: 
Stück.  —  Meine  Verwandten  sind  sehr  gut  und  voll  Rück- 
sicht. Lewinsky^)  ist  ein  netter  Kerl,  und  alles  verspricht 
sich  angenehm  zu  gestalten.  Für  heute  nehmen  Sie  mit 
diesem  flüchtigen  Gruß  fürlieb. 

Bald  mehr!  J.  J. 

Von  Bernhard  Scholz^) 

[Hannover,  Anf.  März  1861.] 

Lieber  Freund! 

Die  Ankunft  Ihres  Briefes  vertilgte  alle  heimlichen  Vor- 
würfe, die  wir  Ihnen  bis  jetzt  gemacht;  selbst  diese 
waren  indeß  nicht  so  heftig,  denn  ich  konnte  mir  recht 

^)  Über  dieses  erste  Auftreten  Js.  in  Wien  seit  seiner  Kindheit  vgl. 
E.  Hanslick,  Aus  dem  Concertsaal,  1870,  S.  236  ff. 

^)  Auch  Frau  Seh.  schätzte  Lewinski  als  Menschen  ganz  besonders. 

')  Über  seine  Freundschaft  mit  J.  vgl.  Bh.  Scholz,  Verklungene  Weisen. 
Mainz  (igi  1). 


Von  Bernhard  Scholz  i3i 

wohl  denken,  wie  sehr  Sie  die  ganze  Zeit  über  in  Anspruch 
genommen  sind. 

Wir  freuen  uns  sehr  auf  Ihre  baldige  Rückkunft  und 
haben  die  Zeit  über  die  Wochen  Ihrer  Abwesenheit  gezählt : 
diesmal  sind  Sie's,  der  die  Häuslichkeit  stört!  —  Ich  will 
nicht  hoffen,  daß  Ihr  Wunsch,  den  23"^"  als  Conzerttag 
innegehalten  zu  sehen,  auf  eine  baldige  Wiederabreise 
deutet,  denn  i)  müssen  Sie  Paula's  (die  Gott  sei  Dank 
immer  noch  hier  ist)  und  meinen  Geburtstag  mitfeiern, 
2)  sind  Sie  auch  dem  Könige,  der  nun  Kömpel  in  Ungnaden 
entlassen  hat,  schuldig,  ihm  einige  Zeit  zu  widmen,  und 
drittens,  viertens,  fünftens,  sechstens  u,  s.  w.  können  wir 
Sie  nicht  schon  wieder  entbehren.  Ich  gehe  ja  hier  herum, 
„als  wär's  ein  Stück  von  mir!" 

Wie  habe  ich  gewünscht,  bei  Ihren  Triumphen  gegen- 
wärtig zu  sein;  wir  haben  uns  darüber  gefreut  wie  die 
Könige;  —  auch  bei  den  Aufführungen,  die  Sie  hörten  und 
noch  hören,  hätte  ich  mögen  und  möchte  ich  zugegen  sein. 
Die  große  Messe  werden  Sie  ja  wieder  in  Aachen  hören, 
wohin  Sie  wohl  schon  geladen  sind;  Freund  W^üllner  er- 
kundigte sich  wenigstens  dieserhalb  nach  Ihrer  Adresse. 

In  Ihrer  Abwesenheit  ist  nicht  viel  hier  vorgefallen: 

Kaulbach  zeichnet  immer  noch  an  Paulas  Bild,  das  nun 
aber  nur  noch  einer  Sitzung  bedarf  zur  Vollendung.  Mar- 
chesi  hat  beim  Könige  gesungen.  Ole  Bull  gibt  heute 
Abend  ein  Conzert  im  Logenhaus  des  Theaters,  u.  ich  glaube 
nicht,  daß  er  seine  Kosten  herauskriegen  wird.  Er  hatte 
aber  erklärt,  er  müsse  ein  Concert  geben,  schon  deshalb, 
weil  man  gegen  ihn  intriguire,  daß  er  keines  geben  solle. 
Ich  sehe  ihn  Gott  sei  Dank  gar  nicht:  er  ist  mir  nun 
gründlich  zuwider. 

Kommen  Sie  bald  und  bleiben  Sie  uns  dann  ein  Weil- 
chen!   Hannover  ist  ohne  Sie  ein  gräuliches  Nest. 

Noch  Eines!  Mein  Bruder  mahnt  mich  immer  wieder 
an  eine  Geige !  Auch  meine  Mutter  bittet  wiederholt  darum. 

9* 


i32  Von  Frau  Luise  Scholz 

Sollte  Ihnen  dort  zufällig  ein  preiswürdiges  Instrument 
(200 — 35o  Thlr)  begegnen,  so  bitte  einstweilen  die  Hand 
darauf  zu  legen. 

Herzlichen  Gruß  von  Ihrem 

Scholz. 

Grüßen  Sie,  wenn  Sie  sie  sehen,  Dessoff  u.  Gunz. 

Von  Frau  Luise  Scholz 

Hannover  9,  März  61. 

Lieber  Herr  Joachim! 

Ich  kann  mich  doch  nicht  in  Ihre  großen  Triumphe 
hineindrängen,  ungerufen,  wie  ein  Bettelbub  zu  einem 
König!  wußte  ich  ja  doch  nicht,  ob  Sie  ein  Augenblickchen 
für  uns  übrig  hätten!  Jetzt  aber  weiß  ich's,  u.  weil  Sie 
uns  ein  wahres  Fest  durch  Ihren  lieben  Brief  bereitet,  so 
sollen  Sie  auch  hören,  daß  wir  fast  stündlich  Ihrer  gedacht. 
Wir  haben  alle  Zeitungsartikel  gelesen,  die  von  ihrem 
Ruhme  sprechen  u.  uns  nicht  wenig  darüber  gefreut.  Ein- 
mal aber  haben  uns  die  dummen  Leute  einen  schönen 
Schrecken  eingejagt  mit  dem  Gerüchte,  daß  Sie  ganz  in 
Wien  bleiben  wollten.  Der  Bär^)  lacht  u.  glaubt  nicht 
daran,  ich  aber  lache  gar  nicht.  Wenn  Sie  uns  wirklich 
verlassen  wollen,  dann  packen  junge  Scholze  ihre  sieben 
Sachen  u.  laufen  aus  Hannover  hinaus;  dann  kann's  ihnen 
kein  vernünftiger  Mensch  mehr  zumuthen,  daß  sie's  dort 
aushalten.  Es  ist  ohnedem  zwischen  den  Zeilen  zu  lesen 
in  Ihrem  Briefe,  daß  Sie  gleich  nach  dem  Conzerte  wieder 
rechts  um  kehrt  machen  u.  gehen,  u.  wir  haben  das  Nach- 
sehen. 

Seit  Ihrer  Abreise  haben  wir  sehr  still  gelebt  u.  Nie- 
mand bei  uns  gesehen  als  den  Kaulbach  zum  Zeichnen. 
Das  Bild  wird  wunderschön,  er  wird  aber  auch  gar  nicht 

^)  So  wurde  Scholz  von  den  ihm  Nahestehenden  genannt. 


An  Clara  Schumann  i33 

fertig  damit.  —  Die  Paula  habe  ich  sammt  ihrer  Mutter 
so  lange  gequält,  bis  sie  mir  länger  zu  bleiben  versprach. 
Ob  die  Henni  Sie  vergessen,  kann  ich  so  ganz  bestimmt 
nicht  sagen,  da  sie  mir  durchaus  kein  Geständniß  darüber 
machen  will.  Aber  eine  große  Errungenschaft  ihrerseits 
habe  ich  Ihnen  zu  vermelden,  die  aus  vier  Backenzähnen 
besteht.  Der  Buvva  ist  riesig  groß  u.  dick  geworden.  — 
Sie  werden  erstaunen! 

Jetzt  grüßen  Sie  Ihre  Frau  Mutter  von  mir  u.  gratuliren 
Sie  ihr  in  meinem  Namen,  daß  sie  wirklich  sagen  kann: 
„Je  suis  la  mere  de  Joachim". 

Seien  Sie  auf's  Herzlichste  gegrüßt 

von 

Luise. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover,  Anfang  April  1861.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Ohne  noch  Fräulein  v.  d.  Gab.  gesprochen  zu  haben, 
rathe  ich  Ihnen,  nicht  an  dem  genannten  Tag^)  zu 
kommen,  da  gewöhnlich  diese  Zeit  gerade  voll  Hofbesuch 
und  Unruhe  ist.  So  liebenswürdig  die  Absicht  ist  (die  ich 
auch  mittheilen  will),  die  Herrschaften  genießen  Ihr  Kommen 
gewiß  später  ungestörter.  Und  dann  dürfen  Sie  auch  den 
Kostenpunkt  nicht  unbeachtet  lassen.  Da  Sie  noch  einmal 
zu  spielen  verpflichtet  sind,  so  sehe  ich  nicht,  warum 
Sie  diese  Schuld  nicht  lieber  auf  der  Durchreise  ab- 
machen sollen.  —  Ganz  ohne  Egoismus  ist  indeß  meine 
Meinungsäußerung  auch  nicht:  ich  reise  am  i5*^"  nach 
Hamburg  zum  Philharmonischen  Concert  am  16'*^";  und 
zwar  werde  ich  mit  Eyertt  die  Concertante  für  Viola  und 

^)  dem  Geburtstage  der  Königin. 


i34  An  Clara  Schumann 

Geige  v.  Mozart  spielen  und  allein  die  Phantasie  v.  Schu- 
mann. Daß  ich  diese  auch  in  Wien  im  3'*"  Concert,  u. 
mit  Erfolg  gespielt,  wissen  Sie  wohl.  Wie  leid  hat  es  mir 
gethan,  meine  Rückkehr  nach  Wien  jetzt  aufgeben  zu 
müssen!  Durch  den  Tod  der  Herzogin  von  Kent  wurde 
es  nicht  möglich,  vor  dem  6*^"  das  letzte  Abonnements- 
Goncert  hier  zu  geben,  und  Spina  meinte,  daß  es  dann 
doch  für  Wien  zu  spät  würde,  und  ich  sollte  die  Rückkehr 
nach  Wien  lieber  auf  den  nächsten  Herbst  verschieben. 
Wir  werden  noch  viel  über  die  liebe  Kaiserstadt  mitein- 
ander zu  sprechen  haben !  Wenn  nicht  früher,  so  soll  dies 
Ende  April  i),  und  in  Aachen,  geschehen,  wohin  ich  die 
Einladung  angenommen  habe.  Hauptsächlich  Ihretwegen 
und  der  Mißa  sollemnis  zu  lieb.  Schumann  sagt  zwar, 
man  soll  nicht  2  Gründe  angeben,  aber  es  ist  doch  so,  daß 
mich  das  anziehende  Programm  allein  schwerlich  ver- 
mocht hätte,  die  Reise  zu  machen,  und  daß  ich  Sie  lieber 
ohne  den  Musikfesttrouble  besuche.  Aber  ich  freue  mich, 
das  Violin-Solo  im  Benedictus  für  Sie  zu  spielen.  Noch 
habe  ich  eine  Schuld  an  Sie  abzutragen,  nämlich:  einmal- 
hunderttausend  Millionen  und  ein  —  Grüße,  ich  wollte  es 
wären  Goldstücke.  Aber  sie  kommen  wenigstens  von  einer 
liebenswürdigen  Dame,  der  Gräfin  Zamoyska,  der  ich  ver- 
sprochen habe,  wörtlich  auszurichten,  was  sie  mir  auftrug. 
Sie  habe  schon  so  viel  Briefe  an  Sie  angefangen,  aber  das 
Hofleben  mit  dem  exigeanten  Herrendienst  läßt  sie  eben 
nie  zu  ordentlichem  Schreiben  kommen.  —  Für  heute  Adieu, 
und  die  schönsten  Grüße  an  Fräulein  Marie  und  an  Ihre 
arme  kranke  Freundin. 

Immer  getreu 

J.  J. 


^)  beim  38.  niederrheinischen  Musikfest,  das  aber  erst  im  Mai  stattfand. 


An  Julius  Otto  Grimm  i35 

An  Theodor  Ave-Lallemant 

[Hannover  4-  April  1861.] 
Lieber  Freund  Ave. 

Viel  Dank  für  die  herzlichen  Worte;  auch  ich  freue 
mich  auf  den  Besuch  bei  Euch  sehr,  wie  immer  noch. 
Was  nun  das  Concertprogramm  anlangt,  so  ist  das  frei- 
lich diesmal  eine  mißliche  Geschichte  —  höllisch  bunt. 
Auf  keinen  Fall  darf  gerade  das  Mozart'sche  Stück  fort- 
bleiben; denn  das  war  ja  gerade  der  Hauptspaß.  Spohr's 
Concerte  habe  ich  auch  schon  so  oft  abgedroschen,  und 
zudem  kömmt  noch,  daß  ich  dem  armen  Eyertt,  der  eben 
sein  kleines  (einziges)  Söhnchen  vorloren  hat,  die  Anregung 
und  Zerstreuung  gönne  und  ihm  schon  davon  gesprochen 
hatte.  Sollte  also  Fräulein  Gärtner  Euch  mit  dem  Gmoll 
Concert  doch  noch  beglücken,  so  machen  wir  das  ganz 
einfach  so,  daß  ich  meine  gewöhnliche  Einnahme  mit 
Eyertt  theile,  da  ich  vollkommen  einsehe,  daß  ein  Comite 
den  Kostenpunkt  bei  seiner  Verwaltung  im  Auge  behalten 
muß.  Eyertt  braucht  das  ja  nicht  zu  erfahren,  und  ich 
komme  ja  nicht  des  Honorars,  sondern  der  Freunde  wegen 
nach  Hamburg,  obwohl  ich  sonst  nichts  gegen  das  appetit- 
liche Gold  einzuwenden  habe. . . . 

Mit  herzlichem  Gruß 

Joseph  Joachim. 

An  Julius  Otto  Grimm 

[Hannover  Mai  1861.] 
Mein  lieber  Ise! 

Hast  Du  schon  „Ut  de  Frantosentied "  in  Olle  Kamellen 
von  Fritz  Reuter  gelesen?  Wenn  noch  nicht,  so  hole 
Dir's  gleich  und  lese  aus  dem  Buch  die  zweite  Novelle^) 

^)  „Woans  ick  tau  ne  Fru  kam." 


i36  An  Julius  Otto  Grimm 

zuerst  mit  Deinen  Frauenzimmern,  die,  wie  Euer  himmlich 
verrückter  Brief  zeigt,  selbst  dem  ollen  Amtshauptmann 
keine  „tau  quarigen  Dernss"  wären.  Kaufe  Dir  das  Buch 
nicht,  denn  ich  möchte  es  gar  zu  gerne  in  meinen  lütten 
Päding  seine  Bibliothek  stiften,  falls  es  noch  nicht  darin 
ist.  Kommen  aber  kann  ich  nicht  vor  Aachen,  denn  am 
j5ten  ijiuß  [q]^  wahrscheinlich  noch  mit  Frau  Schumann 
in  Herrenhausen  spielen.  Am  i6'"'  ciber  ist's  hoch  Zeit 
(nicht  Hochzeit!),  nach  Aachen  zu  fliegen,  wo  am  17*^"  die 
Proben  beginnen.  Ihr  solltet  aber  mir  ein  Rendezvous  geben 
und  alle  mit;  das  wäre  der  einzige  vernünftige  Nachsatz 
zu  Eurem  küssenswerth  unvernünftigen  Brief- Vorsatz !  Dem 
schnöden  Troer  aber,  der  mich  bei  der  heil'gen  Elisabeth 
oder  klugen  Ilse  mit  der  Erzählung  verläumdet  hat,  ich 
wäre  8  Tage  in  Braunschweig  gewesen,  bieth  ich  figo  und 
wünsche  ihm  zeitlebens  bei  altem  Pfefferkuchen  und  Mumme 
im  dortigen  Thalia-Tempel  eingesperrt  zu  werden!  Einen 
halben  Tag  lang  war  ich  dort  zum  Pensions-Concert  der 
Musiker.  O  schnöder  hungarischer  Wicht!  Bin  letzteres 
übrigens  selbst;  zum  Theil  wenigstens!  Und  damit  Euer 
Lachen  eine  neue  Anregung  gewinne,  so  schicke  ich  jedem 
der  fidelen  Unterzeichneten  wenigstens  mein  Bild:  „denn 
warum  sollt'  ich  Bedenken  tragen,  meine  Visage,  so  mir 
Gott  gegeben.  Jedermann  vorzuzeigen?" 

Uebrigens  verpflichte  ich  jeden  Leser  der  „ollen  Kamel- 
len" nach  Kräften  für  Weiterverbreitung  gedachten  Buchs 
zu  sorgen.  Wonach  sich  männiglich  und  weibsbildlich  zu 
richten!  Adjes,  und  auf  Wiedersehn  beim  Musikfest; 
das  ist  der  Humor  davon! 

Joseph. 


Presto 


^^ 


'fr-r^ff^^ 


Didel      didel  didel      didel  didel       Di    ti     ti! 


Bernhard   Scliolz 

Nach  einer  Pliotof;raphie 


An  Clara  Schuniaun  i3~ 


An  Clara  Scliumann 

[Hannover,  etwa  3o.  Mai  1861.J 

Liebe  Frau  Schumann. 

Meine  Photographien,  die  noch  vor  Ihrer  Abreise  nach 
dem  Bad  ankommen  sollten,  begleite  ich  mit  den 
freundlichsten  Grüßen.  Eine  an  die  „Säule"  gelehnte 
Stellung  ist  mir  unter  meinen  Exemplaren  nicht  mehr  vor- 
gekommen; nehmen  Sie  also  fürlieb,  bis  ich  die  gewünschte 
Photographie  wieder  auftreibe,  und  vertheilen  Sie  ad  libi- 
tum. An  Johannes  will  ich  auch  denken.  —  Mein  Kopf 
weiß  gar  nichts  mehr  von  dem  Unfall  auf  der  Eisenbahn  ^) ; 
es  scheint,  daß  er  hart  genug  ist,  um  einen  tüchtigen  Puff 
zu  vertragen !  Daß  Sie  nicht  zum  Geburtstagsconcert  ^)  ge- 
kommen waren,  ist  mir  nachträglich  noch  recht  lieb  ge- 
wesen —  Sie  hätten  Sich  zu  sehr  geärgert  über  die  feinen 
Rüpel  in  Glace -Handschuhen,  denen  man  zwar  keinen 
Respekt  vor  Händel  und  Beethoven,  aber  wenigstens  etwas 
loyale  Ehrfurcht  vor  der  Wahl  einer  königlichen  Herrin 
hätte  zutrauen  dürfen,  und  welche  nicht  nur  alle  pp,  son- 
dern sogar  die  ff  der  Symphonie  todtschw  atzten.  Mir  war 
die  Sache  zuletzt  förmlich  komisch.  Der  König  hat  mich 
ersucht,  die  Symphonie  nochmals  vor  den  Ferien  zu  dirigiren, 
damit  er  sie  ungestört  genießen  könne.  Dadurch  ist  meine 
Fahrt  nach  Berlin  wieder  um  8  Tage  verschoben,  denn 
wahrscheinlich  wird  der  König  die  Orchester-Musik  Sonn- 
abend befehlen.  Scholzens  reisen  auch  Sonnabend  nach 
Mainz;  er  hat  noch  definitiven  Bescheid  in  der  Niemann- 
Angelegenheit  bis  dahin  gefordert  und  gekündigt  für  den 
Fall,  daß  er  keine  Antwort  bis  dahin  erhielte.    Mein  Ent- 

^)  8  Tage  vorher  war  bei  Gütersloh  der  Zug,  in  dem  Joachim  saß,  ent- 
gleist ;  er  war  aber  bloß  mit  dem  Schreck  davongekommen,  daß  ihm  seine 
im  Netz  liegende  Geige  auf  den  Kopf  fiel. 

*)  der  Königin. 


i38  Von  Bernhard  Scholz 

Schluß  bleibt  auch  bestehen,  ihn  nicht  allein  ziehen  zu 
lassen,  falls  der  König  eine  gute  Stimme  wirklich  für 
werthvoller  hält  als  künstlerische  Ehre !  Noch  glaube  ich's 
nicht.  1) 

Für's  Bad  die  besten  Wünsche  und  die  Bitte,  mich  hören 
zu  lassen,  ob  sie  fruchten!  Schöne  Grüße  an  Fräulein  Marie 
und  an  die  Hausgenossen  von 

Ihrem 

J.  J. 

P.  S.  Die  Königin  hat  uns  sämtliche  Concertmitwirkende, 
d.  h.  Scholz,  Stockh.  und  mich,  mit  Nadeln  beschenkt.  Eine 
recht  schöne  Perle,  die  ich  tragen  werde. 


Von  Bernhard  Scholz 

Hammermühle  den  lo.  Juni  1861. 

Lieber  Freund! 
och  keine  Entscheidung !  Ich  neige  auch  bereits  stark 
zu  der  Ansicht,  daß  ich  trotz  des  königlichen  Wortes 
bis  zu  der  gesetzten  Frist  keine  Entscheidung  bekomme. 
Es  ist  für  Se.  Maj.  die  bequemste  Art  sich  aus  der  Affaire 
zu  ziehen  und  nachher  zu  sagen:  „Scholz  hat  ja  meinen 
Bescheid  nicht  abwarten  wollen;  ich  war  ihm  günstig  u. 
hätte  Niemann  wohl  gezwungen".  . . . 

Ich  zeige  Ihnen  sofort  das  Resultat  der  Geschichte  an, 
wenn  es  sich  durch  Entscheidung  oder  auch  durch  Schwei- 
gen des  Königs  herausgestellt  hat. 

Ich  bin  in  Ffurt  bei  Herrn  von  Guaita  gewesen  und 
vermuthe  aus  dem  freundlichen  Empfang,  der  mir  zu  Theil 
wurde,  daß  Sie  ihm  schon  geschrieben  haben.  Sollte  ich 
mich  irren,   so  thun   Sie  es,  ich  bitte,   noch,   damit  seine 

^)  Über  Alb.  Niemanns  Konflikt  mit  Scholz  vgl.  Fischer  igo  f.  u.  Scholz, 
Verklungene  Weisen  S.  i49f- 


N 


Von  Bernhard  Scholz  189 

gute  Gesinnung  zum  Superlativ  gesteigert  werde.  Sollte 
sich  die  Sache  in  Ffurt  machen,  so  wäre  ich  wenigstens 
in  einer  Beziehung  leidlich  entschädigt,  —  und  doch,  wie 
ungern  scheide  ich  von  Hannover  und  —  und  von  Ihnen!  Es 
war  so  schön  und  wäre  noch  schöner  geworden !  —  Finden 
Sie  noch,  daß  ich  nicht  Ursache  habe,  einen  Menschen 
von  Herzen  zu  hassen,  der  mir  eine  schöne  Zukunft  aus 
reinem  Frevelmuth  zerstört?!  —  Ich  werde  bitter  über  die 
Geschichte  und  will  schweigen. 

Wir  leben  hier  vergnügt,  sind  wohl,  die  Kinder  gedeihen 
prächtig,  und  ich  hätte  Ursache  ganz  glücklich  zu  sein, 
wenn  nicht  die  fatale  Geschichte  mir  alle  paar  Stunden 
einmal  einfiele.  Das  ist's,  was  mich  am  meisten  ärgert,  daß 
sie  mir  nun  schon  wochenlang  die  Stimmung  verdirbt  und 
noch  verderben  wird.  Das  Einzige,  was  mich  mitunter  freut, 
ist  die  Rache,  die  wir  am  König  nehmen  werden.  Es  ist 
doch  ein  schönes  Ding  darum,  und  ich  werde  auch  an  N : 
noch  auf  die  eine  oder  andere  Art  Rache  genießen;  deß 
bin  ich  sicher.  Zum  Arbeiten  kam  und  komme  ich  noch 
nicht;  ich  denke  wohl  immer  an  mein  Requiem,  aber  es 
muß  erst  wieder  ruhiger  in  mir  werden,  ehe  ich  mich 
sammeln  kann. 

Ich  fülle  meine  Zeit  mit  Spazierengehen,  Fahren,  Schießen 
u.  s.  w.  aus;  unsere  herrliche  Gegend  ist  so  einladend  zum 
Genuß!  Kommen  Sie  bald  zu  mir  u.  zu  uns!  —  Vielleicht 
habe  ich  Sie  den  Winter  nicht  mehr! 

Schreiben  Sie  mir  bald  wieder;  ich  habe  es  recht  nöthig! 

Paula  grüßt  und  all'  die  Meinigen!  Wie  gern  wären 
Sie  hier  aufgenommen! 

Meine  Frau  schickt  Ihnen  tausend  Grüße,  wie  auch  ich, 

Ihr  getreuer 

Scholz. 


i4o  Von  Clara  Schumann 


Von  Clara  Schumann 

Spa  d.  12.  Juni  1861. 

...Die  Gegend  ist  lieblich,  wo  man  hingeht,  überall 
schöner  Wald,  wie  müßte  Ihnen  und  Johannes  das  gefallen! 
Könnte  ich  es  nur  mit  einiger  Heiterkeit  genießen!  aber 
da  kommt  mir  immer  die  Wehmuth,  je  schöner  die  Natur, 
desto  mehr  fühle  ich  die  Trauer,  nichts  mehr  mit  Ihm,  dem 
geliebten  Manne,  genießen  zu  können.  Ach,  lieber  Freund, 
was  kann  die  ganze  lachende  Natur  sein  gegen  einen  lieben, 
freundlichen  Blick,  der  mir  von  Ihm  kam !  nur  in  lieber, 
anregender  Gesellschaft  gewinnen  diese  Gedanken  nicht 
die  Oberhand  —  dann  freut  mich  auch,  was  sonst  Schönes 
mich  umgiebt ! .  .  , 

Wie  froh  war  ich,  nicht  zu  dem  Concerte  nach  Hannover 
gekommen  zu  sein,  das  hätte  mich  doch  schrecklich  ge- 
ärgert! —  Sie  thaten  freilich  am  besten,  der  Sache  die 
komische  Seite  abzugewinnen,  für  meinen  Geldbeutel  aber 
wäre  es  doch  etwas  tragikomisch  gewesen. 

Ob  Sie  nun  wohl  in  Berlin  waren?  oder  Johannes  etwa 
bei  Ihnen  ist?  oder  Sie  dort  in  Hamburg?  was  wird  denn 
wohl  schließlich  für  den  Sommer  herauskommen? 

Bitte,  lieber  Freund,  schreiben  Sie  mir  bald,  recht  viel 
—  denken  Sie,  welche  Freude  Sie  mir  machen.  Meine 
Adresse  ist:  Spa  en  Belgique,  Palais  de  Westminster  N"^"  9^. 
Denken  Sie  nicht  etwa,  ich  wohnte  in  einem  wirklichen 
Palais  —  hier  nennt  man  jedes  kleine  Haus  Palais  oder 
Hotel,  jedes  Zimmer,  worin  man  sich  eben  nur  umdrehen 
kann,  Salon. 

Wie  ist  es  mit  Scholz  geworden?  gewiß  noch  nichts  be- 
stimmt. Ich  glaube,  es  wird  mir  doch  recht  traurig  sein, 
wenn  ich  Sie  mal  nicht  mehr  in  Hannover  weiß  —  wo 
wird  man  Sie  dann  noch  finden! 


Von  Clara  Schumann 


i4i 


Nun,  liebster  Joachim,  seyen  Sie  innigst  von  mir  gegrüßt 
und  gedenken  Sie  Ihrer  getreuen  Freundin 

Cl.  Seh. 


Canone  per  tonos  a  4 

P 


J.  B. 


(Fine) 


m^^^^^^^^^^ 


Tö  -  ne,     lin-dern-der  Klang,  Du  kannst  nicht    neh  -  men     die 


^tLiI  f  1 1  ^'-^^^^=^^^^^^^3^ 


Schmer-zen 


A     -    her    die  Tö  -  ne  viel -leicht 


^^^^^P^^ 


dem    die     lei  -  den  -  de    Brust. 


Der  Canon,  von  dem  ich  Ihnen  neulich  sprach  —  er  klingt 
so  schön. 


^)  Canon  in  der  Unterquarte. 


J.  Brahms. 


^^^^^^^^Öi 


=4- 


fS^  cif  r 


m^ 


1^^:^-. 


m^n^ 


'^fe^^^ 


PE* 


^ 


-T|.fc 


M. 


i42  Von  Frau  Scholz 


Von  Frau  Scholz 


Hammermühle  i4.  Juni  6i, 


Wenn  ich  jetzt  meinen  Vortheil  zu  wahren  wüßte, 
liebster  Meister,  so  wartete  ich  in  aller  Ruhe,  bis 
Sie  wieder  in  Hannover  oder  irgend  wo  anders  säßen  u., 
so  gut  wie  ein  Anderer  hie  u.  da  zu  einem  langweiligen 
Stündchen  verdammt,  jeden  Brief  mit  freundlichen  Augen 
betrachteten.  Ich  bin  Ihnen  aber  so  dankbar  für  die  Theil- 
nahme,  mit  der  Sie  uns  Nachricht  gaben,  daß  ich's  Ihnen 
jetzt  gleich  nach  Berlin  schreiben  muß.  —  Eben,  während 
ich  hier  schreibe,  erhebt  sich  ein  furchtbarer  Sturm,  u.  die 
großen  Akazien,  dicht  vor  meinen  Fenstern,  schütteln  mit 
solchem  Nachdruck  ihre  Häupter,  daß  ich  alle  contenance 
verliere.  Ich  glaube,  sie  wollen  durchaus  nicht,  daß  ich 
fortfahre;  ich  weiß  auch  jetzt,  woran  sie  denken:  „P.S. 
(Für  Ihre  Frau)",^)  ist  auch  wirklich  nicht  die  artigste 
Form,  unter  welcher  Jemand  an  Jemandes  Frau  schreibt; 
auch  nicht  die  einladendste  zur  Antwort  —  was  aber  dies 
„P.S.  (für  Ihre  Frau)"  enthielt,  war  doch  gar  zu  lieh  — 
Jemandes  Frau  muß  darauf  antworten.  Ich  danke  recht 
herzlich  u.  weiß  gar  nicht,  was  ich  dazu  sagen  soll,  daß 
Sie  sogar  unsere  Wohnung  besuchten. 

Mein  Mann  hat  nach  Ihrem  letzten  Briefe  an  Kaulbach 
geschrieben  u.  ihn  darum  gebeten,  Sr.  Majestät  doch  wo 
möglich  an  eine  direkte  Zusage  erinnern  zu  lassen;  aber 
vor  der  Ankunft  dieses  Schreibens  in  H.,  heute  früh,  kamen 
3  Telegramme,  eines  von  Kaulb. ,  eines  von  der  Theater- 
direktion u.  ein  späteres  vom  Hrn.  Cbtsrth.  Lex  direkt, 
alle  desselben  Inhalts:  Sr.  Majestät  würde  dem  N.[iemann] 
befehlen,  unter  S.  zu  singen,  dessen  Kündigung  sei  also  als 

*)  So  hatte  J.  eine  Notiz  für  Frau  Seh.  in  einem  Briefe  an  ihren  Mann 
eingeleitet. 


Von  Frau  Scholz  i43 

nicht  angenommen  zu  betrachten.  Wir  haben  uns  sehr 
gefreut,  denn  i)  Sie  u.  2)  das  übrige  Hannover  verlieren 
zu  sollen,  war  uns  keine  glückliche  Aussicht.  Nun  können 
wir  uns  ruhig  u.  sorgenfrei  unseres  stillen  Landlebens 
freuen.  Mein  Mann  läßt  Sie  tausendmal  grüßen ;  er  macht 
mit  der  Mutter  u,  den  Schwestern  eine  kl.  Parthie  an  den 
Rhein,  wo  sie  junge  Streckers  treffen  wollen.  Ich  kann 
noch  nicht  länger  von  Haus  weg  u.  bin  deßwegen  seit- 
her, in  Mainz  u.  Wiesbaden  abgerechnet,  immer  auf 
der  Mühle  geblieben.  Die  Kinder  danken  mir's  auch 
sehr;  sie  haben  so  dicke,  rothe  Backen,  daß  es  ein 
wahrer  Staat  ist;  der  Henni  ist  es  unter  dem  Vieh  gar 
zu  wohl;  sie  findet  darunter  ihren  genußreichsten  Um- 
gang. ... 

Ihr  Adam  Bede  liegt  in  meinem  Schreibtische  u.  freut 
sich  seines  prächtigen  Einbandes;  zur  Stunde  weiß  noch 
kein  Mensch,  ob  er  auch  ein  schönes  Innere  hat.  Aber  ich 
will's  zu  erfahren  suchen,  sobald  ein  ganzes  Regiment 
kleiner  Röckchen,  Kittelchen  u.  Kleidchen,  welche  der  Ruhe 
der  Mühle  ihre  Entstehung  danken  sollen,  erst  meiner 
Nadel  entwachsen  sind  u.  sich  an  die  runden,  rosigen  Glie- 
derchen  ihrer  munteren  Besitzer  schmiegen.  Ein  gutes 
Drittheil  davon  ist  überwunden  u.  ich  stichle  wacker  mei- 
nem Adam  Bede  entgegen. 

Lieber  Joachim !  ich  habe  Sie  sehr  lieb,  u.  jeden  Anderen 
würde  ich  herzlich  drum  beneiden,  wenn  er  den  ganzen 
Tag  so  um  die  Tochter  der  Bettina  sein  dürfte,  die  gewiß 
manchen  Zug  von  ihrer  herrlichen  Mutter  hat.  Vor  dem 
Herman  Grimm  würde  ich  mich  zu  Tode  fürchten,  denn 
wenn  der  wirklich  gescheiter  ist,  als  Sie  (was  ich  übrigens 
ganz  unter  uns  gar  nicht  glaube),  so  können  ja  andere  Men- 
schen gar  nicht  bei  ihm  aushalten. 

Mein  Mann  bittet  sich  für  diesmal  eine  katholische 
Adresse  aus.  Sie  können  mir  jetzt  eigentlich  auch  einmal 
schreiben  u.  ein  bischen  viel. 


i44  ^on  Frau  Scholz 

Bernhard,  Henni  u.  Paula  grüßen,  u.  ich  bleibe  von 
Herzen  Ihre 

Luise  Scholz. 
[Nachschrift  von  Beruh.  Scholz:] 
Mien  leiw  Friend! 
Ditmal  is  de  Sak  nich  mit'n  verkihrt  En'n  tau  ierst  tor 
Welt  kamen,  un  wenn  weck  gefesselt  an  den  Stufen  des 
Throns  stahn  möten,  dann  is  Hei  dat,  un  nich  wi. 

Gestern  bekam  ich  Nachricht  von  Kaulbach,  Uentze  u. 
Lex,  daß  Niemann  fortan  unter  mir  singen  müsse  u.  daß 
meine  Kündigung  als  ungeschehen  angesehen  werden 
solle.  —  Bong! 

Adjüs  für  heute! 
Laten  Sei  bald  weder  wat  von  Sik  hüren. 
Von  ganzem  Herzen 
Der  Ihrige 

Scholz. 

Von  Frau  Scholz 

Hammer mühle  22.  Juni  61. 

Ew.  Wohlgeboren 
besonderer  Güte  erlaube  ich  mir  Überbringer  dieses  ^),  einen 
jungen  Menschen  zu  empfehlen,  der  mit  geringen  Mitteln 
sich  vergeblich  quält,  Etwas  zu  Stande  zu  bringen.  Er  hat 
zwar  viel  Streben  und  wenig  Talent,  dagegen  ist  er  durch 
ein  sehr  ungefälliges  Aeußere  ausgezeichnet.  Von  ganz  ob- 
scurer  Herkunft,  hat  er  sich  6  hessische  Fuß  in  die  Höhe 
gearbeitet  u.  darin  liegt  eigentlich  das  Verdienst,  dem  er 
meine  Empfehlung  verdankt.  Da  nun  auch  mein  Wahl- 
spruch lautet: 

„Entbehre,  was  Dir  Gott  beschieden, 
„Genieße  froh,  was  Du  nicht  hast!", 

*)  ihren  Manu,  vgl.  den  folgenden  Brief. 


An  Frau  Scholz  i45 


so  verbleibe  ich,  in  Bezug  auf  Obiges  Ew.  Wohlgeboren 
ganz  ergebenste  u.  s.  w.  —  „P.  S.  (Für  Joachim)"  Ich  ver- 
diene ein  ganz  besonderes  benefice;  nicht  daß  Sie  in  einem 
Concerte  für  mich  spielen  sollen,  sondern  daß  ich  gern 
einen  Brief  von  Ihnen  möchte.  Edle  Seelen  wollen  zwar 
nicht  bemitleidet  sein,  aber  bei  Ihnen,  scheint  es,  muß  man 
ganz  besonders  an  die  Barmherzigkeit  appelliren,  um  auch 
nur  einen  Buchstaben  aus  Ihnen  herauszupressen.  So  hören 
Sie  denn:  ich  entsage  willig  einer  vier  wöchentlichen 
Reise  in  Gesellschaft  meines  Mannes  nach  der 
Schweiz  u.  nach  Italien,  aber  dafür  will  ich  einen  Brief 
von  Ihnen.  Kommen  dürfen  Sie  nicht  eher,  als  bis  Alle 
wieder  da  sind,  natürlich,  denn  mein  Mann  will  erst  die 
Reise  u.  dann  auch  Sie  für  sich,  dafür  will  ich  aber  einen 
Brief  von  Ihnen.  Ich  werde  in  der  nächsten  Zeit  viel  Land- 
leben, viel  Kinder  u.  viel  Langeweile  erleben,  dagegen 
wenig  Angenehmes,  dafür  will  ich  aber  einen  langen  Brief 
von  Ihnen.  Sie  haben  mir  erlaubt,  aggressiv  zu  sein,  dafür 
will  ich  aber  einen  Brief  von  Ihnen.  Ich  beneide  meinen 
Mann  herzlich,  daß  er  zu  Ihnen  kommt;  geben  Sie  ihm 
Ihre  nächste  Adresse  u.  machen  Sie  ihm  das  Leben  mög- 
lichst sauer. 

Leben  Sie  wohl! 

Ihre 

Luise  Scholz. 

An  Frau  Scholz 

[Hannover  etwa  il\.  Jmii  1861.] 

Verehrteste  Freundin 

Ich  bin  wirklich  trostlos,  daß  der  arme  Bernhard  durch 
telegraphische  Depeschen  in  seinem  Sommer-Aufenthalt 
inkommodirt  werden  muß!  Sie  sind  hoffentlich  auch  ohne 
meine  Versicherung   überzeugt,   daß   ich  völlig  schuldlos 


i46  An  Frau  Scholz 


daran  bin;  so  sehr  ich  mich  natürhch  auch  freue,  ihn  so 
unverhofft  wiederzusehen.  Ich  hatte  eigends,  als  ich  hörte, 
daß  B.  dieser  Blitzstrahl  aus  dem  heitern  Himmel  König- 
licher Gnade  drohte,  andeuten  lassen,  daß  ich  auf  S*^  Maj 
Wunsch  auch  mit  Wehner  einmal  ausnahmsweise  musi- 
ciren  könnte!  Das  scheint  aber  nicht  gefruchtet  zu  haben. 
Es  ist  recht  ärgerlich,  eine  schöne  Reise  in  die  republika- 
nische Schweiz  um  einen  russischen  Großfürsten  aufgeben 
zu  müssen!  Indeß  dürfen  wir's  der  letzten  Königl:  Ent- 
scheidung wegen  nun  nicht  zu  genau  nehmen,  und  schließ- 
lich ist's  ja  auch  diesmal  sehr  gut  gemeint,  wenn's  auch 
ungeschickt  rücksichtlos  herauskömmt.  Diese  hochver- 
rätherische  Auffassung  wollen  wir  aber  unter  uns  genießen; 
die  andern  mögen  in  gehörigem  Respekt  vor  der  neuen 
Blume  aus  dem  Füllhorn  Königl'  Gnade  ersterben,  umso- 
mehr  als  hier  noch  mancher  Tenoristen -Trugschluß  im 
Publikum  cirkulirt.  „Thut  uns  aber  weiter  keinen  Ab- 
bruch" i)  wie  Rabe  sich  ausdrückt!  —  Ich  bin  erst  seit 
2  Tagen  von  Berlin  wieder  zurück.  Es  waren  sehr  schöne 
Tage;  ich  wohnte  bei  Schumann's,  von  denen  aber  nur  die 
beiden  Jüngsten,  Felix  und  Eugenie,  ein  paar  herzige  Kin- 
der, dort  waren;  Frau  Seh.  selbst  ist  in  Spa.  Die  meiste 
Zeit  aber  war  ich  bei  meinen  Freunden ,  den  Grimms,  bei 
denen  mir's  so  gut  gefiel,  daß  ich  eben  gar  keine  Einzel- 
heit besonders  hervorzuheben  wüßte.  Wir  plauderten,  musi- 
cirten,  sahen  zusammen  liebe  Menschen,  gute  Bilder,  fuhren 
spazieren,  und  doch  war's  das  alles  nicht,  was  den  Aufent- 
halt mir  reizend  gestaltete !  Es  ist  auch  nur  eine  nüchterne, 
prosaische  Bezeichnung,  wenn  ich's  den  guten  Genius  nenne, 
der  echte  Freunde  immer  als  das  Bewußtsein  begleitet,  ver- 
stehend verstanden  zu  werden.  Das  Beste  kann  im  Freundes- 
verkehr, wie  bei  einem  echten  Kunstwerk  gar  nicht  erklärt 
werden.  Ein  reizender  Besuch  aber,  der  von  auswärts  unter 

^)  Js.  Diener  R.  hatte  diesen  Ausspruch    nach  Anhören    des  Geigers 
Ole  Bull  getan. 


An  Clara  Schumann  l47 

meine  Berliner  Freuden  flog,  und  für  den  ich  eigentlich 
aus  vollstem  Herzen  zu  danken  hätte  anfangen  müssen,  be- 
vor ich  noch  was  anderes  mittheilte,  war  Ihr  lieber,  guter, 
lebenathmender  Brief!  War  mir's  doch,  als  hätte  ich  Sie 
alle  in  der  großen  Stube  vor  mir,  so  sehr  verstehen  Sie's 
schreibend  ein  Bild  Ihrer  gesammten,  wohlthuenden  Exi- 
stenz hervorzurufen.  Wie  preise  ich  das  gute  Geschick,  das 
mir  vergönnt,  Sie  und  Bernhard  in  der  Nähe  zu  behalten! 
Ich  denke,  wir  werden  uns  noch  oft  des  eigenthümlichen 
Dramas  mit  der  befriedigenden  Lösung  in  der  Erinnerung 
freuen.  Ihren  Brief  habe  ich  Grimms  mitgetheilt,  denen 
ich  viel  von  den  neuen  Freunden  erzählen  mußte.  Ich  hoffe, 
die  Akazien  schütteln  diesmal  nicht  die  Häupter,  sondern 
nicken  sanft  zustimmend. 

Herman  G.  will  mich  im  Herbst  einmal  besuchen;  dann 
sollen  Sie  Sich  überzeugen,  daß  Sie  mich  in  Ihrem  Un- 
glauben überschätzt  haben.  —  Über  meine  noch  immer  un- 
stäten  Sommer -Pläne  wird  Ihnen  Bernhardus  berichten, 
ich  habe  gegen  meine  Gewohnheit  viel  geschwatzt  und 
muß  wohl  aufhören !  Nur  noch  viele  Grüße  an  Ihre  Eltern, 
Schwiegereltern,  Schwägerinnen,  an  alle,  die  Ihnen  lieb 
sind  und  sich  meiner  noch  erinnern. 

Aufrichtigst  ergeben 

J.  Joachim. 

Der  Henni  und  dem  Buba  einen  Kuß. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  28.  Juni  1861.] 
Liebe,  verehrte  Freundin. 

Sie  werden  sehr  erstauen  über  die  Eröffnung,  die  ich 
Ihnen  jetzt  machen  werde:  daß  ich  nämlich  den  Som- 
mer über  ganz  ruhig  hier  bleiben  will!  Ich  bin  so  viel 
hin  und  her  gewesen   in   diesem  Jahr,  daß  ich  förmliche 


l48  An  Clara  Schumann 

Sehnsucht  nach  Ruhe  habe,  und  die  ist  mir  erst  jetzt  hier 
gegönnt.  Die  Zeit  seit  Berhn  war  durch  3  Concerte  hei 
Hof  (wegen  der  Russischen,  Oldenburgischen,  Badischen 
etc.  etc.  Besuche),  zu  denen  auch  Scholz  als  Begleiter  tele- 
graphirt  ward,  recht  zerstückelt.  Scholz,  der  nicht  einmal 
in  seine  Wohnung  konnte,  weil  das  Mädchen  mit  dem 
Schlüssel  nach  Haus  gereist  war,  lebte  die  ganze  Zeit  bei 
mir,  dazu  kam  das  lange  Aufbleiben,  kurz,  an  Arbeitstim- 
mung und  Fleiß  war  unter  solchen  Umständen  nicht  zu 
denken.  Nun  aber  denke  ich,  soll's  in  meiner  fi-ischen, 
gegen  Wärme  sehr  geschützten  Gartenstube  recht  heimisch 
werden,  und  ich  hoffe,  Ihnen  bald  sagen  zu  können,  daß 
ich  mitten  in  der  Arbeit  stecke,  bis  über  die  Ohren !  Später 
wollen  wir  dann  in  der  Schweiz,  oder  wo  Sie  wollen,  zu- 
sammentreffen. Ich  habe  für  den  1 9""'  August  ein  Engage- 
ment in  Antwerpen  angenommen,  wo  die  Eroica,  die  Wal- 
purgisnacht und  das  Beethoven'sche  Concert  in's  Programm 
aufgenommen  sind  und  man  mir  für  das  letztere  1 5oo  francs 
bestimmt  hat.  Das  durfte  ich  doch  nicht  ausschlagen !  Wie 
schön  kann  ich  dann  für  die  Summe  eine  Reise  zur  Er- 
holung machen,  wenn  ich  bis  dahin  recht  arbeite.  —  Lassen 
Sie  mich  nun  recht  bald  wissen,  Avas  Sie  nach  Spa  be- 
ginnen. Mit  dem  Aufenthalt  in  diesem  Bad  muß  es  für 
Sie  bald  zu  Ende  gehen.  —  Ich  habe  Ihnen  noch  so  viel 
zu  danken  für  den  Aufenthalt  in  Berlin!  Felix  und  Eugenie 
waren  gar  so  lieb,  und  in  der  ganzen  Wohnung  wehte  der 
Geist  Ihrer  Fürsorge,  trotz  der  Entfernung.  Auch  ist  die 
Lage  zehr  reizend,  und  ich  begreife  immer  nicht,  daß  Sie 
Berlin  gar  so  hassens würdig  finden.  Es  ist  und  bleibt  denn 
doch  die  geistig  belebteste  Stadt  Deutschlands,  und  das 
will  wahrlich  viel  sagen.  Mit  etwas  Ausdauer  und  dem 
für  die  Berliner  dadurch  erwachsenden  Gefühl,  daß  Sie 
wirklich  dort  festen  Wohnsitz  gründen  wollen,  würden  Sie 
bald  dort  den  wohlthätigsten  Einfluß  Ihrer  reinen,  be- 
geisterten Kunstausübung  merken.   Die  kurze  Zeit,  die  Sie 


Von  Frau  Scholz  i49 

bisher  widerwillig  dort  weilten,  konnte  in  einer  so 
großen  Stadt  noch  keine  Wirkung  nach  sich  ziehen.  Wir 
müssen  einmal  mündlich  auf  dies  Thema  kommen.  —  Für 
Felix'chens  Violinspiel  konnte  ich  bis  jetzt  leider  noch  nichts 
weiter  thun,  als  ihm  anempfehlen,  nur  in  den  Stunden 
mit  dem  Lehrer  und  auf  einer  etwas  größern  Violine  zu 
spielen,  die  ihm  der  Geigenmacher  Grimm  geben  wird, 
sobald  er  sie  holt.  Allein  zu  üben,  fehlt's  dem  kleinen 
Jungen  doch  noch  an  Crtheil,  obgleich  er  ganz  gut  hört, 
wenn  ein  anderer  falsch  greift.  Ich  durfte  auch  lange  Zeit 
nicht  allein  üben.  Bei  der  Violine  ist's  damit  natürlich 
anders  zu  halten  wie  beim  Klavier,  wo  die  Töne  fertig  und 
rein  vom  Stimmer  überliefert  werden.  Ich  muß  dann  im 
Herbst  wieder  einmal  nachsehen.  —  Ich  soll  Ihnen  von 
der  Königin  sagen,  daß  sie  ein  kleines  Hufeisen  für  Sie  habe 
besorgen  lassen  und  es  Ihnen  bald  einmal  zu  übergeben 
hoffte,  da  es  Glück  bringt.  Sie  hätten  das  von  Frl.  Wentzel  ^) 
einmal  gelobt,  und  es  wäre  annähernd  so,  wenn  es  auch 
nicht  ganz  gleich  geschafft  werden  konnte. 

Den  schönen  Kanon  habe  ich  dankend,  d.  h.  Ihrer  den- 
kend gelöst.    Frl.  Marie  einen  freundlichen  Gruß  von  mir, 

Ihrem  altergebenen 

.1.  .1. 


Von  Frau  Scholz 

Hammermühle  5.  Juli  6i. 

So  glücklich  hat  mich  Ihr  liebenswürdiger  Brief  gemacht, 
lieber  Joachim,  daß  ich  bis  heute  mit  der  Antwort  u. 
dem  Danke  an  mich  hielt,  aus  Furcht,  meine  Unbescheiden- 
heit  ließe  Reue  in  Ihnen  aufkommen.  Aber  ich  habe  ja 
außerdem  noch  für  eine  so  schöne  Aufmerksamkeit  zu 
danken  u.  überhaupt  — 'ch  kann  nun  nicht  mehr  still  sein. 

^)  Klavierlehrerin  der  Prinzessinnen. 


l5o  Von  Frau  Scholz 


Der  Gruß  zum  28.  hat  mich  unendlich  gefreut,  u.  das  kl. 
Buch  ist  wirklich  „ein  frischer  Bursche"  ^)  durch  u.  durch. 
Ganz  besonders  will  mir  die  Idee  behagen,  einen  Schul- 
meister einmal  als  warmen  Freund  seiner  Zöglinge  u.  nicht 
als  ihr  Popanz  aufzuführen.  Außerdem  gibt  ein  ganz  frem- 
der Schauplatz  auch  der  einfachsten  Erzählung  etwas  Pi- 
kantes. Es  war  mir  eine  erquickHche  Lektüre. 

Mein  Mann  war  durch  Sie  ganz  getröstet  über  das  lang- 
weilige Hin-  u.  Herreisen  u.  sprach  nur  von  der  Freude, 
Sie  vier  Tage  ganz  u.  gar  gehabt  zu  haben.  Ich  kann's 
verstehen !  Heute  überraschte  mich  ein  lieber,  lieber  Brief 
von  ihm  aus  Flüelen,  u.  da  ich  „alle  Lieben"  grüßen  soll, 
kann  ich  Sie  gewiß  nicht  ausnehmen.  Sie  haben  ihre  Reise- 
rute des  schlechten  Wetters  wegen  herumgekehrt,  gehen 
gleich  nach  Lugano  u.  dann  in's  Berner  Oberland.  Morgen 
sind  es  acht  Tage,  daß  Bernhard  von  mir  fort  ist  —  sie 
kommen  mir  vor  wie  eine  Ewigkeit !  In  solcher  Zeit  macht 
mir  die  Welt  einen  fatalen  Eindruck,  ^icht,  daß  ich  eigen- 
lich  traurig  wäre,  denn  er  genießt  ja  froh,  aber  ich  laufe 
als  Hälfte  herum  u.  weiß  nicht  mehr  recht,  wie  ich  zu 
dem  ganzen  Kram  stehe.  Bald  kommt  mir  die  W  elt  so  groß 
vor,  daß  mir  scheint,  ich  könne  mich  nicht  mehr  darin 
zurecht  finden,  bald  so  eng,  daß  mir  ist,  als  läge  ich  an 
Händen  u.  Füßen  gefesselt  u.  müßte  doch  hinaus,  hinauf! 
Daß  ich  mich  überhaupt  so  wenig  über  mich  selbst  erheben 
kann  u.  bin  so  ein  armer,  kleiner  Wurm  all  dem  Großen, 
Schönen  u.  Wunderbaren  gegenüber,  das  von  allen  Seiten 
auf  mich  einstürmt! 

Ich  habe  mich  über  die  Rahel  geärgert!  Das  ist  doch 
eine  gar  zu  kranke,  eitle  Judenmadam.  Sie  mag  recht  viel 
Bildung  u.  Verstand  haben;  dabei  macht  sie  aber  einen 
Spektakel  mit  ihrem  Gefühl,  daß  Einem  Hören  u.  Sehen 
vergeht;  u.  der  Weltschmerz!  vor  dem  hab  ich  einmal 
allen  Respekt;  deßhalb  bleibt  mir  auch  der  X  eine  höchst 

*)  Von  Björnson. 


Von  Frau  Scholz  i5i 

unsympathische,  wenn  auch  allerwärts  schön  drapirte  Er- 
scheinung. 

Denken  Sie  nur,  der  Moleschott  hat  über  mich  gebrummt, 
daß  ich  ihm  den  Michel  Kohlhaas  empfohlen  u.  kann  nicht 
begreifen,  warum.  Ist  das  zu  verstehen?  Auch  er  hat  durch 
seinen  Brief  meinen  Geburtstag  nicht  wenig  verherrlicht. 
Es  ist  ein  schöner  Tag,  wenn  man  ihn  aus  dem  Schooße 
des  Glückes  anlacht.  So  mannigfach  sonst  meine  Empfin- 
dungen bei  dieser  Jahresfeier  waren,  so  bestimmt  sind  sie 
jetzt  und  nehmen  alle  eine  Richtung.  Ich  meine  die  der 
innigsten  Dankbarkeit  für  meinen  Mann,  der  mich  vor 
einem  traurigen  Schicksale  bewahrte,  der  mich  in  sein 
warmes,  großes  Herz  zog  u.  der  mir  Seligkeiten  gab,  die 
mir  in  jeder  Stunde  aus  zwei  blauen  Augenpaaren  entgegen- 
strahlen. —  Es  war  ein  schöner  Tag !  Meine  Eltern  waren 
auch  da  —  liebe  Freunde  dachten  an  mich;  u.  ich  bekam 
auch  wunderschöne  Sachen!  Abends  kam  zufällig  ein  Or- 
gelmann auf  die  Mühle,  den  ließen  wir  aufspielen  u.  tanzten 
in  der  freien  Natur  tüchtig  drauf  los.  —  Die  Henni  erwischt 
jede  Feder,  die  sie  finden  kann  u.  will  dem  „Mann"  schrei- 
ben; ich  zeige  ihr  zuweilen  Ihr  Bild,  das  sie  immer  freudig 
begrüßt.  Mit  dem  Sprechen  geht  es  jetzt  etwas  voran;  das 
lernt  sie  von  dem  kl.  Vetter.  Sie  läuft  mit  einem  kurz  ge- 
schorenen Köpfchen  herum,  was  ihr  allerliebst  kleidet.  Der 
Buwa  wiegt  19  i^  u.  hat  zwei  Zähnchen. 

Grüßen  Sie  mir  den  alten  Herrn  ^),  wenn  Sie  ihn  sehen, 
so  herzlich  Sie  können.  Auch  auf  ihn  freue  ich  mich  ganz 
ungeheuer.  Ach,  wenn  ich  mir  denke,  daß  wir  des  Abends 
wieder  bei  Ihnen  sitzen  —  Sie  als  Rauchsclave  zu  Füßen 
des  alten  Herrn,  der  Bär  in  einem  Sessel  lungernd,  der 
Unvermeidliche  als  schöner  Statist  u.  allenfalls  noch  die 
M.  Soest,  in  ihr  glücklichstes  Lachen  ausbrechend,  bei  je- 
dem freundlichen  Worte,  das  Sie  ihr  sagen  —  wenn  ich 
mir  das  so  denke,  sehne  ich  mich  recht  nach  Hannover, 

*)  den  Geiger  Nicola. 


l52  An  seine  Eltern 


meiner  jetzigen  eigentlichen  Heimath.  Es  wäre  mir  ein 
großer  Schmerz  gewesen  von  dort  zu  scheiden,  von  dem 
Fleckchen  Erde,  wo  ich  meine  beiden  Kinder  zum  ersten 
Male  an's  Herz  gedrückt  u.  wo  wir  Sie  erworben. 

Die  Akazien  stehen  regungslos;  sie  sind  starr  über  die 
Unverschämtheit,  mit  der  ich  Ihnen  alle  die  Geständnisse 
mache  u.  scheinbar  Ihres  Gleichen  bin.  Denken  Sie  zu- 
weilen, wie  allein  ich  hier  bin;  das  hat  vielleicht  einen  für 
mich  günstigen  Erfolg! 

Leben  Sie  wohl! 

Luise  Scholz. 

An  seine  Eltern 

[Hannover  i.  Hälfte  Juli  1861.] 
Liebe  Eltern 

Es  ist  mir  lieb,  daß  die  Theilnahme  für  den  jungen 
Auer  diesem  zu  einem  guten  Instrument  verhelfen  soll. 
Er  braucht  es  allerdings  nöthig,  da  seine  jetzige  Violine 
nicht  im  Verhältniß  zu  seinem  Talent  und  seinen  Lei- 
stungen steht.  Doch  ist  es  nicht  nöthig,  eine  Violine  an 
mich  hieher  zu  senden,  namentlich  da  der  junge  Mann  mit 
seinem  Vater  zur  Hochzeit  seiner  Schwester  Ende  dieses 
Monats  nach  Ungarn  reist  und  jedenfalls  auch  nach  Pesth 
kommen  wird,  wo  es  dann  die  beste  Gelegenheit  giebt, 
wenn  die  Summe  bis  dahin  groß  genug  ist,  dem  Knaben 
und  seinem  Vater  die  Freude  zu  machen.  Ich  werde  dies 
auch  an  Liechtenstein  ^)  schreiben,  dem  ich  für  seinen  Eifer 
in  der  Sache  sehr  dankbar  bin.  Der  Wollsortirer  Auer  ist 
in  der  That  der  Bruder  des  alten  A.,  der  mir  ein  sehr 
ordentlicher  Mann  scheint  und  bereit  ist,  für  seinen  Jungen 
jedes  Opfer  zu  bringen.  Gestern  hatte  er  die  Freude,  daß 
sein  Sohn  mit  mir  beim  König  Duetten  spielte,  die  wir 

^)  Eine  mit  Js.  befreundete  Pester  Familie. 


An  Frau  Scholz  i53 


am  Sonnabend  wiederholen  müssen,  so  gut  war  der  Köniy 
mit  der  Leistung  zufrieden.  Ich  bin  jetzt  jeden  Abend  zum 
Thee  in  Herrenhausen  (dem  eine  ^/g  Stunde  weit  gelegenen 
Sommeraufenthalt  der  Majestäten),  und  meist  musicire  ich 
auch  dann.  Die  Herrschaften  sind  immer  sehr  gnädig,  aber 
es  ist  doch  etwas  monoton,  jeden  Abend  zu  Hof  zu  müssen, 
und  so  werde  ich  denn  nächste  Woche  auf  einige  Tage  in 
den  Harz,  um  mich  an  den  Bergen  etwas  zu  erholen.  — 
Vom  lieben  Heinrich  hatte  ich  vor  etwa  lo  Tagen  Nach- 
richt aus  Elboeuf,  wo  er  seine  Geschäftsfreunde  besucht. 
Von  dort  aus  wird  er  wohl  nach  London  zurückkehren. 
Er  schien  sehr  wohlauf,  . . . 

An  Frau  Scholz 

[Hannover  etwa  8.  Juli   1861.J 

Liebe  PVau  Scholz 

In  mein  hier  ziemlich  gleichförmiges  Leben  bringen  Ihre 
willkommenen  Nachrichten  immer  die  liebste  Anregung, 
für  die  ich  danken  würde,  wenn  ich's  nicht  vorzöge,  die 
Schuld  anwachsen  zu  lassen ;  da  es  wahren  Freunden  gegen- 
über gar  nichts  Schöneres  giebt,  als  zu  fühlen,  wie  die  Ver- 
pflichtungen zu  einem  immer  schwereren  Anker  erstarken, 
der  aneinander  fesselt.  Ich  hoffe,  es  geht  Ihnen  und  dem 
Bernhard  eben  auch  nicht  anders,  wenn  Ihnen  in  der  Nähe 
meine  Violine  und  in  der  Ferne  meine  Theilnahme  manch- 
mal wohlthut.  Vom  Bernhard  werde  ich  wohl  kaum  was 
zu  hören  bekommen,  bevor  wir  uns  wiedersehen:  wir  Mu- 
siker schreiben  ungern,  und  wenn  man  vollends  mit  den 
liebsten  Schwestern  in  den  Alpen  herumstreifen  kann,  giebt 
das  die  schlimmsten  Aussichten  für  Brief  erwartende  Stuben- 
hocker in  der  Ferne.  Meine  Spaziergänge  beschränken  sich 
seit  14  Tagen  fast  nur  auf  Herrenhausen.  Ich  weiß,  Sie 
werden  nicht  vor  Neid  vergehen,  wenn  ich  Ihnen  sage,  daß 


i54  An  Frau  Scholz 


ich  allabendlich  dort  meinen  Thee  trinken  „darf",  um 
mich  loyal  auszudrücken;  zumal  wenn  ich  hinzufüge,  daß 
ich  vorher  allemal  mit  der  Zitterpappel  ^)  aus  dem  Norden 
zu  probiren  habe!  Ich  glaube  kaum,  daß  der  Hofkonditor 
(trotz  der  Sommerhitze)  so  viel  bei  der  Bereitung  der  Süßig- 
keiten zum  Theetisch  auszustehen  hat  als  ich,  wenn  ich 
mit  dem  wackern  Schweden  die  Romanzen,  Spohr'schen 
Adagios  etc.  vorher  koste,  die  der  König  des  Abends  zu 
consumiren  liebt.  Der  arme  Lindhult!  Er  klammert  sich 
vor  ängstlicher  Nervosität  förmlich  krampfartig  an  die 
Tasten  und  ist  schwer  vorwärts  zu  kriegen.  —  Doch  darf 
ich  auch  die  angenehme  Seite  der  Herrenhäuser  Abende 
nicht  vergessen:  Frau  Platzhof  singt  wundervoll  Lieder, 
wie  ich  außer  der  Lind  von  keiner  Frau  es  hörte,  und  dann 
ist  der  meist  einsame  (Lindhult  wohnt  draußen,  und  Kaul- 
bach ist  seiner  Braut  wegen  meist  in  der  Stadt)  Heimweg 
zu  Fuß  in  der  Lindenallee  bei  Nachtstille  sehr  wohlthätig. 
Des  herrlichen  Kometen  nicht  zu  vergessen,  den  Sie  hoffent- 
lich auch  genossen  haben! 

Der  alte  Herr  Nicola  hat  sich  Ihrer  Grüße  sehr  erfreut. 
Ich  wollte  ihn  überreden,  mich  in  den  Harz  zu  begleiten, 
wohin  ich  den  warmen  Strahlen  der  Königlichen  Gnade 
am  Sonntag  auf  einige  Tage  auszuweichen  gedenke;  aber 
seine  Flügel  sind  so  lange  nicht  gebraucht,  daß  sie  nicht 
mehr  leicht  in  die  Ferne  fliegen  können.  Schade  darum! 
Ob  ich  wohl  auch  einmal  so  hypochondrisch  unbrauchbar 
vereinsamen  werde?  Von  Kaulbach  soll  Ihnen  die  nächste 
Seite ^)  das  Gegentheil  versichern;  er  war  mit  seinem  aller- 
liebsten „nüdlichen"  Bräutchen  bei  mir,  und  selbst  das 
Hannöver'sche  kleidet  ihr  Mündchen  hübsch.  —  Werden 
Sie  denn  Frau  Schumann  einmal  in  Kreuznach  aufsuchen? 
Sie  ist  seit  8  Tagen  dort;  ich  habe  es  aber  noch  nicht  von 
ihr  selbst  erfahren.    Daß  Sie  der  kleinen  Henni  Gedanken 


*)  dem  schwedischen  Gesanglehrer  Lindhuh. 
^)  Kaulbachs  Verlobungsanzeige. 


Von  Bernhard  Scholz  i55 

auf  Federn  zum  „Mann"  trafen,  ist  Hebenswürdig,  küssen 
Sie  das  kleine  Ding  von  mir. 

Mit  freundschaftlichen  Grüßen  an  Sie  und  B. 
Der  Ihrige,  Eurige 

J.  J. 


Von  Bernhard  Scholz 

Lugano,  Belvedere  du  Parc  9  Juli   1861. 

Wir  leben  hier  im  Garten  Europas  herrlich  und  in 
Freuden,  in  angenehmer  Wohnung,  mit  der  schön- 
sten Aussicht  vor  den  Fenstern. 

Das  „Wir"  besteht  aus  meiner  Mutter,  drei  Schwestern 
und  1  Freundinnen  derselben  nebst  meiner  Wenigkeit. 
Trotzdem  also  6  Damen  auf  mich  einzigen  Herrn  kommen, 
gäbe  ich  doch  viel  darum,  wenn  meine  gute  liebe  Frau  u. 
ihre  resp.  meine  zwei  kleinen  Appendixe  auch  dabei  wären. 

Das  schlechte  W^etter  hat  uns  aus  der  nördl:  Schweiz 
rasch  vertrieben;  wir  sind  über  den  Gotthard  hierher  ge- 
flohen u.  habe  keine  Ursache,  es  zu  bereuen.  Wir  sind  nun 
5  Tage  hier,  wollen  aber  demnächst  weiter.  Ob  nördlich, 
zui'ück  nach  der  Schweiz,  oder  südlicher,  nach  Genua,  hängt 
von  Witterungsberichten  ab,  die  wir  heute  aus  Zürich  er- 
warten. Mir  sagt  südliche  Luft  und  Vegetation  nun  ein- 
mal mehr  als  alles  Andere  zu;  mir  ist,  als  ob  ich  leben- 
diger lebe,  frischer  empfinde,  als  ob  ich  hier  erst  in  vollem 
Besitze  meiner  5  Sinne  sei. 

Selbst  ein  furchtbarer  Kolikanfall,  der  mir  vorgestern 
nach  einem  unvorsichtig  genommenen  Bade  die  entsetz- 
lichsten Schmerzen  verursachte,  vermochte  nicht  die  Grund- 
stimmung innigsten  Behagens  über  das  Verweilen  in  dieser 
sonnigen  Natur  zu  trüben.  Die  Erde  steht  hier  in  einem 
engeren  Verhältniß  zur  Sonne,  zum  Licht,  zum  Urquell 
aller  Schönheit,  als  bei  uns,  im  feuchtkälteren  Norden  mit 


l56  Von  Bernhard  Scholz 

seiner  Nebelatinosphäre.  Ich  bin  drauf  und  dran,  ein  Feuer- 
anbeter zu  werden. 

Doch  will  ich  nicht  leugnen,  daß  auch  ein  düstrer  Himmel 
seine  Schönheiten  hat.  So  erschien  das  Reußthal,  durch 
welches  die  Gotthardstraße  auf  der  Nordseite  führt,  dop- 
pelt furchtbar  großartig  durch  die  finsteren  Wolken,  deren 
Farbe  so  gut  zu  der  der  gewaltigen  Felsformationen  stimmte. 
Es  war  freilich  kein  Anblick,  wie  man  ihn  lange  genießen 
möchte,  und  wir  waren  Alle  hocherfreut,  als  wir  vom  Gott- 
hard  hinab  in  die  klare  italienische  Luft  und  Welt  schauten; 
doch  war  es  schön! 

Wir  Beide  sollten  wirklich  einmal  zusammen  eine  Gebirgs- 
reise  machen ;  ich  glaube,  wir  würden  uns  gut  vertragen  und 
manche  guten  Früchte  ernten,  wenn  sie  auch  anderer  Art 
wären,  als  sie  Lammers  aus  der  Eilenriede  nach  Hause  trägt. 

Sie  haben  wohl  seitdem  den  Hochgenuß  gehabt,  die 
C-moll-Symphonie  nach  Gerold  i)  zu  genießen  und  die  kgl. 
Freude  über  diese  interessante  Art,  Beethoven  zu  variiren 
( —  die  derbere  Art  es  auszudrücken,  behalte  ich  mir  münd- 
lich vor,  wenn  wir  einmal  allein  u.  im  Dunkeln  spa- 
zieren gehen  — -)  theilen  zu  müssen.  Ich  wünsche,  daß 
ihnen  das  menu  der  Herrenhäuser  Musiken  weiter  keine 
Indigestionen  bereiten  mögen.  Ich  muß  nun  leider  auf  ein 
Gesundheitsbulletin  Ihrerseits  für  die  nächste  Zeit  ver- 
zichten, da  es  noch  unbestimmt  ist,  wohin  wir  unsre  Schritte 
lenken;  doch  bitte  ich  Sie  recht  dringend,  mir  in  späte- 
stens i4  Tagen  wieder  auf  die  Hammermühle  ein  Lebens- 
zeichen zu  senden,  als  Vorboten  Ihres  bald  darauf  folgen- 
den Besuchs,  auf  den  sich  Alles  freut. 

Herzlichen  Gruß  vom  Süden  nach  Norden.  Ich  wollte, 
ich  könnte  Ihnen  ein  Paar  italienische  Sonnenstrahlen  mit- 
schicken. 

Ihr  treuester 

Scholz. 

*)  Militärmusikdirektor. 


Von  Frau  Scholz  167 

Von  Frau  Scholz 

Hammermühle  22.  Juli  Gi. 

Wenn  Sie  mich  todtschlagen ,  liebster,  bester  Meister, 
so  weiß  ich  nicht,  ob's  der  24-  oder  25.  ist.  Aber 
einer  davon  ist  Ihr  Geburtstag  ^),  das  weiß  ich  gewiß.  Jetzt 
glauben  Sie  gewiß,  daß  ich  Ihnen  gratulieren  will?  Ich 
mag  aber  die  Sache  betrachten  wie  ich  will,  ich  finde 
immer,  ich  muß  mir  gratuliren.  Denn  ich  sehe  gar  nicht 
ein,  wie  es  für  Sie  noch  glücklicher  sein  soll,  als  für  uns, 
daß  Sie  da  sind,  u.  dafür  kann  ich  Ihnen  auch  nicht  dan- 
ken, weil  Sie  doch  gar  Nichts  dafür  können.  Alles,  was 
ich  Ihnen  wünschen  kann,  wünsche  ich  ebenso  gut  mir  — 
u.  so  bin  ich  in  einiger  Verlegenheit,  denn  es  gibt  nicht 
den  richtigen  Geburtstagsbrief!  Aber  vom  Bären  bin  ich  be- 
auftragt, Ihnen  von  Herzen  zu  gratuliren;  er  hat  in  den 
Alpen  keine  Zeit  zu  schreiben  u.  wird  desto  mehr  an  Sie 
denken.  —  Ich  habe  mich  erst  schön  geputzt,  um  Ihnen 
das  Alles  zu  sagen,  weil  ich  dann  festlicher  empfinde  u. 
Ihnen  unbefangener  schreiben  kann,  was  ich  meine. 

Ihr  voriger  Brief  kam  recht  wie  ein  guter  Engel  in  eine 
desperate  Stunde.  Es  hatten  mich  gerade  zwei  äußerst 
pedantische,  tugendhafte  Hausfrauen  in  den  Krallen  u. 
geißelten  mich  dergestalt  mit  den  feinsten  Stichen  u.  Hieben 
über  mein  pflichtvergessenes  Leben,  daß  ich  schon  anfangen 
wollte,  mich  zu  entschuldigen,  daß  ich  überhaupt  existire, 
als  mich  der  Anblick  Ihrer  schönen,  lieben  Handschrift 
hoch  in  den  Himmel  hob,  ich  mich  stolz  erhob  u.  die  bei- 
den ansah,  als  wären  sie  zwei  W^ürmer  tief  unter  mir  auf 
der  Erde.  .  . .  Die  Ehe  ist  ein  Kapitel,  über  das  ich  mich  gar 
zu  oft  zu  schämen  habe  für  die  ganze  Welt,  . . .  Ich  kann  gar 
nicht  begreifen,  wie  die  Menschen  mit  bescheidnen,  mit 
bedingten,  überhaupt  nur  mit  gemäßigten  Ansprüchen  hei- 

')  Vgl.  die  Anin.  S.  21. 


i58  Von  Frau  Scholz 

rathen  können.  Ich  habe  ganz  unmäßige  Forderungen  an 
dies  schönste  Verhältniß  gestelU,  wäre  aber  das  unglück- 
sehgste  Geschöpf  unter  der  Sonne,  wenn  sie  mir  nicht  erfüllt 
worden  wären.  Und  da  sehe  ich  mich  um  u.  sehe  überall 
diese  Art  von  Heiratherei!  —  u.  muß  so  oft  roth  darüber 
werden.  Hier  soll  das  Höchste  verlangt  werden,  hier  sind 
wir  berechtigt,  in  all  dem  prosaischen  Getriebe  unsere  Hoff- 
nungen u.  Wünsche  zum  Ideal  hinauf  zu  schwingen  u. 
Keiner  gefällt  mir,  der's  nicht  thut!  —  ... 

Ihr  Leben  muß  eben  nicht  das  beneidenswertheste  sein. 
Das  kommt  davon,  wenn  man  während  drei  Monaten  Ferien 
in  Hannover  hocken  bleibt,  sich  einbildet,  man  wolle  fleißig 
sein,  u.  doch  ganz  gewiß  nicht  sehr  viel  thut.  Ich  habe 
das  Alleinsein  hier  jetzt  herzlich  satt  u.  wünsche  den  Bär 
mit  jeder  Stunde  sehnlicher  herbei.  Herzlich  freue  ich 
mich  wieder  auf  Hannover,  auf  mein  liebes  Zuhause  u. 
mache  mir  die  prächtigsten  Bilder  vom  kommenden  Winter, 
in  denen  Sie  keine  kleine  Rolle  spielen.  —  Ich  finde  es 
eigentlich  ganz  scandalös,  daß  Ihr  Geburtstag  nicht  auch 
einige  Tage  vorher  in  den  Zeitungen  steht,  wie  von  so 
vielen  gekrönten  Häuptern,  von  denen  eine  ganze  Stube 
voll  nicht  soviel  denkt  als  Ihrer  allein.  Aber  dahin  wird's 
wohl  noch  kommen,  ehe  ich  sterbe. 

Nun  habe  ich  noch  meinen  alten  Nicola  zu  vertheidigen. 
Wie  nennen  Sie  das?  „unbrauchbar  vereinsamen"?  Wenn 
die  Leute  noch  soviel  von  Ihnen  haben,  Sie  noch  so  frische, 
vielseitige  Interessen  haben  u.  überhaupt  ein  so  lieber  alter 
Mann  werden,  wie  der  alte  Nicola,  dann  freuen  Sie  sich! 
Aber  eigentlich  meinen  Sie,  ob  Sie  ein  alter  Junggeselle 
würden  oder  nicht,  gelt?  Darüber  kennen  Sie  meine  An- 
sicht. 

Wenn  ich  aufrichtig  sein  soll,  so  bin  ich  ein  bischen 
schadenfroh,  daß  Ihnen  der  Lindwurm,  das  schwedische 
Ungethüm  doch  noch  so  viel  zu  schaffen  macht,  weil  Sie 
ihn  überschätzen. 


An  Clara  Schumann  169 

Gestern  war  ein  herrlicher  Tag !  Wir  machten  eine  lange 
Fahrt  in  der  himmlischsten  Natur!  Ich  hatte  mich  allein 
ganz  in  die  Höhe  gesetzt  hinten  auf  den  Bedientensitz  u. 
thronte  da  so  lustig  u.  luftig,  daß  es  eine  wahre  Wonne 
war ;    Die  Gegend  hier  ist  gar  zu  prächtig !  . . . 

Jetzt  müssen  Sie  mir  aber  verzeihen,  daß  ich  Sie  mit 
dem  Strome  meiner  Schreibseligkeit  wahrhaft  überfluthe. 

Schließlich  nur  noch,  lieber  Joachim,  daß  sich  über  Ihren 
Geburtstag  zwar  Alle,  die  Sie  kennen,  freuen  werden,  aber 
mehr  als  ich  Wenige.  Ihr  Umgang  gehört  zu  den  reich- 
sten Freuden  in  meinem  reichen  Leben.  Erhalten  Sie  ihn 
uns ! 

Gehe  es  Ihnen  so  gut,  als  Sie's  verdienen! 

Luise  Scholz. 

P.  S.  WüUner  kommt  Anfang  August  hierher,  wollen 
Sie  vielleicht  mit  ihm  Zusammensein? 

P.  S.  Ich  lasse  mir  aber  ein  schönes  Kleid  nach  dem 
anderen  machen  u.  hoffe,  daß  man  jetzt  mit  mir  zufrie- 
den ist. 

An  Clara  Schumann 

Hannover  d.  3o.  Juli  1861. 

Liebe,  gute  Frau  Schumann. 
^/Tan  sollte  immer  gleich  im  ersten  Freudenfeuer  auf 
J^TJL  angenehmste  Briefe  antworten.  Nun  sind  wieder 
mehrere  Tage  vergangen,  in  denen  der  Schein  der  Un- 
dankbarkeit auf  mir  lastete!  Wie  Sie  immer  gütig  gegen 
mich  sind!  Auch  unter  so  schweren  Sorgen  haben  Sie 
meines  Geburtstages  nicht  vergessen.  Und  welche  herr- 
liche Gabe  begleitete  Ihre  herzlichen  Zeilen.  Nur  sollte  ich 
eigentlich,  statt  für  die  Partitur  zu  danken,  als  gewissen- 
hafter Freund  Vorwürfe  machen,  daß  Sie  mich  all  zu  reich 
bedacht.    Ich  kann  aber  Ihnen  gegenüber  gar  nicht  recht 


iGo  An  Clara  Schumann 

in  Philister-Laune  kommen !  Denken  Sie  aber,  daß  ich  den 
Figaro  bereits  hatte,  so  aber,  daß  ich  doch  nun  den 
Ihrigen  behalten  kann.  Es  liegt  nämlich  mein  alter  in 
einer  Mappe  uneingebunden,  und  da  er  so  unversehrt 
ist,  als  käme  er  eben  aus  Simrock's  Lager,  so  ist  gar  keine 
Schwierigkeit  vorhanden,  die  Zauberflöte  dafür  einzutau- 
schen und  in  die  Mappe  zu  legen.  Ich  habe  meinen  Ge- 
burtstag hier  sehr  ruhig  verlebt.  Nur  Abends  war  ich  in 
Herrenhausen  zu  einem  Militär- Musiker-Concert,  wo  ich 
von  dem  Königspaar  Abschied  nahm,  das  Tags  darauf  nach 
Norderney  abreiste.  Der  Schubert'sche  schnelle  Ddur- 
Marsch,  (der  mit  dem  Hmoll  Akkord  anfängt)  klang  ar- 
rangirt  für  Militär-Musik  sehr  gut  und  würde  Ihnen  auch 
Vergnügen  gemacht  haben.  Am  aS^'""  war  ich  von  einem 
Stägigen  Harzaufenthalt  wiedergekehrt,  wo  ich  Gisela  und 
Herman  besucht  hatte.  Die  Lage  von  Suderode,  wo  sie 
wohnen,  ist  eine  sehr  anmuthige,  eben  zu  Anfang  der  Harz- 
Berge,  von  Wald  umgeben  und  von  reizend  durch  die 
Bäume  schimmernden  rotbedachten  Ortschaften  belebt. 
Wir  waren  natürlich  viel  im  Freien,  obwohl  der  arme  Her- 
man nicht  viel  gehen  konnte,  da  er  sich  kurz  zuvor  bei 
einem  Sprung  aus  den  Wagen  den  Fuß  vertreten. 

Einen  Nachmittag  brachten  wir  damit  zu,  einer  Freundin 
der  Gisela  in  dem  2  Stunden  entfernten  Wienrode  eine  un- 
verhoffte musikalische  Freude  zu  verschaffen.  Die  arme, 
wegen  Lähmung  nur  in  einem  Wägelchen  weiterzube- 
wegende Frau  Pastorin  Lichtenstein  i)  (der  Sie  ja  auch 
Ernst  Rudorff's  wegen  einst  einen  Besuch  zugedacht  hatten) 
war  nicht  wenig  erstaunt,  als  ihr  Gisela  sagte,  wer  ich  wäre, 
und  daß  ich  auch  meine  Violine  mitgebracht  hätte.  Ich 
merkte,  welchen  entbehrten  Genuß  ich  ihr  durch  Bach'sche 
Klänge  in  das  einsame,  aber  reizend  friedliche  und  wohl- 
thuende  Pfarrhaus  brachte,  und  werde  noch  lange  an  den 

^)  Gemeint  ist  Frau  Pastor  Hoffmeister,  geb.  Lichtenstein,  eine  Tante 
E.  Rudorffs. 


An  Clara  Schumann  i6i 

herzlichen  Dank  der  beiden  Gatten  denken  müssen,  der 
mir  lieber  war,  als  die  lärmendsten  Beifallsstimmen,  Ich 
mußte  denn  natürlich  auch  viel,  und  immer  wieder  von 
Ihnen  erzählen.  Kommen  Sie  je  in  die  Gegend,  so  müssen 
Sie  die  Leute  noch  aufsuchen,  Sie  werden's  nicht  bereuen. 
Übrigens  muß  die  Pastorin  auch  früher  gut  gespielt  haben ; 
sie  ließ  sich  zur  F  dur  Sonate  mit  Violine  von  Beethoven 
überreden,  und  der  Vortrag  klang  musikalisch,  wenn  auch 
nicht  ohne  jene  Sentimentalität,  zu  welcher  Leute  oft 
kommen,  die  mit  einer  löblichen  Sehnsucht  nach  geistigem 
Leben  fern  von  dem  Schauplatz  künstlerischer  Thaten 
existiren  müssen.  —  Die  Harzer  Berge  haben  mir  im  Ganzen 
gute  Dienste  geleistet,  und  die  Erinnerung  daran,  wie  an 
ein  neues,  sehr  tiefes  Trauerspiel  der  Gisela  i),  das  sie  mir 
vorgelesen,  läßt  das  sommerliche  Staub -Hannover  schon 
erträglich  scheinen. 

Ich  muß  zum  i6"="  in  Antwerpen  sein  und  werde  ein 
paar  Tage  vorher  abieisen,  um  Scholz  den  längst  ver- 
sprochenen Besuch  auf  der  Hammermühle  zu  machen.  An 
der  Schweizer-Reise  nach  dem  19'^"  wollen  wir  festhalten. 
W^ie  freue  ich  mich  darauf,  noch  i4  Tage  mit  Ihnen  um- 
her zu  wandern,  in  der  Schweiz  zumal,  deren  Riesen  mir 
noch  unbekannt  sind !  Nun  müssen  wir  aber  wirklich  etwas 
gewissenhafter  correspondiren,  denn  am  Ende  finden  wir  uns 
sonst  gar  nicht,  wenn  wir  zusammentreffen  wollen !  —  Ich 
hoffe  auch  auf  Johannes  zur  Schweiz.  Ist  Job.  am  Ende 
in  Kreuznach?  Wir  haben  uns  lange  nicht  geschrieben. 
—  Ich  wollte,  was  Sie  von  einer  Sinfonie  sagen,  wäre  wahr ! 
Aber  es  ist  nichts  dergleichen  entstanden,  obgleich  ich 
wenigstens  wieder  Muth  zum  Schaffen  bekommen  habe  in 
der  Sammlung  der  Einsamkeit.  Stillstand  im  Componiren 
rächt  sich;  und  ich  denke,  es  soll  nicht  wieder  so  kommen, 
daß  ich  ganz  mit  meinem  Musikquell  versiege.    Ich  habe 

1)  Wahrscheinlich  „Das  Steinbild  der  Corneüa"  (Dram.  Werke  III, 
BerHn  i865). 


i62  An  Bernhard  Scholz 

in  diesen  Tagen  einen  Antrag  (in  Schottland  mit  Mrs. 
Goldschmidt  Concerte  zu  geben)  für  den  Oktober  ausge- 
schlagen. Dafür  habe  ich  mir  vom  König  den  Februar 
und  März  kommenden  Jahrs  für  Wien  erbeten,  wo  ich 
dann  auch  gern  neu  Komponirtes  brächte.  Ich  habe  am 
24"^"  das  Abendlied  Schumann 's  für  Violine,  Bratschen, 
Celli,  Contrabaß,  Klar"''"  Fag""  und  Hörner  gesetzt,  weil 
ich  Seiner  besonders  treu  gedachte.  Auch  habe  ich  die 
Briefe  vorgesucht,  um  Ihnen  die  versprochenen  Abschriften 
zu  machen. . . . 

In  herzlicher  Ergebenheit 

Ihr 

J.  J. 

An  Bernhard  Scholz 

[Hannover,  Anfang  August  1861.] 
Lieber  Freund 

yoran  meinen  theilnehmendsten  Glückwunsch  zur 
Wiedervereinigung  mit  den  Liebsten  nach  so  genuß- 
reicher Fahrt  mit  Ihren  Lieben!  Daß  Henni  und  „Buwa" 
immer  schöner  gedeihen,  soll  mir  ja  auch  nun  bald  zu 
Nutzen  werden.  Ich  hoffe  am  9'^"  von  hier  abzureisen  und 
Sie  direkt  aufzusuchen.  Vorher  steht  mir  Herman  Grimms 
Besuch  hier  bevor,  den  ich  ja  sehr  hoch  halte,  wie  Sie 
und  Ihre  liebe  Frau  wissen,  und  nicht  aus  dem  Weg  gehen 
will.  Während  Sie  in  der  Schweiz  umher  schwärmten, 
war  ich  wenigstens  in  den  freundlichen  Höhen  des  Harzes, 
wo  ich  8  Tage  faullenzte.  Auf  die  Art  läßt  sich  Hannover 
schon  ertragen.  Die  Einsamkeit  mit  Klavier  und  Geige  war 
mir  ganz  zuträglich,  wenn  ich  auch  nichts  Größeres,  fertig 
Geschaffene  aufzuweisen  haben  werde.  Ich  habe  Muth  und 
Vertrauen,  daß  dies  auch  kommen  soll.  Wie  Schade,  daß 
Sie  nicht  mit  in  Antwerpen  sein  können ;  w  ie  schön  hätten 


An  Bernhard  Scholz  i63 

wir  von  Ihnen  aus  zusammen  hin  rutschen  können!  Von 
Antwerpen  aus  will  ich  noch  vor  meinem  Hannöver'schen 
Winterquartier  etwas  in  Ihre  Schweizer  Fußtapfen  treten. 
Ich  soll  mit  Frau  Schumann  und  Stockhausen  im  Berner 
Oberland  zusammentreffen;  natürlich  ohne  Bogen,  bloß 
mit  einem  Spatzierstock !  So  wird  denn  der  September  an- 
gebrochen sein,  bevor  wir  uns  hier  zu  gemeinsamem  Wirken 
wiedervereinen.  Ein  großer  Trost  ist  mir  die  Aussicht  Ihres 
Wiederkommens !  Selbst  Fischer  und  Platen  und  die  übri- 
gen platten  Geschäftsverbindungen  sollen  mich  nicht  ärgern. 

Heute  erfreute  mich  der  frische  Bursche  Gunz  ^)  plötzlich 
durch  seine  behagliche  Gegenwart.  Er  ist  ganz  voll  Selig- 
keit über  das,  was  er  in  Paris  gelernt  hat;  mir  kam  seine 
Stimme  runder  und  sein  Vortrag  verfeinert  vor,  so  daß  ich 
meine,  auch  Sie  sollen  zunehmende  Freude  an  Ihrer  Acqui- 
sition  erleben.  Er  hat  mit  seiner  Braut  eine  Wohnung  aus- 
gesucht, da  er  im  Herbst  heirathen  will,  und  ist  schon 
wieder  nach  Cassel  zurück.  Ich  versprach,  Sie  zu  grüßen. 
Auch  von  Kaulbach. 

Ihre  liebe  Louise  (Luise)  hat  mir  ein  sehr  freundschaft- 
lich Zeichen  treuen  Gedenkens  durch  eine  Gratulation  zum 
2^ten  geschickt.  Da  ich  immer  an  Sie  alle  zwei  zugleich 
denke,  wenn  ich  an  den  Einen  schreibe,  sei's  Er  oder  Sie, 
so  darf  ich  auch  wohl  meinen  herzlichen  Dank  hier  noch 
zufügen.  Gern  träfe  ich  Wüllner  noch  bei  Ihnen  an; 
grüßen  Sie  ihn  auf  alle  Fälle  freundlichst  und  empfehlen 
Sie  mich  angelegentlich  Fräulein  Paula,  Therese  und  allen 
Ihrigen. 

Herzlich  ergeben 

Joseph  J. 


')  Vgl.  Fischer  S.  196. 


i64  An  Hans  v.  Bronsart 


Von  Clara  Schumann 

Düsseldorf  d.  26.  Septbr.  1 86 1 , 
Liebster  Joachim, 

Wie  lieb  war  es  von  Ihnen,  daß  Sie  mich  so  freundlich 
überraschten  mit  den  herrlichen  Briefen  ^),  und  den- 
ken Sie,  welch  sonderbarer,  hübscher  Zufall,  Johannes  hatte 
sie  mir  auch  zum  i3'*"  geschenkt,  aber  nicht  geschickt, 
da  er  sie  mir  selbst  geben  wollte  —  er  hatte  nämlich  ge- 
glaubt, ich  würde  Ihn  am  i3'^"  in  Hamburg  überraschen, 
woran  ich  allerdings  oft  gedacht,  jedoch  wegen  meiner 
vielen  Obliegenheiten  hier  nicht  ausführen  konnte.  Schon 
viel  haben  wir  in  den  Briefen  gelesen,  und  mir  ist  immer, 
als  vergegenwärtige  mir  jedes  seiner  Worte  Ihn  selbst.  Da 
ist  Frische,  Geist,  Gemüth,  Alles,  und  in  welcher  Einfach- 
heit gegeben,  so  unbefangen  frisch  und  fröhlich.  Doch  was 
sag  ich  das  Ihnen,  Sie  wissen's  ja  viel  besser  als  ich  und 
wußten  vorher,  welche  Freude  Sie  mir  machten. . . .  ^) 

An  Hans  V.  Bronsart 

Hannover  3o.  Sept.  [1861]. 
Lieber  Bronsart 

Ihr  Schreiben  kam  gerade  während  meiner  Schweizer 
Reise  hier  an  und  erreichte  mich,  nach  manchen  Kreuz- 
und  Querzügen  in  der  Schweiz,  erst  wieder,  als  ich  zurück- 
gekehrt war.  Sollten  Sie,  was  ich  aber  bei  Ihrem  Aufent- 
halt in  Danzig  diesmal  kaum  glaube,  in  Ihrem  Glückshafeu 
meine  erwidernden  Worte  vermißt  haben,  so  bitte  ich  Sie 
mich  durch  obigen  Umstand  freundlichst  zu  entschuldigen. 
—  Zu  Ihrer  Verheirathung  wünsche  ich  von  Herzen  Glück, 

*)  Die  soeben  erschienenen  Reisebriele  von  Felix  Mendelssohn. 
-)  Die  Fortsetzung  des  Briefes  bei  Litzmann  III  S.  108. 


£jiiiiiiH!iiimiiiniimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiHiiiimiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiimiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiin 

I  VERLAG  JULIUS  BARDI 

I  BERLIN  W15  I 

I  Die  Renaissance  in  Italien  | 

I  Die  Anfänge  der  Majolikakunsi  in  Toskana.  Von  Wilhelm  | 

I  5ode.  Mit  38  zum  Teil  farbigen  Tafeln  in  Lichtdruck,  43  Text-  | 
I  öbbildungen  in  Lichtdruck,  Ton-  und  Sh-idiätzung.  45X36  cm.  | 
I  In  Leinenband  M  120.-,  handgebundene  Vorzugsausgabe  in  | 
I      Pergament  M  350.-.  | 

I  Lorenz©  Ghiberfi,  Denkwürdigkeiten.  Zum  ersten  Male  voll-  | 
I  stfindig  herausgegeben  und  erläutert  von  Julius  von  Sdilosser.  | 
I  2  bände  In  Quartformat  mit  2  Tafeln,  ca.  M  35.-,  in  Leinen  | 
I  ca.  M  40.-,  handgebundene  Vorzugsausgabe  ca.  M  60.-.  | 
I  Leonardo  da  Vinci,  der  Wendepunkt  der  Renaissance.  Von  | 
I  Woldemar  von  Seidlitz.  2  5ände.  Mit  151  Abbildungen  und  | 
I  63  Tafeln.  M  30.-,  in  Leinen  M  35.-,  in  handgebundenem  | 
I      Maroquinband  M  40.— .  | 

I  Leonardo  daVinci,  Malerbuch.  Herausgegeben  von  Woldemar  | 
I  von  Seidlitz.  Mit  13  Abbildungen.  Geheftet  M  2.-,  in  Papp-  | 
I  band  mit  Pergamenh-ücken  M  3.-,  in  handgearbeitetem  | 
I      Pergamentband  MIO.-.  | 

I  Giorgione.  Von  Ludwig  Justi.  2  Bände.  Mit  64  Tafeln.  M  20.-,  | 
I  in  Leinenband  M  25.-,  In  handgearbeitetem  Maroquinband  | 
I      M  40.-.  I 

I  MIchelagnioloBuonarroii,Briefe.  Übertragen  von  Karl  Frey.  | 
I  Mit  3  Tafeln.  In  Pappband  M  4.50,  in  biegsam  Leder  M  6.-.  | 
I  Michelagniolo  Buonarroii,  Handzeidmungen.  Heraus-  | 
I  gegeben  von  Karl  Frey.  361  51att  auf  300  Tafeln  mit  be-  | 
I  sAreibendem  Katalog.  36X29  cm.  2  Bände.  In  Halbfranz-  | 
I  bänden  M  300.-,  in  Ganzmaroquinbänden  M  375.-.  Luxus-  | 
I  ausgäbe  (50X40  cm)  in  handgearbeiteten  Pergamentbänden  | 
I  M  700.  -.  (Einbände  vollkommen  Handarbeit).  Eine  Nadi-  | 
I  lese  von  ca.  50-100  Blatt  ist  im  Erscheinen,  per  Lieferung  | 
I      mit  10  Tafeln  M  6.-.  | 

I  Fra  Filippo  Lippl.  Von  Henriette  Mendelsohn.  Mit  44  Ab-  | 
I      bildungen.  M  8.50,  in  Leinenband  MIO.-.  | 

I  Der  Hof  von  Ferrara.  Von  Casimir  von  Chledowski.  Mit  | 
I  36  Tafeln.  M  15.-,  in  Leinenband  M  18.-,  in  handgearbei-  | 
I      tetem  Maroquinband  M  30.— .  | 

iiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiHiiiHiiiiu^^ 


^imMniiiMiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiimiiiiiiiniiiiiiniiiiiMiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiimiiiiiM 

I  Kunst  des  Nordens               | 

I  Albrerhi  Dürers  schriftlicher  Nachlass.    Herausgegeben  von  | 

I  Ernst  Heidrich,  Geleitwort  von  Heinrich  Wölff  lin.  Mit  1 6  Bild-  | 

i  Beilagen.  In  Pappband  M  6.-,  in  biegsam  Leder  M  7.50,  Vor-  | 

I  zugsaüsgabe  in  Pergament  M  15.— .                                            | 

I  Hans  Holbein  der  Jüngere,  Samtliche  Zeichnungen.  Heraus-  | 

I  gegeben  von  Paul  Ganz.  50  Lieferungen  mit  etwa  650  51ättem  | 

I  auf  500  Tafeln  mit  besdireibendem  Katalog.    Imperial-Folio  | 

I  (53X40  cm).    )e  M  24.-.    (im  Erscheinen.)                                | 

I  Hans  Holbein  der  Jüngere,  Zeichnungen  in  Auswahl.  Heraus-  | 

i  gegeben  von  Paul  Ganz.  52  Blatt  auf  49  Tafeln  mit  einführenden  | 

I  Erläuterungen.   Quartformat.    In  Leinenband  M  15.-,  band-  | 

I  gebundene  Vorzugsausgabe  in  Maroquin  oder  In  Pergament  i 

I  M  35.-.                                                                                          I 

I  Die  Holzskulptur  in  den  Niederlanden.  Von  Willem  Vogel-  i 

I  sang.    Band  I.   Das  Erzbisdiötliche  Museum  zu  Utrecht.   Mit  i 

I  146  Lidltdruckabbildungen  auf  31  Tafeln.    42x32  cm.    In  | 

I  Leinenmappe  M  50.-.                                                                 | 

I  Die  Gemäldegalerie  des  Hei-mA.  de  Ridder.  Von  Wilhelm  | 

I  Bode.   Mit  66  Heliogravüren  nach  Rembrandt.  Hals,  Rubens,  | 

I  van  Dyck  u.  a.  und  1 3  weiteren  Lichtdrucken  im  Text.  43X32  1 

I  cm.  In  handgearbeitetem  Maroquinband  M  100.— .                    | 

I  Handzeichnungen  altholländischer  Gcnremaler.  Auswahl  | 

I  von  Wilhelm  Bode,  Text  von  Wilhelm  R.  Valentiner.  50  Tafeln.  | 

I  Quartformat.  In  Leinen  M  15.—,  Vorzugsausgabe  auf  Bütten  | 

I  in  Leder  M  35.—.                                                                       | 

I  Maerten  van  Heemskerck,  Die  römisdien  Skizzenböcher  Im  | 

i  Königlichen  Kupfersticiikabinett  zu  Berlin.    Herausgegeben  | 

i  von  Christian  Hülsen  und  Hermann  Egger.  2  Bände  mit  ca.  | 

I  180 Tafeln.  36X29  cm.  In  2  Leinenmappen  ca.  M  150.-,  band-  | 

I  gebundene  Vorzugsausgabe  in  Pergament  ca.  M  350.—.            i 

i  Antoine  Watteau,  Handzeichnungen.    Herausgegeben  von  i 

I  Cornelius  Gurlitt.  55  Blatt  in  Faksimilereproduktion.  47X34  | 

I  cm.  In  Leinenband  M 1 60.—,  in  handgearbeitetem  Pergament-  | 

I  band  M  200.-.                                                                             | 

I  Daniel  Chodowiecki,Zeidinungen  in  Auswahl.  Herausgegeben  | 

1  vonW.vonOettingen.  50  Blatt.  Quartformat.  In  Leinenband  | 

i  M  10.—,  Vorzugsausgabe  auf  Bütten  in  Pergament  M  30.—.  | 

I  Das  deutsche  Rokoko.  Von  Paul  Landau.  Mit  vielen  Bildern.  | 

I  (In  Vorbereitung.)                                                                     | 

^.i(iM»iiiiiiiuiiiiniiiiiiiiiiiiiiuiiniiiiiiMiiiiiuiMiuitaiiiiiniiiiiiniMiniiiii!iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii;iiniiiiiiii^ 


iiiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiim^ 

Berliner  Museen  | 

Die  Gemäldegalerie  des  Kaiser-Friedrich-Museums.  Voll-  | 

ständiger  beschreibender  Katalog  mit  Abbildungen  sämtlidier  | 
Gemälde.  Amtliche  Ausgabe.  Herausgegeben  von  Hans  Posse.  | 

I.  Abteilung:  die  romanischen  Länder  (Byzanz,  Italien,  Spanien,  | 
Frankreidi).   Mit  534  Abbild.  M  20.-,  in  Leinenband  M  23.-.  | 

II.  Abteilung:  die  germanischen  Länder  (Deutschland,  Nieder-  | 
lande.England).  Mit  776  Abbild.  M  25.-  in  Leinenband  M  28.-.  | 

niushiert  er  Führer  durch  das  Kaiser-Friedrich-Museum.  | 
Amtliche  Ausgabe.  Mit  300  Abbildungen.  M2.50,  in  Pappband  | 
M  3.-,  in  Leinen  M  3.50.  | 

Neuerwerbungen  d.Gemäldegalerie  d.Kaiser-Friedrich-  | 
Museums  in  Faksimilereproduktion.  Amtlidie  Publikationen  | 
der  Generälverwaltung.  1 

I.  Rogier  van  der  Weyden,  Frauenbildnis.  5ildgrösse  47X32  | 
cm,  Papiergrösse  66x50  cm.  M  12.—,  gerahmt  M  25.—.  | 

U.  Pieter  de  Hooch,  Die  Goldwägerin.  Bildgrösse  53X47  cm,  | 
I  Papiergr .  64X57  cm  M  20.-,  gerahmt  M  40.-;  auf  China  M  25,-.  | 
I  Die  Gemälde  und  Bildwerke  der  Königlichen  National-  i 
I  galerie.  Verzeichnis  U.Abbildungen  aller  ausgestellten  Werke.  | 
I  Amtliche  Ausgabe.  Band  I.  Gemälde.  Mit  ca.  700  Abbildungen.  1 
I  Broschiert  ca.  M  25.—,  in  Leinenband  ca.  M  30.—.  Band  II.  | 
I  Skulpturen.  Mit  ca.  250  Abbildungen.  Brosdiiert  co.  M  15.— ,  f 
I       in  Ganzleinen  ca.  M  20.-.  | 

I  Zeichnungen  aus  dem  Besitz  der  Königlichen  National-  | 
I  galerie.  Amtliche  Publikation.  10  Lieferungen  mit  100  Tafeln  | 
I  in  Faksimile-Lichtdruck  und  beschreibendem  Katdog.  46x35  | 
I       cm.    Je  M  30.-.    (Im  Erscheinen.)  | 

I  Dlustrierier  Führer  durch  die  KönigücheNationalgalerie.  | 
I  Bearbeitet  von  Max  O.sbom.  Mit  300  Abbildungen.  In  Papp-  | 
I       band  ca.  M  4.—.  i 

I  Das  malerische  Perlin.  Malerisdie  Motive  aus  der  Reichs-  | 
I  hauptstädt,  gesammelt  und  herausgegeben  von  Georg  Reicke  i 
I  und  Max  Osborn.  Amtliche  VeröffentliAung  des  Märkischen  | 
I  Museums.  Zwölf  Blatt  in  Gravüre.  In  Gross-Quart  (36x29  i 
I      cm).    In  steifem  Umsdileg  M  3.—.  | 

I  Künstler  des  19.  u.  20.  Jahrhunderts  | 

I  Alfred  Rethel,  Gedenkbuch.  1 6  Blatt  in  Lichtdruck.  Duodez-  | 
I  format  (10X6,5  cm).  In  Hülse  mit  einer  Umschlagzeidinung  | 
I      Rethels  ca.  Ml,-.  | 

Hiiiiniii!;;i'!ui;siiii!i;;i!iiiiiiiiiiiiiiiiiiii!iiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiii)i:;ii:ii:iimiiiiiiiiimimniiiiiiiM!!iiiiiiiiiin 


IjinimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiM^ 

I  Louis  Gurliit,  ein  Künstlerleben  des  19.  Jahrhunderts.   Von  | 

I  seinem  Sohne  Ludwig  Gurlitt.  Mit  50  Abbildungen  ca.  M  1 Ä.— ,  | 

1  in  Ltinenband  ca.  M  20.—.  | 

I  Friedrich  Kari  Hausmann,  ein  deutsdies  KQnstlerschidcsal.  | 

I  Von  Emil Schaeffer.  Mit  30  Abbild.  M 5-,  kartoniert  M 6.-.  | 

I  Zeichnungen  der  Impressionisien.    Herausgegeben  von  i 

I  JuliusEIias.  50  ßlatt  in  Faksimile-Lichtdrudc.  (In  Vorbereitung.)  | 

I  Max  Liebermann,  Hollandisdies  Skizzenbudi.    Mit  Text  von  | 

I  Oscar  5ie.   Ö3  Zeichnungen  und  eine  Originallithographie.  1 

I  Quer-Quart.    Als  Skizzenbudi  gebunden  M  30.—,  handge-  1 

I  bundene  Vorzugsausgabe  inPergamentMöO.—,  dieselbe  vom  | 

I  Künstler  signiert  M  100.-.  | 

I  Hennann  Struck,  Venedig.   Ein  Tagebudi  In  Radierungen.  | 

I  (In  Vorbereitung.)  i 

I  Emil  Nolde,  Das  graphische  Werk  bis  1910.    Von  Gustav  | 

I  Sdilefler.  Mit  29  Originalgraphiken  Noldes.  Klein-Quart.  In  | 

I  Pappband  M20.- handgebundene  Vorzugsausgabe  In  Maro-  1 

I  quin  M  40.—,  in  Pergament  M  50.—.  | 

I  Consianün  Somoff.  Von  Oscar  5le.   Mit  40  Tafeln.   Quart-  1 

I  format.    In  Pappband  M  15.—,  Luxusausgabe  auf  5ütten  in  | 

I  Pergament  M  35.-.  | 

I  Die  Frau  und  die  Kunst.   Eine  Studie  von  Karl  Sdieffler.  1 

I  M  3.50,  In  Leinenband  M  5.-.  | 

§  Grundlagen  luid  Entwicklung  der  Architektur.  Vier  Vor-  § 

I  träge  von  H.  P.  Derlagc,   Mit  29  Abbildungen.   M  3.50,  In  | 

I  Leinenband  M  5.—.  1 

I  Über  neue  Bildwerke.   Von  Hans  Wendland.    Mit  6  Tafeln  | 

I  nach  Rodin,  Georg  Kolbe  und  Ernst  Wende.  M  4.—,  in  bieg-  a 

=  sam  Leder  M  6.—.  1 


Man  verlange  die  grossen  illustrierten  Kataloge 
des  Verlags  Julius  Bard 

Kunst  in  Vergangenheü  und  Gegenwart 

(erschienen  Weihnachten  1910) 

Gesami'Katalog  des  Verlags  Julius  Bard 

(vollständig  bis  Frühjahr  1911) 

Umsonst  in  jeder  Budihandlung  oder  direkt 
beim  Verlag 


^lllllllllllllllillllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllillllllllllllllllMIMIIIIIIIIIillllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllll 


An  Hans  v.  Bronsart  i65 

und  daß  Ihnen  ein  günstig  Geschick,  welches  Sie  im  Leben 
wie  in  der  Kunst  vereinte,  ferner  alles  Gute  vereint  zuführe ! 
Ich  werde  gewiß  aufrichtigsten  Antheil  nehmen.  Wäre  nur 
das  Gerücht,  daß  Sie,  lieber  Bronsart,  veranlaßte  mir  zu 
graluliren,  kein  falsches!  Aber  —  ich  gehöre  leider  noch 
immer  nicht  zu  denen,  von  welchen  Schiller  und  Beethoven 
so  begeistert  singen: 


^ 


:^^ 


Mein  Trost  ist,  daß  sich  beide  Sänger  neidlos  freuen 
konnten,  ohne  selbst  des  Glücks  theilhaftig  zu  sein:  Seh. 
war  noch  nicht,  B.  nie  verheirathet.  — 

Haben  Sie  Dank  für  das,  was  Sie  mir  von  Ihren  Leip- 
ziger Plänen  mittheilten.  Bei  meiner  wirklichen  Achtung 
für  Ihren  hingebenden  Eifer  an  Ihre  ideellen  Zwecke  würde 
es  mir  die  größte  Freude  machen,  Ihnen  ausführen  zu 
helfen,  was  Sie  vorschlagen  —  aber  es  stellt  sich  eben 
dennoch  mancherlei  in  den  Weg,  das  ich  Ihnen  offen  aus- 
zusprechen Ihrer  kollegialischen  Offenheit  schuldig  bin. 
Zunächst  muß  ich  gestehen,  daß  mir  die  Idee,  die  Künstler- 
Gruppe,  welche  sich  Ihnen  als  Schumannisch  darstellt,  in 
einem  Concert  zu  repräsentiren,  nicht  ganz  glücklich  vor- 
kömmt. Entweder  die  Komponisten  ähneln  sich  wirklich 
so,  daß  kritisch  die  Anordnung  gerechtfertigt  schiene,  dann 
müßte  meiner  Meinung  nach  eine  gewisse  Monotonie  ent- 
stehen, die  durch  keinen  äußern  Anlaß  (Erinnerungsfeier, 
Erläuterung  zu  Vorlesungen  etc.)  entschuldigt  würde.  Oder 
die  Klassifikation  wäre  eine  willkürliche  —  und  dann  fiele 
ja  der  Beiz,  wenigstens  eine  Art  „historischen"  Genusses 
geboten  zu  haben,  weg.  Böswillige  könnten  sogar  den  zwei 
noch  wenig  bekannten  lebenden  Komponisten  den  Vorwurf 
machen,  sie  benützten  warme  persönliche  Beziehungen  zu 
einem  berühmten  Todten,  um  sich  in  Programme  einzu- 
führen, die  ihnen  sonst  nicht  zukämen.  Was  mich  nun 
persönlich  anlangt,  so  muß  ich  bekennen,  daß  es  für  mich 


i66  An  Hans  v,  Bronsart 

etwas  beinahe  körperlich  Beängstigendes  hätte,  mich  mit 
meinen  Bestrebungen,  mögen  sie  unbedeutende  oder  werth- 
volle  sein,  bei  lebendigem  Leibe  in  die  bestimmten  Grenzen 
eines  noch  so  glorreichen  Rahmens  oder  Namens  hinein 
zu  begeben.  Was  ich  geschaffen,  lohnt  leider  noch  kaum 
der  Mühe,  es  überhaupt  zu  classificiren !  Aber  wenn  mich 
je  beim  Musiciren  die  Liebe  zu  unsern  großen  Vorbildern 
beseligt  hat,  so  dankte  ich  solche  Wonne  andern  Meistern 
gewiß  nicht  minder  als  dem  herrlichen  Schumann. 

An  Brahms  habe  ich  von  Ihrem  Vorschlag  bisher  nichts 
erwähnt;  wir  haben  zufällig  in  letzter  Zeit  wenig  corre- 
spondirt.  Ich  glaube  indeß,  er  würde  nicht  unähnlich  wie 
ich  über  den  Gegenstand  empfinden.  Über  meines  Freundes, 
der  Anzahl  wie  dem  Werth  nach  die  meinen  weit  über- 
ragenden Leistungen  steht  mir  eher  ein  Urtheil  zu  als  über 
meine  Bestrebungen.  Da  muß  ich  denn  sagen,  daß  es  mir 
oft  fast  vorkönuiit,  als  schwebte  seinem  kühnen  Geist  als 
Ideal  mehr  die  über  alle  Manier  erhabene  Formherrschaft 
des  großen  Sebastian  einerseits  und  Schuberts  Volksthüm- 
lichkeit  andererseits  vor,  wie  gerade  Schumanns  edle,  tiefe, 
liebenswürdige  Subjektivität,  die  er  gewiß  liebt  und  dank- 
bar ehrt  wie  wenig  Andere. 

Doch  wie  weit  hat  mich  eine  einfache  Antwort  auf  einen 
Concert- Vorschlag  geführt!  Verzeihen  Sie  mir  die  Ab- 
schweifung, die  Sie  von  weit  angenehmem  Dingen  nur  zu 
lange  abgezogen  haben  mag !  Empfehlen  Sie  mich  bitte  auf 
das  Angelegentlichste  Ihrer  Frau  Gemahlin.  Wie  lieb  ist 
mir  die  Aussicht,  sie  wieder  begrüßen  und  ihr  Spiel  aufs 
Neue  bewundern  zu  dürfen.  Ich  rechne  sicher  darauf,  von 
Ihnen  zu  hören,  wann  die  gnädige  Frau  hier  durchkömmt. 
Vielleicht  kann  ich  dann,  wenn  auch  nur  auf  der  Eisen- 
bahn, mit  derselben  Näheres  verabreden.  Auf  alle  Fälle 
werde  ich  Herrn  Grafen  Platen  schon  vorher  davon  sprechen. 
Die  Concert-Tage  sind  noch  nicht  fixirt;  Mitte  December 
dürfte  sich  aber  am  besten  eignen. 


Von  Eduard  Bendemann  167 

Und  nun  zürnen  Sie  mir  nicht  ob  meiner  abschlägigen 
Antwort,  hinter  der  keine  Partei-  oder  andere  kleinhche 
Absicht  versteckt  sein  sollte.  Ich  wollte,  wir  musicirten 
wieder  einmal  einträchtig  und  zu  beiderseitigem  Genuß 
wie  früher  in  Hannover  statt  uns  in  Briefen  zu  zanken; 
das  wäre  gescheidter!  Ist  keine  Aussicht  dazu  da?  Ein 
paar  Worte  Ihrer  freundlichen  Gesinnung  würden  sehr 
erfreuen,  lieber  Bronsart, 

Ihren  aufrichtigst  ergebnen 

Joseph  Joachim, 

Von  Eduard  Bendemann 

Düsseldorf  i/\.  Oktober  1861. 

Lieber  Joachim  (ich  lasse  das  Herr  weg,  Sie  müssen 
es  aber  s.  Z.  auch  thun). 

Sie  erhalten  hiebei  der  Verabredung  gemäß  ein  Blatt 
vom  Rigi.  Es  ist  groß;  größer  als  praktisch  ist.  Denn 
für  ein  Album  ist's  zu  groß  und  zum  Einrahmen  zu  blaß. 
Ich  hatte  aber  Frau  Schumann  übergeben,  ein  Blatt  für 
Sie  zu  wählen,  und  daher  bin  ich  in  so  fern  unschuldig. 
—  Sollten  Sie  etwa  doch  daran  denken,  es  einrahmen  zu 
lassen,  so  bitte  ich  Sie  ein  graues  oder  hellbräunliches 
Papier  unterlegen  zu  lassen,  so  daß  etwa  2  Finger  breit 
Rand  um  die  Zeichnung  bleibt.  Aber  nicht  zu  dunkeles 
Papier,  damit  der  Grundton  (etwa  die  Bässe  oder  Posaunen) 
den  Contour  (die  erste  Geige)  nicht  übertöne.  Habe  ich 
nicht  etwas  gelernt? 

Der  Punkt,  den  ich  gezeichnet  habe,  ist  das  Stück  des 
4  Waldstätter  Sees  nach  dem  Gotthard  u.  Uri  Rothstock 
zu.  Die  höchste  Spitze  des  letzteren  reicht  über  das  Papier 
hinaus.  —  Ich  saß  ganz  in  der  Nähe  der  Fichte,  an  deren 
Fuß  eine  Naturbank  befestigt  ist.  Fr.  Seh.,  welche  den 
Platz,  wie  alle  Damen,  liebt,  saß  dort,  als  Sie  in  unschul- 


i68  An  Clara  Schumann 

diger  Weise  sich  mit  einer  jungen  Ziege  am  Boden  zu 
befreunden  suchten,  welche  Ziege  ein  Bock  war.  —  Hätten 
Sie  bessre  Studien  im  Weintrinken  gemacht,  so  würden 
Sie  bei  dem  Capitel  „zu  Würzburg  an  dem  Steine"  etwas 
von  Bocksbeutel  gehört  haben  und  auch  getrunken,  und 
dann  würden  Sie  nicht  jenen  Fehler  in  der  ^Naturgeschichte 
des  Viehes  gemacht  haben.  Nach  dieser  Abschweifung  ist 
Ihnen,  hoffe  ich,  die  Stelle  klar,  von  wo  aus  ich  jene 
blassen  Striche,  der  glühenden  Pracht  der  Farben  gegen- 
über, gezeichnet  habe. 

Möge  es  eine  wenn  auch  blasse  Erinnerung  an  jene 
schönen  Tage  sein!  — 

Ich  wünsche,  daß  es  Ihnen  eben  so  gut  ergehen  möge, 
jetzt  wie  damals!  JNIir  gehts  ebenso;  ich  bin  wohl  und 
ganz  wohlauf,  aber  mit  der  Sprache  i)  wills  gar  nicht 
anders  werden;  ich  habe  ganze  Folianten  vollgeschrieben. 

Zum  Schluß  bitte  ich  Sie  recht  dringend,  uns  einmal  zu 
besuchen.  Sie  können  gleich  mit  der  Geige  ins  Haus  und 
ins  Bett  fallen.  In  den  ersten  i4  Tagen  wird  meine  Frau 
nicht  hier  sein;  also  hoffe  ich,  daß  Sie  nicht  innerhalb 
der  Zeit  kommen.    Somit  leben  Sie  wohl! 

Ihr 


E.  Bendemann. 


An  Clara  Schumann 


[Hannover  d.  i5.  Okt.  1861.] 
Verehrte  Freundin. 

Der  junge  Spohr^)   ist  mir  in  Ihrer  Wohnung  durch 
Laub  vorgestellt  worden,  der  große  Stücke  von  ihm 
hält.    Er  spielt  technisch  vortrefflich,  und  es  ist  nur  ein 

*)  Bendemann  litt  eine  Zeitlang  an  Stimmlosigkeit,  die  ihn  zwang,  seine 
Worte  aufzuschreiben. 

*)  Später  Konzertmeister  der  kgl.  Kapelle  in  Berlin;  nic'ht  mit  L.  Spohr 
verwandt. 


Joseph  Joachim 

Gezeichnet  von  Eduard  Bendemaiiri,  Uigi-Stlieidcck,  August  iS6i 


An  Clara  Schumann  169 

Jammer,  daß  der  arme  junge  Mensch  durch  sein  kränk- 
Hches,  verwachsenes  Äußere  einen  so  betrübenden  Ein- 
druck hinterläßt.  Wie  er  Stunden  giebt,  das  kann  ich 
freilich  nicht  sagen;  Sie  wissen  ja  selbst,  daß  man  sehr 
gut  spielen  kann,  ohne  zum  Lehren  begabt  zu  sein,  und 
umgekehrt!  Obwohl  ich  nun  Lixchen  gar  zu  gern  zu 
einem  Lehrer  verhelfen  möchte,  kann  ich  doch  die  Ver- 
antwortlichkeit eines  Raths  nicht  übernehmen.  Kennen 
Sie  Wendt  in  der  Bellevue-Straße?  Dem  traue  ich  eigent- 
lich pädagogisches  Geschick  zu,  und  wenn  er  auch  selbst 
nicht  virtuosenmäßig  spielt,  so  glaube  ich,  daß  er  einem 
kleinen  Kerl  auf  angenehme  Weise  zum  Spielen  Lust  machen 
und  vorwärts  bringen  würde.  Fast  wäre  ich  dafür,  es  mit 
dem  ein  halbes  Jahr  zu  versuchen. 

Nun  komme  ich  aber  mit  einer  Bitte,  nämlich  mir  auch 
so  bald  als  möglich  wissen  zu  lassen,  ob  Sie  am  So"'"  No- 
vember in  unserm  2"^"  Concert  spielen  könnten.  Das  i"'  ist 
am  16^''"  Nov*"^,  und  damit  Platen  nicht  glaubt,  man  zahle 
mir  meinen  Gehalt  umsonst,  muß  ich  schon  den  Anfang 
machen.  Wäre  es  Ihnen  aber  im  2'''"  Concert  nicht  mög- 
lich, bei  uns  zu  spielen,  so  hätte  ich  freilich  daran  einen 
Grund,  meine  Leistung  auf's  2'^  Concert  zu  verlegen.  Es 
gienge  einzurichten.  Platen  willigte  mit  Freuden  in  den 
Vorschlag,  Sie  überhaupt  einzuladen.  W^ann  gehen  Sie 
denn  nach  Hamburg?  Kommen  Sie  vielleicht  zu  unserem 
?.•''"  Quartett  am  Sonnabend  hier  durch?  Heute  habe  ich 
ausführlich  an  Johannes  geschrieben  und  seine  Quartette  i) 
wiedergeschickt,  die  mir  noch  viel  Genuß  gewährt  haben. 
Ich  hoffe,  wir  hören  sie  bald  zusammen.  Was  ich  neulich 
von  Unangenehmem  sagte,  war  wohl  bloß  körperlich  ge- 
meint, Oder  habe  ich  über  Hannover  geklagt,  so  ist  das 
ein  Thema,  was  immer  wieder  von  Zeit  zu  Zeit  Unbehagen 
hervorbringt,  ohne  daß  gerade  etwas  Besonderes  gemeint 
wäre.    Von  Grimm 's  habe  ich  bessere  Nachrichten. 

*)  Die  Klavier-Quartette  Op.  26  und  26. 


lyo  Von  Clara  Schumann 

Grüßen  Sie,  wenn  Sie  hinkommen,  wie  auch  alle  Ihre 
lieben  Rinder  herzlich  von  Ihrem 

Joseph  J. 

Von  Clara  Schumann 

Berlin  d.  i6.  Octbr.  1861. 
Lieber  Joachim, 

rürerst  herzlichen  Dank  für  Ihre  schnelle  Antwort  — 
Felix  wird  Morgen  die  erste  Stunde  bei  Herrn  Wendt 
haben;  Letzterer  war  gleich  sehr  bereitwillig  und  bot  mir  an, 
ihm  die  Stunden  unentgeltlich  zu  geben,  was  ich  natürlich 
entschieden  aber  dankend  ablehnte  —  jedenfalls  war  es 
sehr  gut  gemeint. 

Was  das  Concert  betrifft,  so  können  Sie  sowohl  zum 
igten  jjjg  auch  am  3o'^"  Nov:  über  mich  verfügen,  also 
wie  es  Ihnen  am  liebsten!  Aber  eine  Bitte:  können  Sie 
nicht  Graf  Platen  um  eine  Vergütung  der  Flügelkosten 
von  10  Till,  bitten  —  ich  bekomme  diese  jetzt  fast  überall, 
da  mir  sonst  ja  noch  weniger  vom  Honorar  bleibt. 

Haben  Sie  schon  an  ein  Programm  gedacht?  welches 
Concert?  CmoU  v.  Beethoven?  (das  habe  ich  noch  nie 
gespielt,  studiere  es  jetzt  zum  ersten  Male),  Johannes' 
Concert?  oder  einmal  Mendelssohn?  mir  ist  Alles  recht. 

Gern  käme  ich  zu  Ihrem  Quartett,  kostete  es  mich  nur 
nicht  zu  viel  —  die  Reise  machte  ich  wohl  gern  darum! 
Nun  will  ich  aber  bald  nach  Hamburg,  und  muß  daher 
doch  etwas  sparsam  sein.  Johannes  hat  mich  so  dringend 
eingeladen,  ich  habe  Ihn  so  lange  nicht  gesehen,  sehne 
mich  nach  Ihm  und  seinen  Sachen,  kurz,  ich  konnte  nicht 
„Nein"  sagen.  Die  Quartette  von  Ihm  freue  ich  mich  un- 
geheuer in  Hannover  von  Ihnen  u.  Job:  zu  hören.  Er  will 
später  mit   mir  nach   Hannover,    und   dann   wohl   länger 


An  Clara  Schumann  171 


bleiben,   so  denke  ich   mir   wenigstens.    Etwas  hoffe  ich 
dann  doch  mit  zu  genießen. 

Nota  bene.  Sie  haben  bei  mir  Capital  600  Tbl.,  und  in 
der  Zinsen-Casse  habe  ich,  nachdem  ich  eine  Eisenbahn- 
Actie  ä  200  Tbl.  verkauft,  und  dafür  62  Tbl.  mehr  erhielt, 
und  die  Auslagen  v.  87  Tbl.  abgezogen,  noch  91  Tbl.  Ich 
bringe  Ihnen  einen  Zettel  mit,  worauf  Alles  genau  steht  — 
ich  kann  ihn  auch  gleich  beilegen,  nur  weiß  ich  nicht,  ob 
Sie  klug  daraus  werden.  Heben  Sie  ihn  gut  auf,  ich  er- 
kläre ihn  Ihnen  später  genau.  Die  Eisenbahn-Actie  haben 
Sie  mit  268  Tbl.  eingekauft,  jetzt  267  erhalten,  also  einen 
Thaler  verloren,  aber  3  Jahr  hindurch  7  Procente  Zinsen 
gehabt,  also  einen  ganz  hübschen  Gewinnst^).  Wenn  die 
nächsten  Zinsen  fällig,  will  ich  Ihnen  wieder  ein  Papier 
ä  100  Tbl.  kaufen,  damit  das  Geld  nicht  todt  daliegt;  oder 
wollen  Sie  lieber  das  Geld  haben?  das  brauchen  Sie  mir 
nur  zu  sagen. 

Das  leere  Plätzchen  hier  will  ich  noch  zu  einem  recht 
herzlichen  Gruß  benutzen,  Vieles  mehr  dürfen  Sie  immer 
noch  zwischen  den  Zeilen  lesen. 

Ich  hoffe  heute  Gisel  zu  sehen  —  es  geht  Ihr  viel  besser. 

Adieu,  liebster  Freund. 

Ihre 

Cl.  Seh. 

An  dieselbe 

[Hannover   19.  Oktober  1861.] 
Liebe  Erau  Schumann 
.  .  .  Was    Ihre    Verwaltung    meiner    Besitzthümer    an- 
langt, so  darf  ich  Ihren  klugen  und  erfolgreichen  Opera- 
tionen meinen  anerkennendsten  Beifall  auszusprechen  um 
so  weniger  Anstand  nehmen,  als  die  Zweckmäßigkeit  der- 

')  [am  Rande:]   i8  Thl.  beträgt  der  Profit. 


172  An  Clara  Schumann 

selben  selbst  meinem  beschränkten  Geldverstande  voll- 
kommen einzuleuchten  im  Stande  ist,  und  bedauere  ich 
nur  aufrichtigst,  daß  die  Mäßigkeit  meiner  Mittel  der 
Zweckmäßigkeit  der  Anlage  etc.  etc.  Ich  bin  guter  Dinge, 
weil  ich  noch  einen  angenehmen  Auftrag  auszurichten 
habe!  Eigentlich  müßt'  ich  mich  sehr  feierlich  dazu  an- 
stellen, die  Feder  will  aber  vor  Vergnügen  gar  nicht  lang- 
samer einherschreiten  und  gleich  zur  Sache  fliegen.  Näm- 
lich, ob  Sie  Lust  haben,  (soll  ich  im  Namen  des  Königs 
und  der  Königin  fragen)  vom  i*''"  Dec.  d.  J.  oder  Januar 
1862  an  sechs  Monate  lang  den  Unterricht  der  Princes- 
sinnen  im  Klavierspiel  zu  übernehmen.  Die  Herrschaften 
wünschen  es  sich  sehr  und  schlagen,  um  die  Ausführung 
zu  ermöglichen,  vor:  i"^"''  freie  Wohnung,  2'*^"*  einen  Ge- 
halt von  2000  Thalern.  Sollten  Sie  etwa  2 — 3tägigen  Ur- 
laub von  Zeit  zu  Zeit  wünschen,  um  in  benachbarten 
Städten  Concert  zu  geben,  so  stände  dem  nichts  im  Wege. 
Inbegriffen  wäre  als  Verpflichtung  Ihrerseits  noch  das  Spiel 
in  den  Privat -Soireen  der  Majestäten.  —  Die  Idee  gieng 
von  der  Königin  aus,  welche  mir  vor  etwa  i4  Tagen  da- 
von sprach,  wie  gern  sie  sähe,  wenn  die  guten  musikali- 
schen Anlagen  der  Princessinnen  durch  Sie  weiter  ent- 
wickelt werden  könnten.  Seitdem  habe  ich  durch  Fräu- 
lein V.  d.  Gabelentz  weiter  über  die  Sache  gehört  und 
heute  durch  dieselbe  den  definitiven  Auftrag  erhalten, 
bei  Ihnen  anzufragen.  Sie  sind  deshalb  wohl  auch  so  gütig, 
Ihre  Antwort  so  einzurichten,  daß  ich  sie  Frl.  v.  d.  G"  zeigen 
kann,  welche  die  größte  Theilnahme  für  die  Angelegen- 
heit zeigt.  Mit  welcher  Spannung  ich  Ihrer  Entschei- 
dung entgegen  sehe,  brauche  ich  wohl  nicht  erst  zu  be- 
schreiben. Lassen  Sie  nicht  lange  warten,  verehrte  Freundin. 

Herzlichst  ergeben 

J.  J. 


Von  Clar a  Schumann  lyS 

Von  Clara  Schumann 

Hambui'ff  d.  2  3  Octbr:   1861. 
Lieber  Freund, 

Schönsten  Dank  für  Ihren  heben  Brief,  den  ich,  wie  Sie 
Sich  auch  sicher  dachten,  als  Sie  schrieben,  mit  der  herz- 
hchsten  Freude  las.  Am  liebsten  hätte  ich  gleich  „Ja"  ge- 
sagt, denn  Sie  wissen  ja,  wie  solch  eine  Stellung  immer  zu 
meinen  Wünschen  gehörte,  und  wo  möchte  ich  solche 
wohl  lieber  annehmen,  als  bei  Ihrem  so  kunstsinnigen, 
gütigen  Königs-Paar!  Da  ist  denn  aber  doch  recht  Vieles 
zu  bedenken,  und  ist  es  mir  nicht  möglich,  schon  heute 
eine  Entscheidung  zu  geben,  hoffe  es  aber  bis  in  einigen 
Tagen.  Indessen  möchte  ich  Sie  aber  bitten,  mich  etwas 
genauer  wissen  zu  lassen,  welche  Verpflichtungen  meiner- 
seits man  beansprucht?  Wie  viel  Stunden  soll  ich  den 
Prinzessinnen  geben?  Wie  oft  würden  wohl  Soireen  bei 
Hofe  sein,  wobei  auf  mich  gerechnet  wäre?  Sie  wissen,  ich 
bin  nicht  interressirt  mit  meinem  Spiel,  jedoch  muß  ich 
leider  immer  mehr  darauf  bedacht  sein,  meine  Kräfte  zu 
schonen,  auch  brauche  ich  die  Abende  namentlich  zu  mei- 
nem Studium,  habe  außerdem  der  Verpflichtungen  nach 
allen  Seiten  hin,  und  allerlei  bereits  eingegangene  Engage- 
ments würden  mich  auch  zu  öfteren  Reisen  veranlassen, 
ohne  welche  ich  übrigens,  trotz  des  so  gnädig  vom  König 
bewilligten  Honorars,  nicht  würde  bestehen  können  bei 
der  so  zahlreichen  Familie. 

Schreiben  Sie  mir  also,  bitte,  so  bald  Sie  können,  über 
diese  Punkte  —  es  würde  mich  gar  sehr  freuen,  ließen  sich 
alle  Scrupel  beseitigen!  Bitte  empfehlen  Sie  mich  dem 
Fräulein  v.  Gablenz  und  danken  Sie  in  meinem  Namen 
für  Ihr  so  gütiges  Interesse. 

Herzlichsten  Gruß  von 

Ihrer      Gl.  Schumann. 


174  ^"  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  ■i.l\.  Oktober  1861.] 
Verehrte  Freundin 

Seien  Sie  nicht  böse,  daß  ich  Sie  heute  mit  einer  tele- 
graphischen Depesche  behelligt  habe.  Ich  mußte  es 
aber  thun,  denn  gestern  wurde  ich  durch  das  inliegende 
Schreiben  von  Frl.  v,  Rahden^)  aus  Baden  in  Erstaunen 
gesetzt,  und  bevor  ich  es  Ihnen  mittheilte,  mußte  ich  wissen, 
ob  der  Hannoverische  Vorschlag,  dem  jetzt  ein  Russischer 
den  Rang  streitig  macht,  Ihnen  überhaupt  bekannt  ge- 
worden, oder  nicht.  Mein  Brief  konnte  ja  verloren  gegangen 
sein.  Als  K.  Hannover'scher  Diplomat  und  Hof-Egoist  hätte 
ich  eigentlich  erst  ganz  ruhig  Ihre  Antwort  abwarten  sollen; 
da  ich  aber  vor  allen  Dingen  Ihr  guter  Freund  und  College 
zu  sein  mir  schmeicheln  darf,  so  lasse  ich  es  darauf  an- 
kommen, daß  Sie  mich  bei  den  hiesigen  Herrschaften  als 
unzuverlässigen  Unterhändler  verschreien !  Der  Vorschlag 
der  Großfürstin  scheint  mir  ernster  Erwägung  werth. 
Sie  sehen  daraus  am  besten,  daß  Sie  nicht  ein  für  alle  Male 
Ihnen  Adieu  zu  sagen  wünschte,  sondern  auf  öfteres  Be- 
gegnen hoffte,  als  Sie  Sich  verabschiedeten.  Ich  bitte  mir 
nun  baldmöglichste  Instruktion  darüber  aus,  was  ich 
an  Frl.  v.  Rhaden  auf  den  freundlichen  Brief  antworten 
soll,  soweit  Sie  dabei  im  Spiel  sind.  Kömmt  nun  morgen 
Ihre  Antwort  auf  den  Hannoverschen  Vorschlag  mittler- 
weile an,  so  will  ich  sie  noch  bis  übermorgen  für  mich 
behalten  und  erst  abwarten,  ob  Sie  mir  nicht  in  Erwägung 
der  Russischen  Proposition  andere  Befehle  zukommen  lassen. 
Am  liebsten  freilich  überlegte  ich  mündlich  mit  Ihnen, 
was  am  zweckmäßigsten  sei!  Doch  Sie  haben  ja  an  Jo- 
hannes einen  klugen,  zuverlässigen  Rathgeber,  der  mich 

')  Hofdame  der  Großfürstin  Helene. 


Von  Clara  Schumann  lyS 


entbehrlich  macht.  Ich  komme  aber,  so  lange  Sie  in  Ham- 
burg sind,  einmal  hinüber,  und  müßte  ich  auch  im  Philh: 
spielen !  Wir  müssen  wieder  alle  drei  einmal  miteinander 
musiciren  und  spatzieren.  Viele,  viele  Grüße  an  Joh.  und 
Julie  von 

Ihrem 

J.  J. 

Von  derselben 

Hamburg  d.  3  Nov:  i86r. 
Lieber  Joachim, 

Ehe  ich  von  Anderem  anfange,  muß  ich  Ihnen  erst  noch 
'mal  die  Hand  drücken,  daß  Sie  nämlich  uns  die  große 
Freude  bereitet  haben  zu  kommen.  Als  Sie  fort  waren, 
fühlte  ich  erst,  daß  ich  Ihnen  noch  gar  nicht  genug  gedankt 
hatte  —  Sie  wehren  dem  immer  so  liebenswürdig  ab,  und 
doch  spricht  man  es  so  gern  aus. 

Inliegender  Brief  ist  zu  meinem  eignen  Leidwesen  ein 
Absagebrief.  Ich  werde  aber  immer  klarer  in  mir,  daß  ich 
jetzt  solche  Stellung  nicht  annehmen  kann.  Ich  fühle 
noch  die  Kraft  in  mir  —  kaum  weiß  ich,  ob  zu  meinem 
Glücke  —  nach  Außen  thätig  zu  sein,  und  würde  mich 
daher  in  solch  einer  Stellung  unbefriedigt  fühlen.  Alle 
weiteren  Gründe  kennen  Sie.  Dieser  Entschluß  ist  mir  aber 
in  dem  Gedanken,  daß  ich  länger  hätte  können  mit  Ihnen 
sein,  recht  schwer  geworden;  wie  manche  gemüthliche 
Stunde  hätte  ich  wohl  mit  Ihnen  verlebt,  wieviel  Herr- 
liches gehört!  —  Ich  gebe  aber  die  Hoffnung  nicht  auf, 
daß  ein  gütiges  Geschick  uns  später  noch  'mal  Alle  zu- 
sammen führe  —  daran  will  ich  zu  meiner  Erstarkung 
recht  festhalten. 

Lesen  Sie  inliegende  Zeilen  und,  sind  sie  Ihnen  recht, 
so  senden  Sie  sie  ab;  haben  Sie  aber  etwas  dagegen  einzu- 
wenden, so  sagen  Sie  es  mir.  .  .  . 


176  An  Selmar  Bagge 

An  Selmar  Bagge 

[Hannover,  Winter  1 86 1 ,] 
Geehrter  Freund 

Yor  allen  Dingen  den  aufrichtigsten  Dank,  daß  Sie  fort- 
fahren, meiner  so  theilnehmend  zu  gedenken,  wie  Ihr 
Schreiben  es  erkennen  läßt.  Wien  und  meine  dortigen 
Freunde  sind  für  mich  oft  Gegenstand  treuester  Erinnerung, 
und  wenn  ich  mir  es  leider  in  diesem  Winter  versagen 
muß  hinzugehen,  so  verfolge  ich  nichts  destoweniger  Alles 
mit  herzlichem  Interesse,  was  auf  musikalischem  Gebiet  und 
überhaupt  dort  geschieht.  Der  Grund,  weßhalb  ich  nicht, 
wie  ich  wollte,  schon  Anfangs  62  nach  Wien  reise,  liegt 
in  den  unglücklichen  politischen  Angelegenheiten,  die  Wien 
und  Pesth  in  zwei  Heerlager  theilen  ^).  Es  ist  mir  uner- 
träglich, zu  einer  Zeit,  wo  so  bedeutende  Konflikte  herein- 
drohen, Koncerte  gebend  neutral  von  beiden  Parteien  Nutzen 
zu  ziehen.  Ich  könnte  nicht  in  Wien  sein,  ohne  meine 
liebe  Vaterstadt  Pesth  aufzusuchen,  mich  in  letzterer  nicht 
aufhalten,  ohne  nachdrücklichst  auf  „Germanismus"  schim- 
pfen zu  hören  —  kurz,  ich  käme  aus  Aufregungen  nicht 
heraus,  die  zu  künsterischem  Wirken  nicht  taugen. 

So  muß  ich  mich  auf  nächsten  Sommer  und  Herbst  ver- 
ti'östen,  ich  welchem  Zeitraum  ich  länger  in  Oesterreich 
zu  verweilen  hoffe.  Ihren  Wunsch,  mich  über  „Dur  &  Moll" 
für  einen  größeren  Kreis  2)  auszusprechen,  kann  ich  leider 
aus  dem  Grund  nicht  erfüllen,  daß  mir  gerade  dies  D[avid]- 
sche  Werk^)  besonders  unsympathisch  ist:  ich  müßte  (nach- 
dem ich's  Ihretwegen  nochmals  durchgesehen)  Sachen  sagen, 

*)  wegen  der  Gesamtverfassung  vom  26.  Febr.,  gegen  die  Ungarn  re- 
monstrierte. 

')  in  der  von  Bagge  redigierten  „Deutschen  Musikzeitung". 

^)  Op.  39,  25  Etüden,  Kaprizen  und  Charakterstücke  in  allen  Tonarten 
für  Violine  allein  oder  mit  Klavierbegleitung. 


Von  Clara  Schumann  177 

die  meinen  persönlichen  guten  Beziehungen  und  den  Ver- 
pflichtungen gegen  einen  altern  Kollegen  (gewissermaßen 
auch  Lehrer)  sehr  hart  ankämen.  Viel  lieber  wäre  es 
mir,  Sie  überließen  mir  die  Besprechung  von  etwas,  das 
mich  recht  warm  machte  —  vielleicht  das  Sextett  von 
Brahms!  Das  würde  meiner  ohnehin  nicht  sehr  geübten 
Feder  beflügelnde  Hülfe  bringen! 

Grädener  bitte  ich  herzlich  zu  grüßen  und  Ihrer  Frau 
Gemahlin   angelegentlichste  Empfehlungen   zu   sagen  von 
Ihrem 

aufrichtigst  ergebenen 

Joseph  Joachim. 

Von  Clara  Schumann 

Leipzig  d.  i5.  Dec:  1861  Abends. 
Lieber  Joachim, 

Ich  muß  Ihnen  heute  noch  schreiben,  ich  weiß,  Sie  freuen 
Sich  mit  mir.  Johannes  Var:  sind  mir  gestern  schön  ge- 
lungen und  fanden  enthusiastischen  Beifall,  Hervorruf  etc: 
Die  Leute,  die  ich  dann  gesprochen,  haben  wenigstens  zu- 
gestanden, daß  sie  „interessant"  seyen,  freilich  mußte  ich, 
wie  immer,  erfahren,  daß  doch  die  Musiker  von  Fach  am 
schwersten  zugänglich  sind  —  sie  können  nicht  unbefangen 
in  sich  aufnehmen  und  sich  freuen,  daß  'mal  Einer  wieder 
etwas  Gescheutes  schreibt,  kaum  eingestehen  mögen  sie, 
daß  Etwas  daran  sey!  ich  könnte  Ihnen  Beispiele  sagen, 
doch  das  behalte  ich  mir  für  mündlich  vor.  Respect  vor 
diesen  Var:  haben  sie  denn  doch  mindestens  alle  bekommen, 
und  das  Andere  kommt  später;  einstweilen  freue  ich  mich, 
daß  es  so  ist. 

Das  Mozartsche  Concert  neulich  ist  sehr  gut  abgelaufen, 
viel  besser  als  ich  es  erwartet  hatte,  nur  hatte  R[einecke] 
das  Malheur,  nach  der  Cadenz  nicht  einzusetzen  mit  dem 


178  Von  Clara  Schumann 

Orchester,  was  mich  aus  der  sehönen  Stimmung,  in  der 
ich  war,  recht  unsanft  heraus  riß.  Das  Andere  ging  Alles 
sehr  gut,  jedoch  ich  selbst  fühlte  nicht  mehr  das  Behagen, 
Große  Freude  habe  ich  gehabt  an  Liedern  meines  Robert 
für  gemischten  Chor,  die  R,  reizend  einstudiert  hatte  und 
die  das  Publikum  entzückten.  Das  Zigeunerleben  mit  der 
Grädenerschen  Instrumentation  klang  prächtig  —  ich  konnte 
kaum  glauben,  daß  es  dieselbe  sey,  die  ich  kürzlich  in  Cöln 
gehört,  wo  Alles  so  flau  wie  möglich  klang. 

Röntgen's,  die  lieben  Künstler-Seelen,  sah  ich  heute  und 
erwarte  sie  noch  heute  Abend,  wo  ich  mit  ihnen  etwas 
musicieren  will.  Er  befindet  sich  nur  leider  in  letzter  Zeit 
sehr  angegriffen,  hat  aber  neulich  so  schön  im  Gewandhaus 
gespielt,  daß  noch  Alle  mit  großer  Wärme  davon  sprechen, 
was  mich  herzlich  freut.  Wenn  man  doch  Den  an  den 
rechten  Platz  bringen  könnte!  ich  freue  mich,  daß  er  das 
Theater  aufgeben  will  —  es  widert  ihn  zu  sehr  an. 

Wie  ich  jetzt  nun  wieder  so  hier  in  die  Verhältnisse 
blicke,  bin  ich  doch  recht  froh,  daß  Sie  nicht  hier  sind. 
In  H.  haben  Sie  es  doch  nur  mit  Einem  zu  thuen,  hier 
mit  Mehreren,  die  Einen  wohl  zur  Verzweiflung  bringen 
könnten.  Es  fällt  mir  jetzt  ordentlich  schwer  aufs  Herz, 
wenn  Sie  Ihre  Stellung  aufgeben,  und  ich  denke  wieder, 
Sie  könnten  Ihre  fünf  Monate  Urlaub  doch  ganz  zum  Ar- 
beiten an  einem  anderen  Orte  benutzen,  verdienten  im 
Winter  noch  so  zwischendurch  Einiges  und  brauchten 
weder  England  noch  sonst  Wen.  Es  ist  wohl  dumm,  daß 
ich  wieder  mit  diesem  Thema  komme,  aber  es  geht  mir 
doch  so  oft  durch  den  Sinn! 

Eben  kommen  Röntgens,  ich  soll  Sie  herzlich  grüßen 
und  Ihnen  sagen,  Ihr  Zimmer  stünde  immer  für  Sie  bereit. 

Marie  schreibt  mir  neulich  über  Ihr  Concert  von  Laub, 
ich  will's  Ihnen  lieber  hersetzen:  „man  hörte  Ihm  an,  daß 
er  es  mit  großer  Liebe  und  Hingebung  studiert  hatte,  es 
fehlte  Ihm  aber  Alles,  was  Einem  Joachim\s  Spiel  so  lieb. 


An  Clara  Schumann  179 

so  sympathisch,  so  über  Alles  schön  macht.  Er  hat 
weder  die  Gracie  noch  die  Seele  im  Ton,  und  Du  kannst 
Dir  denken,  was  ich  empfand,  dies  herrliche  Concert  von 
Laub  hören  zu  müssen ;  trotzdem  daß  er  es  technisch  wirk- 
lich meisterhaft  spielte,  fühlte  man  doch,  daß  er  es  nicht 
beherrschte. " 

D.  16. 

Ich  konnte  gestern  nicht  fertig  schreiben,  mochte  doch 
Röntgens  nicht  zu  lange  warten  lassen.  Wir  haben  Roberts 
D  moll  Sonate  gespielt,  und  ich  mich  wahrhaft  erfreut  an 
Röntgens  seelenvollem,  feinen  Spiele.  Diese  beiden  Menschen 
könnte  ich  sehr  lieb  haben,  ich  wollte,  ich  könnte  mit 
ihnen  an  einem  Orte  leben ;  die  Frau  wäre  eine  Freundin, 
wie  ich  sie  mir  wünschte,  immer  gewünscht  habe,  ein 
warmes  Künstlerherz  und  dabei  das  liebende  Weib  und 
die  prächtigste  Mutter,  Ich  halte  ihr  Herz  empfänglich  für 
Alles,  und  kräftig  dabei.  Morgen  will  ich  sie  noch  'mal 
besuchen  —  könnte  es  öfter  sein,  aber  hier,  wissen  Sie,  bin 
ich  nicht  Herr  einer  Minute. 

So  denn  Adieu,  lieber  guter  Joachim.  Lassen  Sie  mich 
bald  von  Sich  hören  und  seyen  Sie  looo  Mal  gegrüßt  von 

Ihrer 

Clara  Seh. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  d.  2.  Jan.  1862.] 

Liebe,  gute  Frau  Schumann. 

Sie  haben  mich  wie  immer  an  Aufmerksamkeit  und 
Herzensfreundlichkeit  sehr  überragt,  indem  Sie  mich 
am  i'^"  durch  Ihre  warmen  Zeilen  weckten,  währenddem 
ich  mich  begnügt  hatte,  meiner  lieben  Freunde  am  Sylvester- 
Abend  herzlich  zu  gedenken!  Sie  sind,  wie  ich  hoffe,  mit 
den  Kindern  und  Johannes  eben  so  heiter  beim  Punsch- 


i8o  An  Clara  Schumann 

dampf  und  Gläserklang  in  die  neue  Jahresnummer  gelangt 
wie  ich,  der  ich  bei  Kaulbach  mit  Scholzen's  zusammen 
war,  vorher  die  Es  dur  Salieri  Sonate  ^)  spielte,  und  dann 
eine  allerliebste  Kindermummerei  der  K'schen  Buben  mit 
ansah,  bei  der  wir  alle  vor  Lachen  (nicht  vor  Punsch!) 
kaum  aufrecht  stehen  konnten. 

Laub  2)  hat  hier,  namentlich  dem  Orchester,  sehr  gefallen ; 
auch  ist  er  wirklich  der  beste  Geiger,  den  ich  gehört  habe, 
und  ich  habe  mich  über  unsern  Hof,  der  die  Taktlosigkeit 
hatte,  sich  ungezogen  theilnahmlos  aufzuführen,  recht  ge- 
ärgert. Besonders  schätzen  lernte  ich  L.  im  Vortrag  eines 
letzten  Beethoven  u.  Haydn  bei  mir,  zu  denen  ich  2^  Geige 
spielte.  Sie  glauben  garnicht,  mit  welcher  Gefühlswärme 
und  Laune  er  die  Quartette  vortrug!  Weniger  gefiel  mir 
der  Vortrag  des  Beethoven'schen  Violin-Concertes,  bei  dem 
mich  die  etwas  virtuosenmäßigen  Kadenzen,  ein  bisweilen 
etwas  rauher  Ton  (statt  der  weichen  Fülle,  die  ich  ver- 
lange) und  etwas  moderne  Sentimentalität  im  Adagio  störten. 
Doch  mag  am  Ton  das  Instrument  schuld  sein,  das  zwar 
gut,  aber  nicht  ausgespielt  genug  ist.  Wahrhaft  erstaun- 
lich aber  spielt  er  mein  Concert,  so  feurig  und  sicher  in 
den  schwierigsten  Passagen,  wie  ich's  nicht  herausbringe. 
Es  freut  mich,  daß  er's  so  gerne  vorführt.  —  Übermorgen 
haben  wir  das  Concert  für  Marschner  im  Theater  —  leider 
so  bald,  denn  da  sich  jetzt  so  viel  Aufführungen  für  unser 
mittel- „reichisches"  Hannover  zusammendrängen,  so  habe 
ich  nicht  den  Muth,  Ihnen  zu  einem  Concert  zuzureden, 
und  Celle  allein  lohnt  mir  nicht,  wenn  ich  den  Flügel- 
transport bedenke.  Wenn  Sie  kommen,  besprechen  wir 
dies  Alles,  und  wann  für  Sie  ein  passenderer  Moment  zu 
finden  sei.  Für  Johannes  habe  ich  heut  ein  hübsches  Zim- 
merchen in  meiner  Straße  gefunden,  falls  er  wirklich  hier 

^)  Beethoven  op.  12,  Nr.  3. 

*)  Er  hatte  im  Abonnementskonzert  am  28.  Dezember  das  Beethoven- 
sche  Konzert  {jespieh. 


An  Herrn  v.  Guaita  i8i 


ein  wenig  aushalten  kann.  Sie  kommen  doch  wohl  zusam- 
men. Ich  bitte  nur  um  Stunde  der  Ankunft.  Die  Oktett*)- 
Stimmen  bitte  ich  mitzubringen. 

In  herzlicher  Ergebenheit 

J.  J. 

An  Herrn  v.  Guaita^) 

Hannover  i3.  Januar  [1862]. 
Ew.  Hochwohlgeboren 
erlaube  ich  mir  vertrauend  den  beiliegenden  Aufruf  zu 
übersenden,  der  sich  an  die  Musikliebenden  in  Deutschland 
wendet,  um  einen  hochverdienten  Komponisten  zu  ehren, 
der  namentlich  für  die  deutsche  Oper  rastlos  thätig  wirkte. 
Gewiß  hat  auch  in  Frankfurt  a.  M.  sich  das  Publikum  schon 
oft  an  manchem,  echteste  Empfindung  athmenden  Klang 
Marschner'scher  Musik  erlabt,  und  da  die  dortige  Bühne 
zugleich  auch  das  Glück  hat,  sich  einer  Verwaltung  zu 
erfreuen,  die  nicht  (wie  leider  jetzt  so  viele  Direktionen!) 
die  Kassen-Einnahmen  als  alleinige  Richtschnur  gelten  läßt, 
sondern  höhere  Zwecke  kennt  und  berücksichtigt,  so  wage 
ich  bei  Ew.  Hochwohlgeboren  anzufragen,  ob  wohl  von  der 
Direktion  des  Frankfurter  Theaters  die  Aufführung  einer 
Oper  von  Marschner  als  Beisteuer  für  das  Denkmal  des 
Komponisten  angeordnet  werden  könnte.  Gewiß  würde 
eine  solche  Aufführung  (die  an  sich  unsern  Zweck  schon 
wesentlich  fördern  könnte)  auch  an  andern  Orten  Sym- 
pathie und  Nacheiferung  erwecken,  und  so  hoffe  ich,  es 
werde  diese  Betrachtung  mich  entschuldigen,  wenn  ich 
durch  diese  Zeilen  die  Beschäftigungen  vermehrt  habe,  von 
denen  Ew.  Hochwohlgeboren  umdrängt  sind. 
Mit  ausgezeichneter  Hochachtung  ergebenst 

Joseph  Joachim. 

*)  Vielleicht  die  ursprüngliche  Fassung  der  Ddur-Serenade? 
')  Intendant  des  Frankfurter  Theaters. 


l82  An  Th.  Ave-Lallemant 


An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover,  Mitte  Februar  1862.J 

Lieber  Ave. 

Es  war  uns  beiden  ^)  eine  große  Freude,  Deinen  Brief  zu 
empfangen,  und  was  Du  uns  über  den  Josua  geschrie- 
ben, interessirt  uns  sehr.  Die  Aufführung  in  Aachen  war 
damals  auch  von  gewahigem  Eindruck;  ich  weiß  indeß 
nicht,  von  wem  die  Orchester-Bearbeitung  herrührte.  2)  Die 
geistige  Größe  mit  der  sinnhch  eindringhchen  Malerei  ist 
vielleicht  nirgends  in  solcher  Einfachheit  geboten  wie  bei 
Händel.  Bei  der  einen  Stelle,  wo  alles  ins  Schwanken  und 
Beben  geräth,  fühlt  man  sich  schaudernd  auf  der  eigenen 
Bank  nicht  mehr  sicher !  Es  giebt  wohl  kaum  einen  größern 
Kontrast,  als  das  Werk,  das  ich  auf  Graf  Platen's  Wunsch 
zum  nächsten  Concert  einstudiren  werde:  das  Scherzo  „Fee 
Mab"  von  Berlioz!  Hier  ist  alles  äußerliche  Wirkung.  Aber 
das  Einstudiren  soll  mir,  denke  ich,  doch  Spaß  machen. . . . 

An  denselben 

[Hannover  23.  Febr.  1862.] 

. . .  Wegen  Schrad[ieck]'s^)  Violine  müßt  Ihr  Euch  nicht 
übereilen.  Da  der  Junge  die  noble  Zusicherung  (Ihr  Hamb. 
seid  doch  fixe  Kerls !)  hat,  so  kommt's  auf  ein  halbes  Jahr 
gar  nicht  an.  In  diesem  Augenblick  wüßte  ich  nichts  zu 
empfehlen.  Ich  würde  vorschlagen,  mich  in  London  um- 
zuthun,  aber  da  ist  der  theuerste  Geigenmarkt.  Am 
besten  pflegt  man  in  Paris  zu  kaufen,  wenn  man  die  Sache 

^)  d.  h.  Brahms  und  J. 

*)  Von  Julius  Rietz. 

^)  Henry  Schradieck,  geb.  1846  in  Hamburjy,  seit  1874  Nachfol{jer 
Davids  im  Gewandhaus  und  Konservatorium  zu  Leipzig,  lebt  jetzt  in 
Amerika. 


An  Clara  Schumann  i83 

versteht,  weil  die  meiste  Concurrenz  etc:  da  ist.  Aber  vor 
Allem  übereilt  Euch  nirgends  damit;  der  Zufall  kann  viel 
thun.  Geigenmacher  sind  selten  makellos  ehrlich  beim 
Verkauf. . . . 

An  Clara  Schumann 

[London]  am  6.  März  [1862]. 
Liebe  Frau  Schumann. 

Seitdem  ich  mich  von  Johannes  getrennt  habe,  am  24'*"^) 
V.  M.,  ist  mir  wohl  jede  Aussicht  benommen,  von  Ihnen 
zu  hören,  wenn  ich  nicht  speciell  darum  bitte.  Ich  weiß 
gar  nicht,  wo  und  wie  Sie  leben!  Hiller  sagte  mir,  Sie 
wären  in  Karlsruhe  und  würden  mehrere  Tage  dort  blei- 
ben. In  Zeitungen  las  ich,  Sie  würden  in  Paris  erwartet! 
Mir  hatten  Sie  einmal  im  Winter  mitgetheilt,  Sie  hätten 
Lust,  die  Londoner  Ausstellung  mit  zu  sehen.  Soll  ich  mit 
Ella,  Chappel,  Bennett  etc,  sprechen  und  sagen,  daß  Sie 
gewiß  zur  Saison  kämen?  Sonst  ist  es  natürlich  sehr 
schwer,  Engagements  zu  ermöglichen. 

Auf  alle  Fälle  aber  schreiben  Sie  mir  recht  bald  ein  paar 
Worte,  wie  es  Ihnen  und  den  Ihrigen  geht.  Ist  Julchen 
wieder  besser?  Das  arme  Kind  soll  recht  leidend  gewesen 
sein.  Mir  geht  es,  nach  überstandener  häßlicher  Seereise, 
recht  gut.  Ich  bereue  es  nicht,  herüber  gefahren  zu  sein; 
mein  Zimmerchen  ist  sehr  wohnlich,  ein  schöner  Broad- 
wood  drin,  und  Rabe's^)  freundlich  drolliges  Gesicht  ist 
mir  gefolgt.  Meine  Adresse  ist:  40  S' James's  Place,  S' James's 
Street.  Miß  Busby  habe  ich  neulich  gesehen;  auch  Leh- 
mann's^),  bei  denen  ich  nächsten  Dienstag  mit  Dickens  essen 

*)  in  Hannover  bei  seiner  Abreise  nach  Köln,  wo  er  am  25.  im  8.  Ge- 
sellschaftskonzert sein  Ungarisches  Konzert  spielte. 

*)  Js.  Diener,  vgl.  Moser  II  72. 

')  Rudolf  Lehmann,  englischer  Maler;  1894  sind  von  ihm  „Reminis- 
cences"  erschienen. 


i84  An  Bernhard  Scholz 

soll.  Aber  die  lOOO  Fragen  von  ihnen  und  vielen  Andern 
nach  M™*  Seh.  konnte  ich  nur  sehr  ungenügend  beant- 
worten. Benutzen  Sie  doch  ja  bald  meine  Adresse,  damit 
es  anders  wird,  und  ich  nicht  roth  zu  werden  brauche,  als 
hätten  wir  uns  gezankt,  wenn  man  sich  nach  Ihnen  er- 
kundigt! Das  ist  gar  nicht  in  der  Ordnung,  Über  Gade^) 
und  über  manches  Andere  von  Hannover  hätte  ich  zu  er- 
zählen und  hoffe  darum,  bald  zu  hören,  wohin  ich  meine 
Gedanken  wenden  soll.  Ohne  Zielpunkt  in  die  Welt  hinein 
zu  schreiben,  ist  unbehaglich,  das  haben  Sie  gewiß  auch 
erfahren, 

Schuberth  hat  mich  gebeten,  meine  Bearbeitung  des 
Abendlieds  drucken  zu  dürfen.  Ich  habe  es  unter  der  Be- 
dingung erlaubt,  daß  er  keine  Anpreisungs-Annoncen  macht 
und  bloß  in  Klammern  mit  kleinen  Buchstaben  auf  den 
Titel  des  Blättchens:  bearbeitet  für  Violine  etc.  von  J.  Joa- 
chim setzt.  Ist's  aber  Ihnen  auch  recht?  Schuberth  wartet 
auf  Antwort;  Sie  müssen  also  bald  ein  paar  Zeilen  schrei- 
ben. 

Für  diesmal  Adieu! 

In  herzlicher  Ergebenheit 


An  Bernhard.  Scholz 


Joseph  Joachim. 


[London  i3.  März  1862.] 


Lieber  Scholz 

Es  sind  über  i4  Tage,  daß  ich  von  Hannover  fort  bin, 
und  ich  habe  vieles  erlebt,  aber  leider  bin  ich  ohne 
alle  Nachricht  von  den  dortigen  Freunden.  Ihr  schwärmt 
wohl  in  Masken-  und  andern  Bällen?    Oder  komponiren 

*)  Gade  hatte  Joachim  Mitte  Februar  in  Hannover  aufgesucht  und  dort 
Brahms  und  dessen  Klavierquartette  kennen  gelernt;  vgl.  Dagmar  Gade: 
N.  W.  Gade.   Kebenh.  1802,  S.  i6o. 


An  Bernhard  Scholz  i85 

Sie?  Oder  seid  Ihr  über's  Feld?  Oder  schlaft  Ihr^),  länger 
als  bis  8?  Mir  geht's  recht  gut;  ich  musicire  viel  und 
habe  mir  sogar  neulich  Abend  einen  Doppelgänger  ange- 
schafft, da  ich  in  S'  James'  Hall  und  Hannover-Square 
Rooms  zugleich  zu  spielen  versprochen  hatte!  Ohne  Spaß 
fuhr  ich  2  mal  hin  und  her,  um  meine  Schuldigkeit  zu 
thun,  wie  Sie  aus  den  Programmen  sehen  werden,  die  ich 
mitschicke.  Gestern  Abend  führte  ich  mein  eigen  Concert 
vor.  Der  zweite  und  letzte  Satz  gingen  recht  gut,  der  i'*'  war 
ungenügend  probirt.  Doch  war  das  Publikum  sehr  freund- 
lich, es  waren  die  meisten  Musiker  Londons  unter  den 
2000  Hörern,  was  mich  sehr  freute.  Man  behandelt  mich 
hier  wie  einen  alten  Bekannten,  herzlich  theilnehmend, 
und  das  thut  immer  wohl.  Das  Einzige,  was  vollkommenen 
Aufführungen  hier  im  Wege  steht,  ist  Zeitmangel.  Die 
Orchester-Kräfte  mehrerer  Gesellschaften  sind  ganz  außer- 
ordentlich gut.  Lesen  thut  auch  unsere  (oder  vielmehr 
Ihre)  Hannoverische  Kapelle  nicht  besser.  Dabei  muß  es 
aber  auch  stehen  bleiben,  wenn  die  Herren  nicht  gewisse 
Sachen  allmälig  auswendig  lernen,  durch  ofte Aufführungen. 
Neulich  hörte  ich  Mendelssohn's  Lobgesang  in  Exeter-Hall. 
Die  Chöre  sehr  sicher  und  kräftig,  aber  ohne  Feinheit. 
Morgen  wird  der  Israel  dort  gegeben,  der  den  Leuten  hier 
recht  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen  ist;  das  wird  schön, 
hoffe  ich.  Sie  sind  wohl  auch  mitten  in  den  Proben  für 
das  Werk.  —  Heute  Abend  werde  ich  Dickens  lesen  hören. 
Ich  machte  vorgestern  bei  einem  Diner  seine  Bekanntschaft 
und  freute  mich  über  sein  kräftiges,  unaffektirtes  Wesen; 
als  Kontrast  gegen  meinen  Nachbar  zur  Rechten,  der  Nie- 
mand anders  als  Bulwer  war.  Was  hätte  ich  um  das 
Album  Ihrer  Frau  gegeben?  There  was  an  occasion ! ! ! 
B.  ist  gelehrt,  gemacht  eitel,  natürlich  nicht  uninteressant 
mit  haut  goüt  blase.  Lieber  Freund,  verzeihen  Sie  mir, 
daß  ich  so  hinschmiere,  aber  wenn  ich  nicht  ein  flüchtiges 
*)  Anspielung  auf  Mendelssohns  Elias. 


i86  Von  Fürst  Georges  Nicolas  Galitzin 

Lebenszeichen  gebe,  laufe  ich  Gefahr,  gar  nicht  zu  schreiben, 
und  also  nichts  von  Euch  zu  hören. 

Miß  Henny  and  Buba  und  alle  Freunde,  Nicola,  Brink- 
mann, Kaulbach,  Eyertts  müssen  Sie  herzlich  grüßen. 
Vom  König  höre  ich  nichts;  das  nenne  ich  unhöflich. 
Herzlich  ergeben 

Ihr 

J.  J. 
Rabe's   Zunge   fangt  an  gelöst  zu   werden;   er  krächzt 
englisch,   was  ihn   nicht   unergötzlicher  macht.    Er  lacht 
mit  dem  ganzen  Gesicht,  da  ich  ihm  sage,  ich  schreibe  an 
Scholzens. 

Von  Fürst  Georges  Nicolas  Galitzin 

Londres  33  golden  Sq. 
17  Mars  1862. 
Monsieur  Joachim, 

Je  ne  puis  vous  exprimer  le  bonheur  que  j'ai  eprouve 
hier  en  vous  entendant  executer  le  grand  quatuor  de 
Beethoven  en  la  mineur,  qu'en  vous  priant  d'accepter  les 
manuscrits  ci-joints. 

Le  double  souvenir  de  Beethoven  et  de  mon  pere  est  cer- 
tainement  un  objet  sacre  pour  raoi  —  mais  c'est  aussi  pour 
cela  que  je  trouve  juste  de  le  remettre  entre  les  mains  de 
Joachim. 

Veuillez  agreer  mon  estime 

Georges  Nicolas  Galitzin 
Je  nie  fais  aussi  un  plaisir  de  joindre  ä  la  präsente  le 
quatuor  en  si  b,  lequel  je  vous  prie  d'accepter  en  souvenir 
direct  de  ma  part.  i) 

*)  Demnach  scheinen  die  Manuskripte  von  Beethovens  op.  i3o  und  182 
vorübergehend  im  Besitze  Joachims  gewesen  zu  sein,  bevor  sie  der  Samm- 
lung Paul  Mendelssohn  Barthoidys  einverleibt  wurden,  die  dann  1908  von 
seinem  Sohne  Ernst  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  geschonkt  ward. 


An  Clara  Schumann  187 


An  Clara  Schumann 

[London]  Am  ao'*"  [März  1862]. 

Liebe  Frau  Schumann 

Ich  bin  selten  so  überrascht  gewesen,  als  durch  Ihre  Be- 
stätigung Ihrer  Ankunft  in  Paris ;  denn  weder  Johannes 
noch  ich  hatten  die  Zeitungsnachrichten  ernst  genommen. 
Ich  bin  nun  schon  sehr  neugierig  auf  das,  was  Sie  mir  von 
dem  Erfolg  dort  schreiben  werden.  Die  Pariser  sollen  für 
die  virtuosen  Leistungen  ein  sehr  gebildetes  Urtheil  haben, 
und  so  werden  sie  denn  jedenfalls  enthusiastische  Zuhörer 
für  Sie  abgeben.  Es  muß  nebenbei  sehr  angenehm  für  Sie  sein, 
mit  Frau  Erard  und  Frau  Viardot  einige  Zeit  zuzubringen. 
Beiden  Damen  bitte  ich  freundlichste  Empfehlungen  von 
mir  zu  sagen.  Das  Louvre  und  manche  der  kleinern  Thea- 
ter sähe  ich  selbst  gern  wieder  einmal;  ich  war  vor  12 
Jahren  doch  noch  etwas  zu  jungenhaft,  um  den  rechten 
Genuß  von  Paris  zu  haben. 

Heute  muß  Ihr  erstes  Concert  dort  sein,  von  dem  ich 
bald  zu  hören  hoffe;  Ihre  Pläne  werden  sich  wohl  wesent- 
lich durch  dasselbe  bestimmen  lassen.  Was  Sie  vorläufig 
von  London  schreiben,  klingt  leider  so,  als  ob  ich  wenig 
Aussicht  haben  sollte,  Sie  hier  zu  begrüßen!  Ich  habe  in- 
deß  sofort  nach  Ihrem  Schreiben  mit  Chappeirs,  Ella  und 
Bennett  gesprochen.  Es  ist  ganz  unmöglich,  wenn  Sie  nicht 
bestimmt  die  Absicht  haben,  London  zu  besuchen,  En- 
gagements zu  bekommen,  so  gerne  Ihnen  gewiß  viele  An- 
erbiethen  machten,  wenn  Sie  Ihres  Kommens  sicher  wären. 
Voraus  wüßte  ich  Ihnen  nur  etwa  6  Engagements  gewiß 
zu  verschaffen,  von  der  Musical  Union,  den  Populär  Con- 
certs  und  der  alten  Philharmonie.  Die  neue  und  die 
Musical  Society  of  London  würden  wahrscheinlich  nach- 
folgen, wohl  auch  noch  viele  andere;  aber  Sie  können  doch 
unmöglich  verlangen,   daß  alle  Concertgeber  ein  Meeting 


i88  An  Clara  Schumann 

halten,  um  eine  runde  Zahl  Engagements  zusammen  zu 
bringen  und  anzubiethen.  Etwas  anderes  wäre  es,  wenn 
Sie  schon  Anfangs  des  Winters  versprochen  hätten,  die 
Saison  hier  zuzubringen. 

Ob  diese  „brillant"  wird,  weiß  man  nicht  zu  sagen;  eine 
interessante  Zeit  aber  giebt's  gewiß,  und  ich  freue  mich 
auf  die  vielen  Anregungen,  welche  die  Ausstellung  mit  sich 
bringen  wird.  Da  Sie  so  nahe  sind,  sollten  Sie  im  Mai 
jedenfalls  auf  i4  Tage  mit  Fräulein  Marie  herüber  kom- 
men, um  die  exhibition  zu  sehen;  Benzon's,  die  eben  erst 
wieder  gekommen  sind,  würden  sich  gewiß  freuen,  Sie  zu 
beherbergen.  So  meint  wenigstens  ihr  Bruder,  Lehmann. 
Benzon's  selbst  kenne  ich  nicht,  habe  mir  aber  ihre  Adresse 
geben  lassen  . . . ,  um  Ihretwegen  Erkundigung  zu  holen. 
Mein  Goncert  hat  in  der  Musical  Society  diesmal  wirklichen 
Erfolg  gehabt,  wenigstens  die  beiden  letzten  Sätze,  die  auch 
gut  begleitet  wurden,  während  beim  i'^"  Satz  einige  kleine 
Malheurs  passirten. 

Von  Hannover  kann  ich  noch  nichts  sagen;  der  König 
antwortet  auf  meine  Urlaubsbitte  nicht.  —  Das  Ständchen 
hatte  mir  gegolten.  Ich  schreibe  bald  wieder.  Grüßen  Sie 
Fräulein  Marie  vielmals. 


Ih 


J.  J. 


An  Clara  Schumann 

[London   i.  April   1862.] 
Liebe  Frau  Schumann 

Es  wird  Ihnen  überraschend  sein  von  mir  zu  hören,  daß 
ich  vom  21"'"  bis  3o""  Mai  nach  Hannover  gehe,  um 
dort  am  27'^"  zu  des  Königs  Geburtstag  ein  Goncert  zu 
dirigiren!  die  Königin  richtete  durch  Fräulein  v.  d.  Gabe- 
lentz   eine  so  freundliche,   dringende  Bitte  an  mich,    ich 


An  Clara  Schumann  189 

möchte  ihr  die  Idee,  den  König  auf  diese  Weise  zu  „über- 
raschen" nicht  verderben,  daß  ich  unmögHch  so  unritter- 
hch  sein  konnte  „Nein"  zu  sagen;  obwohl  ich  weiß,  daß 
ich  dadurch  manche  unangenehme  Auseinandersetzung 
wegen  meines  Urlaub-Gesuches  für  2  Jahre  auf  mich  lade. 
Ich  denke  aber  fest  zu  bleiben;  umsomehr  als  mir  wirk- 
lich im  Gedanken  an  die  kleine  Stadt  mit  den  allerlei  Hof- 
Umständlichkeiten  schon  jetzt  graut  — .  Die  ganze  Über- 
raschungs-Geschichte bleibt  aber  wohl  unter  uns. 

Mir  geht  es  ganz  gut;  Sie  wissen,  wie  heimisch  ich  mich 
hier  fühle,  und  ich  bedauere  immer  nur,  daß  Ihnen  die 
Schattenseiten  des  hiesigen  Lebens  nicht  auch,  wie  mir, 
im  Zusammenhang  mit  lieben  Erinnerungen  erträglich  vor- 
kommen! Wie  gern  redete  ich  recht  zu,  Sie  sollten  auf 
jeden  Fall  kommen ;  das  darf  ich  aber  nicht,  denn  es  käme 
mir  zu  egoistisch  vor!  Ich  habe  auch  mit  Broadwood  dem 
altern^)  gesprochen,  welcher  ebenfalls  meint,  daß  es  noch 
ungewiß  sei,  ob  die  Ausstellung  günstig  oder  ungünstig 
auf  die  Concerte  wirken  würde.  Er  wünscht  sehr,  daß  Sie 
kommen,  und  hat  das  aufrichtigste  Interesse  dabei  —  aber 
er  meint,  ein  Risiko  müsse  jeder  fremde  Künstler  über- 
nehmen, wenn  er  nicht  alljährlich  erscheint.  Ella  wird 
Ihnen  wohl  selbst  geschrieben  haben.  Chappeirs  würden 
Sie  für  2  Abende  der  „Populär  Concerts^)  engagiren, 
und  wenn  diese  Concerte  allwöchentlich  fortgesetzt  wer- 
den, was  wohl  wahrscheinlich  so  kommen  muß,  noch  öfter. 
Der  Name  „Pop''"^  Conc'^"  erschreckt  Sie  hoffentlich  nicht; 
er  kommt  davon,  daß  auch  Plätze  zu  einem  Shilling  ver- 
kauft werden,  um  auch  den  Unbemittelten  die  Möglich- 
keit zu  verschaffen,  zuzuhören.  Es  wird  nur  die  allerbeste 
Kammermusik  da  aufgeführt,  vom  letzten  Beethoven  bis 

*)  Klavierfabrikant. 

-)  Die  1  SSg  von  Arthur  Chappell  begründeten,  noch  heute  bestehenden 
Kammermusikaufführungen,  gewöhnlich  kurzweg  „Pops"  genannt,  vgl. 
Grove's  Diction.  unter  Monday  Pop.  Concerts. 


190  An  Clara  Schumann 

zum  jungen  Haydn,  vor  2000  u.  mehr  Hörern,  wobei  denn 
Apollo  freilich  auf  Gerechte  und  Ungerechte  seine  goldnen 
Strahlen  gießt.  Wie  schön  ist's,  daß  die  Pariser  Ihnen  so 
dankbar  sind,  und  mit  Verständniß!  Ja,  Musik  mit  An- 
dacht dargebracht,  übt  Macht;  sie  wird  immer  mehr  Aus- 
breitung gewinnen,  je  mehr  die  Wiener  großen  Meister 
von  den  Künstlern  verstanden  und  mit  Überzeugung  ge- 
spielt werden.  Das  lockt  die  Liebhaber,  und  so  schlagen 
diese  Wellen  in  der  Empfindung  des  Menschen-Geschlechts 
immer  weitere  Ringe.  Das  sehe  ich  hier,  wenn  ich  heute 
mit  der  Zeit  vor  10  Jahren  vergleiche.  Mag  auch  immer- 
hin bei  den  Einzelnen  etwas  Affektation  mit  unterlaufen! 
Wie  geht's  Johannes?  Ich  kann  mit  dem  besten  Willen 
hier  nicht  regelmäßig  correspondiren,  will  ihm  aber  in  den 
nächsten  Tagen  schreiben.  Benzons  waren  mit  Ihnen  gleich- 
zeitig in  Paris,  ohne  es  zu  wissen,  daß  Sie  dort. 

Neulich  (am  28)  haben  wir  bei  Marie  Benecke  ^)  den 
Tag,  an  dem  Mendelssohns  silberne  Hochzeit  gewesen  wäre, 
durch  3  Quartette  von  ihm  gefeiert.  Es  war  mir  ganz 
eigenthümlich  ernst  dabei  zu  Muth;  ich  wurde  aber  durch 
und  durch  erwärmt  durch  manche  lichte  Stelle  in  den 
Werken,  welche  mir  im  ganzen  Zusammenhang  mit  seiner 
vollendeten,  reinen  Menschlichkeit  aufgieng,  wie  ich  so  an 
ihn  dachte. 

Adieu,  liebe  Frau  Schumann !  Grüßen  Sie  Fräulein  Marie 
von  mir;  und  denken  Sie  an  meine  aufrichtige  Ergeben- 
heit, wenn  Sie  mir  manchmal  etwas  übel  nehmen  wollen. 

J.  J. 


^)  Älteste  Tochter  F.  Mendelssohns,  mit  dem  Raufmann  Victor  B.  ver- 
heiratet. 


Von  Clara  Schumann  191 

An  Frau  Marie  Benecke 

[London  8.  April  1862.] 
Verehrte  Frau! 

Mit  aufrichtigstem  Bedauern  erhielt  ich  die  Nachricht, 
daß  ^veder  Sie  noch  Ihr  Herr  Gemahl  die  Fahrt  nach 
Manchester  mitmachen  können.  Es  wäre  gar  zu  hübsch 
gewesen,  die  „Kunst "-Reise  in  eine  Vergnügungstour  um- 
gewandelt zu  sehen !  Ich  habe  neulich  vergebens  versucht, 
Ihnen  und  den  Ihrigen  im  Crystal-Palace  auf-  und  ab- 
wandelnd zu  begegnen,  möchte  aber  nicht  unterlassen, 
Ihnen  wenigstens  nachträglich  zu  dem  Erfolg  Ihres  Schütz- 
lings^) zu  gratuliren,  der  das  gute  Omen  hat,  unter  Ihrer 
Pathenschaft  in  die  Musikwelt  eingeführt  zu  werden.  Es 
ist  vieles  in  SuUivans  Musik,  das  mich  recht  angesprochen 
hat.  Kraft  und  Originalität  werden  mit  den  Jahren  (bei 
so  frischem  Erfassen  der  Aufgabe  und  so  geschickter  Be- 
handlung der  Mittel  für  einen  Jüngling)  gewiß  wachsen 
und  Erfreuliches  schaffen. 

Mit  herzlichem  Gruß  an  Herrn  Benecke,  verehrte  Frau, 
Ihr  aufrichtigst  ergebener 

Joseph  Joachim. 

Von  Clara  Schumann 

Paris  d.  9  April  62. 
Lieber  Freund, 

Sie  hätten  schon  früher  auf  Ihren  lieben  Brief  Antwort 
erhalten,  ich  war  aber  zu  furchtbar  beschäftigt  und 
bin  wirklich  jetzt  ganz  herunter.  Ich  habe  diese  ganze 
Woche  jeden  Abend  zu  spielen,  und  die  Soireen  sind  in 
den  kleinen  Salon \s  und  der  enormen  Hitze  anstrengender 

')  A.  Sullivan,  damals  20  Jahre  alt,  war  der  erste  Mendelssohnstipendiat. 


192  Von  Bernh.  Scholz 

als  alle  Concerte.  Ich  kann  Ihnen  heute  den  glücklichen 
Verlauf  des  Conservatoire  und  meines  letzten  Concerts  gestern 
mittheilen.  Im  Conservatoire  ist  Alles  sehr  gut  gegangen, 
und  ein  wahrer  Beifallssturm  nach  dem  Concert  v.  Beethov. 
Auch  gestern  fehlte  es  an  Nichts.  Ich  spielte  Roberts  Quar- 
tett und  wurde  wieder  sehr  schön  von  dem  Arminigaud'- 
schen  Quartett  begleitet.  Merkwürdig  ist  es  mir,  und  ist 
es  wohl  als  kein  sehr  gutes  Zeichen  für  den  Geschmack 
anzusehen,  daß  das  Maurin'sche  Quartett  hier  einen  weit 
größeren  Ruf  hat,  meiner  Ansicht  nach  aber  dem  von 
Armingaud  nicht  an  die  Seite  zu  setzen  ist.  Maurin  gefällt 
sich  in  den  schönsten  Contrasten,  er  heult  entweder  oder 
er  haut  plötzlich  auf  ein  paar  Noten  so  hinein,  so  ohne 
allen  Verstand,  daß  es  ganz  widerlich  anzuhören !  Ich  finde 
das  Quartett  v.  Armingaud  so  warm,  die  Leute  behaupten 
aber,  das  sey  nur,  wenn  sie  mit  mir  spielten.  Jedenfalls 
sind  Armingaud  und  Lalo  (Viola)  gebildete  Musiker,  wäh- 
rend Maurin  ganz  dumm  ist.  Das  aber  nur  Ihnen  —  ich 
nehme  mich  hier  sehr  in  Acht  und  ertappe  mich  oft  auf 
einer  Politik,  die  mich  in  Erstaunen  setzt.  Es  ist  aber  zu 
nöthig,  denn  geklatscht  wird  gerade  wie  in  einer  kleinen 
Stadt.  . . . 


Von  Bernh.  Scholz 

Hannover  10.  April  1862. 

My  very  dear  friend,  da  Sie  gar  nichts  von  sich  hören 
lassen,  so  muß  ich  Ihnen  wieder  einmal  schreiben, 
damit  unser  Verkehr  nicht  ganz  in's  Stocken  kommt.  Ich 
habe  schon  vermuthet,  meine  beiden  ersten  Briefe  seien 
gar  verloren  gegangen,  weil  Sie  nicht  antworten;  deshalb 
adressire  ich  diesen  an  Ihren  Bruder;  zugleich  lege  ich 
Ihnen  mehrere  Fragen  vor,  auf  die  Sie  mir  antworten 
müssen;  das  nennt  man  Correspondenz  per  Zwangscours. 


Von  Bernh.  Scholz  198 

Ich  habe  mit  Vergnügen  gehört,  daß  Sie  zum  Geburts- 
tag des  Königs  da  sein  werden.  Haben  Sie  ein  Programm 
festgestellt?  Stockhausen  war  da,  sang  zwei  Mal  bei  Hofe 
und  hat  seine  Bereitwilligkeit  erklärt,  zum  festlichen  Tag 
da  zu  sein.  Etwas  Größeres,  etwa  Alexanderfest,  läßt  sich 
wohl  in  den  Rahmen  des  Conzerts  nicht  einfügen,  da  der 
König  Sie  natürlich  am  liebsten  spielen  hören  wird,  die 
Königin  Sie  auch,  wie  ich  vernahm,  schon  dazu  auffordern 
ließ.  Haben  Sie  Chor-Wünsche  irgend  einer  Art,  so  lassen 
Sie  es  umgehend  hören;  wenn  ich  Ihnen  helfen  kann,  so 
geschieht  es  ja  gern,  wie  sie  wissen.  Andrerseits  ist,  wie 
Sie  wissen,  das  Publicum  der  eigentlichen  Hofconzerte 
längeren,  gar  oratorischen  Sachen  abhold.  Wäre  es  über- 
haupt nicht  am  Platze,  Garantieen  gegen  Wiederholung 
eines  ähnlichen  Lärmens,  wie  er  im  vorigen  Jahre  statt- 
fand, zu  verlangen.  Ich  meine,  daß  Sie  das  unbedingt  thun 
können. 

Vorigen  Sonnabend  habe  ich  den  Israel  mit  240  Sängern 
im  Theater  aufgeführt;  er  ging  wirklich  sehr  gut  —  „das 
hörten  die  Völker  (Hannovers)  und  sind  erstaunt"  ;  die 
Leute  hatten  sich  schon  allerhand  Dinge  erzählt,  die  Auf- 
führung käme  nicht  zu  Stande  u.  dgl. ;  nachträglich  mußten 
selbst  meine  Neider  gestehen,  daß  eine  solche  Aufführung 
hier  noch  nicht  gehört  worden  sei.  Der  König  hat  eine 
W^iederholung  nach  Ostern  erbeten. 

Am  Dienstag  gab  Auer  seine  Soiree;  er  spielte  vortreff- 
lich. Der  König  war  auch  anwesend;  nachher  war  noch 
bis  I2i/^  Uhr  Hofconzert  mit  Stockhausen.  Ich  war  Tags 
darauf  wie  gerädert. 

Der  König  läßt  Sie  bitten ,  doch  auf  Sir  George  Smarts 
Jubiläum  nicht  zu  vergessen;  es  liege  hier  Alles  für  ihn 
bereit. 

Waren  Sie  so  freundlich,  mir  numerirte  Plätze  zu  den 
Händel-Conzerten  zu  sichern  ?  Bitte  nochmals  darum,  wenn 
es  noch  nicht  geschehen  sein  sollte. 

i3 


194  An  Bernh.  Scholz 

Grüßen  Sie  Mr.  Henry  Joachim,  Pauer  und  empfehlen 
Sie  mich  auch  dem  wohlwollenden  Andenken  of  Mr.  Rabe. 
Herzlichen  Freundesgrnß 

von  Ihrem 

Scholz. 
P.  S.    Unsere  Capelle  spielt  wirklich  gut  und  hat  auch 
Zeit  zum  Probiren,  solange  Sie  es  wollen. 

Ebenso  können  Sie  hier  Quartett  spielen,  wann,  wo,  wie, 
was  und  so  oft  Sie  wollen. 

Haben  Sie  das  anderswo  auch? 

Antwort  auf  diese   „Bescheidenheitsfrage"   erbittet  sich 

Ihr  alter 


[Unterschrift  ausgerissen] 


An  Beruh.  Scholz 


[London  il\.  April   1862.] 
Mein  lieber  Scholz 

Sie  und  Ihre  liebe  Frau  sammeln  feurige  Kohlen  über 
mein  Haupt ;  sie  verwandeln  sich  aber  in  einen  ganzen 
sonnigen  Ball,  der  mich  wärmt  und  mir  das  Gefühl  der 
Sicherheit  giebt,  daß  Eure  Freundschaft  mir  fort  und  fort 
leuchtet.  Ich  habe  mich  lange  nicht  über  einen  Brief  so 
sehr  gefreut  wie  über  Ihren  (bis)  letzten  mit  den  lieben 
M.  S'^"  von  Buba  und  Henni.  Ihre  Händel  Tickets  sollen 
besorgt  werden;  ich  denke,  es  soll  uns  nicht  einmal  was 
kosten.  Aber  es  ist  jammerschade,  daß  Frau  Spätzin  nicht 
mitfliegen  kann ;  die  hätte  Frische  genug,  um  London,  trotz 
aller  Schattenseiten,  herzlich  zu  genießen.  Ein  ander  Jahr 
muß  sie  auch  her.  Sehr  leid  thut  mir's  auch,  daß  wir  die 
Rückreise  nicht  im  Juni  zusammen  machen  können;  ich 
muß  aber  am  20'  Mai  noch  in  Liverpool  spielen,  und  am 
3o""  wieder  in  London,  so  daß  ich  nur  8  Tage  für  die 
ganze  Fahrt  nach  Hannover  habe.    Eine  Einladung  zum 


An  Bernh.  Scholz  ipS 

Kölner  Musikfest  war  ich  auch  abzulehnen  genöthigt. 
Die  Reise  nach  H.  ist  für  mich  ein  Opfer;  aber  die  Kö- 
nigin ließ  mir  den  Wunsch,  mich  zum  26'^"  dort  zu  wissen, 
so  herzlich  aussprechen,  und  in  Form  einer  Bitte  (wo  man 
ja  befehlen  konnte),  daß  ich  das  Opfer  mit  Freuden  bringe. 
Ich  sollte  Frau  Goldschmidt  zu  gewinnen  suchen  (was  ich 
schreibe,  ist  natürlich  immer  unter  6  Augen!),  habe  aber 
noch  keine  Antwort  auf  den  Brief  des  Frl.  v.  Gabelentz  an 
die  Goldsch:.  Meine  Meinung  war  von  vornherein,  daß  die 
Sängerin  die  Einladung  nicht  werde  annehmen  können; 
ihre  Entscheidung  ist  aber  jedenfalls  jetzt  abzuwarten,  be- 
vor man  weitere  Schritte  thut.  Kann  sie  nicht,  so  wäre 
freilich  Stockhausen  der  beste  Ersatz,  und  ich  werde  ihn 
vorschlagen.  Vielleicht  giebt  mir  dann  außerdem  die 
Goldsch:  eine  Arie  von  Mozart  mit  obligater  Violine  für 
Frl.  Ubrich  (nicht  die  in  B),  die  dem  König  und  der  Kngn: 
gewiß  gefallen  würde.  Meine  Meinung  wäre,  da  ich  auch 
die  Bedenken  gegen  Chor  hege,  welche  Sie  Ihrerseits  mit- 
theilen, ein  Concert  in  Form  der  Abonnemts-Conc'^  zu  ver- 
anstalten: einem  1'*"  Theil  (den  sie  dirigirten  u.  in  dem 
ich  spielte)  und  für  den  2"""  Theil  eine  Beethv'sche  Sin- 
fonie (Bdur).  Gegen  Schwatzlust  wird  sich  wohl  schwer- 
lich etwas  thun  lassen!  Aesthetisches  Schamgefühl  ist  bei 
der  Majorität  der  Hoffähigen  ja  nicht  vorhanden,  und 
Prügel  darf  man  selbst  in  Hannover  nicht  drohen,  selbst 
wenn  der  Kultusminister  Lust  hätte.  Weiß  denn  Platen 
schon  etwas  vom  Vorhaben  der  Königin?  Bellt  er?  Ich 
habe  ihn  nicht  übel  in  Verdacht,  einige  freundliche  Notizen 
in  den  Blättern  (Ungnade,  Urlaub  und  Entlassung  zugleich 
nachschicken  etc.)  veranlaßt  zu  haben;  dennoch  will  ich  in 
meinem  nächsten  Brief  an  Frl:  v.  Gabelentz  bitten,  daß 
man  die  Concert -Sache  nicht  ohne  meinen  „Chef"  be- 
treibe — .  Ich  bin  nicht  rachsüchtig.  Über  meine  Bitte  um 
Urlaub  habe  ich  meine  Ansicht  nicht  geändert;  doch  wollen 
wir  das  Thema  bis  auf's  Wiedei^sehen  lassen. 

i3* 


196  An  Clara  Schumann 

Sehr  habe  ich  mich  über  den  Erfolg  der  Singakademie 
gefreut.  Studiren  Sie  jetzt  Ihr  Requiem?  Ich  möchte  wohl 
etwas  daraus  hören,  wenn  ich  nach  Hannover  komme. 
Gienge  das?  Sehr  hoffe  ich,  bevor  ich  zu  Ihnen  komme, 
noch  einmal  von  Ihnen  zu  hören.  Grüßen  Sie  Fräul:  Soest, 
Nicola,  Eyertts,  Lindhult,  Kaulbach.  Letzterem  schreibe 
ich  in  den  nächsten  Tagen;  sonst  schäme  ich  mich  gar  zu 
sehr,  wenn  ich  wiederkomme.  Sie  und  Ihre  liebe  Frau  in 
getreuester  Erinnerung  bewahrend, 

Joseph  Joachim. 

Mein  Bruder  wünscht  freundschaftlichst  empfohlen  zu 
sein. 

P.  S.  Rabe  war  ganz  verklärt  vor  Vergnügen ,  daß  Sie 
Sich  seiner  erinnern. 

Was  macht  Gunz? 


An  Clara  Schumann 

[London  d.  i5.  April  1862.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Es  ist  also  entschieden,  daß  Sie  nicht  kommen !  So  leid 
dies  mir  persönlich  thut,  so  bin  ich  doch  insofern  ge- 
tröstet, als  ich  glaube,  daß  Sie  mit  der  Ausstellung  hätten 
eine  Masse  Unruhe  in  den  Kauf  nehmen  müssen.  Es  kom- 
men schon  viel  Bekannte  zusammen,  auch  sehr  angenehme: 
Karl  Mendelssohn  1),  den  ich  eben  gesehen  habe.  In  einer 
Stunde  kömmt  Mariens  Bekannte,  Helene  Figdor^)  mit 
ihrem  Vater  u.  Bruder  an.  Aber  zum  Wichtigsten:  zu 
Ihrem  Protege  3). 

Wenn  Sie  meinen,  daß  es  zu  seinem  Glück  unabänder- 
lich not  big  sei,  schon  jetzt  Paris  zu  verlassen  u.  hieher 

^)  Sohn  Felix  M's.,  bekannter  Historiker,  -j-  1897. 

^)  Cousine  Js.,  Braut  des  Heidelberger  Ophthalmologen  O.  Becker. 

*)  dem  Geiger  Rose,  der  damals  in  Paris  studierte. 


An  Clara  Schumann  197 

zu  kommen,  so  würde  ich  natürHch  trachten,  soviel  wie 
möglich  zur  Erreichung  seiner  Absichten  beizutragen.  Nur 
muß  ich  darauf  aufmerksam  machen:  die  Zeit  der  Aus- 
stellung wird  für  einen  jungen  Menschen  sehr  aufregend 
u.  vom  Studium  ablenkend  werden.  Alles  (oder  wenigstens 
vieles)  mitzumachen,  wird  sehr  kostspielig  sein;  in  London 
leben  und,  während  andere  alles  Interessante  kennen  lernen 
und  sich  zerstreuen,  bloß  an's  Studium  zu  denken,  ist  an- 
dererseits etwas,  was  mich  als  jungen  Menschen  sehr  traurig 
gemacht  hätte.  Zudem  kömmt,  daß  ich  nicht  nur  durch 
Concerte,  sondern  auch  durch  eine  Menge  Freunde  u.  Be- 
kannte aus  allen  Gegenden  werde  in  Anspruch  genommen 
werden:  Verwandte,  Wiener  Künstler,  Scholz  (im  Juni), 
etc.,  die  ich  wohl  alle  mit  Billetten  werde  zu  versorgen  haben, 
so  viel  ich  kann.  Bedenken  Sie  dies  alles,  und  auch:  mit 
dem  Hören  allein  ist's  denn  doch  nicht  gethan!  Sind  Sie 
nach  diesen  Bedenken  dennoch  der  Meinung,  daß  der  junge 
Böse  herüber  kommen  soll,  so  werde  ich,  wie  gesagt,  nach 
Kräften  suchen,  ihm  nützlich  zu  sein.  Rath  geben  kann  ich 
nicht.  Ich  kenne  die  Natur  und  das  Talent  des  jungen 
Mannes  gar  nicht  und  möchte  die  Verantwortlichkeit  der 
Veranlassung  zu  dem  Schritt  nicht  auf  mich  nehmen. 

Soll  ich  Sie  zum  26.  Mai  für  Hannover  in  Vorschlag 
bringen?  Dem  König  könnte  gewiß  keine  liebere  Über- 
raschung kommen;  und  die  Königin  hat  nur  aus  Beschei- 
denheit nicht  auf  Sie  reflektirt;  davon  bin  ich  fest  über- 
zeugt. Werden  Sie  das  Kölnische  Fest  mit  hören?  Dann 
gieng's  wohl  zu  vereinigen;  Sie  schienen  nicht  ohne  Lust! 
Bitte,  schreiben  Sie  mir  darüber.  An  allem  Schönen,  das 
Ihnen  widerfährt,  nehme  ich  herzlichen  Antheil! 

Sie  und  Fräulein  Marie  vielmals  grüßend 

Joseph  J. 


198  Von  ßernh.  Scholz 


Von  Bernh.  Scholz 

Hannover  16.  April  1862. 
Lieber,  lieber  Freund! 

Wie  hat  uns  Ihr  Brief  erfreut !  Er  war  heute  zu  unserm 
Frühstück  angekommen  wurde  mit  lautem  Geschrei 
begrüßt,  und  seine  erwärmende  Wirkung  wird  lange  nach- 
halten: thut  aber  auch  Noth,  denn  es  herrscht  in  jeder  Be- 
ziehung eben  eine  kalte  Temperatur  dahier. 

Ich  zähle  die  Tage  bis  zu  Ihrer  Ankunft;  wir  wollen 
Ihren  kurzen  Aufenthalt  hier  recht  nutzen;  nur  schade, 
daß  meine  gute  Frau  gerade  dann  Ihrer  wenig  froh  wer- 
den wird.  Auch  auf  unser  Londoner  Zusammensein  freue 
ich  mich  unendlich;  bei  der  ersten  Nachricht  von  Ihrer 
demnächstigen  Ankunft  erschrak  ich  fast,  denn  ich  glaubte, 
Sie  würden  dann  nicht  mehr  nach  Old-England  zurück- 
kehren und  ich  müßte  ohne  Sie  in  London  sein;  nun  habe 
ich  doppelte  Freude. 

Platen  weiß  noch  nichts  von  Ihrer  Ankunft:  ich  werde 
es  ihm  demnächst  sagen,  sonst  meint  er,  ich  conspirire. 
Ich  glaube  nicht,  daß  er  die  fragl.  Artikel  veranlaßt  hat, 
aber  ich  glaube,  daß  er  mit  Fischer  zusammen  intriguirt, 
und  daß  Beiden  Ihre  Rückkunft  sehr  unerfreulich  sein 
wird. . . . 

Wenn  Sie  an  die  Gabelentz  schreiben  wegen  des  Goncerts, 
so  schreiben  Sie  auch  ihr,  daß  Sie  meine,  nicht  F's  Mit- 
wirkung wünschten,  sonst  kriegen  wir  am  Ende  noch  den 
unangenehmen  Patron  mit  dazwischen;  wenn  aber  meine 
Mitwirkg.  von  hoher  Seite  directe  gewünscht  wird,  so  ge- 
traut sich  Platen  nicht,  F.  mit  hineinzubringen. 

Die  ürlaubssache  wird  sich  ja  wohl  auf  eine  vernünftige 
Art  ordnen  lassen;  das  einzig  Schlimme  bisher  war,  daß 
Sie  den  König  nicht  persönlich  darum  angegangen  haben; 
P.  hat  Alles  verdorben,  und  jetzt  ist  wieder  das  Schlimme, 


Von  Clara  Schumann  199 

daß  Ihre  Anwesenheit  zu  kurz  ist,  um  den  König  mit  Ihnen 
zu  einer  vernünftigen  Unterredg.  zusammenzubringen.  In- 
dessen ist  er  nichts  weniger  als  aufgebracht  gegen  Sie;  er 
sprach  neulich  mit  größter  Freundlichkeit  von  Ihnen  gegen 
Stockhausen  u,  mich.  Was  die  Königin  betrifft,  so  empfindet 
sie  wahren  Kummer  um  die  Sache;  sie  ist  eine  gute  Frau 

und  er ein  König !    Ayez  pitie !    Misericordia ! ! 

Was  meine  Vorstellungen,  Vorwürfe  und  Unterstellg.  wegen 
Ihres  Urlaubgesuchs  betrifft,  so  denken  Sie  von  mir,  was 
Sie  wollen;  nur  vergessen  Sie  keinen  Augenblick,  daß  ich 
Ihr  aufrichtiger  Freund  bin.  Wir  wollen  über  die  Sache 
weiter  reden,  wenn  Sie  erst  hier  sind. 

Haben  Sie  wegen  des  Conzerts  nichts  zu  besorgen? 
Welche  Bläser  wollen  Sie?  Alle  Ersten?  Soll  ich  Platen 
darüber  sprechen?   Wollen  Sie  ihm  selbst  schreiben? 

Schreiben  Sie  an  Stockhausen?   Soll  ich? 

So  viele  Fragen  sind,  denke  ich,  eine  baldige  Antwort  w  erth ! 

Grüßen  Sie  Ihren  Bruder :  er  ist  uns  immer  freundschaft- 
lichst empfohlen, 

Raben  sagen  Sie,  daß  ich  hoffte,  er  würde  gut  für  Sie 
sorgen  und  die  Hand  über  Sie  halten ;  ich  werde  demnächst 
kommen  und  Inspection  halten. 

Tausend  Grüße  übers  Meer  (via  Ostende) 

von  Ihrem  getreuen 

Scholz. 

Von  Clara  Schumann 

Paris  d.  27  April  1862.    Sonntag. 
Lieber  Joachim, 

Ueberbringer  Dieses,  Herr  Rose,  hat  ein  so  sehnendes 
Verlangen,  Sie  mindestens  einmal  zu  sprechen,  daß 
er  sich  entschlossen,  auf  einige  Tage  nach  London  zu  gehen, 
und,  da  es  jetzt  nicht  sein  kann,  wie  er  sehr  wohl  einsieht. 


200  Von  Clara  Scliuinann 

über  später  mit  Ihnen  zu  sprechen.  Ich  brauche  Sie  nicht 
zu  bitten,  Ihn  freunclHch  aufzunehmen,  Sie  thun  es  schon 
ohnedem. 

Ich  habe  auf  vieles  Zureden  diese  Woche  noch  ein  4"^^ 
Concert  gegeben,  das  sehr  schön  ausgefallen,  Stockhausen 
sang  wundervoll  u.  Mad:  Viardot  spielte  reizend  Roberts 
Var:  f.  2  Claviere  mit  mir.  Was  mir  aber  überhaupt  hier 
die  größte  Freude  gemacht,  ist,  daß  ich  den  Menschen,  d. 
h.  den  Besten  hier,  Respect  für  Johannes  eingeflößt  habe. 
Die  Meisten  sprachen  geringschätzig  von  Ihm,  sie  kannten 
entweder  Nichts,  und  nur  die  Serenaden  oder  eine  und  die 
andere  Sonate,  die  sie  nicht  vorstanden.  Sie  können  den- 
ken, daß  mich  das  quälte,  und  so  lud  ich  einige  Musiker 
neulich  zu  mir,  um  Ihnen  nur  Brahms  verzuspielen.  Erst 
hielt  es  etwas  schwer,  ihre  Theilname  zu  wecken,  jedoch 
mit  dem  Sextett  erwärmten  sie,  und  schließlich  nach  den 
Variationen  waren  sie  Feuer  und  Flamme,  und  Szarvady 
besonders  bat,  ich  möchte  sie  doch  noch  einmal  Mehreren 
vorspielen ;  ich  habe  nun  heute  eine  kleine  .Soiree  bei  mir, 
nur  Künstler,  erst -Roberts  Trio  in  Dmoll,  dann  Job.  Var: 
und  hoffentlich  singt  dann  Stockhausen  auch  einige  Lieder 
von  Johannes.  Im  deutschen  Singverein  wollen  sie  sich 
auch  die  Harfenlieder  anschaffen.  Das  hat  mich  wirklich 
Tage  lang  froh  gestimmt,  und  umsomehr,  als  es  bei  den 
großen  Anstrengungen  und  der  so  furchtbar  eingetheilten 
Zeit  recht  schwer  hielt,  daß  ich  die  Sache  zu  Stande 
brachte  —  ich  fand  nicht  'mal  Zeit  die  Var :  zu  studieren. 

Sie  haben  neulich  Job:  Sextett  gespielt,  was  mich  sehr 
freute  zu  hören.  Heller  schreibt  darüber  entzückt  an 
Damke's.  So  haben  wir  denn  Jedes  unser  Theil  gethan. 
Sie  wissen,  ich  dränge  Niemandem  gern  Sachen  von  Denen 
auf,  die  mir  theuer  sind,  ich  konnte  aber  hier  nicht  anders, 
es  lag  mir  Tage  lang  so  schwer  auf  dem  Herzen !  — ... 

Adieu  denn,  lieber  Freund.  x\lles  Gute  Ihnen  von  Ihrer 
treuen  Gl.  Seh. 


An  Beruh.  Scholz  201 


x\n  Bernh.  Scholz 

[London]  Am  8i<="  Mai  [1862]. 
Lieber  Freund. 

Ich  sehe  eben  das  Datum  Ihies  und  der  verehrten  Ihren 
letzten  Briefes  und  finde  den  16'""!  Sind  das  wieder 
3  Wochen  ? !  Die  Zeit  meiner  projektirten  Fahrt  nach 
Hannover  ist  vor  der  Thür;  ich  muß  an  ein  Programm 
denken,  für  das  ich  Ihr  Einverständniß  erwirken  kann. 
Da  ich  Solo  spielen  soll,  so  übernehmen  Sie  ja  wohl  den 
ganzen  i^'^"  Theil,  wie  immer  in  den  Concerten.  Die 
Lind  hat  abgelehnt;  Stockhausen  ist  zu  weit  weg;  aber 
Frau  Schumann  wäre  zu  haben.  Da  scheint  es  mir  am 
gerathesten,  da  w  ahrscheinlich  die  Gesangskräfte  für  irgend 
eine  Festoper  (oder  eine  Offenbach'sche  Novität)  in  An- 
spruch genommen  sind,  bloß  Instrumentalmusik  zu  geben. 

I.  Ouvertüre  (nach  Ihrer  Wahl) 

3.  Adagio  von  Spohr 

3.  Kl.-Concert  in  (Es  oder  Gdur)  v.  Beethoven 

4.  a)  Romanze  von  Joachim 

(aus  dem  Ungarischen  Concert.    Die  Königin  will 
das  Ganze;   ich  halte  das  aber  für  hinlänglichen 
Gehorsam) 
b)  Abendlied  v.  Schumann 


5.  Amoll  Sinfonie  v.  Mendelssohn  (des  Königs  Lieblings - 
stück). 

Ich  denke,  dagegen  läßt  sich  kaum  etwas  einwenden. 
Wollen  Sie  Fräulein  Ubrich  anbringen,  so  müssen  Sie  mir's 
gleich  schreiben,  damit  ich  suche,  mir  die  Mozart'sche  Arie 
von  der  Lind  zu  verschaffen,  die  zwar  nicht  bedeutend  ist, 
aber,  gut  einstudirt,  für  Stimme  und  Violine  angenehm 
klingt.   Vielleicht  haben  Sie  die  Güte,  zu  Fräulein  v.  Gabe- 


202  An  Beruh.  Scholz 

lentz  zu  fahren  und  mündlich  die  Sache  zu  ordnen;  es 
wäre  praktisch.  Ich  lege  einen  Brief  an  die  gütige  Dame 
bei,  in  dem  ich  bitte,  die  Direktion,  wie  bei  den  Abonne- 
ments-Concerten,  zwischen  uns  beiden  zu  vertheilen,  und 
den  Vorschlag  mit  Frau  Schumann  mache.  Übergeben  Sie 
den  Brief  womöglich  selbst. 

Ich  habe  für  uns  ein  paar  gratis  Billette  zum  Händelfest 
ausgemacht. 

An  Platen  zu  schreiben,  halte  ich  nicht  für  nöthig.  Die 
Sache  geht  von  I.  M.  der  Königin  aus,  und  durch  sie 
müssen  ihm  die  nöthigen  Befehle  zugehen.  Ich  bin  für  die 
ersten  Bläser  bei  dieser  Gelegenheit.  Die  Aussicht,  Sie  und 
die  lieben  Ihrigen  zu  haben,  erleichtert  mir  die  nicht  an- 
genehme Pflicht,  die  Reise  nach  Hannover  jetzt  zu  unter- 
nehmen. 

Ihr 

J.  J. 


An  Bernh.  Scholz 

[London  etwa  lo.  Mai  1862.] 

Yivat  Wilhelmus!  Nicht  der  König  v.  Preußen,  son- 
dern der  kleine  Republikaner  in  spe!  Hurrah!  Es  ist 
prächtig,  daß  Frau  und  Junge  sich  so  gut  halten  und  daß 
ich  mittaufen  soll.  Vergessen  Sie  nicht,  mir  im  nächsten 
Brief  wieder  ein  Bulletin  zu  geben.  Ich  werde  am  22"^" 
von  hier  fortreisen  und  mit  dem  Mittagszug  des  28'*", 
will's  Gott,  in  Hannover  sein.  Ist  denn  die  Orangerie  wirk- 
lich so  riesig,  daß  Klavier  keinesfalls  klingen  kann?  Man 
verliert  in  den  großen  Sälen  hier  etwas  den  Maaßstab.  Sie 
werden  aber  gewiß  mit  Frau  Schumann  das  Geeigneteste 
überlegen.    Die  übrich,  Gunz  und  der  neue  Stern  ^)  sind 

^)  Frl.  Weis;  Che  faro,  Arie  aus   Glucks  Orpheus,  die  in  Offenbachs 
Orpheus  aus  der  Unterwelt  parodiert  wird. 


An  Beruh.  Scholz  2o3 

mir  ganz  heb;  nur  habe  ich  was  gegen  das  „schöne  Mäd- 
chen" von  Spohr,  nicht  gegen  Frl.  Weis.  „Che  faro" 
wäre  mir  lieber;  außerdem  ist  ja  das  Stück  auch  dem 
Hörerkreis  durch  OfFenbach  vielleicht  acceptabel  geworden. 
Im  Übrigen  gebe  ich  zu  allem,  was  Sie  beschließen,  gern 
im  Voraus  meinen  Consens.  Käme  die  Schumann,  so 
wäre  am  Ende  die  Kreutzer-Son:,  in  der  wir  beide  gleich 
beschäftigt  sind,  u.  ein  Solo  für  jedem  von  uns  außerdem 
am  taktvollsten.  Ich  bin  gewiß,  wenn  der  Saal  es  erlaubt, 
so  wäre  Frau  Seh.  dem  König  das  liebste. 

Wollen  Sie  mit  der  Jubel  -  Ouvertüre,  oder  mit  der 
Beethoven'schen  Fest-Ouv.  (Op.  1 1 4?)  ^)  anfangen.  God  save 
wäre  am  Ende  der  rechte  Anfang !  ? 

Mit  herzlichem  Gruß  an  Ihre  Frau  und  an  die  Haus- 
freunde 

Ihr 

Joseph  J. 


An  denselben 

[London]  Montag.  [12?  Mai  1862.] 
Lieber  Scholz. 

Ich  habe  mir  die  Arie  nochmals  angesehen;  man  müßte 
sie  copiren  lassen  etc.  etc. ;  le  jeu  ne  vaut  pas  la  chan- 
delle.  Was  daran  gefällt,  sind  ein  paar  Kadenzen,  die  ich 
mit  der  Lind  habe,  und  die  wir  sehr  einstudirt.  „Non 
temer" 2)  ist  viel  besser;  die  ist  in  Hannover;  sehen  Sie 
Sich  dieselbe  an,  und  dann  schlagen  Sie  sie  der  Uhr:  vor, 
mit  der  zu  musiciren  mich  freuen  soll.    Alles  ist  mir  recht. 

*)  Gemeint  ist  die  „Ouvertüre  zur  Weihe  des  Hauses",  op.  124. 

^)  Aus  „U  re  pastore"  von  Mozart.  J.  hatte  für  Jenny  Lind  neue  Ka- 
denzen an  Stelle  der  vom  Dresdner  Konzertmeister  Schubert  geschrieben ; 
statt  Frl.  Ubrich  sang  Frl.  Weis,  der  J.  bei  dieser  Gelegenheit  zum  ersten- 
mal nahe  trat. 


2o4  Von  Bernh.  Scholz 

Ich  komme  am  Mittwoch  des  2  3"""  an.  Heute  spiele  ich 
in  3  Concerten :  Trio  von  Bennett,  Duo  (H  moll)  Schubert, 
Sonate  von  Bach.  —  Fdur  Quart:  N"  7  von  Beethoven, 
Fuge  in  C  v.  Bach,  und  B  dur  Trio  v.  Beethoven.  Morgen 
Concert  in  Liverpool!  Sie  sehen,  ich  hab'  nicht  viel  Zeit. 
Doch  ist  mir  das  lieber,  wie  Platen's  Verhältnisse! 
Apropos,  in  Zürich  ist  eine  Musikdirektorstelle  offen  mit 
5ooo  Franken  Gehalt.    Wissen  Sie  davon? 

Ich  lade  mich  für  den  28^^"  zu  Tisch  und  bleibe 
Ihr 

getreu  ergebener 

Joseph  J. 

Von  Bernh.  Scholz 

Hannover   i5  Mai  62. 
Caro  amico  und  very  dear  friend 

Wir  freuen  uns  kindisch  auf  Ihre  Ankunft;  besonders 
freut  sich  meine  Frau,  die  heute  bereits  ein  wenig 
auf  war,  daß  auch  sie  etwas  von  Ihnen  haben  wird.  Es 
geht  ihr  u.  dem  Kleinen  gut. 

Ich  komme  eben  von  Herrenhausen  und  habe  nun  nach 
reiflicher  Ueberlegung  das  Programm  so  festgestellt. 

1  Ouv:  zu  Leonore  v.  Beethoven  od.  Euryanthe 

2  Che  faro  senza  Euridice  Frl.  Weis 

3  Adagio  v.  Spohr  Joachim 

4  „Wehen  mir  Lüfte  Ruh"  aus  Euryanthe       Gunz 

5  Adaffio  V.  Joachim  1  t       1  • 

.^      „.   j  >  Joachun 

Abendhed  J 

6  Gesang  (?)  Ubrich 

7  Symphonie  v.  Mendelssohn. 


Ist's  Ihnen   so  nicht  recht,   so  treffe   mich  Ihr  ganzer 
Zorn;   die  Königin  hat  Alles  in  meine  Hand  gelegt:   ich 


Von  Beruh.  Scholz  2o5 

solle  das  Programm  nach  Ihrem,  Joachims,  Wunsch  ein- 
richten. 

Ich  habe  aber  für  gut  befunden,  kein  Ciavier  in's  Pro- 
gramm aufzunehmen,  i)  weil  es  wirklich  etwas  monoton 
geworden  wäre,  2)  weil  Frau  Schumann  erst  vor  8  Tagen 
bei  Hofe  gespielt  hat  u.  die  Königin,  ohne  Ihr  Programm 
im  mindesten  beanstanden  zu  wollen,  glaubte,  etwas  Ge- 
sang wäre  ganz  erwünscht,  3)  weil  der  Orangeriesaal,  in 
welchen  900  Menschen  eingeladen  werden  sollen,  ein  sehr 
schlechtes  Format  für  die  Acustik  hat,  282'  Länge  auf  nur 
40'  Breite,  und  4)  weil  ich  glaube,  diesmal  im  Interesse 
der  ruhigen  Ausführung  der  Musik  wohl  daran  zu  thun, 
dem  Wunsche  des  Publicums  bezgl.  Gesangsoli  nachzu- 
kommen, 5)  weil  Violin-,  Ciavier-  u.  Gesangsoli  ein  viel  zu 
langes  Piogramm  zu  dieser  Gelegenheit  gegeben  hätten. 

Die  Ouv:  zu  Leonore  od.  Euryanthe  habe  ich  gewählt, 
weil  die  Jubel-Ouv:  vor  gar  nicht  langer  Zeit,  u.  die  Beet- 
hoven'sche  Festouvertüre  bei  beiden  Israel- Aufführungen 
gemacht  worden  ist.  Bezügl.  Ihrer  Solostücke  haben  Sie 
natürlich  noch  immer  freie  Hand;  ich  halte  indeß  die  Wahl 
derselben  für  gut. 

Die  Königin  läßt  Frau  Schumann  dennoch  zum  Concert 
als  Zuhörerin  einladen,  um  Ihnen  u.  ihr  die  Freude  einer, 
wenn  auch  flüchtigen,  Begegnung  zu  verschaffen. 

Ein  anständiges  Podium  habe  ich  auch  anfertigen  lassen; 
kurz,  ich  hoffe,  Sie  werden  mich  ein  bischen  loben,  wenn 
Sie  kommen. 

Nun  kommen  Sie  bald;  Sie  werden  mit  offenen  Armen 
empfangen  von  Alt  u.  Jung  und  von  aller  Welt. 

Hannover  ist  gar  nicht  so  schrecklich,  u.  wenn  Sie  erst 
wieder  da  sind,  ist's  sogar  sehr  schön. 

Herzl.  Gruß  bis  auf  Wiedersehen. 

Ihr 

Scholz. 


206  An  Otto  Goldschmidt 


An  Otto  Goldschmidt 

[London,  wahrsch.  Sommer  1862.] 
Lieber  Goldschmidt 

Eben  nach  einem  Concert  in  meiner  Wohnung  ankom- 
mend, finde  ich  in  dem  beiliegenden  Couvert  1 5  Gui- 
neen  eingeschlossen.  Dies  ist  mir  eine  total  unverständliche 
Sache!  da  wir,  wie  Du  erinnern  mußt,  neulich  übereinge- 
kommen waren,  daß  ich  meine  Dienste  zu  dem  Concerte 
für  die  Malerinnen  nicht  für  Geld,  sondern  der  guten  Sache 
wegen  darbieten  wollte.  Es  war  nie  meine  Gewohnheit, 
zu  wohlthätigen  Zwecken  für  Geld  zu  spielen,  und  ich 
werde  dies  auch  in  England  nicht  lernen.  Du  scheinst  ver- 
gessen zu  haben,  dies  dem  Vorstand  der  F.  A,  Society  zu 
sagen,  und  ich  hoffe,  Du  wirst  als  Freund  und  Künstler 
wissen,  was  Du  mir  schuldig  bist,  um  dies  Vergessen  gut 
zu  machen. 

In  aufrichtiger  Ergebenheit 
Dein 

Joseph  Joachim. 

An  denselben 

[London,  Sommer  62.] 
Lieber  Goldschmidt 

Ich  war  in  Manchester  und  bitte  Dich  damit  zu  ent- 
schuldigen, wenn  ich  Deine  Zeilen  nicht  früher  beant- 
wortet habe.  Ganz  zuversichtlich  rechne  ich  darauf,  daß 
Du  dem  Vorstande  der  F.  A.  Society  den  mir  bestimmten 
Wechsel  zurückstellest  —  ich  habe  nichts  von  den  Damen 
zu  fordern.  Meine  Mitwirkung,  die  Du  für  das  Concert 
zum  Besten  der  Gesellschaft  wünschtest,  ist  nur  unter  der 
festen  Verabredung  von  mir  gewährt  worden,  daß  ich 


Von  Stephen  Heller  207 

meine  Dienste  allein  der  guten  Sache  wegen  leistete  (es 
handelte  sich  nach  Deiner  Aussage  darum,  den  Malerinnen 
die  weitere  Ausstellung  ihrer  Kunstwerke  zu  ermöglichen, 
die  sonst  künftig  hätte  unterbleiben  müssen);  und  nicht 
für  Geld,  das  anzubieten  Du  so  bescheiden  warst.  Konnte 
oder  wollte  der  Damen -Vorstand  unter  solchen  Umständen 
meine  Mitwirkung  nicht  annehmen,  mochte  er  mir  nicht 
gestatten  dem  edlen  Beispiel  Deiner  verehrten  Frau  zu 
folgen,  so  mußte  man  mir  dies  vor  demConcert  mittheilen; 
ich  hätte  mich  dann  natürlich  mit  meiner  Musik  nicht 
weiter  aufgedrängt. 

Der  für  mich  unangenehme  Vorfall,  die  nachträgliche 
Uebersendung  eines  Wechsels  für  meine  Leistungen,  kann 
selbstverständlich  die  Erinnerung  an  die  besondere  Freude 
nicht  stören,  die  es  mir  gewährte,  mit  Dir  und  Deiner  Frau 
zu  musiciren.  Herzlich  lieb  soll  es  mir  sein,  Dir  dies  oft 
durch  die  That  zu  beweisen! 

In  aufrichtiger  Ergebenheit 

Joseph  Joachim. 


Von  Stephen  Heller 


Paris  8.  juni   i  862. 
Lieber  Joachim, 

Ich  hätte  Ihnen  jedenfalls  von  Paris  aus  geschrieben, 
wenn  ich  auch  nicht  noch  einen  besondern  Grund  dazu 
hätte,  den  ich  Ihnen  weiter  unten  angeben  werde.  —  Seit 
ich  in  Paris  bin,  habe  ich  oft  an  Ihre  Idee,  hier  einige  Zeit 
des  Sommers  zuzubringen,  gedacht  und  mir  vorgenommen, 
Ihnen  darüber  ganz  offen  zu  schreiben.  Ich  finde  Paris 
wieder  ganz  behaglich,  hübsch  und  angenehm.  Das  Ganze 
hat  nicht  das  Großartige  London \s,  aber  es  ist  lustiger  an- 
zusehen, u.  die  Menschen  sehen  weder  so  preoccupirt  geld- 
und  gewinnsüchtig,  noch  so  insolent  —  reich  aus  wie  so 


ao8  Von  Stephen  Heller 

Viele  der  beiden  Klassen  (der  arbeitenden  <Künstler->  und 
der  genießenden)  in  London.  Doch  finde  ich  die  guten 
Engländer  herzlicher,  treuer,  redlicher,  hingegen  die  nicht 
guten  und  ungebildeten  Engländer  weit  unter  den  Fran- 
zosen derselben  Gattung,  die  man  nie  so  entblößt  aller 
bonhomie  und  Grazie  treffen  wird,  wie  gewisse  bizarre 
oder  verdrießliche  englishmen.  Nebst  jener  stillen  Herz- 
lichkeit und  schlichten  Weise  der  „Guten  im  Lande" 
vermisse  ich  auch  das  viele  und  reiche  Grün,  welches 
die  Parks,  Squaares  und  Gärten  dort  bieten.  Die  Hitze 
ist  groß,  und  mir  bangt  vor  July  und  August.  —  Meine 
neue  Wohnung  ist  hübsch,  kühl  und  bequem.  Das  ein- 
zige Störende  ist  eine  Ciavierlehrerin,  die  im  4"^"  Stocke 
wohnt  u.  die  den  ganzen  lieben  Tag  klimpern  läßt;  die 
satanischen  Schülerinnen  verderben  einem  alle  Lust  zur 
Musik.  In  meinem  Arbeitszimmer  höre  ich  wenig,  aber 
im  Schlafzimmer  werde  ich  aus  den  schönsten  Beethoven- 
träumen durch  elendes  Clavierschlagen  geweckt.  — 

Nun  mein  Anliegen.  Mein  Freund  Berthold  Damcke 
geht  mit  seiner  Frau  Ende  juni  nach  Hannover,  seiner 
Vaterstadt,  um  dort  4  Wochen  bey  seiner  80jährigen 
Mutter  zu  verweilen.  Er  war  vor  vielen  Jahren  Cellospieler 
im  dortigen  Orchester  u,  dann  später  1 2  Jahre  in  St,  Pe- 
tersburg, wo  er  sehr  viel  Compos.  u.  Harmonieunterricht 
gab  und  mit  Rubinstein,  Henselt,  usw.  sehr  liirt  war. 
Jetzt  ist  er  in  Paris  fixirt,  wo  er  Unterricht  giebt  u.  eines 
bedeutenden  Rufes  genießt.  Er  wünscht  nun,  bey  Gelegen- 
heit seines  Aufenthaltes  in  Hannover  sein  Trio  oder  Cla- 
viersonate  mit  Violoncell  dem  Könige  vorzuspielen,  der  ihn 
vor  Jahren  gesehen  u.  ihm  eine  goldene  Medaille  für  eine 
Dedicace  gegeben.  Was  meinen  Sie :  wäre  es  möglich,  daß 
ihm  diese  Gunst,  dem  Könige  ein  Werk  vorzuführen,  ge- 
währt würde?  Und  könnten  Sie  ihm  einen  Brief  an  irgend 
eine  hochgestellte  Person  geben,  welche  dies  Vorhaben  be- 
günstigen könnte?   Sie  können  auf  meine  Verantwortung 


Von  Ad.  Fr.  Lindblad  209 

das  Trio  u.  die  Cello  Sonate  als  ganz  tüchtige,  trefflich  ge- 
schriebene Werke  empfehlen,  die  hier  in  Goncerten  von 
]\|nie  Viardot- Garcia  selber  gespielt  u.  mit  großer  Aner- 
kennung aufgenommen  worden  sind.  Diese  beiden  Werke 
stehen  weit  über  die  Yeillee,  die  Sie  kennen,  und  sind  hier 
sehr  zur  Geltung  gelangt.  — 

Sie  wissen  jetzt  genug.  Ich  kenne  Sie  jetzt  zu  sehr,  um 
nur  einen  Augenblick  an  Ihrem  guten  W^illen,  meinem 
Freunde  nützlich  zu  seyn,  zu  zweifeln.  Wollen  Sie  einen 
Brief  schreiben,  so  schicken  Sie  ihn  mir.  —  Sie  fehlen  mir 
sehr,  lieber  Joachim,  u.  ich  denke  mit  einer  Art  von  weh- 
müthigem  Vergnügen  an  unsere  letzte  trauliche  Unterhal- 
tung. Ich  rechne  die  nähere  Bekanntschaft  mit  Ihnen  als 
einen  Gewinn  meiner  Reise  nach  England.  Mögen  Sie  eben 
so  freundschaftlich  meiner  gedenken, 

Leben  Sie  recht  wohl,  erfreuen  Sie  noch  Viele  mit  Ihrem 
seltenen  Talente  u.  seyn  Sie  herzlich  gegrüßt 

von  Ihrem 

Stephen  Heller. 

Von  Ad.  Fr.  Lindblad 

Stockholm  25.  Juni  1862. 
S:  H:  T: 
Mein  lieber  Freund!    (wenigstens  von  meiner  Seite 
ist  diese  Anrede  berechtigt.) 

Der  Überbringer  dießes,  Herr  Book,  Mitglied  der  hießigen 
Königl:  Hofkapelle,  Stipendiat  des  Königs,  wird  sich 
ein  Jahr  im  Auslande  aufhalten,  um  sein  Talent  zu  fördern. 
Herr  Book  hat  von  mir  eine  Empfelung  an  Herrn  Joachim 
gebeten.  Ich  gebe  gerne  zu,  daß  ich  sehr  dreistig  bin,  da 
ich  dieße  Bitte  nicht  abgeschlagen,  aber  die  Freundschaft 
und  die  Güte,  die  Sie  vor  5  Jahren  mir  bewiesen,  haben 
mich  ermuthigt,  und  wage  ich  also,  Ihnen  den  Herrn  Book 

14 


210  Von  Clara  Schumann 

vorzustellen  in  der  Hoffnung,  daß  Sie  ihn  mit  Rath  und 
guten  Willen  entgegenkommen.  Herr  Books  heißester 
Wunsch  ist,  einmal  in  seinem  Leben  Joachim  spielen  zu 
hören,  und  die  große  Leichtigkeit,  die  ich  damals  hatte, 
dießes  Glück  zu  erreichen,  bürgt  mich  dafür,  daß  er  auch 
es  erreichen  werde,  wenn  übrigens  Zeit  und  Umstände  es 
erlauben.  Herr  Book  hat  hier  durch  sein  mit  Sorgfalt  und 
Fleiß  bis  zu  einem  gewissen  Grade  entwickeltes  Talent  all- 
gemeine Theilnahme  und  Aufmerksamkeit  erworben.  Von 
seinem  Karakter  ist  alles  Gute  zu  sagen. 

Vorherstehendes  ist  die  eigentliche  Anleitung  zu  dießem 
Briefe  und,  wie  ich  Sie  kenne,  werden  Sie  es  mir  nicht  übel 
nehmen  — 

Sonst,  Lieber  Freund!  Wie  geht  es  denn?  Sie  stürmen, 
wie  ich  höre,  auf  die  Welt  los  und  die  liegt  Ihnen  ja  schon 
lange  zu  Füßen.  Ich,  der  ich  alt  geworden,  habe  mich  von 
der  Welt  abgewendet  und  habe  hier  nichts  weiter  zu  thun 
als  —  sterben.  Meine  Töchter  lassen  Sie  grüßen  mit  einer 
Theilnahme  und  Dankbarkeit,  die  fast  an  Vergötterung 
gränzet.  Ja,  es  ist  wahr,  daß  wir  Sie  alle  lieb  haben  und 
uns  an  Ihrem  Wohlergehen  herzlich  freuen  und,  bemerken 
Sie  es.  Sollte  ich  einmal  noch  in  meinem  Leben  nach 
Deutschland  kommen,  wurde  ich  keinen  dort  finden,  den 
ich  kenne  mehr  als  Sie;  Alle  die  Andern  sind  gestorben. 

Leben  Sie  ewig  wohl,  mein  theurer  Freund. 

Ad:  Fr:  Lindblad 


Von  Clara  Schumann 

Münster  am  Stein  d.  i.  July  1862. 

Lieber  Joachim, 

Ich  sehe  schon,  daß  ich  sobald  nichts  von  Ihnen  höre,  wenn 
ich  nicht  'mal  wieder  schreibe  und  Sie  bitte,  doch  endlich 
'mal  wieder  der  deutschen  Freundin  zu  gedenken !  ich  hoffte 


Von  Clara  Sc liuinann  211 


von  Woclie  zu  Woche  auf  Brief,  recht  ernsthaft  am  8'^" 
Juni,  da,  dachte  ich,  würden  Sie  meines  Roherts  und  dabei 
denn  auch  meiner  gedenken,  aber  vergebhch !  von  Menschen, 
die  Einem  so  nahe  stehen,  nur  immer  aus  Zeitungen  zu 
erfahren,  ist  recht  hart,  und  soHten  Sie,  heber  Freund, 
manchmal  daran  denken!  — 

Daß  Sie  fort  und  fort  die  Engländer  entzücken,  versteht 
sich  von  selbst,  es  freute  Einem  aber  doppelt,  hörte  man 
es  einmal  von  Ihnen  Selbst,  da  erführe  man  dann  doch 
auch  manches  Andere,  so  z.  B.,  wann  Sie  wieder  zu  uns 
zurückkehren?  was  für  Pläne  Sie  im  Sommer  haben?  wann 
Sie  wieder  in  Hannover  sein  werden?  Daß  der  König  Sie 
wieder  gewonnen,  hörte  ich  zu  meiner  großen  Überraschung 
neulich  ganz  zufällig.  Da  habe  ich  gefühlt,  daß  ich  wohl 
egoistisch  sein  kann,  denn  ich  freute  mich,  und  mehr,  als 
es  mir  um  mancher  Gründe  halber  leid  thuen  mußte.  Es 
war  aber  ein  gar  zu  trauriger  Gedanke,  Sie  ganz  in  Eng- 
land! Rose  schrieb  mir  neulich,  d.  h.  vor  6  Wochen,  einen 
langen  Brief  voll  des  Jubels  über  Sie,  und  hat  es  mir  die 
herzlichste  Freude  gemacht,  daß  Sie  den  frischen,  warmen 
Menschen  so  freundlich  aufgenommen  —  weiß  ich  auch,  Sie 
hätten  es  ohne  mein  Fürwort  eben  so  gethan,  so  muß  ich 
Ihnen  doch  danken,  vielleicht  war  ich  doch  ein  wenig  Ur- 
sache, daß  Sie  Ihn  gleich  so  liebevoll  empfingen.  Ich 
hoffe  sehr,  er  kommt  im  Winter  zu  Ihnen  nach  Hannover 
—  Glücklicheres  für  Ihn  weiß  ich  nicht. 

Von  mir  kann  ich  Ihnen  so  weit  Gutes  sagen,  freilich 
hatte  ich  aber,  als  ich  im  Mai  in  Berlin  war,  schwere 
Sorgen  und  habe  sie  auch  noch,  namentlich  um  Julie,  für 
deren  Kräftigung  ich  diesen  Sommer  Alles  thun  muß,  was 
ich  kann.  Ich  bin  mit  ihr,  Marie  und  Eugenie  hier  im 
Bade,  und  wie  Sie  sehen,  diesmal  in  Münster  am  Stein, 
wo  es  reizend  ist,  Sie  erinnern  sich  doch  der  Ebernburg 
und  Rheingrafenstein?  Letzteren  sehe  ich  gerade  von 
meinem  Balkon  aus  vor  mir.    Frl.  Leser  ist  auch  mit,  und 

i4' 


212 


Von  Clara  Schumann 


leben  wir  so  ganz  gemüthlich  eine  Familie.  Nach  dem  Musik- 
fest in  Köln  kamen  Johannes,  [Albert]  Dietrich  und  Wolde- 
mar.  Letzterer  bringt  seine  ganze  Ferienzeit  (bis  14.  Juli) 
hier  zu;  Johannes  und  Dietrich  waren  14  Tage  hier  und 
wohnten  ganz  ländlich  in  einem  Hause  unter  der  Ebern- 
burg. Es  gefiel  ihnen  so,  daß  sie  ungern  fortgingen,  Johannes 
bedauerte,  sich  nicht  ordentlich  Arbeit  mitgebracht  zu 
haben,  um  nicht  zu  bummeln,  was  ei-,  Sie  wissen,  nicht 
allzulange  verträgt.  Vorgestern  sind  sie  alle  fort  —  (Herr 
V.  Sahr  kam  auch  noch)  in  die  Pfalz  zu  Fuß;  leider  haben 
Sie  recht  schlechtes  Wetter  gehabt,  wie  es  denn  hier  mehr 
Herbst  als  Sommer  ist. 

Johannes  schickte  mir  neulich  —  denken  Sie,  welche 
üeberraschung  —  einen  i .  Symphoniesatz  ^),  mit  folgendem 
kühnen  Anfang: 


* 


^^=^ 


* 


sf-. 


m 


ää 


^^^ 


^, 


^t^E& 


^Ez± 


^E^El 


^^ 


^. 


m 


f 


53iS 


i 


Das  ist  nun  wohl  etwas  stark,  aber  ich  habe  mich  sehr 
schnell  daran  gewöhnt.  Der  Satz  ist  voll  wunderbarer  Schön- 
heiten, mit  einer  Meisterschaft  die  Motive  behandelt,  wie  sie 
ihm  ja  so  mehr  und  mehr  eigen  wird.  Alles  ist  so  interessant 

*)  den  Anfang  der  ersten  —  '877  erschienenen  CmoU-Symphonie. 


Von  8t.  Heller  2i3 


in  einander  verwoben,  dabei  so  schwungvoll  wie  ein  erster 
Erguß;  man  genießt  so  recht  in  vollen  Zügen,  ohne  an  die 
Arbeit  erinnert  zu  werden.  Der  üebergang  aus  dem  zweiten 
Theil  wieder  in  den  Ersten  ist  Ihm  wieder  'mal  herrlich 
gelungen.  Außerdem  erhielt  ich  noch  Magelonenlieder,  von 
denen  Einige  mir  sehr  lieb.  Andere  es  weniger  sind.  Seine 
4händigen  Variationen  über  Roberts  letztes  Thema  kennen 
Sie  wohl?  Die  "sind  auch  'mal  wieder  prächtig!  Daß  Er 
nun  selber  kam.  Alles  das  spielte,  und  Vieles  Andere  noch, 
auch  4händig  D-moll  Quartett,  C-dur  Quintett  und  Octett 
von  Schubert  zu  mehreren  Malen,  war  recht  eine  Freude 
für  mich. 

Wer  weiß,  in  welch  bedrängten  Stunden  Sie  diese  Zeilen 
erhalten,  daher  will  ich  der  Länge  nun  ein  Ende  machen. 

Von  mir  nur  noch  Dies:  ich  bleibe  bis  zum  i8'^"  J^^y 
hier  und  gehe  dann  nach  einem  Besuche  von  einigen  Tagen 
bei  Schroedters  in  Karlsruhe  direct  auf  den  Rigi,  bleibe 
dort  bis  Ende  August,  mache  wohl  wieder  eine  Tour  in's 
Berner  Oberland,  wobei  ich  nicht  wenig  Ihrer  gedenken 
werde,  auch  Manches  wünschen,  und  was  dann,  das 
weiß  ich  noch  nicht. 

Von  Woldemar,  der  gar  nicht  wohl  war  —  recht  Be- 
sorgnißerregend  sogar  —  soll  ich  Sie  sehr  grüßen.  Man 
darf  Ihm  ja  nicht  merken  lassen,  daß  man  Ihn  für  unwohl 
hält.  Die  Luft  hier  thut  Ihm  übrigens  recht  gut,  käme  er 
nur  nicht  so  bald  wieder  in's  Stundenjoch!  — 

Von  St.  Heller 

Paris  3  july  1862. 

Lieber  Joachim, 

.  .  .  Führen  Sie  Ihren  Vorsatz  aus,  diesen  Winter  hier  zu 

spielen.    Sie   werden   zufrieden   seyn.    In  Damcke  werden 

Sie  einen  unterrichteten,  geistvollen  Mann  und  in  seiner 


2i4  Von  Beruh.  Scholz 

Frau    eine    seltene    Liebenswürdigkeit    und    Herzensgüte 
kennen  lernen.    Sie  werden  sich  da  wohl  fühlen.  — 

Manchmal  lese  ich  die  3^*^  Colonne  der  Times,  um  zu 
sehen,  ob  die  Concerte  noch  immer  fortdauern.  Ich  sehe 
immer  Ihren  Namen  u.  den  Halle's,  u.  es  ist  mir,  als  müßte 
ich  eine  weiße  Cravatte  nehmen  u.  nach  St.  James  Hall 
wandern.  Wer  mit  Euch  wanderte,  mit  Euch  musicirte! 
Das  Reich  der  weißen  Cravatten  hat  für  mich  aufgehört; 
ich  gehe  hier  herum  wie  ein  Rapin  und  freue  mich  meines 
abgetragenen  Daseyn's:  alte  Röcke,  alte  Strohhüte,  weite 
Beinkleider  bedecken  meinen  Westenlosen  Leib,  und  kein 
englischer  Bedienter  würde  mich  anmelden. 

Leben  Sie  wohl,  ruhen  Sie  ein  wenig  aus,  schütteln  Sie 
bald  Alles  Füll  Dress  von  sich  (das  körperliche  und  geistige) 
und  gedenken  Sie  in  Freundschaft 

Ihres  herzlich  ergebenen 

Stephen  Heller. 

Von  ßernh.  Scholz 

Hammermühle  lo.  Juli  1862. 
Liebster  Freund! 
enn  ich  meine  Londoner  Reise  nicht  ausgeführt  habe, 
so  ist  es  wahrlich  nicht  deshalb  gewesen,  daß  es 
mich  nicht  zu  Ihnen  hingezogen  hätte.  Ihre  Anwesenheit 
drüben  war  überhaupt  die  Veranlassung  meines  Reise- 
projekts; —  aber  ich  war  zu  abgespannt  von  der  Unruhe 
der  lezten  Zeit  in  Hannover,  von  der  Reise  nach  Hause, 
dem  unmittelbar  darauf  folgenden  Musikfest  in  Köln 
u.  dem  Besuch  in  Aachen,  als  daß  ich  für  eine  fernere 
Reise,  namentlich  für  Londoner  Getümmel,  noch  hätte 
genußfähig  sein  können.  Dazu  kam  noch  die  Nachricht, 
daß  in  unserer  Gegend  das  Scharlachfieber  die  Kinder  deci- 
mire,  —  und    so  werden   Sie   meine   Umkehr   begreiflich 


w 


Von  Bernh.  Scholz  2i5 

finden.  Ich  bin  meinem  zweiten  Plan,  unsere  Reisenden  in 
Paris  zu  treffen,  treu  geblieben  u.  habe  alle  Ursache,  mit 
diesem  kleineren  Ausflug,  den  ich  nach  Stägiger  Ruhe 
unternommen  habe,  zufrieden  zu  sein. 

Die  baulichen  Veränderungen  der  Stadt  in  den  letzten 
10  Jahren  sind  allein  für  mich  lohnend  gewesen;  es  ist 
ungeheuer  viel  in  dieser  Beziehg.  geschehen.  —  Ich  habe 
dann  einige  Vorstellungen  in  der  opera  comique  gehört,  u. 
A.  die  neue  Oper  von  Felicien  David:  Lalla  Rookh.  Die 
Ausführung  derselben  war  vortrefflich  u.  bestechend,  wenn 
auch  die  Gesangsmanier  der  Leute  widerlich  ist.  —  Eigen 
ist  mir's  mit  Maurer  und  Schlosser  ergangen.  Unter  sämmt- 
lichen  Mitwirkenden  war  auch  nicht  eine  Stimme,  u.  doch 
packte  mich's  durch  das  vortreffliche  Zusammenspiel  der 
Leute. 

Ich  habe  auch  die  Bekanntschaft  von  Delsarte  gemacht 
u.  bin  höchst  erfreut  darüber;  ich  war  3 mal  mit  Gunz  bei 
ihm  u.  habe  diesem  beim  Unterricht  begleitet.  Ich  kann 
sagen,  daß  ich  viel  dabei  gelernt  habe. 

Hier  leben  wir,  wie  alle  Jahre,  vergnügt  bei  den  Mei- 
nigen und  wünschen  nur  sehnlich,  Sie  einmal  bei  uns  zu 
sehen.  Sie  würden  durch  Ihren  Besuch  die  engere  und 
weitere  Familie  herzlich  erfreuen.    Kommen  Sie! 

Zunächst  aber,  bitte  ich,  geben  Sie  mir  bald,  recht  bald 
Nachricht,  wie  Sie  Ihre  Hannoversche  Angelegenheit  er- 
ledigt haben.  Ich  bin  sehr  gespannt  darauf;  meine  Frau 
natürlich  nicht  minder;  wir  leben  in  der  besten  Hoffnung 
darüber:  Sie  werden  uns  hoffentlich  nicht  getäuscht  haben. 

Schreiben  Sie  bald,  recht  viel  und  in  alter  Gesinnung 
Ihrem 

Scholz 
auf  der  Hammermühle  bei  Wießbaden. 


2\6  Von  Frau  Scholz 


Von  Frau  Scholz 

Hammermühle  i?..  Juli  62. 
Lieber  Meister! 

Mein  Spatz  ist  einmal  irre  geworden  u.  auch  im  Nest 
geblieben  —  lachen  Sie  ihn  deßhalb  nicht  zuviel  aus ! 
Hätte  ich  statt  seiner  zu  Ihnen  nach  London  gedurft!  Ich 
hätte  mir  von  allen  Seiten  tüchtig  imponiren  lassen  u.  viel 
dabei  profitirt.  Vor  allzu  großer  Entmuthigung  hätte  mich 
Ihre  Freundlichkeit  geschützt,  auf  die  ich  mir  bis  in  mein 
hohes  Alter  entsetzlich  viel  einbilden  werde,  — 

Über  vierzehn  Tage  war  ich  mit  den  Kindern  nach  Mainz 
verbannt,  weil  das  gefährliche  Scharlachfieber  der  Hammer- 
mühle immer  näher  rückte.  Ich  konnte  dort  viel  mit 
meiner  Familie  u.  alten  Freunden  zusammen  sein,  fand 
deßwegen  Nichts  hart  bei  der  Geschichte,  als  daß  ich  die 
alleinige  Bewohnerin  des  großen  Scholzischen  Hauses  war, 
das  dadurch  sehr  öde  und  leer  blieb.  —  Jetzt  sind  wir 
wieder  hier  u.  von  obligatem  Regen  begleitet,  der  sich  nur 
hie  u.  da  auf  halbe  Tage  zum  Aufhören  herbeiläßt.  — 
Dilthey  ^)  war  8  Tage  da,  u.  ich  habe  ein  Paar  sehr  schöne 
Stunden  mit  ihm  verplaudert,  in  denen  Sie  oft  genug  ge- 
nannt wurden.  Frl.  Weis,  die  ihren  Sommeraufenthalt  in 
Biebrich  genommen,  ist  fast  täglich  mit  uns  zusammen. 
Sie  ist  ein  talentvolles,  sehr  anmuthiges  Mädchen,  aber  sie 
erinnert  mich  leider  zu  oft  daran,  daß  ich  zu  permanentem 
Spaßmachen  zu  alt  geworden  bin  —  eine  Sache,  die  sich 
am  allerwenigsten  ändern  läßt!  u.  die  traurigste  Seite  der 
Frauen. 

.  .  .  Mir  fehlt  der  Muth,  Sie  abermals  um  Ihr  Kommen 
zu  quälen.  Aber  nach  Hannover  kommen  Sie  doch  zurück, 
gelt?  Mit  wieviel  leichterem  Herzen  zöge  ich  in  meine  neue 
Behausung  ein,  wüßte  ich,  daß  auch  diese  von  Ihnen  er- 

^)  der  aus  Biebrich  stammende  Philosoph  Wilhelm  D. 


An  Hernian  Grimm  217 

heitert  und  verschönt  würde.  Sie  hätten  uns  nicht  so  ver- 
wöhnen dürfen,  wenn  Sie  nun  so  hart  mit  uns  zu  verfahren 
denken ! 

Ihr  Service  habe  ich  mit  unserem  Kessel  an  Frl.  Weber 
zum  Aufheben  gegeben,  wo  es  in  einem  großen  eisernen 
Kasten  mit  vielem  anderen  Silber  steht.  —  Bitte,  nehmen 
Sie  nicht  immer  den  Bogen,  u.  manchmal  auch  die  Feder 
zur  Hand  und  vergessen  nicht  Ihre 

Luise  Scholz. 


An  Herman  Grimm 

[London]  Dienstag  d.  1 5*^"  [Juli  1862]. 
Lieber  Herman 

Sei  so  gut,  mir  mitzutheilen,  ob  ich  Dir  den  Rest  der 
M.[ichel]  A.[ngelo]  Mscrpte  „Poste  restante"  nach  Frei- 
burg senden  soll.  Es  ist  mir  ängstlich,  die  Abschrift  der 
Post  anzuvertrauen,  ohne  sicher  zu  wissen,  daß  sie  Dir 
direkt  in  die  Hände  kommt.  Ich  fange  an  aufzuathmen 
und  werde  nie  wieder  die  Verpflichtung  auf  mich  nehmen, 
in  so  viel  Concerten  nach  einander  zu  spielen.  Ich  werde 
einige  Monate  in  der  Nähe  Londons  auf  dem  Lande  zu- 
bringen und  freue  mich  darauf.  In  voriger  Woche  brachte 
ich  2  Tage  in  Dickens'  Haus  zu,  bei  Rochester,  eine  Stunde 
mit  der  Eisenbahn  zu  fahren.  Es  würde  Dir  und  der 
Gisel  dort  gefallen ;  das  Haus  steht  auf  Gadshill  wo  Fal- 
staff's  Gaunerei  vorgieng  lustigen  Andenkens.  Sobald  ich 
mich  mit  eigenen  Augen  (durch  Deine  Schriftzüge)  von 
Eurer  Anwesenheit  in  Freiburg  überzeuge,  schreibe  ich 
mehr. 

Von  Herzen 

Dein 

Joseph  J. 


2i8  Von  H.  W.  Ernst 

Von  IL  W.  Ernst 

Nice  den  if""  Jiily  1862. 

Theuerster  Freund, 

Ich  habe  bereits  Chorley  i),  Halle  und  Chappell  gebeten, 
allen  jenen  Lieben,  die  sich  so  theilnahmsvoll  und 
freundlich  für  mich  gezeigt,  gemeinsam  zu  danken  2). 

Du  bist  in  der  ersten  Reihe,  und  so  laß  mich  denn  Dich 
herzlichst  umarmen  und  Dir  für  Dein  brüderliches  Ver- 
fahren brüderlich  danken. 

Du  hast  mich  dadurch  auch  geehrt,  und  ich  kann  Dir 
nicht  sagen,  wie  glücklich  es  mich  gemacht  zu  ersehen, 
daß  Dein  freundschaftlicher  Versuch  Deinen  Künstler- 
ruhm nicht  geschmälert  hat.  Da  aber  keine  Freude  in  dieser 
W^elt  vollkommen  ist,  so  bleibt  mir  auch  das  tiefe  Bedauern, 
mich  nicht  durch  Dich  gehört  zu  haben:  Wer  weiß,  ob 
mir  je  diese  Freude  noch  zu  theil  wird,  und  mein  Bedauern 
ist  noch  um  so  tiefer,  wenn  ich  daran  denke,  daß  ich  in 
Wien  am  Quell  dieser  Erquickung  war,  daß  aber  der 
moderne  Gesetzgeber  des  Violinspiels  den  Zauberstab  nicht 
schwingen  wollte.  Du  hast  übrigens  bewiesen,  daß.  Du  noch 
ein  größerer  Zauberer  bist  aU  der  große  Vorgänger,  denn 
Du  hast  das  Wunder  bewirkt,  daß,  während  Du  in  Lon- 
don mit  dem  Zauberbogen  angeschlagen,  mir  hier  das 
Wasser  in  den  Mund  gekommen  ist.  —  Schreibe  mir  bald, 
wie  Dein  Bruder  es  mir  ankündigt.  Nichts  gibt  mir  Trost 
und  Muth  als  die  Überzeugung,  denjenigen  nicht  gleich- 
giltig  geworden  zu  seyn,   für  die  mein  Herz  stets  mit  Be- 

^)  Musikschriftsteller,  Mitarbeiter  des  Athenaeums. 

^)  Am  23.  Juni  hatte  in  St.  James'  Hall  zugunsten  des  unheilbar  er- 
krankten Ernst  ein  Monday  Populär  Concert  stattgefunden,  in  dem  Joa- 
chim, Laub,  Molique  und  Piatti  ein  Streichquartett  des  Benefizianten  spiel- 
ten, Joachim  überdies  noch  dessen  „Elegie". 


Von  II.  W.  Ernst  aif) 

w'underung  und  Liebe  erfüllt  war  und  geblieben  ist.  Seit 
einigen  Tagen  geht  es  mir  wieder  etwas  besser.  Meine 
Schmerzen  sind  minder,  und  das  Wetter  ist  so  wunderbar, 
daß  ich  wieder  die  Seebäder  ohne  Unterbrechung  nehmen 
kann.  Ich  hoffe  Erleichterung  und  wenigstens  so  viel 
Kräftigung,  um  einen  leidlichen  Winter  verbringen  zu 
können.  —  Über  den  bey  uns  begangenen  Diebstal  noch 
nicht  die  mindeste  Spur  von  Aufklärung;  aber  die  Ver- 
muthung,  daß  er  durch  unsere  Magd  begangen  wurde,  ge- 
winnt, leider  zu  spät,  sehr  viel  Wahrscheinlichkeit.  Diese 
hat  uns  aber  schon  beynahe  seit  4  Wochen  verlassen,  und 
es  scheint  der  Polizey  nicht  genehm,  auf  eine  neue  Unter- 
suchung zurückzukommen.  A  propos  dieses  Diebstals  habe 
ich  vergessen,  auf  die  Bemerkung  des  sehr  liebenswürdigen 
und  geistreichen  Heinrichs  (ich  meine  nicht  mich,  sondern  Dei- 
nen Heinrich),  daß  er  (ich  meine  nicht  Deinen  Heinrich, 
sondern  den  Diebstal),  daß  er  nur  meinen  festen  gesunden 
Schlaf  beweist,  zu  antworten:  daß  einem  Glückskind  Avie 
er  so  etwas  nicht  zukömmt,  daß  dazu  ein  Chlemil  gehört 
wie  ich,  der  die  ganze  Nacht  bis  4  ^U  ^^^^  nicht  schlafen 
kann  und  Lust  hat,  aber  da  der  Dieb  wahrscheinlich  un- 
geduldig geworden,  sich  ihm  zu  Gefallen  umdreht,  vor 
Müdigkeit  und  verbissenen  Schmerzen  einschläft  —  und 
sich  vor  seinem  Hintern  die  Uhr  vom  Nachttisch  und 
andre  werthvolle  Juwelen  wegstehlen  läßt.  War  es  ein 
Dieb  von  Piofession,  so  war  es  vielleicht  ein  Glück,  daß 
ich  mich  in  dem  Augenblick  nicht  umgewendet  und  ihm 
die  Nase  gezeigt  habe.  Ich  scherze  jetzt  hierüber,  weil  sich 
Gott  sey  Dank  im  Leben  jeder  unangenehme  Eindruck 
schwächt,  aber  ich  kann  Dich  versichern,  daß  ich  noch 
8  Tage  nach  diesem  unglückseligen  Ereigniß  keine  ruhige 
Minute  in  der  Nacht  genoß.  Da  dieses  alles  sich  mehr  an 
Deinen  Bruder  als  an  Dich  selbst  adressirt,  so  lasse  ich  ihm 
sagen,  bey  einem  nächsten  ähnlichen  Fall,  der  hoffentlich  ihm 
und  nicht  mir  zustoßen  wird,  charitabler  zu  seyn  und  für 


220  An  Clara  Schumann 

diesmal  mit  mir  (er  wird  wohl  wissen,  was  es  sagen  will) 
Goimel  zu  benschen.  ^) 

Nochmals  bitte  ich  Dich  herzlich,  mir  zu  schreiben,  und 
hast  Du  neues  componirt,  so  lass'  es  mich  haben  mit 
Deinem  D  moll  Concert,  das  Du  mir  schon  in  Wien  ver- 
sprochen, 

Gott  mit  Dir,  Dein  treuer.  Dich  herzlich  verehrender 
Freund  und  Bruder 

H.  W.  Ernst 

Da  Du  gewiß  Gelegenheit  hast,  die  Klingemannsche 
Familie  und  Horsley's  zu  sehen,  so  grüße  sie  alle  bestens. 
Meine  Frau  läßt  Dich  und  Deinen  Bruder  herzlichst  grüßen 
und  läßt  letztem!  sagen,  daß  sie  von  seiner  Freundschaft 
erwartet  hätte,  daß  er  in  dem  Conzert  auf  seine  gewohnte 
meisterhafte  und  von  uns  oft  bewunderte  Weise  Wilikens 
singt  —  il  vous  aurait  certainement  tous  enfonces. 

An  Clara  Schumann 

[London]  Am  i8'™  Juli  [1862]. 

Liebe  Frau  Schumann. 

Sie  sind  jetzt  schon  auf  einer  Station  zur  Reise  in  die 
Schweiz,  während  ich  noch  immer  unter  der  Häuser- 
masse London's  sitze  mit  mancherlei  Fesseln,  welche  die 
Saison  hier  um  alle  schlingt,  die  sich  in  ihr  Treiben  begeben, 
nolens  volens!  Ich  habe  die  Verpflichtung,  noch  am  28"" 
und  29"="  d.  Mts.  hier  zu  spielen,  dann  bin  ich,  dem  Him- 
mel sei  Dank,  frei,  da  ich  alle  Aufforderungen  zu  Reisen 
in  die  Provinzen  abgewiesen  habe.  Mein  Plan  ist,  dann  in 
unmittelbarer  Nähe  London's  auf's  Land  zu  gehen,   etwa 

^)  Gaumel  oder  gomel  benschen  heißt  in  der  Aussprache  der  deutschen 
Juden:  ein  kurzes  Dankgebet  für  Errettung  von  schwerer  Krankheit  oder 
aus  Lebensgefahr  sprechen.  Ein  solches  Gebet  wurde  fiüher  in  den  Syna- 
gogen nach  dem  Aufrufen  zur  Tliora  von  den  Genesenen  oder  Enetteten 
rezitiert,  worauf  die  Gemeinde  responsorisch  einfiel. 


An  Frau  M.  Benecke  221 

nach  Norwood,  und  da  einige  Zeit  zu  leben,  um  zu  arbei- 
ten und  nebenher  die  Kunstschätze  London's  und  die  Aus- 
stellung mehr  und  mehr  kennen  zu  lernen.  Wohl  zöge  es 
mich  wieder  nach  der  Schweiz,  wo  es  mir  voriges  Jahr  so 
herrlich  geschienen  —  aber  ich  scheue  das  ewige  Herum- 
ziehen, das  inich  zuletzt  ganz  rastlos  machen  würde.  Meine 
Gesundheit  ist  so  stark,  daß  ich  keiner  Reiseerholung  und 
Bergluft  bedarf,  so  gerne  ich  die  Lavinen  wieder  rollen 
hörte!  Johannes  ist  wohlbehalten  in  Harn,  wie  mir  Heins 
aus  Hamburg  versicherte,  der  ihn  vor  seiner  Hieherkunft 
gesprochen.  Was  Sie  mir  von  seiner  Sinfonie  schreiben, 
entzückt  mich.  Könnte  ich  sie  doch  sehen;  aber  ich  fürchte, 
er  wird  sie  kaum  hieher  schicken  wollen.  Doch  will  ich's 
versuchen,  ihn  zu  überreden.  Wenn  ich  an  die  Freude 
denke,  Johannes'  Sinfonie  einstudiren  und  zuerst  aufführen 
zu  können,  bekomme  ich  freilich  wieder  starke  Lust,  den 
Vorschlag  des  Königs  zu  segnen,  der  mir  freistellte,  meine 
2  Jahre  Urlaub  zu  nehmen,  mit  der  einzigen  Beschränkung 
den  Gehalt  fortzubeziehen  und  dafür  (nach  meiner 
Wahl  der  Zeit)  6  Concerte  jedes  Jahr  zu  dirigiren.  Ich 
weiß,  Sie  reden  zu ! . . . 
In  getreuer  Ergebenheit 

Ihr 

Joseph  J. 

An  Frau  M.  Benecke 

[London]  Freitag  früh  [25.  Juli  1862]. 

Liebe  Frau  Benecke 

Nehmen   Sie   und    Fräulein   Lilly  i)    meinen    wärmsten 
Dank  dafür,   daß   Sie  mir   Ihre   Bildchen   schickten, 
Wär's  auch  noch  schöner  für  mich  gewesen,  ich  hätte  mit 

')  L.  Mendelssohn,  -j-  191  o  als  Gattin   des  Leipziger  Rechtsgelehrten 
Adolf  Wach. 


322  Von  Bernh.  Scholz 

Ihnen  selbst  den  Ausflug  nach  Windsor  machen  können, 
so  ist's  doch  auch  eine  große  Freude,  ein  Zeichen  Ihrer 
und  Ihrer  Schwester  freundlichen  Gedenkens  für's  Geburts- 
tagskind 7.U  sehen. 

Ich  habe  nun  die  vier  Geschwister  vor  Augen,  so  oft 
ich  will,  wie  ich  sie  beständig  treu  in  meinem  Herzen  be- 
hüte als  die  Kinder  des  edelsten,  frühesten  Freundes,  der 
sich  in  Großmuth  zu  mir,  dem  Knaben  wandte,  um  mich 
besser  zu  machen  durch  seine  Sorgfalt.  Grüßen  vSie  Ihren 
lieben  Victor,  von  dem  es  sehr  gut  war,  selbst  zu  kommen. 

Ich  hoffe,  Sie  vor  dem  nächsten  Freitag  zu  sehen,  und 
bin  und  bleibe 

freundschaftlich  ergeben 

Ihr 


Von  Beruh.  Scholz 


Joseph  Joachim 


Hannover  26  Aug.   1862. 


Mein  lieber  Freund! 

Seit  zwei  Tagen  befinde  ich  mich  wieder  in  Hannover, 
und  zwar  ohne  Frau  und  Kinder  (die  ich  erst  nach 
erfolgtem  Umzug  will  kommen  lassen),  ohne  Joachim,  — 
selbst  ohne  Brinkmann,  der  noch  auf  Beisen  ist,  so  daß 
ich  mir  so  einsam  und  verlassen  vorkomme  wie  Adam  im 
Paradies,  ehe  Eva  geschaffen  war,  nur  daß  Hannover  noch 
lange  kein  Paradies  ist,  und  daß  ich  lieber  den  freund- 
lichen paradiesischen  Bestien  begegnen  möchte,  als  man- 
chem widerwärtigen  Gesichte  hier. 

Ist  das  nicht  Wasser  auf  Ihre  Midile?  —  Ich  sehe  Sie 
ordentlich  schadenfroh  grinsen,  daß  mir  hier  eben  so 
schlecht  zu  Muthe  ist.  Es  ist  aber  eine  schlechte  Stim- 
mung, ein  bischen  Heimweh,  dessen  ich  mich  schämen 
sollte,  und  das  ich  auch  gewiß  bald  überwunden  haben 
Averde.    Blicke  ich  vorwärts,  so  gestaltet  sich  mir  das  Bild 


Von  Bernh.  Scholz  223 

schon  besser:  heitere  Abende  mit  meiner  Frau,  mit  Joachim 
und  manchem  guten,  Heben  Gesicht,  deren  ich  doch  auch 
jetzt  schon  wieder  manche  erbhckt  habe,  —  ich  nenne  nur 
Papa  Nicola,  der  Sie  herzlich  grüßen  läßt. 

Rehren  Sie  uns  bald  wieder,  lieber,  lieber  Freund;  — 
wir  wollen  brav  zusammen  arbeiten,  —  ich  muß  aber  auch 
ehrlich  gestehen:  ich  hab's  nöthig,  denn  ich  habe  den 
ganzen  Sommer  über  keine  Feder  gerührt;  mir  fällt  nichts 
ein  —  ich  bin  muthlos  und  glaube  auch  nicht,  daß  ich 
eher  wieder  was  schreiben  werde,  als  bis  ich  mein  Re- 
quiem einmal  gehört  habe;  vielleicht  schöpfe  ich  dann 
wieder  einiges  Vertrauen  in  mich  und  mein  Talent  — 
wenn  ich  überhaupt  eins  habe.  Desto  mehr  freue  ich  mich 
auf  das,  was  Sie  nun  zeigen  werden,  denn  Ihre  Andeu- 
tungen geben  mir  Hoffnung  auf  eine  größere  Arbeit  von 
Ihnen.  Wir  führen  sie  Ihnen  dann  auch  wundervoll  auf: 
Kommen  Sie  nur  bald,  recht  bald! 

Meine  liebe  Frau  und  alle  drei  Kinder  sind  recht  wohl, 
frisch  und  gesund,  und  das  Landleben  bekommt  ihnen. 
Henni  fängt  an,  besser  zu  plaudern,  Dickerchen  ist  ein 
allerliebstes  Thier,  so  braun  gebrannt,  daß  seine  Hautfarbe 
dunkler  ist,  als  seine  Haare,  —  und  Ihr  Pathchen  gedeiht 
vortrefflich.  Er  kommt  dieser  Tage  zum  ersten  Male  in  feind- 
liche Berührung  mit  der  Welt,  d.  h.  er  wird  geimpft  werden. 

Wie  sehne  ich  mich  nach  den  Meinigen,  so  kurz  ich 
auch  weg  bin;  die  Trennung  wird  aber  hoffentlich  bald 
vorüber  sein;  ich  denke,  schon  nächste  Woche  in  mein 
neues  Quartier  überzusiedeln. 

Frl.  Weis  hat  die  ganzen  Ferien  in  unserer  Nähe  und 
viele  Zeit  auf  der  Hammermühle  verbracht;  wir  haben 
sie  als  ein  braves,  vortreffliches  Mädchen  kennen  gelernt. 
Wie  talentvoll  sie  ist,  wissen  Sie  selbst.  Es  ist  mir  darum 
zu  thun,  sie  vorwärts  zu  bringen.  Opern  singen  allein  kann 
dabei  nicht  genügen;  sie  muß  auch  das  Oratorium,  für 
welches   sie  sehr  begabt  ist,    cultiviren.    Sie  beabsichtigt, 


224  ^^•^i^  Bernhard  Molique 

diesen  Winter  französisch  zu  lernen;  ich  möchte  ihr  lieber 
rathen,  englisch  zu  treiben,  eine  Sprache  die  für  ihre 
Zwecke  passender  ist,  da  sie  in  Frankreich  nichts  zu  holen 
hat,  Avohl  aber,  wie  ich  hoffe,  später  in  England.  Sollte  es 
nicht  mögliclx  sein,  sie  später  in  einer  Londoner  Saison 
unter  Ihrer  Aegide  und  vielleicht  mit  hannoverschen  Em- 
pfehlungen in  England  zu  introduciren?  Sie  ist  fleißig  und 
hat  auch  diesen  Sommer  brave  Fortschritte  in  Bezug  auf 
Vertiefung  der  Empfindung  beim  Gesang  gemacht.  Ich 
glaube,  es  wäre  lohnend  und  auch  für  Sie  erfreulich,  ein 
Mädchen,  das  aus  der  großen  Zahl  sogenannter  Künstle- 
rinnen bedeutend  hervorragt,  zu  fördern.  Was  meinen 
Sie?   Soll  sie  englisch  oder  französisch  treiben? 

Geben  Sie  mir  bald  Antwort  und  vergessen  Sie  nicht,  auch 
meiner  lieben  Frau  die  versprochenen  Briefzeilen  zu  senden ; 
sie  ist  in  dieser  Beziehung  sehr  eifersüchtig,  wie  Sie  wissen ! 

Schließlich  herzlichen  treuen  Gruß;  auch  Eyertt,  Grün, 
Lindner's  Frau  lassen  Sie  grüßen. 
Behalten  Sie  lieb 

Ihren  Scholz 


Von  Bernhard  Molique^) 


Littlehampton,  Sussex  26.  August  1862. 
Mein  lieber  Freund! 

Sie   sind   vielleicht   schon   irgendwo   an   der  See,   doch 
denke  ich,  Sie  werden  die  Zeilen  erhalten,  wenn  ich 
sie  in  Ihre  Wohnung  adressire.    Wie  geht  es  Ihnen,  sind 

*)  Joachim  schätzte  den  urwüchsijjen  Nürnberger,  der  es  nicht  über 
sicli  gewann,  bei  seinem  17  jährigen  Aufenthalt  in  London  ordentlich  eng- 
lisch zu  lernen,  namentlich  als  Menschen  sein  Leben  lang  ungemein  hoch ; 
das  Salatanmachen  hatte  J.  von  Felix  Mendelssohn  und  Niels  W.  Gade 
gelernt  und  tat  sich  so  viel  darauf  zugute,  daß  ihm,  wenn  er  bei  Freun- 
den speiste,  häufig  die  Schüssel  und  die  Ingredienzen  an  seinen  Platz  ge- 
stellt wurden. 


Von  Bernhard  Mol ique  2  9.5 

Sie  vergnügt  auf  der  I.  of  Wight  oder  in  Hastings?  ich 
bin  in  meinem  stillen,  ruhigen  Littlehampton  sehr  wohl 
auf,  bade  fleißig,  bin  bey  diesem  schönen  Wetter  den 
ganzen  Tag  in  der  Luft,  aber  habe  noch  nichts  compo- 
niert,  welches  ich  nicht  recht  finde,  und  will  mich  jetzt 
bessern  und  mich  meines  Versprechens  erinnern,  welches 
ich  Cracroft  den  letzten  Abend  bei  Very  gegeben  habe. 
Meine  Frau  schreibt  mir  auch,  daß  Sie  ihnen  das  Ver- 
gnügen gemacht  haben,  sie  zu  besuchen,  und  daß  Sie  einen 
Salat  so  gut  angemacht  hätten  (auf  welche  Geschicklich- 
keit ich  beynahe  ein  wenig  eifersüchtig  bin),  und  daß  dieser 
Salat  so  wohl  ihnen  geschmeckt  habe.  Nun  komme  ich 
bis  den  6"^  September  nach  London  zurück,  und  ich  hoffe, 
daß  Sie  mir  auch  einen  Salat  anmachen,  daß  ich  auch 
darüber  urtheilen  kann.  Das  war  sehr  freundlich  von 
Ihnen,  daß  Sie  nach  meinen  Leuten  gesehen  haben.  Meine 
Frau  schreibt  mir  auch,  daß  Sie  nach  Hanover  gehen,  ich 
hoffe  Sie  noch  zu  sehen,  ehe  Sie  fortgehen,  um  Ihnen  per- 
sönlich zu  sagen,  daß  mir  Ihr  Aufenthalt  in  London  viel 
Vergnügen  gemacht  hat,  und  daß  es  mir  immer  leid  thut, 
wenn  ich  mich  trennen  muß  von  einem,  den  ich  als 
Künstler  und  Mensch  so  hochschätze. 

Lassen  Sie  mich  bey  Gelegenheit  hören,  wie  es  Ihnen 
geht,  und  seyn  Sie  versichert,  daß  ich  immer  bin 

Ihr 

ergebener  Freund 

B.  Molique. 

Caroline   und  Louisa   lassen  Sie  vielmals  grüßen,    und 
erstere  für  das  in's  Album  geschriebene  bestens  danken. 


i5 


226  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

London  am  26'^"  August  [1862]. 

Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  habe  in  dem  letzten  Monat  an  keinen  meiner  Freunde 
ein  Wort  geschrieben  —  und  sie  haben  nichts  daran 
verloren,  denn  man  hat  wirklich  eine  Zeitlang  zu  thun, 
bevor  man  sich  aus  dem  prosaischen  Geschäft  des  vielen 
Spielens  in  der  Saison  zu  der  alten  Lust  und  Freudigkeit 
an  der  Kunst  zurückfindet.  —  Manchmal  machte  ich  kleine 
Ausflüge  in  die  Umgegend  von  London,  zuletzt  nach  Ha- 
stings  am  Meer.  Da  hat  es  mir  so  gut  gefallen,  daß  ich 
morgen  auf  einige  Wochen  —  vielleicht  auf  6  Wochen 
hinziehe.  Meine  Adresse  dort  kann  ich  noch  nicht  sagen, 
ich  will  erst  ein  Quartier  an  der  See  suchen;  aber  wenn 
Sie  ein  paar  Worte  an  Herrn  Victor  Benecke  adressirten, 
so  würde  mir  dieser  sie  zukommen  lassen.  Es  ist  dies  der 
Schwiegersohn  Mendelssohn's,  und  Sie  werden  es  natürlich 
finden,  daß  ihn  mir  das  besonders  werth  macht.  Ich  war 
hier  in  London  am  liebsten  in  seinem  Haus ;  Marie  Mendels, 
ist  eine  vortreffliche  Hausfrau  geworden  und  so  klug  und 
anmuthig  dabei,  daß  man  ihr  die  Eltern  anmerkt.  Auch 
Karl  und  Lili  haben  mir  einen  sehr  guten  Eindruck  ge- 
macht, und  ich  hoffe,  dasselbe  von  Paul  sagen  zu  können, 
den  ich  bei  seiner  Schwester  bald  werde  kennen  lernen, 
da  er  zum  Besuch  in  Hastin gs  erwartet  wird,  Sie  sehen, 
daß  es  mir  also  an  Gesellschaft  nicht  fehlen  kann,  wenn 
ich  sie  nicht  an  der  Frau  Musica  haben  sollte.  Wenn  ich 
Sie  aber  im  Oktober  wiedersehen  werde,  so  hoffe  ich  einiges 
Notenpapier  als  Zeichen  mitzubringen,  daß  die  letztge- 
nannte Dame  mir  die  liebste  Gesellschaft  geblieben.^) 

^)  Er  schrieb  damals  das  Gdur- Konzert;  als  es  nach   20  Jahren  ver- 
öffentlicht wurde,  schrieb  eine  bekannte  Musikzeitung,  es  bestände  nur 


Von  Herman  Grimm  227 

Vielleicht  kann  ich  Sie  Ende  Oktobers  zu  Brahms'  Sin- 
fonie nach  Hannover  laden.  Einen  Theil  meiner  Sachen 
habe  ich  mit  Rabe  dahin  vorausgeschickt,  der  heute  über 
Bremen  zurückgereiset  ist.  Ich  freue  mich  auf  6  Concerte, 
die  meine  Hannover'sche  Wirksamkeit  mit  Jahresschluß 
enden  sollen,  wie  ich  denke.  Grüßen  Sie  den  herrlichen 
Rigi,  der  Sie  gewiß  gestärkt  und  erhoben  hat.  Die  herz- 
lichsten Grüße  auch  an  Fräulein  Marie  und  Julie.  Mein 
Geburtstagsgeschenk  soll  mit  Stolz  in  die  Reihe  seiner  Ge- 
schwister aufgenommen  werden.    Innigsten  Dank  von 

Ihrem  treu  ergebnen 

Joseph  Joachim. 

Von  Herman  Griinni 

Montreux  29.  August  1862. 
Lieber  Joachim. 

Gestern  Abend  sind  wir  hier  angekommen,  bei  Regen- 
wetter, und  auch  heute  hängt  der  See  und  das  Ge- 
birge ringsum  voller  Wolken.  Deinen  Brief  fanden  wir 
vor,  durch  den  wir  Dein  vortreffliches  Portrait  erhielten, 
und  durch  den  außerdem  Rabe's  Persönlichkeit  (die  dessen 
hauptsächlichen  Inhalt  bildet)  der  Unsterblichkeit  über- 
geben worden  ist.  Rabe  wird  leben.  Ich  schreibe  Michel 
Angelo's,  Joachim  schreibt  Rabe's  Lebensbeschreibung.  Ich 
widme  Dir  mein  Buch,  Du  mir  das  Deinige.  Ich  muß  ge- 
stehn,  als  ich  auf  der  vierten  Seite  Deines  Briefes  immer 
noch  Rabe  vorherrschen  fand,  wurde  mir  die  Sache  etwas 
düster.  Hattest  Du  die  Absicht,  meine  Undankbarkeit  da- 
mit zu  züchtigen?  Lieber  Freund,  ich  schrieb  Dir  nicht, 
weil  ich  froh  war,  die  Gedichte  in  Händen  zu  haben,  und 
kein    dringender   Grund    zu    schreiben   vorlag.    Daß   wir 

aus  Phrasen,  die  aus  dem   Brahmsschen   und  Bruchschen   Konzerte  zu- 
sammengeholt seien ! 

i5* 


228  Von  Herman  Grimm 

darum  aber  nicht  alle  Tage  darüber  verhandelt,  ob  wir 
Dich  nicht  dringend  einladen  sollten,  zu  uns  zu  kommen 
(Du  hättest  es  vielleicht  gethan),  ist  eine  andere  Sache. 
Die  Giesel  war  trotz  allem  Guten,  was  die  Reise  gebracht 
hat,  doch  immer  recht  elend,  geistig  herunter  und  oft  kaum 
im  Stande,  die  indifferentesten  Leute  zu  sehn. 

Und  so  haben  wir  auch  über  Rom  viel  gesprochen.  Nach 
Florenz  kannst  Du  nicht,  das  ist  kalt,  trocken  und  Rheu- 
matismus erweckend.  Rom  aber  wäre  der  Ort  für  Dich. 
Du  würdest  dort  für  alle  Lücken  des  Daseins  Ausfüllsel 
finden.  Was  uns  stillschweigen  hieß  darüber,  war  nur  die 
Erwägung,  wie  wenig  wir  bei  Giesels  Angegriffenheit  doch 
auch  dort  von  einander  haben  wüi^den.  Aber  versuch  es, 
wie  wir  es  versuchen.  Nur  der  arme  tragische,  kriegerische 
Heilige,  der  ganz  seinem  großen  Charakter  angemessen 
jetzt  endlich  seinem  Schicksal  in  den  Rechen  läuft,  läßt 
uns  noch  schwanken,  ob  wir  gehn  sollen  i).  Denn  wenn  es 
in  Rom  Unruhen  giebt,  kann  ich  Giesel  nicht  dahin  bringen. 
In  diesem  Falle  wollen  wir  an  einen  bei  Genua  an  der 
Riviera  gelegenen  Ort  gehn. 

Ris  zum  i5.  Oktober  hält  mich  mein  Ruch  hier,  von 
dem  20  Rogen  gedruckt  sind  und  lo — 12  noch  vorliegen. 
Davon  die  letzten  6  erst  hier  noch  zu  schreiben.  Heute 
hatte  ich  allein  3  vorgefundene  Correkturen  zu  absol- 
vieren. Ich  merke  doch,  daß  dies  gewaltsame  Gedanken- 
zusammenfassen, das  ich  nun  schon  2  Monate  lang  dieser 
Arbeit  zu  Liebe  vornehmen  muß,  mehr  angreift,  als  was 
es  sonst  angreifendes  giebt.  Es  ist  wie  eine  Art  Zahnweh. 
Mitten  durch  die  Länder  und  Menschen  geht  man  fort 
und  schüttelt  alles,  was  auf  einen  eindringt,  wie  die  Regen- 
tropfen von  sich.  Von  dem  vielen  Schütteln  wird  man 
endlich  schwindlich.  Ich  war  vorher  an  der  Station  unten, 
meine  Reisekiste  mit  Rüchern  ist  angekommen.    Es  fehlt 

^)  Der  Fi-eischarenzu{i;  Garibaldis  gegen  das  päpstliche  Rom  scheiterte 
aber  am  selben  Tage,  an  dem  dieser  Brief  geschrieben  wurde. 


Von  Herman  Grimm  229 

nur  noch  ein  ruhiges  Zimmer,  um  anfangen  zu  können. 
Unser  jetziges  Hegt  am  Markte,  und  dicht  unter  uns  waschen 
die  Weiber  den  Heben  Tag,  wobei  sie  mehr  Geschwätz  als 
Seife  gebrauchen.  Dazu  bin  ich  tüchtig  erkähet.  Man 
kommt  in  dieser  Beziehung  dies  Jahr  auf  keinen  grünen 
Zweig.  Man  möchte  gern  hin  und  wieder  ein  bischen 
Sonnenschein  bezahlen,  wie  man  im  Theater  die  Beleuch- 
tung bezahlt.  In  Heinrichbad  wurde  es  zuletzt  so  kalt, 
daß  wir  uns  kaum  mehr  erwärmen  konnten  in  den  dünnen 
Holzwänden. 

Nun  leb  wohl  und  arbeite  fleißig  an  Deinem  Violin- 
concert  auf  [das]  wir  uns  beiden  fieuen.  Du  kannst  es 
wohl  denken.  Dein  letztes  Goncert  ist  doch  für  mich  das 
einzige  musikalische  Ereigniß;  daß  ich  habe  etwas  ent- 
stehn  sehn,  das  vorher  nicht  dawar  und  das  etwas  ist. 

Giesel  grüßt  Dich  vielmal  und  dankt  für  das  Bild,  das 
bei  uns  am  Spiegel  steckt.  Ich  hoffe.  Du  schreibst  bald  ein 
paar  Worte,  aber  nicht  mit  der  Rabenfeder. 

Dein 

Hermann. 

[Nachschrift  von  Gisela  Grimms  Hand:] 

Dein  Bildchen  ist  grade  zu  meinem  Geburtstag  gekom- 
men, der  Morgen  ist,  ich  kann  mir  dazu  ein  paar  Feigen, 
Myrten  und  Rosen  im  Freien  pflücken,  —  hier  würde  es 
Dir  gefallen,  alles  großartig  mehr,  Blätter  und  Beume 
schlanker,  üppiger,  wie  bei  uns,  und  die  Menschen  alter- 
thümlicher,  samt  Heusern  und  Gerten  —  Herman  lächerte 
mich  gestern  Abend  so,  —  er  sah  in  dem  patriarchalischen 
Eszimmer  so  aus  —  wie  einer,  den  in  einem  fremden  Post- 
wagen plötzlich  einer  aufs  Knie  nimmt  und  sagt  —  liebes 
Kind  zu  einem,  was  allerdings  sonderbahr  wäre,  wenn  man 
ihn  nicht  kennte.  —  Es  waren  so  Greise  mit  Silberhaaren 
da,  die  fortwehrend  aussahen,  als  wollten  sie  einen  seegnen, 
und  Jünglinge   mit  Locken.  —  Aber  wie   schön  hier  die 


23o  Von  Herman  Grimm 

hohen  weiten  gedehnten  Berge  um  den  See  —  Alles  neu  — 
eben  so  schlank  wie  steil,  —  üppig  wie  stark,  —  weh- 
rend das  sonst  oft  in  der  Schweiz  nicht  so,  ein  vermehlen 
mit  Italien.  —  Dein  Bild  ist  gut,  aber  das  Meulchen  hättest 
Du  ein  wenig  feiner  machen  können,  es  ist  wie  Deine 
Prutsche,  die  Du  manchmal  machst,  —  mein  kleiner 
Joachim  von  Dir  ist  zierlicher  —  er  ist  auch  von  uns  da- 
hin gegangen.  —  Das  Da  meinen  Brief  mit  gewohnter 
Liebevolligkeit  von  mir  aus  findest,  wundert  mich  doch, 
ich  bin,  weil  ich  Dich  so  lieb  habe,  doch  immer  offen  und 
recht  derb  gegen  Dich,  habe  dafür  aber  auch  nichts 
hinter  Deinem  Rücken  zu  tadeln  —  ich  denke,  das  muß 
Dir  so  lieb  sein?  —  Lebe  tausend  Mal  wohl  —  je  mehr 
ich  Menschen  sehe,  je  mehr  freue  ich  mich  oft  im  stillen, 
das  wir  3  uns  kennen  und  lieb  haben  —  leider  find  ich 
Niemand,  den  ich  dazu  gesellte,  vielleicht  Emerson,  wenn 
ich  ihn  besser  kennte,  —  es  ist  kein  falscher  Stolz  —  nur 
der  Gedanke,  daß  wir  reine  freie  Absichten  haben  —  und 
so  bin  ich  oft  ganz  seelich,  sitz  ich  still  unter  Menschen 
und  denke  an  unsre  gute  Bekanntschaft,  im  höchsten  Sinne 
p^emeint.  Ich  kann  nicht  viel  schreiben,  ich  war  viel  krank. 
Herman  ist  auch  angegriffen,  denn  zu  arbeiten  wehrend 
der  Reise,  in  schlechten  Zimmern  vor  Lärmen,  Nacht  einen 
Kranken  pflegen,  aber  nun  kommt's  doch  wieder  gut.  Hier 
noch  ein  Bild  von  mir. 

D. 

G. 
Herman  plagt  Dich  über  die  Geschichte  mit  Rabe,  die 
mir   aber   sehr   gefallen,   nur  hättest  Du  noch  was  dazu 
schreiben  sollen  von  Dir.    Du  bist  die  Taube  zum  Raben 
mit  Deiner  Unruh  Strafe  [PI. 


An  seine  Eltern  aSi 


An  seine  Eltern 

Hastings  5"="  Sept""-  [1862]. 
Theuerste  Eltern 

Der  Ort,  von  dem  diese  Zeilen  kommen,  liegt  an  der 
Südküste  Englands,  und  ich  bin  seit  etwa  8  Tagen 
hier,  um  mich  von  dem  Geräusch  des  Londoner  Lebens 
zu  sammeln.  Das  Meer  im  Mondschein  ist  wahrlich  in 
seiner  Großartigkeit  recht  dazu  geeignet.  Ich  gehe  sehr 
viel  auf  den  Anhöhen  am  Meer,  die  Landschaft  ist  da  ganz 
herrlich,  und  bade  täglich  zu  meiner  großen  Erquickung. 
Dazu  habe  ich  eine  Komposition  unter  der  Feder  und  führe 
so  das  angenehmste  Leben  in  der  Welt,  so  daß  ich  glaube, 
ich  werde  es  noch  mehrere  Wochen  hier  aushalten.  Auch 
an  freundschaftlichem  Umgang  fehlt  es  mir  nicht:  der 
Schwiegersohn  Mendelssohns  (ein  englischer  wohlhabender 
Kaufmann,  Namens  Benecke)  mit  Frau  und  deren  Bruder 
Paul  und  Schwester  Lili,  die  ich  alle  3  als  Kinder  schon 
gekannt,  sind  hier.  Zudem  will  auch  Heinrich  mich  manch- 
mal besuchen ;  ich  erwarte  ihn  morgen.  Die  Kinder  Mendels- 
sohns sind  alle  so  gescheut,  anmuthig  und  talentvoll,  daß 
ich  große  Freude  daran  habe,  mit  ihnen  zu  sein.  Der  Name 
Mendelssohn  hat  in  allen  Jahren  nichts  von  dem  Zauber 
verloren,  den  er  als  Knabe  auf  mich  ausgeübt;  ja,  je  mehr 
ich  vom  Leben  kennen  lerne,  desto  mehr  sehe  ich,  wie 
wohlthätig  in  der  reinsten  Bedeutung  des  Wortes  dieser 
große  Meister  auf  mich  einwirkte,  und  ich  wollte  zu  Gott, 
ich  hätte  mich  des  Einflusses  nicht  so  früh  beiaubt  ge- 
sehen !  So  will  ich  denn  hier  und  immer  die  Freundschaft 
seiner  Kinder  als  eine  edle  Hinterlassenschaft  von  Herzen 
genießen.  —  Von  hier  aus  werde  ich  (nach  kurzem  Aufent- 
halt in  London  auf  der  Durchreise)  Ende  dieses  nach 
Hannover,  wohin  ich  meinen  „Rabe"  bereits  geschickt 
habe.    Ihre  Biiefe  bitte  ich,  nach  wie  vor  an  den  lieben 


232  An  Herman  Grimm 

Heinrich  zu  adressiren.  Ich  will  eben  auch  an  Fritz  schrei- 
ben; sollte  der  liebe  Bruder  eben  in  Pesth  sein,  so  grüßen 
Sie  ihn  wohl  herzlichst,  wie  alle  theuern  Angehörigen. 

Ihr  getreuer 

Joseph. 

An  Herman  Grimm 

Hastings  20*^"  Septbr.  [1862]. 

Lieber  Hermann. 

Ich  hätte  Euch  gleich  gesagt,  wie  lieb  mir  Eure  beiden 
Briefe  waren,  und  wie  ich  Euch  dafür  danke,  wenn 
mich  nicht  zu  derselben  Zeit  gerade  ein  Ereigniß  betrü- 
bender Natur  (in  meiner  Familie  in  Pesth)  in  Anspruch 
genommen  hätte.  Meine  Zweitälteste  Schwester,  bei  der 
ich  während  meines  letzten  Aufenthalts  in  Ungarn  gewohnt 
hatte,  ist  plötzlich  aus  einem  Badeort  ganz  erkrankt  zurück- 
gekehrt und  am  Abend  darauf  gestorben.  Für  meine  Eitern, 
die  so  lange  ich  denken  kann,  keines  der  Kinder  verloren 
hatten,  ist's  ein  harter  Schlag.  Sie  sind  doch  über  70, 
wünschten  mich  und  Heinrich,  den  Londoner  Bruder,  öfter 
zu  sehen,  hätten  gerne  gehabt,  wir  wären  gleich  gekommen, 
kurz  die  Sache  hat  auch  mich  sehr  bewegt,  wie  Du  denken 
kannst.  Es  wäre  für  mich  jetzt  kaum  thunlich  gewesen, 
so  in  aller  Eile  nach  Pesth  zu  gehen;  es  ist  denn  doch 
mehrere  Tagereisen  von  hier,  und  man  ist  nun  eben  keine 
Möve,  die  im  Moment  die  freien  Flügel  in  die  Lüfte 
schwingt,  wohin  die  Regung  treibt.  Ich  brauche  der 
Sammlung  und  Ruhe  nach  dem  bewegten  Sommerleben 
in  London,  um  endlich  auch  wegen  meines  Aufenthaltes 
in  Zukunft  etwas  zu  beschließen.  Wie  ich  es  mit  Hannover 
mache,  darüber  will  ich  heute  nichts  sagen;  es  wird  so 
ziemlich  von  einer  Nachricht  abhängen,  die  ich  in  der 
nächsten  Woche  erwarte.    Nur  daß  ich  nicht  meine  An- 


An  Herman  Grimm  233 


Stellung  behalte,  steht  in  mir  fest,  denn  ich  habe  den  Ort 
nicht  lieb  genug,  um  mir  die  Aussicht,  lebenslänglich  dort 
zu  sein,  erträglich  zu  machen.  Sage  doch  der  Gisel,  daß 
jedes  Wort,  das  sie  mir  über  Hannover  geschrieben,  mir 
vollkommen  richtig  erscheint,  gerade  so  klar  und  charakter- 
voll wie  ihr  Bild,  das  Ihr  mir  schicktet.  Daß  Ihr  auch  mit 
Garibaldi  so  viel  beschäftigt  wart,  und  daß  wir  von  vorn- 
herein ähnlich  über  ihn  empfunden,  ist  mir  eine  Freude 
gewesen.  Aber  für  Euren  Besuch  in  Rom  sieht  es  wohl 
ungünstiger  aus  als  je!  Ich  glaube,  Napoleon  will  durch 
die  Balancirstange  der  Leidenschaften  der  päbstlichen  und 
italienischen  Parteien  seine  Herrschaft  behaupten,  so  lange 
es  geht.  Ich  bin  begierig,  wie  es  Mitte  Oktobers  aussehen 
wird,  wo  sich  Deine  Bewegungen  entscheiden  sollen,  nach 
glücklicher  Beendigung  Deines  2'*"  Theiles.  ^)  Kann  ich 
Dir  in  London  nichts  mehr  besorgen?  Ich  gehe  in  8  Tagen 
hin  und  werde  in  meines  Bruders  Wohnung  absteigen. 
Leider  habe  ich  das  Häuschen  hier  nicht  bekommen,  von 
dem  ich  erst  geschrieben.  Wo  ich  jetzt  wohne,  ist's  recht 
angenehm,  aber  manchmal  ein  wenig  lärmend,  Spazier- 
gänger, unerwartete  Straßenmusik.  Eine  Zeitlang  am  Meer 
gelebt  zu  haben,  das  vor  meinen  Fenstern  ab  und  zu  wogt, 
wird  mir  für's  Leben  eine  gute  Erinnerung  bleiben.  Mein 
Concert  wächst,  auch  zu  andern  Arbeiten  habe  ich  Lust 
gewonnen. 

Mögest  Du  oder  Gisel  mir  bald  ein  paar  Zeilen  schicken; 
wenn  nur,  wie's  mit  Eurer  Gesundheit  aussieht;   ich  bin 
über  die  letzten  Nachrichten  etwas  beunruhigt. 
Von  Herzen 

Dein 

Joseph  J. 


')  vom  Michel  Angelo. 


a34  An  Th.  Ave-Lallemant 


All  Th.  Ave-Lallemant 

4i,  Fall  Mall.  London.  27'*^"  Septbr.  [1862]. 

Mein  lieber,  guter  Ave. 

Du  bist  immer  der  Gleiche,  Alte;  statt  zu  schmälen, 
daß  ich  nichts  von  mir  hören  lasse,  besorgst  Du 
freundlich  meinen  Brief  an  Brahms  und  schreibst  mir  den 
herzlichen  Gruß.  Das  ist  wirklich  christlich,  wohlthuend. 
Nun,  Du  brauchst  wahrlich  nicht  Angst  zu  haben,  daß 
ich  mich  allzusehr  veranglisire ;  wenn  ich  auch  lieber  hier 
als  in  Hannover  bin,  so  vergesse  ich  deutsches  Gemüth 
und  deutschen  Geist  zu  segnen  keinen  Tag!  Es  hilft  aber 
alles  nichts ;  trotzdem  bleibe  ich  noch  3  Monate  hier,  nach- 
dem ich  vorgestern  von  der  See  hieher  zurückgekehrt  bin, 
wo  ich  tüchtig  gebadet,  (geschwommen),  fußgewandert  und 
Stoff  zum  arbeiten  eingesammelt  habe:  London  ist  jetzt 
ziemlich  von  aller  „Gesellschaft"  verlassen,  aber  es  thut 
mir  gerade  wohl,  endlich  einmal  wieder  in  einer  großen 
Stadt  zu  wohnen,  ohne  die  Furcht  vor  den  Anforderungen 
der  Öffentlichkeit.  Wäre  Johannes  mit  hier,  so  wäre  es 
freilich  noch  viel  schöner.  Der  läßt  nichts  von  sich  hören; 
es  muß  ihm  aber  überall  wohl  gehen,  und  ich  gäbe  was 
darum,  die  großen  Augen  der  Wiener  (und  Wienerinnen 
namentlich)  über  ihn  zu  sehen.  Aber  ich  kann  mich  jetzt 
nicht  wieder  in  neue  Reisen  und  Zerstreuungen  begeben. 
So  thut  es  mir  auch  leid.  Deinen  Vorschlag  mit  den  Con- 
certen  von  Frau  Schumann  nicht  ausführen  zu  können! 
Aber  ich  glaube  wirklich,  daß  die  Hamburger  eben  so  gern 
ohne  mich  in's  Concert  gehen  werden,  und  daß  es  pekuniär 
wenigstens  auf  Eins  herauskömmt.  Ich  geige  Euch  nicht 
eher  was  vor,  bis  ich  ein  neues  Violin-Concert,  gut  oder 
schlecht,  producire.  Die  alten  Sachen  habe  ich  Euch  genug 
gegeigt.  Vor  Neujahr  gehe  ich  nicht  nach  Hannover,  und 
dann  nur,  um  meine  Sachen  zusammen  zu  packen.   Bitte, 


An  Bernh.  »Scholz  235 

sprich  aber  nicht  davon;  es  kommt  jetzt  immer  gleich 
Alles  in  die  Signale  oder  dergleichen,  und  der  König  weiß 
es  noch  nicht.  Wenn  Du  von  Johannes  was  hörst,  so  theile 
es  mit;  ich  fürchte,  er  läßt  nichts  von  sich  direkt  wissen. 
Rose  ist  ein  fixer  Kerl.  Fräulein  X  spielt,  glaube  ich,  gut; 
aber  es  ist  ein  Affchen  gewesen,  als  ich  sie  kannte  (ohne 
sie  zu  hören).  Eine  von  denen,  die  da  glauben,  man  kann 
auch  nebenbei  ein  bischen  „klassische"  Musik,  „klassisch" 
einstudiren,  da's  mit  verlangt  wird,  etwas  Rococo  im  Laden 
zu  haben.  Y  ist  ein  brillanter,  „eleganter"  Spieler;  ich 
meine  die  Eleganz,  die  nicht  zugleich  Seelenfeinheit  ist. 
Mir  gefiel  er  nicht.  Er  macht  aber  überall  Effekt.  — 
Grüße  die  Deinigen  und  bleibe  gut 

Deinem 

Joseph  Joachim. 

An  Beruh.  Scholz 

London  am  28^«"  Septbr.  [1862]. 
Mein  lieber  Bernhardus. 

Ich  kann  Ihnen  und  Ihrer  lieben  Frau  kaum  einen  Be- 
griff geben,  wie  schwer  es  mir  wird,  gerade  Ihnen  bei- 
den mitzutheilen,  was  sich  nun  doch  nicht  länger  ver- 
schweigen läßt:  ich  habe  meine  Stellung  in  Hannover  auf- 
gegeben und  schreibe  mit  derselben  Post  die  Nachricht  an 
Graf  Platen.  Man  darf  sich  eben  zu  nichts  zwingen  lassen, 
was  man  gegen  seine  Natur  fühlt.  Ihr  Alle,  lieben  guten 
Freunde,  würdet  es  Euch  später  nicht  vergeben,  mich  mit 
Rosen  und  labenden  Brombeerstauden  so  eng  und  dicht 
eingeschlossen  zu  haben,  daß  ich  mich  nicht  mehr  heraus- 
winden könnte,  wenn  ich  mich  nach  Freiheit  sehnte !  Und 
so  wäre  es  wirklich  gekommen,  wenn  ich  wieder  könig- 
licher Gunst  und  Gnade  für  ein  Jahr,  und  abermals  ein 
Jahr  nachgegeben  hätte  —  ohne  die  Frische  und  Wärme 
wahren  Dankgefühls,  bloß  aus  augenblicklicher  Weichheit 


236  An  Bernh.  Scholz 

und  Rührung,  wo  mir  doch  meine  eigene  Erfahrung  sagen 
muß,  daß  sie  nicht  Stich  haken  wird.  Der  Kunst-Enthu- 
siasmus des  Königs  ist  eben  lange  nicht  so  tief  gewurzelt 
in  Georg  von  Hannover  wie  der  Republikanismus  in  Georg 
Joseph  Joachim.  Ich  habe  lange  genug  Gunst  und  Gnade 
als  Höfling  ertragen  und  gegen  meine  Anlagen  dadurch 
gesündigt;  und  es  giebt  doch  kein  wahres  Glück,  als  die 
äußern  Lebensumstände  immer  mehr  nach  dem  Leitfaden 
der  Überzeugung  einzurichten.  Es  ist  in  Scherz  und  Ernst 
bis  zur  Unendlichkeit  über  das  Thema  fortzufahren  —  ich 
wilFs  aber  nicht  thun.  Nur  soviel,  daß  ich  recht  gut  weiß, 
man  wird  mich  von  mancher  Seite  einem  —  Hedemann  i) 
vergleichbar  finden!  Es  wird  mir  nicht  gleichgültig  sein, 
ich  muß  es  aber  ertragen.  Vom  Quartett  und  der  Kapelle 
darf  ich  gar  nichts  sagen,  und  von  manchem  lieben  Freund 
alt  und  jung  —  es  wird  mir  zu  wehmüthig  dabei.  —  Ich 
bleibe  wohl  bis  Jahresschluß  hier,  habe  mich  an  der  See 
lecht  an  Seele  und  Körper  gestärkt  und  hoffe  recht  fleißig 
zu  sein.  Im  Januar  werde  ich  meine  Sachen  bei  Euch 
holen  —  und  wenn's  Napoleon,  der  Abscheuliche  und  Gari- 
baldi, der  Lichte,  Brave,  erlauben,  nach  Rom,  oder  doch 
südwärts!  Doch  das  sind  Pläne.  Heinrich,  bei  dem  ich 
einstweilen  wohne,  ist  in  Paris,  kömmt  aber  morgen  und 
wird  von  meinem  Entschluß  hoffentlich  angenehm  über- 
rascht werden.  Leider  habe  ich  vor  3  Wochen  eine  liebe 
Schwester  verloren,  was  mich  im  Gedanken  an  die  Eltern 
namentlich  ergriffen  hat.  Auch  der  treffliche  Klingemann  2) 
ist  hier  plötzlich  gestorben;  für  mich  jetzt  ein  doppelter 
Verlust.    Behaltet  mich  nur  in  der  Ferne  auch  recht  lieb 

und  küsset  die  beiden  Kinder.  ,        ,    ,      ,  . 

Joseph  Joachnn. 

*)  General  und  Hofmarschall  des  Königs,  war  kurz  vorher  wegen  um- 
fangreicher Unterschlagungen  ins  Untersuchungsgefängnis  geführt  wor- 
den, aus  dem  er  zu  entkommen  wußte;  später  wieder  eingebracht,  wurde 
er  zum  Zuchthaus  verurteilt. 

^)  der  Freund  Mendelssohns. 


Von  Beruh.  Scholz  287 

Von  Bernh.  Scholz 

Hannover  6  Oct.   186?.. 
Mein  Heber  Freund! 

Ihr  Brief  hat  Ihre  hiesigen  Freunde  alle  betrübt,  und 
wir  wissen  uns  noch  immer  nicht  darein  zu  finden,  daß 
wir  Sie  hier  ganz  und  für  immer  entbehren  sollen. 

Wir  wollen  über  die  Nothwendigkeit  Ihres  Schrittes 
nicht  rechten:  das  haben  Sie  schließlich  mit  sich  selbst 
auszumachen. 

Aber  darauf  muß  ich  Sie  aufmerksam  machen,  daß  Ihr 
Verfahren  dem  König  gegenüber  nicht  correct  ist,  und  daß 
es  mir  höchst  peinlich  sein  würde,  wenn  Ihr  Weggang 
nicht  in  der  besten  Form  erfolgte.  Sie  können  nicht  sagen, 
der  König  habe  Ihnen  den  Urlaub  verweigert;  im  Gegen- 
theil,  er  hat  Ihnen  denselben  bewilligt,  und  Sie  haben  da- 
bei versprochen,  seinem  Wunsche  bezgl.  kurzen  Aufent- 
halts dahier  im  Winter  zu  willfahren.  Sagen  Sie  nicht, 
Sie  hätten  nicht  Ja  gesagt,  Sie  haben  wenigstens  nicht  Nein 
gesagt  und  haben  den  König  (wie  auch  uns)  im  Glauben 
gelassen,  Sie  hätten  des  Königs  Propositionen  angenommen 
und  würden,  wenn  auch  nur  auf  wenige  Wochen,  wieder- 
kommen. Sie  haben  dasselbe  später  gegen  Prinz  Georg  ge- 
äußert, und  der  König  durfte  nach  Allem,  was  er  Ihnen 
bewilligt  hatte,  erwarten,  daß  Sie  kommen  würden. 

Nun  auf  einmal  kommt  in  denselben  Tagen,  in  denen 
man  Ihrer  Rückkehr  entgegensah,  ein  Brief  an  Platen, 
worin  Sie  sich  Ihrer  Verpflichtungen  lossagen,  nicht  ein- 
mal die  Form  6 monatlicher  Contractkündigung  wahren, 
sondern  vom  ersten  Juni  an  frei  zu  sein  wünschen. 

Mir  scheint  das  durchaus  nicht  der  rechte  Weg  zu  sein : 
es  sieht  dies  einem  Bruche  von  Versprechungen  gegen  den 
König  nicht  unähnlich  und  wird  allerorts  so  angesehen 
werden.  —  Sie  hätten   im  Frühjahr  entweder  des  Königs 


238  Von  Bernh.  Scholz 

Vorschläge  nett  ablehnen  oder  jetzt  wiederkommen  müssen. 
Ein  Anderes  gibt  es  nicht. 

Oder  hat  sich  neuerdings  die  Ansicht  in  Ihnen  befestigt, 
daß  Sie  keinfalls  bleiben  wollen,  —  gut,  so  kommen  Sie 
jetzt,  —  erklären  Sie  es  muthig  persönlich  dem  König  selbst 
und  kündigen  Sie  in  aller  Form  Rechtens  Ihren  Contract. 

Das  sind  Sie  dem  König  und  sich  selbst  schuldig! 

Derselben  Ansicht  sind  alle  ihre  hiesigen  Freunde.  Sollen 
wir  Sie  verlieren,  so  wünschten  wir  wenigstens,  daß  Sie 
keinerlei  gerechter  Vorwurf  treffen  möchte. 

Was  die  Platen'schen  Verhältnisse  betrifft,  die  größten- 
theils  Ihr  Weggehn  verschulden,  so  werden  dieselben  nach 
und  nach  so  o verfaul,  daß  ich  demnächst  dem  Könige  dar- 
über eine  Lampe  werde  anzünden  müssen.  Wären  Sie 
da,  —  jetzt  ließe  sich  Vieles  wirken;  die  Saat  wird  mälig 
reif.  Ich  glaube,  wir  könnten  bessere  Zustände  anbahnen ; 
ich  werde  Sr.  Maj.  übrigens  Erläuterungen  über  das  Ver- 
hältniß  zwischen  Ihnen  und  Platen  geben  und  damit  Ihre 
Entschlüsse  hinreichend  zu  motiviren  wissen;  ich  werde 
dem  König  sagen,  daß  es  bei  andauernder  derartiger  Lei- 
tung der  musical.  und  Theatergeschäfte  bald  kein  recht- 
licher Künstler  mehr  wird  hier  aushalten  können. 

Die  schmerzlichen  Verluste,  die  Sie  erlitten  haben,  be- 
dauere ich  von  Herzen ;  doch  so  sind  eben  des  Lebens  Wege. 

Wir  wollen  einander  treu  die  Alten  bleiben,  komme  was 
da  wolle;  manchen  treuen  P'reund  hat  Ihnen  doch  Ihr 
Aufenthalt  in  Hannover  verschafft,  und  das  ist  denn  doch 
auch  was. 

Meine  gute  liebe  Frau  grüßt  Sie  mit  mir,  Sie  und  Ihren 
Bruder  Heinrich.  Entscheiden  Sie  sich  rasch!  Gf.  Platen 
ist  verreist,  und  offiziell  erfährt  der  König  Ihren  Brief  nicht 
vor  Donnerstag  oder  Freitag. 

In  alter  Treue 

Ihr 

Scholz. 


An  Beruh.  Scholz  289 


All  Bernh.  Scholz 

[London  etwa  8.  Oktober  i86i>..] 

Mein  Heber  Scholz. 

Wenn  irgend  was  geeignet  ist,  mich  besonders  tief 
empfinden  zu  lassen,  wie  viel  ich  mit  meiner  Han- 
noverschen Stellung  aufgebe,  so  ist's  Ihre  treue  Art  und 
Weise  darüber  zu  wachen,  daß  ich,  ohne  in  Betreff  meines 
Charakters  in  ein  falsches  Licht  zu  gerathen,  von  Han- 
nover loskomme.  Ich  danke  für  Ihren  klaren,  lieben  Brief, 
dem  zu  Heb  ich  an  Platen  einige  Zeilen  schreibe,  die  zwar 
nichts  Neues  in  Bezug  auf  meinen  Entschluß  enthalten, 
aber  es  selbst  i  h  m  unmöglich  machen  sollen ,  meine 
frühere  Mittheilung  so  auszulegen,  als  wollte  ich  kon- 
traktliche Pflichten  unerfüllt  lassen,  wenn  dem  König 
ihre  Erfüllung  wünschenswerth  scheinen  sollte.  Vor  allen 
Dingen  aber  muß  [ich]  auch  Sie  über  einen  Irrthum 
aufklären:  mein  Kontrakt  fordert  von  beiden  Seiten  bloß 
eine  3 monatliche  Kündigung,  keine  6 monatliche.  Ich 
habe  nur  im  Interesse  der  Intendanz -Kasse  (und  weil  es 
mir  ebenfalls  peinlich  wäre,  Geld  für  nicht  zu  leistende 
Dienste  einzustecken)  an  Grafen  Platen  geschrieben,  daß 
ich  zur  „Vereinfachung  der  Verhältnisse"  vorschlüge 
(nicht  forderte),  er  möchte  statt  3 monatlicher  Kündi- 
gung annehmen,  daß  unser  Kontrakt  im  Juni  zu  Ende  ge- 
wesen sei.  Ich  nahm  freilich  auch  als  selbstverständlich 
an,  daß  der  König  in  seiner  heftigen,  absoluten  Weise  keine 
Note  mehr  von  mir  würde  hören  wollen,  wenn  er  wüßte, 
daß  es  mein  fester  Wille  sei  zu  gehen.  Meine  heutigen  er- 
läuternden Zusätze  an  Graf  Platen  sollen  diesem  mittheilen, 
daß  ich  natürlich  bereit  bin,  noch  6  bis  8  Concerte  in  den 
Monaten  von  Januar  ab  zu  leiten,  falls  der  König  dies 
noch  vor  meinem  Scheiden  aus  seinen  Diensten 
wünschte,  (was  mir  aber  wirklich  ganz  unwahrschein- 


24o  An  Bernh.  Scholz 

lieh  vorkömmt).  Wollen  Sie  ihm  auch  mündlich  in  mei- 
nem Interesse  den  Unterschied  zwischen  einem  „Vor- 
schlag" zur  „Vereinfachung"  gegenseitiger  Beziehungen 
und  einem  Kontraktbruch  auseinandersetzen,  so  dürfte  dies 
nicht  überflüssig  sein.  Vielleicht  hilft  es  seinem  Verständ- 
niß,  wenn  Sie  ihm  sagen,  daß  ich  kein  gutes  Geschäft  bei 
meinem  Vorschlag  machte.  Daß  Ihnen  der  Verkehr  mit 
unserm  Chef  nach  und  nach  unerträglich  wird,  begreife 
ich  vollkommen.  Wir  haben  oft  genug  über  diesen  Ka- 
valier unsern  Odem  ergehen  lassen;  aber  selbst,  wenn  es 
Ihnen  gelänge,  ihm  eine  zu  offenbare  Ungerechtigkeit  vor 
dem  König  zu  beweisen,  so  wäre  es  bloß  vom  Zufall  ab- 
hängig, ob  ein  besserer  folgte.  So  lange  Könige  die  Über- 
wachung der  Künste  als  eine  Hofcharge  (zur  Versorgung 
eines  sonst  unbrauchbaren  Adligen)  betrachten,  kann's 
nicht  anders  sein.  Der  König  und  die  Königin  kennen  ein- 
gestandener Maßen  den  Charakter  Platens;  auch  seine  Ma- 
nieren sind  ihnen  unausstehlich;  ja  sie  meinen,  wenn  er 
ihnen  eine  Freude  vergällen  könnte,  thäte  er's  —  und  doch 
seit  10  Jahren  zeichnen  sie  ihn  aus,  haben  ihn  um  sich. 
Wird  er  ihnen  oktroyirt?  Und  wodurch?  Nur  durch  Um- 
gehen der  vom  König  eingesetzten  Autorität,  durch  „In- 
triguen"  läßt  sich  was  gegen  Platen  durchsetzen,  wenn's 
gelingt  —  Nun,  ich  will  nicht  mehr  über  diese  eine  Seite 
unter  manchen  andern  aus  dem  Kapitel  der  Hannover- 
schen Hofgunst  reden ;  nur  bedenken  Sie's  auch  nochmals, 
bevor  Sie's  der  Mühe  werth  eiachten,  Ihre  edle  Hand  in 
einen  Kampf  gegen  Platen  zu  mischen.  Gott  sei  Dank,  Sie 
wissen  wenigstens,  warum  Sie  eine  feste  Stellung  behaupten 
wollen,  in  der  Sie  nach  Möglichkeit  den  Einfluß  Ihrer 
reinen  Natur  geltend  machen:  Louise  und  Henni  und 
Richard,  diese  zweite  Musik,  und  doch  eins  mit  allen  Ihren 
Wünschen  und  Hoffnungen  in  Ihrem  Gesang!  Schätzen 
Sie  Sich  glücklich,  mein  Freund;  aber  seien  Sie  eben  darum 
nicht  hart  gegen  Jemand,  der  mit  seinem  eignen  Innern  in 


Von  Clara  Schumann  24 ^ 

Harmonie  leben  will   und  keiner  weltlichen  Macht    „die- 
nen" mag,  wenn  er's  vermeiden  darf.  — 

Ich  bin  Verpflichtungen  eingegangen,  an  jedem  Montag 
(gegen  eine  Summe  von  20  Pfund)  Quartette  und  andere 
Kammer-Musik  zu  spielen,  bis  gegen  Weihnachten.  Später 
hoffe  ich  über  Hannover  nach  Italien  zu  gehen ;  entweder 
um  noch  die  Konzerte  zum  Abschied  zu  dirigiren  oder 
meine  Angelegenheiten  bloß  zu  ordnen.  Ich  wohne  4  Trep- 
pen hoch,  einsam  und  still,  obwohl  in  einer  der  beweg- 
testen Straßen:  ^o,  Pall  Mall.  Da  mir  das  Quartettspielen 
mit  Piatti  keine  großen  Vorbereitungen  kostet  und  eine 
sympathische  Art,  das  Brot  zu  verdienen,  ist,  so  hoffe  ich 
auf  angenehme  Wintermonate,  was  äußere  Verhältnisse 
anlangt.  Apropos!  Wenn  Fräulein  Weis  den  Plan  befolgt 
und  tüchtig  englisch  singen  lernt,  so  kann  sie  sich  hier 
gewiß  für  Oratorien-Gesang  eine  angenehme  Stellung  grün- 
den. Sie  müßte  aber  natürlich  Aussprache,  Manieren  und 
Verzierungen  des  Gesangs  an  Ort  und  Stelle  selbst  kennen 
lernen.  Bei  ihrem  Talent,  glaube  ich,  müßte  es  ihr  leicht 
werden,  das  Nöthige  bald  zu  bemeistern.  Empfehlen  Sie 
mich  ihr  und  allen  Freunden :  Brinkmann's,  Nicola,  Unruhs, 
Eyertts  etc.  Ihre  Frau  brauche  ich  nicht  erst  apart  zu  grüßen. 

Ihr 

J.  J. 

Lassen  Sie  mich  doch  wissen,  wie's  Kaulbach's  geht ;  ob 
seine  Familie  einen  Zuwachs  erhalten  hat.  Er  schreibt  ge- 
wiß nicht  mehr. 

Von  Clara  Schuiiiann 

Gebweiler  den  8.  October  62. 
Lieber  Joachim. 

Da  ich  nicht  möchte,  daß  Sie,  was  ich  Ihnen  mittheilen 
will,  zuerst  aus  den  Signalen,  die  ja  Alles  gleich  auf- 
schnappen, erführen,   so  wissen  Sie  denn  hierdurch,  daß 

16 


242  An  Clara  Schumann 

ich  soeben  von  Baden  zurückgekehrt,  woselbst  ich  in  der 
Lichtenthaler  Allee  ein  kleines  bescheidenes,  aber  sehr 
nettes  Häuschen  gekauft  habe  und  mit  ganzer  Familie  im 
April  63  dahin  ziehe,  um  den  Sommer  größtentheils  mit 
den  Kindern  Allen  zusammen  zu  sein,  im  Winter  wie  bis- 
her zu  reisen  oder  einmal  in  Wien,  einmal  in  Paris  zuzu- 
bringen. Schon  seit  3  Monaten  ging  ich  mit  dei  Idee  um, 
jedoch  mußte  ich  eben  Alles  hinlänglich  bedenken  und 
wollte  nicht  davon  sprechen,  ehe  ich  die  Sache  wirklich 
beschlossen,  und  so  hören  Sie  und  Frl.  Leser  es  heute  zu- 
erst —  an  Job.  schreibe  ich  es  nächster  Tage.  Ich  habe 
den  Kauf  vorgestern  in  Baden  selbst  abgeschlossen  und 
hoffe,  es  bringt  mir  dieser  Entschluß  der  Vortheile  und 
Annehmlichkeiten  Viele.  Ich  kann  dort  mit  Stunden  den 
Sommer  über  recht  gut  verdienen  und  genieße  dabei  welch 
wundervolle  Natur!  Ich  bin  so  erregt,  daß  ich  kaum 
schreiben  kann,  es  zieht  so  Vieles  mir  durch  die  Seele! 
eine  neue  Heimath,  was  wird  sie  mir  bringen?  bleiben  Sie 
mir  auch  in  dieser  ein  treuer  Freund,  liebster  Joachim !  — 
Klingemanns  Tod  hat  mich  sehr  betrübt,  ich  dachte  auch 
gleich  an  Sie,  als  ich  es  erfuhr  —  wie  schmerzlich  wird 
er  Sie  berühren!  Die  arme  Frau,  wie  empfinde  ich  mit 
Ihr  den  Schlag!  .  .  . 

An  Clara  Schumann 

[London]  Am   i4'«n  Okt'^^'' [i86a]. 
Liebe  Frau  Schumann. 

Scholz  hat  mir  gestern  Ihren  i  sten  Brief  geschickt;  heute 
kam  der  zweite,  vom  8.  Oktober.  Sie  können  nicht 
denken,  wie  sehr  mich  beide  erfreut  haben  —  ich  hatte 
mir  wirklich  ganz  fest  eingebildet  und  mit  der  Phantasie 
in  den  grellsten  Farben  ausgemalt,  daß  Sie  und  Johannes, 
von  dem  ich  auch  nur  indirekt  durch  Ave  aus  Hamburg 


An  Clara  Schumann  243 

gehört,  mich  geradezu  aufgegeben  hätten !  Um  Ihnen  dies 
begreifhch  zu  machen,  muß  ich  Ihnen  erzählen,  daß  ich 
von  Hastings  aus  an  Johannes  geschrieben  hatte,  er  möchte 
mir  sobald  als  möglich  (spätestens  nach  8  Tagen) 
antworten,  ob  er  den  Wunsch  habe,  seine  Symphonie  zu- 
erst in  Hannover  zu  probiren  und  aufzuführen ;  es  läge  mir 
sehr  viel  daran,  dies  zu  wissen,  bevor  ich  nach  Hannover 
käme.  Meine  Absicht  war,  im  Falle  er  „Ja"  sagte,  dorthin 
zu  gehen  und  erst  nach  den  Concerten  dort  meine 
Stellung  definitiv  zu  lösen.  Aber  es  kam  gar  keine  Ant- 
wort. Was  war  natürlicher,  als  zu  denken,  er  wäre  geradezu 
gegen  mich  aufgebracht  und  wollte  von  meiner  freund- 
schaftlichen Hülfe  zum  Hören  seines  Werkes  keinen  Ge- 
brauch machen.  Ich  wurde  darin  dadurch  bestätigt,  daß 
ich  auch  von  Ihnen  nichts  hörte.  So  beschloß  ich  denn, 
da  der  Haupthebel  für  mein  nochmaliges  Dirigiren  der 
Hannover'schen  Concerte  fehlte,  von  hier  aus  meinen  Kon- 
trakt zu  lösen,  um  den  unvermeidlichen,  peinlichen  münd- 
lichen Auseinandersetzungen  zu  entgehen,  falls  ich  es  am 
Ort  selbst  thäte.  Die  Unbehaglichkeit  (trotz  aller  Annehm- 
lichkeiten der  Stellung),  in  einer  Stadt  zu  leben,  in  der  man 
nicht  mit  ganzem  Herzen  heimisch  sein  kann,  und  meine 
Antipathie  gegen  Höfe  überhaupt,  hatte  mir  schon 
zu  lange  alle  Stimmung  geraubt,  alles  Gefühl  der  Har- 
monie zerstört!  Es  war  ein  harter  Schritt,  manches  zarte, 
edel  gemeinte  Zeichen  der  Gunst  von  Seiten  des  Königs- 
paars so  zu  zerstören  —  aber  es  mußte  geschehen.  Ich 
hoffe  meine  Freiheit  zu  gutem  Zweck  zu  nutzen;  sonst 
müßte  ich  mit  ewigem  Vorwurf  an  die  Kapelle  zurück- 
denken, die  ich  aufgegeben.  Bis  zum  Ende  des  Jahres 
bleibe  ich  hier;  London  ist  jetzt  viel  angenehmer  für  mich 
als  in  der  Saison.  Ich  werde  jeden  Montag  öffentlich  Quar- 
tett spielen,  sonst  aber  in  meinem  4^^"  Stock  nur  meiner 
Musik  leben.  Wenn  ich  noch  trotz  meiner  Kündigung  für 
die  8  Concerte  nach  Hannover  citirt  werde,   so  muß  ich 

i6* 


244  ^^  Beruh.  Scholz 

natürhch  im  Januar  zum  letzten  Mal  gehorchen.  Ich  glaube 
es  aber  kaum;  der  König  wird  zu  aufgebracht  sein.  — 
Scholz  schreibt  mir  heute,  daß  ein  Packet  von  Brahms  aus 
Wien  für  mich  dasei;  ich  hab'  natürlich  gebeten,  es  gleich 
hieher  zu  besorgen,  Hurrah !  vielleicht  das  Quintett !  ^) 
Von  der  Sinfonie  kenne  ich  auch  noch  nichts;  am  Ende 
ist's  die. 

Ihr  Entschluß,  bei  Baden  Hütten  zu  bauen,  überrascht 
mich  sehr.  Mir  ist's  so  herzlich  lieb,  daß  Sie  endlich  Ihre 
Theuern  alle  um  Sich  haben  sollen,  daß  dieser  Gedanke 
bei  mir  vorwiegt.  Sonst  kenne  ich  gerade  die  Gegend  zu 
wenig,  um  mich  für  mich  darüber  zu  freuen,  —  Daß  ich 
immer  in  England  bleibe,  müssen  Sie  nicht  glauben.  Ich 
kenne  die  Schattenseiten  des  Künstler-Lebens  da  zru  genau ; 
wenn  es  mir  auch  sonst  in  vielen  Dingen  zusagt.  Nehmen 
Sie  mit  diesen  unruhigen  Zeilen  fürlieb;  ich  wollte  Sie 
nicht  auf  Nachricht  warten  lassen.  Mit  loo  Grüßen  an 
die  Ihrigen 

Ihr 

Joseph  J. 

An  Beruh.  Scholz 

[London]  Am  i/^'«^"  Okt"»^-  [1862]. 

Lieber  Scholz 

Es  wäre  mir  lieb,  das  Packet  von  Brahms  sobald 
als  möglich  zu  erhalten.  Wollen  Sie  so  gut  sein,  die 
tJberschickung  zu  bewerkstelligen?  Es  wird  ja  nicht  gar 
zu  viel  kosten;  wenigstens  wüßte  ich  nichts,  was  mir  zu 
viel  wäre  (Schulden  etwa  ausgenommen),  um  von  denen, 
die  ich  liebe,  zu  hören.  Brahms  hat  mir  seit  Monaten  nicht 
geschrieben.    Hoffentlich  ist's  ein  neues  Streich-Quintett, 

^)  Vgl.  Brahmsens  aufgeregte  Mahnbriefe  wegen  des  Quintetts,  dem 
späteren  op.  34,  an  Joachim.    Rri<>f\vechsi-1  1. 


An  Beruli.  Scholz  245 


von  dem  mir  Frau  Schumann  erzähk,  deren  beide  Briefe 
ich  durch  Sie  erhaken  habe.  Wegen  meiner  Hannoveri- 
schen Wohnung  und  Rahe  kann  ich  nichts  beschheßen, 
bevor  ich  von  unserem  General-Intendanten  gehört  habe, 
der  hoffentlich  nicht  allzu  unhöflich  lange  seine  Antwort 
aufschiebt.  Sie  glauben  nicht,  wie  sehr  mich  die  „Lösung" 
meiner  Stellung  innerlich  angegriffen  hat.  Manche  fieber- 
hafte, schlaflose  Nachtstunde  kostete  sie!  Der  Brief  an  den 
König  wurde  mir  entsetzlich  schwer.  Meinem  Entschluß 
gegenüber  mußte  mir  Alles  Phrase  erscheinen.  Die  eigent- 
liche Wahrheit  durfte  ich  nicht  sagen,  ohne  auf's  tiefste 
zu  verwunden.  Auch  ohne  ein  Kriecher  zu  sein,  mag  man 
selbst  einer  Privatperson  nicht  mittheilen,  daß  man  zwar 
dankbar  für  gütige  Absichten,  aber  nicht  beglückt  durch 
dieselben  sei. 

Das  Goncert  gestern:  Dmoll  Quartett  v.  Haydn,  Octett 
V.  Mendelssohn,  Gdur  Sonate  Op.  3o  v.  L.  v.  B,  war  so 
erfolgreich  vor  den  i6oo  Hörern,  daß  es  wohl  nicht 
zweifelhaft  ist,  daß  alle  Woche  bis  gegen  Weihnachten 
eins  sein  werde.    Inliegend  das  Programm   für's  nächste. 

Grüßen  Sie  Brinkmann,  und  danken  Sie  für  seinen  Brief. 
Er  hat  vollkommen  recht,  was  den  Telegraphen  betrifft; 
ich  hatte  nicht  bedacht,  daß  die  Leute  beeidigt  seien.  Aus- 
genommen Staatssachen,  meinte  ich,  nehmen  sie's  nicht 
ernst. 

Herzlichstes  den  Ihrigen 

J.  J. 

P.  S.  Ich  hoffe,  Sie  erbarmen  Sich  Rabens  manchmal 
durch  eine  Beschäftigung.  Bitte,  sagen  Sie  ihm,  ich  würde 
nächstens  schreiben,  (leider,  daß  er  sich  wieder  frei  fühlen 
könne.) 


246  An  Frau  M.  Benecke 


An  Frau  M.  Benecke 

[London,  Mitte  Oktober  1862.] 

Verehrte  Frau  Benecke. 

yon  der  indiskreten  Besprechung  der  Mscrpte  im  Athe- 
naeum^)  habe  ich  durch  eine  sehr  treffende,  scharfe 
Kennzeichnung  eines  solchen  Verfahrens  in  einem  Aufsatz 
der  Musical  World  erfahren.  Ich  will  machen,  die  Nummer 
der  M'  W**,  in  welcher  er  steht,  für  Sie  zu  bekommen.  Es 
ist  darin  alles  gesagt,  was  auch  ich  darüber  empfinde.  Wenn 
Sie  Chorley  oder  irgend  einem  seiner  Freunde  die  Concerte 
(„one  if  not  two!")  nicht  gezeigt  haben,  so  kann  er  sie 
natürlich  nur  auf  seiner  letzten  Reise  in  Deutschland  ge- 
sehen haben,  wo  gewiß  Abschriften  der  W^erke  existiren. 
Sie  sind  mit  vollem  Recht  aufgebracht  über  die  Meuchelei 
früher  Geisteskinder;  aber,  da  Sie  so  vertrauend  die  Sache 
an  mich  erwähnen,  verzeihen  Sie  wohl,  wenn  ich  die  Bitte 
wage,  Sie  möchten  sich  nicht  in  einen  Streit  gegen  die 
Impietät  einlassen.  Es  ist  unter  der  W^ürde  einer  Tochter 
Mendelssohns,  wie's  mir  scheint,  die  Mücke  zu  jagen,  die 
um  das  glorreiche  Denkmal  des  großen  Mannes  mit  eitlem, 
nichtigen  Gesumm  herumfliegt.  Sie  kann  das  gewaltige 
Erz  nicht  stechen,  diese  Mücke,  sich  höchstens  den  Kopf 
einrennen,  wenn  sie's  zu  toll  macht !  Was  ist  über  Goethe, 
über  jeden  Großen  Gehässiges  gesagt!  They  can  afford  to 
be  silent.  Es  ist  ein  unendliches  Thema,  und  ich  hoffe, 
wir  sprechen  bald  einmal  darüber  mehr.  Ich  werde  spä- 
testens Sonntag  mich  in  Denmark  Hill  einfinden. 
Stets  ergeben 

der  Ihrige 

Joseph  J. 

^)  In  der  Nr.  vom  1 1.  Oktober  war  auf  ein  oder  zwei  unveröffentlichte 
Klavierkonzerte  aus  Mendelssohns  Jugend  in  einer  abfälligen  Kritik  hinge- 
wiesen. Chorley  war  Hauptmitarbeiter  für  die  Musikabteilung  am  Athenaeura. 


An  Beinh.  Scholz  247 


An  Beruh .  Scholz 

[London  etwa  3,3.  Oktober  1862.] 

Lieber  Freund 

Da  ich  ^veder  das  Mscrpt.  von  Brahms  bis  jetzt  er- 
halten habe,  um  dessen  direkte  Übersendung  ich  Sie 
dringend  bat,  noch  über  das  Schicksal  eines  Briefes  an  den 
König  gehört  habe,  der  durch  Sie  an  „  Allerhöchstdenselben" 
von  mir  adressirt  ward,  (und  den  ich  selbst  auf  die  Post 
gab),  so  bin  ich  etwas  unruhig  in  Bezug  auf  diese  beiden 
mir  wichtigen  Sachen.  Haben  Sie  meine  Mittheilungen 
nicht  erreicht?  Schreiben  Sie  umgehend,  bitte!,  ein  Wort 
darüber.  Sie  erwähnen  ein  Briefpacket  an  mich.  Auch 
davon  ist  mir  nichts  zugegangen.  Wohl  aber  ein  Brief  von 
Graf  Platen.  Ich  muß  nun  natürlich  nach  Hannover  und 
mein  Welfensclaventhum  bis  zur  Neige  trinken.  Kaum 
habe  ich  mich  hier  für  den  Winter  etwas  ein  geheimset 
und  mit  Wonne  daran  gedacht,  im  Frühjahr  nach  Italien 
zu  reisen.  Nun,  dat  will  ik  dem  König  gedenken,  wie  der 
olle  Amtshauptmann  Weber  sagt!  Meine  Dankbarkeit  ist 
gründlich  kurirt.  Übrigens  ist's  mir  unmöglich,  vor  der 
ersten  Decemberwoche  hier  abzureisen,  und  auch  das  nicht 
ohne  pekuniären  Nachtheil,  der  natürlich  sekondair  ist. 
Ich  hatte  zu  gewiß  darauf  gezählt,  daß  der  König  stolz 
genug  sein  würde,  um  zu  sagen  „der  Kerl  kann  zum  Teufel 
gehen",  oder  großmüthig  genug,  um  mir  nicht  etwas  zu 
verderben,  woran  mein  ganzes  Herz  hieng,  wie  er  sehen 
mußte.  Mit  geistigem  Aug,  meine  ich,  gäb's  dergleichen.  — 
Durchbrennen  werd'  ich  aber  nicht.  Wie  geht's  Kaulbachs 
Frau  ? 

An  Ihre  liebe  Frau  wie  immer  den  wärmsten  Gruß 

von  Ihrem 

Joseph  J. 


a48  An  Frau  M.  Benecke 

Von  Bernli.  Scholz 

[Hannover,  23.  Okt.   1862.] 
Lieber 

Sie  werden  wohl  Platens,  richtiger  des  Königs  Brief  er- 
halten habend).  Platen  hatte,  um  Ihnen  des  Königs 
Antwort  zu  motiviren,  beigefügt,  da  Sie  nicht  gekündigt 
hätten,  bestände  für  Sie  allerdings  die  Verpflichtung,  sich 
wieder  einzufinden.  Rex  hat  diesen  Passus  gestrichen,  „um 
Sie  nicht  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  Sie  kündigen 
können",  er  hofft,  u.  hofft! 

Frdl.  Gruß 

Scholz. 

An  Frau  M.  Benecke 

[London]  Donnerstag  [23.  Oktob.  1862]. 

Verehrte  Frau  Benecke 

Die  Sinfonie,  die  ich  unter  dem  Namen  Reformations- 
Sinf:  von  Ihrer  seligen  Mutter  gezeigt  bekam,  war 
nicht  im  Original-Msci"  Ich  erinnere  mich  des  großen 
Buchs  in  einem  grünen  Einband,  mit  sehr  großen  Noten- 
köpfen  auf  ziemlich  steifem  Papier,  als  ob  es  noch  eben 
vor  mir  läge.  Die  Handschrift  war  wesentlich  von  der 
Mendelssohn'schen  verschieden,  und  ich  möchte  sie  einem 
gewissenhaften  Kopisten  zuschreiben.  Genau  entsinne  ich 
mich,  daß  ich  die  Sinfonie  im  Studirzimmerchen  Ihres 
seligen  Vaters  in  der  Königs-Straße  durchgelesen  habe;  ob 
es  aber  im  December  1847  oder  Anfangs  48  ^var,  weiß 
ich  nicht  zu  sagen.  Das  Original-Manuscript  habe  ich 
nicht  gegen  Ihren  Gemahl  erwähnt :  es  ist  mir  jetzt  dunkel, 
als  ob  mir  Rietz  in  Dresden  einmal  davon  gesprochen  hätte : 

^)  leider  verloren. 


An  Clara  Schumann  249 

aber  schwören  könnte  ich  nur  auf  meine  Erinnerungen 
von  Leipzig  her,  die  durch  den  Ort  und  die  Güte  Ihrer 
Mutter  in  mir  unverwischt  durch  spätere  Erlebnisse  ge- 
blieben sind. 

Ich  hoffe,  Sie  und  Herrn  Benecke  heute  zu  sehen  und  bin 

stets  ergeben 

d.  I. 

Joseph  J. 

An  Clara  Schumann 

[London]  28'«"  Oktober  [1862]. 

Liebe  Frau  Schumann. 

Wie  bedauere  ich  von  Herzen,  heute  nicht  mit  Ihnen, 
Stockhausen  und  den  anderen  Freunden  genießen 
zu  können,  was  uns  bis  in's  tiefste  Herz  erwärmen  würde  i). 
Ich  brauche  Ihnen  nicht  zu  sagen,  wie  ich  mich  sehne,  den 
Faust  zu  hören.  Aber  leider  soll's  mir  auch  in  Leipzig  am 
4'*^"  December  nicht  zu  Theil  werden,  dabei  zu  sein!  Ich 
kann  erst  am  4"^"  Decbr.  von  hier  abreisen  und  gehe  dann 
direkt  nach  Hannover,  wo  ich  dennoch  wieder  die  Con- 
certe  zu  dirigiren  habe,  da  ich  nicht  konti'aktbrüchig 
werden  will  und  man  dort  darauf  besteht.  Wie  fatal  es 
mir  ist,  wieder  an  einen  Ort  zu  müssen,  der  mir  nun  nie 
sympathisch  werden  wird  (so  lieb  ich  einzelne  Menschen 
dort  habe),  kann  ich  nicht  genug  sagen.  Fest  hatte  ich 
darauf  gerechnet,  daß  man  entweder  mir  die  2  gewünschten 
ürlaubsjahre  bewilligen,  oder  auch  jetzt  keine  Dienste 
mehr  verlangen  würde,  da  man  nachgerade  doch  merken 
muß,  ich  wolle  frei  sein.  Der  König  denkt  aber,  bin  ich 
erst  wieder  in  Hannover,  so  würde  ich  mit  Gnade  zu  fangen 
sein  —  und  diese  lange  Defensive  vor  mir  zu  haben  und 
den  langweiligen  Hof  wieder  ein  halbes  Jahr  zu  ertragen, 

^)  Aufführung  des  Faust  in  Basel. 


aSo  Von  Frau  Scholz 


der  mir  schon  in  Friedenszeiten  Kummer  genug  verursachte, 
ist  zum  Verzweifeln!  Werden  Sie  denn  Mitleid  mit  dem 
armen  Gefangenen  haben  und  während  der  Goncerte 
kommen?  .  .  .  Mit  Johannes'  Sinfonie  werde  ich  Sie  nicht 
bewirthen  können;  wohl  aber  mit  dem  Quintett,  das  ich 
tagtäglich  aus  Hannover  zu  empfangen  hoffe,  um  es  vor- 
läufig zu  sehen.  Hier  gefällt  es  mir  jetzt  viel  besser  als 
während  der  Saison;  ich  spiele  jeden  Montag  Quartett  und 
ein  Bach'sches  Solo-Stück,  sonst  aber  nicht  öffentlich.  Wir 
probiren  gewissenhaft,  und  mit  Piatti  zu  musiciren  ist 
wirklich  eine  Freude.  Molique  sehe  ich  öfter  und  habe 
den  würdigen,  alten  ehrlichen  Schwaben  sehr  lieb  ge- 
wonnen. Frau  Benzon  spricht  immer  von  Ihnen  und  sehnt 
sich,  Sie  wieder  zu  sehen  und  zu  hören.  Bei  Bennett's  ist's 
seit  i4  Tagen  doppelt  still  —  die  liebe  Frau  hat  seitdem 
ausgelitten.  Ich  folgte  mit  zu  der  Stelle,  wo  ihr  Sarg,  nicht 
fern  von  Klingemann's,  in  die  Erde  gesenkt  wurde.  Soll 
ich  Bennett  von  Ihnen  ein  Wort  der  Theilnahme  sagen?  — 
Am  I**"  werde  ich  den  Faust  durchspielen:  Ewer^)  hat  ihn. 
Denken  Sie  an  mich  und  schreiben  Sie  über  die  Auf- 
führung. Dem  Helden  ^)  und  den  guten  Kollegen,  die  zum 
Kunstwerk  wallfahrten  konnten,  was  mir  nicht  gegönnt 
sein  sollte,  herzlichen  Gruß! 

Ihr  und  der  Ihrigen 

treuergebner 

Joseph  J. 

Von  Frau  Scholz 

Hannover  28.  Oktober  62. 

Da  sitz'  ich  vor  der  .Schreibmappe  u.  wähle  zwischen 
einem   ganzen   Dutzend   höchst   dringender   Briefe, 
suche  beim  dringendsten  anzufangen,  um  —  mich  schließ- 

^)  Londoner  Musikalienhändler, 
^)  Stockhausen. 


Von  Frau  Scholz  25  i 

lieh  an  Den  zu  wenden,  der  mich  gar  nicht  erwartet  u. 
so  gut  entbehren  kann!  Aber  alle  meine  Gedanken  sind 
schon  Monate  lang  bei  Ihnen,  lieber  Joachim,  nun  wollen 
sie  auch  endlich  auf  Papier  via  Ostende  transportirt  sein, 
u.  so  müssen  sich  heute  Abend  alle  Partheien  gedulden: 
die  Anderen  warten,  Sie  mich  gnädig  anhören.  Denn  daß 
Sie  jetzt  im  Allgemeinen  sehr  ungnädig  sind,  u.  was  ich 
dabei  riskire,  weiß  ich  sehr  wohl;  u,  damit  Sie  gleich  voll- 
ständig orientirt  sind :  meine  einzige  Empfindung  während 
der  ganzen  Geschichte  „Joachim  contra  Georsen"  war 
immer  nur  die  ungetrübteste,  große  Freude,  daß  Sie  uns 
wiederkehren  müssen.  Ist's  auch  nur  eine  Galgenfrist  von 
6  Monaten  —  ist  auch  voraussichtlich  Ihre  Stimmung  der- 
art, daß  Sie  den  Freunden  weniger  zugänglich  sein  wer- 
den, ist  für  Sie  selbst  der  Aufenthalt  hier  auch  schreck- 
lich —  ich  bin  so  scheußlich  egoistisch,  dcd3  ich  nur  juble 
über  das  „gefundne"  halbe  Jahr,  ein  halbes  Jahr  mit  all 
der  Anregung,  die  Ihre  bloße  Gegenwart  uns  bringt,  ein 
Gewinn,  den  ich  bereits  ruhig  aus  meinem  Leben  gestrichen 
hatte.  Sie  sprachen  einmal  darüber,  die  Frauen  würden 
so  leicht  u.  gleich  so  ganz  u.  gar  persönlich;  wie  recht 
hatten  Sie!  Ich  bin  nun  alt  genug  geworden,  daß  das  Ge- 
schick mir  manchen  Verlust  u.  manche  Entsagung  aufer- 
legte; zum  Schwersten  aber  gehört  mir  immer  das  Ver- 
zichten auf  die  Nähe  geliebter  Menschen.  Und  gerade 
hierin  wird  schonungslos  mit  mir  verfahren:  die  liebsten 
Freunde  u.  Freundinnen  sind  weit,  weit  von  mir  getrennt ; 
manchen  drunter  habe  ich  jahrelang  nicht  wiedergesehen. 
So  kam's,  daß,  —  jetzt  lachen  Sie  mich  nur  aus  —  als  ich 
zuerst  Ihren  grausamen  Entschluß  las,  ich  Sie  beweinte 
u.  betrauerte  wie  einen  theuren  Verstorbnen.  Was  auch 
Bernhard  zum  Tröste  mir  sagen  mochte,  daß  wir  uns  im 
Leben  doch  hin  u.  wieder  sehen  würden,  daß  wir  doch 
von  einander  hörten  —  „Gerade  so  gut  wie  todt!"  hab  ich 
nur  immer  gesagt,  u.  immer  wieder  geweint.   Nun  denken 


252  An  Bern h.  Scholz 

Sie  sich  das  Glück,  als  ich  von  der  Auferstehung  hörte! 
Seien  Sie  gut  u.  freuen  Sie  sich  nur  fünf  Minuten  mit  mir! 
Was  Sie  unserem  Hause  genommen,  können  Sie  gar  nicht 
wissen,  habe  ich's  ja  selbst  nicht  entfernt  geahnt,  bis  ich's 
erlebt  hatte.  Seien  Sie  mir  nicht  bös,  wenn  mir  immer  der 
alte  Napoleon  über  Sie  einfiel,  wie  er  über  das  Wohl  Ein- 
zelner ruhig  wegmarschirt  seinen  großen  Weg  zum  großen 
Ziele.    Sie  haben  ja  so  recht  —  aber  es  thut  so  weh! 

Jetzt  sind  aber  wenigstens  schon  drei  verschiedene  Sachen 
unter  Ihren  ungeduldigen  Fingern  zu  Grunde  gegangen  — 
ja,  ich  bin  jetzt  auch  stille.  Ich  höre  schon  auf,  noch  eh 
das  vierte  unschuldige  Ding  —  sei's  nun  Feder  oder  Blei- 
stift oder  Siegellack  —  geliefert  ist.  .  .  . 

An  Bernh.  Scholz 

[London   i.  Nov.   1862.] 
Lieber  Freund 

Nur  2  Worte  kann  ich  vor  Postschluß  Ihnen  schrei- 
ben, statt  Ihrer  lieben  Frau,  deren  Brief  in  altem 
herzlichen  Ton  mich  sehr  erfreut  hat.  Ich  muß  aber  meiner 
Unruhe  wegen  des  Brahms'schen  Mscpts.  noch  Sonnabend 
Luft  machen,  denn  vor  übermorgen  geht  im  frommen  Eng- 
land keine  Post  wieder.  Es  ist  nicht  angekommen, 
und  ich  bitte  Sie  gleich  nachzuforschen,  woran 
das  liegen  mag.  Ein  Schiff  über  Ostende  oder  Calais  ist 
Gottlob  nicht  verunglückt.  Die  3  Briefe  mit  Jungen  habe 
ich  erhalten.  Dank  der  Firma  B  &  L. 

Heute  war  der  letzte  Ausstellungstag;  Sie  hätten  das 
Monstrum  von  Industrie  und  Kunst  doch  mit  ansehen 
sollen ! 

Ich  bin  und  bleibe 

Ihr  alter 

Joseph  J. 


An  Bernh.  Scholz  253 


An  denselben 

[London  6.  November   1862.J 
Lieber  Freund 

Das  Quintett  von  Brahms  ist  endlich  vorgestern  in 
meine  Hände  gelangt,  und  ein  ganz  bedeutendes,  ori- 
ginelles Kunstwerk  ist  es!  Es  ist  mir  aber  unbegreiflich, 
daß  es  so  lange  unterwegs  war.  Ich  muß  Sie  nun  noch 
quälen,  bester  Bernhardus,  was  von  Briefen  wichtig  er- 
scheint, hieher  zuschicken;  Siewerden's  mit  Ihrem  klugen, 
klaren  Blick  den  Buchstaben  schon  ansehen,  was  der  Mühe 
lohnt.  —  Also  Platen  will  nun  doch  noch  in  diesem  Monat 
anfangen?  Ich  glaube,  es  ist  Taktik  des  Königs,  die  Kon- 
zerte so  früh  als  möglich  zu  beendigen,  damit  er  dann 
sagen  könne:  so,  nun  dürfen  Sie  auf  ein  Jahr  gehen  und 
doch  die  nächste  Saison  wieder  dirigiren.  Ich  hab's  aber 
anders  vor:  gekündigt  ist,  vom  1"^"  Januar  nehme  ich 
keinen  Groschen  mehr  Gehalt,  und  nach  den  Concerten 
packe  ich  ein,  ohne  zu  fragen.  Sie  verrathen  mich  nicht; 
ich  schreibe  Ihnen  dies  als  meinem  Freund,  damit  Sie  nicht 
glauben,  daß  ich  die  Herrn  Begenten  in  ihrer  Freundlich- 
keit nicht  verstände.  Ich  muß  Sie  nun  noch  um  einen 
Rath  bitten.  Heute  bekam  ich  den  inliegenden  Brief  von 
Chappell.  Letzterer  ist  Ihnen  dem  Namen  nach  bekannt; 
er  ist's,  der  dieConcerte  „unternimmt",  in  denen  ich  spiele. 
Sobald  ich  ihm  sagte,  daß  ich  nach  Hannover  müßte,  hat 
er  die  Zahl  der  Concerte  abgeändert  etc.  etc.  Er  liat  nichts 
unterlassen,  to  oblige  me.  Meinen  Sie  nun,  daß  ich  ihm 
den  Gefallen  thun  kann,  den  er  verlangt,  statt  am  4'*"  ^n^ 
9"^"  abzureisen?  Ich  käme  dann  am  10*''"  Abends  in  Han- 
nover an,  für  den  i3'*"  allerdings  früh  genug  —  aber  wird 
Platen  nicht  Geschichten  machen?  Schwätzereien  meine 
ich.  Kann  ich  ihm  trauen.  Sagen  Sie  mir  Ihre  Ansicht 
offen,  und  bald.    Ich  bin  zwischen  zwei  Stühlen:  zwischen 


254  ^on  Bernh.  Scholz 

dem  Zorn  und  der  Großmuth  des  Königs,  auf  die  ich  ge- 
baut, auf  die  Alltäglichkeit  des  Eigennutzes  gefallen  u. 
habe  so  viel  blaue  Flecke,  daß  ich  viel  schlaflose  Nächte 
davon  erleiden  muß.  Doch  genug  über  diese  unerquick- 
liche Zeit.  — 

Der  Brief  Ihrer  lieben  Frau  hat  mir  die  guten  Seiten 
meiner  Gefangenschaft,  ja  ein  großes  Stück  Sonnenschein, 
das  in  den  kalten  Winter  fallen  soll,  recht  lebhaft  vor  die 
Seele  geführt.  Ich  danke  ihr  bald  selbst  dafür;  denn  ich 
hoffe  das  Geschäftliche  ist  zu  Ende!  Wie  muß  sich  Ihre 
Frau  übers  Requiem i)  freuen! 

Mit  herzlichem  Gruß 

Ihr 

Joseph  J. 

Von  Beruh.  Scholz 

Hannover  8.  Nov.   1862. 

Mein  lieber  Freund ! 

Was  Ihr  Eintreffen  dahier  angeht,  so  scheint  es  mir, 
als  ob  der  10.  Dec.  früh  genug  sei,  wenn  Sie  vor- 
her schriftlich  sich  mit  Platen  über  Programm  u.  Proben 
verständigen. 

Was  aber  Ihre  Absicht  wegen  des  Weggangs  betrifft,  so 
kann  weder  ich  noch  Brinkmann  dieselbe  gut  heißen.  Sie 
haben  bis  jetzt  nicht  gekündigt;  Ihr  Vorschlag  an  Platen 
ist  nicht  acceptirt  worden,  und  es  muß  nun  von  Ihnen  in 
aller  Form  Rechtens  Ihr  Contract  aufgesagt  werden. 
Derselbe  erlischt  dann  6  Monate  nach  dem  Kündigungs- 
tage, aber  nicht  eine  Stunde  früher.  Gehen  Sie  früher  weg, 
so  sind  Sie  conti^actbrüchig,  riskiren  einen  Prozeß  und  Ver- 
urtheilg.  und  kommen  auf  eine  durchaus  unloyale  u.  un- 

^)  von  Scholz. 


Von  Bernh.  Scholz  255 

gentile  Art  hier  weg.  Bleiben  Sie,  wenn  Ihr  Herz  es  nun 
einmal  gebieterisch  fordert,  lest  bei  Ihrem  Entschluß  zu 
gehen,  —  gehen  Sie  aber  erst  dann,  wenn  rechtlich  kein 
Mensch,  und  wäre  es  auch  der  König,  Anspruch  an  Ihr 
Bleiben,  Recht  auf  Ihre  Dienste  mehr  hat.  Sie  können 
den  Gehalt  von  Neujahr  an  nicht  zurückweisen,  denn  der 
König  kann  sich  nichts  schenken  lassen;  er  wird  aber 
ebenso  wenig  Ihnen  das  Geringste  schenken. 

Streng  beim  Recht!  Fügen  Sie  sich  in  das  Unvermeid- 
liche!   Es  wird  uns  dennoch  manche  gute  Stunde  bringen. 

Noch  Eines!  Nach  meiner  Ansicht  dürfen  Sie  erst  kün- 
digen, wenn  Sie  gleich  darauf  eintreffen  wollen.  Ich  we- 
nigstens würde  mir  keine  Stunde  Sclaverei  schenken 
lassen,  sondern  volle  6  Monate  abbüßen,  um  mir  dann 
sagen  zu  können,  daß  ich  Niemandem  etwas  schuldig  ge- 
blieben sei,  und  wäre  es  nur  einen  Dank!  — 

Nun  genug  davon ! !  — 

Ich  habe  mir  erlaubt,  auf  den  Titel  meiner  so  eben  er- 
schienenen Iphigenien-Ouv:  zu  setzen,  daß  ich  sie  Ihnen 
gewidmet  habe.  Ich  wollte  Ihnen  damit  aussprechen,  lieber 
Freund,  daß  ich  Ihrem  Verkehr  u.  Einfluß  strengere  Selbst- 
kritik und  mehr  Gewissenhaftigkeit  verdanke,  und  da  die 
Ouv:  eine  Frucht  dieser  Wendung  zum  Besseren  ist,  so 
dachte  ich,  es  sei  nicht  unpassend,  das,  was  ich  Ihnen  danke, 
auf  diese,  freilich  sehr  versteckte  Art,  öffentlich  zu  be- 
kennen. Ich  gebe  Ihnen  ein  Ex.  davon,  wenn  Sie  hier 
sind;  es  wäre  ja  wohl  zwecklos,  Ihnen  die  Part:,  die  Sie 
schon  kennen,  über  den  Canal  zu  schicken;  sie  in  London 
aufgeführt  zu  sehen,  ist  da  doch  wohl  keine  Aussicht  vor- 
handen. 

Von  Briefen  erfolgt  anbei  wieder  eine  kleine  CoUection. 
Es  sind  auch  diverse  Packete  (u.  A.  ein  Quintett  v.  Nau- 
mann) da,  welche  wohl  warten  können.  Für  heute  schließe 
ich. 

Lassen  Sie  uns  bald  Gutes  hören  und  werden  Sie  dem 


256  An  Beruh.  Scholz 

langweihgen   Prediger   des   strengen  Rechts -Standpunktes 
nicht  gram! 

Behalten  Sie  lieb 

Ihren  ollen 

Scholz 

An  Bernli.  Scholz 

[London  etwa  8.  Nov.  iSö?,.] 
Lieber  Scholz 

Das  i"^  Concert  wird  wohl  bald  probirt;  da  wäre  es 
mir  denn  lieb  zu  erfahren,  was  Sie  darin  geben,  da- 
mit ich  das  Programm  des  2'*"  darnach  bedenke.  Ich  bin 
neugierig,  worauf  Ihre  Wahl  gefallen  sein  wird;  wahr- 
scheinlich eine  Beethoven'sche  —  und  ein  Cherubini  oder 
Weber!  So  finge  ich  denn  mein  Wirken  gern  recht  trotzig 
an:  Coriolan-Ouv.,  und  um  mich  beim  Herrn  Chef  etwas 
einzuschmeicheln,  spielte  ich  eine  Fuge  in  A  moU  von  Bach, 
die  ich  neulich  zum  ersten  Mal  vor  Leuten  producirte  und 
wiederholen  mußte.  Die  in  Gmoll  und  Cdur  habe  ich  in 
Hannover  schon  gespielt;  bleibt  also  nur  diese  eine. 
Schließen  ließe  sich  mit  der  Dmoll  Sinfonie  von  Schu- 
mann, to  oblige  Platen,  Das  ist  nur  Scherz!  Ich  habe 
keinen  Wunsch  zu  hänseln.  Im  Ernst  aber  muß  ich  ganz 
ordentlich  danken,  Ihnen,  lieber  Freund,  für  Ihre  Dedi- 
cation.  Was  Sie  sagen,  sollte  mich  fast  stolz  machen!  Daß 
ich  auf  einen  so  festen,  sichern  Kollegen  Einfluß  geübt 
haben  kann!  Leider  weiß  ich  nur  zu  gut,  wo  mich  selbst 
der  Schuh  drückt,  und  da  ist  mir  Ihr  Zeichen  der  Freund- 
schaft eins,  das  mir  wohlthut,  weil  ich  sehe,  daß  Sie  mich 
lieb  genug  haben,  um  meine  bessern  Seiten  zu  pflegen. 
Ich  freue  mich,  meinen  Namen  auf  dem  Exemplar  gedruckt 
zu  sehen.  —  Apropos!  Ich  glaube,  Frau  Schumann  wäre 
am  Ende  für's  erste  Concert  zu  gewinnen.    Sie  ist  in  Ham- 


Von  Clara  Schumann  267 

bürg  (pr.  Adr.  von  Th.  Ave  Lallemant,  Tonkünstler)  zu 
erreichen.  Da  sie  später  zu  weit  weg  sein  wird,  um  für 
die  Concerte  erreichbar  zu  sein,  so  bin  ich  unegoistisch 
genug,  um  darauf  aufmerksam  zu  machen.  Von  Brahms 
habe  ich  drei  zornigste  Briefe  erhalten,  daß  ich  in  Be- 
treff seines  Quintetts  nachlässig  gewesen  wäre.  Es  ist  mir 
lieb,  daß  Sie  das  Gegentheil  wissen.  .  .  .  Wollen  Sie  nicht 
endlich  Wort  halten,  Bernhardus,  und  ein  Mozart'sches 
Concert  für  den  Winter  studiren,  mit  eigenen,  statt  Humm- 
ler'scher^)  Kadenzen,  wie  man  sie  hier  hört? 

Ich  erwarte  über  einige  dieser  Punkte  ein  paar  Zeilen 
vor  dem  Wiedersehen  und  bin  und  bleibe  in  Treu'  ergeben 

Ihr 

Joseph  J. 

Apropos!  Schicken  Sie  die  Partitur  Ihrer  Ouver- 
türe doch  lieber  ein.  Ich  meine,  ich  kann  eine  Auf- 
führung doch  vorbereiten. 

Von  Clara  Schumann 

Frankfurth  a/M  d.   10  Nov.   1862. 

Lieber  Joachim, 

Zürnen  Sie  nicht,  daß  ich  auf  Ihre  i)eiden  Briefe  nicht 
früher  schrieb,  ich  bin  aber  seit  8  Wochen  wieder  furcht- 
bar beschäftigt.  Ihr  erster  Brief  mit  der  Nachricht,  daß 
Sie  in  London  bleiben  würden,  hatte  mich  so  betrübt,  daß 
ich,  hätte  ich  Ihnen  darauf  geschrieben,  nur  Klagen  her- 
vorgebracht hätte.  Nun,  bald  kam  ja  die  gute  Post  hinter- 
drein, und  für  mich  muß  ich  mich  doch  freuen,  thut  es 
mir  freilich  für  Sie  leid  genug,  daß  Sie  nun  unter  so  wenig 
angenehmen  Verhältnissen  noch  einen  Winter  bleiben 
müssen.  Ich  muß  Ihnen  aber  offen  gestehen,  daß  ich  Ihre 
Handlungsweise    nicht    recht    finden    konnte;    Sie   hätten 

^)  Scherzhaft  für  Hummel. 


258  Von  Clara  Schumann 

gleich  im  Mai  entschieden  „Nein"  sagen  sollen,  das  wäre 
für  die  Königin  sicher  nicht  so  hart  und  kränkend  gewesen, 
als  Ihr  jetziges  Verfahren.  Ich  denke  übrigens,  sind  Sie 
erst  'mal  wieder  dort,  so  gleicht  sich  dies  bald  wieder  aus, 
und  ich  hoffe,  Sie  ertragen  Hannover  leichter,  als  Sie  es 
Sich  jetzt  in  London  vorstellen. 

Ihren  letzten  Brief  erhielt  ich  gerade  am  i  Nov:,  war 
aber  sehr  froh,  daß  Sie  Selbst  nicht  da  waren,  denn,  trotz 
des  besten  Willen  von  allen  Seiten,  war  die  Aufführung 
eine  höchst  mittelmäßige,  und  es  wäre  mir  recht  hart 
gewesen,  hätten  gerade  Sie  den  Faust  zum  ersten  Male  so 
gehört.  Ich  möchte  doch  so  gern,  daß  Sie  ihn  so  voll- 
kommen als  möglich  hörten,  dann,  weiß  ich,  Sie  müssen 
dies  Werk  bewundern,  Sie  müssen  es  über  Ihre  Erwar- 
tung herrlich  finden.  Daß  Sie  aber  gerade  am  4  Dec:  ^) 
von  London  abreisen,  und  nicht  ein  paar  Tage  früher,  so 
daß  Sie  vor  Hannover  nach  Leipzig  gekommen  wären,  das 
betrübt  mich  sehr!  — 

Von  Johannes  haben  Sie  wohl  direct  erfahren,  daß  es 
Ihm  in  Wien  außerordentlich  gefällt,  wie  voraus  zu  sehen 
war.  Er  bleibt  den  ganzen  Winter  dort.  Sein  Quintett 
haben  Sie  wohl  nun  auch  erhalten?  er  spielt  es,  d.  h.  er 
läßt" es  bei  Hellmesberger  Ende  d.  M.  spielen.  Das  möchte 
ich  'mal  von  Ihnen  hören !  Sie  wissen  wohl,  daß  Job:  morgen 
in  Hellmesbergers  Quartett  sein  Gmoll  Quartett  spielt. 

Wie  sehr  Mad.  Bennett's  Tod  mich  erschreckt  hat,  kann 
ich  Ihnen  nicht  sagen,  hatte  ich  doch  keine  Ahnung  von 
ihrem  Krankseyn!  wie  dauert  mich  der  arme  Bennett, 
welch  ein  Verlust,  solch  liebe  Frau!  bitte  sagen  Sie  Ihm, 
wie  tief  ich  den  Schmerz  mit  Ihm  und  seinen  Kindern 
fühle.  Auch  Frau  Klingemann  versichern  Sie  meiner  innig- 
sten Theilnahme,  wie  hat  auch  dieser  Tod  mich  bedrückt  I 
So  geht  Eines  nach  dem  Anderen  —  bliebe  man  nur  selbst 
nicht  gar  zu  lange  zurück!  —  ... 

*)  Am  4-  sollte  Schumanns  Faust  in  Leipzig  aufgeführt  werden. 


An  Herman  Grimm  269 

Leben  Sie  wohl,  lieber  Joachim.   Reisen  Sie  glücklich, 
und  bringen  Sie  das  alte  Herz  mit 

Ihrer 

getreuen 

Clara  Schumann. 

An  Herman  Grimm 

[London]   r3'«"  Novbr.  [1862]. 
Mein  lieber  Herman. 

Wenn  Du  wüßtest,  wie  traurig  es  mir  ist.  Euch  nach 
Rom  zu  schreiben,  statt  selber  zu  kommen!  Ich 
muß,  da  man  in  Hannover  von  meinem  Vorschlag  nichts 
wissen  will  (den  Kontrakt  vom  Juni  ab  als  erloschen  zu 
betrachten),  dorthin  am  Anfang  Decembers  zurückkehren 
und  6  Monate  ausdienen.  Ich  dachte,  mein  Kontrakt  setzte 
3 monatliche  Kündigung  voraus,  das  war  aber  süßer  Irr- 
thum.  So  fest  hatte  ich  mir  eingebildet,  der  König  würde 
entweder  stolz  und  zornig,  oder  (in  Betreff  meiner  Forde- 
rung der  zwei  Jahre  ohne  Gehalt)  nachgebend  milde  sein, 
daß  ich  hier  bis  Ende  des  Jahres  Engagements  angenommen 
hatte,  um  dann  im  Januar  zu  Euch  reisen  zu  können  . . . 
Von  Verhältnissen  abzuhängen,  kann  den  Heldenmuth  her- 
ausfordern; je  trauriger  sie  sind,  um  so  mehr  mag  es  uns 
Genugthuung  gewähren,  sie  stark  zu  tragen;  aber  einem 
Menschen  freiwillig  solche  Macht  über  uns  eingeräumt  zu 
haben,  daß  er  uns  tiefberechtigte  Wünsche  zerstören  darf, 
ohne  durch  Noth  dazu  gezwungen  gewesen  zu  sein,  ist  hart 
zu  verarbeiten.  Ich  hatte  fiebervolle  Nächte,  in  denen  ich 
wachend  die  fast  körperliche  Empfindung  der  Unfreiheit 
hatte  —  ich  rüttelte  an  den  Stäben  meines  eisernen  Bettes, 
als  ob's  Ketten  wären.  Es  ist  wohl  kaum  jetzt  abzusehen, 
wie  lange  Ihr  in  Rom  bleiben  werdet.  Schwerlich  bis  zum 
Juni!  Und  wenn  auch,  es  wäre  dies  die  schlechteste  Jahres- 
zeit, und  Ihr  müßtet  dann  fort.   Um  „Gnade"  wollte  ich 

•7' 


200  An  Herman  Grimm 

nicht  anflehen;  habe  auch  Niemand  den  Grund  sagen 
mögen,  warum  mir  so  viel  daran  läge,  dies  Jahr  frei  zu 
sein.    Es  würde  nicht  richtig  aufgefaßt  werden. 

Dieser  Tage  brachte  mir  Th.  \.  Bunsen  Berliner  Grüße 
von  Euch  und  erzählte  mir  vom  Tode  des  Grafen  Oriola'), 
eine  Nachricht,  welche  Gisel  gewiß  sehr  angegriffen  hat. 
Thut  ihr  das  Römische  Klima  wohl?  Kannst  Du  noch  ein- 
mal vor  dem  g^^"  Dezember  hieher  schreiben,  lieber  Her- 
man? Hier  war  gestern  der  Nebel  so  dick,  daß  man  von 
einer  Gaslampe  nicht  bis  zur  andern  sehen  konnte.  Ich 
mußte  auf  dem  Rückweg  vom  Hause  eines  Freundes  Abends 
in  einem  Gasthof  einkehren,  um  zu  übernachten!  Es  ist 
aber  seit  mehreren  Jahren  nicht  so  toll  gewesen.  Im  Üb- 
rigen gefällt  es  mir  hier  ganz  gut.  Man  sieht  die  Umge- 
bung mit  den  verschiedenartigsten  Interessen  um  sich  be- 
wegt, wenn's  auch  nicht  immer  die  höchsten  sind,  und  die 
Abwesenheit  kleinstädtischer  Hofluft  ist  mir  eine  Wohl- 
that.  Neulich  begegnete  mir  in  einem  Concert  flüchtig 
einer  Eurer  Spangenberge.  Ich  konnte  mich  erst  nicht  auf 
seinen  Namen  besinnen,  obgleich  mich  die  Züge  anhei- 
melten. Er  hat  aber  bis  jetzt  keinen  Gebrauch  von  meiner 
Adresse  gemacht.  Seine  Nachrichten  über  Euch  waren 
veraltet.  Solltest  Du  die  Bekanntschaft  des  Amerikanischen 
Bildhauers  Story  machen,  so  schreibe  mir,  wie  Du  ihn  und 
seine  Tochter  findest.  Es  sind  Verwandte  Maclellans  und 
Bekannte  Emersons.  ...  Er  zeigte  mir  eine  vortreffliche 
Statuette  BeethoAcns,  die  Du  Dir  mir  zu  lieb  vielleicht  an- 
siehst. Seine  Kleopatra  und  eine  „Sibylle"  in  Marmor 
machten  auf  der  Ausstellung  Aufsehen.  Mir  scheinen  sie 
würdevoll  und  von  der  Schablone  abweichend,  aber  mehr 
verständig  und  gebildet,  als  warm  und  tief.  Schickt  mir  in 
meine  Zeit  der  Duldung  manchmal  Erquickung  durch 
Euch,  Ihr  lieben  Menschen,  und  bleibt  gut  dem  alten 
J.  J. 

*)  Der  Gatte  von  Giselas  Schwester  Maxes. 


Von  Frau  Scholz  261 


Von  Frau  Scholz 

Hannover  22.  Nov.  62. 

Das  war  eine  große  Freude,  lieber,  lieber  Joachim !  Es 
ist  aber  auch  der  22'*  heute,  u.  das  war  immer  ein 
Glückstag  für  mich.  An  einem  22.  habe  ich  mich  verlobt; 
an  einem  anderen  kam  —  während  eines  hartbedrängten 
Brautstandes  —  der  Geliebte  aus  der  Ferne  —  an  einem 
22.  hat  er  sein  schönstes  Lied  gemacht  —  an  einem  22. 
kamen  Ihre  lieben  Zeilen  zu  mir.  Drum  lasse  ich  viele 
Geschäfte  liegen  u,  stehen,  nur  um  Ihnen  gleich  zu  sagen, 
wie  vergnügt  mich  Ihr  lieber  Brief  gemacht  hat!  Also  Sie 
können  vielleicht  gleich  Anfangs  sehr  gut  u.  lieb  sein?  Ich 
muß  roth  werden,  daß  Sie  mich  bescheiden  nennen,  denn 
das  ist  kein  Mensch  weniger  als  ich.  Den  Hauptbeweis 
dafür  liefern  Sie.  Es  giebt  liebe,  gute  Menschen  genug 
hier  u.  aller  Orten,  wenn  ich  bescheiden  wäre,  müßte  ich 
mit  diesen  mich  „bescheiden"  u.  nicht  lamentiren  nach 
Ihnen  wie  ein  Krüppel.  Aber  so  verwöhnt  bin  ich,  daß 
ich  immer  nur  nach  dem  höchsten  Adel  trachte  u.  daß 
mir  selbst  der  Stockh.  nicht  so  ganz  auf  die  Dauer  gefallen 
kann.  Der  kam  neulich  ein  Paar  Tage,  so  recht  ein  be- 
lebend Element,  in  unsere  Einsamkeit  geschneit;  er  wohnte 
bei  uns,  u.  es  war  das  erste  Mal,  daß  ich  ihn  mir  näher 
besah.  Er  ist  ein  sehr  begabter  Mensch  u.  vor  Allem  eine 
glänzende,  gewinnende  Erscheinung  ...  St.  hat  gewaltige 
Pläne  für  hier  —  u.  wenn  Sie  doch  einmal  fort  sind,  ist 
er  besser  wie  die  meisten  Anderen. 

Nach  Cöln^)  gehe  ich  wirklich  mit,  da  haben  Sie  recht 
gerathen,  aber  von  jeher  in  Gedanken  in  Ihrer  Begleitung; 
dem  Bär  zu  Liebe  müssen  Sie  zwei  Tage  loszukommen 
suchen.  Lasse  ich  ja  so  lange  fünf  gerade  sein  u.  riskire 
doch  dadurch  noch  mehr.    Ich  habe  neuerdings  gefunden, 

^)  zur  Aufführung  von  Scholz'  Requiem. 


202  Von  Beruh.  Scholz 

daß  es  gefährhch  wird  für  mich,  wenn  ich  meinen  Mann 
immer  allein  seine  Interessen  verfolgen  lasse;  wenn  mich 
die  Mutterpflichten  allzuviel  abhalten,  meine  Stelle  zu  be- 
haupten an  der  Seite  des  Geliebten  —  zuletzt  gewöhnt  er 
sich  daran,  mich  zu  entbehren.  Das  wird  doch  zu  betrübt 
für  mich!  —  Ich  hab  auch  neuerdings  gefunden,  daß  es 
überhaupt  furchtbar  schwer  ist,  ein  halbwegs  anständiger, 
brauchbarer  Mensch  zu  werden:  zu  leben  im  besten  Sinne. 
Das  klingt  gar  einfach,  ist  aber  ein  mächtig  großes  Kunst- 
stück !  —  ... 

Seien  Sie  tausendmal  gegrüßt 

von  Ihrer 

Luise  Scholz. 


Von  Beruh.  Scholz 


Hannover  22.  Nov.  1862. 


Mein  Lieber! 

Zuerst  das  Geschäftliche :  An  Frau  v.  Bronsart  ist  schon 
geschrieben  und  ihr  ein  Tag  im  Januar  bestimmt 
worden.  —  Auf  Brassin  wird  man  wohl  nicht  weiter  re- 
flectiren.  Bezgl.  des  ersten  Concertes  ist  man  noch  sehr 
im  Unklaren:  Nur  soviel  steht  fest,  daß  Lauterbach  das 
9*^  Concert  von  Spohr  und  zwei  Vieuxtemps'sche  Sätze 
spielen  wird.  Im  Uebrigen  erwartet  man  täglich  Nachricht 
von  der  Trebelli,  und  es  soll  mit  ihr  ein  Concert  im  Theater 
(als  erstes  Ab.-Conc.)  sein,  wobei  denn  für  eine  Symphonie 
kein  Platz  bliebe.  Sagt  sie  nicht  zu,  so  denke  ich,  wird 
man  Stockhausen  engagiren,  und  dann  soll  das  Concert 
im  Concertsaale  mit  einer  Beethoven'schen  Symphonie  los- 
gehen. Wieviel  lieber  mir  Letzteres  wäre,  werden  Sie 
wissen. 

Stockhausen  ist  übrigens  vor.  Sonntag  sowie  am  Mitt- 
woch hier  gewesen.  Heute  Nachmittag  um  3^2  Uhr  kommt 


Von  Bernh.  Scholz  263 

er  wieder  von  Hamburg,  und  zwar  mit  Frau  Schumann. 
Beide  musiciren  morgen  bei  Königs. 

Meine  Ouv:  sollen  Sie  haben,  und  es  würde  mich  freuen, 
wenn  Sie  unter  Ihrem  patronage  drüben  gemacht  würde: 
probirt  müßte  sie  freilich  ordentlich  werden,  des 
Schlusses  wegen. 

Ich  freue  mich  sehr  auf  Ihre  Rückkunft;  wir  wollen 
dann  zusammen  über  alle  Vorfälle  lachen,  über  die  wir 
uns  bis  jetzt  einzeln  geärgert  haben.  Denn  auch  ich,  lieber 
Freund,  schiffte  die  ganze  Zeit  auf  bewegter  See.  Ich 
hatte  schon  mehrere  Spectakel  und  liege  gegenwärtig  in 
Fehde  mit  Ihrer  lieben  Ubrich  und  ihrem  hohen  Protector  G. 
—  Es  handelte  sich  um  Besetzg.  einer  Rolle  in  einer  Auber- 
schen  Oper^),  die  ich  Frl.  Weis  zugetheilt  hatte,  wogegen 
die  U.  protestirte.  Auber  hatte  mir  nun  Recht  gegeben, 
der  König  erklärte  ihn  aber  für  altersschwach,  und  da 
nichts  aus  ihm  heraus  zu  verhören  war,  wurde  etwas  in 
ihn  hinein  verhört,  wie  Vansen  sagt.  Dazu  wurden  die 
hannoverschen  Gesandschaften  und  Ministei'ien  in  Be- 
wegg.  gesetzt  —  tant  de  bruit  pour  une  Omelette!  —  und 
schließlich  natürlich  Frl.  U.  zu  Gunsten  entschieden.  — 
Dieser  Tage  erhält  nun  der  König  von  mir  einen  neuen  Stoß 
Acten  mit  göttlichen  Briefen  von  Auber,  Frz.  und  V.  Lachner, 
Eckert  u.  s.  w.,  die  sich  alle  verwundern,  wie  man  nur 
einen  Augenblick  im  Zweifel  sein  könne  über  die  Stimm- 
lage der  Partie. 

Die  Sache  fängt  nun  an,  auch  für  mich  lustig  zu  wer- 
den, obwohl  ich  mich  Anfangs  ganz  infam  geärgert  habe. 
Was  sagen  Sie  dazu  —  daß  der  Aerger  mir  —  mir  —  mir 
selbst  den  Schlaf  geraubt  hat ! 

Apropos:  Es  würde  mir  Freude  machen,  einmal  ein 
Mozartsches  Concert  im  Ab.-Concert  zu  spielen.  Schlagen 
Sie  mir  eines  vor! 

So  leben  Sie  denn  wohl,  mein  lieber  Freund,  und  kom- 

*)  Siehe  das  Nähere  bei  Scholz,  Verklungene  Weisen  S.  i6of. 


204  Von  B.  Molique 

men  Sie  uns  bald  und  möglichst  heiter  her:  Sie  haben 
keine  Ursache  zum  Mißmuth !  Ihr  Schicksal  liegt  lediglich 
in  Ihrer  Hand;  Sie  haben  für  sich  die  Macht  zu  lösen  u. 
zu  binden,  —  und  wenn  Sie  nur  wollen,  sind  Sie  im  Früh- 
jahr so  frei  wie  der  Vogel  in  der  Luft.  Bis  dahin  wollen 
wir  noch  manche  gute  Stunde  gemeinsam  froh  genießen. 
Tausend  Grüße 

von  Ihrem  Scholz. 


Von  B.  Molique 


3o  Harrington  Square  N.  W. 
den  2**"  Dezember  1862. 


Mein  lieber  Freund  Joachim! 

Nehmen  Sie  meinen  herzlichen  Dank  für  den  Genuß, 
den  Ihr  herrliches  Spiel  mir  gestern  Abend  machte, 
ich  wäre  diesen  Morgen  zu  Ihnen  gekommen,  um  Ihnen 
für  die  Mühe  und  Sorgfalt,  welche  Sie  meinem  Quartett 
geschenkt  haben,  zu  danken,  habe  mich  aber  leider  ver- 
kältet und  muß  ein  paar  Tage  wieder  zu  Hause  zubringen. 
Es  wird  mir  nahe  gehen,  wenn  ich  Sie  nächsten  Montag 
zum  letzten  Male  höre  und  Sie  von  hier  weggehen,  denn 
ich  will  Ihnen  nur  gestehen,  daß  Sie  sich  bey  mir  als 
Violinspieler  unentbehrlich  gemacht  haben,  S.  Bach  werde 
ich  nicht  mehr  hören,  ausgenommen  Sie  kommen  wieder 
nach  London  und  ich  lebe  noch,  denn  von  einem  anderen 
will  ich  mir  den  Eindruck,  den  Ihr  Spiel  auf  mich  machte, 
nicht  verderben  lassen.    Gott  sey  mit  Ihnen. 

Ihr 
ergebener  Freund 

B.  Molique. 


An  Jul.  Rietz  205 


An  ßernh.  Scholz 

[London]  3.  Dec^'-  [1862]. 
Lieber  Freund 

Bis  heute  früh  hatte  ich  gehofft,  der  Postbote  würde 
mir  wenigstens  das  bloße  Programm  des  i  ^'"  Concertes 
bringen,  da  ich  aus  der  Ferne  über  das  2'^  Vorschläge 
machen  muß  —  quod  non!  Nun  habe  ich  eine  Epistel  an 
Platen  mit  „Wenn 's"  und  „Aber's"  über  den  Gegenstand 
abschicken  müssen,  und  ich  erlebe  es  noch,  daß  Ihr  sagt: 
es  geschieht  Joachim  ganz  recht.  Ich  habe  Platen  in  Be- 
zug auf  Gesang  an  Sie  adressirt  und  bitte  Sie  freund- 
schaftlichst als  Mit-Konsul  dafür  zu  sorgen,  daß  die 
K,  H/sche  Orchester-Republik  keinen  Schaden  nimmt. 
Ich  reise  Dienstag  den  9'*^"  in  der  Frühe  hier  ab  und  bin 
also  Mittwoch  bei  Euch.  Wenn  Sie  mir  aber  Samstag  noch 
ein  paar  Worte  schreiben,  so  bekomme  ich  sie  noch,  und  es 
wäre  mir  sogar  höchst  willkommen,  vor  der  Abreise  etwas 
über  das  kommende  Concert  zu  wissen.  Ich  habe  Kopf 
und  Hände  voll  zu  thun  bevor  der  Abfahrt  und  schließe 
darum  mit  dem  wärmsten  Gruß  an  Frau  und  Kinder  ganz 
eilig. 

Immer  Ihr 

Joseph  J. 

An  Jul.  Rietz 

Hannover  am  i8'*"Decbr.  [1862]. 
Lieber,  hochgeehrter  Rietz 

Mit  Kummer  sah  ich  aus  der  fremden  Hand,  daß  Sie 
noch  immer  nicht  ganz  hergestellt  sind.  Möchten 
Sie  bald  wieder  ganz  dem  frischen  Leben  und  Ihren 
Freunden  gehören.    Man  kann  sich  unter  allen  Menschen 


206  An  Jul.  Rietz 

Sie  am  wenigsten  zur  ünthätigkeit  gezwungen  denken. 
Sie  müssen  in  diesen  letzten  Monaten  unendlich  gelitten 
haben.  — 

Ich  war  lange  in  England  und  habe  dort  manches  Er- 
freuliche erlebt,  wovon  ich  nur  erwähnen  will,  daß  ich 
auch  alle  Mendelssohn'schen  Kinder  einmal  wiedergesehen 
habe.  Es  wird  Ihnen  lieb  sein  zu  hören,  daß  sie  sich  aufs 
vortheilhafteste  entwickelt  haben;  lauter  kluge,  feine,  an- 
muthige  Naturen,  wie  man  sie  den  Nachkommen  des  edel- 
sten Menschen  und  Künstlers  wünschen  mag.  Ihren  Auf- 
trag, die  Mendelssohn'sche  Sonate i)  betreffend,  erfülle  ich 
mit  Freude;  ich  habe  sofort  unter  der  geringen  Auto- 
graphenzahl in  meinem  Besitz  nachgesehen.  Der  erste  Satz 
ist  am  2i'*"  Mai  1828  beendigt,  der  2'*  am  25'*^"  Mai,  der 
letzte  am  3'^"  J.  (uni  ist  beim  Beschneiden  des  Randes 
wohl  weggekommen.)  Das  Ganze  ist  klein  und  mit  den 
bekannten  zierlichen  Notenköpfchen  geschrieben ;  oft  finden 
sich  weggestrichene  Takte,  Aenderungen.  In  der  rechten 
Ecke  der  ersten  Seite  sind  die  Buchstaben  L.  e.  g.  G.,  die 
ich  wie  andere  seiner  Buchstaben  als  Motto  nicht  deuten 
kann.  Wissen  Sie  etwas  über  ihren  Sinn?  Bei  der  Sonate 
ist  eine  von  Ihrem  Bruder  geschriebene  Violinstimme.  Das 
Ganze  ist  mir  als  Geschenk  von  Frau  Mendelssohn  doppelt 
werth. 

Möchte  der  versprochene  2**  Band  2)  Briefe  bald  kommen, 
und  möge  ich  vor  allen  Dingen  von  Ihrer  gänzlichen  Ge- 
nesung hören,  hochverehrter  Freund  und  Meister! 

Stets  Ihr 

(gez.)  Joseph  Joachim. 


^)  Die  Eduard  Rietz  gewidmete  F  molI-Sonate,  op.  4^  für  Riavier  und 
Violine. 

^)  Erschien  i863  unter  Mitwirkung  von  Rietz. 


Von  Clara  Schumann  267 

Von  Clara  Schumann 

Berlin  d.  19.  Dec:  1862. 

Liebster  Joachim, 
endlich,  endlich  'mal  wieder  ein  Briefe)  von  Ihnen  aus 
Deutschland!  er  wurde  mir  diesen  Morgen  von  Breslau 
hierher  geschickt,  und  ich  setze  mich  gleich  zur  Antwort. 
Den  Sonnabend,  wo  Sie  zum  ersten  Male  wieder  dirigirten, 
wie  getreu  habe  ich  da  den  ganzen  Abend  Ihrer  gedacht, 
mich  mit  ganzem  Herzen  in  Ihre  peinliche  Lage  hineingefühlt 
und  bin  jetzt  ganz  froh  zu  hören,  daß  mindestens  des  Königs 
Klugheit  die  Verhältnisse  nach  außen  hin  angenehmer  ge- 
staltet.   Sey  es  Schein  oder  nicht,  jedenfalls  ist  es  so  besser. 

Daß  Sie  zu  Weihnachten  entschieden  nicht  zu  mir 
kommen,  ist  mir  jetzt,  da  ich  sehe,  daß  meine  Voraussetzung, 
Sie  würden  unter  keiner  Bedingung  jetzt  Urlaub  nehmen, 
eine  falsche  war,  doppelt  traurig.  Sie  können  mir  wohl  nicht 
verdenken,  daß  ich  als  alte  Freundin  gern  auch  eine  Aus- 
nahme für  Sie  gewesen  wäre.  Übrigens  aber  sehe  ich  auch 
ein,  daß  Scholz  ein  großer  Freundschaftsdienst  2)  dadurch 
geschah,  und  der  Aufenthalt  hier  Ihnen  innerlich  kaum 
sehr  wohl  thun  würde,  da  die  lieben  Freunde^)  Ihnen  doch 
recht  fehlen  würden. 

Wissen  Sie  wohl,  daß  wir  uns  beinah  ein  Jahr  nicht 
gesehen!  Ihnen  mags  nicht  so  lang  erschienen  sein 
in  Ihrem  bewegten  Leben,  ich  aber  habe  es  recht  tief 
empfunden  und  kann  nicht  ohne  Schmerz  es  denken,  wie 
die  liebsten  Freunde  durch  äußere  Verhältnisse  Einem  so 
fern  gerückt  werden  können.    Noch  betrübter  aber  ist  es, 

^)  Scheint  verloren  zu  sein. 

*)  durch  J.s  Anwesenheit  bei  der  Aufführung  des  Requiems  in  Köln, 
bei  der  Frl.  Weis  das  Altsolo  sang,  vgl.  Scholz  Verklungene  Weisen 
S.  164. 

')  Grimms. 


268  Von  Clara  Schumann 

geschieht  das  durch  innere,  wie  bei  Johannes.  Seine  An- 
wesenheit zu  Weihnachten  hier  könnte  ich  wahrhch  nicht 
wünschen,  denn  er  hat  uns  vor'm  Jahre  hier,  sowie  im 
Sommer  in  Kreuznach  (wohin  zu  kommen  ich  Ihn  durch- 
aus nicht  veranlaßt  hatte)  das  Leben  mit  Ihm  fast  uner- 
träglich gemacht  und  mich  dazu  diesen  Sommer  in  ähn- 
licher Weise  wie  Sie,  und  zwar  auch  wegen  des  Quintetts 
auf's  Tiefste  gekränkt.  Ich  erhielt  dasselbe  gerade,  als  ich 
eine  Reise  in's  Berner  Oberland  unternahm ;  in  der  Voraus- 
setzung, daß  ich  auf  solcher  Reise  keine  Minute  Zeit,  auch 
kein  Ciavier  finden  würde,  um  das  Quintett  spielen  zu 
können,  auch  noch  dazu  ängstlich  war,  solch  werthvolles 
Manuscript  in  der  Reisetasche  mit  herumzuschleppen,  ließ 
ich  es  in  Luzern  mit  meinen  Sachen;  vier  Tage  darauf 
aber  kam  ich  zurück,  studierte  es  gleich  auf  eifrigste  und 
schrieb  Ihm  aufs  wärmste  darüber,  hatte  aber  von  unserer 
Tour  aus  Ihm  mitgetheilt  (natürlich  aus  Rücksicht,  damit  er 
nicht  vergeblich  warte),  daß  ich  es  empfangen  etc:  etc: 
Währenddem  erhielt  ich  als  Antwort  auf  diese  Zeilen :  er 
habe  nicht  geglaubt,  daß  ich  jetzt  mit  so  wenig  Gepäck 
reise,  daß  ein  paar  lumpige  Notenblätter  mich  belästigen 
würden,  übrigens  wisse  ich,  daß  er  seine  Mannscripte  nicht 
gern  lange  aus  den  Händen  gebe  etc:  Das  war  mir  aber 
wie  ein  Schlag  auf's  Herz  —  war  je  ein  Vorwurf  ungerecht, 
so  war  es  Dieser.  Nun,  Sie  haben  es  auch  empfunden,  aber 
als  Mann,  der  Solches  eher  verwindet,  mir  aber  blutet  das 
Herz,  wenn  ich  nur  daran  denke  —  das  für  Jahre  lange 
innigste  Hingabe  für  Alles,  was  er  geschaffen!  —  Das 
Quintett  ist  aber  schön  —  ich  habe  es  augenblicklich  hier, 
will  es  Ihnen  mitbringen,  denn  sehen  werde  ich  Sie  nun 
doch  endlich  'mal  wieder.  Ich  habe  dem  König  neulich 
schon  gesagt,  daß  ich  Anfang  Januar  wiederkäme  —  das 
wird  Ihnen  freilich  wegen  des  HofspieFs  nicht  angenehm 
sein?  ich  will  mich  nun  jedenfalls  so  einrichten,  daß  ich 
am  3'*"  das  Concert  höre !  können  Sie  mir  keine  Symphonie 


An  Clara  Schumann  269 

meines  Mannes  und  Sonntag  Morgen  Fmoll  von  Beethoven 


spielen? 

Daß  ich  den  Faust  wohl  nicht  werde  hören  können,  ist 
mir  sehr  hart,  aber  wahrscheinlich  bin  ich  um  diese  Zeit 
wieder  in  Paris,  Die  Reise  von  dort  nach  Hannover  würde 
ich,  wenngleich  schon  anstrengend,  doch  unternehmen, 
aber  die  Kosten  sind  gar  zu  groß. 

Jetzt  will  ich  Ihnen  aber  Lebewohl  sagen,  früge  ich  auch 
Manches  noch  so  gern.  Ich  bin  so  erregt,  Ihr  Brief  heute 
hat  mich  so  wehmüthig  bewegt,  kaum  weiß  ich,  warum, 
und  doch  weiß  ich  es!  es  ist  eben  der  alte  Herzensschlag, 
der  für  Sie  immer  derselbe  bleiben  wird !  Könnte  ich  Ihnen 
doch  gleich  selbst  die  Hand  zum  Willkomm  drücken! 

Ihre 


Gl.  Seh. 


An  Clara  Schumann 


[Hannover  »3.  Dez.   1862.] 
Liebe,  gute  Frau  Schumann. 

Wir  haben,  wie  mich  Graf  Platen  eben  versicherte, 
am  S'*""  Januar  wirklich  Concert.  Wie  freue  ich 
mich,  Sie  nnn  endlich  einmal  wieder  zu  sehen!  Könnte  ich 
Ihnen  nur  eine  Schumann'sche  Sinfonie  in's  Programm 
flechten;  es  wird  aber  kaum  zu  machen  sein.  Im  ersten 
Theil  soll  nämlich,  um  die  Solo-Bläser  auf  eine  anständige 
Art  zu  beschäftigen,  die  sich  auch  einmal  wie  billig  pro- 
duciren  wollen,  das  Septett  von  Beethoven  gespielt  werden. 
So  bleibt  nur  der  2"^  Theil  mit  Orchester-Musik,  und  da- 
für habe  ich  (aus  freiem  Antrieb)  Woldemar  in  Köln  ge- 
sagt, ich  würde  in  meinem  nächsten  Concert  seine  Medea- 
Ouverture  aufführen,  werde  also  als  zu  einer  kurzen  Schluß- 
Sinfonie  zu  einer  Haydn-schen  greifen  müssen.   Doch  hoffe 


270  An  Clara  Schumann 

ich  sehr,  daß  wir  Ihnen  in  der  Probe  etwas  vorspielen 
können  werden,  das  Ihnen  besonders  an's  Herz  gewachsen 
ist.  Quartett  am  Sonntag  Morgen  sollen  Sie  nach  Herzens- 
lust haben!  Wenn's  nach  mir  ginge,  ließe  ich  Ihnen 
keine  Ruhe,  auch  uns  im  Concert  etwas  zu  spielen  — 
aber  für  den  10*^"  Januar  (4^^'  Concert)  ist  Frau  Bronsart 
engagirt,  und  so  muß  diesmal  ein  Concert  ohne  fremde 
Künstler  gegeben  werden  (d.  h.  eines,  bei  dem  Platen 
Geld  spart.)  Der  Mangel  an  Interesse  und  Sachkenntniß 
bei  meinem  Intendanten  wird  mir  immer  widerlicher;  u.  es 
ist  gut,  daß  meine  kurzgefaßte  Kündigung  abgegangen  ist. 

Liebe  Frau  Schumann,  eben  kömmt  Ihre  Sendung  an 
mich  an;  welch'  gütiges,  beglückendes  Gedenken!  Zwei 
Iphigenien ! !  Und  ich  muß  Ihnen  bloß  von  hier  aus  schrift- 
lich danken,  statt  Ihnen  durch  Wort  und  Blick  meine  herz- 
liche Freude  kund  zu  thun.  Die  beiden  Alcesten  sind  über 
die  Ankunft  der  Vaterlandsgenossen  ganz  beglückt,  und 
ich  hoffe  nur,  daß  mich  die  gute  Gesellschaft  nicht  gar  zu 
sehr  von  allen  Ereignissen  dieser  Tage  abziehen  wird,  was 
mir  meine  Freunde  hier  sehr  übel  nehmen  könnten.  Es 
ist  zu  schön,  meinen  Gluck  so  nach  und  nach  durch  Ihre 
Sorgfalt  vervollständigt  zu  sehen. 

Wie  gern  hätte  ich  Ihnen  auch  durch  einen  musika- 
lischen Gruß  zum  Fest  eine  Freude  bereitet.  Mir  ist  aber 
gar  nichts  in  den  Sinn  gekommen,  das  Ihrer  würdig  wäre, 
und  das  Sie  nicht  schon  hätten.  Das  Schwind'sche  Mär- 
chen ^),  das  seit  lange  ein  Liebling  von  mir  ist,  wird  Ihnen 
hoffentlich  und  den  Kindern  eine  willkommene  Anregung 
sein;  ich  habe  es  in  München  bestellt,  und  es  ist  wohl 
jetzt  bei  Ihnen. 

Grüßen  Sie  alle  von  Herzen  von  mir  und  kommen  Sie, 
verehrte  Freundin,  bald  zu 

Ihrem  treuergebnen 

Joseph  Joachim. 

*)  von  den  sieben  Raben. 


An  Clara  Schumann  271 

P.  S.  Von  dem  glücklichen  Erfolg  des  Requiems  in 
Köln  mündlich.  Es  ist  ein  großer  Fortschritt  von  Scholz 
in  dem  Werk  gegen  frühere  Arbeiten  erkennbar,  und  es 
ist  mir  lieb,  daß  ich  es  gehört.  —  Von  Grimms  aus  Rom 
hatte  ich  gute  Nachrichten.  Johannes  schweigt.  —  Ein 
Oelbild  Beethovens  1) ,  mit  dem  mich  Frau  Herstatt  über- 
rascht, wird  Ihnen  gefallen.  Ich  freue  mich  schon,  es  Ihnen 
zu  zeigen. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  d.  29.  Jan.   i863.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

ben  habe  ich  an  Ihre  Schwester  Clementine  2)  nach 
London  geschrieben,  um  ihr  einen  Empfehlungsbrief 
an  Halle  zu  schicken;  das  beschwichtigt  aber  meinen 
W^unsch,  von  Ihnen  zu  hören,  nicht!  Und  ich  bekomme 
wohl  schwerlich  etwas  zu  wissen,  wie's  Ihnen  auf  der  Reise 
geht,  falls  ich  nicht  frage?  Graf  Platen  erzählt  mir,  daß 
Sie  vorgestern  in  Köln,  wo  er  war,  gespielt  hätten.  Da  ich 
mich  aber  nie  auf  den  Fuß  vertraulicher  aesthetischer  Mit- 
theilung mit  ihm  gestellt  hatte,  weiß  ich  nicht,  ob  er  Sie 
gehört  habe,  was  man  einem  Andern  freilich  an  der  bloßen 
Erzählung  schon  angemerkt  hätte!  Wie  war  Woldemar's 
Psalm? 3)  Auch  darüber  wüßte  ich  gerne  etwas,  und  ich 
hoffe,  Sie  schreiben  mir  davon.  Wir  haben  gestern  Abend 
in  der  Singakademie  die  i"^  Chorprobe  zum  Faust  gehalten. 
Es  wird  rechte  Mühe  kosten ;  ich  hatte  gar  keine  Idee,  wie 
sauer  man  sich  das  mit  den  Dilettanten  werden  lassen  muß. 

*)  von  Julius  Schrader,  jetzt  im  Beethovenhaus  in  Bonn. 
^)  Gl.  Bargiel,  Stiefschwester  Clara  Schumanns. 

*)  27.  Januar  spielte  Frau  Schumann  in  Köln  das  Esdur-Konzert  von 
Beethoven,  Bargiel  dirigierte  seinen  XIII.  Psalm. 


E 


272  An  Clara  Schumann 

Wie  mit  dem  Abc  muß  jede  der  vier  Chorstimmen  einzeln 
erst  buchstabiren  lernen,  und  es  schwindelte  mir  ordent- 
lich bei  dem  Gedanken,  daß  da  in  6  bis  8  Wochen  Geist 
hinein  gebracht  werden  soll,  —  Stockhausen  hilft  uns  einst- 
weilen in  Kolmar  einstudiren!  Seinem  zweiten  Ver- 
sprechen zu  Folge  soll  er  übermorgen  eintreffen;  wir 
wollen  sehen,  was  der  Telegraph  bringt!  Ich  freue  mich 
aber  doch,  den  Faust  von  ihm  zu  hören,  und  wollte,  er 
wäre  da. 

Es  wird  Ihnen,  glaube  ich,  lieb  sein,  den  Beschluß  meiner 
schwebenden  Hannoverischen  Frage  zu  vernehmen.  Er 
wird  Ihnen  namentlich  befriedigend  erscheinen.  Der  König 
hat  mir  nach  einer  2  stündigen  Audienz  den  Vorschlag  ge- 
macht: bloß  4  Monate  in  Hannover  zu  leben,  meinen 
Aufenthalt  gleichsam  als  einen  Abstecher  zu  betrachten, 
um  meine  Beziehungen  zu  ihm  und  dem  Orchester  nicht 
aufzugeben.  Außerdem  sollten  mir  in  den  8  Concerten 
zwei  Choraufführungen  größerer  Werke  zugesichert  wer- 
den, und  sonstige  Verbesserungen  für  das  Institut  etc.  etc. 
Kurz,  ich  habe  der  fast  rührenden  Vorsorge,  mit  welcher 
der  König  meinen  Absichten  zu  begegnen  wußte,  nicht 
widerstehen  können.  Statt  mir  nach  meiner  Kündigung  zu 
grollen,  entwaffnete  er  mich  mit  dem  Ausspruch,  daß  für 
ihn  und  die  Königin  die  Freude  an  der  Lieblingskunst  ver- 
schwinden würde,  wenn  ich  ganz  gienge.  Das  ist  edel,  und 
wenn  ich  auch  leider  vieles  Verkehrte  an  seinem  politi- 
schen Charakter  sehe,  muß  ich  gestehen,  daß  der  König 
sich  privatim  fast  als  väterlicher  Freund  benommen  hat. 
Er  betonte,  daß  wir  einen  neuen  Contrakt^)  abgeschlossen 
hätten,  daß  es  mich  also  nicht  als  eine  bloße  Gnade  be- 
drücken könnte,  so  lange  von  Hannover  fern  sein  zu  dürfen, 
u.  meine  Freiheit  zu  genießen.  Man  wollte  lebensläng- 
lich abschließen,  das  habe  ich  abgelehnt. 

Ich  wurde   in  der  vorigen   Woche  durch  einen  höchst 
*)  Der  neue  Kontrakt  wurde  am  i.  März  unterzeichnet. 


An  Th.  Ave-Lallemant  278 

anregenden,  liebenswürdigen  Besuch  erfreut,  vom  Dichter 
Björnsjerne  Björnson,  einem  Norweger,  dessen  kräftige, 
poetische  Schriften  ganz  seiner  edlen  Persönlichkeit  ent- 
sprechen. Ich  glaube,  ich  hatte  Ihnen  und  Fräul.  Marie 
einmal  seinen  „Arne"  zu  lesen  gegeben.  Seien  Sie,  ich 
bitte,  erst  mir  zu  lieb  freundlich  gegen  Björnson;  bald 
werden  Sie  ihn  um  seiner  selbst  willen  gern  sehen.  So 
wahren  und  tiefen  Naturen  begegnet  man  selten!  Mit 
freundlichem  Gruß  an  Fräulein  Marie 

Ihr 

Joseph  Joachim. 

An  Th.  Ave-Lallemant 

Hannover  am  3i.  Januar  [i863]. 

Lieber  Ave. 

Wenn  ich  warten  soll,  bis  ich  Dir  sagen  kann,  ob  ich 
Ende  April  zu  Euch  komme,  so  dauert  das  mir  zu 
lange,  um  Dir  für  Deine  herzlichen  Briefe  zu  danken.  Ich 
habe  nämlich  halb,  oder  vielmehr  ^j^  die  Idee,  daß  ich  Ende 
März  nach  Rom  gehen  werde!  Ostern  dort  zubringen, 
dann  nach  Florenz,  und  vielleicht  später  nach  Neapel ! 
Aber  entschieden  wird  erst  Ende  Februar's  darüber.  Frei 
bin  ich  Ende  März,  denn  mein  neuer  Contrakt,  den  mir 
der  König  persönlich  nach  meiner  Kündigung  an  die  In- 
tendanz anbot,  verpflichtet  mich  bloß,  4  Monate  jährlich 
(mit  Beibehaltung  des  Gehalts)  in  Hannover  zu  bleiben. 
So  menschlich  schön  hat  sich  der  König  persönlich  be- 
nommen, so  besorgt  für  mein  Wohl,  und  bloß  immer  be- 
tonend, daß  weder  er  noch  der  Geringste  im  Orchester 
mich  entbehren  wollte,  nachdem  man  sich  einmal  10  Jahre 
an  den  Gedanken  gewöhnt,  mich  hier  zu  haben,  daß  ich 
wirklich  kein  Herz  im  Leibe  fühlen  müßte,  sollte  es 
nicht  Eindruck   auf  mich  machen.    Und  es  ist  doch  ein 


274  An  Th.  Ave-Lallemant 

Segen  für  mich,  daß  es  so  gekommen.  Denke  an  die  Un- 
abhängigkeit vom  alltäghchen  Concert- Treiben  und  an 
den  Wirkungskreis,  der  mir  für  meine  besten  Kräfte  ge- 
bheben!  Denn  ich  habe  mir  auch  2  Choraufführungen, 
regehnäßige  Orchesterproben  und  größere  Unabhängigkeit 
für  die  Programme  im  neuen  Contrakt  bedungen.  Nun, 
mündhch  mehr  über  all  dies;  denn  Du  wirst  doch  wohl 
zur  Faustaufführung,  etwa  Mitte  März,  kommen?  Stock- 
hausen wird  den  Faust  singen.  Ob  er  vorher  beim  Ein- 
studiren viel  helfen  wird,  wollen  wir  dahin  gestellt  sein 
lassen:  .  .  .  Einstweilen  haben  Scholz  und  ich  die 
i"^  Probe  mit  der  Singakademie  gehalten,  auch  der  Dom- 
chor soll  dazu  genommen  werden.  Scholz,  im  Verkehr  mit 
mir  der  unegoistischste  Freund,  hat  von  vornherein  mir 
die  Freude  zugedacht,  die  Sache  schließlich  zu  dirigiren, 
da  er  weiß,  wie  nahe  ich  Schumann's  stehe.  Die  geistige 
Arbeit  des  Einstudirens  wollen  wir  uns  theilen,  und  ich 
freue  mich  darauf,  denn  Scholz  ist  ein  fixer  Musiker  und 
ein  nobler  Mensch.  Aber  Mühe  wird  die  Sache  kosten; 
der  2'*^  Theil  ist  sehr  schwer,  und  die  Kräfte  sind  sehr 
dilettantisch!  —  Was  soll  ich  zu  Eurem  Plan  mit  Stock- 
hausen nun  eigentlich  nachträglich  noch  sagen.  Du  weißt^ 
ich  habe  die  größte  Hochachtung  vor  Stockh.s  Gesangs- 
talent, und  er  ist  wohl  der  beste  Musiker  unter  den 
Sängern;  aber  wie  man  bei  der  Wahl  zwischen  ihm  und 
Johannes  als  Leiter  eines  Concert-Instituts  sich  für  erstem 
entscheiden  kann,  das  verstehe  ich  mit  meinem  be- 
schränkten Musikerverstand  nicht!  Gerade  als  Mensch 
eben,  auf  den  man  bauen  kann,  steht  mir  Johannes  mit 
Begabung  und  Willen  erst  recht  hoch !  Es  gibt  nichts,  das 
er  nicht  fassen  und  mit  seinem  Ernst  erobern  könnte! 
Du  weißt  das  eben  so  gut  wie  ich  —  und  wäret  Ihr  ihm 
mit  Vertrauen  und  Liebe  alle  im  Comite  und  Orchester 
entgegengekommen  (wie  Du  als  Freund  es  privatim  immer 
thatest),    statt   mit   Zweifel    und  Protektoren-Mienen,    es 


An  Th.  Ave-Lallemant  276 

hätte  seiner  Natur  die  Herbheit  genommen,  während  es 
ihn  bei  seinem  Patriotismus  für  Hamburg  (der  fast  kindhch 
rührend  ist)  immer  bittrer  macheu  muß,  Sich  (für  einen 
viel  Geringeren  an  Talent  und  Charakter)  hintangesetzt 
zu  sehen.  Ich  darf  nicht  daran  denken,  um  nicht  zu 
traurig  zu  werden,  daß  seine  engern  Landsleute  sich  das 
Mittel  aus  der  Hand  gegeben  haben,  ihn  befriedigter, 
milder  und  seine  genialen  Leistungen  genießbarer  zu 
machen.  Ich  möchte  dem  Comite  moralische  Prügel 
(und  körperliche  dazu!)  geben,  daß  es  Dich  mit  Deinen 
Absichten  im  Stich  gelassen  hat.  Die  Kränkung  Johannes' 
wird  die  Kunstgeschichte  nicht  a ergessen.  Doch  „Basta"  ^). 
In  der  Bewunderung  der  Altistin  Fräul.  Weis  treffen 
wir  wieder  einmal  recht  zusammen,  lieber  Ave!  Ich  meine, 
man  hört  es  der  Stimme  schon  an,  eine  wie  reine,  tiefe 
Natur  in  dem  Mädchen  wohnt,  das  seit  dem  18'*"  Jahr 
den  Vater  verloren  hat,  und  später  Mutter  und  Schwester 
am  Todtenbett  pflegend,  unberührt  von  jeder  Spur  des 
Theatertreibens  in  der  weltlichen  Kaiserstadt  geblieben  ist. 
Da  ist  die  warme  Kunstliebe  einmal  wieder  recht  eine 
Wundergabe  vom  Himmel  gewesen,  und  ich  glaube,  daß 
das  edle  Mädchen  bei  der  Echtheit  ihres  Strebens  immer 
höheres  erreichen  wird,  sich  und  andern  zum  Trost.  Be- 
scheidenheit und  Ehrgeiz  gehen  aber  auch  hier,  wie  sie 
sollen,  Hand  in  Hand!  —  Da  schreibe  ich  aber  nun  schon 
den  3'*"  Bogen!  Nur  noch  die  Frage,  wie  es  Rose  ergangen? 
Grüße  ihn  vielmals,  und  auch  die  lieben  Deinen  auf  das 
Allerherzlichste.  Sie  mögen  mich  nicht  vergessen. 
Treu  ergeben 

Dein 

Joseph  J. 


*)  Brahms   hat  die  Zurücksetzung  zeitlebens   nicht   verwunden,   vgl. 
seinen  Brief  an  Clara  Schumann  und  deren  Antwort  bei  Litzniann  III  i3i  fF. 

18* 


276  Von  Clara  Schumann 


Von  Clara  Schumann 

Düsseldorf  d.  2  Februar  i863. 

Lieber  Joachim, 

Sie  vermutheten  sehr  richtig,  daß  ich  über  die  nun  end- 
lich glückliche  Lösung  Ihrer  hannoverschen  Ange- 
legenheit die  herzlichste  Freude  haben  würde.  So  bleiben 
Sie  doch  wenigstens  eine  Zeit  immer  in  Deutschland  — 
oh,  wäre  es  nie  mehr  in  England! 

Das  Benehmen  des  König's  ist  schön,  fast  könnte  man 
es  großmüthig  nennen,  wäre  nicht  zu  sehr  sein  eigner  Ge- 
winn dabei  im  Spiele.  Ihre  Nachricht  erweckt  bei  Allen, 
denen  ich  es  erzähle,  Freude,  gestern  auch  bei  Hiller,  der 
Sie  herzlich  grüßen  läßt.  Daß  Sie  nicht  auf  einen  lebens- 
länglichen Contract  eingingen,  war  sehr  recht  —  ein  Mann 
von  Sa  Jahren  wird  sich  solche  Fessel  doch  nicht  anlegen. 

In  Cöln  habe  ich  ein  paar  angenehme  Tage  verbracht. 
Daß  gerade  Graf  Platen  es  gewesen  sein  mußte,  der  den 
Abend  das  Es  dur  Goncert  gehört,  thut  mir  leid,  ein  An- 
derer als  Er  hätte  Ihnen  vielleicht  recht  gutes  davon  er- 
zählt, denn  die  Musiker  schienen  Alle  sehr  befriedigt,  die 
Hauptsache  aber,  ich  fühle  selbst,  wie  ich  es  jetzt  besser 
denn  je  spiele.  Woldemar's  Psalm  ist  sehr  gut  ausgefallen, 
die  ersten  Sätze  davon  sind  aber  auch  wirklich  recht  schön, 
wenn  auch  nicht  originell,  leider  ist  der  letzte  Chor  so  lang 
und  monoton,  daß  er  der  Wirkung  des  Ganzen  offenbar 
schadet,  doch  Sie  kennen  Woldemar,  der  sieht  das  nicht 
ein,  obgleich  es  ihm  Alle  gesagt.  Einen  großen  Fortschritt 
scheint  er  mir  doch  gemacht  zu  haben,  obgleich  ich  immer 
bei  meiner  Ansicht  bleiben  muß,  daß  ein  solches  Werk 
mehr  oder  weniger  in  der  Welt  von  gar  keinem  Gewicht 
ist  und  gewiß  bald  zu  den  vergessenen  zählt.  Sein  Com- 
ponistenglück  war  mir  aber  rührend  anzusehen,  er  war  in 
einer  so  freudigen  Aufregung,  wie  ich  Ihn  nie  gesehen.  . . . 


An  Herrn  an  Grimm  277 

Hier  ist  man  jetzt  viel  mit  dem  Musikfest  beschäftigt. 
Denken  Sie,  man  schrieb  der  Lind,  ob  sie  singen  wolle, 
und  diese  antwortete  sogleich,  sie  wolle  gratis  singen,  wenn 
man  ihren  Mann  das  Fest  dirigieren  lassen  wolle!  welch 
gränzenlose  Ehrsucht!  sie  muß  doch  den  Mann  gar  nicht 
lieben,  daß  sie  Ihn  so  der  Welt  aufdringt,  wie  so  unweiblich 
von  Ihr,  und  unmännlich  von  Ihm!  —  Aber  denken  Sie, 
an  wen  man  noch  denkt,  an  Wagner!  Die  Musikfeste 
w  erden  hier  in  Düsseldorf  immer  mehr  Erwerbszweig,  der 
eigentliche  Kunstzweck  wird  ganz  hintenan  gesetzt. 

An  Herman  Grimm 

[Hannover  Anf,  Febr.  i863.] 

Lieber  Herman. 

Mir  bleibt  auf  alle  so  lang  unbeantwortet  gebliebenen 
Liebeszeichen  von  Dir  und  Gisel  in  meiner  LTngeduld 
nur  eine  Frage,  die  so  rasch  wie  möglich  zu  Euch  will, 
und  die  ich  Dich  und  Deine  Gisel  in  aller  Einfachheit  und 
Aufrichtigkeit  zu  beantworten  bitte:  W^ollet  Ihr  mich  zum 
Ende  des  nächsten  Monats  in  Rom  sehen,  sollen  wir  da 
Char-  und  Osterwoche  zusammen  erleben,  und  ich  Euch 
dann  nach  Florenz  nachkommen?  Ich  könnte  das  bequem 
so  einrichten,  wenn  Ihr  mir  gleich  Eure  Meinung 
sagt.  Mir  wäre  es  eine  unaussprechliche  Freude,  einen 
Wunsch,  dessen  Erfüllung  ich  aufgegeben  hatte,  nun  noch 
zu  thätigem  Leben  erblühen  zu  sehen.  Äußerlich  stehet 
nichts  im  Weg  —  ich  habe,  nach  meiner  officiellen  Kün- 
digung in  aller  Form,  neue  Vorschläge  des  Königs  ange- 
nommen, die  mich  nur  zu  4  ^monatlichem  Aufenthalt  in 
Hannover  kontraktmäßig  verpflichten  und  mir  außer- 
dem ein  erweitertes  Wirken  während  dieser  Zeit  (z.  B.  mit 
Chorkräften)  zusichern.  Die  Nachgiebigkeit  und  Milde  des 
Königs,  der  mir  sagte,  daß  er  dem  Freiheitsbedürfniß  des 


An  Th.  Ave-Lalleinant 


Künstlers  gern  entgegen  kommen  wolle,  waren  unwider- 
stehlich. Ich  sollte  meinen  Aufenthalt  in  Hannover  wie 
eine  Concertreise  betrachten,  bei  der  ich  die  Freude  des 
Dirigirens  in  den  Kauf  nehme.  Mein  Gehalt  bleibt  wie  für 
das  ganze  Jahr. 

Aber  ich  habe  gar  nicht  den  Muth,  mit  meinem  bösen 
Gewissen  Eurer  liebevollen  Art  gegenüber  mehr  zu  schreiben. 
Antwortet  auf  meine  Frage,  zum  Zeichen,  daß  Ihr  nicht 
böse  seid.  Die  kleine  gedruckte  Weihnachtsanzeige  habe 
ich  schon  lange  für  Gisel  in  der  Tasche;  Du  mußt  sie 
nicht  lesen,  aber  ihr  wird's  Spaß  machen.  Mir  ist  Dein 
Michel  Angelo  ein  Buch  für's  ganze  Leben.  Ich  habe 
Photographien  und  Tüchelchen  erhalten. 

Adieu  für  heut! 

Euer 

J.  J. 

An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover  9.  Febr.  i863.] 
Lieber  Ave. 

Der  junge  Auer  wird  ja  wohl  zu  Dir  kommen,  und  da 
ist's  sicherer,  Dir  den  inliegenden  Brief  für  ihn  an- 
zuvertrauen, als  poste  restante  zu  schreiben.  Wenn  Du 
etwa  für  den  begabten  Jungen  was  thun  könntest,  so  wäre 
das  sehr  schön.  Mich  dauert  das  junge  Blut,  das  so  in  der 
Welt  herumziehen  muß;  und  der  gute  alte  Vater  versteht 
den  Concertrummel  nicht  einmal. 

Zu  meinen  Bemerkungen  über  Stockhausen  von  neulich 
muß  ich  denn  nun  hinzufügen,  daß  er  Chorsachen  mit 
großem  Enthusiasmus  einstudirt.  Und  es  hat  doch  einen 
ganz  besondern  Schick,  wenn  so  ein  Dirigent  auch  gleich 
mit  der  Stimme  zeigen  kann,  wie  er's  meint.  Hat  man 
Stockhausen  aber  singen  gehört,  so  gewinnt  man  ihn  immer, 
trotz  allem  was  man  gegen  ihn  hatte,  wieder  lieb!  —  Über 


An  Frau  Klingemann  in  Bonn  379 

den  20"^"  hat  ja  Stockh.  geschrieben,  ich  brauche  es  also 
nicht.  Apropos,  meine  Bemerkungen  über  Fräul.  Weis 
bleiben  ja  ^vohl  ganz  unter  uns;  Du  verstehst  so  was,  aber 
die  meisten  Leute  könnten  meinen,  ich  wäre  was  man  so 
„verliebt"  nennt,  während  ich  wirklich  ein  ganz  reines 
Interesse  walten  ließ,  als  ich  schrieb.  Zum  Faust  sollst  Du 
von  Herzen  willkommen  sein. 
Grüße  vielmals  alle  die  Deinen! 

J.  J. 

An  Frau  Klingemann  in  Bonn 

[Hannover  16.  Febr.  i863. 
Liebe  Frau  Klingemann! 

Nur  etwas  sehr  Ungewöhnliches  in  der  That  konnte 
mich  veranlassen,  die  inliegenden  Blätter  weniger 
gewissenhaft  zu  behandeln,  als  Inhalt  und  Ihre  Güte  bei 
der  Übersendung  verdienten. 

Rathen  Sie  nichts  bei  diesem  Eingang?    Ich  will  es  auf 
alle  Fälle  hinschreiben,  weil  es  mir  gar  zu  herrlich  klingt :  ich 

bin  verlobt! 
Seit  wenig  Tagen  i),  und  deßhalb  müssen  Sie  mir  auch  ver- 
zeihen, wenn  ich  mich  sehr  kurz  fasse:  Ihnen  meine  Braut 
und  mein  Glück  beschreiben  kann  ich  nicht.  Sie  werden 
sie,  hoffe  ich,  am  Rhein  im  Sommer  kennen  lernen.  Sie 
ist  Sängerin,  eine  Oesterreicherin ,  die  Tochter  eines  Be- 
amten, eine  Waise,  mit  einer  wunderbar  seelenvollen  Alt- 
stimme und  großem  dramatischen  Talent,  sie  will  aber 
dem  häuslichen  Glück  selbst  ihren  Beruf,  für  den  sie  be- 
geistert war,  opfern.  Schneeweiß  ist  ihr  Name  (auf  der 
Bühne  Weis). 

Und  nun  Adieu!    Ich  werde  auch  an  Miß  Sophy^)  end- 

^)  seit  dem  1 1  ten  Februar. 
«)  S.  Horsley,  vgl.  I  333. 


aSo  An  Clara  Schumann 

lieh  schreiben;  die  wird  staunen.  Hätte  ich  doch  selbst  nie 
geglaubt,  jemals  ein  Bräutigam  zu  werden!  An  Lenchen 
herzlich  gute  Besserung. 

Ganz  ergeben,  verehrte  Frau, 

Ihr 

Joseph  Joachim. 

An  Ave-Laliemant 

[Hannover  i8.  Febr.  i863.] 

Liebster  Ave 

Als  ich  Dir  neulich,  zwei  Tage  vor  meiner  Verlobung 
schrieb,  wußte  ich  nicht,  daß  meine  tiefe,  tiefe  Nei- 
gung erwidert  würde.  Nun  weißt  Du  wohl  schon  durch 
Stockhausen  von  meinem  Glück.  Was  ich  zuerst  Dir  von 
meiner  Verlobten  schrieb,  wird  für  mich  immer  wahr 
bleiben,  auch  wenn  ich  nicht  mehr  „verliebt"  bin,  wie 
es  die  Leute  nennen.  Ich  habe  dieser  Tage  viel  zu  schreiben 
gehabt,  nimm  daher  mit  diesen  Worten  fürlieb,  die  Dir 
nur  von  mir  direkt  die  Verlobung  kund  thun  sollen.  Auch 
Deiner  verehrten  Frau.  Möget  Ihr  mir  und  meiner 
künftigen  Frau  immer  die  gütigen,  treuen  Freunde  bleiben! 

Dein 

Joseph  Joachim. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  i8.  Februar  i863]. 
Liebe,  verehrte  Frau  Schumann 

Es  würde  meinem  Herzen  weh  thun,  wenn  Sie  eine 
Nachricht,  die  mein  ganzes  Leben  umwandelt,  zuerst 
von  andern  erführen;  und  so  muß  ich  Ihnen,  wenn  auch 
noch  so  flüchtig,  Kunde  schicken  von  dem  großen  Glück, 


xVii  Clara  Schumann  281 

das  mich  in  dieser  Zeit  erfülh.  Mit  ganzer  Macht!  Ich 
bin  mit  Fräulein  Weis  verlobt.  Ihr  eigentlicher  Name  ist 
Schneeweiß,  und  da  sie  der  Bühne  entsagt,  so  sollte  ich 
Ihnen  meine  Braut  nicht  mit  dem  Bühnennamen  vorstellen ! 
Aber  Sie  kennen  sie  ja  schon.  Und  doch  auch  nicht;  denn 
Ihnen  gegenüber  war  sie  so  schüchtern  und  beklommen, 
wie  es  eben  einem  durch  und  durch  bescheidenen  Mädchen 
bei  aller  herrlichen  Begabung  gegenüber  der  vollendeten, 
längst  verehrten  Meisterin  ziemt.  Noch  gestern,  als  ich 
ihr  vor  ihrer  Abreise  nach  Leipzig  die  Frage  stellte,  ob 
ich  Sie  nicht  vielmals  grüßen  sollte,  meinte  meine  Braut 
„Ja,  darf  ich  denn  das,  eine  so  große  Künstlerin?"  Ich 
beruhigte  sie  aber  darüber,  daß  Sie  bei  uns  immer  zuerst 
an  die  Freunde,  und  dann  an  die  Künstler  dächten,  sie 
wenigstens  nicht  trennten.  Das  dürft  ich  doch?  Und  so 
schicke  ich  Ihnen  und  Fräulein  Marie  denn  unsere  wärm- 
sten Grüße  aus  vollem  Herzen  und  bitte,  daß  Sie  beide  sie 
recht  bald  erwidern  mögen,  damit  wir  uns  Ihrer  Theil- 
nahme  freuen  können  in  dieser  wunderbaren  Zeit,  Wir 
sind  erst  wenig  Tage  verlobt  und  dachten  erst,  nichts  davon 
in  Hannover  zu  sagen  —  aber  es  wäre  dies,  da  ich  dann 
meine  liebe  Ursi  nur  hätte  bei  Scholzens  sehen  können, 
gar  zu  hartes  Versteckensspielen  gewesen!  Und  so  soll 
denn  die  Freudenpost  in  den  lieben  Frühling  hinein,  wie 
die  helle  Sonne,  die  uns  seit  dem  Tag  der  Verlobung 
noch  nicht  gefehlt  hat,  Gedenken  Sie  unser  bald,  theure 
Freundin ! 

Ihr  altergebener 

Joseph  Joachim. 

P.  S.  Mein  Brief  kömmt  mir  beim  Durchlesen  so  anders 
vor,  als  ich  Ihnen  zujubeln  möchte  —  es  ist,  als  fehlte  mir 
noch  der  Athem  zum  Sprechen!  Aber  die  Hauptsache 
steht  darin. 


282  Von  Clara  Schumann 

An  Th.  Ave-Lallemant 

[Mitte  Febr.   i863.] 
Lieber  Freund. 

Du  kannst  so  recht  aus  dem  Herzen  Briefe  schreiben, 
daß  man  denkt,  man  sähe  Dir  beim  Lesen  in's  treue, 
gütige  Gesicht !  Hab'  Dank  für  die  Wärme,  die  auch  meine 
hebe  Braut  erquickte,  denn  wir  lasen  den  Brief  zusammen. 
Habe  ich  Dir  schon  gesagt,  daß  Weis  bloß  der  Bühnen- 
name meiner  Ursi  ist?  Sie  heißt  Schneeweiß.  Ist  das  nicht 
schön?  Du  kannst  Johannes^)  das  Märchen  vom  Snee witt- 
chen erzählen  und  ihn  mit  den  altern  Geschwistern  herz- 
lich grüßen.  Nach  Hamburg  komme  ich  jetzt  nicht;  ich 
könnte,  wenn  ich  mit  bei  Otten  spielte,  die  Idee  nicht  los 
werden,  daß  wir  auf  die  Theilnahme  des  Publikums  für 
unsern  Brautstand  spekulirten!  Hätte  nneine  Braut  nicht 
ein  altes  Versprechen  zu  lösen  bei  Otten,  sie  reiste  jetzt 
auch  nicht  so  oft  fort  von  hier. 

Addio,  und  danke  Deiner  lieben  Frau  für  die  freund- 
schaftliche Theilnahme. 

In  alter  Ergebenheit 

Joseph  Joachim. 

Von  Clara  Schumann 

Lyon  d.  22.  Febr:   i863. 

Mein  theuerer  Freund, 

Was  das  Herz  bei  dem  Glücke  eines  geliebten  Freundes 
bewegen  kann,  das  empfand  ich,  als  ich  Ihren  Brief 
las.  Ich  habe  lange  weinen  müssen  —  es  giebt  ein  Glück,  das 
so  viel,  so  Alles  in  sich  faßt,  daß  die  Freude  darüber  sich 

*)  Aves  kleinem  Sohn. 


Von  Clara  Schumann  a83 

in  Wehmuth  auflöst.  Könnte  ich  Ihnen  doch  sagen,  was 
ich  fühle,  für  Sie  Beide  wünsche!  möchten  Sie  ein  eben 
solches  Glück  genießen,  wie  mein  Robert  und  ich  es 
empfunden  —  Besseres  kann  ich  Ihnen  nicht  wünschen. 
Und  wie  freut  mich  Ihre  Wahl!  vom  ersten  Augenblicke 
an,  wo  ich  Ihre  Braut  sah,  gefiel  sie  mir  so  gut.  Ich  hoffe, 
es  wird  die  Zeit  kommen,  wo  sie  in  ihres  Mannes  Freundin 
auch  die  ihrige  sieht.  Thuen  Sie,  lieber  Joachim,  das 
Ihrige  dazu,  lassen  Sie  mich  auch  ferner  Ihnen  nahe  stehn, 
Sie  wissen  ja,  wie  Ihre  Freundschaft  seit  Jahren  so  ganz 
mir  zu  meinem  innersten  Leben  gehört,  und  so  wird  es 
immer  bleiben.  Wann  werden  Sie  denn  nun  heirathen? 
Doch  wohl  im  F'rühjahr,  im  schönen  Monat  Mai?  und 
dann  gehen  Sie  wohl  nach  Rom?  und  wenn  Sie  zurück- 
kehren, dann  gedenken  Sie  meiner  und  besuchen  mich 
mit  Ihrer  geliebten  Gattin  in  Baden?  ach,  ich  bin  so  glück- 
lich darüber,  daß  Ihnen  nun  doch  auch  zu  Theil  wird, 
was  des  Lebens  Höchstes  ist!  — 

Sie  hätten  meine  Antwort  früher  erhalten,  aber  wie 
Sie  sehen,  bin  ich  in  Lyon  und  erhielt  Ihren  Brief  erst 
gestern  Abend  vor  dem  Concerte  hier.  Es  war  recht 
schlimm  für  mich,  denn  ich  konnte  nichts  anderes  denken, 
als  an  Sie. 

Ich  lege  einige  Zeilen  an  Ihre  liebe  Braut  bei,  die  ich 
schon  ganz  lieb  habe,  durch  sie  erfahre  ich  wohl  auch 
bald  wieder  von  Ihnen?  bitte,  lassen  Sie  mich  nicht  gar 
so  lange  ohne  Nachricht  jetzt,  bedenken  Sie,  wie  viel  meine 
Gedanken  bei  Ihnen  sind,  so  Alles  wissen  möchten!  wie 
beneide  ich  Scholzens,  die  sich  Ihnen  jetzt  thätig  als 
Freunde  zeigen  können,  w^ährend  ich  fern  stehen  muß 
und  doch  ein  weit  älteres  Anrecht  hätte!  nennen  Sie  dies 
weibliche  Schwäche,  es  ist  nun  aber  einmal  so,  ich  kann 
nicht  anders. 

Daß  Mariens  innigste  Wünsche  sich  mit  den  meinen 
vereinen,  können  Sie  sich  denken. 


284  An  Jul.  O.  Grimm  nach  Münster 

Jetzt  leben  Sie  wohl,  und  gedenken  Sie  mit  Ihrer  Braut 
zuweilen  auch  'mal  meiner,  die  Ihnen  für  alle  Zeit  bleibt 

Ihre 

treueste  Freundin 

Gl.  Seh. 
Könnte  ich  nur  einmal  Ihr  Glück  sehen! 

An  Jul.  O.  Grimm  nach  Münster 

[Hannover  etwa  22.  Febr.  i863.] 

Lieber  Ise 

Y erzeihe,  wenn  ich  nicht  schon  früher  sagte,  wie  wohl 
mir  Eure  herzliche  Theilnahme  für  unser  junges  Glück 
thut!  Ja,  ich  hätte  selbst  nie  gedacht,  daß  ich  mit  solcher 
Gewalt  zu  der  Gründung  eines  häuslichen  Heerdes  hin- 
gezogen werden  sollte.  Es  ist  mir  noch  immer,  als  träumte 
ich,  und  selbst  die  gesellschaftlichen  Pflichten,  welche  das 
Sichverloben  nach  sich  führt  in  Gestalt  von  Formalitäten, 
stören  mich  kaum  auf  aus  dem  seligen  Traum;  ich  bin 
unbeschreiblich  glücklich  mit  meiner  zukünftigen  Frau! 
Es  freut  mich,  daß  Ihr  sie  so  bald  in  ihrer  Echtheit  er- 
erfaßt habt.  Abgesehen  von  ihrem  Talent  bringt  mir  jede 
Stunde  neue  Kunde  ihrer  Tiefe,  ihrer  Geistesfrische.  Sage 
auch  Pine  meinen  wärmsten  Dank  für  ihren  Glückwunsch. 
Agathe  bewährt  sich  als  liebe,  edle  Freundin  uns  gegen- 
über. Sie  wird  Euch  geschrieben  haben.  —  Was  nun  die 
Aufforderung  zum  Concert  anlangt,  so  glaube  nur,  liebster 
Ise,  daß  ich  ganz  gut  Deine  Motive  verstehe  und  billigen 
muß.  Unglücklicher  Weise  hat  meine  Braut  schon  so 
manche  vor  der  Verlobung  gegebene  Versprechen,  zu 
singen,  abzuthun;  und  ich  kann  Dir  sagen,  daß  diese  Un- 
stätigkeit  im  Aufenthalt  uns  beiden  schon  die  unleidlichsten 
Tage  bereitet  hatte.  Es  kömmt  hinzu,  daß  sie  nun  von 
der  Intendanz  das  Opfer  verlangen  muß,   sie  vor  Ablauf 


Von  Herman  Grimm  285 

ihres  Kontrakts  frei  zu  lassen,  und  darum  nicht  zu  oft 
um  kleine  Gefälligkeiten  bitten  soll.  Wir  sind  darüber 
beide  einig,  und  so  glaube  ich,  [daß]  Du  und  die 
Münsteraner  mit  ihr  Nachsicht  haben  werdet,  wenn  sie 
nicht  zusagen  kann.  Morgen  geht  sie  nach  Hamburg; 
neulich  war  sie  schon  3  Tage  in  Leipzig,  und  noch  sind 
wir  nicht  i4  Tage  verlobt!! 

Liebster  Grimm,  Deines  Namensvetters  Buch ')  will  sich 
Dir  zu  Füssen  legen;  hebe  es  warm  auf,  lasse  es  nicht 
liegen.  Den  i"'"  Theil  hast  Du  ja  wohl  auch  von  mir; 
nicht  wahr?  An  ßargheer  viele  Grüße;  den  Tartini  will 
ich  für  ihn  (zum  ich  weiß  nicht  wievielsten  Male)  copiren 
lassen.  Deine  Programme  sind,  wie  von  Dir  sich  von  selbst 
versteht!  Du  bist  ja  ein  ganzer  Virtuos.  Viel  Herzliches 
von  allen  Freunden.    Addio 

Dein  J.  J. 

P.  S.  Was  sind  das  für  2  Klavier  Duette  von  Dir?  Ich 
kenne  sie  noch  nicht;  mußt  sie  bald  mitbringen. 

Von  Herman  Grimm 

[Rom]  28.  Februar  i863. 
Piazza  Barberina  2. 

Liebster  Joachim, 

Nach  meiner  telegraphischen  Depesche  jetzt  noch  diese 
Zeilen,  um  13ich  zu  bewegen,  sobald  als  möglich  zu 
kommen.  Länger  als  zum  i5.  April  können  wir  kaum 
hier  bleiben.  Eine  Woche  davon  wird  Dir  durch  die  Musik 
in  der  Sistina  (zu  Ostern)  ganz  genommen.  Außerdem  ist 
um  diese  Zeit  alles  Sehenswerthe  geschlossen.  In  8  Tagen 
aber  kannst  Du  so  wenig  sehn,  daß  es  kaum  der  Rede 
werth  ist.  Du  mußt  mindestens  4  Wochen  haben  für  Rom. 
Deshalb  komm,  so  bald  Du  irgend  kannst.    Du  deutetest 

*)  Michel  Angelo  von  Herman  Grimm. 


286  Von  Herman  Grimm 

einmal  an,  es  würde  mißverstanden  werden,  wenn  Du 
sagtest  in  Hannover,  daß  Du  unsertwegen  nach  Rom 
gingst:  lassen  sie  Dich  daraufhin  los,  so  laß  Du  es  immer 
darauf  ankommen,  mißverstanden  zu  werden.  Ich  kann 
Dir  versichern,  es  ist  nothwendig,  daß  Du  so  verfährst. 
Wir  fahren  dann  zusammen  über  Florenz  langsam  nord- 
wärts, gehen  durch  die  Schweiz  und  treffen  zum  Sommer- 
wetter wieder  in  Deutschland  ein. 

Bringe  doch,  soviel  Du  kannst,  gute  Zigarren  mit.  Du 
mußt  sie  aber  in  Civitavecchia  in  kleinen  Packeten  in  Deinen 
Taschen  haben,  sonst  werden  sie  conflscirt. 

Die  mitgeschickte  Recension  zeigt  mir,  daß  X.  sich  den 
guten  Ruf  meines  Buches  etwas  kosten  läßt.  Ich  wollte, 
er  bezahlte  mich  lieber.  Dem  Contrakt  nach  mußte  das 
Honorar  gleich  nach  Beendigung  des  Druckes  ausgezahlt 
werden,  wie  dies  auch  beim  ersten  Bande  geschehn.  Nicht 
nur  aber  hat  er  dies  nicht  gethan,  (ich  hatte  ihn  gebeten, 
es  an  meinen  Onkel  zu  schicken),  sondern  auch  auf  wieder- 
holte Briefe  gar  nichts  von  sich  hören  lassen.  Könntest  Du 
unter  der  Hand  erfahren,  warum?  Das  Geld  wäre  mir 
nämlich  gerade  jetzt  ein  Verlust,  da  ich  darauf  einiger- 
maßen gerechnet  habe. 

Giesel  grüßt  looooomal. 

Dein 

Herman. 

Von  Herman  Grimm 

Rom  den  26.  Februar  i863. 

Liebster  Joachim, 

Du   kannst   Dir   wohl   denken,    wie   uns   Dein  Briefe) 
überrascht  und  erfreut  hat.  Welch  ein  Glück,  daß  Du 
der  grausamen  Einsamkeit,  zu  der  Du  bisher  verurtheilt 

*)  liegt  leider  nicht  vor. 


Von  Herman  Grimm  287 

warst,  so  schön  entronnen  bist.  Ich  sage  nichts  weiter,  als 
daß  wir  Dir  von  ganzem  Herzen  Glück  wünschen.  Giesel 
würde  es  Dir  nicht  bloß  duich  meine  Hand  sagen,  wenn 
das  Schreiben  nicht  für  sie  noch  ein  so  sehr  anstrengendes 
Geschäft  wäre.  Dem  Himmel  sei  Dank,  daß  es  ihr  in  der 
letzten  Zeit  ein  wenig  besser  geht. 

Liebster  Joachim,  Du  schreibst  von  Kommen,  von  der 
Hoffnung,  wirklich  zu  Ostern  hier  sein  zu  können,  und 
lassest  freilich  schon  den  Hinweis  auf  die  Papiere  einfließen. 
Erstens  zweifle  ich  nun  nicht  daran,  daß  ihr  statt  in  4  ^^^ 
8  Wochen  noch  nicht  soweit  sein  werdet,  denn  diese  Dinge 
schleppen  sich  mindestens  sehr  in  die  Länge,  zweitens  aber 
geht  es  wegen  Giesel  nicht.  Bei  Dir  allein  hatten  wir  dar- 
auf gerechnet,  daß  wir  beide,  ich  und  Du,  den  Tag  über 
zusammen  herumliefen  und  Du  Abends  hier  und  da  bei 
uns  wärest,  wenn  Deine  Frau  aber  mit  Dir  ist,  so  läßt  sich 
eine  solche  Zurückhaltung  gar  nicht  durchführen.  Giesel 
würde  sich  anstrengen,  ohne  selbst  zu  wissen,  daß  sie  es 
thäte  vielleicht,  und  es  muß,  bis  daß  sie  wieder  gesund  ist, 
auch  das  Geringste  vermieden  werden,  was  sie  auf  dem 
guten  Wege  aufhalten  könnte.  Laß  uns  deshalb  im  Som- 
mer in  Deutschland  irgendwo  zusammentreffen;  ich  glaube, 
es  ist  das  vernünftigste. 

Nun  lebwohl.  Gieb  uns  doch  von  Zeit  zu  Zeit  Nach- 
richt und  laß  uns  wissen,  wie  die  Dinge  glücklich  weiter 
gehn. 

Dein  Herman. 

Hüpeden  grüßt  und  triumphirt  im  Namen  der  Stadt 
Hannover. 

Meine  herzlichsten  Gratulationen  für  Dich  und  Deine 
Braut. 

Gisela. 


An  Eduard  Möller  in  Bremen 


An  Eduard  Möller  in  Bremen 

[Hannover]  Am  26"="  Febr.  [i863]. 
Verehrter  Freund 

Herzlichen  Dank  für  Ihre  liebenswürdige  Einladung, 
noch  mehr  aber  für  Ihre  theilnahmvolle  Rücksicht. 
So  sehr  es  mich  nun  freuen  würde,  dem,  ich  darf  wohl 
sagen,  befreundeten  Musikpublikum  in  Bremen  mit  meiner 
Braut  in  einem  Concerte  vorgestellt  zu  werden,  halte  ich 
es  doch  für  besser,  wenn  ich  diesmal  noch  allein  komme. 
Es  würde  mich  doch  ein  Gefühl  anwandeln  (und  gerade 
Sie  werden  mir  darin  nicht  Unrecht  geben),  als  appellirte 
man  nicht  rein  an  das  Kunstinteresse  des  Publikums,  und 
mir  widerstrebt  nichts  mehr,  als  das  Hineinmengen  von 
Privatrührungen  und  Empfindungen  in  öffentliche  Be- 
ziehungen! So  nehmen  Sie  denn  mit  mir  allein  fürlieb; 
Sie  sind  doch  wohl  nur  durch  ein  Mißverständnis  Hillers 
darauf  gekommen,  dem  ich  wahrscheinlich  gesagt  haben 
werde,  daß  ich  mir  die  Passionsmusik  in  Cöln  mit  anzu- 
hören gedächte.  Die  verehrte  Bremer  Concertdirektion  aber 
möge  mir  nicht  falsch  auslegen,  wenn  ich  die  Einladung 
für  meine  Braut  (die  heute  in  Hamburg  ist)  dankend  ab- 
lehne; ich  hoffe,  daß  sie  als  meine  Frau  ihre  Musik  nicht 
aufgeben  werde,  und  gewiß  wird  sie  später  nirgends  lieber 
singen  als  in  Bremen,  zu  dem  ich  so  alte  theuere  Be- 
ziehungen habe.  —  ...  Das  Beethoven'sche  Concert  ist  mir 
ganz  recht;  vielleicht  Adagio  &  Rondo  von  Kreutzer  als 
2'^^  Stück!  Allen  Ihren  Lieben  die  herzlichsten  Empfeh- 
lungen. 

In  alter  Treue  und  Verehrung 

Ihr 

Joseph  Joachim. 


An  Clara  Schumann  289 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  i3'^"  März  [i863]. 
Liebe,  verehrte  Freundin. 

Sie  haben  mir  neuhch  durch  Ihre  und  Ihrer  heben  Marie 
Zeilen  eine  echte,  schöne  Freude  bereitet.  Meine  Ursi 
wird  Ihnen  recht  von  Herzen  gedankt  haben.  Daß  ich  es 
noch  nicht  selbst  gethan,  liegt  an  einer  Menge  Beschäfti- 
gungen, die  in  der  letzten  Zeit  mir  zufielen.  Ich  werde 
Ihnen  einmal  von  der  Zeit  erzählen.  Heute  ist's  mir  bloß 
darum  zu  thun,  Ihnen  noch  besonders  zu  sagen,  daß  die 
Faust-Aufführung  am  21'^"  definitiv  vor  sich  gehen  soll. 
Ich  will  eben  in  die  vorletzte  Chorprobe  am  Klavier.  Sonn- 
tag wird  die  letzte  sein;  Montag  morgens  dann  eine  für 
Orchester  allein,  Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  En- 
semble Proben.  Könnten  Sie  doch  zur  Hauptaufführung 
kommen!  Schreiben  Sie  mir,  bitte,  ja  recht  bald  eine  Zeile, 
ob's  möglich  ist,  damit  ich  mich  nicht  vergebens,  oder 
recht  tüchtig  voraus  freuen  kann!  Stockhausen  hat  sich 
recht  tüchtig  und  als  begeisterter  Musiker  gezeigt;  er  hat 
fast  alle  Arbeit  ganz  allein  gethan !  Sehr  möglich  ist's  auch, 
daß  ich  am  i4"^"  April  zum  Geburtstag  der  Königin  den 
Orpheus  von  Gluck  einzustudiren  bekomme,  und  aufzu- 
führen. Der  König  dachte  mir  diese  Freude  zu,  da  Scholz 
auf  unbestimmte  Zeit  nach  Rom  verreist.  Aber  Platen  u. 
Fischer  rühren  einstweilen  alle  Hände  dagegen;  obwohl 
es  die  letzte  Rolle  ist,  die  meine  Braut  einstudiren  wird, 
u.  sie  also  mir  das  Vergnügen  der  Direktion  gönnen  könnten, 
schon  aus  diesem  Grund!  —  Wenn  wir  uns  nicht  sehen, 
so  schreibe  ich  Ihnen  ausführlich  über  den  Faust.  Ich 
kann  gar  nicht  genug  sagen,  wie  sehr  ich  mich  darauf 
freue.  Unsere  Heirath  wird  wohl  erst  im  Mai  sein.  Ursi 
grüßt  von  Herzen,  wie  ich  stets  verbleibe 

Ihr  getreu  ergebner         j^^^pj^  Joachim. 

>9 


290  An  Herman  Grimm 


An  Herman  Grimm 

[Hannover]  Sonnabend  den  i4'*"  März  [i863]. 
Lieber  Herman. 

Ich  muß  Dich  um  eine  GefälHgkeit  ersuchen,  die  Du,  wie 
ich  glaube,  leicht  ausführen  kannst,  da  Dir  wahrschein- 
lich der  Einfluß  der  Preußischen  Gesandtschaft  (oder  durch 
Hüpeden,  der  Hannoverschen)  zu  Gebot  stehen  wird.  Mein 
Kollege  Scholz,  der  einzige  musikalische  Freund,  den  ich 
hier  hatte,  reist  in  den  nächsten  Tagen  nach  Rom.  Natür- 
lich ist  es  ihm  wichtig,  die  Charfreitags-  und  Oster-Musiken 
in  der  päbstlichen  Kapelle  zu  hören.  Er  fürchtet  aber, 
wenn  nicht  schon  vorher  Schritte  geschehen,  um  ihm  die 
nöthigen  Eintrittskarten  zu  verschaffen,  die  Ceremonien 
einzubüßen.  Deßhalb  eben  die  Bitte  an  Dich,  auch  für 
Scholz  eine  Erlaubniß  zu  erwirken,  die  Feierlichkeiten  von 
einem  guten  Platz  aus  mitzumachen,  wenn  Du  dies  ohne 
zu  große  Opfer  thun  kannst.  Scholz  wird  Takt  genug  be- 
sitzen. Euch  nicht  zu  geniren,  wenn  Ihr  allein  sein  wollt; 
möglicherweise  aber  wird  es  Dir  auch  willkommen  sein, 
die  Musik  mit  einem  intelligenten  Fachmann  anzuhören. 
Scholz  hat  viel  ältere  italienische  Musik  studirt,  ist  über- 
haupt einer  der  besten  unter  meinen  Jüngern  Fachgenossen, 
und  hat  neulich  ein  Requiem  von  sich  aufgeführt,  in  dem 
mir  vieles  sehr  zusagte.  —  Leider  hattest  Du  nur  zu  sehr 
Recht,  als  Du  prophezeitest,  es  würde  mit  den  Heiraths- 
Anstalten  nicht  so  rasch  gehen!  Ich  will  froh  sein,  wenn 
ich  Euch  im  Mai  in  der  Schweiz  oder  sonst  entgegen 
fahren  kann!  Aber  etwas  Angenehmes  ist  mir  doch  ge- 
boten :  der  König  hat  die  Aufmerksamkeit  gehabt,  mir  das 
Einstudiren  und  Dirigiren  des  Orpheus  (für  den  Geburts- 
tag der  Königin  am  i4'^"  April)  zuzudenken.  Es  ist  die 
letzte  Rolle  meinei^  Braut.  Ich  verspreche  nicht,  zu  schrei- 
ben, wilTs  aber  thun.    Adieu,  Dir  und  der  lieben  Gisel  von 

J.  J. 


Von  Bernhard  Scholz  291 


Von  Bernhard  Scholz 

[Rom]  4.  April  i863. 

Ihr  Lieben,  wenn  Ihr  Euch  meiner  nur  halb  so  oft  er- 
innert habt,  als  ich  trotz  dem  Empfang  soviel  neuer 
Eindrücke  an  Euch  gedacht  habe,  so  will  ich  zufrieden 
sein,  —  doch  sei's  Euch  auch  verziehen,  wenn's  nicht  der 
Fall  war,  denn  es  ist  Thorheit,  an  Brautleutchen  auch  nur 
geringe  Anforderungen  in  dieser  Beziehung  zu  stellen.  Da 
man  sich  aber  doch  nur  schwer  an  den  Gedanken  gewöhnt, 
daß,  die  man  liebt.  Einen  nur  noch  so  beiläufig  im  Ge- 
müthe  tragen,  so  will  ich  ein  wenig  Tyrannei  üben  und 
mir  durch  üebersendung  dieser  Zeilen  die  Freude  erzwingen, 
daß  Ihr  Euch  wieder  einmal,  und  wär's  nur  auf  ein  paar 
Minuten,  mit  Eurem  alten  Bären  befaßt. 

Dir,  lieber  Freund,  muß  ich  vor  Allem  sagen,  daß  Deine 
Freunde  mich  aufs  Liebevollste  aufgenommen  haben  und 
daß  wir  uns  so  gut  vertragen,  daß  ich  täglich  bei  ihnen 
bin.  Ich  schätze  es  als  ein  großes  Glück,  sie  hier  gefunden 
zu  haben,  und  wünsche  nur,  daß  ihnen  meine  häufigen 
Besuche  nicht  lästig  fallen.  Sie  fordern  mich  zwar  immer 
dringend  dazu  auf,  und  so  will  ich  hoffen,  daß  das  Gefallen 
einigermaßen  gegenseitig  ist.  Leider  wird  mir  diese  Freude 
bald  genommen,  da  Grimms  Abreise  schon  auf  den  i5""' 
fest  bestimmt  ist. 

Wieviel  Schönes  ich  schon  gesehen  und  genossen,  ist  gar 
nicht  zu  erzählen  —  eigentlich  habe  ich  bis  dahin  doch 
mehr  gesehen  als  genossen;  es  ist  eine  solche  Menge  Stoff 
zu  bewältigen,  daß  der  ruhige  Genuß  erst  beginnen  kann, 
wenn  man,  im  Allgemeinen  orientirt,  an  die  Orte,  zu  den 
Bildern,  Sculpturen  oder  Bauwerken,  zurückkehrt,  die  man 
lieb  gewonnen  hat;  ich  sehe  für  die  Zeit  meines  Aufent- 
halts einem  unerschöpflichen  Genuß  entgegen. 

Vor  Allem  ist  der  Reichthum  Roms  an  den  herrlichsten 


292  Von  Bernhard  Scholz 

Antiken  groß.  Wie  oft,  liebe  Ursi,  habe  ich,  dieselben  be- 
trachtend, an  Dich  denken  müssen  und  gewünscht,  Du 
hättest  Dir  hier  Vorbilder  zu  Deinem  Orpheus  holen  können. 
Ein  darstellender  Künstler  kann  nirgend  soviel  lernen,  als 
gerade  hier,  wo  ihm  die  Antike  ein  ewig  gültiges  Beispiel 
für  stylvolle  Darstellung  der  größten  Natureinfachheit  ist. 
Wieviel  könntest  Du  hier  lernen!  Wenn  Du  diese  Zeilen 
zu  Gesicht  bekommst,  ist  die  Aufführung  des  Orpheus  nahe 
bevorstehend ;  ich  werde  an  dem  Abend  viel  an  Dich  denken 
und  Dir  den  Daumen  einschlagen,  wie  ich  es  auch  am 
Palmsonntag  Abend  redlich  für  Dich  gethan  habe.  Daß 
ich  Deinen  Orpheus  nicht  sehen  kann,  thut  mir  recht  weh. 
Hatte  ich  mich  doch  den  ganzen  Winter  über  darauf  am 
meisten  gefreut.  Du  spielst  ihn  mir  später  noch  einmal 
vor  —  gelt?  Gestern  habe  ich  Rienzis  Haus  gesehen.  Du 
lagst  aber,  Gott  sei  Dank,  nicht  unter  den  Trümmern.  In 
den  Palast  „Orsinis  und  seiner  Rotte"  haben  sie  mich  nicht 
hineingelassen;  wahrscheinlich  hat  der  Portier  Lunte  ge- 
rochen, daß  ich  mit  Dir  befreundet  bin.  Nun  will  ich  Dich 
nächstens  bei  Colonna  aufsuchen. 

Ihr  habt,  wie  mir  Luise  schreibt,  den  Faust  so  schön  auf- 
geführt, und  das  freut  mich  von  Herzen,  denn  ich  hatte, 
ehrlich  gestanden,  ein  wenig  Sorge  darum,  weil  Du,  lieber 
Freund,  so  gar  nicht  gewohnt  bist,  mit  Dilettanten  zu  ar- 
beiten.   Um  so  schöner  ist  das  Gelingen  der  Aufführung. 

Ich  bin  erstaunt,  zu  finden,  daß  hier  in  Rom  gute  Musik 
anfängt,  Boden  zu  gewinnen.  Es  werden  ganz  gute  Kam- 
mermusiksoireen gegeben.  Neulich  fand  ich  folgendes  Pro- 
gramm angeheftet: 

i)  Quartett  v.  Mozart 

2)  do         „    Haydn 

3)  Kreutzersonate  v.  Beethoven. 

Dann  wieder  in  einer  andern  Soiree:  Quartett  von  Che- 
rubini, Quintett  von  Schumann. 

Schumann  in  Rom!    Was  sagst  Du  dazu?   Um  so  mehr 


Bernhard  Scholz  an  Amalie  Wels  298 

war  ich  diesen  Zeichen  der  Besserung  gegenüber  vom  gänz- 
hchen  Verfall  der  päpstlichen  Kapelle  entsetzt.  Das  Volk 
singt  geradezu  scheußlich.  Sie  intoniren  unrein,  die  Stim- 
men sind  nicht  im  Geringsten  gebildet,  sie  phrasiren  und 
interpunctiren  ungefähr  so,  wie  der  Prolog  im  Sommer- 
nachtstraum —  kurz,  es  ist  ein  heller  Graus,  und  ich  dis- 
pensire  mich  davon,  sie  je  wieder  zu  hören.  Erlauben  sie 
sich  doch  sogar  Verballhornisirung  Palestrinas  mit  Schnör- 
kelchen, Mordentchen  u.  Trillern  —  sogar  den  schänd- 
lichsten Bockstrillern,  die  ein  abscheußlicher  Castrat  mit 
größter  Süffisance  losläßt;  es  wäre  lächerlich,  wenn's  nicht 
empörend  wäre. 

Und  nun  lebt  wohl  für  heute  und  gönnt  mir  bald  ein- 
mal ein  Lebens-  u.  Liebeszeichen.  Ihr  erfreut  damit  sehr 
Euern  alten 

Bären. 


Bernhard  Scholz  an  Amalie  Weis 

Rom  9.  April  i863. 

Gute  Olle,  Deine  lieben  Zeilen,  die  ich  durch  abscheu- 
liche Nachlässigkeit  der  Postbeamten  erst  heute  er- 
hielt, haben  mich  recht  von  Herzen  erfreut.  Daß  Du  jetzt 
so  lieb  an  mich  und  von  mir  denkst,  und  daß  Du  mir  so 
bald  geschrieben,  rechne  ich  Dir  doppelt  hoch  an.  Für 
heute  nimm  nur  meinen  warmen  Dank  für  Deine  guten 
Worte  und  behalte  mich  lieb,  wie  ich  Dich  lieb  habe. 
Küsse  meine  Herzensfrau  und  gib  auch  Deinem  Joseph 
einen  Kuß  von  mir;  er  möge  mich  nicht  ganz  vergessen. 

Ich  meine  übrigens.  Du  könntest  mich  in  Zukunft  mit 
meinem  Vornamen  oder,  wie  Du  sonst  willst,  anreden,  nur 
nicht  mehr  „Lieber  Scholz",  —  von  Dir  klingt  mir  das 
gar  so  komisch,  od^r  soll  ich's  mit  „liebe  Weis"  erwidern? 

In  Kurzem  beziehe  ich  eine  schöne  Wohnung  auf  dem 


294  ^n  Clara  Schumann 

Tarpeischen  Felsen;  wenn  ich  dort  nicht  fleißig  bin,  stürze 
ich  mich  selbst  als  Capital-  und  Capitolverbrecher  hinab. 
(NB.  Der  Witz  könnte  von  ihm  sein,  oder  hat  er  sich's 
seit  meiner  Abreise  abgewöhnt?) 

Laß  bald  wieder  was  von  Dir  hören  und  adressire 

B.  Scholz 
casa  Tarpea 
Roma. 
Leb  wohl  für  heute,  nächstens  mehr!   Ich  bleibe  auch 
ferner 

Dein  treuer  Bruder 

Bernhard 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  lo  April  i863.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Sie  sind,  hoffe  ich,  wieder  wohlbehalten  im  lieben  Deutsch- 
land, und  ich  darf  wohl  die  Frage  thun,  ob  Sie  zum 
j5ten  fQj,  jjg  Orpheus -Aufführung  die  Fahrt  nach  Han- 
nover unternehmen  mögen.  Wie  sehr  sich  meine  Braut 
und  ich  von  Herzen  freuen  würden,  das  wissen  Sie;  leider 
kann  ich  nicht  auch,  wie  ich  Anfangs  gehofft  hatte,  eine 
Wiederholung  der  Faust-Aufführung  biethen !  Unter  diesen 
Umständen  ziehen  Sie  am  Ende  vor,  erst  zu  einer  2'^"  Auf- 
führung des  Orpheus  zu  kommen  (die  im  Lauf  des  Mo- 
nats nicht  ausbleiben  kann),  wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  ich 
am  17**"  in  Hamburg  spielen  muß,  also  Sie  gleich  am  16'*" 
zu  verlassen  gezwungen  wäre.  Bitte,  liebe  Frau  Schumann, 
schreiben  Sie  mir  gleich  ein  paar  Zeilen,  wie  Sie  darüber 
denken,  und  überhaupt,  zu  welcher  Zeit  (den  20  bis  24'^" 
ausgenommen,  wo  ich  in  Hamburg  Quartett-Soireen  gebe) 
Sie  am  liebsten  kämen,  wenn's  nicht  gleich  sein  sollte. 
Vielleicht  ließe  sich  der  König,  wenn  Ihr  Kommen  da- 


Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis  296 

mit  verbunden  wäre,  bestimmen,  den  Faust  für  diese  Zeit 
nochmals  zu  befehlen.  Die  Orpheus -Proben,  das  Früh- 
lingswetter, die  Einrichtuugssorgen,  unsere  letzte  Quartett- 
soiree übermorgen,  all  das  macht  mir  den  Kopf  so  warm, 
daß  ich  mit  einem  herzlichen  Gruß  schon  wieder  schließen 
muß,  obwohl  es  so  vieles  zu  plaudern  gäbe.  Möchten  wir 
uns  bald  mündlich  erzählen! 

Ihr  und  der  Ihrigen 

treuergebner 

Joseph  Joachim. 
Sneewittchen  grüßt  vielmals  Sie  und  Frl.  Marie. 

Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis 

Rom  i8  April   i863. 

Meine  liebe,  gute  Olle!    Deine  zwar  kurzen,  aber  in- 
haltreichen Zeilen   fordern  eine  eingehendere  Ant- 
wort, als  ich  Dir  sie  neulich  geben  konnte. 

Du  hast  mir  zehnmal  mehr  Liebes  und  Gutes  gesagt,  als 
ich  je  verdient  habe  oder  verdienen  kann.  Was  ich  Dir  an 
Freundschaft  erwiesen,  hast  Du  mir  reichlich  vergolten, 
und  dann  habe  ich  Dir  meine  Zuneigung  nicht  einmal  als 
freiwillige  Gabe  entgegengebracht,  sondern  mir  ging's  wie 
allen  Andern:  ich  mußte  Dir  gut  sein  und  bin  nur  Dir 
Dank  schuldig,  daß  Du  mich  vor  Andern  werth  gehalten 
hast.  Wie  Du,  habe  auch  ich's  schon  oft  bedacht,  was  uns 
so  rasch  einander  nahe  gebracht  hat.  Zuerst,  —  ich  will 
nicht  besser  scheinen,  als  andere  Männer  —  war  es  doch 
wohl  das  hübsche  Mädchen  mit  der  schönen  Stimme,  das 
mich  anzog.  Ich  will  mich  aber  auch  nicht  schlechter 
stellen,  als  ich  bin:  das  hübsche  Gesicht  allein  hätte  mich 
nicht  für  Dich  eingenommen,  aber  Dein  gutes  Gesicht  hat 
mich  vermocht,  Dich  in  mein  Haus  und  meiner  lieben  Frau 
zu  bringen,  und  die  treuen  Augen,  hinter  denen  kein  Falsch 
sein  konnte,  haben  mich  nicht  betrogen.    Die  Wahrheit 


296  Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis 

in  Deinem  ganzen  Sein  und  Wesen  war's,  die  mich  zu  Dir 
hinzog.  In  der  Sphäre,  in  der  ich  soviel  Eitelkeit,  selbst 
Niedrigkeit  begegnet  war,  warst  Du  die  Erste  und  Ein- 
zige, in  der  ich  echte,  schlichte  Mädchenhaftigkeit  mit 
wahrem  Kunsteifer,  mit  großen  Gaben  und  reiner  Begeiste- 
rung für  das  Ideale  vereint  gefunden  hatte  —  und  daß  ich 
dies  gefunden  habe,  und  wäre  es  auch  nur  das  eine  Mal, 
das  danke  ich  Dir  von  Herzen  und  werde  es  als  einen 
großen  Gewinn  achten  mein  Leben  lang,  denn  es  hat  meine 
Verehrung  für  das  „Ewig  Weibliche"  um  Vieles  erhöht 
und  gekräftigt.  Weil  ich  Dich  aber  so  hoch  hielt,  drum 
konnte  ich  es  nicht  vertragen,  wenn  auch  nur  ein  Hauch 
den  Spiegel  Deiner  Seele  trüben  wollte,  und  ich  habe  Dich 
oft  geplagt  mit  langweiligen  Predigten  und  Sermonen,  wohl 
mehr  als  billig;  aber  Du  hast  mir  immer  geduldig  zuge- 
hört, und  daraus  erkannte  ich  am  meisten,  daß  Du  was 
auf  mich  hieltest. 

Du  hast  mich  ferner  überzeugt,  daß  schlichte  Wahrheit, 
und  Leistungen,  die  recht  von  Herzen  kommen,  selbst  bei 
einem  verbildeten  Publicum  die  rechte  Stelle  treffen  und 
über  alle  Afifectation  und  alles  Raffinement  schließlich 
siegen,  und  Du  hast  mir  in  dem  Jahre  unseres  gemein- 
schaftlichen Strebens  wahre  Freude  an  meinem  offiziellen 
Beruf,  und  zuletzt  lebhafte  Anregung  gegeben.  Daß  ich 
das  von  nun  an  entbehren  soll,  fällt  mir  unsäglich  schwer, 
und  nur  der  Gedanke  an  Dein,  meiner  lieben  Schwester 
Glück,  und  dazu  an  der  Seite  eines  Freundes,  wie  Joachim, 
vermag  mir  darüber  hinwegzuhelfen.  Noch  bin  ich  frei- 
lich über  meine  alten  Pläne  nicht  zum  Abschluß  gekom- 
men. Immer  wieder  zieht's  mich  zu  Medeen,  und  immer 
wieder  muß  ich  mir  doch  sagen,  daß  die  ürsi,  für  die  ich 
eine  Oper  schreiben  wollte,  an  deren  Fortschritten  ich  mich 
tagtäglich  erfreute,  dahin  ist.  Darüber,  liebe  Olle,  können 
mich  auch  Deine  gewiß  aufrichtigen  Ermunterungen  nicht 
beruhigen,  denn  die  Verhältnisse  sind  stärker  als  der  Mensch, 


Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis  297 

und  Du  kannst  mir  nicht  versprechen,  was  Du  —  ich 
weiß  es  wohl  —  gern  erfülltest  und  mir  zu  Liebe  thätest. 
Jedenfalls  sollen  Deine  Ermahnungen  zum  Fleiß  nicht 
fruchtlos  verhallen.  Der  erste  Sturm,  fast  Wirbelbind  zu 
nennen,  der  neuen  Eindrücke  fängt  an  sich  zu  legen,  und 
ich  werde  bald  ein  wenig  Einkehr  bei  mir  selbst  halten 
können.  Nächsten  Montag  beziehe  ich  meine  stille  Woh- 
nung auf  dem  Capitol  mit  der  herrlichen  Aussicht  auf  das 
Forum  und  seine  Umgebung;  dazu  bekomme  ich  endlich 
einen  guten  Flügel.  Beides  wird  mich  zu  Hause  halten, 
und  ich  freue  mich  aufs  Arbeiten  auf  meinem  Balcon  im 
Duft  der  Citronbäume.  In  den  2  Monaten,  die  ich  noch 
hier  bleiben  will,  wird  dann  doch  vielleicht  etwas  Ge- 
scheides fertig,  und  sollte  es  etwa  eine  Medea  werden,  — 
nun,  so  mußte  es  eben  sein;  dann  werde  ich  sie  Dir  bringen 
und  Dir  sagen:  „Da  ist  sie,  nun  mache  damit,  was  Du 
willst!"  —  und  das  Andere  wird  sich  dann  finden,  und  was 
Du  thust,  wird  Recht  sein. 

Über  die  Faust-Aufführung  habe  ich  von  Luise  erfreu- 
lichen Bericht;  aber  ich  bin  gar  begierig,  nun  etwas  über 
den  Orpheus,  und  zwar  von  Dir  selbst,  zu  hören.  Du  mußt 
mir  genauen  und  getreuen  Bericht  darüber  geben.  Wie 
hast  Du  den  Schluß  des  ersten  Acts  dargestellt?  Wie  ge- 
langen Dir  die  vielen  Recit:,  wie  die  Furienscene  und  dann 
wieder  die  große,  lichte  Arie  im  Hain  der  Seligen?  Wie 
bist  Du  mit  Caggiati-Eurydice  zurecht  gekommen?  —  Und 
Dein  Joseph  soll  mir  schreiben,  wie  es  ihm  am  Opernpult 
zu  Muthe  war,  wie  er  mit  Begleitg.  der  Rec.  fertig  wurde, 
wie  er  mit  Rottmayer  ^)  u.  s.  w.  auskam.  Das  Alles  interes- 
sirt  mich,  der  Karnickel  von  der  ganzen  Sache  war,  nicht 
wenig.  Es  wäre  so  wie  so  Zeit,  daß  er  mir  einmal  schriebe; 
siehst  Du,  an  dem  hab'  ich's  verdient,  daß  er  was  auf 
mich  hält,  aber  —  — *)  Sollte  er  indeß  in  Schreibfaulheit 
ganz  verstockt  sein,  so  laß  Du  mich  deshalb  nicht  warten. 

^)  Hoftheaterdirektor. 


298  Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis 

Der  Zeitpunct  Eurer  Hochzeit  ist  also  doch  nicht  vor- 
wärts gerückt  worden ;  wenigstens  schreibt  mir  Luise,  daß 
gar  nichts  darüber  verlaute,  und  daß  sie  deshalb  Ende  April 
mit  den  Kindern  zur  Mutter  ziehen  werde.  So  wird  also 
Niemand  von  uns  an  Deinem  Ehrentage  zugegen  sein !  Das 
betrübt  mich  ernstlich;  hattest  Du  uns  doch  berechtigt, 
uns  als  die  Deinen  anzusehen.  Du  mußt  mir  aber  Tag 
und  Stunde  der  Trauung  und  Alles  früh  genug  mittheilen, 
damit  ich  Euch  wenigstens  im  Geiste  überallhin  begleiten,  — 
mitfeiern  kann.  Und  dann  mußt  Du  mich  immer  wissen 
lassen,  wo  Ihr  nachher  seid,  damit  wir  in  Verkehr  bleiben 
können.  Wo  werde  ich  Euch  wohl  zuerst  wiedersehen?  — 
Sollte  es  Dich  im  Laufe  des  Sommers  gar  nicht  einmal  an 
den  Rhein  ziehen,  wo  Du  doch  auch  manche  gute  Stunde 
verlebt  hast?  —  Ich  bin  Mitte  Juli  gewiß  wieder  zu  Hause, 
d.  h.  dort  bei  den  Meinen  —  und  wenn  Ihr  dann  kämet, 
könnten  wir  recht  vergnügt  sein,  und  ich  verspreche  Dir 
auch,  auf  jedem  Fels,  und  wo  und  wann  Du  willst,  tüchtig 
zu  juchzen  und  zu  schreien. 

Und  nun  leb'  wohl  für  heute!  Von  meinem  hiesigen 
Leben  erzählt  Dir  Luise  Alles.  Bringe  ihr  die  einliegenden 
Zeilen  selbst!  —  Ich  wollte  Dir  heute  nur  mein  Herz  aus- 
schütten u.  Dir  sagen,  daß  auch  Du  mir  „mehr  Liebes 
u.  Gutes  erwiesen  hast,  als  Du  weißt".  Ich  werde 
die  heiligen  u.  die  fröhlichen  Stunden  nie  vergessen,  die 
wir  schon  zusammen  verlebt  haben,  und  wünsche,  daß  uns 
auch  die  Zukunft  noch  manches  Schöne  u.  Gute  in  Ge- 
meinschaft werde  genießen  lassen.  Laß  Dir  von  Deinem 
Joseph  einen  herzlichen  Kuß  für  mich  geben  und  gib  ihm 
einen  von  mir. 

In  alter,  brüderlicher  Treue 

Dein  Bernhard. 

Meine  Adresse  ist:  B.  Scholz,  casa  Tarpea  Rom. 

*)  Das  „aber"  ist  nicht  so  schlimm  gemeint;  es  gilt  nur 
hie  und  da  einmal.  Anm.  d.  Setzers. 


An  Bernh.  Scholz  399 


An  Bernh.  Scholz 

Hannover  am  27'*"  April  [i863J. 

Mein  lieber  Bernhard! 

Du  hast  mir  schon  manchen  Gruß  gesandt,  wenn  auch 
nicht  direkt!  Doch  habe  ich  wenigstens  Deine  Schrift- 
züge oft  zu  sehen  gekriegt  und  schließe  daraus,  daß  Du 
in  Ermangelung  meiner  Gesichtszüge  auch  gern  einmal 
meine  Krakelfüße  begrüßen  wirst.  Und  darum  schreibe 
ich  —  denn,  soll  ich  nur  ehrlich  sein,  was  ich  allein  jetzt 
in  ganzen  Bogen  schreiben  möchte,  das  kann  ich  doch 
nicht  als  Brief,  der  auch  einen  andern  Menschen  interes- 
siren  soll,  nach  Rom  schicken.  Ich  habe,  nachdem  nun 
die  Aufführungen  (Faust,  Orpheus,  Schubertconcert)  vor- 
bei sind,  nur  die  eine  Sehnsucht,  aus  dem  Zustand  der 
Heimathlosigkeit  für  meine  Braut  und  mich  herauszu- 
kommen! Es  wird  aber  noch  bis  Ende  Mai  nichts  aus  der 
Hochzeit  werden  —  sämmtliche  Gastrollenversuche  ^)  sind 
bis  jetzt  ungünstig  ausgefallen,  und  es  widerstrebt  mir 
nun  einmal,  Verpflichtungen  im  Gnadenweg  aufheben  zu 
lassen.  Lieber  noch  muthig  die  5  Wochen  ertragen!  Die 
Papiere  sind  glücklicherweise  alle  in  meiner  Seitentasche, 
während  ich  Dir  da  schreibe,  und  —  was  noch  schöner 
ist,  die,  welche  sie  mit  angehen,  sitzt  neben  mir  und  freut 
sich,  daß  ich  an  den  Bär  schreibe,  für  den  sie  nun  einmal 
ein  besonderes  faible  hat.  Sie  blättert  im  Mozart  von  Jahn  — , 
—  und  ich  will  gleich  auch  die  Seite  umdrehen.  Über- 
morgen ist  Fidelio;  dirigirte  ich  ihn,  oder  doch  Du!  Mit 
dem  Taktschlagen  zur  Oper  ist's  ein  eigen  Ding;  aber  ich 
habe  mich  nach  den  ersten  zwei  Orchesterproben  des 
Orpheus  doch  so  drein  gefunden,  daß  ich  Dir  bei  der  Auf- 
führung als  Substitut  keine  Störung  verursacht  habe, 
worüber    hoffentlich    Frau   Luise    schon    berichtet   haben 

*)  als  Ersatz  für  seine  Braut,  die  die  Bühne  verlassen  wollte. 


3oo  An  Bernh.  Scholz 

wird.  Die  Oper  ging  wirklich  musikalisch  gut  und  hat 
mir  und  den  Guten  im  Publikum  eine  ächte  Freude  be- 
reitet. Gestört  hat  mich  eigentlich  bloß  das  Arrangement 
der  Elysiums-Scene,  das  nicht  duftig  und  belebt  genug 
war;  sie  kennen  hier  nur  tanzen  oder  plump  glotzend 
ruhen,  und  unter  solchen  Umständen  muß  man  als  Kapell- 
meister die  Augen  in  die  Partitur  untertauchen  und  da 
Homer  und  Dante  träumen,  aber  nichts  von  Rottmayer 
und  Hoffman  verlangen.  Überhaupt,  wie  schleuderisch 
wird  doch  bei  so  einem  Kunstinstitut  verfahren  —  es  ist 
aber  an  eine  Reform  nicht  zu  denken,  denn  das  Princip 
ist  eben  ein  falsches.  Von  Tag  zu  Tag  für  die  Unterhaltung 
des  Parterres  sorgen,  ist  eine  Platens  würdige  Aufgabe. 
So  lang  der  König  nichts  andres  fordert,  läßt  sich  nichts 
machen. 

Denke  Dir,  daß  bei  der  General-Probe  das  Gostüme  des 
Orpheus  für  meine  Ursi  nicht  fertig  war,  und  daß  wir 
ohne  Dekorationen  und  ohne  Maschinisten  probirten:  ob- 
wohl ich  die  Vorsicht  gehabt  hatte,  1 4  Tage  vorher  Platen 
u.  Rottmayer  die  namentlich  von  letzterem  vollkommen 
gebilligte  Bitte  vorzutragen,  es  möchte  bei  der  letzten 
Probe  schon  alles  wie  bei  der  Vorstellung  selbst  einge- 
richtet sein.  —  Doch  wozu  Dir  den  sorgenfreien  Aufenthalt 
durch  Klagen  trüben,  die  du  eben  zu  vergessen  nach  Rom 
gingst.  Wir  werden  im  Herbst  früh  genug  Trübsal-Duette 
dieser  Art  blasen.  Mir  blüht  übrigens  noch  ein  Concert 
für  den  Geburtstag  des  Königs,  noch  außer  den  Kata- 
komben ^).  Da  ich  ohnedieß  hier  sein  würde,  konnte  ich's 
der  Königin  nicht  abschlagen,  dafür  zu  arbeiten.  Könnte 
meine  Ursi  früher  fort,  so  hätte  ich  auf  mein  Recht  ge- 
pocht; denn  viel  Freude  ist  in  Herrenhausen  nicht  zu 
holen.  Voriges  Jahr  um  die  Zeit  fanden  wir  das  freilich 
nicht:  Che  farö  war  schön!  Dies  Jahr  werd'  ich  am  27'^" 
ohne  Dich  und  Deine  Frau  sein.    Daß  diese  uns  auch  so- 

*)  Oper  von  Hiller,  die  aber  erst  im  September  aufgeführt  wurde. 


An  Bernh.  Scholz  3oi 

bald  verläßt,  ist  gar  betrübt  für  die  Brautleute.  Da  wir 
nicht  ganz  in  aller  Stille  uns  auf  dem  Lande  trauen  lassen 
können,  werden  wir  gerade  die  liebsten  Hannoverschen 
Freunde  doppelt  vermissen,  das  kannst  Du  glauben,  lieber 
Bernhard.  —  Von  Herzen  lieb  war  mir's  zu  vernehmen, 
daß  Du  mit  Grimms  oft  zusammen  gekommen  bist;  ich 
hatt'  es  gewünscht,  aber  kaum  gehofft,  des  leidenden  Zu- 
standes  von  Gisela  wegen.  Es  war  mir  wahrhaft  tröstlich, 
daß  sie  doch  zu  einer  neuen  Bekanntschaft  Lust  hatte. 
Willst  Du  mir  einen  rechten  Liebesdienst  erweisen,  so 
schreibe  mir  über  Grimms  recht  ausführlich.  Sie  wer- 
den wohl  nun  schon  auf  dem  Weg  nach  Paris  sein.  Von 
nun  an,  da  wir  nicht  mehr  durch  Vermittlung  Deiner 
lieben  Luise  über  einander  hören,  müssen  wir  uns  regel- 
mäßig schreiben,  und  darum  schicke  ich  auch  diese  Zeilen 
ab,  damit  ein  Anfang  gemacht  sei.  Viel  steht  leider 
nicht  darin!  Mein  Quartett  grüßt  Dich;  die  Herrn 
sind  eben  von  einer  Fahrt  nach  Hamburg  mit  mir  zurück- 
gekehrt. Die  Anregung  und  90  Thlr:,  die  uns  Jedem  zu- 
fielen, machten  ihnen  Spaß.  Stockhausen  rutscht  noch  ab 
und  zu  durch  Hannover.  Frau  Schum:  u.  Jahn  waren 
zum  Orpheus  da.  Doch  basta  per  oggi,  stolzer  Kapitol- 
bewohner.  Dein 

J.  Joachim. 
Ursi  schreibt  nach  dem  Fidelio. 

Am  28"^". 
Lieber  Freund 

Der  Brief  ging  gestern  nicht  mehr  ab ;  nun  kann  ich, 
damit  wenigstens  etwas  der  Mühe  werthes  darin 
steht,  sagen,  daß  ich  eben  aus  der  Fidelio-Probe  komme. 
Leonore  hat  recht  Beethovensch  gesungen,  und  es  war 
eine  Herzensfreude  für  mich.  Ich  soll  ihren  eigentlichen 
Kapellmeister  grüßen;  der  welcher  dirigirte^),  ist's  wahr- 

*)  Kapellmeister  Fischer. 


3o2  Von  Bernh.  Scholz 

lieh  nicht.    Der  Kerl  hetzte  das  Finale  nach  Noten !    Deine 
Louise  saß  in  der  ganzen  Probe  neben  mir. 

Die  dumme  Olle  grüßt  Dich  herzlichst.    Nicht  minder 

Dein 

Joseph. 

Von  Bernh.  Scholz 

Rom  3o.  April  i863. 

Mein  lieber  Freund!  Gib  Deiner  Ursi  am  Morgen  des 
lO'*"  beiliegende  Zeilen  und  danke  ihr  nochmals 
herzlich  für  mich,  daß  sie  mir  so  lieb  und  gut  geschrieben 
hat.  Sie  möge  mir  die  Freude  noch  recht  oft,  soviel  es  ihre 
Zeit  erlaubt,  machen. 

Du  Schreibfaullenzer  verdienst  zwar  keine  Zeile  von 
mir;  wenn  ich  Dir  selbst  aber  nicht  schreibe,  so  hat  das 
doch  nicht  den  Grund  darin,  daß  ich  Dir  böse  wäre,  son- 
dern weil  ich  denke,  daß  die  Briefe  an  die  Olle  auch  für 
Dich  gelten  u.  Du  außerdem  bisher  genug  durch  Luise 
erfahren  konntest. 

Ich  bin  froh,  und  Rom  ist  herrlich.  Ich  muß  Dir  noch 
besondern  Dank  für  Deine  Verlobung  sagen,  weil  ich  da- 
durch als  Dein  Substitut  zur  Reise  kam. 

Liszt  habe  ich  neulich  auf  der  Straße  in  Gesellschaft 
eines  Pfaffen  gesehen,  in  demüthiger  Haltung,  stets  ver- 
bindlich, ergebenst,  gefällig  lächelnd  ....  Unter  seinen 
Auspizien  wurden  diesen  Winter  6  Concerte  classischer 
Vocalmusik  hier  gegeben,  in  denen  Palestrina,  Bach,  Händel, 
Curschmann,  Mendelssohn,  Mozart  —  und  Liszt  gesungen 
wurde.    Er  verkehrt  viel  mit  clericalen  Kreisen  .  .  . 

Im  üebrigen  grüße  Brinkmanns,  alle  Freunde,  vorab 
den  alten  Herrn  Nicola,  bessere  Dich  und  schreibe  bald 
Deinem 

Bh. 


Von  ßernh.  Scholz  3o: 


Von  demselben 

Rom  5.  Mai  i863. 

Du  sollst  nicht  lange  auf  Antwort  warten,  mein  lieber 
Freund.  Dein  Brief  hat  mich  so  angenehm  über- 
rascht, daß  ich  sofort  die  Feder  ergriffen  habe,  um  dir  da- 
für zu  danken.  Du  brauchst  bei  mir  nicht  zu  fürchten, 
daß  mich  das,  was  Du  allein  gern  schriebst,  langweilte;  im 
Gegentheil,  freuen  wird  mich  Alles,  was  Du  mir  von 
Deinem  Glücke  zu  sagen  weißt.  Auch  ich  habe  für  Deine 
ürsi  ein  gewaltiges  faible,  und  die  Freude  beim  Erblicken 
Deiner  Schriftzüge  hat  mich  wieder  einmal  so  recht  leb- 
haft daran  gemahnt,  wie  gut  ich  Dir  eigentlich  bin, 

Luise  hat  mir  s.  Z.  den  guten  Ausgang  des  Orpheus 
schon  berichtet.  Fidelio^)  wird  nun  wohl  auch  glücklich 
überstanden  sein.  Es  thut  mir  sehr  leid,  diese  beiden 
Leistungen  Deiner  Braut  versäumt  zu  haben,  denn  gerade 
diese  habe  ich  doch  am  sorgfältigsten  mit  ihr  vorbereitet, 
und  ich  hatte  mich  den  ganzen  schlimmen  Winter  über 
darauf  gefreut  und  darin  einen  Ersatz  für  die  viele  Quälerei 
meines  Berufs  zu  finden  gehofft.  —  Es  mag  schlecht  klingen, 
daß  ich,  der  ich  hier  so  Herrliches  genieße,  darüber 
klage  —  doch  hing  mein  Herz  und  mein  Wunsch  daran. 
Wenn  ich  an  den  nächsten  Winter  u.  seine  Berufsfreuden 
denke,  graut  mir  wahrhaft.  Ich  kann  mir  jetzt  nicht  vor- 
stellen, wie  ich's  aushalten  werde,  und  ich  glaube  auch 
nicht,  daß  ich's  noch  lange  aushalten  werde.  Es  kann 
schließlich  nicht  meine  Bestimmung  sein,  wie  Du's  richtig 
bezeichnest,  im  Complott  mit  Platen  die  Lieutenants  im 
Parquett  zu  amüsieren.  Soll  ich  darum  mir  und  meinen 
Eltern  und  Geschwistern  Trennung  auferlegen,  mir  Sorgen 
und  Aerger  aufbürden,  um  schließlich  mein  eigenes  Wirken 
verächtlich,    lächerlich  zu  finden?  —   Ich   hatte  mitunter 

')  Abscliiedsvorstellung  von  Joachims  Braut. 


Von  Bernh.  Scholz 


geträumt,  etwas  bessern  zu  können.  Die  Olle  und  ich 
wollten  ja  das  deutsche  Theater  reformiren,  Sie  hat  das 
bessere  Theil  erwählt,  und  ich  seufze  darnach,  auch  diese 
Last,  die  mir  Muth  und  Frische  zu  Boden  drückt,  abzu- 
schütteln. 

Aber  davon  nichts  weiter!  Bringe  die  Zukunft,  was  sie 
bringen  soll.  Die  Gegenwart  ist  eben  schön  und  genuß- 
reich. 

Wenn  der  Mensch  nicht  das  Unglück  hätte,  strebsam 
sein  zu  müssen,  käme  ich  aus  lauter  Genuß  gar  nicht 
heraus.  So  aber  ist  man  doch  einmal  geartet,  daß  man's 
nicht  lassen  kann,  und  die  Freude,  etwas  zu  vollenden, 
wird  theuer  durch  die  vorbereitenden  Tage  des  Bildens, 
des  Ringens  mit  dem  Stoff  erkauft.  Hoffentlich  kann  ich 
Dir  doch  was  Ordentliches  zeigen,  wenn  ich  Dich  wieder- 
sehe.   Ich  hoffe,  Du  wirst  auch  fleißig  sein. 

Ich  soll  Dir  viel  von  Grimms  erzählen:  Das  wird  sich 
darauf  beschränken  müssen,  welchen  Eindruck  sie  mir  ge- 
macht haben,  denn  erlebt,  was  man  so  nennt,  haben  wir 
nicht  viel  miteinander,  da  sie  der  Frau  wegen  ganz  still 
und  zurückgezogen  hausten.  Anfangs  war  ich  meist  Abends 
bei  ihnen,  bis  9^2  Uhr,  der  regelmäßigen  Polizeistunde; 
später  regten  die  abendlichen  Besuche  Frau  Grimm  zu 
viel  auf,  u.  sie  sahen  ihre  Freunde  nur  noch  Vormittags 
beim  Frühstück.  Dann  fuhren  sie  regelmäßig  ein  wenig 
spazieren,  nach  Tisch  schlief  Frau  Gisela,  und  diese 
Lebensweise  führte  Herm.  Grimm,  soweit  es  das  unruhige 
Gemüth  seiner  Gattin  gestattete,  mit  ängstlicher  Sorgfalt 
durch.  Überhaupt  habe  ich  ihn  aufrichtig  bewundert,  mit 
welcher  Liebe  und  Schonung,  mit  welch  ausdauernder 
Aufmerksamkeit  er  sie  pflegt.  Das  ist  wahrlich  nicht  leicht ; 
denn  er  muß  ihr  förmlich  jede  anregende  Unterhaltung 
versagen  und  untersagen,  weil  sie  sonst  nicht  schlafen 
kann;  er  muß  sie  doch  wieder  so  zu  beschäftigen  wissen, 
daß  sie  sich  nicht  langweilt ;  dabei  muß  er  alle  die  kleinen 


Am  alle  Joacliim 
IJüste  von  Elisiibelli  Xey,   iSüj 


Von  Bernh.  Scholz  3o5 

Liebesdienste  im  häuslichen  Leben,  die  sonst  die  Frau  dem 
Manne  erweist,  ihr  thun;  er  kocht  Thee,  Kaffee,  Eier,  be- 
wirthet,  kurz  ist  unermüdlich;  er  verläßt  sie  auch  höch- 
stens einmal  auf  eine  Stunde.  —  Wie  oft  habe  ich  mir  ge- 
sagt, daß  ich,  mit  ihm  verglichen,  doch  ein  wahres  Scheusal 
an  Egoismus  und  Lieblosigkeit  sei.  Er  ist  überhaupt  ein 
vortrefflicher,  und  dabei  ein  geistreicher  und  liebens- 
würdiger Mann,  der  mir  je  mehr  und  mehr  gefiel.  Er 
war  auch  gegen  mich  sehr  freundlich  und  hat  mir  noch 
bei  der  Abreise  Goethes  italienische  Reise  auf  unbestimmte 
Zeit  zu  Leihe  gegeben. 

Frau  Gisela  ist  ein  merkwürdiges  Wesen,  erstaunlich 
lebendig  und  vielbegabt,  dabei  ein  ßettinisches  Herz,  dem 
es  Bedürfniß  ist,  zu  erfreuen  und  wohlzuthun;  —  doch  ist 
sie  nicht  frei  von  einer  gewissen  Art  Eitelkeit  —  einem 
Behagen  an  ihren  Absonderlichkeiten.  Es  ist  ihr  Bedürfniß, 
wie  mir  scheint,  Leiterin  und  Lenkerin  zarter  Männer- 
seelen zu  sein,  die  dann  durch  sie  erst  zum  Genießen  und 
Würdigen  des  Schönen  erzogen  und  befähigt  werden.  Und 
wie  sie  sich  etwas  darauf  zu  Gute  that,  Dich  in  früherer 
Zeit  „bemuttert"  zu  haben,  so  schien  es  ihr  auch  Freude 
zu  machen,  mir  erst  Rom's  Wunder  erschließen  zu  dürfen, 
ein  Genuß,  den  ich  ihr  nicht  verkümmern  mochte,  und  der 
mir  doch  auch  hie  und  da  nützlich  war.  Belohnter  war 
dies  ihr  Bestreben  bei  einem  jungen  Schweizer,  Namens 
Lutz,  einem  sehr  frischen,  empfänglichen  Menschen,  Ju- 
risten, der  bis  dato  sich  wenig  mit  Kunst  beschäftigt  hatte 
und  nun  ihre  feinfühligen  Andeutungen  mit  Avirklich 
großem  Vortheil  nützte. 

Außerdem,  ich  bin  Dir  volle  Offenheit  schuldig,  ist  sie 
mir  doch  für  ihr  Alter  hie  und  da  etwas  zu  naiv,  als  daß 
ich  an  völlige  Naivetät  glauben  könnte. 

Aber  bei  alledem  sind  ihre  vortrefflichen  Eigenschaften 
so  überwiegend  und  setze  ich  auch  manche  Sonderbarkeit 
auf  Rechnung    ihres   krankhaften   Zustands,   —  daß   ich 


3o6  Von  Bernh.  Scholz 

doch  große  Freude  habe,  sie  kennen  gelernt  zu  haben. 
Sie  ist  wirklich  sehr  zu  bedauern,  so  regsam  und  theil- 
nehmend  an  allein  Idealen,  und  verurtheilt,  sich  alle  leb- 
haft erregenden  Genüsse  zu  versagen.  Es  ging  ihr  übrigens 
hier,  wie  es  ihr  überall  gehen  wird :  sie  w  ird  meistens  hart 
beurtheilt;  die  Leute  sagen:  wenn  sie  nicht  sich  zuviel  mit 
Nerven  aufregenden  Dingen  befaßte  und  sich  mehr  um  das 
kümmerte,  was  der  weiblichen  Katur  angemessen  sei,  würde 
sie  auch  nicht  so  leidend  sein.  Da  bin  ich  denn  natürlich 
ihr  Advokat  und  habe  oft  schweren  Stand. 

.  .  .  Ich  wünsche,  daß  es  ihr  in  nördlicheren  Regionen 
besser  gehen  möge,  als  hier;  denn  das  römische  Klima 
sagte  ihr  gar  nicht  zu.  —  Mir  convenirt  es  nun  sehr  gut, 
und  ich  laufe  meine  4  Stunden  in  der  Mittagshitze  herum, 
ohne  daß  es  mich  groß  genirt.  Gestern  war  ich  z.  B.  auf 
der  Via  Appia  bis  Casale  Rotondo,  6  Miglien  vor  dem  Thor, 
und  habe  trotz  des  staubigen  Wegs  und  der  glühenden 
Sonne  die  größte  Freude  an  der  wunderbar  gelegenen 
Straße  gehabt.  Die  Campagna  ist  doch  gar  zu  schön !  Man 
versteht  durch  sie  erst  die  Landschaften  auf  Rafaels  u. 
seiner  Vorgänger  Bildern,  wie  umgekehrt  diese  Bilder  erst 
wieder  die  Campagna  sehen  lehren.  Eine  merkwürdige 
Reinlichkeit  und  Bestimmtheit  der  Linien,  deutlich  hervor- 
tretende Architectur  des  Erdreichs,  der  Formation,  un- 
gedeckt durch  das  krause  Gewirr  üppiger  Vegetation,  die 
hier  nur  durch  einzelne  schöne  Bäume  oder  kleinere  Baum- 
gruppen vertreten  ist,  geben  der  Campagna  den  eigenthüm- 
lichen  Typus  der  Einfachheit  und  Klarheit.  Die  ruhigen 
Linien  der  Aquäducte,  die  sie  durchziehen,  erhöhen  den- 
selben, und  die  waldlosen  Gebirge  im  Hintergrunde  mit 
ihren  deutlich  begränzten  Hügelzügen  und  Felsrippen 
stimmen  vollkommen  zur  Composition  des  Vorder-  und 
Mittelgrundes.  Das  strahlende  Sonnenlicht  und  die  durch- 
sichtigste Luft  lassen  denn  auch  Alles  selbst  in  weiter 
Ferne  ganz  hell  und  genau  erscheinen.    Wie  anders  bei 


An  Bernh.  Scholz  807 

uns  am  Rhein!  Nicht,  daß  die  Landschaft  nicht  ebenso 
schön  und  schöner  wäre,  aber  sie  ist  so  verschieden  von 
der  hiesigen,  wie  deutsche  und  itahenische  Kunst,  und  man 
erkennt  an  diesem  Vergleich  am  deutlichsten,  wie  innig  Kunst 
und  Natur  sich  durchdringen,  d.  h.  in  ächten  Kunstwerken. 

Einen  recht  interessanten  Ausflug  habe  ich  neulich  nach 
Prima  Porta  gemacht,  wo  neuerdings  an  einer  Villa  der 
Livia  ausgegraben  wird.  Man  hat  bereits  eine  sehr  schöne 
Statue  des  Augustus  gefunden  und  hofft  noch  reiche  Aus- 
beute. Außerdem  ist  die  Lage  des  Orts  sehr  schön  und 
gewährt  prächtigen  Ueberblick  über  die  wellige  Campagna, 
in  deren  Mittelpunkt  man  sich  so  recht  befindet. 

Wunderlich  ist  auch  das  Hirtenleben  in  der  unermeß- 
lichen Ebene,  wie  da  diese  Nomaden  sich  in  den  Trümmern 
früherer  Herrlichkeit  oder  zerbrochenen  Grabmonumenten 
häuslich  einrichten  und  zwischen  stolzen  Säulen  dürftig 
Flickwerk  von  Steinen  eingefügt  haben,  um  ein  paar  Mo- 
nate des  Jahres  drin  zu  hausen.  Rings  umher  grasen  die 
Pferde,  Rinder  u.  Schafe;  man  erlebt  ein  Stück  alten 
Testaments.  Mit  der  Sicherheit  ist  es  in  und  um  Rom  ganz 
gut  bestellt;  in  Neapel  soll's  dagegen  recht  schlimm  stehen; 
natürlich  wiid  auch  übertrieben.  Es  wird  mich  nicht  ab- 
halten hinzureisen,  aber  es  vermindert  das  Behagen. 

Lebt  wohl,  Ihr  Lieben,  für  heute.  Lohnt  meine  rasche 
Antwort  durch  ein  Gleiches.  Seid  herzlich  gegrüßt  und 
behaltet  Beide  lieb 

Euern 

Bernhard. 

An  Bernh.  Scholz 

[Hannover]  am  7'«°  Mai  [i863]. 

Mein  lieber  Scholz !  Deine  Sehnsucht  nach  dem  Grimm- 
Danteschen  Fegefeuer   scheint   so   italisch  glühend, 
daß   ich  den  Text   nach   zweitägigem  Suchen  zu  unum- 


3o8  An  Bernh.  Scholz 

schränktem  Gebrauch  überschicke,  voraussetzend,  daß  eben 
Grimms  selbst  Dir  den  Text  zudenken.  Von  ihnen  habe 
ich  kein  Wort  gehört;  und  auch  Du  schweigst  über  meine 
Freunde.  Die  Stille  hat  mir  fast  etwas  schwüles,  —  Als 
ich  den  Text  vor  drei  Jahren  ungefähr  bekam,  hatte  ich 
(der  herrlichenDante'schenldee  und  seines  ganzen 
Gesanges  wegen)  die  Hoffnung,  die  Worte  würden  sich 
mir  zu  Musik  gestalten.  Die,  wie  mir  beim  Wiederlesen 
scheint,  gänzlich  unpraktische  Fassung  des  Textes  für  mu- 
sikalische Gestaltung  wird  indeß  auch  Dich  kaum  zur 
Komposition  kommen  lassen,  und  ich  schicke  sie  Dir  eigent- 
lich bloß,  damit  Du  Dich  selbst  zur  Beruhigung  davon 
überzeugen  kannst.  Aber  Du  wirst  mir's  glauben,  wenn 
ich  Dir  sage,  daß  ich  Dir  das  Opfer  gebracht  haben  würde, 
auch  wenn  ich  ihn  zur  Komposition  für  passender  erachtet 
hätte.  — 

Ich  gebe  die  Hoffnung  nicht  auf,  für  Gesang  schreiben 
zu  lernen.  — 

Gestern  war  Orpheus  zum  2**^"  Male;  Ursi  sang  noch 
freier  als  das  i'^  Mal,  das  Haus  war  voll,  der  Erfolg  wie- 
der wahr.  Es  gieng  gut.  Leider  muß  nun  meine  Ursi  bis 
zum  10'^"  die  lustigen  Weiber  lernen!  Daß  sie  gerade  an 
dem  Tagi)  Nicolai  singen  muß!  Mein  Glück  ist  aber  so 
groß,  daß  diese  kleinen  Dinge  verschwinden.  —  Brahms 
war  drei  Tage  lang  ein  herzlich  theilnehmender  Gast  und 
hat  sich  die  Herzen  Deiner  Kapitelkollegen  2)  entschieden 
gewonnen.  Ich  empfehle  ihn  dem  Oberkater  dringend. 
Lasse  uns  nicht  über  Schreiben  richten.  Dein  Ausspruch, 
daß  Deine  Briefe  an  die  Olle  auch  für  mich  gelten,  läßt 
sich  eben  so  gut  umdrehen.  Ich  habe  aber  doch  gern  eine 
direkte  musikalische  Anrede,  und  Dein  Vorschlag  ist  mir 
schon   ganz   lieb  z.  B.  —  Schreibe  recht  viel  Noten  und 

*)  ihrem  Geburtstag. 

*)  Über  den  voi»  Scholz  gegründeten  Orden  der  schwarzen  Katze  vgl. 
Verklungene  Weisen  S.  1 69  ff.,  auch  Brahms'  Briefwechsel  mit  J.  i .  Nov.  1 863. 


Von  Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis  Sog 

lasse    uns   Hannover    immer   erträglicher   gestalten.    Wir 
könnens,  wenn  wir  wollen! 

Dein 

Joseph  J. 

Von  Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis 

Rom  Zum  lo  Mai  i863. 

yor  Allem,  gute  Olle,  einen  herzlichen,  frischen  Gruß,  — 
Glückwunsch  nicht  mehr  als  sonst,  denn  ich  wünsche 
Dir  immer  alles  Erfreuliche  und  Gedeihliche  und  Erfül- 
lung aller  Deiner  liebsten  Hoffnungen  und  Träume.  Es  ist 
nun  beiläufig  ein  Jahr,  daß  wir  uns  kennen,  und  ich  freue 
mich  von  Herzen,  daß  dies  Jahr  ein  Gutes  und  Segens- 
reiches für  Dich  geworden  ist,  daß  unsre  Begegnung  in 
eine  Zeit  fällt,  die  Dir  immer  theuer  sein  wird  und  auf 
diese  Art  mit  Deinen  schönsten  Erinnerungen  verknüpft 
ist  und  bleibt.  Laß  Dir  dies  glückliche  erste  Jahr  unserer 
Freundschaft  Vorbedeutung  sein  für  viele  Folgende;  ver- 
bringe den  heutigen  Tag  heiter  und  froh  mit  Deinem  Lieb- 
sten, und  vergeßt  dabei  der  Abwesenden  nicht  ganz,  die 
sich  mit  Euch  und  Eurem  Glücke  freuen.  Wenn  Dir  heute 
die  Ohren  klingen,  so  denk',  daß  ich  ein  Glas  vortrefflichen 
Est-Est  auf  Dein  —  auf  Euer  Wohl  leere. 

Hab'  schön  Dank  für  Deinen  Brief;  ich  hoffe,  Du  er- 
zählst mir  in  Deinem  nächsten  ein  bischen  Ausführlicheres 
vom  Orpheus;  das  interessirt  mich  doch  gar  sehr;  ich  bin 
auch  begierig  zu  erfahren,  ob  und  wann  die  Oper  noch 
wiederholt  wurde. 

Daß  Eure  Hochzeit  sich  verzögert,  ist  recht  schade.  Es 
ist  verlorne  Zeit,  aber  es  ist  Euer  Wille;  denn  von  einem 
Muß,  das  Concert  zu  des  Königs  Geburtstag  zu  dirigircn, 
kann  für  Joachim  nicht  die  Rede  sein.  Nun,  Euer  Braut- 
stand gehört  immer  noch  zu  den  kurzen,  und  jedenfalls 


3io  Von  Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis 

zu  den  schönsten.  Ich  muß  es  als  einen  Verlust  für  mein 
ganzes  Lehen  beklagen,  daß  feindliche  Elemente  die  Zeit 
meiner  Jugend,  die  Andern  die  seligste  ist,  in  eine  Zeit  der 
Trübsal  und  des  Kummers  verwandelt  haben,  und  daß  ich 
das  Glück,  eine  Seele  ganz  zu  eigen  gewonnen  zu  haben,  mit 
der  gänzlichen  Entfremdung  von  allen  Denen,  die  ich  bis 
dahin  treu  und  aufrichtig  geliebt  hatte,  erkaufen  mußte  i). 
Doch  was  soll  ich  Dir  das  heute,  an  einem  Fest-  und 
Freudentag  erzählen?  Das  hat  sich  ja  auch  Alles  wieder 
geändert  und  gebessert,  und  Du  selbst  weißt  ja,  wie  herz- 
lich das  Verhältniß  zwischen  mir  und  den  Meinigen  wie- 
der geworden  ist. 

Glaub  mir's,  daß  ich  Deine  Sehnsucht  nach  einer  Hei- 
math recht  wohl  verstehe  und  begreife,  und  daß  es  mein 
ehrlich  Streben  war,  Dir,  ehe  Du  sie  wirklich  gefunden 
hattest,  wenigstens  einigen  Ersatz  dafür  zu  bieten  und  Dich 
am  Heerde  der  Meinigen  die  eigene  Entbehrung  momentan 
vergessen  zu  machen.  Wie  schön  hat  sich  das  geändert,  — 
und  ich  freue  mich  ganz  ungemein  drauf,  Dich  in  neuer 
Würde  zu  begrüßen.  Dich  wohl-  und  festgegründet  im 
eigenen  Haus  zu  finden.  Du  erzählst  im  Voraus  so  lieb 
und  hübsch  davon,  daß  ich  fast  möchte,  es  wäre  schon 
wieder  Winter,  und  ich  säße  an  Deiner  Feuerecke  und  es 
geschähe  all  das,  was  Du  mir  so  lockend  vorgeplaudert 
hast.  Ich  fürchte  nur,  oder  vielmehr  es  ist  leider  gewiß, 
daß  es  nicht  oft  der  Fall  sein  wird,  denn  wir  hätten  uns 
mit  Müh  und  Fleiß  nicht  weiter,  als  es  geschehen  ist,  aus- 
einander quartieren  können.  Da  verbietet  sich  all  der  Ver- 
kehr auf  kurze  Zeit,  die  nachbarlichen  Besuche  und  die 
Freude,  sich,  wenn  das  Herz  treibt,  einmal  flüchtig  zu  sehen 
und  zu  begrüßen,  von  selbst.  Ich  weiß  wohl,  daß  Ihr, 
junges  Paar,  das  für's  Erste  nicht  vermissen  werdet,  aber 
mir  wird  es  recht  sehr  abgehen,  und  deshalb  beklage  ich 
die  Wahl  dieser  Wohnung.    Wir  werden  uns  eben  dann 

1)  Vgl.  „Verklungene  Weisen«  S.  88f. 


Von  Bernh.  Scholz  an  Amalie  Weis  3ii 

und  wann  besuchen,  wie  Leute  die  an  verschiedenen  Orten 
leben.  Mit  der  Zeit,  wenn  Ihr  wieder  geselliger  geworden 
sein  werdet,  wird's  Euch  schon  näher  zu  Scholzen's  ziehen  — 
so  hoffe  ich,  wenn  es  mir  gleich  leid  thut,  daß  Ihr  schon 
bald  Wohnung  wechseln  sollt.  —  Das  und  viel  Anderes 
wird  Euch  erst  in  Zukunft  klar  werden :  laßt's  ruhig  heran- 
kommen ! 

Du  fragst,  ob  ich  Dich  noch  für  eitel  halte;  darauf  muß 
ich  Dir  vor  Allem  erwidern,  daß  ich  Dich  niemals  so  ge- 
ring taxirt  habe.  Dich  als  Künstlerin  für  eitel  zu  halten 
und  zu  glauben,  daß  Dir  am  Jubel  der  Menge  etwas  liege. 
Ich  war  immer  überzeugt,  daß  Du  darin  ganz  wie  ich 
empfandest  und  Deinen  Beruf  dahin  verstanden  hast,  das 
Volk  zu  erbauen,  nicht  zu  ergötzen  im  gemeinen  Verstand 
des  Worts;  nur  deshalb  fand  ich  so  großen  Genuß  darin, 
mit  Dir  zusammen  zu  wirken.  Wenn  ich  Dich  zuweilen 
vor  Eitelkeit  warnte,  so  meinte  ich  damit  die  gewöhnliche, 
verzeihliche  Mädcheneitelkeit,  weil  die  Gefahr,  daß  diese 
erweckt  würde,  durch  Deine  Stellung  Deinem  Beruf  näher 
lag,  als  bei  Andern;  besinne  Dich,  bei  welcher  Gelegen- 
heit und  vor  welcher  Art  Aufmerksamkeit  ich  Dich  zu 
hüten  bat.  Auch  das  war  vielleicht  unnöthig,  aber  Du 
hast's  dem  Bären,  der  eben  von  Zeit  zu  Zeit  einmal  brum- 
men muß,  zu  Gute  gehalten.  Verzeih's  ihm  auch  ferner, 
wenn  er  die  schlechte  Gewohnheit  nicht  sollte  lassen  kön- 
nen! Gelt?  Du  bist  übrigens  im  Irrthum,  liebe,  gute  Olle, 
wenn  Du  meinst,  ich  komme  hier  nicht  zum  Arbeiten. 
Meine  Wohnung  ist  so  schön,  daß  ich  jetzt  gern  viel  zu 
Hause  bin,  und  daß  ich  auch  schon  zwei  Symphoniesätze 
fertig  habe.  Lobst  Du  mich?  Halte  Deinen  Jo  nur  diesen 
Sommer  an,  hübsch  fleißig  zu  sein;  er  hat  lang  genug  ge- 
sammelt und  soll  nun  losschießen.  Es  wäre  sündlich, 
wenn  er  jetzt  nicht  was  Rechtes  schaffte;  aber  bald,  bald! 
Nicht  warten  bis  zum  Winter!  Denn  in  Hannover,  selbst 
wenn  Ihr  auf  einer  Insel  statt  auf  einer  Halbinsel  wohntet, 


3i2  Von  Beruh.  Scholz  an  Amalie  Weis 

kommt  die  rechte  Muße  und  Ruhe  nicht.  Auch  ist  der 
Himmel  im  Winter  gar  zu  löschpapiern ;  die  Sonne,  die 
Hitze  kocht  die  Gedanken,  wie  den  Wein! 

Ich  lebe  hier,  nach  wie  vor,  froh  und  glücklich,  endlich 
das  Ziel  langjähriger  Wünsche  erreicht  zu  haben,  in  der 
ewigen  Stadt  zu  sein.  Allemal,  wenn  ich  mir  dessen  so 
recht  bewußt  werde,  lacht  mir  das  Herz.  Es  ist  für  mich 
ein  Glück,  das  ich  nicht  auskosten  kann.  Ich  muß  auch 
sagen,  es  ist  ganz  gut,  daß  Ihr  nicht  hierher  Eure  Hoch- 
zeitsreise macht.  Es  wäre  zu  viel  auf  einmal.  Liebende 
genügen  sich  selbst  und  verlangen  zu  ihrem  vollen  Glück 
nur  eine  harmonisch  gestimmte  Umgebung,  wie  sie  eine 
schöne  Landschaft,  reiche  und  friedliche  Natur  gewähren. 
Ihr  würdet  hier  halb  im  Traum  befangen  herumwan- 
dern —  würdet  Euch  vorkommen  wie  in  einer  Märchen- 
welt; —  auch  das  wäre  wunderschön,  aber  es  wäre  doch 
Schade  um  das,  was  Ihr  versäumtet  und  übersähet.  Rom 
W'ill  ganz  genossen  sein  und  vermag  aus  eigner  Kraft  zu 
beglücken,  wie  ich  es  nun  empfinde  und  es  Euch  einmal 
für  spätere  Zeiten  wünsche. 

Genießt  denn  aus,  was  Euch  die  Götter  geben,  und  lebt 
ein  schönes  Leben  zu  Eurem  und  Anderer  Genuß! 

Addio,  liebe  gute  Olle!  Einen  Geburtstagskuß  hebst  Du 
mir  auf  bis  zum  Wiedersehen,  gelt? 

Schreibe  mir  recht  bald  wieder.  Du  machst  mir  damit 
große  Freude!  Sprich  mir  ein  bischen  Muth  zu  zur  Ar- 
beit und  bitte  auch  Deinen  Jo,  daß  er  mir  endlich  auch 
einmal  ein  paar  Worte  gönnt. 

In  alter  Treue 

Dein 

Bär. 


An  Clara  Schumann  3i3 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  26"^"  Mai  [i863]. 

Verehrte  Frau  Schumann. 

Es  ist  schon  die  längste  Zeit  seit  Ihrem  lieben  Besuch 
verflossen,  und  ich  meine,  das  darf  nicht  mehr  mit 
gegenseitigem  Stillschweigen  so  fort  gehen!  Sind  Sie  recht 
mitten  unter  Haushalteinrichtungssorgen?  Wohnen  Sie 
schon  behaglich  in  Nr.  i4  ünterbeuern?  Musiciren  und 
lesen  und  spatzieren  Sie  viel  mit  den  lieben  Mädchen  und 
Knaben?  Ich  bin  zu  begierig  auf  Ihr  Haus  und  wollte,  es 
gäbe  eine  Photographie  davon.  Unseres  kennen  Sie,  aber 
leider  steht  es  noch  immer  leer!  Ich  warte  schon  über 
10  Tage  auf  die  Erlaubniß  des  Pesther  Magistrats  zum 
Aufbieten  in  der  Kirche,  weil  der  hiesige  sich  oesterreichi- 
schen  Unterthanen  gegenüber  für  unkompetent  erklärte. 
Hol'  der  —  Schindler  i)  alle  diese  langweiligen  Zöpfe  von 
Wichtigthuern  und  Stowcoatches  2) !  14  Tage  wird's  nun 
jedenfalls  noch  dauern,  bevor  wir  mit  Kaulbach *s,  Brinck- 
mann's  und  Frau  Detmold  (wenn  sie  dann  noch  hier  ist) 
in  die  Kirche  fahren  können.  Wahrscheinlich  in  die 
W uns  torfer.  Johannes  meinte,  er  würde  wohl  auch 
kommen;  Sie  können  Sich  denken,  wie  sehr  mich  das 
freuen  würde.  Er  war  3  Tage  hier  und  sehr  lieb  und 
herzlich  in  seiner  Theilnahme.  Den  Orpheus  hat  er  mit 
angehört,  und  auch  sein  Quintett 3)  konnte  ich  ihm  vor- 
führen.   Es  ist  zu   Schade,   daß  die  Total  Wirkung  dieses 

^)  der  köstliche  „ami  de  Beethoven",  der  als  Kritiker  der  Nieder- 
rheinischen Musikzeitung  gelegentlich  Joachim  als  Interpreten  Beethoven- 
scher Quartette,  und  zuletzt  in  der  Nummer  vom  4»  April  dessen  Un- 
garisches Konzert  verhöhnt  hatte. 

*)  Londoner  Slang,  etwa  mit  „Möbelwagen"  zu  übersetzen. 

')  Das  F  moll-Quintett,  das  ursprünglich  für  Streichinstrumente  gesetzt 
war,  dann  zu  einer  4  händigen  Sonate  umgegossen  wurde,  die  aber  Brahms 
auch  nicht  recht  gefallen  wollte. 


3i4  An  Th.  Ave-Lallemant 

Stückes,  trotz  so  vieler  bedeutender  Züge  keine  befriedigende 
ist,  und  es  war  mir  lieb,  daß  Johannes  durch  eigenes  Hören 
zu  dem  Wunsch  kam,  es  anders  zu  machen.  Ein  Mensch 
von  so  bedeutendem  Charakter  kann  nichts  auf  Hörensagen 
annehmen.  —  Ich  werde  Ihnen,  liebe  Frau  Schumann, 
natürlich  den  Tag  unserer  Hochzeit  wissen  lassen,  damit 
Sie  unser  gedenken  können,  während  wir  in  der  Kirche 
sind.  Wären  Sie  doch  weniger  weit!  —  Wenn  Sie  Franz 
Lachner  in  diesen  Tagen  besucht,  so  sagen  Sie  ihm  doch 
auf  seine  Bitte i)  kein  „Nein".  Ich  habe  zugesagt  und  finge 
gern  die  Saison  mit  dem  günstigen  Omen  an,  vereint  mit 
Ihnen  zu  musiciren.  Meine  Braut  will  selbst  schreiben, 
und  grüßt  einstweilen  von  Herzen,  wie 

Ihr 

J.  Joachim. 

An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover  5.  Juni  i863.] 
Mein  lieber  Ave. 

Eben  haben  wir  nach  langer  Unsicherheit  bestimmt,  daß 
die  Trauung  am  Mittwoch  um  1 1  Uhr  sein  soll.  Wärest 
Du  nicht  durch  Weib  und  Kind  so  sehr  an  die  Heimath 
gekettet,  so  hätte  ich  am  Ende  die  Freude,  Dich  hier  zu 
sehen;  denn  daß  Du  selbstverständlich  von  mir  und  meiner 
Braut  herzlich  geladen  bist,  brauche  ich  nicht  erst  zu  sagen. 
Mir  ist's  wie  einem  Menschen,  der  seit  der  Kindheit  zum 
jten  ]y[g^}  nach  langer  Irrfahrt  das  Gefühl  der  Heimath 
wieder  kennen  lernt!  Wir  wollen  um  5  Uhr  Mittwochs 
über  Nürnberg  nach  Salzburg,  später  zu  den  Eltern  und 
Geschwistern.  So  viel  vor  der  Hand!  Du  hast  wohl  die 
Güte,   Johannes  dem  Altern  beiliegende   Zeilen  zu   über- 

^)  Einladun{j  zum  Musikfest  in  München  im  September,  bei  dem  auch 
Joachims  mitwirkten. 


An  seine  Schwester  Josepha  Ronay  in  Pesth     3i5 

mittein.    Den  jungem  grüße  vielmals,  wie  alle  die  Deinen, 
namentlich  Deine  liebe  Frau. 

Schneewittchen  ruft  mich  ab  und  Euch  einen  schönen 
Gruß  zu.    Also  auf  Wiedersehen,  vielleicht  sehr  bald! 
Dein 

herzlich  ergebener 

Joseph  Joachim. 

An  seine  Schwester  Josepha  Ronay  in  Pesth 

[Hannover]  Sonntag  y.  Juni  [i863]. 

Liebe  Peppi 

Es  ist  mir  eine  große  Freude,  Dir,  wenn  auch  nur  mit 
wenigen  Worten,  schreiben  zu  können,  daß  ich  am 
10"",  also  Mittwoch,  hier  in  der  Schloßkirche  mit  meiner 
lieben  Amalie  getraut  werde.  Ich  weiß.  Du,  Dein  lieber 
Thali  u.  Deine  1.  Kinder  werden  herzlich  Antheil  an  meinem 
Glück  nehmen.  Wenn  ich  an  die  Charaktertiefe,  die  geistige 
Ursprünglichkeit  und  Anmuth  meiner  Braut  denke,  so  muß 
ich  mir  sagen,  daß  ich  alle  meine  Kraft  zusammen  nehmen 
sollte,  um  ein  so  reichbegabtes  Wesen  zu  verdienen.  Du 
wirst  selbst  ja  bald  meine  Zukünftige  kennen  lernen  und, 
ich  hoffe  es.  Deine  neue  Schwägerin  bald  lieb  gewinnen. 
Wir  werden  jedenfalls  im  Lauf  des  Sommers  Euch,  meine 
lieben  Geschwister,  und  die  lieben  Eltern  besuchen,  und 
so  darf  ich  sagen:  Auf  baldig  Wiedersehen!  Theile,  ich 
bitte  darum,  auch  der  lieben  Hanni  und  Aranyi  diese  Zeilen 
freundlichst  mit.  Ich  habe  natürlich  vor  der  Hochzeitsreise 
noch  viel  zu  thun. 

Von  unterwegs  werde   ich  noch  Nachricht  geben    und 
verbleibe  für  heute  mit  vielen  Grüßen  von  mir  und  Amalien 

Dein 

treuer  Bruder 

Joseph. 


3i6  Von  Clara  Schumann 

Von  Bernhard  Scholz  an  Ursi  u.  Joachim 
zum  Hochzeitstag 

Rom  etwa  y.  Juni  i863. 
hr  Lieben,  so  ganz  fern  von  Euch  kann  ich  an  Eurem 


I 


Hochzeitstag  doch  nicht  bleiben. 

Ich  kann  Euch  nicht  in's  Auge  sehen,  Euch  die  Hände 
drücken,  aber  diese  Zeilen  sollen  Euch  wenigstens  Grüße 
und  eine  römische  Reliquie  bringen,  —  ein  Blatt  von  der 
Eiche  Tassos  im  Garten  von  S.  Onofrio,  das  ich  im  Ge- 
danken an  Euch  gepflückt  habe. 

Du,  mein  Freund,  genieße  Fülle  des  Glücks,  wie  er  Fülle 
des  Leids  gekostet!  Dir,  meine  gute  Schwester,  weiß  ich 
nichts  Anderes  zu  wünschen,  denn  sein  Glück  ist  ja  fortan 
das  Deine  —  ja.  Du  selbst  sollst  sein  Glück  sein  und  bleiben. 
Habt  Euch  lieb  und  behaltet  lieb  Eure  Freunde,  vornehm- 
lich den,  der  Euch  Beide  zusammen  doch  am  liebsten  hat. 

Erfreut  mich  bald  mit  ein  Paar  Worten;  laßt  mich 
wissen,  wo  Ihr  seid,  damit  wir  in  Beziehung  bleiben.  .  .  . 

Und  so  lebt  wohl  für  heute !  Lange  aufhalten  darf  man 
Euch  an  solchem  Tage  nicht.  Gebt  Euch  gegenseitig  einen 
tüchtigen  Kuß  für  mich! 

Aller  Segen  über  Euch! 

Euer  treuester 

Bernhard. 

Von  Clara  Schumann 

Baden  d.  8  Juni  i863.    Lichtenthai  i^. 
Mein  guter,  lieber  Joachim, 

So  wäre  er  denn  da,  der  langersehnte  Tag,  der  Ihnen  des 
Lebens  höchstes  Glück  bringen  soll,  und  ich  kann  nicht 
bei  Ihnen  sein  und  Ihnen  wenigstens  die  Hand  drücken! 


Von  Bernh.  Scholz  817 

Worte  giebt  es  gar  wenig  für  solches  Glück,  es  ist  ja  auch 
genug,  daß  man  es  kennt,  ganz  mitzuempfinden  weiß. 
Ach,  ich  wäre  gewiß  gekommen,  die  Entfernung  hätte 
mich  nicht  geschreckt,  aber  ein  Grund,  den  ich  seiner 
Prosa  halber  jetzt  gar  nicht  aussprechen  mag,  macht  es 
mir  unmöglich!  Sie  haben  mir  die  Stunde  der  Trauung 
nicht  mitgetheilt,  ich  will  sie  mir  1 2  Uhr  denken,  ich  werde 
den  ganzen  Tag  nichts  anderes  denken  können  als  Sie. 

Den  lieben  Brief  Ihrer  theueren  Ursi  habe  ich  erhalten 
und  danke  Ihr  sehr  dafür,  aber  erschreckt  hat  sie  mich 
durch  die  Äußerung,  daß  sie  sich  unseres  Wiedersehens 
in  —  München  freue.  Sollten  Sie  nicht  mehr  daran  denken, 
mich  im  Laufe  des  Sommers  hier  zu  besuchen?  das  thäte 
mir  recht  weh,  denn  darauf  hoffe  ich  freudig,  wir  Alle !  — 
W^o  Sie  Sich  nun  Ihre  Hütte  bauen,  von  da  schreiben  Sie 
mir  bald,  damit  ich  weiß,  wo  Sie  meine  Gedanken  suchen 
können. 

Sie  sollten  dieser  Tage  eine  Kleinigkeit  in  den  neuen 
Haushalt  von  mir  haben,  jedoch  hat  der  Umzug  uns  so 
viel  Zeit  geraubt,  daß  wir  (ich  und  meine  Kinder)  erst  jetzt 
anfangen  konnten,  daran  zu  arbeiten.  Einstweilen  nehmen 
Sie  den  guten  Willen  für  die  That. 

Sie  haben  doch  meine  letzten  Zeilen  erhalten? 

So  denn  das  Innigste  für  Sie  Beide  von  uns  Allen. 

Im  Geiste  und  mit  ganzer  Seele  bei  Ihnen, 

Ihre 

altgetreue 

Clara  Seh. 

Von  Bernh.  Scholz 

Hammermühle  den  27  Juli   i863. 

1% /Tein  lieber  Freund,  ich  hatte  so  lange  nichts  von  Euch 
-ITJ-  gehört,  daß  ich  mich  recht  nach  Nachricht  gesehnt 
habe.    Gestern   kam   denn    endlich   ein    Brief  von   Deiner 


3i8  Von  Beruh.  Scholz 

Heben  Ursi;  nun  weiß  ich  doch  wieder,  wohin  ich  zu 
denken  habe,  um  Euch  im  Geiste  zu  finden.  Ich  male  mir 
Euer  Häuschen  und  Garten  und  Teich  im  herrhchen  Salz- 
burgerland gar  schön  aus  und  wünsche  nur  recht  von 
Herzen,  daß  Dein  gutes  Weibchen  sich  recht  bald  erholt 
und  kräftigt,  damit  Ihr  unbesorgt  und  freudigen  Sinnes 
alles  Schöne  genießen  könnt,  das  sich  Euch  bietet. 

Ich  bin  nun  über  i4  Tage  hier  und  lasse  die  Bilder  der 
vergangenen  Tage  an  mir  vorüberziehen.  Ich  habe  Schönes 
und  Herrliches  gesehen,  und  als  ich  nach  Hause  kam,  fand 
ich  Frau  und  Kind  wohlauf  und  frisch,  und  das  war  das 
Beste  von  Allem.  Am  20*^"  August  muß  ich  wieder  in 
Hannover  sein.  Wie  mir  vor  dem  dortigen  Treiben  graut, 
kann  ich  Dir  nicht  sagen.  Ich  war  nun  fast  ^/g  Jahr  diesen 
Gemeinheiten  fern  und  fürchte  mich  wahrhaft  vor  dem 
Anblick  der  geliebten  Gesichter.  Wärt  Ihr  doch  wenig- 
stens gleich  zu  Anfang  dort,  damit  ich  mich  auf  etwas 
freuen  könnte!  Ich  glaube  nicht,  daß  ich's  beim  Theater, 
oder  wenigstens  an  diesem,  mehr  lange  aushalte;  es  wird 
zu  viel  Schindluder  mit  der  Kunst  dabei  getrieben.  Ich 
denke  manchmal,  es  sei  vielleicht  besser,  mich  hier  auf  Erb 
und  Eigen  zu  setzen,  meine  Aecker  zu  bauen;  dann  muß 
ich  wenigstens  die  Kunst,  die  ich  liebe,  nicht  mehr  ent- 
würdigen helfen;  denn  ob  ihr  und  mir  mein  Dienst  etwas 
frommt  —  ist  ja  doch  sehr  fraglich.  Mir  ist  oft,  als  sei  jede 
Note,  die  ich  schreibe,  eine  Sünde  wider  den  heiligen  Geist, 
und  vom  Uebel.  Was  ich  erreichen  möchte,  ist  ja  so  fern, 
so  fern,  daß  ich  nie  dahin  gelangen  werde.  So  quäle  ich 
mich  in  ohnmächtigem  Ringen  —  wonach?  —  Auch  die 
Abhängigkeit  vom  Hof  und  dessen  corrupter  Umgebung 
drückt  mich :  hier  könnte  ich  Freiherr  sein !  —  Wie  anders, 
wie  glücklicher  stehst  Du  da !  Wieviel  Herzen  erfreut  Dein 
Wirken,  wieviel  Augen  strahlen  freudiger,  wenn  Du  ge- 
spielt, willkommen  bist  Du  allen  Guten,  Du  siehst  täglich 
den  Segen  Deiner  Arbeit  —  das   allein   ist   doch  das 


Von  Beruh.  Scholz  819 

wahre,  das  ächte  Glück.  —  Glaube  nicht,  daß  ich  etwa  an 
einer  falschen  Bescheidenheit  laborire  oder  daß  mich  Mangel 
an  äußerer  Anerkennung  schmerzt.  Weit  entfernt  von 
Beidem!  Wenn  ich  mich  mit  Andern  vergleiche,  bin  ich 
gar  nicht  bescheiden.  Es  gibt  Wenige,  kaum  Einen,  dem 
ich  mehr  zutraue  als  mir;  so  wenig  mich  meine  Arbeiten 
befriedigen,  so  wenig  würden  mich  die  Leistungen  irgend 
eines  Andern  —  Dein  Concert  und  manche  Brahmssche 
Sache  nehme  ich  aus  —  zufrieden  stellen;  aber  wäre  ich 
mit  mir  zufrieden,  so  läge  mir  an  Anerkennung  von  Seiten 
der  Leute  blutswenig.  Das  einzige  Stück,  das  ich  nicht  be- 
reue gemacht  zu  haben,  ist  das  Requiem  —  und  auch  das 
hat  seine  große  Schwächen,  die  ich  mir  gar  nicht  ver- 
hehle. —  Genug  davon;  es  ist  nicht  recht,  daß  ich  Dir  das 
Alles  sage,  und  doch,  —  wem  soll  ich  mich  so  offen  an- 
vertrauen, wenn  nicht  Dir,  dem  einzigen  meiner  Freunde, 
der  mich  in  dieser  Beziehung  ganz  verstehen  kann. 

Noch  habe  ich  beinahe  4  Wochen  Freiheit;  die  will  ich 
genießen;  am  Rhein  ist's  doch  gar  schön!  Und  das  Volk 
am  Rhein  ist  auch  prächtig!  Am  vorigen  Sonntag,  —  er- 
zähle es  der  Ollen  —  Avaren  wir  auf  der  Platte,  und  da 
lag  mein  schönes  Vaterland  vor  mir  ausgebreitet.  Italia  ist 
herrlicher,  aber  die  Saiten,  die  der  Anblick  der  Heimat, 
einer  geliebten  Heimat,  mit  der  uns  alle  Erinnerungen  der 
Jugend  verknüpft  haben,  erklingen  läßt,  klingen  stärker 
als  alle  andern.  Das  einzige,  heilige  Rom  kann  daneben 
bestehen  —  weil  es  ein  Kunstwerk  ist,  das  Jahrtausende 
geschaffen.  Es  wirkt  wie  eine  ächte  Tragödie,  reinigend 
und  befreiend:  geb's  Gott,  daß  ich  noch  einmal  dahin 
ziehen  kann! 

Und  nun,  mein  Lieber;  wenn  Ihr  nicht  mehr  hierher 
kommen  könnt,  so  lange  wir  da  sind,  laßt  uns  nicht  lange 
in  Hannover  allein.    Ich  habe  Euch  dort  zu  nöthig. 

Grüße  mir  die  liebe  Olle  recht  von  Herzen;  es  geht  mir 
nah,  daß  sie  leidend  war  —  denn  hoffentlich  ist  sie's  bei 


320  Von  Bernh.  Scholz 

Ankunft  dieser  Zeilen  nicht  mehr.  Sie  soll  recht  brav  sein 
und  Dir  in  Allem  hübsch  folgen,  und  wenn  sie  das  thut 
und  lieb  ist,  dann  belobe  ich  sie  dafür  in  einem  Extra- 
Briefe, gerade  so,  wie  sie  mich  für  meine  Symphonie  be- 
loben —  wollte.  Ich  erwarte  also  ihre  Conduitenliste  dem- 
nächst von  Dir,  und  das  wird  Dich  veranlassen,  mir  gleich 
zu  schreiben. 

Adieu,  Lieber,  laß  mich  nicht  auf  Nachricht  warten. 

Der  Deine 

B.  Scholz. 

Von  Bernh.  Scholz 

Hammermühle  lo.  Aug.  i863. 

ieber  Jo,  habe  schönsten  Dank  für  Deine  gute  Nach- 
richten über  Ursi.  Ich  freue  mich  von  Herzen,  daß 
Ihr  Beide  nun  das  schöne  Salzburg  genießen  könnt.  Ich 
kenne  es  sehr  wohl  und  erinnere  mich  mit  Entzücken  an 
Maria  Piain,  den  Park  von  Aigen,  den  Kapuzinerberg  und 
vor  Allem  an  Berchtesgaden  und  den  herrlichen  Königs- 
see. Ich  bin  dort  im  Herbst  56  mit  Lachner  gewesen ;  wir 
haben  damals  Mozart  gefeiert  und  genußreiche  Tage  ver- 
lebt. Der  Wiener  Männergesangverein  war  mit  uns  auf 
dem  Königssee,  und  es  war  von  unbeschreiblicher  Wir- 
kung, wie  die  frischen  Burschen  von  Kahn  zu  Kahn  im 
Wechselgesang,  rufend  und  antwortend,  das  Weber- Kör- 
ner'sche  Schwertlied  und  andere  Kraftlieder  ausführten. 
Freut  Euch  der  herrlichen  Natur,  so  lang  es  geht:  es  sei 
Euch  gegönnt,  wenn  wir  Euch  auch  noch  mehrere  Wochen 
entbehren  sollen.  Wenn  Ihr  nach  München  kommt,  grüßt 
Lachner  freundlichst  von  mir.  Er  ist  immer  von  der  größten 
Liebenswürdigkeit  gegen  mich  gewesen;  auch  seine  Frau 
war  in  München  immer  gütig  gegen  mich,  und  deshalb 
bitte  ich  die  gute  Olle,  diese  speziell  von  mir  zu  grüßen. 


An  Clara  Schumann  821 

Ich  wünschte,  Du  führtest  diesen  Winter  seine  erste  Or- 
chestersuite auf;  es  ist  doch  allerorts  geschehen  und  eine 
Schuld,  die  man  einem  verdienstvollen  Musiker  abtragen 
muß. 

Ich  grüße  Euch  Beide  aus  treuem  Herzen  und  bin  und 
bleibe 

Euer  alter  Bär. 

An  Clara  Schumann 

[Salzburg]  am  21.  x4ug.  [i863]. 

IJebe,  verehrte  Freundin. 

Brahms  hat  uns  Ihre  Grüße  gebracht,  und  ich  habe 
mich  sehr  gefreut  über  die  schönen  Tage,  die  er  in 
Ihrer  jetzigen  Heimath  verbracht  hat.  Wann  wird  es  mir 
so  gut  werden,  sie  kennen  zu  lernen?  Auf  dem  Rückweg 
von  München?  Brahms  konnte  mir  nichts  über  Ihre  Pläne 
sagen;  ich  hoffe  Sie  darüber  zu  vernehmen.  Er  theilte  mir 
mit,  daß  Sie  an  2  Concerte  in  München  nach  dem  Musik- 
fest dächten.  Ich  kenne  das  dortige  Publikum  gar  nicht. 
Ist  es  großstädtisch  genug,  um  nach  3  aufeinander  folgen- 
den Musikfesttagen  noch  Lust  zu  neuen  Geldopfern  zu 
haben?  Daß  es  mir  eine  Freude  ist,  so  oft  als  möglich  mit 
Ihnen  zu  musiciren  (lang  über  Gebühr  war  die  Pause!),  ist 
eine  alte  Sache;  schreiben  Sie  mir  also,  wie  Sie  eigentlich 
die  Münchner  Angelegenheit  meinen,  und  ob  Sie  nicht 
(wie  es  mir  passend  schiene)  unsern  Ei'folg  im  Künstler- 
Concert  auf  alle  Fälle  abwarten  wollen,  bevor  wir  uns  zu 
etwas  entschließen.  Warum  führt  nur  der  Weg  von  Baden 
nach  München  nicht  über  —  Salzburg!  Sie  haben  keine 
Idee,  wie  herrlich  es  hier  ist,  und  nun  meine  ürsi  Gottlob 
wieder  frisch  ist,  könnte  ich  mir  nichts  lieberes  denken,  als 
einige  schönste  Punkte  Ihnen  zu  zeigen.  Nur  Luzern  kömmt 
von  dem,  was  ich  bis  jetzt  gesehen,  der  Schönheit  Salz- 


322  An  Clara  Schumann 

burg's  nahe,  aber  die  Berge  sind  noch  mehr  zur  Hand,  die 
Spaziergänge  mannigfacher,  und  das  einzig  fehlende,  der 
herrliche  See,  wird  durch  die  weite  hügel-  und  waldreiche 
Ebene  ersetzt.  Die  Leute  wissen's  auch  in  der  Welt:  es 
vergeht  kaum  ein  Tag  ohne  Fremdenbesuch  bei  uns. 
Manchmal  auch  recht  lieben,  —  Brahms  war  leider  nur 
einen  Tag  da;  ich  hoffe  aber,  er  hält  es  im  steinern  heißen 
Wien  nicht  gar  lang  aus  und  kömmt  noch  einmal  i4  Tage 
her.  Überlegen  wollt'  er's.  In  seinem  neuesten  Werk^) 
sind  ganz  tiefe,  prächtige  Sachen,  und  ich  freue  mich  dar- 
auf, es  mehr  als  flüchtig  zu  genießen.  Wie  gefiel  es  Ihnen? 
Musicirt  habe  ich  hier  viel,  Quartette  mit  David  und  dem 
vortrefflichen  Spieler  Conc.-M.  Bennewitz  ^)  vom  Mozarteum, 
das  auch  einen  brauchbaren  Cellisten  besitzt.  Seit  ein  paar 
Tagen  ist  Fräulein  v.  Asten  auch  hier,  die  merkwürdige 
Fortschritte  gemacht  hat  und  im  Quintett  von  Schumann 
ihrer  Meisterin  gestern  alle  Ehre  machte.  Könnte  ich  Ihnen 
doch  zum  Dank  für  Ihren  lieben  Geburtstagsbrief  von 
etwas  fertig  componirten  vom  Geburtstagskind  berichten! 
Es  ist  aber  noch  immer  nichts  Neues  seit  dem  ungarischen 
Concert  entstanden,  und  wenn  die  nächsten  Wochen  nichts 
bringen,  werde  ich  schlecht  in  München  vor  Ihnen  be- 
stehen, liebe  Freundin!  Ist  Kirchner  noch  bei  Ihnen?  und 
ist  Woldemar  wirklich  ein  vollendeter  Egoist  geworden, 
wie  ich  aus  Andeutungen  von  Brahms  schloß? 

Ich  hoffe  recht  bald  von  Ihnen  zu  hören,  möge  es  recht 
viel  Gutes  sein.  Den  lieben  Ihrigen  von  uns  beiden  die 
herzlichsten  Grüße.  Ihnen  gegenüber  sind  wir  eins  in  herz- 
licher Ergebenheit 

Ihr 

Joseph  Joachim. 

NB;  geboren  am  28.  Juni,  seit  dem  Hochzeits-Geburts- 
Schein  aus  Kittsee  entdeckt. 

1)  Rinaldo. 

*)  Später  Direktor  des  Prager  Konservatoriums. 


Von  Bernh.  Scholz  828 


Von  Bernh.  Scholz 

[Hannover  3o.  Aug.  i863.] 

Ihr  lieben  Guten,  Ich  hoffe  daß  Euch  die  liebe  Sonne 
mehr  begünstigt  als  uns.  Denn  trotzdem,  daß  heute, 
3o.  Aug.  ihr  Tag  ist,  hat  sie  uns  nicht  einmal  freundlich 
angesehen.  Ich  erinnere  mich,  daß  Salzburg  an  trüben 
Tagen  auch  sehr  trüb  ist,  und  wünsche  Euch  deshalb 
lauter  hellen  Sonnenschein.  Dann  ist's  freilich  paradiesisch, 
schon  halb  italienisch  —  Ihr  seht,  Italien  steht  bei  mir 
noch  überm  Paradies  —  die  flachen  Dächer  und  die  Über- 
reste römischer  Baukunst  gemahnen  bereits  an  das  glück- 
liche Land  jenseit  der  Alpen.  —  Das  ist  ein  herrliches 
Land!  Wenn  ich  an  den  leuchtend  hellen  Himmel  der 
Campagna  denke,  ist  mir  immer,  als  sei  dort  mein  Vater- 
land und  ich  hier  in  der  nebelschweren  norddeutschen 
Ebene  im  Exil.  Neulich  ging  ich  mit  Carl  Eyertt  spazieren 
auf  den  Kronsberg  —  ein  Berg,  von  dem  E.  sagte,  er  sehe 
zwar  in  der  Entfernung  nach  nichts  aus,  verschwinde  da- 
gegen in  der  Nähe  vollständig  —  und  da  wollte  ich  mir 
einreden,  es  sei  ja  auch  hier  ganz  schön:  dieselbe  Sonne 
bescheine  mich,  wie  in  Rom,  auch  hier  umgebe  mich  eine 
weite  Ebene,  in  der  Ferne  begrenzt  durch  das  Gebirge. 
Ach  ja  —  aber  wie!  Statt  des  welligen,  sanft  bewegten 
Landes  der  Campagna,  —  Sand  und  Haide,  von  den  Fur- 
chen des  Pflugs  in  viereckige  Aecker  eingetheilt!  Statt  des 
lieblichen  Hains  der  Nymphe  Egeria  —  liebliche  Kiefern- 
schonungen, und  statt  der  herrlichen  Aquäducte  und  dem 
stattlichen  Denkmal  der  Caecilia  Metella  —  interessante 
Windmühlen  und  Ziegeleien.  In  der  Entfernung  statt  des 
Sabinergebirges  den  Deister  und  statt  des  Albanergebirges 
mit  seinen  freundlichen  Städtchen  und  dem  leuchtend- 
weißen Kloster  auf  Monte  Cavo  —  ein  Gewitter,  das  den 
ganzen  Harz   mitsammt   dem  Brockenhaus  einhüllte.    Zu 


324  ^^  Clara  Schumann 

alledem  schnitt  die  liebe  Sonne  (es  war  übrigens  nord- 
deutsch-schönes Wetter)  ein  so  bedauerliches  Gesicht  und 
gab  sich  so  gar  keine  Mühe,  recht  glänzend  zu  scheinen, 
als  wollte  sie  sagen:  „Für  diese  Jegend  bin  ich  viel  zu 
gut!"  Damit  wandte  sie  sich  vornehm  ab  und  machte  sich, 
so  bald  es  irgend  ging,  durch  die  Lappen.  . . . 

Das  Theater  hat  nun  hier  begonnen;  das  Orchester  hat 
neue,  Pariser  Stimmung  ^);  beim  Theater  ist  die  alte  Stim- 
mung geblieben  d.  h.  wir  fangen  mit  den  gewöhnlichen, 
beliebten  Stücken,  Freischütz,  Faust  u.  s.  w.  an.  —  Spaß 
beiseite,  lieber  Joachim,  die  Pariser  Stimmung  klingt  im 
Orchester  famos.  Die  Klangfarbe  der  Bläser  hat  entschie- 
den gewonnen.  Sie  müssen  sich  nur  erst  recht  auf  den 
neuen  Instrumenten  einspielen.  —  Ich  will  mich  aber  auch 
recht  auf  dem  Ciavier  einspielen,  um  würdig  vorbereitet 
zu  sein,  wenn  Du  ankommst. 

Denkt,  hier  hat  sich  das  Gerücht  verbreitet,  die  Olle  sei 
schwer  krank.  Wir  haben  nun,  Gott  sei  dank,  erst  vor 
8  Tagen  Nachricht  von  ihr  gehabt  und  wissen  also,  daß 
es  nicht  wahr,  und  was  daran  ist,  aber  Ihr  thut  uns  wohl 
die  Liebe  an  und  antwortet  gleich,  damit  wir  wissen, 
daß  auch  seitdem  Alles  in  Ordnung  bei  Euch  ist.  Und 
somit  grüße  ich  Euch  mit  katzenhaftem  Pfotendruck  (mit 
ein  ganz  klein  wenig  Kralle),  mit  herzlichem  Miau  und  mit 
wohlwollendstem  Schnurren  als  Euer 

wohlaffectionirtester  Oberkater 

Bärenmautz. 

An  Clara  Schumann 

[Salzburg  d.   ii.  Septbr.   i863.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Heute   ist   der   elfte  September,    und  übermorgen  ein 
schöner  Tag  für  uns,  zu  dem  ich  gerne  meine  herz- 
lichen Glückwünsche  nach  Baden  schickte;  mögen  sie  Sie 
^)  Vgl.  Fischer,  S.  2o5. 


An  Clara  Schumann  SaS 

und  die  lieben  Ihrigen  recht  heiter  und  vereint  im  neuen 
Hause  antreffen !  Ich  denke,  wie  wir  vor  2  Jahren  an  dem 
Tag  gute  Reisegefährten  waren,  und  wünsche,  daß  es  sich 
bald  wieder  so  wie  damals  fügen  möchte,  wo  wir  so  ver- 
gnügt den  Rhein  hinauffuhren.  Wäre  das  Münchner  Fest 
nicht,  wir  würden  über  Baden  nach  Haus  gereist  sein,  wie 
wir's  getreulich  vorgehabt  hatten,  und  hätten  den  Tag  mit 
Ihnen  verlebt,  Ihre  neue  Heimath  kennen  zu  lernen.  Nun 
wollen  wir  übermorgen  in  Ischl  zubringen,  das  wir  noch 
nicht  kennen,  und  wo  wir  eine  Tante  (Fanny) i)  zu  be- 
suchen haben,  die  meine  Frau  kennen  lernen  soll.  Dort 
ist,  wie  ich  höre,  auch  Frau  Frege,  und  mit  der  und  Fräu- 
lein Asten  werden  wir  Ihr  Wohl  trinken!  Ich  habe  seit 
Ihren  lieben  Zeilen  mit  Perfall  über  Sie  korrespondirt,  da 
ich  durchaus  nicht  ein  3"=^  Mal  spielen  möchte,  wenn  Sie 
es  nicht  auch  thun  wollen.  Er  vertröstete  mich  auf  meine 
Überredungskunst  in  München;  er  habe  vergebens  ver- 
sucht, Sie  dafür  zu  stimmen.  Sie  dürfen  mir  das  durchaus 
nicht  anthun,  mich  von  den  Leuten,  denen  ich  die  Corre- 
spondenz  ja  nicht  vorlegen  kann,  für  einen  zudringlichen 
Geiger  halten  zu  lassen,  und  müssen  einige  Scarlatti'sche 
Stücke  mir  zu  lieb  noch  einschieben.  Ich  werde  sonst 
vor  der  Chaconne  ohnmächtig  und  will  mir's  für  alle  Fälle 
von  Ursi  einstudiren  lassen;  sie  muß  dergleichen  schon  in 
einer  Rolle  zu  spielen  gehabt  haben,  hoffe  ich!  Ich  will 
heute  in  einer  Probe  hier  ein  paar  kleine  Mozart'sche 
Violinconcerte  (Mscrpt.)  mit  Orchester  spielen,  die  zwar 
nicht  bedeutend  sind,  aber  doch  hübsche  Sätze  enthalten. 
Auch  dabei  will  ich  Ihrer  gedenken,  als  Ihr 

alter,  verehrungsvoller  Musikkamerad 

Joseph  J. 


^)  Fanny  Wittgenstein,  Joachims  Cousine,  vgl.  Bd.  i  S.  i,  Anm. 


326  Von  Bernh.  Scholz 


Von  Bernh.  Scholz 

Hannover  12  Sept.  63. 

Ihr  hättet  uns  wohl  ein  bischen  antworten  dürfen,  schlim- 
mes Volk,  denn  so  ruhig  ich  auch  Anfangs  die  Ge- 
rüchte von  Ursis  Krankheit  hinnahm,  so  wurde  ich  doch 
in  den  letzten  Tagen,  als  Eure  Nachricht  ausblieb,  etwas 
unruhig.  Das  Gerede  wurde  immer  toller,  Lindhult  hatte 
es  schon  in  Ffurt.  vernommen,  gestern  bekam  ich  gar  eine 
Anfrage  von  Ave  Lallemant  aus  Hamburg,  der  sich  schon 
zur  Reise  nach  Gastein  rüsten  wollte,  wo  der  Sage  nach 
ürsi  am  Typhus  daniederlag.  Gott  sei  Dank,  es  ist  Alles 
nicht  wahr  —  Ihr  kommt  bald  wohl  und  gesund  an,  und 
ich  kann  Dir  die  Hand  drücken  und  der  Ursi  in  ihr  gutes 
Gesicht  sehen  —  kurzum:  ich  mag  mich  stellen  wie  ich 
will,  —  ich  freue  mich  von  Herzen  auf  Euch  Gesindel. 

Ich  sehne  mich  wahrhaft  nach  Deiner  Fidel,  lieber  Jo, 
und  bereite  mich  ernstlich  und  würdig  auf  ihren  Empfang 
vor,  indem  ich  täglich  übe;  es  geht  auch  ganz  leidlich, 
ich  spüre  ganz  ordentliche  Fortschritte  in  den  Fingern. 
Eigentlich  hast  Du  mich  überhaupt  noch  nie  so  spielen 
hören,  wie  ich  kann;  allein  spiele  ich  manchmal  so,  daß 
ich  selbst  Plaisir  dran  habe;  und  wenn  Du  dabei  bist, 
möchte  ich's  immer  besonders  gut  machen,  und  da  werden 
meine  Finger  so  dumm,  daß  ich  sie  manchmal  ganz  zer- 
brechen möchte;  vielleicht  gewöhne  ich  mich  noch  mehr 
an  Dich.  Wenn  man  Dich  aber  so  wohlig  und  con  amore 
geigen  hört  und  will  einigermaßen  daneben  bestehen  kön- 
nen, da  thut  Einem  allemal  der  Bach,  Beethoven  oder 
Mozart  so  leid,  daß  man  ihre  Klavierstimme  nicht  ebenso 
wiedergeben  kann,  wie  Du  die  Violinstimme!  —  Es  ist 
wirklich  abscheußlich! 

Wenn  Dir  nur  meine  Symphonie  ein  klein  bischen  ge- 
fällt!    Ich  habe  wieder  moralischen  Katzenjammer  drüber. 


Von  Bernh.  Scholz  827 

Ich  weiß,  daß  Manches  nicht  übel  ist,  und  doch  ist's  wie- 
der so  weit  hinter  dem  zurückgeblieben,  was  sie  sollte  — 
und  wenn  man  gar  denkt,  wie  Herrliches  in  dieser  Gat- 
tung geschaffen  ist,  so  kommt  Einem  so  jede  Note  über- 
flüssig vor,  und  das  Bestreben,  sich  daran  zu  versuchen,  so 
absurd  und  lächerlich!  Es  ist  doch  eigentlich  allemal 
schade,  wenn  das  Orchester  versammelt  ist  und  man  macht 
eine  andere  Symphonie  als  von  Einem  unserer  Heroen. 
Diesmal  aber  hat's  Deine  Olle  zu  verantworten;  die  hat 
die  Symphonie  bei  mir  bestellt,  und  ich  meine  auch,  der 
erste  Satz,  den  ich  an  ihrem  Geburtstage  fertig  gemacht 
habe,  sei  am  gedrungensten  gerathen.  —  Das  Alles  soll 
Dich  aber  nicht  abhalten,  mich  s.  Z.  tüchtig  dafür  her- 
unterzuputzen, wenn  sie  Dir  misfällt,  damit  mir  ein-  für 
allemal  die  Lust  zu  ähnlichen  Schandthaten  vergehe. 

Heute  in  8  Tagen  bin  ich  Opferlamm,  —  muß  im 
Künstlerverein  den  neuen  Flügel  einweihen  und  mit  Kaiser 
und  Prell  Trio  spielen.  Ich  betrachte  dies  als  eine  Gelegen- 
heit, mich  wieder  ans  Publicum  und  öffentliche  Spielen  zu 
gewöhnen.  Ich  habe  Dir  einen  Vorschlag  zu  machen: 
„Wir  wollen  uns  gegenseitig  förmlich  und  unwiderruflich 
verpflichten,  in  diesem  Winter  in  keinem  Concerte,  es 
gehe  aus,  von  wem  es  wolle,  von  oben  oder  unten,  es  sei 
für  welchen  sogenannten  Zweck  es  wolle,  mitzuwirken, 
das  nicht  aus  rein  musicalischen  Gründen  unternommen 
und  dessen  Programm  nicht  in  allen  seinen  Theilen 
ein  vollkommen  würdiges  ist."  Ein  Einzelner  vermag  sich 
nicht  immer  gegen  derartige  Anmuthungen  zu  schützen: 
haben  wir  Beide  uns  aber  erst  dazu  verbunden  und  ge- 
winnen wir  zu  diesem  Bunde  noch  die  Besseren  der  Mu- 
siker, so  stehen  wir  im  Verein  durch  gegenseitige  Ver- 
pflichtung unanfechtbar  da  und  können  getrost  jedem  Zu- 
dringlichen entgegnen,  daß  wir,  im  Princip  derartigem 
Misbrauch  der  Kunst  abhold,  einen  Bund  geschlossen,  der 
uns  ein  für  allemal  die  Mitwirkg.  in  solchen  Conzerten  ver- 


328  An  Beruh.  Scholz 

Avehre.  Denn  es  ist  ein  Scandal,  in  Concerten,  wie  sie  im 
Thahasaale  u.  in  der  Marktkirche  im  vorigen  Winter  statt- 
fanden, mitzuthun.  —  Bist  Du  einverstanden,  so  gib  mir 
gleich  Nachricht,  und  ich  bespreche  mich  dann  mit  Lindner, 
Eyertt,  und  ich  bin  überzeugt,  es  finden  sich  noch  Viele, 
wenn  sie  davon  hören.  Es  ließe  sich  am  Ende  sogar  da- 
hin feststellen,  daß  kein  Mitglied  dieser  Vereinigung  in 
einem  Concerte  gratis  mitwirken  dürfte,  ohne  daß  die 
Mehrzahl  der  Mitglieder  damit  einverstanden  wäre;  so 
wären  auch  die  Zaghaften  geschützt. 

Addio,  Lieber,  spiele  recht  schön  in  München;  wir  wer- 
den hier  etwa  zur  selben  Zeit  Hillers  Katakomben  haben. 

Schreibt  uns  recht  bald  wieder!    Behaltet  lieb 

Euren  alten  Brummbären. 

An  Bernh.  Scholz 

Salzburg  am  21'^"  Sept^""  [i863]. 
Lieber  Freund 

Wir  hatten  auch  nicht  die  leiseste  Ahnung,  daß  Ihr 
unruhig  wäret,  die  Ihr  doch  ausführliche  Nach- 
richten über  die  Besserung  und  Genesung  Ursi's  hattet. 
Neues  ist  nun,  Gott  sei  Dank,  in  dieser  Beziehung  nicht 
passirt!  Übrigens  ist's  eigentlich  schauerlich,  was  Gottes 
Geschöpfe  klatschbedürftig  sind,  denn  an  Interesse  ist  ja 
doch  bei  den  wenigsten  zu  denken,  die  einen  im  Mund 
führen.  Lieb  hat  sich  einmal  wieder  die  Frau  Königin  ge- 
zeigt, die  uns  noch  nachträglich  expresse  vor  dem  Münchner 
Klima  warnen  läßt,  vor  Obst,  etc.  Ich  freue  mich  wirk- 
lich, sie  und  Frl:  v.  Gab"  wiederzusehen.  Daß  Du  tüchtig 
klavierest,  ist  ja  vortrefflich ;  Du  sollst  auch  entsetzlich  mit 
allen  möglichen  Solo -Sonaten  (allerletzten  und  ersten) 
herausrücken  müssen,  da  Dich  meine  Geige  genirt.  Nobleße 
oblige !  Mit  der  anti-musikschundlichen  Liga  bin  ich  ganz- 


All  Hans  v,  Bronsart  829 

lieh  einverstanden;  nur  lasse  uns  vorsichtig  in  der  Wahl 
der  Aufzufordernden  sein;  die  Kerle  glauben  sonst  am 
Ende  einem  einen  Gefallen  zu  thun,  und  die  Sache  wird 
als  Scholz -Joachim  contra  Fischer  behandelt.  Eigentlich 
ist's  wohl  schließlich  doch  mit  allem  Guten  so,  was  wir 
vorhaben,  aber  ich  thue  dem  Mann  nicht  gern  die  Ehre 
an,  ihn  als  einen  Gegner  gelten  zu  lassen.  Dazu  gehörte 
doch  wenigstens  etwas  Eleganz  in  dem  Zuschnitt  seiner  . . . 
Aber  mit  Eyertts  u.  Lindner  kannst  Du  ja  vorläufig  schon 
leden. 

Bei  den  Katakomben  wäre  ich  gern  zugegen.  Wünsche 
ihnen  alles  Gute  und  grüße  Hiller.  Wir  reisen  am  26'^" 
ab;  am  23""°  spielen  und  singen  wir  noch  hier  für  eine 
brave,  durch  übertriebene  Versprechungen  von  Wien  hie- 
her  gelockte,  junge  Pianistin.  Vide  den  Zettel,  auf  dem  der 
Name  meiner  ürsi  mir  Spaß  macht,  und  den  ich  unter 
Kreuzcouvert  schicke.  In  den  ersten  Oktobertagen  also 
sehen  wir  Dich  und  Deine  lieben  Gesichter  (Dein's  inclu- 
sive). Ursi  schneidert  schon  mehrere  Tage  für  München 
und  kann  darum  gar  nichts  anderes  thun.  Fatal  das!  Sie 
grüßt  Aon  Herzen,  und  ich  verbleibe  ebenso 

Dein 


Joseph  Joachim. 


An  Hans  V.  Bronsart 


Hannover  am  10.  Okt.  [i863J. 
Lieber  Herr  v.  Bronsart. 

Ihr  Schreiben  kam  leider  erst  hier  in  meine  Hände,  wo 
ich,  seit  ein  paar  Tagen  angekommen,  zum  ersten  Male 
die  Seligkeit  und  Sorge  der  Einrichtung  eines  e*  .en  Haus- 
standes kennen  lerne!  Während  Sie  schrieben,  streifte  ich 
noch  in  der  Salzburger  Gegend  mit  meiner  Frau  umher, 
vom  Herbst  im  Freien  dankbaren  Abschied  nehmend.  Nun 


33o  Von  Björnstjerne  Björnson 

ist's  ein  großer  Contrast  hier,  statt  der  Berge  Kisten ;  aber 
es  klärt  sich  schon,  und  ich  denke,  es  soll  Ihnen  und  Ihrer 
verehrten  Frau  einmal  bei  uns  gefallen.  Graf  Platen  hat 
mir  für  eines  der  ersten  Concerte  den  Besuch  von  Frau 
V.  Bronsart  in  Aussicht  gestellt,  und  wie  schön  wär's,  wenn 
Sie  dieselbe  dann  begleiteten!  Ich  habe  Ihnen  noch  nicht 
einmal  gesagt,  wie  große  künstlerische  Freude  ich  an  dem 
Talent  Ihrer  Frau  in  voriger  Saison  erlebte,  und  hatte  mir's 
doch  so  fest  vorgenommen,  es  Ihnen  mitzutheilen!  ... 

Von  Björnstjerne  Björnson 

Kristiania  2'^  Nov.  i863. 

Lieber  Joachim!  Mein  Porträt  muß  ich  doch  einmal 
schicken !  Jetzt  wohne  ich  hier,  habe  Alles  ganz  wie 
ich  will,  die  Leute  tragen  mir  auf  die  Hände,  aber  ich 
habe  meine  Zeit  für  mich.  Ich  schreibe  soeben  „Maria 
Stuart",  zwei  Stücken;  das  erste  „Henrik  Dearnley",  in  trei 
große  Aufzügen  ist  fertig,  das  zweite  „Bothwell"  anlegte 
[anleejde?]  ich  so  eben;  es  ist  5  Acten.  Mein  voriges  Arbeit 
ist  noch  nicht  übersetzt,  die  Baronesse  hat  andere  Ideen 
bekommen,  und  es  ist  mir  so  ganz  einerlej.  —  Was  über- 
setzt wird,  will  ich  Ihnen  immer  schicken,  aber  selbst  thue 
ich  nichts  dafür,  übersetzt  zu  werden,  so  es  ist  möglich, 
das  fernerhin  nichts  verdeutschet  wird;  denn  ich  schreibe 
ja  nur  Dramen,  und  diese  sind  nicht  courante  Buch- 
handlersachen. 

Ich  darf  nicht  lange  Briefe  schreiben,  es  ist  ein  Gelübde. 
Sehen  Sie  mein  Papirstuckchen  an!  ist  wie  kleine  Zimmern, 
man  ist  entschuldigt  große  Gesellschaften  zu  halten.  — 

Die  Musik  hier  steht  beinahe  still,  die  ausübende  näm- 
lich, denn  die  nationale  Kompositionen  fangen  so  eben  an 
und  macht  mir  eine  innige  Freude.  Unsere  Violinisten  be- 
ginnen  (nach  Ihnen)  Bethoven  und   Bach  zu  spielen;  es 


An  Julius  0.  Grimm  nach  Göttingen         33i 

scheint  mir  aber,  als  sind  die  vier  Saiten  ein  Bachlein ;  wenn 
Bethoven  und  Bach  strömmend  kommen,  qvällen  sie  auf 
beiden  Seiten  über,  das  Bachlein  hat  nicht  Platz  genug. 

Ein  junger  Norweger,  Böhen  kommt  jetzt  zu  Ihnen 
reisend,  um  Ihnen  zu  hören  und  sprechen.  Er  will  meine 
Empfelung  mithaben.  Ich  darf  sie  nicht  geben,  erstens 
darum,  daß  Sie  wenig  Zeit  haben,  zweitens  das  er  nicht 
die  genügende  Bildung  hat  (technische  wohl)  aber  die 
höhere.  Hier  aber  setzen  die  Leute  sehr  viel  auf  ihm,  thuen 
Sie  darum  Ihr  Möglichstes,  ganz  Kristiania  wartet  etwas 
davon!  —  Grüßen  Sie  dem  Kapellmeister  mit  Frau!  Kann 
ich  nicht  das  piquante  Gesicht  Ihrer  Frau  in  Visitkarte 
bekommen  und  das  grof3blickende  der  Frau  Kapell- 
meisterinn?  —  Vergessen  Sie  Alle  meiner  nicht,  ich  bin  so 
ein  Eisbär,  mich  friert  bisweilen,  ich  habe  Sehnsucht  nach 
wärme  Stellen  und  reidert  in  Mondscheinsnächte  auf  Eis- 
flächen dortüber!  Grüßen  Sie  die  Frau,  und  Brinckmann 
mit  Frau!  —  Ihre 

Björnst.  Björnson. 

Mein  Bruder  geht  auf  polytechnischen  Schule  da  in 
Hanover!  — 

An  Julius  O.  Grimm  nach  Göttingen 

[Hannover  Anf.  Januar   i864] 
Mein  lieber  Ise 

Wenn  ich  auch  fürchte,  daß  Du  mir  recht  böse  seiest, 
und  mich  kaum  traue,  mit  meinen  Zügen  vor  Deine 
Augen  zu  kommen,  so  muß  ich  Dir  doch  die  Mittheilung 
machen,  daß  wir  am  i6'^"  d.  M.  (Sonnabend)  die  9"=  Sin- 
fonie aufführen.  Ich  feierte  an  dem  Tage  dann  gar  zu 
gerne  unsere  Versöhnung,  denn  daß  Du  mir  aus  der  Ferne 
gleich  wieder  gut  sein  sollst,  wage  ich  nicht  zu  verlangen ! 
Der  1'*  Theil  des  Concertes  wird  aus  der  Anacreon-Ouver- 
ture,   aus  Webers  Concertstück   (Frau  Schumann),   einer 


332  An  Clara  Schumann 

Arie  aus  Faust  v.  Spohr  (Frau  Caggiati)  und  kleinen  Kla- 
viersachen von  Schumann  und  Hiller  bestehen.  Er  durfte 
nicht  zu  lang  und  angreifend  sein,  aber  ist  doch  auch  ganz 
duftend.  Komme  also  und  steige  im  Hotel  Kaffer,  Haar- 
straße No.  4  ah ,  wo  es  eine  recht  gute  Aussicht  auf  den 
Deister,  eine  große,  große  Eisfläche  mit  tausenden  von 
Schlittschuhläufern,  ungefähr  wie  bei  Euch  in  Münster 
vor  dem  Thore,  und  eine  (meiner  Meinung  nach)  ganz  an- 
genehme Hausfrau  giebt.  Mir  gefällt's  ganz  gut!  Bitte 
lasse  mich  wissen,  ob  Dir  ein  Zimmer  da  reservirt  werden 
soll,  und  ob  ich  Dir  die  Musikalien  übergeben  oder  über- 
schicken soll.  Scholz  hat  mir  Deinen  Musiklosen  Zustand 
erzählt,  und  ich  meinte  darum,  es  eilte  nicht.  Wenn  doch 
wenigstens  der  Trost  für  Dich  dabei  wäre,  daß  die  Truppen- 
märsche 1)  zu  etwas  führten,  aber  der  verd Bismarck, 

den  soll  der  T^) ....  1  holen.  (Ist  keine  i  sondern  ein  T!) 
Meine  Frau  grüßt  Dich  und  die  Deinen;  sie  liegt  vom 
Schlittschuhlaufen  erkältet  zu  Bett.  Meinem  Pathchen  und 
Gathchen  die  schönsten  Grüße, 

Deinem  Entschluß  entgegen  harrend 

Joseph  J. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  7'^"  Januar  [i864]- 
Liebe  Frau  Schumann. 

Es  ist  hoffentlich  kein  böses  Omen,  daß  ich  das  neue 
Jahr  mit  Nichtschreiben  anfange,  sondern  nur  ein 
Zeichen,  daß  ich  der  alte,  unverbesserliche,  aber  treue 
Freund  bleibe.  Als  ich  Ihre  zarte  Aufmerksamkeit  am 
ersten  Weihnachtsabend   gewahrte,    den   herrlichen  alten 

^)  Infolge  der  bevorstehenden  Spannung  mit  Dänemark  mußte  die 
Militärkapelle,  die  den  Grundstock  von  Grimms  Münsterer  Orchester 
bildete,  mitmarschieren. 

*'')  Das  T  sieht  aus  wie  „2". 


An  Clara  Schumann  333 

Gluck -Band,  wollte  ich  gleich  schreiben  —  mußte  aber 
doch  bei  Scholzen's  bleiben,  wo  es  übrigens  auch  ganz  ge- 
müthlich  wurde!  Aber  Ihre  Partitur  war  doch  das  Schönste, 
und  sogar  lieber  noch  als  die  sieben  Raben,  die  ich  dies- 
mal von  der  Königin  bekam.  Meine  Ursi  hat  mir  allerlei 
reizende  Sachen  gestickt  und  mir  Schlosser's  Weltge- 
schichte aufgebaut,  die  ich  mir  lange  gewünscht  hatte, 
und  so  werde  ich  allerlei  freundliche  Weihnachtserlebnisse 
erzählen  können,  wenn  Sie  kommen,  was  ja  Gott  sei  Dank 
nahe  bevorsteht!  Aber  daß  uns  die  Post  solche  Possen 
spielte!  Es  that  mir  zu  leid,  wie  ich's  hörte!  Auf  meine 
Beschwerde  ist  noch  nichts  erfolgt.  Denken  Sie,  daß  auch 
ein  Packet  an  meine  Frau  aus  Wien  verloren  ist,  und  daß 
Johannes  ein  hier  frankirtes  Packet  mit  Brief  nochmals 
bezahlen  mußte.  Die  Callabs^)  scheinen  sich  zu  ver- 
mehren !  —  Von  der  9'*""  Sinfonie  habe  ich  schon  eine  Or- 
chester- und  eine  Chor-Probe  gehalten;  sie  steht  fest,  und 
es  ist  eine  unbeschreibliche  Freude,  sie  mit  diesem  Or- 
chester einzustudiren,  über  die  man  selbst  den  politischen 
Jammer 2)  zeitweilig  vergißt.  Mit  Ihrer  Wahl  bin  ich  ganz 
einverstanden;  es  ist  mir  lieb,  etwas  von  Hiller  im  Pro- 
gramm zu  haben.  Man  hat  seine  Oper  hier  schmählich 
ungerecht  behandelt !    Meine  Ursi  liegt  zu  Bett ;  wir  haben 

^)  Ein  Postbeamter  in  Wien,  der  Tausende  von  Briefen  vei'untreut 
hatte,  vgl.  Brahms'  Brief  an  J.  Dez.  63;  Joachims  Weihnachtsgeschenk 
für  Frau  Schumann  war  nicht  angekommen. 

*)  Die  laue  Hakung  der  beiden  deutschen  Großmächte  und  Hannovers 
gegenüber  der  Annexion  Schleswigs  und  Holsteins  durch  Dänemark.  J.  gab 
mit  Scholz  und  Bietzacher  am  7.  März  ein  Konzert  in  Göttingen  für  die 
Schleswig-Holsteiner.  Über  die  Aufführung  der  9.  Symph.  schrieb  Frau  J. 
an  Julie  v.  Asten :  Zur  Aufführung  der  9'^^"  hatten  wir  viele  Freunde  hier 
—  Kapellmeister  aus  allen  Gegenden  —  es  war  recht  vergnügt,  wie  ein 
kleines  Musikfest.  Mein  Mann  war  den  ganzen  Abend  in  einer  Glück- 
seligkeit —  die  sich  manchmal  darin  Luft  machte,  daß  er  mitten  in  das 
Gewoge  der  Töne  hineinjauchzte,  was  er  natürlich  nicht  wußte  —  ich 
aber  beobachten  konnte,  da  ich  gerade  vor  ihm  saß  —  ich  sang  nämlich 
die  Altpartie. 


334  ^^  Julius  Stockhausen 

Schlittschuhlaufen  1)  gelernt,  und  sie  erkältete  sich  dabei, 
aber  ungefährlich.  Sie  grüßt  von  Herzen  und  freut  sich 
aufs  Wiedersehen,  wie  auch  Ihr  treuergebner 

Joseph  J. 

An  Julius  Stockhausen 

[Hannover  24.  Januar  1864.] 
.  .  .  Mit  Schleswig -H.  wirds  einem  so  bekommen,  daß 
man  gewaltsam  den  Gedanken  daran  zurückdämmen  muß  — 
denn  die  Dinge  liegen  so  unbestimmt,  daß  man  nicht  weiß, 
ob  man  Preußen  Prügel  oder  Erfolg  wünschen  soll;  ich 
neige  aber  zum  ersteren,  dann  käme  die  Zeit  zum  Han- 
deln jedenfalls  für  uns.  —  Meine  Geige  wird  erst  Montag 
Abend  fertig;  auf  einer  andern  zu  spielen  geht  nicht,  wie 
ich  gestern  im  Quartett  in  der  Aula  erfahren.  Obwohl 
eine  Stradiv:,  die  ich  geborgt  hatte,  hübsch  klang,  fehlte 
mir  die  Freiheit,  so  schwach  oder  stark  aufzutragen,  wie 's 
nieine  hergiebt. 

Semper  fideliter 

Joseph  Joachim 

An  denselben 

[Hannover]  Am  1 5'^"  [Febr.  1864?] 
Lieber  Stockhausen 

Du  hast  Dir  nach  Marxens  Äußerung  wohl  die  Par- 
titur 2)  nicht  mehr  angesehen,  u.  er  selbst  mag  auch 
aus   der   Erinnerung    einer   Fermate    (aber    nicht    dieser: 


^  j  auf  den  Vorschlag  gekommen  sein.   Es  wäre,  als 


*)  Dabei  passierte  die  meist  falsch  erzählte  Geschichte  mit  dem  Schlitt- 
schuhanschnaller,  der  Jo.  zuredete:  „Hebben  Sei't  VigfeHnspeelen  geleert, 
wär'n  Sei't  Slittschuhloopen  ok  noch  lären". 

')  Bachs  3.  Brandenburgisches  Konzert  in  der  Ausgabe  von  Dehn, 
Leipzig,  Peters  i85o,  wo  die  Vorrede  lautet:    „Dem  gegenwärtigen  Ck)n- 


An  Julius  Stockhausen  335 

wollte  man  einen  Spaziergang  machen,  thäte  den  ersten 
Schritt,  hüpfte  dann  etwas  herum  und  liefe  auf  einem 
Umweg  wieder  zurück,  käme  man  mit  einer  Kadenz  an- 
gefahren, die  wieder  nach  dem  Gdur  zurück  modulirte. 
In  der  Wirklichkeit  kommen  so  Zufälligkeiten  vor,  im 
Kunstwerk  ist  ja  das  Unlogische  komisch,  wie  Niemand 
besser  weiß  als  Du,  ganzer  Kerl!  Was  nun  die  2  Accorde 
anlangt,  so  muß  darauf  ein  langsamer  Satz  ursprünglich 
gefolgt  sein,  der  jetzt  verloren  ist^).  In  andern  Concerten 
ist's  ja  immer  so.  Oder  vielleicht  war  früher  einmal  bei 
einer  Aufführung  eine  Repitition  des  2^"^  Theils  vom  letzten 
Achtel    des   6'*"  Takts   auf  p"'^  9??? 2)    Dann   kämen   die 


Gedankenstriche     <=<    J       aber    schon    nach    dem    vor- 

letzten  Takt;  jedenfalls  ist  die  Vorrede,  die  über  die 
auffallende  Geschichte  mit  niederschmetternd  lakonischer 
Erwähnung  des  Original-Mscrpts.  weggeht,  etwas  leicht- 
fertig. Sollte  die  einfache  Besetzung  für  den  Wörmerschen 
Saal  ausreichen  ?  Das  feine  Gewebe  Bach'scher  Instrumental- 
sätze ist  freilich  mehr  für  die  Kammer.  Jedenfalls  bin  ich 
zum  Mitspielen  bereit,  möchte  aber  ein  vorläufiges  An- 
hören mit  einfacher  Besetzung  im  großen  Lokal  vorschlagen. 
Den  C  dur  Adagio  Satz  aus  dem  Violin  -  Concert  ^)  einzu- 
schalten halte  ich  unter  den  hier  waltenden  Umständen 
erlaubt.  Ein  Ruhepunkt  zwischen  i'^"*  und  letztem  Satz 
ist  geboten.  —  Ich  will  die  Stimmen  dazu  mitbringen. 

Eiligst 

Joseph  J. 

certe  kann  weiter  keine  Bemerkung  voraus^reschickt  werden,  als  daß  wir 
zur  Herausgabe  der  Partitur  desselben  nur  die  Originalpartitur  benutzten 
und  von  einer  spätem  nirbt  ganz  correcten  Abscbrift  keinen  Gebraucb 
machen  konnten." 

*)  Diese  Ansicht  wird  von  vielen  Musikern  geteilt. 

*)  in  der  Ausgabe  der  Bach-Gesellschaft.   Jg.  19,  S.  74. 

*)  in  A  moU- ;  ist  geschehen. 


336  An  Ernst  Rudorff  nach  Hamburg 

An  Ernst  Rudorff  nach  Hamburg 

Hannover  am  i6'*"  [März  i864] 

Lieber  Herr  Rudorff, 

Yor  allen  Dingen  den  aufrichtigsten  Dank  für  Ihre  ver- 
trauensvollen Zeilen,  die  überhaupt  keiner  „Ent- 
schuldigung" bedürften,  wären  sie  auch  nicht  für  Rose, 
an  dessen  Weiterschreiten  ja  auch  mir  herzlich  gelegen 
ist!  Auch  hätte  ich,  trotz  meiner  Reise  nach  Leipzig  schon 
geantwortet,  wäre  ich  nur  selbst  zur  Klarheit  über  einen 
guten  Rath  gekommen  —  aber  ich  bin  wirklich  in  einiger 
Verlegenheit,  wie  ihm  zu  dienen  sei.  Daß  es  besser  für 
seine  Zukunft  sei,  sich  ab  und  zu  die  Anregung  einer  Reise 
nach  London  zu  verschaffen,  als  Jahr  aus  Jahr  ein  in  Ham- 
burg Stunden  zu  geben,  ist  richtig.  Hat  er  aber,  bei  all 
seinem  unläugbarem  Talent,  schon  jetzt  das  Zeug,  mit  den 
bedeutendsten  Geigern,  die  sich  alle  um  Engagements  in 
London  während  der  Season  bewerben,  um  die  Wette  zu 
spielen?  Darauf  können  Sie  und  die  Hamburger  Freunde, 
die  ihn  in  der  Nähe  beobachteten,  eigentlich  besser  ant- 
worten als  ich,  der  ihn  nun  seit  anderthalb  Jahren,  wo  er 
mir  im  Zimmer  einige  abgerissene  kurze  Sätze  spielte,  nicht 
gehört  hat.  Daß  er  neulich  recht  musikalisch  sekondirte, 
ist  zu  dem  vorliegenden  Zweck  nicht  genügend.  Soll  es 
wirklich  auf  meinen  Rath  ankommen,  so  müßte  ich  Freund 
Rose  auf  einige  Tage  mindestens  hier  wieder  in  aller  Muße 
hören  können.  Empfehlungen  nützen  nur  dann,  wenn  es 
gilt,  andere  mit  aller  Überzeugung  auf  Leistungen  aufmerk- 
sam zu  machen,  die  sich  dann  selbst  weiter  den  Weg  zum 
Herzen  bahnen.  Eine  Illusion  scheint  es  mir,  wenn  Rose 
meint,  einstweilig  Bekanntschaften  machend,  in  dem  rau- 
schenden London  der  Season  weiter  arbeiten  zu  können. 
Dazu  gehört  Concentration  und  das  fördernde  Interesse  lie- 
bender Freunde,  wenn  Gott  solch'  seltene  Gunst  bescheert. 


Von  H.  W.  Ernst  887 


Ihre  Ansicht  trifft  im  Allgemeinen  mit  meiner  Erfahrung 
zusammen  —  wie  weit  sie  auf  Rose  angewendet  werden 
muß,  werde  ich  erst  entscheiden  können,  wenn  er  es  der 
Mühe  werth  erachtet,  mir  vollen  Einblick  in  sein  Können 
zu  gönnen.  Er  wird  mir  um  seiner  selbst  willen  immer 
herzlich  willkommen  sein! 

Daß  Sie  meines  Besuchs  in  Hamburg  i)  noch  gerne  ge- 
denken, ist  mir  eine  wahre  Freude;  ich  verdanke  ihm  den 
Glauben  an  einen  echten,  warmen  Künstler  mehr,  der  sich 
dem  Höchsten  mit  voller  Kraft  zuwendet.  Unser  lieber 
Stockhausen  scheint  nun  an  Hamburg  mit  dem  schönsten 
Band  gefesselt;  es  wird  Ihnen  lieb  sein.  —  Für  Ihre  Sorg- 
falt, die  mich  noch  im  Eisenbahn-Coupe  warm  hielt,  den 
freundlichsten  Dank!  Das  Pelzwerk  lauerte  eingepackt 
schon  lange  Ihrer  Adresse,  nun  haben  Sie  mir  gar  die 
Mühe  abgenommen,  sie  zu  schreiben.  Ist  wohl  eine  Stichelei 
auf  mein  Faulpelzwerk!  Mit  herzlichem  Gruß 

Joseph  Joachim. 

Schönste  Grüße  an's  Quartett :  R[ose]  M[aszkowski]  B[eer] 
H[egar]. 

Von  H.  W.  Ernst 

21  Helles  St.  Cavendish  Sq.    20.  April  [i864J 
Theuerster  Freund 

Lasse  mich  Dich  innigst  umarmen  für  Deinen  lieben, 
meine  Seele  erquickenden  Brief.    Tausend  Dank  aus 
tiefstem  Herzensgrunde. 

Mit  Chappell  bin  ich  wie  immer  auf  freundschaftlichstem 
Fuße,  und  sie  übernehmen  die  ganze  Zusammenstellung 
meines  beabsichtigten  Conzertes.  Den  Tag  kann  ich  Dir 
noch  nicht  bestimmen,  aber  wahrscheinlich  wird  er  in  die 

^)  J.  hatte  in  Hamburg;  am  19.  Febr.  sein  Un^jar.  Konzert  öffentlich,  und 
am  Abend  vorher  bei  Ave  Rudorffs  Streichsextett  in  Adur  op.  5  gespielt. 


338 


Von  H.  W.  Ernst 


Hälfte  oder  3'^  Woche  von  Juny  [fallen].  Komme  nur  recht 
bald  und  recht  gesund  zu  uns.  — 

Ich  schreibe  heute  an  Spina.  Dies,  falls  er  einen  fertigen 
Probeabdruck  meiner  Etüden  bereit,  denselben  direkt  nach 
Hannover  sogleich  zu  befördern.  Zwey  oder  drey  werden  Dir, 
wie  ich  glaube,  nicht  mißfallen  —  aber  sey  nur  nicht  zu 
strenge  für  die  letzte  —  bestehend  aus  Bravour -Variationen 
über  the  last  rose  of  summer  —  sie  ist  Bazzini  —  der  mir  schon 
vor  mehreren  Jahren  ein  Stück  zugeeignet  —  gewidmet;  sie 
sind  radical  modern  und  mit  Absicht  und  Hinblick  auf 
den  genre  der  Spielart  B.  so  gehalten.  Wenn  Du  sie 
mir  nicht  verzeihen  kannst,  mache  mir  wenigstens  das 
Vergnügen,  sie  zu  vergessen.  Dafür  hoffe  ich,  wirst  Du  mit 
der  Dir  bestimmten  zufriedener  seyn.  Hier  ist  der  Anfang: 
Allegro  moderato.     Terzetto. 


^ß-0- 


m 


^^^m 


"^^^^ 


Und  nun  sey  mir  herzlichst  gegrüßt  auch  von  meiner 
Frau,  und  von  uns  beyden  die  besten  Empfehlungen  für 
Deine  liebe  Frau. 

Dein  treuer,  dankbarer  Freund 

H.  W.  Ernst. 

Mit  meinem  Gesundheitszustand  geht  es  wieder  sehr 
traurig. 


An  Clara  Schumann  339 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  20'''"  [April   i864] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Neulich  wollte  ich  Ihnen  in  der  ersten,  wirklich  ganz 
unbändigen  Freude  über  Ihren  lieben  Brief  gleich 
von  Cöln  aus  schreiben,  wo  ich  den  Tag  nach  Empfang 
desselben  spielte,  kam  aber  bei  Hillers  nicht  dazu!  Später, 
hieher  zurückgekehrt,  war  ich  ein  paar  Tage  sehr  er- 
kältet —  und  so  komme  ich  erst  später,  als  ich  wollte  und 
sollte,  zu  einem  Freudes-Dank.  Ja,  Sie  waren  recht  weit 
und  lange  weg,  und  daß  Sie  ersteres  noch  sind,  habe  ich 
besonders  jetzt  auch  künstlerisch  zu  bedauern,  wo  ich  mein 
neues  Concert^)  in  nächster  Woche  mit  Orchester  hören 
will.  Sonst  pflegten  Sie  und  Johannes  bei  solchen  Ver- 
suchen zu  sein,  und  was  ich  an  F^reude  und  Anregung  da- 
durch hatte,  brauche  ich  nicht  erst  zu  sagen  —  also  bloß : 
wären  Sie  hier!  Ich  habe  so  lange  als  Componist  brach 
gelegen,  daß  ich  ordentlich  froh  bin,  etwas  fertiges  vor  mir 
zu  sehen,  und  ich  fange  wieder  an,  mit  Freude,  nicht  bloß 
wehmüthiglich  an  Schaffen  zu  denken.  Mit  dem  ersten 
Satz  bin  ich  noch  nicht  zufrieden  —  da  wäre  mir  denn 
Ihr  feines  ürtheil  lieb  und  werth.  Nun,  später  hoffentlich! 
Werde  ich  Sie  denn  in  Aachen 2)  sehen?  Es  ist  zu  dumm, 
daß  Sie  nicht  auch  geladen  sind;  wahrscheinlich  scheuen 
sie  dort  die  doppelten  Solisten-Kosten,  und  Geige  ist  ja  das 
Instrument  für  größere  Räume,  mehr  als  Klavier!  Meine 
Ursi  war  zum  Alt-Singen  geladen,  kann  aber  leider  (oder 
vielmehr  des  Grundes  wegen,  zum  Glück!)  nicht  mit.  Sie 
wird  sich  bis  zum  Herbst,  in  den  uns  eine  große,  freudige 
Veränderung  der  Häuslichkeit  hineinlächelt,  recht  schonen 
müssen.    So  werde  ich  denn  auch  von  Aachen  aus  allein 

1)  in  G-dur. 

*)  beim  Niederrheinischen  Musikfest. 


34o  An  Clara  Schumann 

auf  5  Wochen  nach  London  gehen  —  ich  muß  die  2000  Thh*, 
die  mir  durch  Engagements  dort  ziemHch  gesichert  sind, 
in  meinen  jetzigen  Verhähnissen  mitnehmen.  Im  Juh 
denken  wir  dann  in  den  Harz  oder  nach  Thüringen  uns 
einzumiethen,  weit  darf's  nicht  sein.  Ich  wölke,  der  ge- 
strenge Herr  Doctor  erlaubte  uns  eine  Fahrt  nach  ||:  Baden  :||. 
Vederemo.  In  Köln  hatte  ich  neulich  die  überraschende 
Freude,  Bendemanns  mit  Julien  zu  sehen.  Ich  kann  mich 
nicht  entschließen  „Fräulein  Julie"  zu  sagen  außer  zu  ihr 
selbst.  Sie  war  sehr  wohl  aussehend  und  scheint  sich  be- 
haglich mit  Bendemanns  zu  befinden.  Die  Musik  hatte  ihr 
Freude  gemacht,  und  wird  sie's  Ihnen  wohl  mitgetheilt 
haben.  Von  meiner  Frau  lege  ich  einige  ungelesene  Zeilen 
bei;  sie  erlaubt  mir  nie  zu  lesen,  was  sie  schreibt.  Ist  das 
nicht  grausam?  Jetzt  werde  ich  Schelte  über  die  Klage 
bekommen !  . .  . 

In  verehrungsvoller  Freundschaft  und  Ergebenheit 

Ihr 

Joseph  J. 

An  Clara  Schumann 

Hannover  am  24'*"  Juli  [i864] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Wie  spät  kommt  mein  Dank,  und  doch,  wie  große 
Freude  haben  Sie  mir  während  meines  Londoner 
Sklaven-Lebens  bereitet!  Sogar  meinen  neuen i)  Geburts- 
tag zu  erinnern!  Ich  bin  nun  schon  über  l4  Tage  hier, 
und  Sie  können  denken,  wie  wohlthätig  der  eigne  Heerd 
nach  dem  Londoner  unruhigen  Treiben  wirkt.  Meine  Frau 
ist  Gottlob  so  wohl,  als  man  es  nur  wünschen  kann,  und 
so  leben  wir  denn  auf  der  „Wasserburg"  das  glücklichste, 
einsame  Leben.  Wir  werden  auch  hier  bleiben  müssen; 
und  dies  thut  mir  nur  insofern  leid,  als  wir  die  Möglich- 

1)  Vgl.  S.  21,  Anm. 


An  Clara  Schumann  34t 

kelt,  Sie,  verehrteste  Freundin,  zu  sehen,  dadurch  verheren ! 
Wir  haben  ernsthch  überlegt,  ob  es  sich  machen  ließe,  in 
kurzen  Tagreisen  bis  nach  Baden  hin  zu  gelangen,  ohne 
daß  ich  aber  den  Muth  hätte,  den  Gedanken  zur  That  wer- 
den zu  lassen.  Ich  hätte  nie  geglaubt,  als  ich  mich  so  herz- 
lich über  den  Ankauf  Ihres  kleinen  Häuschens  in  Baden 
freute,  daß  so  lange  Zeit  vergehen  sollte,  bevor  ich  Sie 
dort  besuchte !  .  . .  Ihnen  den  Londoner  Concert-Trouble, 
den  Sie  ja  „schaudernd  selbst  erlebt  haben"  schildern,  mag 
ich  nicht.  Ich  habe  diesmal  fast  nichts  gehört,  von  dem 
ich  Ihnen  erzählen  möchte!  Die  Oratorien -Aufführungen 
sind  im  Winter  und  Vorfrühling,  und  so  hatte  ich  nichts 
davon,  vom  besten  Englischen !  Bennetts  Sinfonie,  3  durch 
willkührliche  Zwischensätzchen  verbundene,  zu  verschie- 
den Zeiten  entstandene  Stücke,  würde  Sie  nur  stellenweise 
interessirt  haben.  Nur  im  Menuett  ist  Bennett 'sehe  Grazie, 
wie  man  sie  aus  den  Messenstücken  kennt.  Sonst  ist  natür- 
lich viel  Mendelssohn;  im  letzten  Satz  aber  namentlich 
meisterlicher  Fluß.  Mein  eigenes  Concert  ^)  wurde  an  dem- 
selben Abend  gespielt,  sehr  roh  begleitet,  was  gerade  diesem 
Stück  besonders  ungünstig  ist,  dessen  i*^'  Satz  nur  durch 
Zartheit  wirken  könnte,  während  der  letzte  Satz  ziemlich 
viel  rhythmische  Entschiedenheit  verlangt,  die  auch  dem 
Philharmonischen  Orchester  bei  unbekannten  Sachen  ab- 
geht. Daß  mein  Stück  freundlich  aufgenommen  worden 
ist,  schiebe  ich  mehr  auf  Rechnung  meiner  alten  Freund- 
schaft mit  dem  Publikum,  als  auf  dessen  Freude  an  dem 
Werk.  Ich  würde  Ihnen  die  Partitur  meines  Concertes 
gleich  mitschicken,  wenn  ich  nicht  von  Tag  zu  Tag  Jo- 
hannes erwartete,  der  mir  seinen  Besuch  von  Hamburg 
aus  in  x\ussicht  stellte.  Jedenfalls  sende  ich  es  bald  nach 
Baden,  damit  Sie  freundschaftliche  Nachsicht  daran  üben. 
Ihr  aufrichtigst  ergebener 

Joseph  Joachim. 

1)  in  Gdui. 


3i2  An  Bernh.  Scholz 


An  Beruh.  Scholz 

[Hannover,  Anfan^f  August  1 864.] 
Lieber  Scholz 

Wir  haben  dieser  Tage  Deiner  so  oft  gedacht,  daß  es 
in  Deinen  Ohren  sehr  lebhaft  musicirt  haben  muß. 
Brahms  war  hier,  dann  kam  Grimm  dazu  (der  Münste- 
raner),  und  diese  beiden  begleitete  ich  nach  Göttingen,  wo 
wir  trotz  schlechtesten  Wetters  zwei  hübsche  Partien  nach 
den  Gleichen  und  nach  der  Plesse  machten.  Ich  war  andert- 
halb Tage  aus,  ohne  die  Ursi,  die  aber  in  diesen  Tagen 
gerade  allerlei  Wäschereien  vorhatte,  und  an  den  gegen- 
wärtigen Musiker  weniger  wie  an  den  zukünftigen  dachte ! 
Kaum  zurück  gekehrt,  besuchte  mich  Dietrich,  mit  dem 
zusammen  wir  Dich  denn  auch  wieder  herzlich  vermißten. 
D.  macht  eine  Erholungsreise  zu  seinen  Verwandten  in 
Sachsen;  der  treue,  träumerische  Mensch  hat  sich  recht 
aus  seinem  traurigen  Zustand  heraus  gemacht  —  aber  die 
Besorgniß  ftir  einen  Rückfall  kann  man  leider  nicht  ganz 
bannen,  wenn  man  sein  nervöses,  leicht  erregtes  Wesen 
beobachtet  —  Es  thut  einem  da  wohl,  an  Brahms'  gewapp- 
nete Natur  mit  ihrem  gesunden  Egoismus  bei  aller  Hin- 
gabe an  das  Schöne  zu  denken.  Er  hat  nun  auch  seine 
Chormeister- Stelle  aufgegeben,  um  ganz  seinem  Schaffen 
zu  leben;  denn  so  sehr  das  Einstudiren  und  Aufführen  mit 
den  schönen,  musik freudigen  Kräften  ihn  anregte,  so 
wenig  behagte  ihm,  ja  störte  ihn  das  Äußerliche  der  Sorge 
um  billige  Solisten,  pikante  Nova  etc.,  etc.  Ihm  thut  beim 
Aufgeben  der  Stelle  namentlich  auch  leid,  daß  er  seinen 
Wunsch  bezüglich  Deines  Requiems  unerfüllt  lassen  muß, 
was  er  mich  Dir  zu  sagen  bat.  Du  hast  in  diesen  Ferien 
ja  ordentlich  in  Kunst-  und  Natur- Schönheit  schwelgen 
können!  Mir  ist  in  England  außer  einigen  herrlichen  Bil- 
dern wenig  Anregendes  geboten  worden.   Eine  ewig  schei- 


An  seine  Eltern  343 


nende  Hetze  von  Concert  zu  Concert  war  mein  ganzes  Da- 
sein. Hier  ist's  desto  stiller;  fast  alles  fort!  In  meiner 
widerlichen  Angelegenheit^)  werde  ich  vor  der  Rückkunft 
Platens  noch  nichts  thun;  ich  bin  aber  fest  entschlossen, 
mich  durch  keine  Rücksicht  aufhalten  zu  lassen,  wenn 
nicht  Grün  sans  phrase  angestellt  wird. 

Nun,  bald  kehrt  Ihr  ja  auch  wieder,  und  ich  freue  mich 
schon  jetzt  darauf! 

Aufrichtigst 

Dein  aufrichtiger 

Joseph  J. 

An  seine  Eitern 

[Hannover]  am  20*^"  Aug*'  [i864]. 
Liebe  Eltern 

Wir  haben  schon  die  längste  Zeit  keine  Silbe  von 
Ihnen  veinommen  und  kommen  mit  der  herzlich- 
sten Bitte  um  baldige  Nachrichten.  Es  brauchen  ja  nur 
wenige  Worte  zu  sein,  und  wenn  Ihnen  selbst  das  Schreiben 
anstrengend  wäre,  übernähme  gewiß  gern  eine  geschwister- 
liche Hand  die  Mühe.  Der  Sommer-Aufenthalt  fährt  hoffent- 
lich fort,  Ihnen  gut  zu  thun.  In  Nord-Deutschland  ist  leider 
die  Witterung  so  trübe  und  kalt,  daß  man  denken  sollte, 
im  November  statt  im  August  zu  leben.  So  habe  ich  denn 
weniger  entbehrt,  daß  ich  mit  meiner  lieben  Amalie  dieses 
Jahr  in  keiner  schönen  Berggegend  sein  kann.  Wir  leben 
einen  Tag  wie  den  andern  still  fort,  nur  wenige  Freunde 
ab  und  zu  empfangend,  wie  sich  das  in  Erwartung  des  be- 
vorstehenden Familien-Ereignisses  (im  September,  so  Gott 
will,  kommend)  von  selbst  versteht.  Allmählig  treffen  übri- 
gens mit  dem  herannahenden  Beginn  des  Theaters  im  Sep- 
tember  die  musikalischen   Freunde  von  den   Ferienreisen 

•)  Über  diesen  Konflikt  siehe  Moser,  II,  124  ff. 


344  ^'on  Clara  Schumann 

hier  wieder  ein,  und  so  nehme  ich  mir  vor,  fleißig  Quar- 
tett zu  spielen.  Ein  sehr  lieber  Besuch  war  mir  mein 
Freund  Brahms,  der  zwei  Tage  bei  uns  wohnte.  Ich  bin 
jedesmal  von  Neuem  erstaunt  über  diese  herrliche  Musik- 
natur, und  er  bestätiget  meine  Meinung  immer  mehr,  daß 
es  seines  Gleichen  heutzutage  nicht  giebt.  Eine  andere  an- 
genehme Erscheinung  bildete  ein  junger  Geiger  aus  Rom, 
Pinelli,  den  seine  Verehrung  für  deutsche  Musik  nach 
dem  Norden  trieb,  und  der  bei  mir  weiter  studiren  will. 
Das  ist  doch  für  einen  Italiener  etwas  seltenes!  Er  bleibt 
längere  Zeit  demgemäß,  und  ich  hoffe  dadurch  im  Italie- 
nischen etwas  vorwärts  zu  kommen.  —  Möchten  wir  bald 
durch  gute  Nachrichten  von  Ihnen  und  den  lieben  Ge- 
schwistern beglückt  werden.  Mit  kindlichem  Gruß  von 
Amalie 

Ihr 

Joseph 

Von  Clara  Schumann 

Rigi-Kaltbad  d.  22  Aug.  1864. 

.  .  .  Doch  nun  zu  Ihrem  Concert,  das  kennen  zu  lernen 
mich  sehr  interessirt  hat,  und  das  ich  so  gar  gern  von  Ihnen 
und  mit  Orchester  hören  möchte.  Ich  traue  mir  so  nach 
bloßem  Durchspielen  am  Ciavier  kein  rechtes  Urtheil  zu; 
zwar  erschien  es  mir  ganz  ein  Meisterwerk,  voll  feiner  und 
geistreicher  Züge,  doch  wollte  es  mich  nicht  so  fesseln  wie 
das  ungarische,  das  Einen  von  Tact  zu  Tact  mit  fortreißt, 
so  bis  in's  Innerste  ergreift !  —  Zürnen  Sie  mir  nicht,  lieber 
Joachim,  daß  ich  dies  so  offen  sage,  lassen  Sie  es  mich  lieber 
recht  bald  hören,  ich  glaube  sicher,  es  wird  mir  beim  Hören 
lieber  werden;  die  Geige  scheint  mir  wieder  so  innig  mit 
dem  Orchester  verschmolzen,  daß  es  für  mich  kaum  mög- 
lich, einen  klaren  Ueberblick  nach  dem  Ciavier  zu  ge- 
winnen. .  .  . 


An  den  Grafen  Platen  345 

An  den  Grafen  Platen 

Hannover  23'^"  August  i864. 
luer  Hochgeboren  Wunsch   entsprechend  komme   ich 


E" 


schriftlich  auf  die  mit  Hochdemselben  vor  Beginn  der 
Ferien  gepflogene  Unterhaltung,  Herrn  Grün  betreffend,  zu- 
rück. Ich  darf  die  Versicherung  geben,  daß  ich  seitdem  die 
Sache  oft  und  gewissenhaft  überdacht  habe,  wie  Ew.  Hoch- 
geboren mir  empfahlen  —  ohne  daß  ich  indeß  vermocht 
hätte,  sie  in  anderem  Lichte  zu  sehen. 

Unmöglich  konnte  ich  vergessen  (und  das  ist's,  worauf 
ich  besonders  aufmerksam  zu  machen  mir  erlaube),  daß 
Herr  Grün  durch  mich  im  Auftrag  der  hohen  Intendanz 
engagirt  worden  ist,  mit  der  ausdrücklich  erwähnten  Aus- 
sicht, er  würde  allmählich  in  die  s.  Z.  durch  Herrn  Kamnier- 
musikusKömpel  eingenommene  Stellung  vorrücken.  Könnte 
nun  Herr  Grün,  ohngeachtet  seiner  von  allen  Vorgesetzten 
anerkannten  trefflichen  Leistungen  und  Pflichttreue  im 
Dienst,  nach  mehreren  Jahren  geduldigen  Wartens,  auf 
meine  erinnernde  Bitte  nicht  befördert  werden,  weil  er 
ein  Israelit  ist,  und  giengen  somit  dadurch  die  von  mir 
in  höherem  Auftrage  gegebenen  Versprechungen  nicht  in 
Erfüllung,  dann  bliebe  mir,  nach  meiner  Auffassung  von 
Ehre  und  Pflicht,  nichts  anderes  zu  meiner  Rechtfertigung 
übrig,  als  eventuell  mit  Herrn  Grün  gleichzeitig  von  meinem 
Posten  zurückzutreten.  Ohnehin  würde  ich  beim  Beharren 
in  meiner  jetzigen  Stellung,  nach  Zurückweisung  des  Herrn 
Grün,  die  rein  persönliche  Empfindung  zeitlebens  nicht  über- 
winden, durch  meinen  früher  hier  erfolgten  Übertritt  zur 
Kirche  Christi  in  der  Kgl.  Hannoverschen  Kapelle  weltliche 
Vortheile  zu  genießen,  während  meine  Stammesgenossen 
in  derselben  eine  demüthigende  Stellung  einnehmen.  ,  .  . 


346  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  24*^^"  August  [i864] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  schreibe  gleich,  damit  Sie  mein  Brief  noch  trifft,  be- 
vor Sie  Ihre  Wanderung  durch  die  alten,  lieben  Punkte 
antreten,  und  nicht  hoffnungslos  hinterdrein  jagen  muß. 
Schon  früher  hätte  ich  wieder  hören  lassen,  wenn  mir  Ihre 
Zeile  im  letzten  Kouvert  nicht  Nachricht  von  Ihnen  in  Aus- 
sicht gestellt  hätte.  Nun  glaubte  ich  Sie  mit  Johannes  auf 
einer  Schweizertour;  Ihre  Andeutungen,  beider,  waren  so 
eilig,  unbestimmt.  Es  ist  mir  nun  lieb,  Sie  in  der  schönen, 
lichten  Athmosphäre  zu  wissen,  die  ich  von  ganzem  Her- 
zen vor  drei  Jahren  mitgenoß,  während  wir  hier  leider 
schon  lange  nichts  als  Kälte,  Regen  und  Sturm  haben,  wie 
ich's  nie  zuvor  in  der  Sommerzeit  erlebt.  Ganz  unerhört  und 
verstimmend  ist's,  diesenHannover'schen  Himmel  anzusehen ! 
Um  nun  zunächst  Ihre  Fragen  zu  beantworten,  fange  ich 
bei  der  letzten  an.  Ich  habe  nämlich  eben  einen  Brief  an 
die  Intendanz  befördert,  worin  ich  sage,  daß  ich,  falls  Herr 
Grün  nicht  (wie  durch  mich  im  höheren  Auftrag  beim  En- 
gagement versprochen  war)  zum  Kammermusikus  befördert 
wird,  mit  Grün  gleichzeitig  ausscheiden  würde.  Ignoriren 
können  sie  es  nicht,  denn  ich  schloß  damit,  daß  ich  dem 
Kontrakt  gemäß  vor  dem  i'^"  September  diese  Absicht 
ausgesprochen  hätte,  um  von  dieser  Seite  aus  nicht  gebun- 
den zu  sein.  Sie  sollen  es  erfahren,  sobald  ich  Nachricht 
erhalte.  Ich  muß  gestehen,  daß,  nachdem  ich  mich  eben 
eingerichtet  hatte,  und  bevor  ich  noch  weiß,  wohin,  das 
Aufgeben  meiner  Stelle  mir  unangenehm  ist  —  indeß  bleibt 
es  inir  ja  unbenommen,  meine  jetzige  Wohnung  auch  für 
den  Fall  meines  Fortgehens  so  lange  zu  behalten,  bis  ich 
eine  liebere  Stätte  gefunden.  —  Herr  Grove  ist  mir  in  Lon- 
don bald  einer  der  liebsten  englischen  Freunde  geworden. 


An  Clara  Schumann  347 

Er  ist  Sekretair  des  Crystal-Palace,  aber  dies  nur  um  zu 
leben.  In  competenten,  gelehrten  Kreisen  gilt  er  für  die 
größte  englische  Autorität,  die  Geographie  der  Alten  an- 
langend. Er  ist  also  ein  ausgezeichneter  Gelehrter,  und 
dabei  hat  er  eine  so  echte,  tiefe  Liebe  für  Kunst,  ein  so 
deutsches  Versenken  in  Musik,  daß  es  einem  in  seinem  ein- 
fachen, gastfreien  Hause  so  recht  wohl  wird.  Mir  kam  er 
mit  seiner  Frau  und  den  Kindern  wie  ein  deutscher  Kolonist 
in  England  vor,  obwohl  bei  ihm  nicht  deutsch  gesprochen 
wird.  So  ist  er  denn  auch  für  Schumann  begeistert,  und 
wird  irgendwo  etwas  von  Seh:  aufgeführt,  so  ist  er  gewiß 
mit  einem  Kreis  von  Gläubigen  dort  und  klatscht  mit  ihm 
nach,  solange  die  Sehnen  aushalten!  Haben  Sie  ihm  also 
Ihr  Bildchen  noch  nicht  geschickt,  so  dürfen  Sie  es  getrost 
nachholen,  er  verdient  es  in  jeder  Weise.  Was  er  übrigens 
von  der  Verbreitung  Schumann'scher  Musik  schreibt,  ist 
ganz  wahr.  Quartette  von  Seh:  habe  ich  nicht  öffentlich 
spielen  können,  weil  in  den  Ella'schen  Matineen,  für  die 
ich  engagirt  war,  bereits  eine  Sonate  (A  moll)  und  Quintett 
vorkam.  Für  das  Populär  Concert  sind  sie  noch  nicht; 
dem  ganz  großen  Publikum  Englands  gegenüber  ist  eben 
Schum:  ein  zu  ausschließlich  deutsch-romantischer  Geist. 
Erst  von  den  Einzelnen  aus  wird  er  in  die  Massen  dringen. 
Ich  schicke  den  Grove'schen  Brief  zurück;  für  heute  kann 
ich  nicht  mehr  schreiben,  will  aber  in  den  nächsten  Tagen 
über  Ihren  Plan  zur  englischen  Saison  weiter  reden.  Sie 
geben  doch  wohl  Auftrag,  Briefe  nachzusenden,  falls  Sie 
vorher  vom  Rigi  fortgehen.  Mein  Concert  hEiben  Sie  freund- 
schaftlich liebevoll  angesehen;  ich  hoffe,  daß  eines,  das  ich 
jetzt  vorhabe,  wieder  besser  wird. 

Tausend  Grüfte  von  meiner  Frau,   auch  an  die  lieben 
Ihrigen 

von 

Joseph  J. 


348  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  Anf.  Sept.  i864-] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Sie  sind  hoffenthch  wohlbehalten  bei  den  Ihrigen  und 
von  besserem  Wetter  begünstigt  gewesen  als  wir!  Es 
ist  mir  wirklich  eine  schwierige  Sache,  um  Ihre  Frage 
wegen  England  zu  beantworten,  und  ich  will  damit  an- 
fangen, daß  ich  Ihnen  sage,  wie's  mir  ergangen:  ich  habe 
durch  6  Wochen  ein  wahres  Sklavenleben  geführt,  und 
doch  war  das  Resultat  bloß  etwa  33o^  brutto.  Hätte 
ich  Engagements  in  Privathäusern  angenommen,  so  hätten 
sich  vielleicht  400  £  herausgestellt.  Und  doch  ist  die 
Chance  eines  Violinspielers  immer  noch  günstiger  als  die 
eines  Klavierspielers.  Die  Leute,  welche  die  Concert-Arran- 
gements  in  Händen  haben,  müssen  sich  mit  Halle,  Pauer, 
M""'  Davison  gut  stellen,  weil  sie  sie  das  ganze  Jahr  hindurch 
brauchen,  währenddem  die  Londoner  einheimischen  Vio- 
linspieler weniger  Prätensionen  machen.  (Die  ansässigen 
Klavierspieler  hängen  eben  durch  Stunden  mehr  mit  der 
Gesellschaft  zusammen,  mit  Ladys,  die  Musikalien  brauchen 
etc.,  u.  haben  dadurch  Einfluß  auf  den  allgemeinen  Musik- 
handel, C'est  partout  comme  chez  nous!)  Wenn  Sie  die 
Absicht  haben,  mehrere  Saisons  nacheinander  nach  Lon- 
don zu  gehen,  würde  ich  Ihnen  dennoch  entschieden  dazu 
rathen ;  ei  ner  Saison  wegen  würde  es  nicht  lohnen.  Ich  kann 
Ihnen  aber  keinen  besseren  Rath  geben,  als  ernstlich  M"" 
Grove  um  Rath  zu  fragen;  er  steht  unabhängig  genug  da, 
um  auf  die  dortigen  Klavierspieler  keine  Rücksicht  zu  neh- 
men, und  ist  doch  durch  Neigung  und  sein  Sekretariat 
hinlänglich  bekannt  mit  den  Verhältnissen.  Ob  ich  selbst 
wieder  nach  London  gehe,  wird  von  der  Entscheidung  des 
Königs  wegen  Grün  abhängen.  Auf  alle  Fälle  aber  würde 
ich  es  nicht  wieder  so  machen  wie  das  vorige  Mal;  d.  h. 


An  Clara  Schumann  349 

ich  würde  mich  später  nur  für  bestimmte  Concerte  enga- 
giren  lassen  und  dadurch  mein  Honorar  in  den  einzelnen 
Fällen  erhöhen,  oder  ich  will  versuchen,  eigene  Soireen 
zu  geben,  wobei  allerdings  ein  Risico  ist.  —  Ich  finde,  daß 
das  Her  umspielen  in  allen  Concerten  etwas  un  künstleri- 
sches hat.  Ich  werde  Ihnen  mittheilen,  was  der  König  be- 
schließt, sobald  ich  es  selbst  weiß;  für  heute  schicke  ich 
den  angeschlossenen  Brief  Platens.^)  —  Wie  sollte  es  mich 
freuen,  wenn  wir  Aussicht  hätten,  wieder  einmal  längere 
Zeit  in  derselben  Stadt  zu  weilen!  Theilen  Sie  mir  doch 
Ihre  Winter- Pläne  bald  mit.  Herr  Ullmann  hat  mir 
wiederholt  Anerbiethungen  gemacht  zu  Concert-Reisen :  ich 
sollte  die  Kontrole  der  Annoncen  und  Programme 
haben,  er  würde  dann  trachten,  auch  Sie  zu  gewinnen. 
Aber  darauf  kann  man  doch  nicht  eingehen!  Gute  Mittel 
können  keinen  schlechten  Zweck  heiligen ! !  Lieber  Seh warz- 
bi'od  aus  einem  reinen  Teller,  als  Kuchen  aus  der  Geld- 
wechslerschüssel ! ! !  So  denken  Sie  gewiß  auch.  —  Bei  mir 
werden  jetzt  für  die  nächste  Woche  allerlei  Veränderungen 
vorgenommen,  um  den  jungen  Weltbürger  gebührend  zu 
empfangen.  Sie  erhalten  dann  Nachricht.  Angenehmes  aus 
Hannover  weiß  ich  sonst  nur  noch  zu  berichten,  wenn  ich 
sage,  daß  ich  in  den  ersten  Concerten  einen  halben  Theil 
mit  Manfred  und  den  andern  mit  der  9'*^"  ausfüllen  werde, 
wozu  ich  Sie  hier  zu  sehen  hoffe.  Ist  Johannes  noch  bei 
Ihnen?  Ich  schicke  jedenfalls  die  4  händige  Sonate-),  die 
mir  als  Composition  fast  durchgehend  ausnehmend  gefällt. 
Nur  möchte  ich  sie  von  Ihnen  beiden  hören,  um  ein  Urtheil 
über  den  Klang  zu   haben.    Klingt    das   immer  deutlich 

*)  nicht  vorhanden. 

*)  Die  Umarbeitung  des  Stieichquintetts  in  F  moll  zur  4  händigen 
Sonate  op.  34'^'%  die  Brahms  gerade  in  jenen  Tagen  nach  Kalbeck  II 
i5of.  vornahm.  Da  dieser  Brief  unmöglich  früher  als  in  das  Ende  des 
August  gesetzt  werden  kann,  fand  die  Bearbeitung  wohl  einige  Wochen 
später  statt,  als  Kalbeck  angibt.  Vgl.  übrigens  Brahms'  Briefw.  mit  J.  aus 
jener  Zeit, 


35o  Von  Clara  Schumann 

genug,  bei  der  Vollgriffigkeit  und  reichen  Stimmführung 
zugleich?  Ich  verstehe  zu  wenig  von  Klavier,  um  ohne  zu 
hören  mir  ein  ürtheil  zu  erlauben. 

Ich  grüße  Sie  alle  von  Herzen  und  verbleibe  wie  immer 
Ihr  freundschaftlich  ergebener 

Joseph  Joachim. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover]  12.  Sept.  [i864] 
•    Liebe  Frau  Schumann 

Heute,  am  1 3^^"  ist  Ihr  uns  allen  roth  angestrichener 
Geburtstag,  zu  dem  ich  uns  allen  gratulire,  heute  in 
ganz  besonders  freudiger  Stimmung!  Denn  gestern  war 
auch  ein  Geburtstag,  und  es  zeugt  für  den  guten  Geschmack 
des  kleinen  Joachim,  daß  er  sich  das  Preludium  eines  so 
musikreichen,  vollstimmigen  Tags  zu  freudigem  Eintritt 
wählt.  Es  ist  ein  kräftiger  Junge,  dem's  wohl  in  seiner 
Haut  zu  sein  scheint,  und  der  seiner  Mutter  die  1 7  bangen 
Stunden  (von  Mitternacht  bis  5  Uhr  Nachmittags!)  mit 
einem  Freudenschrei  vergessen  machte.  — 

ürsi  ist  ganz  wohl,  ich  habe  sie  eben  Milch  und  Zwie- 
back frühstücken  sehen.   Wir  grüßen  Beide  von   Herzen! 

Ihr 

Joachim 
Ist  Johannes  noch  in  Baden?   Dann  gilt  auch  ihm  der 
Inhalt.    Ihren  Kindern  allen  schönste  Grüße. 

Von  derselben 

Baden-Baden  d.  i5  Septbr:  i864. 
Liebster  Joachim, 

Welche  Überraschung  war  das!  eben  hatten  wir  Jo- 
hannes' Quartette  gehört  und  waren  in  begeisterter 
Stimmung,  da  kommt  der  Brief  —  ein  rechter  Musikanten- 


An  Clara  Schumann  35l 

Freuden-Schrei  hallte  durch  unser  Zimmer.  Herrlich !  und 
daß  es  ein  Sohn  ist,  wie  freut  es  mich  für  Sie.  Nehmen  Sie 
unser  Aller  (auch  Frl.  Leser  und  Junghes)  innigste  Glück- 
wünsche —  mögen  alle  guten  Geister  den  kleinen  Welt- 
bürger beschützen.  Beifolgende  Karten  soll  ich  Ihnen  bei- 
legen, Johannes  schreibt  selbst. 

Wie  freut  es  mich,  daß  Ihre  liebe  Frau  Alles  glücklich 
überstanden  —  wohl  sind  es  schwere  Stunden,  und  doch 
kaum  welche  leichter  vergessen  als  diese.  Bitte  lassen  Sie 
mich  (nur  mit  ein  paar  Worten)  bald  wieder  wissen,  wie 
es  Ihrer  Ursi  und  dem  Kleinen  geht?  Wann  ist  es  aber 
eigentlich  geboren?  Ihr  Brief  beginnt  „heute  am  i3'^""^) 
darunter  aber  steht:  „d.  12""'  Sept."  —  ich  denke  aber,  es 
ist  wohl  der  12'^  (unser  Hochzeittag)  sein  Geburtstag? 

Wir  waren  am  i3""  recht  vergnügt  mit  Johannes  bei- 
sammen und  ließen  den  lieben  Joachim  so  laut  leben,  daß 
er  es  wohl  hören  sollte,  es  galt  ja  aber  auch  für  zwei!!! 

Johannes  hatte  mich  recht  freudig  überrascht  mit  einer 
Photographie  meines  Häuschens,  die  ich  Ihnen  schicke,  so- 
bald ich  noch  ein  Exemplar  erhalte. 

Der  Brief  soll  noch  heute  Morgen  fort,  daher  Weiteres, 
mich  betreffende,  nächstens. 

Adieu  Ihr  Lieben!    1000  gute  Wünsche 

von  Ihrer  alten 

Gl.  Schumann. 

An  dieselbe 

D.  i3.  Oktbr.  1864. 

Liebe  Frau  Schumann 

Meine  Grün'sche  Angelegenheit  ist  noch  immer  in  der 
Schwebe;    d.  h.  der  König   ignorirt   sie  vollständig 
und  glaubt  wahrscheinlich,  mich  durch  die  ausgesuchteste 

*)  J.  dachte  an  Frau  Schs.  Geburtstag,  an  dem  nach  seiner  Berechnung 
die  Nachricht  in  Baden  eintreffen  würde. 


352  An  Ferd.  David 


Aufmerksamkeit  und  Liebenswürdigkeit  in  andern  Dingen 
zu  kirren.  Ich  kann  aber  nicht  nachgeben  und  werde  mir 
eine  Audienz  vor  der  Taufe  meines  Söhnchens  ausbitten 
(dem  er  sich  als  Pathe  angeboten  hat),  um  in's  Reine  zu 
kommen.  —  Die  Saison  hat  schon  allerlei  Vorboten  geschickt, 
Halle,  Damckes  u.  s.  w.  Die  beiden  haben  bei  Hofe  gespielt. 
Damckes  Sachen  sind  tüchtig  gemacht,  aber  —  gar  zu 
trocken;  trotzdem  haben  sich  Majestät  die  4 händige  Sonate 
für  Orchester  arrangirt  erbethen!  —  Wie  reizend  ist  das 
Wiegenlied^)  von  Johannes,  die  alte  verflochtene  Melodie, 
wie  schön.  Wenn  Sie  kommen,  müssen  wir  es  hören;  meiner 
Frauen  Stimme  scheint  unverändert. 

Sie  grüßt  von  Herzen,  auch  Ihre  lieben  Kinder,  wie 
Ihr  getreu  ergebner 

Joseph  Joachim. 


An  Ferd.  David 

Am  17"°  Oktober,  Hannover,  [i864] 
Verehrter  Freund 

Eben  habe  ich  wieder  beim  Kopisten  wegen  des  Mo- 
zart-Concertes  in  Adur  nachfragen  lassen,  das  ich  ihm 
vor  Monaten  gegeben  hatte;  es  ist  aber  noch  nicht  fertig, 
und  wie  ich  Sie  kenne,  werden  Sie  sagen:  Sie  wundern 
sich  nicht,  daß  man  so  lange  an  Violin-Goncerten  in  Han- 
nover componirt,  wenn  das  Abschreiben  schon  so  viel  Zeit 
kostet.  Sie  sollen  aber  das  Manuscript  doch  in  den  näch- 
sten Wochen  erhalten,  trotz  dieser  schlimmen  Bemerkung. 
Heute  erlaube  ich  mir  zu  Gunsten  eines  Klavierspielers 
ein  W^ort  an   Sie   zu   richten.    Er   heißt  Labor-)    und  ist 

^)  Op.  91  Nr.  a  für  Altu.  Bratsche,  ein  Pathengeschenk  für  J's.  ältesten 
Sohn. 

*)  Vortrefflicher  Klavier-  und  namentlich  Orgelspieler,  lebte  zuletzt  in 
Gründen;  er  spielte  im  Februar  1866  im  Gewandhaus. 


An  Clara  Schumann  353 

blind,  spielt  aber  wirklich  (auch  seine  besondere  Beschaffen- 
heit beim  Urtheilen  abgerechnet)  sehr  schön,  namentlich 
ist  sein  Anschlag  äußerst  wohlthuend.  Dieser  hat  nun  an 
die  Goncertdirection  vor  längerer  Zeit  das  Anliegen  ge- 
richtet, in  einem  der  Gewandhaus-Concerte  zu  spielen,  ohne 
bis  jetzt  eine  Antwort  erhalten  zu  haben.  Er  hofft  nun, 
daß  sein  Wunsch,  von  Musikern  unterstützt,  bessere  Ghancen 
haben  werde,  und  deßhalb  bin  ich  so  frei,  auf  sein  Er- 
suchen mich  an  Sie  zu  wenden,  ob  Sie  sein  Anliegen  unter- 
stützen wollen.  Sie  können  seine  Leistungen  mit  bestem 
Gewissen  empfehlen;  die  Herrn  Moscheies  und  Schleinitz 
haben  ihn  vorigen  Winter  auch  gehört,  [Rest  des  Satzes 
weggeschnitten].  Recht  von  Herzen  habe  ich  beim  Bericht 
über  Klengels  Jubiläum  bedauert,  nicht  gegenwärtig  ge- 
wesen zu  sein;  ich  hatte  gemeint,  es  würde  später  im 
Winter  fallen,  und  ich  würde  dazu  hinüberreisen  können !  — 
Mein  kleines  Gegentheil  eines  Jubilars  befindet  sich  ganz 
vortrefflich,  und  ich  wünsche,  daß  das  liebe  Ding  sich  Ihnen 
bald  einmal  vorstellen  möge.  Mit  herzlichen  Grüßen  von 
Haus  zu  Haus ,  und  an  Ihren  lieben  Wilhelmj  ^)  (wegge- 
schnitten) 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  Okt.  i864J 
Liebe  Frau  Schumann. 

Ich  weiß  nicht  genau,  ob  Sie  auf  eine  nochmalige  Be- 
stätigung des  26'^"  Nov.  als  Concerttag  rechnen,  schreibe 
also  jedenfalls,  daß  von  mir  aus  nichts  anderes  vorgenom- 
men werden  wird.  In  den  letzten  Tagen  aber  erschreckten 
mich  allerlei  Gerüchte  von  üllmann  für  den  November; 
ich  habe  aber  Erkundigungen  eingezogen  —  und  die  Luft 
ist  rein.    Mit  unserm  Vorhaben  rücke  ich  aber  noch  nicht 

^)  August  Wilhelmj  war  bis  1864  Schüler  Davids. 

a3 


354  An  Ferd.  David 


öffentlich  heraus,  bis  Sie  mir  es  bestimmt  sagen.  Meine 
Frau  darf  dann  doch  wohl  auch  zur  Abwechselung  bei- 
tragen? Es  würde  ihr  erstes  Auftreten  werden.  Die  Braun- 
schweiger wollten  mich  zu  3  Goncerten  haben,  da  darf  ich 
doch  auch  einmal  zum  eigenen  Spaß  darunter  musiciren! 
Ich  werde  in  diesem  Winter  ein  paar  ganz  hübsche  Extra- 
Einnahmen  haben:  4  Concerte  in  4  Tagen  in  Holland  zu 
1000  Gulden,  das  ist  ganz  nett. 

Rubinstein  hat  mir  von  Petersburg  aus  geschrieben  und 
2000  S.  R.  Garantie  für  Soireen  in  Petersb:  und  Moskau 
geboten.  Glauben  Sie,  daß  ich  hin  soll?  d.  h.  könnte  die 
Reise  für  meinen  kleinen  Jungen  etwas  Erkleckliches  ab- 
werfen? Darüber  wüßte  ich  gern  Ihre  Meinung  in  ein 
paar  Worten.  Verzeihen  Sie  den  geschäftlichen  Charakter 
dieser  Zeilen  Ihrem  Ihnen  künstlerisch  sehr  ergebnen 

Joachim. 

An  Ferd.  David 

[Hannover,  Ende  Oktober  1864.] 
Verehrter  Freund 

Beifolgend  das  Goncert  in  A,  das  mir  bedeutender  er- 
scheint als  das  in  D,  trotz  einiger  (aber  immerhin 
Mozart'scher)  Zöpferl !  Ich  habe  auf  Ihren  Wunsch  in  aller 
Eile  die  Kadenzen  aufgeschrieben,  die  ich  voriges  Jahr  dazu 
spielte,  und  freue  mich  auf  die  nun  gewiß  nachkommen- 
den von  Ihnen.  Auch  im  letzten  ließe  sich  eine  Haltestelle 
vordem  Schluß  für  eine  Kadenz  finden,  nur  scheint  mir  der 
(oder  die?)  Menuett  zu  anspruchslos  in  ihrem  lieblichen 
Fluß,  um  eine  einzuflechten.  Jedenfalls  würde  es  eine 
schwere  Aufgabe  sein.  Wahrscheinlich  finden  sich  in  der 
Partitur  Fehler,  denn  ich  habe  nicht  corrigirt,  um  die  Ver- 
säumniß  des  Gopisten  nicht  durch  Aufenthalt  noch  fühl- 
barer zu  machen.    Bitte,  schreiben  Sie  mir  ein  paar  Zeilen, 


An  Julius  Rietz  355 


wie's  mit  Wilhelmj  geht;  geigt  er  wieder?    Decke i)  einen 
schönen  Gruß;  Ihnen  und  den  lieben  Ihrigen  von  uns  bei 
den  die  herzlichsten  Empfehlungen. 

Stets  Ihr 

Joseph  J. 

Von  Luise  Scholz 

Hannover  if^.  Januar  65, 
Strafzettel  für  die  Unterkatze  2)  Joachim, 

Dieselbe  hat  wegen  Nichterscheinens  gegen  ihr  ge- 
gebnes Wort  bei  Leberklösen,  Sauerkraut  u.  Erbsen- 
brei einen  Gr.[oschen]  Strafe  zu  bezahlen.  Ausreden  wegen 
Schnupfens  werden  in  Anbetracht  der  Fiakres  nicht  an- 
genommen, Stellvertreter  recht  liebenswürdig,  aber  nicht 
ganz  ebenbürtig.  Das  Strafgeld  ist  zu  entrichten  bei  der 
Frau  Collegin  ürsi. 

Luise  Scholz 
Oberkatze. 
Gesehen  und  approbirt,  nebst  Androhung  härterer  Buße 
im  Wiederholungsfalle. 

B.  Scholz 
Oberkater. 

An  Julius  Rietz 

[Hannover,  Ende  Januar  i865.] 
Verehrter  Freund. 

Du  wirst  es  diesem  Blatt  ansehen,  daß  mich  ein  schwerer 
Verlust  betroffen:  mein  Vater  ist  am  17*''"  aus  diesem 
Leben  geschieden.    Er  war  76  Jahre  alt  und  in  den  letzten 

*)  Später  Schüler  von  Joachim;    igoS  als  Konzertmeister  in  Karlsruhe 
gestorben. 

2)  vgl.  S.  3o8. 

23* 


356  An  Clara  Schumann 

Jahren  kränkhch;  man  mußte  sich  also  auf  den  Tod  vor- 
bereiten —  das  Eintreffen  will  dennoch  überwunden  wer- 
den! Ich  hatte  gehofft,  er  sollte  sein  jüngstes  Enkelchen 
noch  segnen.  — 

Du  erlaubst  mir  wohl  ein  paar  Worte  zu  Gunsten  eines 
Mitglieds  der  Hannoverschen  Kapelle,  der  sich  bei  Euch 
um  eine  Cellisten -Stelle  bewirbt,  und  der  mich  um  eine 
Empfehlung  an  Dich  bat.  Ich  gebe  sie  Herrn  Eyertt  von 
ganzem  Herzen,  denn  er  ist  mir  als  Mensch  und  Künstler 
werth.  Über  sein  Solo-Spiel  wäre  es  überflüssig,  Dir  etwas 
zu  sagen,  da  Du  ihn  bei  der  Probe  hören  wirst  —  ich  will 
nur  wünschen,  daß  sein  Mangel  an  Übung,  vor  Hörern  zu 
spielen,  seine  trefflichen  Eigenschaften  nicht  beeinträch- 
tigen möge!  Als  Orchester-  und  Quartett-Spieler  kann  ich 
ihm  nach  vieljähriger  Erfahrung  das  beste  Zeugniß  geben: 
Sicherheit,  Freude  am  Musiciren  und  Gewissenhaftigkeit 
halten  da  gleichen  Schritt.  Blieb  ich  hier  in  Hannover, 
sein  Wunsch,  das  Glück  anderwärts  zu  versuchen,  gienge 
mir  sehr  nahe.  —  Hoffentlich  bringt  mir  Herr  Eyertt  gute 
Nachrichten  von  Deinem  Befinden.  — 

Wir  grüßen  Dich  beide,  meine  Frau  leider  noch  unbe- 
kannter Weise! 

Dein 

Joseph  Joachim. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover,  3.  Febr  i865.] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Wohl  ist  die  Trauerkunde  wahr!  Mein  seliger  Vater 
war  76  Jahre  alt.  Der  Winter  pflegte  ihn  in  den 
letzten  Jahren  immer  anzugreifen,  aber  er  erholte  sich  auch 
wieder  leicht.  Sie  können  denken,  wie  hart  mich  die  Nach- 
richt nach  dem  letzten  Concert  traf;  meine  Frau  hatte  es 
schon  den  ganzen  21"="  gewußt  und  mußte  mich  nun  in 


An  Clara  Schumann  SSy 

dem  Zustand  in's  Concert  bringen,  spielen  und  dirigiren 
lassen,  ohne  mir  was  zu  sagen. 

Die  Ärmste!  Seit  diesem  Schlag  sind  nun  hier  auch  die 
häßlichsten  Verleumdungen  über  mich  in  den  Blättern  i) 
vorgekommen;  ich  hatte  diesen  Schmutz  vorher  nahen 
sehen,  aber  ich  bin  empfindlicher  und  verstimmter  dar- 
über, als  ich  geglaubt  hätte.  Auch  war  ich  anderthalb 
lange  Stunden  beim  König,  der  mir  durch  allerlei  Liebens- 
würdigkeit meinen  Entschluß  ausreden  wollte:  ich  blieb 
fest.  Über  das  Gespräch  mündlich  einmal.  —  In  Hamburg 
waren  wir  nicht;  ich  telegraphirte  ab,  da  ich  mich  nicht 
entschließen  konnte  in  der  Stimmung,  die  sich  meiner  be- 
mächtigte, zu  concertiren. 

Der  Manfred  ist  nun  wieder,  aber  diesmal  zuletzt!  ver- 
schoben; und  zwar  auf  den  25'*".  Schreiben  Sie  mir  so- 
bald als  möglich,  ob  Sie  sicher  spielen  können  und  wollen. 
Am  I.  März  reise  ich  nach  London. 

Das  Sextett  2)  werde  ich  erst  jetzt  mit  Muße  lesen  kön- 
nen; Sie  können  denken,  wie  mich's  verlangt,  es  näher  zu 
kennen.  Das  Adagio  scheint  wunderschön  u.  echter  Jo- 
hannes. 

Mit  unsern  herzlichen  Grüßen  und  Wünschen  guter 
Heilung  der  Hand 

Ihr 

J.  J. 

P.  S.  Vielleicht  interessiren  Sie  und  unsere  Freunde  die 
Notizen  eines  Blattes,  das  für  mich  in  der  Grün'schen 
Sache  Partei  nimmt.  Meine  Feinde  hatten  drucken  lassen, 
daß  ich  hier  ä  tout  prix  einen  Schüler  anbringen  wollte, 
daß  ich  Talente  der  hiesigen  Kapelle  ihm  zur  Lieb'  hint- 
angesetzt, und  daß  die  Intendanz,  nur  um  meinem  zudring- 
lichen Bitten  zu  wehren,  geäußert  habe,  es  gienge  aus  Re- 
ligionsgründen nicht!  etc.  etc. 

*)  über  die  Grünsche  Angelegenheit. 
')  das  zweite,  in  Gdur,  von  Brahms. 


358  Von  Clara  Schumann 


An  Ferd.  David 

[Hannover  etwa  5.  Febr.  1 865] 
Lieber  Freund 

Es  ist  Ihnen  vielleicht  lieb,  mein  G  dur  Concert  vor  der 
Probe  einmal  durchzusehen,  darum  schicke  ich  es  vor- 
aus. Sehr  schwer  ist  es  nicht,  aber  es  bedarf  ziemlicher 
Sorgfalt  von  Seiten  der  Holzbläser.  Im  Nothfall  könnten 
wir  ja  wohl  das  Ganze  am  Donnerstag  noch  ein  Stündchen 
durchgehen.    Nicht  wahr?   Als  2'*^  Stück  will  ich  spielen. 

a)  Barcarole  I  ^j     , 

b)  Scherzo     j    " 

c)  Bourree  u.  Double  v.  Bach 

Sie  müssen  diesmal,  fürchte  ich,  mit  meinem  guten  Willen 
fürlieb  nehmen.  Die  Trauernachricht  aus  Pesth,  Verdrieß- 
lichkeiten hier  am  Ort  und  die  Sorge  um  die  eigenen  Abonn.- 
Concerte  haben  mich  in  letzter  Zeit  nicht  viel  zum  Üben 
kommen  lassen.  Meine  Frau  wird  zwei  Arien  (aus  Theo- 
dora  V.  Händel  und  Titus  v.  Mozart)  und  Lieder  von  Schu- 
bert singen.  Die  Stimmen  zum  Titus  sind  gewiß  aus  dem 
Leipziger  Theater  zu  bekommen.  Wir  reisen  Dienstag  um 
1  Uhr  Nachmittags  ab,  Averden  bei  Dr.  Härtel  wohnen,  und 
so  hole  ich  Sie  denn  am  Mittwoch  ^2  9  Uhr  zur  Probe  ab. 
Mit  den  herzlichsten  Empfehlungen  an  die  lieben  Ihrigen 

und  freundschaftlich  erereben  _, 

"  Ihr 


Von  Clara  Schumann 


Joseph  J. 


Cölnd.  81«"  Febr.  i865. 


Lieber  Joachim, 

Wie  leid  thut  mir  alles,  was  Sie  mir  in  Ihrem  letzten 
Brief  schreiben!    Die  Gemeinheiten  der  Menschen 
lassen  Sie  sich  aber  doch  ja  nicht  anfechten  —  wer  wie  Sie 


Von  Clara  Schumann  3Sg 

allen  Menschen  als  Charakter  so  hoch  steht,  an  dem  kann 
ja  nichts  haften;  und  gedenken  Sie  z.  B.  Mendelssohns^), 
was  der  alles  über  sich  ergehen  lassen  mußte!  Kein  Mensch 
weiß  es  mehr,  und  überhaupt  heute  wird's  gelesen,  morgen 
ist  es  vergessen. 

Sind  Sie  nun  wirklich  ganz  fest  entschlossen,  Hannover 
zu  verlassen? 

Wie  Sie  den  Verlust  Ihres  Vaters,  so  hat  Johannes  jetzt 
den  seiner  Mutter  zu  tragen.  —  Er  schrieb  es  Ihnen  wohl, 
und  daß  er  jetzt  in  Hamburg  ist.  Vor  diesem  Schmerze 
hatte  er  sich  lange  gefürchtet,  und  für  die  arme  Elise  2) 
ist  der  Verlust  nun  gar  traurig!  Ich  habe  keinen  Begriff, 
wie  es  mit  ihr  werden  wird,  und  beschäftigt  mich  dies  viel. 

Ob  ich  am  25'^°  bei  Ihnen  spielen  kann,  ist  mir  heute 
noch  unmöglich  zu  bestimmen,  sobald  ich  es  aber  kann, 
schreibe  ich  Ihnen;  seit  gestern  erst  darf  ich  die  Hand  wie- 
der bewegen,  nach  fast  4  Wochen.  Anfang  nächster  Woche 
soll  ich  wieder  anfangen,  leise  zu  spielen  —  ich  fürchte  mich 
förmlich  davor,  wie  Sie  denken  können,  denn  bisher  war 
mir  immer,  als  könnte  ich  gar  nicht  wieder  spielen. 

Wollen  Sie  denn  den  Manfred  mit  Richard  Pohls  Bear- 
beitung geben?  Levi  hat  ihn  neulich  aufgeführt  und  nur 
theilweise  Pohl's  Bearbeitung  benutzt  und  doch  noch  drei 
Schauspieler  dazu  genommen.  Die  Aufführung  soll  herr- 
lich gewesen  sein!  Den  Schlußchor  hat  er  hinter  dem 
Saal  in  einem  Nebenzimmer  mit  Orgel  singen  lassen.  — 
Können  Sie  das  nicht  mit  einem  Harmonium  auch  so  ein- 
richten? — 

Für  heute  muß  ich  Ihnen  Adieu  sagen.  Bitte,  grüßen 
Sie  doch  die  Ihrigen  alle  herzlich,  wenn  Sie  nach  Pesth 
schreiben,   und  versichern  Sie  sie  meiner  warmen  Theil- 

*)  Eine  derartige  Klatscherei  über  M.  ist  jetzt  wieder  aufgewärmt  in 
R.  Wagner:  Mein  Leben  S.  278 ;  es  wäre  Pflicht  des  Herausgebers  gewesen, 
dazu  ein  Wort  zu  sagen. 

*)  Brahms'  Schwester. 


36o  An  Th.  Ave-Lallemant 

nähme.    Der  lieben  Ursi  schönste  Grüße,  wie  auch  Ihnen 
von  uns  Beiden. 

Getreu 

Ihre 

Gl.  Schumann. 

An  Th.  Ave-Lallemant 

[Hannover  i3.  Febr.  i865.] 

Lieber  Freund. 

Dank  für  Deinen  guten  Brief;  wir  kommen  reichhch 
so  gern,  als  Ihr  uns  aufnehmt,  obwohl  dies  nee  plus 
ultra  ist,  muß  ich  sagen. 

Du  stehst  Dir  aber  sehr  im  Licht,  daß  Du  des  alten  Bach 
Violin-Concert  nicht  magst.  Paßte  für  Sonntag  morgen 
auch  viel  besser  als  der  Teufelstriller.  Indeß:  „des  Men- 
schen Wille"  etc.  Nur  bitte  ich,  schreibe  zu  Tartini  („Auf 
Wunsch"),  sonst  schäme  ich  mich. 

Meine  Frau  will  auch  gerne  die  Passions-Arie  Dir  zu 
Gefallen  singen.  Habt  Ihr  Stimmen  dazu?  Als  ihre  2'^  Piece 
käme  dann  die  Titus-Arie  aus  A  dur.  Aus  F  moll  kennen 
wir  gar  keine.  Ist  wohl  ein  Versehen  von  Dir  damit?  Die 
Stimmen  kann  gewiß  das  Theater  schaffen.  Das  Programm 
der  Asten  kann  so  bleiben;  ist  ja  sehr  schön.  Probiren  aber 
müssen  wir  Samstag  früh  für  die  Philharmoniker,  denn  ich 
werde  wahrscheinlich  hier  Freitag  früh  noch  für  den  Man- 
fred arbeiten  müssen.  Über  Johannes  noch  zu  hören,  sehne 
ich  mich  sehr.  Ich  hatte  gehofft,  wir  würden  ein  Stück 
Wegs  zusammen  fahren,  leider  vergebens.  Daß  es  ein  Pracht- 
kerl ist,  wissen  wir  lange! 

Vom  Haus,  inclusive  Johannes  dem  Jüngern,  herzliche 
Grüße,  auch  warmen  Dank  von  unserm  lieben  Gast^)  für 

^)  Frl.  Julie  v.  Asten. 


Von  Ernst  Rudorff  36l 

Deine  Hülfe  zur  Soiree.    An  Stockhausen 's  alles  Schöne, 
und  nun  auf  Wiedersehen! 

Der  Deine 

Joseph  J. 

Von  Ernst  Rudorff 

Berlin  d.  25'^"  Februar  i865. 
Lieber  verehrter  Herr  Joachim!  — 

Sie  haben  zwar  in  letzter  Zeit  so  Manches  erlebt,  was 
Sie  im  Innersten  bewegt  haben  wird,  wahrhaft  Ernstes 
und  Schweres,  und  dann  auch  wieder  Lästiges,  Verdrieß- 
liches, das  Sie  von  ganz  anderer  Seite  her  erregt,  daß  es 
mir  fast  unpassend  scheint,  Ihnen  jetzt  zu  schreiben,  wo 
Ihnen  Kopf  und  Herz  so  besonders  eingenommen  ist  von 
wichtigeren  Dingen  —  Aber  es  ist  mir  doch  Bedürfniß, 
Ihnen  mit  einem  kurzen  Wort  meine  herzliche  Theilnahme 
auszusprechen,  an  der  Sie  wohl  nicht  zweifeln,  und  dann 
auch  Ihnen  noch  einen  Abschiedsgruß  zu  schicken,  ehe  Sie 
nach  England  gehen.  Sie  finden  das  wohl  etwas  kindlich, 
daß  Einem  eine  Reise  nach  England  wie  ein  so  besonderer 
Abschnitt  erscheint;  es  ist  aber  auch  nicht  das  allein.  Ich 
hatte  ja  gehofft  —  so  wie  meine  Pläne  um  Weihnachten  noch 
waren  —  gar  nicht  so  weit  aus  Ihrer  Nähe  verschlagen  zu 
werden,  sondern  von  Braunschweig  aus  noch  nach  Kräften 
häufig  mir  die  große  Freude  zu  machen,  Sie  zu  sehen  und 
Musik  bei  Ihnen  zu  hören.  —  Nun  ist  es  mir,  als  wäre  kein 
ehrlicher  vSchluß  an  dem  Stück,  und  ich  komme  deshalb 
noch  einmal,  Ihnen  für  Alles  Schöne,  Unvergeßliche  an 
musikalischen  Eindrücken  und  für  die  viele  Freundlichkeit 
zu  danken,  mit  der  Sie  mich  stets  bei  sich  aufgenommen 
haben.  Es  wird  Alles  wohl  im  Andenken  bewahrt,  die 
Eroica,  der  Wasserträger- Abend  ^),  der  mir  zum  ersten  Male 

^)  Auch  J.  stellte  die  Oper  sehr  hoch;  sein  kühles  Urteil  im  Sept.  i853 
(Bd.  I  S.  79)  war  nur  vorübergehend. 


362  Von  Ernst  Rudorff 

die  Freude  brachte  mit  Ihnen  zu  hören  und  so  herrliche 
Musik  gemeinschaftlich  zu  genießen,  dann  aber  freilich  vor 
Allem  die  letzten  Tage,  die  Beethovenfeier,  und  die  Quar- 
tette am  Sonntag  Morgen.  .  .  . 

Wie  es  mit  Ihnen  werden  wird,  ob  Sie  Hannover  wirk- 
lich ganz  verlassen  oder  doch  bleiben,  darüber  bin  ich  recht 
begierig,  etwas  zu  erfahren.  Könnten  Sie  nur  die  Capelle 
in  die  Tasche  stecken ,  daß  man  nur  an  einen  anderen 
Ort  zu  reisen  brauchte,  um  die  9'*'  Symphonie  unter 
Ihnen  zu  hören,  so  wäre  es  schon  gut;  aber  daß  Sie  das 
Orchester  nicht  behalten  sollen  und  es  Sie,  das  ist  sehr 
traurig ! 

Heute  spielt  ja  wohl  Frau  Schumann  bei  Ihnen,  und 
hoffentlich  wieder  mit  ganz  freier  Hand.  Sie  schrieb  auch 
neulich  davon  an  Jemand,  vielleicht  hier  zu  spielen,  und 
ich  will  ihr  ein  recht  dankbares,  ihrer  würdiges  Publikum 
wünschen ;  ob  der  Wunsch  aber  was  hilft,  das  ist  mir  noch 
nicht  ganz  sicher  bei  den  Berlinern.  —  Gesang  ist  doch 
etwas  so  viel  populäreres,  und  außerdem  war  es  schon  eine 
Art  Modesache  hier  geworden,  Stockhausen  zu  hören  — 
auch  schon  deshalb,  weil  seine  Concerte  so  besonders  theuer 
sind.  —  Es  ist  arg,  das  zu  sagen,  aber  doch  leider  wahr.  — 
Frau  Schumann  dagegen  ist  den  Leuten  nicht  neu  und 
prätensiös  genug,  so  bin  ich  also  nicht  ganz  ohne  Besorgniß 
für  die  Stärke  des  Besuchs.  Vielleicht  haben  Sie  gelegent- 
lich durch  sie  auch  erfahren,  wie  es  mit  Braunschweig  aus- 
einandergegangen ist,  und  so  spare  ich  mir  die  schriftlich 
besonders  langweilige  Auseinandersetzung.  —  Ich  bin  nun 
hier  ganz  zufrieden,  habe  weniger  Geselligkeit  als  ehedem 
und  arbeite  ziemlich  fleißig.  —  Die  F  moU  Fantasie  1)  von 
Schubert  ist  noch  nicht  ganz  fertig;  —  ich  hätte  sie  Ihnen 
so  gern  geschickt  zur  Beurtheilung,  aber  da  macht  England 
schon  einen  Querstrich.  Jetzt  ist  meine  Zeit  gründlich  in 
Anspruch  genommen  durch  ein  Concert,  das  Mitte  März 

*)  op.  io3,  zu  4  Händen,  wurde  von  R.  für  Orchester  arrangiert. 


Von  Ernst  Rudorff  363 

bevorsteht  —  Frau  Jachmann-Wagner  singt  für  den  Gustav- 
Adolf- Verein  den  ganzen  Orpheus  im  Concert,  den  soll  ich 
einstudiren  und  dirigiren,  und  das  macht  mir  neben  sehr 
großer  Freude  auch  sehr  viel  Noth.  Sie  glauben  nicht,  wie 
schwer  es  ist,  einen  improvisirten  Chor,  einen  Tag  zu  den 
Proben,  einen  Raum,  der  zufällig  an  diesem  Tage  frei  ist, 
eine  Stunde  herauszufinden,  die  das  Liebigsche  Orchester, 
und  dann  alle  die  übrigen  Leute  zu  den  Hauptproben  frei 
haben;  —  oder  vielmehr,  Sie  werden  es  mir  sehr  glauben, 
da  Sie  so  etwas  aus  Erfahrung  besser  kennen,  als  ich.  — 
Eben  ist  mir  eingefallen,  daß  Herr  Scholz  mir  vielleicht 
noch  Chorstimmen  vom  Theater  leihen  kann;  die  unseren 
reichen  nicht  aus,  und  ich  bin  sehr  zufrieden  über  den  Ein- 
fall, denn  Gustav- Adolf  ist  zu  geizig,  um  auch  noch  Geld 
für  Notencopirungen  auszugeben.  —  So  werde  ich  ihm  gleich 
noch  ein  paar  Zeilen  schreiben,  die  ich  nicht  hier  einlege, 
da  er  ja  leicht  in  Hannover  ohne  weitere  Adresse  zu  finden 
sein  wird. 

Und  nun  herzliches  Lebewohl  für  heute  Ihnen  und  Ihrer 
lieben  Frau  Gemahlin !  Es  thut  mir  leid,  daß  ich  den  kleinen 
Namenlosen  noch  nicht  grüßen  lassen  kann,  der  Gruß  würde 
ihm  aber  wenig  Spaß  machen!  — 

In  bekannter  aufrichtiger  Ergebenheit 

Ihr 

Ernst  RudorfP. 

Haben  Sie  wohl  das  neue  Sextett  von  Brahms  probirt?  — 
Frau  Schumann  gab  es  mir  ganz  kurze  Zeit,  und  ich  kam 
nur  dazu,  den  ersten  Satz  anzusehen,  der  schien  mir  aber 
sehr  eigenthümlich  und  geistvoll.  — 


364  ^o"^  Bernh.  Scholz 


Von  Bernh.  Scholz^) 

Hannover  -}  April  65. 

Lieber  Jo,   Dein  Brief  an  Pinelli  wird  wohl  schon  in 
dessen  Händen   sein;   ich  habe  ihn  gestern  expedirt. 
Was  hätte  ich  Dir  bis  jetzt  melden  sollen?  —  Unruhe, 
Sorgen,  Pläne,  Gedanken!    Jetzt  weiß  ich  doch  allerlei  zu 
schreiben ! 

i)  ist  mit  Ursis  Hülfe  auch  meine  Hannoversche  Soiree 
gut  abgelaufen;  ich  habe  entschieden  an  Zuversicht  ge- 
wonnen und  hoffe,  es  soll  immer  besser  werden 

2)  habe  ich  gekündigt  und  denke  ziemlich  sicher  näch- 
sten Winter  in  Florenz  oder  Rom  zu  sein 

3)  bin  ich  bei  Schorse  gewesen  und  habe  einen  langen 
Zwiesprach  mit  ihm  gehabt.  Er  hat  alle  meine  Gründe 
zum  Weggehen  eingesehen,  die  Heiden wirthschaft  mit 
Platen  beklagt:  er  könne  ihn  wohl  los  werden,  wenn  er 
nur  wüßte,  wen  er  an  dessen  Stelle  setzen  sollte.  Schorse 
ist  übrigens  fest  der  Meinung  gewesen,  nach  beigelegter 
Grün'scher  Sache  müßtest  Du  wieder  kommen.  Du  habest 
ihm  beim  Weggehen  noch  gesagt,  wenn  die  Sache  auf  eine 
für  Grün  ehrenvolle  Weise  geordnet  werden  könne,  so 
würdest  Du  bleiben.  Ich  bemerkte  ihm,  das  hätte  geschehen 
müssen,  so  lange  Du  hier  gewesen  seist;  es  sei  etwas  spät 
geordnet  worden,  worauf  er:  daß  er  krank  gewesen  sei; 
allerdings  sei  die  Sache  Anfangs  durch  Platen's  Schuld 
verschleppt  worden.  Du  kennst  meine  Ansicht  über  die 
Schuldhaftigkeit  und  folglich  -Haftbarkeit  beider  hoher 
Herren;  allein  in  einem  Punkte  hast  Du  auch  jetzt  un- 
recht. Du  schiebst  Deine  Differenz  mit  dem  König  auf  ein 
anderes  Feld,  als  hier.    Du  hast  hier  gegen  mich,  gegen 

^)  J.  war  Ende  Februar  nach  Paris  und  England  gereist,  wohin  Frau 
und  Kind  nachkamen,  um  den  Frühling  und  Sommer  in  London  und 
dem  Seebad  Whitby  zu  verbringen. 


Von  Beruh.  Scholz  365 

Freunde  und  gegen  den  König  geäußert,  daß  Du  die  Sache 
als  Misbrauch  Deines  Wortes  auffassest,  und  hast  positiv 
ausgesprochen,  daß  wenn  Grün  sich  zufrieden  gebe.  Du 
die  Kündigung  zurück  nehmen  würdest. 

Du  weißt,  ich  urtheile  ziemlich  streng,  aber  ich  finde, 
Grün  hat  alle  Ursache  zufrieden  zu  sein :  Es  ist  ihm  Alles, 
ja  mehr  erfüllt,  als  Du  ihm  damals  geboten.  Er  ist  wie 
Kömpel  Kanniiervirtuos,  hat  dessen  Gehalt,  lebensläng- 
liche Anstellung^)  mit  Pensionsberechtigung  (das 
ist  der  Punct,  um  den  sich  Alles  gedreht  hat),  und  der  König 
hat  ihm,  wie  mir,  erklärt,  daß  er  sich,  wenn  auch  nicht 
juristisch  (da  Dein  Brief  an  Grün  nur  sehr  vage  Ver- 
sprechungen enth alten  hatte),  doch  ni  o r  a  1  i s  c  h  als  Christ  für 
verpflichtet  halte,  das  schreiende  Unrecht,  das  gegen 
Grün  verübt  sei  (sie!),  wieder  gut  zu  machen.  Das  ist  Alles, 
was  man  von  einem  König  verlangen  kann,  das  Hinterthür- 
chen,  daß  der  Titel  Kammermusicus  umgangen  ist,  kann  man 
ihm  wohl  gönnen,  denn  an  dem  Worte  liegt  jetzt  nichts  mehr ; 
die  Sache  ist  in  einer  höchst  respectablen  Weise  für  Grün 
geschlichtet.  Was  Du  sagen  kannst,  ist:  „Zu  spät!"  Aber 
das  ist  auch  Alles,  freilich  genügend.  Du  bist  Dir's  und 
der  Sache  aber  schuldig,  consequent  und  correct  zu  bleiben, 
nicht  nachträglich  den  Standpunkt  zu  verändern.  Das  ist 
meine  Meinung.  Eines  kannst  Du  auch  noch  anführen: 
daß  Dir  wider  die  Ehre  dünke,  ferner  unter  einem  Chef 
zu  dienen,  der  so  deutlich  gezeigt  habe,  daß  er  Dich  los 
sein  wolle.  Nur  an  der  Art,  wie  die  Sache  geordnet  ist, 
gibts  für  Dich  nichts  zu  mäkeln.  So  scheint  es  mir  wenig- 
stens, und  ich  bitte  Dich,  laß  Dich  nicht  durch  W^unsch 
oder  Abneigung  in  der  rechtlichen  oder  richtigen  Behand- 
lung der  Sache  irre  leiten.  .  .  . 

Kommst  Du  vielleicht  zum  Musikfest  nach  Mainz?    Wir 

*)  Ist  nicht  ganz  genau;  es  wurde  Grün  nur  zugesichert,  daß  man  vom 
Recht  der  Kündigung  keinen  Gebrauch  machen  würde,  so  wenigstens 
bei  Fischer,  S.  270. 


366  An  Frau  Scholz 


könnten  Dich  dort  sammt  Frau  u.  Kind  beherbergen.  Das 
Fest  ist  im  Juli;  Du  müßtest  Dich  nur  bald  bei  uns  an- 
melden. 

Du  kannst  Dir  denken,  wie  ich  erst  mit  mir  gerungen 
habe,  ehe  ich  hier  kündigte.  Erst  wie  mir 's  förmlich 
schlecht,  übel  dabei  zu  Muthe  wurde,  habe  ich  den  Salto 
mortale  gewagt,  unterstützt  durch  Zuspruch  der  lieben 
„Herrn  Eltern". 

„Ich  hab  mein  Sach  auf  nichts  gestellt,  Juchhe" 
Seitdem  ist  mir's  ordentlich  leicht  ums  Herz. 
Herzlichen  Gruß 


Dein 

Scholz 


An  Luise  Scholz 

[London,  i.  Hälfte  Juni  i865.] 

Liebe  Louise. 

Es  wäre  ein  schlimmes  Omen,  wenn  der  erste  28'^  Juni  ^) 
ohne  Gruß  vorüberginge,  nachdem  uns  das  Schicksal 
so  weit  äußerlich  auseinander  zu  reißen  droht.  Drum 
schreibt  denn  der  schreib-  und  sonst  faule  Jo  diese  Zeilen, 
Dich  durch  herzlichste  Wünsche  zu  erinnern,  daß  er  auf 
der  Welt,  also  auch  geboren  ist!  Wie  geht's  Euch  nur, 
und  was  habt  Ihr  vor,  in  freundlichem  Sinn?  Wohl  vor- 
erst das  Musikfest,  und  ich  wollte,  ich  könnte  die  Ohren 
voll  Gesang  und  den  Mund  voll  Mainzer  Bier  mit  Euch 
füllen.  Der  Ursi  Befinden  verbiethet  aber  leider  derlei,  und 
wir  gehen  vorerst  in  guten  8  Tagen  an  die  See.  .  . .  Nach 
Hannover  habe  ich  an  Prinzen  Georg  u.  Lex  geschrieben, 
daß  ich  nie  verhehlt  hätte,  wie  zwei  Gründe  mich  fortge- 
trieben, einmal  die  unerfüllten  Bedingungen,  u.  dann  die 
Unmöglichkeit,  als  getaufter  Israelit  einem  Institut  vorzu- 

^)  Frau  Scholz's  und  zugleich  Joachims  Geburtstag. 


An  Clara  Schumann  867 

stehen,  in  dem  meine  Stammesgenossen  eine  demüthigende 
Stellung  hätten.  Darauf  läßt  sich  höchstens  erwidern,  daß 
dies  Geschmacksache  sei,  aber  mein  Geschmack  ist  nun 
einmal  so  geartet.  Ist  wohl  Pinelli  am  Rhein?  Bitte  den 
Bär,  an  den  ja  die  Zeilen  ebenso  wie  an  Dich  gerichtet 
sind,  mir  darauf  zu  antworten.  Ich  habe  jetzt  mehr  Zeit, 
und  schriebe  gern  dem  lieben  Gesellen  ein  Wort  des  Trostes 
für  das  Aufgeben  seiner  Studien  bei  mir.  Mir  ist's  zu 
Muth  wie  jenem  Sultan  (oder  Barbier?)  der  einen  Augen- 
blick seinen  Kopf  in's  Wasser  getaucht  zu  haben  glaubte 
und  beim  Aufschauen  merkte,  wie  viel  Jahre  währenddeß 
verstrichen  sein  mußten.  Wie  viel  hat  sich  verändert,  wäh- 
rend ich  im  Strudel  der  Saison  verschwunden  war! 

Lasset,  liebe  Louise  und  lieber  B,  uns  nicht  den  alten 
Standpunkt  verlieren,  und  an  unveränderter  Theilnahme 
von  Haus  zu  Haus  festhalten! 

Euer 

Joseph  Joachim. 

An  Clara  Schumann 

Whitby  [Anf.  JuH  i865] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Wir  sind  seit  einer  Woche  hier  an  der  See,  und  die 
kühlere,  reinere  Luft  thut  meiner  Frau  wohl.  Auch 
der  Junge  gedeiht,  und  mir  gefällt  es  hier.  Die  alte  Stadt 
Whitby  liegt  an  den  beiden  Ufern  eines  in's  Meer  laufen- 
den Flüßchens  (Esk),  dessen  Mündung  einen  von  2  mäch- 
tigen Steinstämmen  eingeschlossenen  Hafen  bildet;  der  neue 
Theil  der  Stadt  ist  auf  den  etwa  200  Fuß  hohen  Dünen 
gebaut,  und  da  wohnen  wir.  Man  kann  sehr  hübsche  Aus- 
flüge auch  in's  Innere  machen,  wo  es  schattige  Hügel  und 
Bäche  nach  Art  deutscher  Landschaften  giebt.  So  denke 
ich,  werden  wir  es  6  bis  8  Wochen  hier  behaglich  finden, 
und  dann  ist  gewiß   meine  Frau   kräftig  genug,  um  den 


368  An  Bernh.  Cracroft 

Abstecher  nach  Baden  und  Hannover  zu  machen.  In  Lon- 
don war's  noch  recht  unerquickhch  heiß,  nachdem  Sie  uns 
verlassen;  doch  wünschte  ich  Sie  zum  Händel-Fest  herbei! 
Es  klang  im  Ganzen  überwältigend,  wenn  man  auch  über 
manches  Costa'sche  in  der  Temponahme  und  Instrumen- 
tation ärgerlich  werden  konnte.  Eine  große  Freude  berei- 
tete ich  mir  noch  am  letzten  Tag  meines  Londoner  Aufent- 
halts durch  das  Sextett  von  Brahms  in  G.  Ich  hatte  mich 
eigentlich  ein  bischen  davor  gefürchtet,  denn  das  erste  Sex- 
tett war  mir  als  besonderer  Liebling  im  Sinn,  und  wenn 
ich  das  neue  darnach  maaß,  mußte  ich  mir  gestehen,  daß 
die  Gedanken  an  Kraft  nachstehen.  Nun  klingt  aber  doch 
der  erste  Satz  so  anmuthig,  das  Scherzo  oft  so  originell 
und  das  Adagio  enthält  so  viel  harmonisch  Tiefes,  daß  ich 
das  Ganze  lieb  gewann  und  nur  wünschte,  der  letzte  Satz 
wäre  dabei  gewesen.  Ist  Johannes  noch  bei  Ihnen?  Bleibt 
er  bis  September?  Ich  hoffe  es  von  Herzen,  denn  ich  habe 
ihn  lange  entbehren  müssen.  Wenn  ich  weiß,  daß  er  in 
Baden  ist,  so  schreibe  ich  ihm ;  es  ist  mir  aber  unbehaglich, 
in's  Ungewisse  hinein  zu  schreiben.  Lassen  Sie  uns  bald 
von  Sich  und  den  Ihrigen  hören,  liebe  Frau  Schumann ! . .  . 
Mit  den  herzlichsten  Grüßen  und  freundschaftlichen 
Dank  für  die  lieben  Geburtstags-Zeilen 

Ihr         Joseph  Joachim. 

An  Bernh.  Cracroft^) 

Whitby  23.  JuU  [i865] 
Mein  lieber  Cracroft 

Seitdem  Sie  die  große  Güte  hatten,  mir  den  sehr  inte- 
ressanten „Speech"  von  Herrn  Göschen  über  die  Uni- 
versität-Bill 2)  zu  schicken,  habe  ich  nichts  von  Ihnen  gehört. 

*)  Politiker,  lan{jjahri{(er  Freund  J's. 

'^)  in  der   Parlamentssitzung  vom  30.  Juni   über  die  Gründung  kon- 
fessioneller (katholischer)  Universitäten  für  Irland. 


An  Beruh.  Cracroft  369 

Leider  war  ich  neben  meinen  Beschäftigungen  in  London 
auch  durch  das  fortgesetzte  Unwohlsein  meiner  Frau  so  in 
Anspruch  genommen,  daß  ich  mich  um  meine  Freunde  gar 
nicht  umsehen  konnte,  und  ich  bin,  fast  wie  ein  Schuldiger, 
heimlich  aus  London  weg  geeilt.  Seit  i4  Tagen  nun  bin 
ich  hier  in  Whitby  und  habe  die  Freude,  daß  sich  meine 
Frau  sehr  erholt.  Die  Luft  ist  überaus  rein  und  stärkend 
und  hat  auch  bei  mir  die  wirklich  große  Ermüdung  von 
der  Saison  weggeweht,  so  daß  ich  wieder  sehr  musiklustig 
bin  und  Ihnen  alle  möglichen  Concerte  und  Quartette  vor- 
spielen möchte,  wäre  es  nur  nicht  gar  so  weit  nach  Upper 
Davies  Street. 

Sie  stecken  wohl  ganz  in  Politics  und  werden  den  be- 
deutenden Sieg  der  Liberais  in  vollen  Zügen  genießen.  Ich 
vergesse  immer,  ob  Sie  ein  Cambridge  oder  ein  Oxfbrdman 
sind.  Als  letzterer  würde  Ihnen  das  Aufgeben  Gladstones^) 
für's  Parlament  gewiß  nahe  gehen;  aber  ich  muß  sagen, 
daß  es  mir  ein  beruhigender  Gedanke  ist,  den  Genius  Glad- 
stones  ungefesselt  arbeitend  zu  denken.  Und  das  J^and  wird 
auch  mit  Scham  inne  werden,  wie  weit  Intoleranz  selbst 
die  Gebildetsten  führen  kann !  —  Lassen  Sie  mich  doch  bald 
in  einigen  Worten  hören,  wie  und  wo  Sie  leben;  nament- 
lich, ob  ich  etwa  Aussicht  habe,  Sie  Mitte  August  in  Lon- 
don zu  treffen.  Ich  werde  um  diese  Zeit  mit  Frau  und  Kind 
durch  London  kommen  und  ein  paar  Tage  dort  bleiben, 
bevor  ich  nach  Frankreich  und  Deutschland  reise.  Wie 
würde  ich  mich  freuen,  Sie  vor  der  Abreise  zu  sehen;  denn 
vor  Februar  1866  käme  ich  nicht  nach  London  zurück. 
Meine  Frau  studirt  fleißig  in  Ihrem  Buch  und  grüßt  freund- 
lichst.   Stets  Ihr  herzlich  ergebener 


Josepl 


*)  Bei   den   Neuwahlen   zum   Parlament  im  Juli   war  Gl.,  der  bishe 
Oxford  vertreten  hatte,  unterlegen. 


34 


370  An  Clara  Schumann 


An  Julius  O.  Grimm 

[Hannover]  Sonntag.  [34'  Sept.  i865] 
Liebster  Ise. 

Wir  harren  Deiner,  oder  darf  ich  sagen  Eurer?  mit 
wahrer  Freude.  Könnten  wir  Dich  nur  auch  beher- 
bergen! Das  geht  aber  leider  nicht,  weil  wir  schon  eine 
englische  Freundin  (Lady  Anabella  Noel,  eine  Enkelin  By- 
rons, die  Dir  sehr,  ja  katzenhaft,  gefallen  wird)  mit  Zofe 
in  unserem  kleinen  Logis  untergebracht  haben.  Du  bist 
mir  mit  Deinem  Brief  zuvorgekommen,  ich  wollte  mich 
nach  Deiner  Gesundheit  erkündigen;  Dein  Kommen  ist  die 
schönste  Antwort.  Lasse  nicht  lange  warten.  Gestern  hörte 
ich  eine  Rede  in  der  Naturforscher- Versammlung,  der  Mann, 
der  sprach,  rutschte  so  merkwürdig  auf  dem  Katheder 
herum  und  schrieb  mit  der  rechten  Hand  so  viel  Imagi- 
naires  in  der  Luft,  daß  ich  ohne  zu  fragen.  Deine  drastische 
Beschreibung  Mädlers^)  erkannte;  ich  mußte  sehr  lachen. 
Grüße  sämtliche  Ritmüllers  von 

Deinem 

Joseph  J. 
Apropos,  Sonnabend   gehen   wir  nach  Hamburg,   zum 
Elias  und  zur  Missa  solemnis;  meine  Frau  singt. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  11.  Oktober  i865] 

.  .  .  Von  der  Hamburger  Zeit  wird  Ihnen  Lady  Anabella 
erzählt  haben;  es  war  doch  ein  Genuß,  die  große  Messe 
ganz  an  sich  vorüberziehen  zu  lassen,  mag  auch  die  Auf- 
führung   manchmal    zu    wünschen    gegeben    haben.    Die 

^)  J.  H.  Mädler,  Prof.  der  Astronomie  in  Dorpat,  der  in  der  ersten  Ge- 
samtsitzung  der  Naturforscher- Versammlung  über  Kalenderreform  sprach. 


An  Clara  Schumann  3'ji 

Orgel  und  der  trefflich  klingende  Chor  vermischten  sich 
herrlich  in  der  schönen  Kirche. 

Der  Elias  gieng  natürlich  viel  glatter;  man  konnte  es  eine 
gute  Aufführung  nennen.  Stockhausen  war  in  allen  erregten, 
in  die  Handlung  eingreifenden  Stellen  wahrhaft  grandios 
mit  seiner  accentreichen  Deklamation.  Wären  die  Gebete 
inniger,  ruhiger  getragen  gewesen,  man  könnte  seinen  Elias 
vollendet  nennen.  Die  letzte  Seite  fehlte  für  mich,  obwohl 
natürlich  auch  in  den  sanften  Stücken  vieles  war,  wie's 
kein  anderer  singen  kann.  Meine  Frau  war  gut  bei  Stimme, 
und  ich  wollte,  Sie  hätten  mit  zugehört.  Sie  grüßt  herz- 
lich, und  ich  bin  immer 

getreulich  Ihr 

Joseph  J. 

An  Clara  Schumann 

Montag  [Cöln  d.  i6.  Okt.  i865]. 
Liebe  Frau  Schumann 

Hier  sind  die  Programme,  an  denen  kaum  etwas  ge- 
ändert ist.  Die  Frankfurter  können  mir  mit  ihren 
Umständen  gestohlen  werden! 

400  Gulden,  und  dann  erst  noch  an  den  Diener  12  Kr. 
per  Billetü 

Ich  finde  namentlich  letzteres  empörend!  Preßt  denn 
der  Kerl  durch  seine  Überredung  Leute  in's  Concert?  Um 
Gottes  Willen,  liebe  Frau  Schumann,  lassen  Sie  uns  daran 
festhalten,  keine  Listen  nirgends  herum  zu  schicken '). 
Der  Gedanke  daran,  daß  man  aus  Rücksicht  für  uns  von 
Seiten  reicher  Bekannten  statt  2  Billeten  4  etc.  etc.  nehmen 
möchte,  macht  mich  brühwarm  und  kalt  zugleich.    Lassen 

^)  Gegen  den  Unfug,  Listen  zum  Einzeichnen  herumzuschicken,  hat 
J.  oft,  namenthch  auch  in  Hamburg,  gewettert,  leider  aber  meist  ohne 
Erfolg. 

24* 


872  An  Clara  Schumann 

Sie  uns  im  Gegentheil  in  die  Concert- Ankündigungen  setzen: 
es  wei'den  keine  Listen  in  Umlauf  gesetzt,  damit  die  Leute 
nicht  darauf  warten.  Wenn  wir  uns  in  allen  Dingen  den 
Konvenienzen  fügen  müßten  wie  gewöhnliche  Concert- 
Reisende,  so  wäre  das  schlimm ;  dann  müßten  wir  schließ- 
lich auch  andere  Programme  machen.  Ich  hoffe  entschieden 
auf  Ihre  Zustimmung,  die  Listen  betreffend.  .  .  . 

An  Clara  Schumann 

[Hannover  3o.  Decbr.  i865.] 
Liebe  Frau  Schumann. 

Sie  werden  Sich  mit  Recht  gewundert  haben,  daß  Sie 
von  Holland  aus  nichts  von  mir  gehört  haben,  weil  Sie 
eben  nicht  wissen  konnten,  wie  sehr  ich  dort  angestrengt 
war:  ich  habe  nicht  weniger  als  i3  Mal  in  der  kurzen 
Zeit  dort  öffentlich  gespielt.  Rechnen  Sie  nun  Reisen  und 
Proben  und  Correspondenz  und  Saiten-Aufziehen  dazu,  so 
verdiene  ich  ein  wenig  Ihre  Nachsicht  und  bin  also  kein 
treuloser  Freund,  liebe  Freundin!  Ich  war  nebenbei  so 
heillos  erkältet,  daß  ich  schnurstraks  nach  Hause  reisen 
wollte,  und  nur  der  Umstand,  daß  gerade  drei  Gefälligkeits- 
Concerte  in  die  Zeit  fielen,  veranlaßte  mich  auszuharren, 
worüber  ich  nach  gethaner  Arbeit  froh  bin.  Ich  habe  aber 
nun,  da  ich  noch  etwas  an  den  Folgen  leide  (Rheumatis- 
mus), meine  Bieslauer  Fahrt  aufgegeben;  die  Ruhewoche 
war  mir  dringend  nöthig!  Nach  Elberfeld  werde  ich  aber 
versprochenermaßen  kommen,  und  da  hoffe  ich  Sie  dann 
am  8"""  Morgens  aufzusuchen.  Ich  spiele  in  Elberfeld  am 
6'*"  mit  Orchester  und  am  7"^"  öffentliches  Quartett.  Sehr 
freue  ich  mich  darauf,  die  schöne  neue  Reisetasche  umzu- 
schnallen, die  wirklich  einem  „lang  gefühlten  Bedürfniß" 
abhilft.  Wer  verräth  Ihnen  nur  immer  die  Wunschzettel 
aller  Freunde? 


An  Clara  Schumann  878 

[Von  Amalie  Joachims  Hand :] 

Liebste  Frau  Schumann!  Jo  muß  eben  fort  in's  Concert, 
freihch  nur  als  Zuhörer  —  und  ich  benütze  den  freien 
Raum,  um  Ihnen  meinen  herzlichsten  Dank  für  Ihr  schönes 
Geschenk  zu  sagen.  Sie  sind  mir  natürlich  wieder  zuvor 
gekommen  —  und  schrieben  mir  zuerst  Worte  des  Dankes, 
welche  ich  wahrlich  nicht  verdiene.  Es  machte  mir  so  viel 
Freude,  eine  Kleinigkeit  für  Sie  arbeiten  zu  können!  Das 
Fest  war  bei  uns  —  obwohl  wir  von  allen  Freunden  fern  — 
doch  recht  hübsch;  hatte  ich  doch  Jo,  u.  Putzi  war  auch 
recht  lieb.  Leider  geht  die  schöne  Zeit  so  rasch  hin  —  und 
die  ernste  steht  vor  der  Thür!  Gott  weiß,  was  das  neue 
Jahr  bringt!  Für  uns  wohl  viel  Veränderung.  Daß  Jo  u. 
ich  Ihnen  ein  recht  glückliches  wünschen,  können  Sie  wohl 
denken.  Hoffentlich  findet  sich  in  demselben  wieder  eine 
Zeit,  wo  wir  Ihnen  nahe  sein  werden!  — 

.  .  .  Jo  sagte  mir  eben  —  er  hätte  Ihnen  von  Bargiel  u. 
Brahms  zu  erzählen.  —  Daß  Brahms  wieder  nicht  kam, 
that  mir  besonders  leid.  Ich  bin  fest  überzeugt,  er  kam 
meinetwegen  nicht;  nicht  daß  ich  ihm  im  Wege  stehe,  so 
eitel  bin  ich  nicht,  dies  zu  glauben  —  sondern  er  meint  — 
er  nähme  mir  etwas  vom  Jo  weg  —  u.  ich  ihm  leid  thäte. 
Wenn  Brahms  wüßte,  wie  geine  ich  Jo  seinen  Freunden 
gönne  —  und  wie  lieb  es  mir  ist,  wenn  er  Ihnen  u.  Ihren 
gemeinsamen  Freunden  nahe  bleibt  —  u.  Sie  oft  sieht! 
Jo  thut  mir  so  leid,  wenn  er  hier  vergraben  ist  im  lang- 
weiligen Hannover,  an  der  Seite  einer  ungeschickten  Haus- 
frau, welche  ihm  nur  zu  oft  zeigt,  wie  unpraktisch  u.  schlecht 
sie  eine  Häuslichkeit  zu  verwalten  versteht  und  auf  and'rer 
Seite  ihm  als  Künstlerin  doch  nicht  genügen  —  viel  weniger 
also  anregen  u.  erheben  kann!  Daß  ich  wirklich  dankbar 
bin,  wenn  Sie  u.  seine  alten,  ächten  Freunde  ihm  immer 
nahe  bleiben,  u.  mich  als  gar  nicht  vorhanden  betrachten 
—  mögen  Sie  glauben,  liebste  Frau  Schumann!  Und  es 
wäre   hübsch   u.  lieb  gewesen,   wenn  Brahms   sein  Ver- 


374  An  Clara  Schumann 

sprechen  gehalten  hätte,  und  ich  hätte  ihm,  für  jede 
Stunde,  in  der  er  mir  meinen  Jo  genommen  hätte,  noch 
Dank  gesagt!  — 

Jo^)  geht  heute  zum  ersten  Male  in's  Abonnements- 
Concert.  Die  Athalia  u.  eine  Haydn'sche  Sinfonie  wird 
gemacht  —  auch  —  denken  Sie,  liebste  Frau  Schumann, 
wer  mich  eben  beim  Schreiben  unterbricht !  ?  Brahms  kam 
eben!  Ist  das  nicht  köstlich!  Ich  freue  mich  sehr  —  ob- 
wohl er  morgen  schon  fort  will !  Nun  Adieu  —  u.  behalten 
Sie  auch  im  neuen  Jahr  ein  wenig  lieb 

Ihre  treu  ergebne 

Ursi. 


An  Clara  Schumann 

Hannover  den  27.  Jan.  [1866] 

Liebe,  verehrte  Frau  Schumann! 

Sie  werden  vielleicht  schon  Kunde  von  dem  erfreulichen 
Erscheinen  eines  zweiten  Knäbleins^)  haben;  aber  je- 
denfalls will  ich  selbst  ein  paar  Worte  schreiben  und  hin- 
zufügen, daß  es  auch  Ursi  wieder  gut  geht,  nachdem  sie 
mir  gestern  Abend  recht  Sorge  gemacht  hatte.  Sie  fieng 
nämlich  gegen  Abend  heftig  zu  phantasiren  an  und  äng- 
stigte sich  im  Fieber,  ob  auch  Ihrem  Klavier  auf  dem  Trans- 
port durch  die  Pusta  nichts  geschehen  wäre  etc.  etc.  Ich 
lief  gleich  zum  Arzte,  der  mich  aber  beruhigte,  und  heute 
ist  sie  Gottlob  viel  wohler.  Sie  hat  mehr  als  das  erste  Mal 
gelitten,  die  Ärmste.  Der  kleine  Junge  ist  aber  recht  kräftig, 
und  mir  däucht,  sogar  hübscher  als  das  Brüderchen.  Ich 
habe  meine  Freude  über  die  glückliche  Geburt  gleich  am 
Tag  darauf,   26'*"  Abends  in  der  Marktkirche  recht  aus- 

^)  der  damals  ohne  Anstellung  war. 
^)  geb.  24.  Januar. 


An  seinen  Bruder  Heinrich  in  London       SyS 

musiciren  können,  und  Brahms  war  dabei,  und  so  herzlich 
und  theihiehmend,  wie  er's  selten  zeigt,  (nicht  ist,  meine 
ich).  Ich  spielte  mit  Orgel  die  Beethoven'sche  Cavatina 
aus  Op.  i3o,  das  Abendlied,  das  Adagio  aus  dem  Bach'- 
schen  Violin-Concert  und  den  ersten  Satz  aus  der  E  dur 
Sonate  (Klv.  und  Viol.)  von  Bach.  Es  soll  in  der  Kirche 
prächtig  klingen;  man  müßte  eigentlich  mehr  für  Orgel 
u.  Geige  haben,  u.  hoffe  ich,  Johannes  hat  sich  dazu  an- 
regen lassen,  dafür  zu  schreiben.  Außerdem  sang  der  Kir- 
chenchor herrliche  alte  Sachen  von  Mich'  Bach,  Hasler, 
Praetorius  etc.  etc.  .  .  . 


Von  Herzen  ergeben 


Ihr 

Joseph  J. 


An  seinen  Bruder  Heinrich  in  London 

[Hannover  etwa  i5.  Apr.  1866] 
Lieber  Heinrich 

Schon  längst  hätte  ich  wieder  schreiben  sollen;  leider 
findet  man  immer  leichter  Ausreden,  nicht  am  Schreib- 
tisch zu  sitzen!  .  .  .  Die  beiden  Buben  sind  sehr  wohlauf. 
Der  Jüngere  ist  vorigen  Samstag  getauft  worden  und  heißt 
Giselher  Bernhard  Herman,  nach  Scholz  und  Grimms  in 
Berlin.  .  .  .  Ich  war  schon  zweimal  des  Abends  bei  Hof,  um 
dort  zu  spielen.  Der  König  thut  so,  als  ob  alles  schon  beim 
Alten  wäre,  und  mir  ist  das  peinlich,  denn  ich  bin  weit 
von  entschlossen,  hier  zu  bleiben!  —  Neulich  habe  ich  in 
Bückeburg  (eine  Stunde  mit  Eisenbahn)  mit  Orchester  bei 
Hof  gespielt  (wo  der  Fürst  sehr  liebenswürdig  die  Honneurs 
machte)  und  auch  hier  diese  Woche  mit  dem  Klavierspieler 
Tausig  ein  Concert  zusammen  gegeben,  so  daß  ich  4o  Louis- 
d'or  reicher  bin.    (Dabei  fällt  mir  ein,  daß  ich  noch  immer 


376  An  Theod.  A ve-Lallemant 

das  Affidavit  wegen  der  Egyptians  nicht  überschickt  habe. 
Da  ist  es!)  Tausig  hatte  hier  ein  leeres  Concert  allein  ge- 
geben, in  dem  ich  ihn  hörte.  Ich  war  so  frappirt  und  ent- 
zückt von  seinem  wunderbaren  Spiel,  daß  ich  ihn  bat,  hier 
noch  ein  Concert  zu  geben,  und  meine  Mitwirkung  zur 
Disposition  stellte.  Er  ist  aber  so  stolz,  daß  er  das  nur 
unter  der  Bedingung  annahm,  daß  wir  das  Concert  zu- 
sammen gäben.  Er  hat  ein  Recht,  stolz  im  guten  Sinn  zu 
sein  —  er  ist  jedenfalls  der  größte  Klavierspieler,  der  jetzt 
öffentlich  spielt.  Eine  Fülle  und  ein  Reiz  des  Anschlags, 
eine  Vielseitigkeit  des  Programms,  eine  Abwesenheit  aller 
Charlatanerie  —  kurz  eine  fast  unheimliche  Vollendung 
für  einen  24jährigen  Menschen,  Ich  bin  noch  ganz  „paff" ! 
Davison  wird  die  Augen  aufreißen  und  froh  sein,  daß  ein 
Mann  nach  London  kömmt  (denn  dahin  reist  er  jetzt),  der 
Halle  und  Pauer  etwas  zeigt.  Ihr  müßt  Tausig  hören! 
[abgebrochen]. 


An  Theod.  Ave-Lallemant 

[Hannover    April  1866.] 

Lieber  Ave. 

Es  freut  mich,  daß  Du  so  enthusiastisch  vom  Klavierspiel 
Tausigs  anfängst;  auch  ich,  der  ich  ja  kein  Klavierist 
bin,  war  ganz  erstaunt  über  dies  freie  Schalten  mit  allen 
Mitteln  des  Instrumentes!  Und  was  für  Musiker  ist  der 
junge  Mann!  Dabei  finde  ich,  daß  Tausig  nach  einer  so 
bewegten  Wechsel  vollen  Jugend  sich  einen  großen  Fond 
von  Unverdorbenheit  und  Bescheidenheit  bewahrt  hat,  der 
mich  auf  seine  Zukunft  gespannt  macht.  Ich  spiele  heute 
in  Göttingen  mit  ihm;  fahre  um  la^g  h^"  ^^'^^  Nachts  zu- 
rück. Auf  längere  Zeit  trenne  ich  mich  jetzt  zu  ungern 
von  Haus,  sonst  wäre  ich  vielleicht  zu  Euch  hinüber  ge- 


An  Theod.  Ave-Lallemant  877 

kommen.  Auch  das  Musikfest  muß  ich  aufjgeben;  denn  ich 
kann  Euch  nicht  so  lang  in  der  Ungewißheit  lassen.  Es 
geht  ja,  Gott  sei  Lob,  meiner  Frau  anhaltend  besser;  aber 
gerade  darum  ist  wahrscheinlich,  daß  sie  Mitte  oder  Ende 
nächsten  Monats  in's  Bad  wird  reisen  können,  und  aus 
irgend  welchen  Rücksichten  dann  gehemmt  zu  sein,  vor 
allen  andern  Dingen  für  ihre  Gesundheit  zu  sorgen,  wäre 
mir  schmerzlich.  Ich  sage  also  lieber  mit  Eins  (das  ist  ja 
eine  Hamburger  Redensart,  die  mir  da  in  die  Feder  kam !) 
ab  und  überlasse  es  dem  Zufall,  ob  ich  vielleicht  als  Hörer 
mich  einstellen  kann,  denn  schön  wird  es  gewiß  bei  Eurem 
Musikfest.  Mir  fällt  immer  bei  dem  Namen  Lind  der  ganze 
Duft  der  Mendelssohn-Schumann'schen  Blüthezeit  in  Leip- 
zig ein,  s'ist  doch  eine  prächtige  Frau;  mag  einen  auch 
manchmal  ein  Hauch  nordischer  Kälte  in  ihrem  Wesen 
irren,  lange  dauert's  nicht!  —  Deine  Bestrebungen  für  die 
Hamburger  Musiker  haben  natürlich  meine  volle  Sympa- 
thie. Wenn  X^)  mir  einmal  die  Summe  zurückgeben  sollte, 
so  stehet  sie  Dir  zur  Disposition;  aber  mahnen  kann  ich 
den  alten  Knauser  nicht  mehr.  Ich  habe  ja  nur  insofern 
ein  Recht  auf  die  Summe,  als  er  ''  '')st  die  Schulden  an- 
erkennen will;  thut  er's  thatsächlich  dennoch  nicht,  so  muß 
ich  schweigen.  Wer  weiß,  ob's  ihm  selbst  gut  geht!  Ich 
wollte,  ich  wäre  ein  reicher  Mann,  dann  schickte  ich  Dir 
auch  ohne  X  was  mit;  so  muß  ich  aber  an  meine  zwei 
kleinen  Kerle  denken,  denen's  übrigens  prächtig  geht.  Mit 
herzlichen  Grüßen  von  Frau  und  mir  an  Dich  und  die 
Deinen 

J.  J. 


^)  Vater  eines  jungen  Musikers,  dessen  Schulden  J.  bezahlt  hatte. 


378 


Von  Herman  Levi 


Von  Herman  Levi 


Andante. 


[Carlsruhe  23.  April  1866. 


i^ 


^^^^^^^^^m^ä 


_    7 


r 


Ei 


3* 


t — ; 

denn  die  letzte  Woche  hat  mir  von  allen  Seiten  Straf- 
predigten zugezogen;  sie  war  an  äußeren  und  inneren  Er- 
eignissen überreich ;  Brahms'  Abreise,  nothwendige  Ausflüge 
nach  Baden  und  Mannheim,  Theaterdienst,  Unwohlsein  — 
eine  Legion  wohlbegründeter  Entschuldigungen  steht  zu 
meiner  Vertheidigung  kampfbereit.  Allmählig  fange  ich 
an,  mich  von  einem  gewissen  Dusel  zu  erholen,  und  da 
erschrecke  ich  denn  über  die  angehäufte  Sünden-  und 
Schuldenlast.  —  Dein  erster  Brief  setzt  mich  in  einige  Ver- 
legenheit. Vor  Allem  hat  er  mich  zu  einer  Einkehr  in  mich 
selbst  veranlaßt;  ich  habe  mich  bemüht,  mit  unpartheiischer 
Wage  mein  Talent  und  Wissen,  mein  Wollen  und  Können 
zu  wägen;  ich  habe  mich  gefragt,  wie  wohl  ein  Mann  wie 
Du,  der  den  allerhöchsten  Maßstab  an  Kunst  und  Künstler 
zu  legen  gewohnt  ist,  darauf  verfallen  konnte,  in  mir  einen 
empfehlenswerthen  Lehrer  der  Gomposition  und  des  Contra- 
punkts zu  erblicken.  Meinst  Du:  Wem  Gott  ein  Amt  giebt, 
dem  giebt  er  auch  Verstand?  Nein,  liebster  Freund,  Du 
hast  unsre  Carlsruher  Musikzustände  und  meine  Befähigung 
mit  rosig  gefärbter  Brille  betrachtet.  Ich  fühle  nicht  die 
Kraft  in  mir,  einem  Jünger  die  Pforten  des  Isistempels  zu 

^)  Der  Graf  in  Figaros  Hochzeit,  Finale  des  2.  Aktes:   „O  Engel,  ver- 
zeih' mir!" 


Von  Herman  Levi  879 

erschließen;  stehe  ich  doch  selbst  davor  mit  verbundenen 
Augen  und  tappe  an  den  Mauern  herum,  um  den  Eingang 
zu  finden,  der  sich  nur  Berufenen  aufthut.  Die  Freund- 
schaft, die  mir  die  Besten  unsrer  Zeit  entgegenbringen, 
nehme  ich  als  ein  Geschenk  dankbar  hin,  ohne  zu  fragen, 
woher,  warum?  Was  ich  ihr  entgegenzustellen  habe,  ist 
nicht  viel  mehr,  als  ehrlicher  Wille  und  ein  gewisses 
instinctives  Verständniß  für  das  Gute  und  Rechte.  Somit 
bin  ich  überall  der  empfangende  Theil;  zu  geben  habe  ich 
Nichts,  und  ich  halte  es  für  meine  Pflicht,  die  Freunde, 
die  sich  noch  nicht  durch  längeren  Verkehr  von  der  Richtig- 
keit dieser  meiner  Selbst-Charakteristik  überzeugen  konnten, 
vor  einer  Überschätzung  meiner  Anlagen  und  Leistungen 
zu  warnen,  besonders  wenn  (wie  in  dem  vorliegenden  Falle) 
das  Interesse  eines  Dritten  dabei  im  Spiele  ist.  Ich 
hoffe,  Du  kennst  mich  ganz,  um  zu  wissen,  daß  mir  nichts 
ferner  liegt,  als  affectirte  Bescheidenheit;  ich  glaube  die 
Grenzen  meiner  Natur  genau  zu  kennen  und  hüte  mich, 
sie  zu  überschreiten.  —  Glaube  mir,  daß  mich  kein  anderes 
Gefühl  als  die  Pflicht  der  Wahrheit  leitet,  wenn  ich  Dir 
mit  bestem  Gewissen  und  nachdrücklich  abrathe,  Deinen 
Empfohlenen  zu  einem  längeren  Aufenthalte  hier  zu  ver- 
anlassen. Will  er  es  aber  trotzdem  versuchen,  so  darfst 
Du  sicher  sein,  daß  ich  mich  schon  Dir  zu  Liebe  mit 
ganzem  Herzen  seiner  annehmen  werde;  will  er  sich  in 
das  Opern -Wesen  einschaffen,  so  kann  ich  ihm  allerdings 
mit  meiner  Praxis  an  die  Hand  gehen,  ist  er  ein  ordent- 
licher Klavierlehrer,  so  kann  er  sich  hier  ein  Vermögen 
erwerben;  ist  es  ihm  darum  zu  thun,  gute  Musik  zu  hören, 
so  hat  er  dazu  hier  reiche  Gelegenheit;  will  er  mir  seine 
Arbeiten  zeigen,  so  findet  er  mich  jederzeit  bereit.  Aber 
mein  caeterum  censeo  ist  —  Ich  würde  eine  größere  Stadt 
und  einen  wirklich  bedeutenden  Lehrer  vorziehen. 

Das  ist  ja  prächtig,  daß  Ihr  im  Sommer  in  unsere  Nähe 
kommen  wollt.    Von  ganzem  Herzen  hoffe  ich,  daß  sich 


38o  Von  Herman  Levi 

Deine  Frau  bald  vollständig  erholen  wird.  In  der  nächsten 
Zeit  kommt  die  Frage,  ob  die  Sjiielpacht  auf  3  Jahre  er- 
neuert werden  soll,  zur  Erledigung.  Kammer  und  Mini- 
sterium werden  voraussichtlich  nicht  darauf  eingehen. 
Da  giebt  es  in  Baden  billige  Häuser,  und  die  ganze  Stadt 
bekommt  ein  anderes  Gesicht;  wie  wäre  es,  wenn  ich  mich 
einstweilen  nach  einer  Campagne  für  Dich  umsähe?  — 
Ich  werde  meine  Ferien  (Juni  und  Juli)  vermuthlich  auf 
einem  hohen  Schweizerberge  zubringen  müssen,  um  meinen 
Nerven  aufzuhelfen.  — 

Anbei  erhältst  Du  Partitur  des  Sextettes  und  ein  neues 
Lied  von  Brahms,  das  über  alle  Maaßen  schön  ist;  aber 
man  kommt  erst  dahinter,  wenn  man  es  auswendig  kann. 
Sonderbar,  gerade  die  einfachsten  Sachen  muthen  uns  zu- 
erst fremd  an.  Frau  Gervinus  sagte  mir  einmal  von  einer 
Händel'schen  Arie:  Sie  müssen  die  Melodie  erst  erleben. 
Damals  lachte  ich  über  den  Ausdruck,  jetzt  finde  ich,  daß 
er,  wenn  auch  in  anderer  Anwendung,  etwas  richtiges 
hat.  — 

Brahms  ist  vor  einigen  Tagen  abgereist,  vorerst  nach 
Basel;  von  da  geht  er  mit  Riggenbachs  auf  deren  Gut  im 
Jura.  Im  Sommer  kommt  er  wieder  nach  Baden.  Seine 
Walzer  sind  im  Druck.  Was  er  hier  gearbeitet,  hat  er 
sorgfältig  allen  sterblichen  Augen  verborgen;  nur  Frag- 
mente aus  seinem  „Deutschen  Bequiem"  hat  er  mir  gezeigt. 
Außerdem  wittre  ich  ein  Klavierquartett.  Mit  jedem  neuen 
Werke  sagt  er  uns  doch  etwas  Neues.  Überhaupt  —  welch 
ein  Mensch! 

Er  schickt  Dir  mit  dem  Sextett  herzliche  Grüße.  — 
Stockhausen  hat  uns  nichts  von  Dir  erzählt.  Von  anderer 
Seite  drang  die  Kunde  zu  uns,  Du  seist  wieder  mit  Königes 
auf  gutem  Fuße.  Die  Berufung  Devrients  ließ  mich  dem 
Gerüchte  einigen  Glauben  schenken.  —  Überlege  Dir  die 
Sache  mit  Lammers  nochmals.  Was  ich  Dir  schrieb,  ist 
mir  heiliger  Ernst;  theile  ihm  von  Obigem  mit,  soviel  Du 


An  Clara  Schumann  38i 

für  gut  hältst.  Sage  Deiner  Frau  und  Scholzens  herzliche 
Grüße.  Jedenfalls  suche  ich  Euch  während  meiner  Ferien 
einmal  auf. 

Dein 

getreuer 

Hermann  Levi. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Sonnabend  d.  19.  [Mai  1866] 

.  .  .  Der  unfreiwillige  Aufenthalt  in  Hannover  ist  nun 
auch  Schuld,  daß  wir  wieder  ganz  bleiben!  Stockhausen 
wird  es  Ihnen  schon  berichtet  haben.  Da  ich  vor  meiner 
Abreise  dem  König  als  Grund  meines  Weigerns  geltend 
gemacht  hatte,  daß  ich  nie  wieder  unter  Graf  Platen  dienen 
würde,  und  er  mir  jetzt  sagte  „dieser  wäre  ja  nicht  mehr 
Intendant  und  ich  könnte  zur  Vermeidung  der  Wieder- 
holung von  Mißhelligkeiten  alles  mit  ihm  direkt  ordnen", 
da  er  mir  ferner  vorschlug,  die  Hannover'sche  Goncert- 
Saison  in  die  Monate  Oktober,  November,  Decbr.  und 
Januar  zu  verlegen,  und  überhaupt  alle  Einwände  mit 
gutem  Willen  seinerseits  niederschlug,  so  mußte  ich  zu- 
letzt nachgeben.  Wer  weiß,  ob  der  Krieg  nicht  überhaupt 
jeden  Umzug  nach  andern  Städten  im  Herbst  unmöglich 
macht  —  und  so  will  ich  denn  an  das  herrliche  Orchester 
und  an  den  wundervollen  Garten  denken,  den  wir  im 
Oktober  beziehen,  und  auch  daran,  daß  ein  paar  reizende 
Garten-Zimmer  (heizbar !)  für  Sie  und  Marie  immer  bereit 
stehen,  und  will  mich  freuen  statt  zu  grübeln,  wies  anders 
sein  könnte  in  Berlin  oder  W^ien.  Noch  will  ich  aber  ge- 
stehen, daß  mir's  den  vorigen  W^inter,  als  ich  einmal  im 
Concert  hier  zuhörte,  doch  ganz  weh  war,  die  schönen 
Kräfte  andern  Händen  und  Gesinnungen  anheim  fallen  zu 
sehen.   —  Wie   große   Freude   haben   Sie    mir   durch   die 


382  An  Bernh.  Scholz 

Briefe  i)  wieder  bereitet.  Ich  glaubte  sie  eigentlich  verloren, 
da  ich  sie  seitdem  vergebens  gesucht,  was  ich  Ihnen  aber 
gar  nicht  gestehen  mochte;  Sie  waren  mir  stets  so  eine 
unantastbare  Autorität  in  Ordnungssachen.  Jetzt  beweist 
ja  freilich  die  Ausnahme  nur  die  Regel!  .  .  . 


An  Bernh.  Scholz 

[Hannover]  Am  5'*"  [Juni  1866]. 
Lieber  Scholz 

Du  bist  wohl  eben  im  Begriff,  über  meine  Unzuverlässig- 
keit  im  Correspondiren  gehörig  loszuziehen,  und 
schleunige  Abwehr  ist  vor  Ausbruch  der  unparlamen- 
tarischen Redensarten  nöthig!  Leider  weiß  ich  nichts  von 
einer  Haydn'schen  Serenade;  eine  Geigen-Melodie  von  ihm 
mit  pizzicato  muß  jedenfalls  reizend  klingen,  und  bitte  ich 
Dich  also,  falls  Du  was  davon  erfahren  solltest,  an  mich 
zu  denken  2),  Meine  Abendlied-Instrumentation  ist  in  einem 
2  Seiten  langen  Partitürchen  bei  Schuberth  &  C"  in  Leipzig 
gedruckt,  und  ich  würde  mein  Exemplar  mitschicken, 
wäre  es  nicht  gebunden,  also  nicht  leicht  genug  trans- 
portabel für  Florenz.  Wir  denken  nun  schon  ernstlich  an 
Reisebereitschaft,  um  nach  Kreuznach;  ich  muß  nur  noch 
den  Besuch  von  Goldschmidt's  vom  7"^"  bis  9'^"  abwarten, 
da  ich  die  Einladung  derselben  vom  König  aus  über- 
nommen hatte.  Vom  Hamburger  Musikfest  2)  ausführlich 
zu  sprechen,  kann  ich  Dir  ersparen,  da  ich  Dir  nur  Deine 
Eindrücke  vom  Düsseldorfer  Fest  zu  wiederholen  hätte. 
Es  war  ja  fast  dasselbe  Programm.    Nur  von  Stockhausen's 

*)  Robert  Schs.  an  Joachim,  die  dieser  vor  längerer  Zeit  an  Frau  Clara 
gegeben  hatte. 

*)  Gemeint  ist  wohl  das  mittlerweile  so  populär  gewordene  Andante 
aus  Haydn's  F  dur-Quartett,  op.  3,  Nr.  5. 

^)  Ende  Mai,  von  Stockhausen  und  Goldschmidt  geleitet. 


An  Clara  Schumann  383 

Thätigkeit  als  Chor-Meister  muß  ich  ein  Wort  herzlicher 
Anerkennung  sagen :  ich  habe  weder  den  Messias  noch  die 
9'^  Sinfonie  so  tadellos  schön  singen  hören,  wenngleich  die 
Rheinischen  Stimmen  im  Ganzen  frischer  klingen.  Die 
Frische  ist  überhaupt  eine  Spezialität  auch  der  Geselligkeit 
am  Rhein!  Es  war  noch  kein  echt  festlicher  Ton  beim 
Zusammensein,  wozu  auch  viel  die  Ungemüthlichkeit  der 
Goldschmidt'schen  Direktion  beitragen  mochte.  Er  machte 
sich  bei  allen  Musikern  gründlich  verhaßt  durch  bom- 
bastisches Herausstoßen  von  Gemeinplätzen,  und  durch 
herrische  Dilettantenhaftigkeit.  Sie  war  stellenweise  immer 
noch  entzückend.  Daß  hier  das  Musikfest  der  Zeitumstände 
wegen  unterbleibt,  weißt  Du  wohl  schon.  Man  hätte  es 
früher  unpassend  finden  sollen  —  da's  aber  Fischer  ist, 
gönne  ich  ihm  die  Enttäuschung  und  denke  an  die  Fabel 
vom  Hund  und  dem  Fleisch  im  Wasserspiegel.  —  Mein 
nächster  Brief  wird  wohl  schon  aus  Kreuznach  kommen, 
und  hoffentlich  eine  Zusammenkunft  zur  Fußreise  aus- 
machen. Wie  schön,  daß  wir  zu-  statt  auseinander  reisen ! 
Grüße  von  Herzen  Deine  liebe  Frau  und  die  Kinderchen 
alle  von  uns  beiden. 

Dein 

Jo. 

An  Clara  Schumann 

[Hannovei']  Am  i5'^"  [Juni  1866]. 
Liebe  Frau  Schumann. 

Wir  sind  noch  immer  in  Hannover,  und  zwar  nicht 
aus  politischen  Gründen,  sondern  leider  durch  den 
heftigsten  Rheumatismus,  welcher  sich  meiner  armen  Frau 
bemächtigt  hat,  zurückgehalten.  Sie  kann  nur  auf  einen 
Stock  gestützt  unter  starken  Schmerzen  sich  fortschleppen. 
Ist  das,  nach  der  Krankheit,  die  sie  eben  durchgemacht. 


384  An  Clara  Schumann 

nicht  doppek  traurig  ? !  Ich  habe  gar  keine  Worte  dafür, 
und  selbst  die  Deutschland  zerreißenden  Nachrichten  ver- 
mögen kaum,  mich  von  den  Gedanken  um  das  Wohl  meiner 
Ursi  abzuziehen.  Gefahr  ist  wohl  nicht  vorhanden,  aber 
das  Leiden  kann  sich  noch  Wochen  hinschleppen,  und  wie 
muthlos  macht  es  sie!  Wenn  die  Verhältnisse  es  zulassen, 
wollen  wir  immer  noch  nach  Creuznach,  sobald  eben  meine 
Frau  reisen  kann.  Ungemüthlich  ist  am  Ende  jetzt  jeder 
Aufenthalt!  Man  spricht  hier,  daß  die  Truppen  Preußens 
einrücken,  Hannover  besetzen  wollen;  so  kommen  kann 
es  jedenfalls  bald,  und  das  Entsetzliche  ist,  daß  man  weder 
Preußen  noch  Oesterreich  sich  unbedingt  in  die  Arme 
werfen  will!  Es  kömmt  gewiß  ein  ganz  abscheuliches 
Chaos  über  Deutschland!  Der  Hof  ist  noch  hier,  und 
gestern  um  8  Uhr  Abends  war  ich  mit  Goldschmidt's  in 
Herrenhausen,  um  vor  den  Herrschaften  en  petit  comite 
zu  musiciren^).  Ich  hatte  eigentlich  erwartet,  daß  wir 
wieder  abbestellt  werden  sollten  nach  Eintreffen  der  Frank- 
furter Nachrichten  —  aber  vielleicht  ist  wirklich  dem  König 
die  Erholung  Herzensbedürfniß  gewesen.  Wer  weiß,  ob's 
nicht  überhaupt  das  letzte  Mal  war,  daß  wir  in  den  Räumen 
musicirten,  mußte  ich  mir  wehmüthig  gestehen.  Ich  bin 
auf  Alles  gefaßt!  Die  Lind  war  verhältnißmäßig  gut  bei 
Stimme,  und  ihre  helle,  innerliche  Erregtheit  übt  immer 
noch  ihren  Zauber  auf  mich  aus.  Daß  manches  gewalt- 
samer, effektsuchender  jetzt  bei  ihr  auftritt,  darüber  sind 
wir  uns  ja  leider  lange  einig !  Sie  hat  übrigens  8  Tage  hier 
erkältet  im  Hotel  zugebracht,  bevor  sie  ihr  Versprechen, 
bei  Hof  zu  singen,  halten  konnte.  Heute  ist  sie  Mittags 
fortgereist.  Natürlich  war  sie  sofort  bereit,  Ihren  Wunsch  2) 
für  die  liebenswürdige  Prinzessin  zu  erfüllen,  und  selbst 
unangenehmere  Dinge  würde  sie  für  Sie  mit  Freuden 
unternehmen!    Von    Düßeldorf   her    war   sie   noch    ganz 

*)  Vgl.  Moser,  II,  1 34-  v.  Hassel,  Gesch.  d.  Königreichs  Hann.  II,  2  S.  874  f. 
^)  um  ein  Aiitograph. 


An  Bernhard  Scholz  385 

durchwärmt  von  Ihrem  Spiel,  überhaupt  auch  sonst  „nett", 
und  ich  trennte  mich  ungern  von  ihr.  Trösten  Sie  mich 
bald  mit  einigen  Zeilen,  ich  schreibe,  sobald  ich  bestimnites 
mittheilen  kann.  Von  Frau  und  Puzzi  die  herzlichsten 
Grüße,  auch  von  uns  aus  an  die  lieben  Kinder.  Wie  geht's 
Johannes  ? 

Immer  Ihr  treuergebener 

Joachim. 

An  Berill lard  Scholz 

Hannover  d.  22"^"  Juni  1866. 

Liebe  Scholzens! 

Wir  sind  zuerst  durch  Warten  auf  Goldschmidt's, 
nachher  durch  einen  noch  immer  nicht  ganz  be- 
seitigten Rheumatismus,  der  sich  Ursi's  bemächtigte,  hier 
zurückgehalten,  bis  am  i5'^"  der  verhängnißvoUe  Wirrwarr 
ausbrach.  Nun  sitzen  wir  hier  und  können  nicht  über  die 
FVage  „Wohin"?  zum  Entschluß  kommen.  Man  will  doch 
auch  wegen  etwaiger  Einquartirung  etc.  nicht  zu  weit 
weg  vom  Hause.  Edel  ^)  schlug  heute  Harzburg,  auch  ein 
Soolbad,  vor,  das  auf  neutralem  (i.  e.  braunschweigischem) 
Boden  liegt.  Über  die  innere  und  äußere  Bewegung  dieser 
Tage  können  wir  hoffentlich  bald  ausführlich  sprechen. 
Wir  erwarten  fast  stündlich  die  Nachricht  von  der  Über- 
gabe oder  Aufreibung  der  Hannover'schen  Armee;  die 
Vorsehung  gebe  das  Erstere!  Daß  der  König  bei  seinen 
Truppen  in  Göttingen  —  wißt  Ihr;  die  Königin  mit  den 
beiden  Prinzessinnen  ist  hier.  Ich  sprach  sie  vorgestern  in 
der  Herrenhäuser  Allee;  sie  ist  gefaßt  u.  soll  sich  über- 
haupt in  ihrem  Unglück  würdevoll  benehmen.  Sonst  ist 
Euch  aus  Zeitungen  gewiß  eben  so  viel  bekannt  wie  uns 
auch,  das  heißt:  blutwenig.  .  .  .  Eure 

Ursi  und  Jo  Jo. 

^)  Freund  und  Hausarzt  Joachims. 

25 


386  An  Clara  Schumann 


An  Clara  Schumann 

Hannover  am  26''^"  Juni  [1866] 

Liebe  Frau  Schumann. 

Yielen  Dank  für  Ihren  Brief  voll  herzlicher  Theilnahme, 
dessen  warmer  Ton  mir  und  meiner  Frau  sehr  wohl 
ihat.  Er  ist  aber  beinahe  eine  Woche  unterwegs  gewesen! 
Der  Krieg  wird  auch  Ihrem  sonst  so  friedlichen  Lichten- 
thal  nahe  gerückt  sein;  wenigstens  muß  die  Aufregung  in 
dem  von  preußischen  Sym-  und  Antipathien  zerklüfteten 
Ländchen  groß  genug  sein.  Bei  mir  steht  gegen  das  häus- 
liche Leiden  jetzt  alles  andere  zurück.  Denken  Sie,  daß 
der  Zustand  meiner  Frau  immer  nicht  besser  ist;  die 
Ärmste  steht  die  ärgsten  Schmerzen  aus,  kann  nur  von 
zwei  Menschen  gestützt  von  einer  Stube  in  die  andere 
gehen,  die  rechte  Hand  nur  unter  den  ärgsten  Schmerzen 
rühren  —  es  ist  ein  wahrer  Jammer,  ihr  Leiden  zu  sehen. 
An  eine  Luftvei'änderung  ist  gar  nicht  zu  denken  vor  der 
Hand,  die  Wohnung  ist  auch  wenigstens  nicht  Schuld, 
der  Rheumatismus  in  heftigster  Form  soll  in  den  letzten 
Wochen  hier  überhaupt  häufig  vorgekommen  sein.  Da  es 
bei  meiner  Frau  die  sogenannte  ,, fliegende"  Gicht  ist,  so 
kann  es  sich,  meint  der  Arzt,  auch  recht  rasch  zum  Guten 
wenden,  und  dann  sollen  wir  sogleich  fortreisen;  aber  nicht 
nach  Kreuznach,  sondern  nach  Harzburg,  das  auch  ein 
Soolbad  (freilich  nicht  Jodhaltig  und  so  gut  wie  Kreuznach !) 
hat.  Wir  fürchten  uns,  in  dieser  Zeit  gar  zu  weit  weg 
vom  Haus  zu  sein;  zumal  Hegt  Kreuznach  so  schlimm  an 
der  Ecke  von  Preußen  und  Bayern!  Von  Harzburg  ist 
Hannover  immer  in  3  Stunden  für  mich  zu  erreichen,  und 
die  Lage  ist  hübsch.  Pläne  lassen  sich  jetzt  gar  nicht 
machen,  aber  ich  hoffe,  Sie,  wenn  es  in  ein'gen  Monaten 
ruhiger  ist,  jedenfalls  zu  sehen.    Ach,  wäre  nur  der  quäl- 


An  Bernh.  Scholz  887 


volle  Zustand  meiner  Frau,  meiner  ärmsten,  geprüften, 
etwas  besser.  Ich  habe  für  gar  nichts  mehr  Sinn!  — 
Gestern  war  Stockhausen  hier,  traf  mit  seinem  Bruder  aus 
Leipzig  zusammen  und  geht  nun  nach  Kreuznach.  Ein 
Einzelner  kann  das  eher  wagen;  gewiß  sucht  er  Sie  auch 
auf,  wenn  er  durchkommen  kann.  Grüßen  Sie  Ihre  lieben 
Kinder  von  uns,  und  seien  Sie  selbst  auf's  Innigste  gegrüßt 
von  meiner  Ursi  und 

Ihrem 
freundschaftlich  ergebenen 

Joseph  Joachim. 
P.  S.  Politica  werden  Sie  aus  den  Zeitungen  genug  haben. 
Die  Königin  ist  als  Privat-Dame  mit  den  beiden  Prin- 
zessinnen noch  hier  in  dem  von  Preußen  ganz  besetzten 
Land ;  dem  König  soll's  gelungen  sein,  sich  mit  einem  Theil 
des  Hannover'schen  Heeres  nach  Bayern  zu  schlängeln, 
über  Thüringen  ^). 

An  Bernh.  Scholz 

[Hannover]  Am  28"^"  Juni  1866. 

Mein  lieber  Scholz 
.  .  .  Ich  habe  einen  so  schlimmen  Frühling  nicht  geahnt, 
als  wir  uns  verließen!  Dies  ewige  Lauern  und  umändern 
von  Plänen  —  ich  habe  nicht  einmal  für  Musik  Sinn! 
Edel  meinte  heute,  daß  wir  in  einer  Woche  vermuthlich 
abreisen  können  würden.  Ich  denke,  dann  wähle  ich  auf 
einer  Fußtour  selbst  das  Soolbad,  das  mir  am  besten  ge- 
fällt. Ach,  unsre  schönen  Rheinthäler-Excursionen !  Wirst 
Du  sie  nun  mit  Stockhausen  machen?  Er  reiste  vorvor- 
gestern nach  Creuznach  durch;  in  aller  Schnelle  erquickte 

')  was  bekanntlich  nicht  gelang;  der  Brief  ist  am  Tage  von  Langen- 
salza geschrieben. 

25* 


388  An  Bernh.  Scholz 

er  uns  mit  einigen  selten  gesungenen  Schubert-Liedern. 
Lasset  Euch  „Widerschein"  vorsingen  —  von  Tom  auf 
der  Brücke  handelt  es.  .  .  . 

Von  unsern  Truppen  bist  Du  eben  so  gut  unterrichtet, 
als  wir,  wie's  scheint.  Anfangs  iniponirte  mir's,  daß  sie 
sich  so  geschickt  und  muthig  durch  die  Preußen  und  Thü- 
ringen gewunden,  und  freute  ich  mich,  daß  die  sonstige 
Blamage  in  militair'schen  Dingen  dadurch  aufgewogen 
wäre  —  aber  wenn  sich's  bestätigt,  daß  der  König  auch 
ohne  Aussicht,  sich  zu  den  Bayern  durchzuschlagen,  keine 
ehrenvolle  Capitulation  abschließen  will  und  seine  Truppen 
seiner  Halsstarrigkeit  aufopfert,  dann  habe  ich  keine  Worte 
für  so  verbrecherischen  Hochmuth.  Noch  will  ich's  nicht 
glauben.  Tschirschnitz ^)  ist  nicht  erschossen,  sondern  in 
„Gnaden"  entlassen!  In  Hannover  ist  übrigens  viel  Parti- 
kularismus und  Preußenhaß,  wenn  auch  die  Kammer- 
beschlüsse zeigen,  daß  die  gebildete  Majorität  Preußens 
Beruf  nicht  verkennt.  Freuen  kann  ich  mich  aber  auch 
nicht,  daß  man  die  Schmach  erlebt,  sich  erst  mit  dem 
Schwert  in  der  Hand  demüthigen  läßt,  um  dann  als 
„Gnadengeschenk"  hinnehmen  zu  müssen,  was  die  Nation, 
wäre  ein  Bedürfniß  des  Herzens  im  Spiel,  längst  als  Recht 
hätte  fordern  sollen.  Es  sind  eben  heillose  Zeiten;  hoffent- 
lich werden  sie  zu  männlichen  Thaten  stählen !  Louise 
fragt,  wie  die  Preußen  meine  lebenslängliche  Stellung 
auffassen.  Ei,  ich  hatte  mich  ja  eigens  gegen  eine  solche 
gewehrt.  Wie's  nun  wird,  muß  man  abwarten;  ich  glaube 
persönlich  nicht  an  einen  Fortbestand  der  hiesigen  Königl: 
Institute  und  werde  wahrscheinlich  nächsten  Winter  viel 
in  London  sein,  unser  Haus  beziehen  wir  Michaelis.  Es 
liegt  alte  Hildesheimer- Straße.    Die  Kinder  sind   munter 

^)  der  völlig  gebrochene  und  fassungslose,  altersschwache  General- 
adjutant, gegen  den  schwere  Anschuldigungen,  die  von  vielen  geglaubt 
wurden,  gerichtet  waren;  über  die  Ereignisse  unterrichtet  am  besten 
W.  V.  Hassel),  Gesch.  d.  Königreichs  Hannover,  T.  i  Abt.  2.  Leipzig  1901. 


An  Otto  Goldschmidt  889 


und   lieb.    Macht,   daß  die  Euren   nicht  vergessen  Tante 
Uzzi  und  Euren 

Jo. 

Grüßet  das  treffliche  Quartett  ^),  namentlich  Karl  Müller; 
auch  Hiller  herzlichst. 

Adresse  sempre  Tistessa. 


An  Otto  Goldschmidt 

Hannover,  am  5'*"  Juli  [1866] 

Lieber  Goldschmidt! 

Das  waren  aufregende  Zeiten,  die  seit  jenem  denk- 
würdigen 1 4'^"  Juni  in  Herrenhausen  über  uns  herein- 
brachen !  Wie  rasch  hat  sich  viel  entschieden !  Habe  von 
Herzen  Dank,  lieber  Otto,  daß  Du  so  liebevoll  für  uns 
sorgtest,  und  auch,  daß  Du  uns  in  London  Deine  Treue 
bewähren  willst.  Ich  kann  natürlich  für's  Erste  gar  keine 
Pläne  machen;  mein  Kontrakt  verpflichtet  mich  auszu- 
harren, solange  noch  überhaupt  die  Möglichkeit  vorhanden 
ist,  daß  der  König  einmal  meine  Dienste  fordert.  Wie  ich 
über  Hannover  denke,  weißt  Du  aus  manchem  Gespräch 
—  um  meinetwillen  werde  ich  nie  bedauern,  meine 
Stellung  aufgeben  zu  müssen;  aber  ich  will  auch  nicht  das 
Unglück  des  Königshauses  benützen,  um  mich  frei  zu 
machen.  W^ie's  hier  werden  soll,  kann  Niemand  voraus- 
sagen. Die  Königin  ist  mit  den  beiden  Töchtern  hier;  neu- 
lich begegnete  ich  den  hohen  Damen  in  der  Allee  und 
sprach  mit  ihnen.  Sie  schienen  gefaßt,  aber  hoffen  immer 
auf  den  Sieg  der  guten  Sache.  Das  würdevolle  Benehmen 
der  Königin  wird  von  Allen,  auch  den  Preußen  anerkannt; 
sie  will  hier  bleiben,  wenn  nicht  Gewalt  sie  von  Hannover 
vertreibt.     Über    die   Schlacht    bei    Langensalza    und    die 

')  das  Braunschweiger  Quartett  der  Gebr.  Müller. 


Sgo  An  Max  Bruch 


Tapferkeit  der  Hannoverschen  Soldaten  wirst  Du  aus  den 
englischen  Zeitungen  gewiß  ebenso  viel  wie  wir  erfahren. 
Wie  erfolglos  ist  aber  so  viel  Heldenblut  vergeudet  —  wie 
verblendet  war  der  König,  oder  wie  treulos  die  Bundes- 
genossen; die  Zeit  wird's  lehren!  Hoffentlich  führen  die 
glänzenden  Siege  der  Preußen  in  Böhmen  bald  zum 
Frieden.  .  .  . 


An  Max  Bruch 

[Hannover]  9.  Juli  i  866. 

Lieber,  verehrter  Herr  Bruch 

Wirklich  ist  es  mir  schwer  geworden,  in  den  letzten 
Wochen  zu  der  von  Ihnen  gewünschten  genauen 
Durchsicht  Ihres  mir  so  interessanten  Werkes  ^)  zu  kommen. 
Zu  der  politischen  Aufregung  kam  häusliche  Sorge,  da 
meine  Frau  fast  ununterbrochen  seit  4  Wochen  durch  einen 
Rheumatismus  die  gräßlichsten  Schmerzen  auszuhalten 
hatte.  Es  geht.  Gottlob!,  seit  ein  paar  Tagen  besser,  ich 
athme  wieder  auf,  und  ich  habe  denn  auch  wieder  zu 
musiciren  Lust.  So  sollen  Sie  denn  nicht  mehr  lange  auf 
Ihr  Concert  zu  warten  haben,  das  ich  mit  altem  Antheil 
durchgehen  will;  eine  Arbeit  (wenn  man  das  so  nennen 
darf,  was  Vergnügen  gewährt),  die  mir  selbst  hoffentlich 
zu  Gute  kömmt.  Wir  wollen  in  den  nächsten  Tagen  nach 
dem  Harz,  wahrscheinlich  Harzburg  oder  Thale,  um  den 
Sommer  über  dort  zu  bleiben.  Vorher  schon,  oder  von 
dort  aus  in  den  ersten  Tagen  erhalten  Sie  Ihr  Mscrpt. 
zurück.  .  .  .  Im  September  (gegen  medio  des  M'^)  denke 
ich  wieder  in  Hannover  zu  sein;  wie  es  aber  mit  den 
Concerten  werden  soll,  wissen  die  Götter,  Bismarck  und 
Napoleon! 

^)  Das  G  moll-Konzert  op.  26. 


An  Max  Bruch  Spi 


Mir  thut  es  leid,  Sie  nicht  am  Rhein  in  diesem  Sommer 
wieder  zu  sehen;  jedenfalls  aber  auf  baldigstes  Wieder- 
schreiben. 

Herzlich  ergeben 
Ihr 
Joseph  Joachim. 

An  denselben 

Harzburg  den  i  7'*"  [bis  1 8.]  August  [  1 866]. 

Verehrter  Freund 

Endlich  schicke  ich  Ihr  Concert  wieder.  Ich  wollte,  ich 
könnte  statt  eines  Begleitschreibens  selbst  kommen, 
nicht  weil  ich  in  der  That  ein  fauler  Correspondent  bin, 
sondern  weil  ich  wirklich  glaube,  ein  paar  Stunden  des 
Zusammenseins  würden  alle  zweifelhaften  Violinstellen 
leicht  endgültig  feststellen  lassen.  Im  Ganzen  ist  Ihr  Stück 
sehr  violinmäßig,  und  es  wird  auch  von  dieser  Seite,  glaube 
ich,  trefflich  wirken.  Ich  thue  nun  wohl  am  besten,  wenn 
ich  der  Reihe  nach  Ihre  Fragen  beantworte:  Das  Seite  20 
beginnende  Tutti  wünschte  auch  ich  entschieden  länger; 
nach  dem  breiten  Orgelpunkt  erwartet  man  es,  und  zum 
Glück  ist  Stoff  genug  dazu  da.    Die  prägnante  Figur 


fe^ 


Se=3 


t 


und  das  breite  2'*^  Thema  werden  Ihnen  schon  das  Richtige 
eingeben!  Eine  Kadenz  habe  ich  Seite  25  mit  Bleistift 
hingeschrieben;  sie  kann  also  gleich  (wie  alle  spätem  Noten 
von  meiner  Hand)  mit  einem  Stück  Gummi  gerichtet 
werden  und  harrt  Ihres  Urtheilspruchs.  —  Soll  das  letzte 
Bdur  [der]  1^*="  Geigen  auf  Seite  29  nicht  in's  Andante 
hinein  gebunden  werden?  Doch  wohl!  Die  2'*  Violine 
müßte  dann  natürlich  demgemäß  im  i'^"  Takt  verändert 


392  An  Max  Bruch 


werden.    S.  38  fehlt  auch  mir  ein  Takt,  und  doch  hat  kein 
Versuch,  ihn  hinzuzuthun,  mir  genügt; 


ist  am  Ende  nur  ein  ausgeschriebenes  rit:  und  gefällt  mir 
darum  am  besten.  Ich  freue  mich  übrigens  darauf,  das 
Andante  zu  hören,  daß  kann  ich  aufrichtigst  sagen!  Im 
letzten  Satz  muß  ich  Levi  entschieden,  S.  61  anlangend, 
beistimmen.  So  wie  die  Strecke  vom  2"^"  Hauptmotiv  bis 
zur  Violinpassage  jetzt  dasteht,  wird  mir  der  Fluß  des 
energisch  vorwärts  drängenden  Satzes  zu  sehr  aufgehalten. 
Mit  dem  von  Ihnen  selbst  angedeuteten  Sprung  wäre  viel- 
leicht am  besten  geholfen;  nur  gienge  dann  die  hübsche. 


kecke    Stelle 


!^^S=^S 


:£: 


etc. 


verloren,  (die,  nebenbei  gesagt,  sich  auch  recht  geigenhaft 
nett  spielen  läßt).  Zu  breite  melodische  Führung  an  diesem 
Fleck  würde  auch  dem  spätem  schönen  Mittelsatz  in  C  moll 
schaden !  Andeutungsweise  habe  ich  auf  einem  Stückchen 
Papier  einen  Ausweg  hingeschrieben,  der  natürlich  nur 
ungefähr  erklären  soll,  was  ich  meine,  u.  nicht  etwa  bean- 
sprucht, wirklich  aufgenommen  zu  werden.  Dazu  ist  er  zu 
flüchtig  hingeworfen !  —  Für  die  ersten  3  Takte  auf  S.  69 
aber  wünsche  ich  mir,  offen  gestanden,  ein  paar  schönere. 
Sind  sie  nicht  ein  etwas  äußerlicher  Kitt?  Auch  die  quasi 
Parallel-Steile  auf  S.  10 1  genügt  mir  noch  nicht,  und  ich 
hoffe,  darin  nicht  Unrecht  zu  behalten.  Die  Passage  hin- 
gegen finde  ich  ganz  anmuthig,  und  habe  ich  mir  nur 
erlaubt,  hie  und  da  etwas  der  Finger  und  des  Bogens  wegen 
anders  hinzuschreiben.  Den  Solo-Schluß  änderte  ich, 
weil  die  gestoßene,  in's  Tutti  hineinlaufende  Skala  ein 
wenig   an's   Mendelssohn'sche  Concert   gemahnen   dürfte. 


An  Max  Bruch  SpS 


Finden  Sie  das  zu  äußerlich  von  mir?    Auch  die  bisweilen 


vorkommende  Passage    (w>   T  P-| 


:^ 


etc.  etc.  ermnert 


an  das  erwähnte  Stück,  und  habe  ich  theilweise  Ände- 
rungen dafür  vorgeschlagen,  da  sie  dem  Spieler  mehr  zur 
Unruhe  als  zur  Beweglichkeit  Anregung  biethet.  Auch  zu 
einer  Schlußpassage  habe  ich  einen  Anfang  hinzuschreiben 
riskirt.    Übrigens  ließe  sich  daraus: 


auch  noch  etwas  recht  violinmäßiges  erfinden,  und  mir 
ist  gar  nicht  bange,  daß  Ihnen  nicht  auch  ein  schöner, 
wirkungsvoller  Schluß  einfallen  werde. 

Beendigen  Sie  es  recht  bald  und  lassen  Sie  mir  dann, 
wenn  der  Wunsch  Ihnen  nicht  unbescheiden  vorkommt, 
eine  Principal-Stimme  schreiben,  damit  ich  das  Concert  bei 
unserm  hoffentlich  baldigen  Zusammentreffen  mir  recht  zu 
eigen  gemacht  haben  kann.  Auf  Ihre  „Zweifel"  freue  ich 
mich  Ihnen  schließlich  zu  sagen,  daß  ich  den  Titel  Concert 
jedenfalls  gerechtfertigt  finde  —  für  den  Namen  „Phan- 
tasie" sind  namentlich  die  beiden  letzten  Sätze  zu  sehr  und 
regelmäßig  ausgebaut.  Die  einzelnen  Bestandtheile  sind  in 
ihrem  Verhältnisse  zu  einander  sehr  schön  und  doch  con- 
trastirend  genug;  das  ist  die  Hauptsache.  Spohr  nennt 
übrigens  auch  seine  Gesangs-Scene  „Concert"  !  —  Und  nun 
nehmen  Sie  mir's,  das  bitte  ich  nochmals,  nicht  übel,  daß 
das  Mscrpt.  so  lange  bei  mir  geblieben,  und  daß  ich  Sie 
nun  gar  mit  so  großer  Ausführlichkeit  vielleicht  gelang- 
weilt habe!  Ich  wünschte  sehr,  bald  wieder  von  Ihnen  zu 
hören.  Wäre  in  diesem  Winter  an  Concerte  in  Hannover 
zu  denken,  so  bäte  ich  mir  eine  Ihrer  neuen  Sachen  aus, 
auf  die  ich  sehr  gespannt  bin.  Als  Privatmann  kann  ich 
das  nicht  thun. 


394  An  Bernh.  Scholz 

Seit  gestern  bin  ich  nicht  mehr  K.  Hannover'scher 
Concertdirector  (laut  Bericht  aus  dem  Abgeordnetenhaus)  i) ; 
aber  immer  bleibe  ich,  was  mir  Niemand  nehmen  kann, 

Ihr 
herzlich  ergebener 

Joseph  Joachim. 

An  Bernh.  Scholz 

Harzburg  28.  Aug.  1866. 
Mein  lieber  Scholz. 

Das  ist  ja  ein  sehr  guter  Brief;  Du  bist  voll  Hoffnung 
und  ziehst  nach  Berlin,  und  wir  werden  jedenfalls 
uns  Ende  Septembers  sehen,  denn,  etwa  am  ■20"'"  des  näch- 
sten Monats,  gehen  auch  wir  nach  Hannover  zurück.  Es 
fängt  an,  meiner  Ursi  recht  gut  zu  gehen;  seit  vorgestern 
badet  sie,  da  Rheumatismus  und  Kälte  ziemlich  zugleich 
Abschied  genommen  haben.  Die  Kinder  könnten  nicht 
besser  gedeihen,  als  es  in  der  kräftigen  Bergluft  der  Fall 
ist.  .  .  .  Über  unsern  künftigen  Aufenthalt  habe  ich  bis  jetzt 
nur  soviel  festgesetzt,  daß  wir  diesen  Winter  in  Hannover 
wohnen  bleiben,  da  meiner  Frau  nach  dem  langen  schmerz- 
haft wechselvollen  Befinden  die  Winterruhe  in  der  neuen 
behaglichen  Wohnung  eine  Nothwendigkeit  ist.  Von  dem 
Rechte,  meine  Anstellung  als  erloschen  zu  betrachten  (da 
ich  ausdrücklich  in  den  erneuten  Kontrakt  hatte  setzen 
lassen  „vorbehaltlich  der  weitern  mit  S"^  Maj.  zu  verein- 
barenden Änderungen"),  werde  ich  Gebrauch  machen. 
Ich  habe  Anerbietungen  bekommen,  in  Paris  in  einem 
Wintermonat  (den  ich  selbst  bestimmen  kann,  ich  will 
November  nehmen)  6  Mal  zu  spielen,  außerdem  in  England 
meine  6 — 8  Wochen  von  Mitte  Januar  an  zu  verbringen, 
und  zu  beidem   habe  ich  Lust.    Wer  weiß,   wie  sich  die 

^)  In  der  Sitzuny  vom  17.  August  verkündete  Bismarck  die  Königl. 
Botschaft  der  Einverleibung  Hannovers  usw. 


An  Clara  Schumann  896 

Kunst-Zustände  in  Hannover  entwickeln,  und  ob  nicht  eine 
Art  Luxus -Anstellung,  wie  die  meinige  es  war,  von  den 
Leuten  als  eine  Fessel  empfunden  würde,  wollte  ich  darauf 
bestehen!  Könnte  ich  den  ganzen  Winter  dort  bleiben, 
zur  Kapelle  noch  die  Sing-Akademie  übernehmen,  es  wäre 
etwas  anderes!  Eine  solche  bindende  Anstellung  aber  kann 
ich  jetzt  nicht  annehmen,  hoffentlich  in  etwa  4 — 5  Jahren, 
und  dann  wär's  schön,  wenn's  an  einem  Ort,  der  einen 
recht  regen  musikalischen  Verkehr  mit  Dir  erlaubte!  Ich 
denke  übrigens,  es  wird  schließlich  doch  Berlin  sein,  das 
ich  als  Centralpunkt  und  Aufenthalt  für  die  Meinigen  wähle, 
sobald  mein  neuer  Wohnungscontrakt  erloschen  ist.  .  .  . 

An  Clara  Schumann 

[Harzburg]  12.  Sept.  [1866J 
Liebe  Frau  Schumann 

Wie  gerne  wären  wir  morgen  bei  Ihnen,  wo  Sie  hoffent- 
lich von  denen,  die  Ihnen  die  liebsten,  umgeben 
sein  werden!  Hatte  ich  ja  auch  ursprünglich  gedacht,  daß 
wir  den  Herbstanfang  in  Baden  sein  könnten;  nun  haben 
Krieg  und  Krankheit  anders  verfügt !  Wir  bleiben  bis  Ende 
Septemb.  hier,  da  meine  Frau  die  Soolbäder,  von  denen 
sie  erst  16  genommen,  fortsetzen  soll;  sie  thun  ihr  sehr  gut. 
Anfangs  Oktober  ist  dann  unser  Umzug  in  Hannover,  und 
dann  fängt  bald  meine  bewegte  Winter-Saison  an,  denn 
ich  soll  schon  am  21"""  Oktober  in  Basel  spielen.  Das  hat 
das  Gute,  daß  ich  hoffen  kann,  Sie  noch  auf  dem  Weg 
einige  Tage  in  Baden  zu  besuchen.  Sonst  graut  mir's  schon 
vor  allen  Reisen,  die  ich  diesen  Winter  machen  muß.  Es 
kommen  fast  täglich  Anfragen,  und  es  ist  so  schwer,  sich 
zu  bestimmen!  Wie  oft  muß  ich  da  an  Sie  denken,  ver- 
ehrte Freundin,  die  so  tapfer  und  gewissenhaft  in  ähnlicher 
Lage  sich  durchgekämpft !  Ich  darf  Ihnen  überhaupt  heute 
sagen,  daß  Sie  in  guten  wie  in  ernsten  Zeiten  uns  immer 


396  An  Clara  Schumann 

nahe  sind,  und  ich  wollte,  es  wäre  äußerlich  öfter  und 
ruhiger  der  Fall,  als  leider  bis  jetzt  geschah,  wo  es  meist 
nur  im  Concert-Trouble  zutraf,  daß  wir  längere  Zeit  neben 
einander  existirten.  Wie  ist  es  denn  mit  England  geworden ; 
ich  habe  weder  von  Ghappell  noch  von  Ihnen  wieder 
gehört.  Überhaupt  wünsche  ich  mir  so  sehr,  über  Ihre 
Winterpläne  etwas  zu  erfahren.  Meine  Wege  werden  mich 
im  November  nach  Paris,  wo  mir  Pasdeloup  6  Goncerte 
angeboten  hat,  und  im  halben  Januar  auf  6 — 8  Wochen 
nach  London  führen.  Daraus  sehen  Sie,  daß  ich  meine 
Hannoverische  Anstellung  als  erloschen  betrachte,  obwohl 
weder  von  Hannoverischer  noch  von  Preußischer  Seite  ein 
Wort  darüber  bis  jetzt  verlautete.  Ich  wünschte  mir  ja 
immer,  frei  zu  sein.  Mein  Plan  ist,  einige  Winter  hindurch 
wirklich  ernsthaft  für  die  Meinigen  durch  Goncertgeben 
zu  arbeiten,  um  nachher  einen  Wirkungskreis  wählen  zu 
können,  dem  ich  mich  con  amore  bleibend  widme,  und 
darum  ist's  für  mich  «persönlich  ein  Glück,  daß  es  mit 
Hannover  so  gekommen.  Wie  mögen  Sie  nur  über  alle 
die  Veränderungen  denken !  Ich  habe  so  lange  wieder  nichts 
von  Ihnen  gehört  und  bitte  recht  herzlich  um  ein  paar 
Worte.  Johannes  wird  wohl  bei  Ihnen  sein;  dann  grüßen 
Sie  ihn  freundschaftlichst.  Seine  beiden  ungedruckten  Lieder 
<in  Es  und  Hmoll)^)  haben  mich  aus  dem  Mund  meiner 
Frau  oft  in  letzter  Zeit  erquickt.  Sie  gehören  zu  unsern 
liebsten  Liedern,  die  Schubert'schen  und  Schumann'schen 
nicht  ausgenommen.  Sonst  habe  ich,  ach  wie  wenig,  mu- 
sicirt  mit  andern!  Nach  Orchesterklang  habe  ich  eine 
wahre  Sehnsucht!  Aber  es  ist  doch  ein  großes  Glück,  daß 
ich  meine  liebe  Ursi  wieder  außer  aller  Gefahr  sehe,  und 
das  verdanke  ich  der  guten,  schönen  Lage  Harzburgs.  Ich 
darf  also  nicht  klagen ! 

Ihr  herzlich  ergebner 

Joseph  Joachim. 
^)  „Von  ewiger  Liebe"  und  „Mainacht"  op,  43  Nr.  i,  2. 


An  seine  Frau  897 


An  Julius  Stockliausen 

Harzburg  i\.  Sept.  [1866]. 
Lieber  Stockhausen 
.  .  .  Prinzipielle  Abneigung  gegen  Volks-Concerte  haben 
wir  beide  keineswegs;  im  Gegentheil  habe  ich  oft  sogar 
die  frischeste  Empfänglichkeit  bei  den  Unverdorbnen, 
Unblasirten  gefunden.  Das  „Erhabene"  begreift  das  Volk 
leicht,  wenn  es  mit  Überzeugung  geboten  wird.  Ich  bin 
also  auch  gern  dabei,  in  Euer  Volksprogramm  mit  dem 
Beethoven'schen  Concert  mich  aufnehmen  zu  lassen.  Doch 
muß  ich  erwähnen,  daß  ich  am  21'^"  Oktober  schon  in 
Basel  spiele.  (In  Paranthese  könntest  Du  mir  eigentlich 
einen  rechten  Gefallen  thun,  wenn  Du  Zeit  hättest,  um- 
gehend mir  ein  Wort  darüber  zu  schreiben,  ob  die 
Schwyzer  Concert -Vereine  „well  off"  sind,  und  welches 
Honorar  pr.  Concert  man  wohl  beanspruchen  mag.  Ich 
muß  die  Honorar-Frage  noch  beantworten.)  .  .  . 
Herzlich  ergeben 

Joseph  J. 

An  seine  Frau 

Zürich  am  29""Okt'''.  [1866J 

.  .  .  Ach  wäre  ich  doch  ein  Vogel,  oder  ein  elektrischer 
Funke  noch  lieber;  trotz  Brahms,  ich  säße  wahrhaftig 
lieber  bei  Euch.  So  muß  ich  aber  jetzt  gleich  nach  Winter- 
thur,  wo  wir  heute  Abend  Concert  geben.  Brahms  ist 
einen  Zug  voraus,  will  üben,  wer 's  glaubt!  Er  nimmt 
sich's  jeden  Tag  von  Neuem  vor.  Ich  bin  neugierig,  wie 
er  sich  diese  Woche  in  den  4  Concerten  machen  wird; 
neulich  in  Schaff  hausen  wurde  es  mit  jedem  Stück  freier 
und  schöner,  aber  doch  ist  er  nicht  der,  den  wir  im  Zimmer 


398  Von  Herman  Grimm 

kennen.  Adieu,  ich  muß  nun  noch  meinen  wüthenden 
Hunger  an  der  Table  d'hote  stillen;  hier  ißt  man  immer 
^/„i,  nachher  bis  Winterthur  eine  Stunde  Fahrt,  morgen 
Vormittag  zurück.  Ich  denke,  ich  finde  Deine  lieben  Züge 
in  Winterthur.  Von  jetzt  an  adressire  nur  nach  Basel,  wo 
wir  am  3"^"  eintreffen  werden;  dort  u.  wahrscheinlich  in 
Mühlhausen  (auf  dem  Weg  nach  Paris)  noch  Concerte. 
Ich  bin  erst  am  Anfang  mit  dem,  was  ich  erzählen  will, 
muß  aber  aufhören.  .  .  . 

Von  Herman  Grimm 

Berlin  3o.  10.  66. 
Lieber  Joachim 

. . .  Wir  haben  uns  hier  nach  langwierigem  Umzüge  ein 
wenig  eingewohnt  endlich  in  der  neuen  Wohnung  und  be- 
finden uns  besser  als  in  der  alten.  Scholzens  sind  hier  und 
wohnen  nicht  weit  von  uns,  einige  Häuser  von  der  Schu- 
mann ehemaliger  Wohnung.  Er  hat  neulich  eine  Antritts- 
matinee gegeben.  Ich  ging  nicht  hin,  da  ich  die  dort  ver- 
sammelten Radamanthusse  nicht  kennen  zu  lernen  wünschte. 
Es  gefällt  ihnen  beiden  recht  gut  hier.  Möge  er  den  ge- 
wünschten Erfolg  und  Wirkungskreis  finden. 

Von  ihm  auch  höre  ich,  daß  Du  in  Paris  bist  und  will 
jetzt  ein  paar  Worte  schreiben,  um  Deine  Wohnung  zu 
erfragen.  Sei  doch  so  gut  und  sieh  Dir  im  Louvre  Hol- 
bein's  Portrait  des  Erasmus  von  Rotterdam  an,  ob  die 
Jahreszahl  MDXXVI  daraufsteht  oder  MDXXIII,  es  kommt 
mir  darauf  an  i).  Vielleicht  komme  ich  Dir  später  mit  noch 
ein  paar  dergleichen  Fragen.  .  .  . 


^)  Das  iSaS  gemalte  Bild  ist  undatiert. 


Von  Ernst  Rudorff  899 


An  seine  Frau 

Zürich  am  3i"="  [Okt.  66] 

Beifolgend  das  Programm  von  gestern  Abend,  das  Dir 
gewiß  auch  Freude  macht.  Jetzt  fängt  das  Concer- 
tiren  an,  mir  Spaß  zu  machen,  Brahms  kömmt  immer  mehr 
in  Zug  mit  Spielen;  es  war  alles  schön  gestern  Abend,  das 
Publikum  warm,  der  Saal  gefüllt  bis  auf  den  letzten  Platz, 
und  nun  hat  jeder  noch  über  5oo  Frs.  übrig.  Apropos, 
ich  schicke  Dir  von  Basel  aus  2000  Franken,  Sonntag 
spätestens;  leihe  einstweilen  von  Frl.  Unruh.  Hier  kann 
ich  das  Umcassiren  in  Thaler  und  Aufgeben  nicht  so  gut 
besorgen.  Heute  w^ar  übrigens  auch  ein  Tag  (jetzt  ist's 
6  Uhr  Abend),  der  unbeschreiblich  schön  genannt  werden 
kann.  Die  ganze  Alpenkette  wurde  noch  über  die  nächsten 
Berge  am  grün  und  bläulichen  See  sichtbar;  zum  Theil 
lOOOOfüßige  Schneeflächen,  das  glänzte  wunderbar  ma- 
jestätisch; .  .  .  wie  oft  dachte  ich  da  an  Dich!  Das  mußt 
Du  sehen!  .  .  . 

Das  Concert  in  Winterthur,  vorgestern,  ist  auch  ganz 
gut  ausgefallen;  blieb  für  jeden  270  Frcs.  ungefähr.  Mich 
freut's,  daß  Brahins  einmal  zum  öffentlichen  Spielen  ge- 
zwungen ist,  um  die  Publikumscheu  los  zu  werden. 

Ich  freue  mich,  daß  Du  auch  Orpheus  in  Hamburg 
singst;  wäre  ich  nur  auch  dort.  Hier  müssen  wir  noch 
einmal  zusammen  concertiren.    Gelt? 

Von  Ernst  Rudorff 

Cöln  Neumarkt  N"  17  d.  i"'"  November  1866. 
Lieber  verehrter  Herr  Joachim! 

Der  Auftrag  eines  Anderen   gibt  mir  den  Anlaß,  Sie 
einmal  wieder  schriftlich  aufzusuchen,  und  ich  nehme 
ihn  natürlich  gern  wahr.    Gestern  erhielt  ich  nämlich  von 


4oo  Von  Ernst  Rudorff 

einem  jungen  Musiker  Wolff  ^)  einen  Brief  aus  Brüssel,  der 
mir  den  Wunsch  ausspricht,  ich  möchte  bei  Ihnen  anfragen, 
ob  Sie  während  des  Winters  irgendwo  einen  dauernden 
Aufenthalt  nehmen  und  dann  vielleicht  gestatten  würden, 
daß  er  etwas  bei  Ihnen  studierte.  —  Der  junge  WolfF 
war  während  des  verflossenen  Jahres  hier  in  Cöln,  ist  im 
Violinspiel  Schüler  von  Königslöw  gewesen,  in  der  Com- 
position  Privatschüler  von  Hiller,  hat  mit  einem  Streich- 
quartett sich  den  Preis  in  der  Mozartstiftung  erobert  und 
ist  vor  Allem  eine  frische,  liebenswürdige,  bescheidene 
Natur,  der  ich  das  Glück  gönnen  möchte,  in  Ihrer  Nähe, 
unter  Ihrem  Einfluß  eine  Zeit  lang  zu  leben  und  von 
Ihnen  zu  lernen.  Über  seine  Leistungen  auf  der  Geige 
habe  ich  wenig  Urtheil,  daß  er  aber  tüchtig  musikalisch 
begabt  ist  und  für  sein  Alter  —  i8  Jahr  —  eine  sehr 
hübsche  Beherrschung  der  Mittel  und  Formen  in  eigenen 
Arbeiten  erreicht  hat,  darf  man  ihm  nachsagen.  —  Viel- 
leicht hat  Ihnen  auch  Hiller  schon  von  ihm  erzählt,  denn 
er  war  sehr  erbaut  von  seinem  Talent.  — 

Ursprünglich  sollte  er  nun  für  diesen  Winter  nach  Leipzig 
gehen,  besonders  um  bei  Hauptmann  zu  ai^beiten  und  ein 
anderes  Musikleben  kennen  zu  lernen ;  Hiller  hat  ihn  schließ- 
lich bewogen,  davon  abzustehen,  weil  er  Davids  Schule 
nicht  empfehlenswert  findet  und  die  Fortsetzung  der  Violin- 
studien für  mindestens  ebenso  wesentlich  hält,  als  die  fernere 
Ausbildung  in  der  Composition  —  daß  er  ihn  aber  zum 
Ersatz  mit  seinem  Rath  nach  Brüssel  befördert  hat,  ist  frei- 
lich etwas  unglaublich,  und  es  ist  wohl  ein  gutes  Zeichen, 
wenn  Einer  sich  dort  nicht  sehr  wohl  befindet  und  mit 
Sehnsucht  daran  denkt,  die  ungesunde  Luft  mit  besserer 
zu  vertauschen.  Leonard,  an  den  er  empfohlen  war,  geht 
in  nächster  Zeit  nach  Paris,  und  diese  Gelegenheit  möchte 
er  benutzen,  dort  abzubi'echen  und  zu  Ihnen  überzusiedeln, 
sobald  dazu  die  Erlaubniß  seines  Vaters  eingetroffen  ist.  — 

*)  L(!onh.  Wolff,  später  Univei.sitäts- u.  städtischer  Musikdirektor  in  Bonn. 


Von  Ernst  Rudorff  4oi 

Nun  handelt  es  sich  aber  in  erster  Linie  um  Ihr  Ja  oder 
Nein,  und  ich  darf  Sie  wohl  im  Interresse  des  jungen 
Mannes  bitten,  mir  bald  mit  ein  paar  Zeilen  Bescheid 
darüber  zu  sagen.  — 

Die  Signale  melden,  daß  Sie  Ihre  Häuslichkeit  nach 
Berlin  verlegen  wollen,  ich  glaube  es  aber  nicht,  ehe  ich 
es  nicht  von  Ihnen  selbst  weiß.  —  Das  Letzte,  was  ich  aus 
besserer  Quelle  von  Ihnen  erfuhr,  brachte  theils  ein  Brief 
von  Frau  Schumann,  theils  die  Beschreibung  eines  Abends 
bei  Hausmanns  in  Braunschweig  von  der  Hand  einer  recht 
feinen  liebenswürdigen  Frau,  die  Sie  beide  dort  gesehen 
und  gehört  hat,  Frau  v.  Pawel.  —  Sie  machte  meiner  Tante 
M.  Hoffmeister  zugleich  Hoffnung  auf  einen  Besuch  Ihrer- 
seits von  Harzburg  aus;  doch  sind  Sie  wohl  durch  das 
schlechte  Wetter  an  weiteren  Ausflügen  gehindert  worden.  — 

Mir  ist  es  nicht  gerade  gut  gegangen;  ich  habe  seit 
Februar  um  eines  rheumatisch-nervösen  Leidens  willen  im 
linken  Arm  so  ziemlich  auf  alles  Glavierspielen  verzichten 
müssen,  und  Kreuznach,  das  ich  zuletzt  brauchte,  hat  mir 
zwar  gut  gethan,  jedoch  noch  nicht  Alles  wieder  in  Ord- 
nung gebracht.  Aber  dieser  Sommer  war  freilich  der  Art, 
daß  man  eine  Zeit  lang  die  Musik  überhaupt  vergaß  und 
recht  zufrieden  sein  muß,  wenn  man  nach  der  Sündfluth 
das  alte  Leben  verhältnißmäßig  so  bald  und  so  unversehrt 
wiederfindet.  Bei  Ihnen  in  Hannover  ist  nicht  Alles  unver- 
sehrt, ich  denke  mir  aber,  daß  Sie  persönlich  kaum  sehr 
unzufrieden  mit  der  Lösung  der  Bande  sein  werden,  die 
Sie  an  König  Georg  fesselten. 

Kommen  Sie  denn  einmal  nach  Cöln  während  der  näch- 
sten Monate?  Ich  hoffe  sehr  darauf  und  wünschte,  es 
würde  mehr  daraus,  als  der  gewöhnliche  flüchtige  Besuch  zu 
einem  Gürzenichconcert.  —  Ihrer  Frau  Gemahlin  empfehlen 
Sie  mich  herzlich ;  ich  hörte,  daß  sie  im  Sommer  viel  leidend 
gewesen  wäre,  so  wünsche  ich  sehr,  daß  es  damit  besser 
sein  möchte  und  daß   auch  die   beiden   kleinen  Joachims 

26 


4o2  An  Clara  Schumann 

Ihnen  möghchst  viel  Freude  und  möglichst  wenig  Sorge 
durch  Krankheit  machen  mögen.  —  Einer  hoffentlich  gün- 
stigen Antwort  entgegensehend,  bin  ich  Ihr  wie  stets  in 
warmer  Verehrung 

ergebener 


An  Clara  Schumann 


Ernst  Rudorff. 


Basel  4  Nov.  [1866] 


Liebe  Frau  Schumann 

Mir  scheint's  unglaublich,  daß  es  schon  i4  Tage  sind, 
daß  wir  von  Ihnen  schieden,  unbegreiflicher  noch 
fast,  daß  wir  seitdem  nicht  an  Sie  geschrieben !  Zu  meiner 
Entschuldigung  (vor  mir  selber,  nicht  Ihnen  gegenüber, 
die  Sie  ja  so  nachsichtig  gegen  wirkliche  Freunde  sind!) 
kann  ich  sagen,  daß  ich  8  Mal  in  7  verschiedenen  Städten 
öffentlich  gespielt  und  dabei  noch  eine  Menge  Correspon- 
denz  etc.  zu  besorgen  hatte.  Im  Ganzen  hat  mir  die  Fahrt 
viel  Freude  bereitet,  und  wär's  nur,  daß  ich  wirklich  finde, 
wie  Johannes  mit  jedem  Mal  freier  und  schöner  spielt, 
sodaß  sein  geniales  Wesen  allmählig  auch  beim  Spieler  zum 
Durchbruch  kömmt.  Auch  scheint  er  selbst  Spaß  am  con- 
certiren  zu  haben,  und  so  hoffe  ich,  daß  er  die  Leute  all- 
mählig auch  in  Deutschland  zwingen  soll,  ihm  freudig  zu 
lauschen,  statt  zu  bekritteln. 

Die  beiden  Quartette  von  ihm  haben  mich  in  Zürich  und 
Aarau  wieder  recht  erwärmt;  namentlich  hat  das  A-Dur 
so  viel  Zartheit  und  Verklärung  an  vielen  Stellen,  daß  man 
nur  daran  zu  denken  braucht,  will  man  über  einzelne 
Rücksichtslosigkeiten  des  Freundes  hinweg  kommen.  Wer 
so  schreibt,  ist  edel  und  gut! 

Wie  schön  muß  es  am  Züricher-See  im  Sommer  sein! 
Nur  einen  Tag  lang  kam  die  Sonne  dort  zum  Durchbruch, 
und  da  genoß  ich  auf  der  Villa  Wesendonck  in  fast  sommer- 


An  seine  Frau  nach  Hamburg  408 

lieber  Wärme  den  ganz  südlicben  Cbarakter  dieser  wunder- 
baren Landschaft.  In  Bern  war's  nicht  so  schön  wie  vor 
5  Jahren.  Ich  hoffe,  wir  treffen  einmal  alle  noch  auf  dem 
Rigi  in  einem  schönen  Herbst  zusammen.  Von  Haus  habe 
ich  gute  Nachrichten.  —  Wir  spielen  die  Woche  noch  hier, 
am  10'*"  in  Mühlhausen,  am  11.  gehts  nach  Paris;  herz- 
lich ergeben 

Ihr  Joachim. 

An  seine  Frau  nach  Hamburg 

Basel  am  G""»  [Nov.  66] 

Ich  bin  eben  in  der  Fähre  über  den  Rhein  gefahren  und 
auf  den  Bergen  ein  wenig  geklettert.  Es  war  ein  wunder- 
schöner Nachmittag;  nur  die  Ferne  etwas  dunstig,  so  daß 
die  Alpen  nicht  zu  sehen  waren.  Dafür  die  Schwarzwälder 
Berge  und  die  Vogesen.  In  Deutschland  würde  man  das 
schon  eine  selten  schöne  Gegend  nennen.  Die  Beleuchtung 
ist  wahrhaft  zauberisch  hier  immer;  auch  der  Rhein  im 
raschen  Lauf  und  mit  seiner  unentweihten  Bläue.  Brahms, 
Riggenbachs,  Bargheer  der  Jüngere,  Bernoulli  etc.  waren 
mit,  lauter  liebe  Leute,  die  ganz  gut  zu  Dir  gepaßt  hätten. 
Wir  geben  hier  doch  kein  Concert;  es  ist  gar  zu  viel  los 
in  dieser  Woche,  noch  dazu  tobt  die  Messe  mit  ihren  Buden 
vor  dem  Concert-Lokal,  von  dem  einige  Zimmer  an  Affen- 
theater, an  eine  Riesin  und  derlei  vermiethet  sind,  so  daß  ich 
Sonntag  im  Abonnements -Concert  während  der  piano 
Stellen  ganz  gut  Contrabässe  und  große  Trommel  mit  Tanz- 
rhythmen von  unten  herauf  hörte.  Zudem  sagten  einige 
Freunde,  es  würde  ihnen  für  den  Ruf  der  Bas'ler  so  leid 
thun,  wenn  es  am  Ende  nicht  so  voll  würde,  wie  wir's  ge- 
wohnt —  und  diesen  Wink  haben  wir  verstanden!  Nun 
sagen  doch  alle,  es  wäre  Schade,  daß  wir  nicht  spielen, 
wir  lassen  uns  aber  nicht  irre  machen.  Man  muß  nur 
Concert  geben,  wenn  man  dazu  gedrängt  wird.    Bei  Mühl- 

26* 


4o4  An  seine  Frau 


hausen  bleibt's  aber,  am  lO""";  von  dort  gehe  ich  dann 
nach  Paris.  Wegen  Brüssel  hat's  noch  viel  Telegraphiren 
gegeben;  sie  wollten  dort  jedes  Opfer  bringen,  um  mich 
zu  veranlassen,  statt  in  Paris,  bei  ihnen  am  1 7'^"  zu  sein. 
Pasdeloup  kann  mich  aber  für  den  18'*"  (seine  Goncerts 
populaires)  nicht  entbehren.  Mir  thut's  leid,  denn  die 
Feierlichkeiten  werden  gewiß  lustig  in  Brüssel^).  Du  hast 
jetzt  die  Peri- Probe  schon  gemacht;  wenn  nur  das  Ganze 
so  schön  geht,  daß  Du  Genuß  davon  hast;  Du  mußt  mir 
ausführlich  darüber  berichten.  Ich  will  jetzt  zu  Bülow's 
Kammermusik -Soiree,  bin  gespannt,  wie  er  sich  in  den 
langen  Jahren  als  Spieler  entwickelt  hat.  Denke,  daß  er 
zu  den  3  Soireen  bis  gestern  kaum  20  Abonnenten  gefunden 
haben  soll.  Er  ist  hier,  außer  bei  Merian-Genasts,  die  ihm 
huldigen  und  räuchern,  wenig  beliebt;  scheint  auch  noch 
der  alte  freche  Parteigänger  wie  früher.  Es  hat  etwas 
Rührendes,  wie  er  sich  Liszt  und  Wagnern  aufopfert;  schade, 
daß  seine  guten  Eigenschaften  keinen  andern  Begeisterungs- 
Ranal  gefunden.  Wir  fahren  fort,  uns  zu  meiden.  Von 
Brahms  soll  ich  Dich  grüßen;  auch  Ottens  grüße  [von]  uns 
beiden.  .  .  . 


An  seine  Frau 

Mühlhausen    [11.  Nov.  66] 

Wie  geht's  Dir?  Ich  verlange  so  sehr  nach  Deinen 
Zügen;  nun  Avenue  Montagne,  29.2)  Eben  will 
ich  dahin  abfahren;  Bülow  sitzt  im  Cafe  des  Hotels  bei 
mir.  —  Er  war  mit  seinen  Schülern  hierher  nachgefahren, 
und  als  wir  uns  in  einem  schmalen  Gang  begegneten  und 
erst  aneinander  vorbeigegangen  waren  (wie  in  Basel),  drehte 
er  plötzlich   um  und  fiel  mir  um  den  Hals.     Das  klingt 

*)  bei  der  Krönung  Leopolds  II. 

*)  Die  Wohnung  von  Js.  Onkel  Bernhard  Figdor. 


An  Bernh.  Scholz  4^5 

komisch  —  aber  die  Wärme  von  dem  kleinen,  polemischen 
politischen,  Gott  weiß  was  alles,  Kerl  that  mir  doch  wohl. 
Wenn  man  Jugendzeit  frisch  mit  einander  verlebt,  bleibt 
doch  immer  was  davon  im  Herzen  sitzen,  und  das  ist  gut. 
Das  Goncert  war  hier  sehr  voll;  die  Aufnahme  enthusiastisch. 
Aber  nun  von  Hamburg!  Erzähle  recht  bald.  Brahms 
und  Bülow  grüßen.  Ich  werde  erst  morgen  früh  zu  Onkel 
Bernhard,  komme  zu  spät  an,  und  habe  mich  nicht  ge- 
meldet. .  .  . 

Dein 


An  Bernh.  Scholz 


Je. 


[Paris  12.  Nov.  1866] 
92,  Grand  Hotel. 


Lieber  Scholz 

Erst  heute  Morgen  ^/g  6  bin  ich  hier  angekommen  und 
erhalte  eben  Nachmittags  von  Szarvady's,  die  ich  auf- 
suchte. Deine  Zeilen,  auch  Herman  Grimms  Brief.  Die 
Eröffnung  des  Athenee,  so  heißt  die  Gesellschaft,  für  die 
ich  spiele,  ist  um  1 4  Tage  verschoben  worden,  daher  meine 
verspätete  Ankunft.  Ich  gab  in  der  Zwischenwoche  mit 
Brahms  in  Zürich  etc.  Concerte.  Mir  thut  es  von  Herzen 
leid,  daß  Du  so  lange  auf  Antwort  zu  warten  gehabt;  noch 
mehr,  daß  sie  nun  eine  Deine  Pläne  nicht  bestätigende  sein 
muß.  Meine  ganze  Zeit  bis  Ende  April  ist  voraus  durch 
Concerte  in  Beschlag  genommen.  Ich  werde  kurz  vor 
Weihnachten  erst  nach  Hause  kommen;  habe  Neujahr  mit 
Ursi  in  Leipzig  zu  musiciren  versprochen,  am  4"^"  i"^ 
FrankP  a/M!  Am  i4'^"  J.  ist  schon  in  London  das  erste 
Pop;  von  dort  habe  ich  ein  Versprechen  an  den  Kopen- 
hagener Verein  zu  erfüllen.  Es  ist  absolut  keine  Möglich- 
keit für  mich,  Berlin  vor  dem  Frühjahr  aufzusuchen. 
Übrigens  ist's  nun  einmal  meine  Privatmeinung,  daß  ich 


4o6  An  seine  Frau 


dem  König  und  der  Königin  nicht  das  creve-coeur  bereiten 
darf,  mich  nun  sofort  nach  Berhn  zu  wenden;  ich  habe  ein 
Rachegefühl  zu  nähren  gesucht  und  will  für  Satter  i)  keine 
revanche  nehmen,  auch  Schorsen  gegenüber. 

Nimm,  lieber  Freund,  mit  diesen  eiligen  Zeilen  fürlieb. 

Dein 

Joseph  J. 

An  seine  Frau 

Paris  [i3.  Nov.  66] 

Seit  gestern  früh  sitze  ich  denn  hier  im  großen  Babel, 
und  wie  Du  siehst,  nicht  bei  Bernhards,  weil  sie  noch 
in  Soisy^)  sind.  Ich  hatte  mich  vorgestern  von  Brahms  und 
Bülow  verleiten  lassen,  den  1 1'^"  noch  mit  ihnen  zuzubringen 
und  mit  dem  Nachtzug  zu  reisen,  so  daß  ich  denn  erst  gestern, 
d.  12'^"  S%^^  Morgen  um  1/36  hier  anlangte.  Ich  schlief 
gut  aus  und  fuhr  dann  nach  der  Avenue  Montagne,  aber 
vergebens!  Da  ich  nun  alle  Briefe  dahin  zu  adressiren  be- 
auftragt hatte,  ist  das  recht  fatal!  Eben  bevor  ich  diesen 
Satz  anfing,  erhielt  ich  ein  Telegramm  aus  Soisy,  daß  ein 
Brief  von  Dir  und  ein  recommandirter  anderer  da  draußen 
bei  ihnen  angekommen  ist !  Ich  hatte  mich  so  auf  Deinen 
Brief  gefreut,  nun  muß  ich  noch  bis  morgen  warten!  — 
Eben  war  ich  beim  Telegraphen  (hier  im  Hotel  ist  Alles 
bei  der  Hand)  und  habe  meine  Ungeduld  dadurch  be- 
schwichtigt, daß  ich  um  Deinen  Brief  telegraphirte;  auch 
habe  ich  Bernhard  Figdor  hier  für  morgen  ein  Rendez- 
vous gegeben.  Gestern  sah  ich  Szarvady's,  Pasdeloup,  und 
wohnte  Abends  einer  Orchester- Probe  für  das  Atheneum^) 

*)  vgl.  Fischer  S.  282  fu.  285  f. 
^)  Dort  besaß  der  Onkel  ein  schönes  Landhaus. 

^)  Über  die  Gründung  des  Athenee  durch  das  Bankhaus  Bischoffsheim 
u.  Co.  s.  Ludw.  Bamberger,  Erinnerungen  1899,  S.  368. 


An  seine  Frau  4^7 


bei.  Der  Saal  ist  noch  immer  nicht  fertig!  Sie  hämmern, 
malen  und  mauern  sogar  noch  hie  und  da  herum,  und  ich 
begreife  nicht,  wie  sie's  anfangen  wollen,  Freitag  schon 
vor  einem  geladenen  Publikum  den  Saal  zu  inauguriren, 
(wozu  ich  die  Gesangs -Scene  spielen  soll).  Die  eigentliche 
Eröffnung  für  das  zahlende  Publikum  soll  nächste  Woche 
stattfinden,  und  ich  spiele  deßhalb  auch  Sonntag  noch 
nicht  bei  Pasdeloup  im  „Populaire".  Alle  diese  Änderungen 
haben  was  Ungemüthliches;  auch  ist's  dumm,  daß  wir  nun 
das  Concert  in  Basel  nicht  mehr  gegeben  haben,  es  wäre 
recht  gut  Zeit  gewesen?  Und  auch  Brüssel!  Übrigens 
geht  mein  Engagement  hier  am  i5'^"  an,  dabei  bleibt's. 
Einstweilen  ist's  mir  vom  Pariser  Lärm  noch  ziemlich  dumm 
im  Kopf;  ich  ruhte  gestern  zum  Mittag,  d.  h.  ^/g  7  im  Cafe 
Foy  aus,  und  dachte,  wie  schön  es  war,  als  Du  vor 
1 1/2  Jahren  an  demselben  Platz  neben  mir  saßest  und  wir's 
uns  gut  schmecken  ließen.  Ich  laufe  immer  zu  Fuß  und 
habe  mir's  zum  Prinzip  gemacht,  das  soviel  wie  thunlich 
fortzusetzen.  .  .  . 
Adieu  bis  morgen. 

Dein 

Je. 

An  dieselbe 

[Paris]  Am  1 5'«"  [Nov.  66] 

Endlich  gestern  Deine  lieben  Schriftzüge !  Bernhard  war 
in  der  Stadt  und  wohnte  Abends  der  Probe  für's 
Athenee  bei  —  die  Leute  waren  sehr  lebhaft,  sie  hören 
wirklich  mit  Genuß  zu,  und  das  macht  einem  Spaß.  Aber 
denke,  die  Eröffnung  ist  nun  erst  nächsten  Mittwoch;  es 
ist  etwas  in  der  Beleuchtung  vernachlässigt!  Ich  will  eben 
aus  dem  Hotel  zu  Szarvady's  ziehen,  denn  Figdor's  kommen 
erst  nächste  Woche  in  die  Stadt,  und  mir  ist's  zu  un- 
behaglich,   im   Hotel    zu   üben,  auch  habe  ich  ein  ganz 


4o8  An  seine  Frau  nach  Hainburg 

dunkles  Zimmer,  für  das  ich  doch  lO  Frcs  täghch  exclusive 
Bedienung  zahlen  muß!  Szarv.'s  haben  so  sehr  gebeten, 
daß  ich  nicht  umhin  konnte  anzunehmen.  Sie  sind  sehr 
theilnehmend.  Nun  aber  zur  Hauptsache,  weßhalb  ich 
eigentlich  noch  in  aller  Eile  von  hier  aus  ein  Wort  schicke: 
Es  steht  Dir  natürlich  frei,  so  lange  in  Hamburg  zu  bleiben, 
als  Du  für  nützlich  findest.  .  .  .  Wir  haben  ja  immer  ge- 
funden, daß  Dir  Stockh.  noch  nützen  kann;  lasse  Dir  nur 
meine  liebe  Stimme  nicht  überanstrengen. 

An  seine  Frau  nach  Hamburjj 

Soisy  [-Paris]  Sonntag  [i8.  Nov.  66] 
ch  bin  gestern  hier  heraus  gekommen,  habe  Corneliens  ^) 


I 


Geburtstag  mitgefeiert  und  will  jetzt  wieder  zur  Stadt, 
wo  ich  Pasdeloup's  Concert  hören  muß,  weil  es  mir  wichtig 
ist,  das  Lokal  zu  kennen,  bevor  ich  nächsten  Sonntag  selbst 
dort  spiele.  Hier  denke  ich  bei  jedem  Schritt,  Du  müßtest 
mir  begegnen;  so  heiligt  Dein  liebes  Wesen  auch  diese 
Stätte,  die  ja  sonst  nicht  viel  von  Dir  an  sich  hat.  Es  ist 
das  alte  Leben  hier,  so  nett  und  erfreulich  die  einzelnen 
sind,  Mimi  (die  sich  recht  lieb  entwickelt  und  viel  ruhiger 
geworden  ist),  die  Tante  mit  ihrem  Talent,  eine  reizende 
Hausfrau  zu  sein,  die  Fumagalli,  anziehend  wie  immer,  ich 
könnte  es  hier  nicht  lange  aushalten.  Es  fehlt  ein  gemein- 
sames Band,  das  Vergnügen  und  der  echte  Ton  geistiger 
Befriedigung  stellen  sich  nicht  ein.  Ich  begleitete  gestern 
der  Fumagalli  ein  paar  Sachen,  die  sie  zum  Theil  recht 
hübsch  sang.  Der  Oncle  hatte  den  Takt,  mich  Abends  (wo 
ein  großes  Diner  mit  den  Sommitäten  der  Nachbarschaft 
und  einigen  Attaches  war)  nicht  aufzufordern  zu  spielen, 
was  hübsch  von  ihm  ist.  Szarvady's  waren  nicht  mitge- 
kommen, es  wäre  zum  Accompagnement  Niemand  da  ge- 

^)  Figdors  Frau. 


An  seine  Frau  nach  Hamburg  4^9 

wesen.  .  .  .  Ich  habe  bis  jetzt  noch  ein  recht  zerstreutes 
Leben  geführt,  war  3  Abende  hinter  einander  iin  Theater. 
Es  wird  so  vollendet  in  den  kleinsten  Theatern  gespielt, 
daß  es  wirklich  eine  große  Versuchung  ist;  mir  thut's  zu 
leid,  daß  Du  das  nicht  mit  genießest.  Vorgestern  Abend 
hörte  ich  die  Alceste  in  der  großen  Oper.  Man  merkte 
es  dem  Ganzen,  namentlich  den  Leistungen  der  sonst  nicht 
gerade  hervorragenden  Solo-Sänger  an,  daß  Berlioz  die 
Sache  einstudirt  hatte  —  einzelne  Accente  in  der  Decla- 
mation,  Steigerungen  in  den  Scenen  waren  ergreifend,  ob- 
wohl Berlioz  nicht  selbst  in  der  Oper  dirigirt.  Mit  den 
Chor-  und  Orchester-Mitteln  hätte  sich  unübertrefflich 
Hohes  leisten  lassen;  da  kommt  aber  mein  flaches  franzö- 
sisches Völkchen  —  das  Orchester  spielte  ohne  Freude  an 
der  Sache,  der  Chor  amusirte  sich  mit  Schwatzen  und 
Scherzen  und  Gaffen  bei  den  ernstesten  Scenen,  weil  ein- 
mal im  Publikum  auch  keine  Theilnahme  bemerkbar  ist: 
das  Haus  war  ^j^leer,  und  das  steckt  die  Spielleute  (Mu- 
siker mag  ich  sie  nicht  nennen)  mit  Flauheit  an.  —  Ich 
hätte  sie  durch  Prügel  anfeuern  mögen,  die  verdammten 
Kerle,  die  jedes  kleinste  Solo  so  schön  wiederzugeben 
wußten,  und  im  Ganzen  Schlafhauben  darstellten.  Erst 
als  es  zum  Ballet  näher  rückte,  füllten  sich  allmälig  die 
Bänke  mit  störenden  Kommenden,  und  als  die  Alcesten- 
Akte  (den  letzten  gaben  sie  garnicht!)  zu  Ende 
waren,  sah  das  Haus  brillant  und  voll  aus.  Da  hättest  Du 
hören  sollen,  mit  welchem  Feuer  und  Gusto  die  Kerls  die 
pikanten  Ballet-Klänge  wiedergaben;  ich  blieb  aber  nicht 
zum  Schluß,  obwohl  ich  sagen  muß,  daß  es  einen  gewissen 
sinnlich  erregenden  Eindruck  auf  mich  machte,  .  .  . 


4iO  An  seine  Frau  nach  Hamburg 


An  seine  Frau  nach  Hamburg 

[Paris]  Mittwoch  [21.  Nov.  66,] 

Du  wirst  jetzt  schon  längst  meine  EinwilHgung^)  und 
einen  spätem  Brief  in  Händen  haben.  Ich  freue  mich, 
daß  Du  Deinen  Wunsch  endhch  ausführen  kannst,  und 
bin  auf  die  Resultate  gespannt.  Lasse  Dir  nur  Deine  Brust 
nicht  zu  sehr  anstrengen;  man  sagte  mir  manchmal,  daß 
Garcia  und  Stockh.  dazu  neigten,  die  Stimme  anzugreifen. 
Ich  verstehe  nichts  davon,  will  aber  doch  den  Wink  nicht 
unterlassen.  Was  mir  bei  Deinem  Gesang  manchmal  fehlte, 
ist :  daß  er  nicht  rhythmische  Präcision  genug  besaß  —  daß 
Du  nicht  aus  Wahl,  sondern  aus  Unbeholfenheit  oft 
länger  als  gut  auf  einem  Ton,  einer  Silbe  verweiltest. 
Es  geht  beim  Spielen  den  meisten  Geigern  mit  dem 
Bogen  so,  daß  sie  nicht  durch  die  geistige  Conception,  son- 
dern durch  das  Maaß  ihrer  technischen  Gewandtheit  den 
Vortrag  der  Phrasen  bestimmen  lassen  müssen.  Ich  denke 
mir,  daß  der  Tadel  Deiner  Aussprache  mit  daher  rührt; 
denn  Niemand  hat  mehr  Sinn  für  schöne,  charakteristi- 
sche Deklamation  sonst,  als  gerade  Du.  Darin  wird  Dir 
Stockhausen  gewiß  nützen,  auch  die  richtigen  Mittel 
anzuwenden,  Dein  richtiges  Gefühl  zu  vollem  Ausdruck 
zu  bringen.  Übrigens  haben  mich  die  Recensionen  als 
Zeugen  des  Eindrucks,  den  Du  hervorgebracht,  sehr  gefreut. 
Mir  ist  aber  selten  soviel  Dummheit  und  ohnmächtige  Ge- 
meinheit vorgekommen,  wie  in  den  eingesandten  Angriffen 
gegen  Stockhausen.  Möchte  er  sich  vor  seinen  Freunden 
ebenso  gut  schützen  können,  wie  er  vor  dem  ihm  von  den 
Angreifern  zugedachten  Schaden  bewahrt  ist.  Übrigens 
leistet  Böie^)  offenbar  an  Blödsinn  und  Ungeschick  noch 
mehr  denn  als  Musiker;  Herr  Jemine!  was  ein  Concept! 

')  bei  Stockhausen  in  Hamburg  einige  Wochen  zu  studieren. 
^)  Violinist  in  Hamburg. 


An  seine  Frau  nach  Hamburg  4i' 

Der  Kerl  verwundet  sich  bei  jedem  Ausfall  selbst  und 
glaubt  noch  dazu  seines  Gegners  Blut  zu  sehen,. wenn  er 
sich  geschrammt  hat!  —  Heute  schieße  ich  hier  endlich 
los;  die  Inauguration  de  la  Salle  findet  statt.  Freitag  spiele 
ich  wieder,  und  Sonntag  bei  Pasdeloup  im  großen  Cirkus. 
Du  hast  keine  Idee  von  der  Herzlichkeit  des  Orchesters 
für  meine  Leistungen:  als  ich  gestern  mit  den  Musikern 
schon  für  nächsten  Sonntag  das  Mendelssohn'sche  Concert 
vorläufig  durchnahm  (circa  lOO  Musici  im  Conservatoriums- 
Saal,  wo  sie  die  Proben  halten),  dauerte  ihr  Zuruf  nach 
jedem  Satz  Minuten  lang,  und  das  sind  dieselben  Kerle, 
die  bei  dem  kleinsten  Aufenthalt  gleich  mit  den  Füßen 
stampfen  vor  Ungeduld,  fertig  zu  sein.  Wenn  ich  nur  auch 
ihren  Erwartungen  entsprechend  öffentlich  spiele!  Ich 
hoffe,  daß  ich  nicht  wieder  so  eine  Dummheit  mache,  wie 
im  Conservatoire  seiner  Zeit  beim  Anfang.  Der  Anblick 
der  Concerts  populaires  im  Cirque  hat  etwas  wahrhaft  Im- 
posantes. Wie  da  gegen  5ooo  Menschen,  vom  Akademiker 
bis  zum  Ouvrier,  gedrängt  lauschend,  urtheilend,  gläubig, 
genießend  sitzen.  Und  welch'  ein  Ausbruch  von  Sympathie 
nach  einem  Haydn'schen  oder  Mendelssohn'schen  Satz,  den 
sie  wie  vorigen  Sonntag  zweimal  hören  müssen,  denn  eher 
ruhen  sie  nicht!  Das  würde  Dir  auch  gefallen,  und  ich 
brenne  eigentlich,  dort  zu  spielen,  und,  weiß  Gott,  nicht  aus 
Ehrsucht,  sondern  weil  ich's  schön  finde,  Menschen  das 
Schöne  lieben  zu  machen.  Der  Klang  ist  für  die  Größe 
des  Lokals  gar  nicht  schlecht;  wenigstens  sehr  klar  und 
deutlich,  wenn  auch  natürlich  das  Forte  nicht  imposant. 
Mein  Arm  mahnt  aufzuhören ;  ich  habe  eine  gute  Saite  auf 
der  Geige.  Szarvady's  grüßen,  ich  fühle  mich  sehr  wohl 
bei  ihnen  u.  bleibe  bis  Montag  gewiß  da.  Figdor's  ziehen 
heute  oder  morgen  in  die  Stadt.  —  Die  Adresse  heißt 
nicht  A  V.  Montag  ne  sondern  Montaigne  nach  dem  großen 
Essayisten,  nebst  Moliere  meinem  französischen  Lieblings- 
schriftsteller. .  .  . 


4i2  An  seine  Frau  nach  Hamburg 


An  seine  Frau  nach  Hamburg 

[Paris]  Sonntag,  1 1  Uhr  [aS.  Nov.  66.] 

Nur  ein  paar  Worte,  denn  da  ich  um  i  Uhr  im  Cirque 
Napoleon  spiele  (worauf  ich  mich  übrigens  freue),  so 
darf  ich  meine  Hand  nicht  ermüden.  Morgen  erfährst 
Du  dann,  wie's  gegangen  hat,  und  schicke  ich  Dir  dann 
das  Programm,  wie  heute  das  vom  vorigen  Sonntag  (wo 
ich  nicht  spielte)  und  vom  Athenee,  vorgestern.  Dieses 
ist  sehr  langweilig  —  die  Leute,  welche  es  unternehmen, 
verstehen  gar  nichts  von  Kunst  und  haben  nicht  einmal 
savoir  faire,  die  Annoncen  sind  ungenügend,  sie  stoßen  die 
Leute  aus  Dummheit  vor  den  Kopf,  die  sie  gewinnen  soll- 
ten —  kurzum  sie  benehmen  sich  wie  reiche,  nach  Jeru- 
salem zuständige  Geldprotzen.  Ich  habe  Herrn  Bischofs- 
heim &  Co.  keinen  Besuch  gemacht,  u.  werde  es  auch 
nicht.  Ein  Glück,  daß  ich  mich  in  die  Sache  nicht  einließ, 
die  Geschichte  zu  dirigiren.  Montag  führen  sie  die  Jahres- 
zeiten auf.  .  .  . 


An  dieselbe 

[Paris]  Montag.  [26.  Nov.  66.] 

Liebes  Kind 

Ich  habe  Szarvady  versprechen  müssen,  daß  ich  Dir  von 
ihm  sagen  werde,  ich  hätte  gestern  den  schönsten  Erfolg 
gehabt,  der  bis  jetzt  im  Cirque  bei  Pasdeloup's  Concerten 
vorgekommen  ist.  Es  war  wirklich  prächtig  zu  erleben, 
und  Du  hättest  Dich  gefreut  dabei  zu  sein,  denn  die  Auf- 
nahme war  noch  herzlicher  als  im  Conservatoire.  Das  Eis 
ist  also  auch  dem  Pubhkum  gegenüber  gebrochen,  das 
5ooo  Köpfe  stark  vertreten  war.  Wie  eine  Art  Erdbeben 
kömmt  die  leiseste  Zustimmung  zum  Spieler  herauf,  man 


An  Herman  Grimm  ^i3 

erschrickt  fast.  Ich  habe  glückUch  gespielt;  es  ist  aber  eine 
große  physische  Anstrengung  in  dem  außerordentUchen 
Raum,  Am  Schluß  des  Goncerts  (nach  der  Ouvertüre) 
riefen  mich  viele  Stimmen  nochmal  —  Joaschehng,  und 
ich  mußte  neuerdings  Buckerl  machen.  So,  nun  hab'  ich's 
erzählt.  Ich  werde  wohl  noch  öfter  spielen,  als  ausgemacht 
war.  Jetzt  muß  ich  zu  Oncle  umziehen;  es  ist  Schade, 
denn  ich  fühlte  mich  schon  sehr  behaglich  bei  Szarvady's; 
die  haben  ein  wahres  Juwel  von  einer  alten  Miß  Black ^). 
Heute  sind  im  Athenee  Haydn's  Jahreszeiten  (auf  fran- 
zösisch), die  muß  ich  hören. 

An  Herman  Grimm 

[Paris  Ende  Nov.  1866.] 

Lieber  Herman 

Das  gewünschte  Klavier  von  Pleyel  habe  ich  vor  einigen 
Tagen  schon  mit  Frau  Szarvady  ausgewählt;  es 
sollte  revidirt  werden  und  geht  dann  mit  „petite  vitesse" 
nach  Berlin,  so  daß  es  jedenfalls  vor  Weihnachten  bei 
Euch  eintreffen  wird.  Ich  habe  es  an  Dich  adressiren 
lassen  für  alle  Fälle.  Wir  haben  unter  drei  guten  Instru- 
menten dasjenige  gewählt,  welches  Deiner  Specialität 
sanfter  Gedämpftheit  am  meisten  entspricht.  Ich  denke,  es 
wird  Euch  allen  gefallen,  und  freue  mich  darauf,  dem- 
nächst einmal  dazu  zu  musiciren. 

Das  Bild  des  Erasmus  von  Holbein  (ist  das  in  Basel  ein 
Duplikat?)  habe  ich  einmal  bei  trübem,  darauf  bei  hellem 
Wetter  untersucht,  ohne  eine  Spur  von  Datum  entdecken 
zu  können;  auch  ein  copirender  Franzose,  den  ich  um 
Aufklärung  bat,  konnte  nicht  helfen.  Ich  habe  nun  einen 
Bekannten  (der  zum  Intendanten  des  Louvre's,  Comte  de 
Nieuwkerk  in  Beziehung  steht)  ersucht,  mir  officielle  Be- 

*)  so  hieß  das  Kinderfräulein  bei  Js. 


4i4  An  seine  Frau  nach  Hamburg 

lehrung  zu  verschaffen,  und  werde  Dir  hoffenthch  dem- 
nächst etwas  darüber  sagen  können. 

In  Aarau  habe  ich  Deine  schöne  Itahenerin  bei  Herrn 
Rothpelz  mit  großem  Genuß  gesehen;  er  war  leider  krän- 
kelnd und  unsichtbar,  hingegen  leuchtete  eine  Art  alter 
Sänne  ^),  welche  mir  die  Zimmer  aufschloß,  ordentlich  auf, 
als  ich  Deinen  und  Gisels  Namen  nannte  und  frug,  ob  Ihr 
dagewesen  seid.  .  .  .  Lebe  für  heute  wohl;  grüße  die  Deine 
und  die  Deinen  von  Herzen 

von  Deinem 

Joseph  J. 

An  seine  Frau  nach  Hamburg 

[Paris]  29,  Avenue  Montaigne. 
Donnerstag.  [29.  Nov.  66] 

Es  ist  hier  nicht  so  gemüthlich  wie  bei  Szarvady's,  wo's 
Kinder  (2  Buberl  von  9 — 10  und  ein  Mädi  von 
4  Jahren)  giebt!  Auch  wird  hier  mittelmäßige,  italienische 
Musik  gemacht,  wie  Du  weißt,  u.  bei  aller  Liebe  und 
Theilnahme  fehlt's  an  dem  Henkel,  mich  recht  zu  fassen. 
Heute  werden  wir  mir  zu  Lieb  in's  Theatre  francais 
gehen,  das  Burgtheater  für  Paris,  das  wäre  was  für 
Dich!  Ich  war  doch  seit  der  Alceste  nicht  wieder.  Hast 
Du  Dich  denn  über  den  Erfolg  gefreut?  Ich  habe 
doch  eine  Art  Gefühl,  als  hätte  ich  für  deutsche  Art  eine 
Lanze  gebrochen,  und  bin  meines  Siegs  froh.  Wenn  ich 
nur  gut  weiter  kämpfe!  Nächsten  Sonntag  spiele  ich 
Viotti's  A  moll-Concert  bei  Pasdeloup^)  (Brahms'  Lieblings- 
stück), morgen  Mendelssohn's  und  die  F  dur  Romanze  von 
Beeth.  und  das  Abendlied  im  Athenee.  Die  Direktion 
dieser  Concerte  hat  geglaubt,   ich  müßte  so  oft  spielen, 

*)  das  alte  Mädchen  bei  Wilh.  Grimm. 

')  Vgl.  A.  Pougins  „Viotti  et  l'ecole  moderne  de  violon",  pag.  laa. 


An  seine  Frau  nach  Hamburg  4'^ 

wie  sie  wollte,  und  da  sich  zum  Glück  mein  Brief  vorfand, 
worin  6  Mal  genau  angegeben  ist,  so  wollten  sie  erbetteln, 
daß  die  Inauguration  nicht  mitgezählt  wird  —  ich  war  so 
empört,  daß  ich  auf  nichts  einging.  Es  ist  schofles  Geld- 
pack! .  .  . 

An  dieselbe 

[Paris  I.  Dez.  66]  Samstag. 

Ich  komme  hier  schön  in's  Arbeiten  hinein,  leider  nur 
in's  Spielen  heißt  das ;  morgen  also  bei  Pasdeloup,  über- 
morgen im  Athenee,^  Freitag  wieder  daselbst.  Es  war 
gestern  Abend  ganz  voll  (obwohl  die  Plätze  furchtbar 
theuer  sind:  y^/g,  6  u.  4  Frcs.  und  die  Leute  das  Annon- 
ciren sehr  vernachlässigen).  Mir  ist  das  sehr  lieb,  da  sie 
mit  mir  „handeln"  wollten.  Jetzt  hat  Pasdeloup  die  2  Male, 
die  ich  bei  ihm  spielen  sollte,  den  Athenee-Leuten  abge- 
treten, u.  wird  sich  mit  mir  für  seine  Concerte  besonders 
abfinden.  Es  waren  eine  Masse  Geiger  gestern  Abend  ver- 
treten, u.  A.  Beriot  u.  Leonard.  Ersterer  ist  ganz  erblindet, 
der  Ärmste!  Ich  habe  eben  schon  im  Cirque  probirt  und 
muß  nun  gleich  wieder  in's  Athenee,  um  Beethovens  Con- 
cert  mit  dem  Orchester  zu  spielen.  .  .  . 

An  dieselbe 

[Paris]  29  Avenue  Montaigne.  Montag.  [3.  Dez.  66.] 

Gestern  war's  bei  Pasdeloup  noch  glänzender  wie  das 
erste  Mal;  Viotti  ging  auch  recht  gut.  Ich  lege  das 
Programm  bei.  Es  sollen  zwischen  lOOO — 2000  Menschen 
abgewiesen  worden  sein,  und  man  bot  3o — 5o  Frcs.  für 
Sitze.  Wärst  Du  doch  dabei  gewesen.  . . .  Heute  in  14  Tagen 
trete  ich  den  Rückweg  an,  werde  aber  in  Roubaix  (auf  der 
Eisenbahnlinie)  wahrscheinlich  aufhalten,  um  lOOO  Frcs. 


4i6  An  seine  Frau  nach  Hamburg 

mitzunehmen.  Heinrich  hat  mich  obendrein  darum  ge- 
beten, da  Geschäftsfreunde  von  ihm  darum  durch  ihn  an- 
halten. Ich  bin  so  mit  Anfragen  von  allen  Seiten  zu  Con- 
certen  überhäuft,  daß  ich  Ende  April  auf  1 4  Tage  wieder 
zu  kommen  vor  habe;  es  ist  Schade,  daß  ich  nach  Eng- 
land muß,  ich  könnte  hier  noch  mehr  verdienen.  Du  mußt 
aber  im  Frühjahr  mit  hieher  und  die  Ausstellung  ansehen, 
nicht  wahr?  .  .  .  Gestern  ging  ich  an  einer  Bettelfrau  vor- 
über, die  einen  kleinen  Jungen  auf  dem  Arm  hatte,  u. 
Oncle  B.  sagte,  das  wäre  ein  Miethkind,  um  die  Leute  zu 
erweichen.  Der  Bub'  fing  aber  zu  schreien  an,  und  genau 
so  wie  unser  Hermani,  daß  mir's  ganz  schwer  vor  Sehn- 
sucht wurde.  .  .  . 


An  seine  Frau  nach  Hamburg 

[Paris  6.  Dez.  66.J 

Du  hast  mich  vorgestern  aus  großer  Angst  erlöst  — 
ich  wollte  gerade  telegraphiren.  Gottlob,  daß  Ihr 
alle  wohl  seid.  Ich  freue  mich  über  Dein  eifriges  Studiren ; 
über  die  Art,  Dich  gegen  Deinen  Lehrer  erkenntlich  zu 
zeigen,  können  wir  mündlich  sprechen.  Siehst  Du  vielleicht 
einen  Kupferstich,  „der  nicht  bei  Stockhausen's  ist",  so 
merke  Dir  ihn.  Wann  gehst  Du  nach  Hannover?  Du  hast 
mehrere  Fragen  nicht  beantwortet,  thu's  doch  bald.  Mein 
Erfolg  ist  hier  wirklich  groß  gewesen  —  die  große  Oper 
hat  mir  den  Antrag  machen  lassen  (Monsieur  Perrin), 
6  Mal  dort  zu  spielen,  das  soll  seit  Paganini  nicht  passirt 
sein.  Erzähle  es  Stockhausen.  Ich  habe  nicht  an- 
genommen, denn  ich  mag  die  paar  ruhigen  Feiertage  bei 
Euch  nicht  aufgeben.  Wie  freue  ich  mich  auf  diesen  inner- 
lichen und  äußern  Frieden,  mein  Kind  und  meine  Kinder! 
Ich  spiele  morgen  noch  hier  im  Athenee,  Sonntag  bei  Pasde- 
loup,  nächste  Woche  wieder  im  Ath.,  am  i5.  in  Bordeaux, 


An  seine  Frau  4^7 


am  i8'*"  auf  dem  Heimweg  in  Roubaix  und  am  20.  in 
der  Hölty-Straße  mit  Putz  und  Hermänni.  In  pekuniärer 
Hinsicht  ist  die  Sache  hier  so  dumm  wie  mögUch  an- 
gefangen worden  —  aber  ich  habe  doch  von  der  ganzen 
Reise  etwa  ,10000  bis  1 1  000  Frcs.  Vielleicht  läßt  es  sich 
ein  ander  Mal  nachholen!  Willst  Du  Mitte  April  mit  mir 
herkommen? 

Rossini  läßt  Dich  grüßen;  sie  kam  selbst,  um  mich  zu 
Sonnabend  zum  Essen  zu  laden.  Er  hatte  ihr  gesagt 
„ammene-moi  Joachim",  da  ich  nur  einmal  eine  Karte 
dort  gelassen.  Der  Kerl  hat  ein  so  schönes  Fuchsgesicht! 
Ich  sagte  ihm.  Du  studirst  fleißig,  um  ihm  was  vorzusingen. 

An  dieselbe 

[Paris]  Donnerstag.  [i3.  Dez.  66] 

Ich  bin  eigentlich  so  froh,  daß  Du  nicht  „Ja"  gesagt 
hast,  und  daß  Dir  unsre  deutsche  Häuslichkeit  so  viel 
ist!  Natürlich  bleibe  ich  nun  hier  und  lasse  Euch  zu 
Weihnachten  allein,  und  Du  kannst  auch  ohne  mich  nach 
Leipzig  und  Frankfurt,  und  ich  habe  Euch  doch  nebenbei 
ein  wenig  lieb,  und  Succes  und  Geld  ist  aber  die  Haupt- 
sache!   Gelt!!! 

...  Ist  das  Programm  nicht  schön?  Wenn's  nur  für 
einen  Deutschen  nicht  so  viel  zu  ärgern  gäbe,  in  jedem 
Concert,  dem  besten  auch!  Gestern  Abend  freue  ich  mich, 
als  die  „Gavotte  "für  Orchester  losgehen  soll,  auf  meinen 
alten  Sebastian  mit  Trompeten  aus  der  Orchester -Suite  — 
fangen  Dir  ein  paar  Oboen  einen  Trauermarsch  an  —  eine 
arrangirte  Klavier-Bourre,  nur  zweimal  gut  zu  langsam, 
und  ich  wachse  vor  Ungeduld  und  Arger  aus.  Na;  aber 
Haydn  war  sehr  schön,  und  manche  Logen  waren  in  der 
Zerstreuung  doppelt  verkauft,  und  es  war  sehr  belebt,  in 
dem  Lokal,  wo  vor  kurzem  kaum  200  Menschen  ver- 
krümelt saßen.  .  .  . 

37 


4i8  An  Theodor  Ave-Lallemant 


An  seine  Frau 

[Pau]  Montag,  d.  17.  [Dez.  1866] 

Wie  weit  sind  wir  von  einander!  Gestern  habe  ich 
im  Herkommen  ganz  wunderschön  die  Pyrenäen 
mit  weißen  Häuptern  gesehen;  Spanien  ganz  nahe  —  und 
doch!  ich  wollt'  es  wäre  der  Deister.  Nun,  morgen  geht's 
mit  Riesenschritten  heimwärts,  und  heute  über  8  Tagen 
werde  ich  Putz  mit  seinen  neuen  Spielsachen  um  die  Zeit 
beschäftigt  sehen  —  „nein,  reizend!"  „sieh'  mal"!  Ich 
thu's  für  ihn  und  sein  Brüderl,  daß  ich  nun  noch  so  weit 
hcrumkutschire  —  es  kann  auch  heute  eine  Einnahme 
von  2000  Frs  geben,  die  mußte  ich  doch  mitnehmen  von 
Bordeaux  aus.  Leider  regnete  es  die  ganzen  Tage  er- 
schrecklich, sonst  muß  die  Garonne  und  der  Hafen  prächtig 
sein.  Und  so  milde  Luft,  daß  ich  ohne  Überzieher  gehe 
und  bei  offenem  Fenster  schreibe.  Ich  wohne  hier  bei 
einem  Deutsch -Engländer,  der  mir  seine  Wohnung  so  nett 
in  einem  Brief  au^ebotcu,  daß  ich  zusagte  und  nicht  be- 
reue. Ein  Vierziger,  der  sich  als  Dilettant  ganz  der  Musik 
widmet,  bei  Bargiel  studirt  hat,  sein  Geschäft  aufgab,  um 
der  Musik  zu  leben.  Berens  i)  heißt  er  und  ist  unverheirathet, 
nach  Jerusalem  zuständig,  von  der  guten  Sorte  aber.  .  .  . 

x\n  Theodor  Ave-Lalleinant 

45,  Leinst  er  Sq.  Bays  water 
London  d.  i8"="2.  [1867] 

Lieber  Ave. 

Mir   hat  es  sehr  leid  gethan,  daß  ich  Euch  für  dies 
Jahr  ausnahmsweise  abschreiben  mußte.    Indeß  ist's 
vielleicht    gut,    wenn   das    Hamburger    Publikum   einmal 

*)  Über  Ad.  Behrens  -|-  1896  vgl.  den  Brief  an  Brahms  vom  April  1896. 


An  Theodor  Ave-Lallemant  4^9 

statt  „Toujours  perdrix"  Auer  als  Auerhahn  verspeiset!  Ich 
habe  Dich  um  Weihnachten  herum  in  Hannover  erwartet, 
Du  kamst  aber  nicht !  Nun  werde  ich  so  lange  im  Westen 
bleiben,  daß  es  zweifelhaft  ist,  wann  wir  uns  sehen.  Bis 
Ende  März  habe  ich  in  England  zu  thun,  arbeite  viel,  habe 
aber  wenigstens  die  Genugthuung,  daß  ich  wirklich  für  die 
Meinigen  etwas  Erkleckliches  ausrichte.  Wäre  nur  die 
lange  Trennung  nicht!  Den  April  und  halben  Mai 
werde  ich  in  Paris  und  den  französischen  Provinzen  zu- 
bringen. Ich  will  vier  Quartette  in  Paris  geben,  auf  die 
ich  mich  freue;  der  Sinn  für  deutsche  Musik  ist  allent- 
halben im  Zunehmen,  eine  erfreuliche  Wahrnehmung. 
Deine  Sorge  wegen  Stockhausens  Abgang  verstehe  ich.  Es 
ist  Schade,  daß  er  so  bald  die  Geduld  verliert;  manches 
Schöne  hat  er  schnell  erreichen  können,  viel  hätte  die  Zu- 
kunft gebracht,  aber  ich  kann  nicht  urtheilen,  ohne  seine 
Gründe  zu  kennen.  Daß  Ihr  Euch  nun  aufrafft  und  dem 
größten  Musiker  unserer  Tage,  ich  weiß,  was  ich 
schreibe,  dem  Johannes  Brahms  aus  Hamburg  die  ge- 
bührende Stellung  anweiset,  ist  nach  den  Philharmonischen 
Antecedentien  nicht  wohl  anzunehmen.  Ein  Stück  Misere 
und  Verkennung  scheint  zur  Entwickelung  großer  Geister 
immer  zu  gehören,  und  vielleicht  hält  das  Comite  der 
Philharmonischen  Gesellschaft  es  sogar  für  landesväter- 
liche Verpflichtung  (wir  haben  noch  immer  regirende 
Häupter  genug  zum  nachahmenswerthen  Beispiel!),  der  Zu- 
kunft von  Brahms  durch  Entsagung  ein  patriotisches  Opfer 
zu  bringen.  —  — 

Halte  es  nun  nicht  für  Neugierde,  wenn  ich  Dich  bitte 
mir  zu  sagen,  in  welcher  Weise  Ihr  die  Stelle  wohl  zu  be- 
setzen beabsichtigt.  Ich  selbst  reflektire  nicht  darauf; 
wohl  aber  wünscht  sich  ein  ausgezeichneter,  mir  befreundeter 
Musiker^)  die  Anstellung,  und  ich  möchte  wissen,  ob  die 
Bewerbung  irgend  welche  Chance  läßt.  Auf  meine  gewissen- 

*)  Alb.  Dietrich,  vgl.  den  folgenden  Brief. 

^7* 


420  An  seine  Frau 


hafieste  Verschwiegenheit  kannst  Du  zählen.    Wenn  Du, 
wie  ich  Dich  bitte,  bald  schreibst,  fügst  Du  hoffentlich  bei, 
wie  es  Dir  und  den  lieben  Deinigen  geht,  die  ich  herzlich 
zu  grüßen  bitte. 
In  aller  Eile,  aber 

dauernd  ergeben. 

Dein 

Joseph  J. 

An  seine  Frau 

[London]  Samstag.  [aS.  Febr.  67.] 

Ich  habe  an  Ave  geschrieben  u.  erwarte  nächstens  Ant- 
wort; aber  ich  habe  Dietrichs  Namen  nicht  genannt, 
bloß  allgemeine  Auskunft  verlangt  „weil  ich  Jemand  vor- 
zuschlagen habe".  Dietrichs  Namen  darf  nicht  ohne  einige 
Aussicht  auf  Erfolg  genannt  werden,  weil  es  ihm  in  Olden- 
burg schaden  würde,  wenn  es  heißt:  er  hat  fort  wollen,  ist 
aber  nicht  genommen  worden.  Ich  habe  übrigens  an  Ave 
über  Brahms  ernstlich  geschrieben,  da  nicht  anzunehmen 
sei,  daß  sich  das  Comite  zu  dem  Entschluß  aufraffte,  den 
größten  Musiker  unserer  Zeit  zu  berufen,  der  ein  ge- 
borener Hamburger  sei  etc.,  so  wünschte  ich  einen  andern 
zu  empfehlen.  Ich  möchte  Dir  aber  die  Sache  mit  Dietrich 
noch  ernstlich  zu  bedenken  geben!  Er  ist  nicht  energisch 
genug,  um  mit  dem  rüden  Hamburger  Musikervolk  viel 
auszurichten  —  für  seine  Art  zu  sein,  ist  die  Oldenburger 
Welt  viel  besser.  Er  sehnt  sich  fort,  wird  sich  aber 
schließlich,  wenn  er  sich  mit  dem  Comite  herumzubalgen 
hat  und  für  jede  Probe  vorgerechnet  bekommt,  wie  viel 
sie  kostet  (während  ihm  zwei  Mal  wöchentlich  Winter 
u.  Sommer  in  Old,  die  Kapelle  zur  Disposition  steht), 
noch   mehr   nach   den   Fleischtöpfen  Dalwigks^)   zurück- 

^)  Intendant  in  Oldenburg. 


An  seine  Frau  4^-' 


wünschen.  .  .  .  Ich  bin  noch  gar  nicht  einig,  ob  ich  ihrx 
schließlich  empfehlen  werde,  trotz  meinem  großen  Respekt 
vor  seinem  musikalischen  Können.  Glaube  mir,  er  könnte 
nirgends  besser  am  Fleck  sein,  als  gerade  wo  er  ist.  Über- 
lege das  doch  und  schreibe  es  an  Frau  Dietrich,  wenn 
Du  meiner  Meinung  bist,  daß  ich  glaube,  er  würde  sich 
lange  nicht  so  behaglich  in  Hamburg  fühlen.  Auch  als 
Dirigent,  unter  uns,  hat  er  nicht  Kraft  u.  Ruhe  genug,  um 
zu  imponiren;  die  exquisite  Feinheit  seines  Wesens  wirkt 
in  kleinerem  Kreis,  würde  aber  (da  er  weder  als  Kom- 
ponist noch  als  Virtuose  Ausgezeichnetes  leistet)  gerade 
von  den  Hamburgern  nicht  genug  gewürdigt.  —  Scholz 
wäre  besser  am  Platze  u.  könnte  mit  seiner  derben  Faust 
am  Ende  gut  thun.  Ich  bin  neugierig  auf  Aves  Antwort. 
Adieu  für  heute! 


An  dieselbe 

[London]  Montag  fi-üh.  [25.  Febr.  6y] 

.  ,  .  Die  Pop.  Concerte  machen  mir  immer  viel  Freude. 
Es  ist  stets  gedrängt  voll,  und  ich  muß  immer  was  zu- 
geben; das  Londoner  Publikum  bewährt  sich  in  seiner 
Treue.  Wir  wechseln  jedes  Mal  mit  dem  Programm,  vor- 
gestern war  es  das  Cdur  Quintett  von  Beethoven  und 
Schuberts  Bdur  Trio;  heute  Mendelssohn's  A  moll  Quartett 
u.  das  Forellen  Quintett  vom  Schubertel,  das  ich  nur  ein- 
mal im  Leben  gespielt.  Ich  denke,  mein  Spiel  finden  die 
Leute  warm,  weil  ich  so  viel  an  Dich  dabei  denke,  mein 
Liebes.  Bei  allen  besonders  schönen  Stellen!  Nächstens 
will  ich  das  Sextett  von  Brahms  einmal  bringen,  auch 
Frau  Schumann  sein  Adur4tett.  .  .  .  Die  Goldschmidts 
sind  nach  Cannes;  sie  hatte  mir  vorgeschlagen,  sie  vor 
ihrer  Abreise  hier  in  einem  Hotel  zum  Mittag  zu  treffen, 
ich    war  aber  leider  unterwegs.    Mir  that's  Deinetwegen 


422  An  seine  Frau 


leid,  ich  weiß,  Du  hättest  gern  was  direkt  von  der  Lind 
gehört.  Ich  habe  außer  Deutsch^),  Straus^)  u.  Ellys^) 
Eltern,  die  ich  besuchte,  kaum  irgend  welche  Bekannte 
zu  sehen  gekriegt.  Bin  doch  meist  unterwegs!  Morgen 
geht's  wieder  nach  Bath,  Clifton  u.  Torquay,  und  erst 
Freitag  Abend  komme  ich  zurück.  Rutsche  mit  dem  Finger 
auf  der  Karte  nach.  Diesmal  geht's  in  lauter  schöne 
Gegenden.  Es  ist  ja  freilich  entsetzlich,  daß  wir  so  von  ein- 
ander auf  Wochen,  Monate  getrennt  sein  müssen.  Aber  ich 
habe  den  Trost  dabei,  daß  ich  für  Euch  dies  Opfer  bringe,  und 
nicht  umsonst.  Die  7000  Thaler,  die  ich  hier  gewinne, 
werden  es  mir  möglich  machen,  desto  eher  in  Deutschland 
eine  mir  und  Euch  zusagende  Stellung  einzunehmen  und 
mich  immer  weniger  lange  von  Euch  zu  trennen.  Lasse 
uns  darum  für  die  zwei,  drei  Jahre,  in  denen  wir  uns  noch 
vielleicht  auf  Monate  zu  trennen  haben,  Muth  fassen. 
Denke,  wie  entsetzlich  es  wäre,  müßten  wir  uns  ä  tout 
prix  an  eine  Anstellung  klammern!  In  Verhältnissen 
dauernd  leben,  in  denen  man  sich  nicht  wohl  fühlt,  für's 
Leben  vielleicht  kriechen  (um  ein  hartes  Wort  zu  brauchen), 
das  wäre  entsetzlich!  Ich  habe  heute  einen  Antrag  aus 
Petersburg,  mich  dort  am  Konservatorium  als  Professor  zu 
fixiren,  und  als  Concertmeister  bei  den  Concerten.  Von 
September  bis  Juni  müßte  ich  dort  sein,  3  Monate  Ferien. 
Man  fragt  um  meine  Bedingungen.  Wir  denken  doch 
nicht  dran,  gelt?  Unsere  Jungen  sollen  keine  Slaven 
werden.  Ich  weiß  nicht,  mir  graut  schon  bei  dem  bloßen 
Gedanken ! 

Nächsten  Sonntag  muß  ich  aufs  Land  zu  Sir  Anthony 
Rothschild.  Ich  habe  Jahre  lang  vermieden,  die  Bekannt- 
schaft zu  machen;  neulich  Freitag  aber  traf  ich  den  alten 

^)  Über  Einanuel  D.,  Bibliothekar  am  British  Museum,  vgl.  Jul.  Roden- 
bcrg,  Erinnerungen  a.  d.  Jugendzeit  II,  S.  5 — i3i  :  „Ein  Frühvollendeter". 
*)  Ludwig  St.,  Mitglied  des  Joachim -Quartetts  in  London. 
*)  Gattin  seines  Bruders  Heinrich,  Tochter  des  Componisten  Henry  Smart. 


An  seine  Frau  4^3 


Herrn  bei  Sir  Alex.  Cockburn^),  und  er  gefiel  mir  (merk- 
würdiger Weise!)  so  gut,  daß  ich  zusagte.  Seine  Tochter 
hatte  mir  schon  vorher  geschrieben.  Also  warte  nur  jeden- 
falls auf  Heinrichs  Brief  mit  der  Nachricht  auf  meine  Ver- 
lobung u.  halte  Johanne  mit  den  beiden  Knaben  (oder 
vielmehr  Söhnchens)  parat,  vom  Schloß  bis  an  die  See^) !  .  .  . 

An  seine  Frau 

Manchester,  Mittwoch.  [6.  März  67] 

.  .  .  Ich  spiele  morgen  hier  das  Mendelssohn'sche  Concert, 
eine  Bach'sche  Sonate  (die  mit  dem  herrlichen  Kanon)  mit 
Halle  und  die  Gdur  Romanze  von  Beethoven;  vielleicht  diri- 
gire  ich  auch  für  Halle  das  Es  dur  Concert  von  Beethoven.  Er 
hat  mich  neulich  drum  gebethen,  das  Orchester  ist  gut.  Wie 
wird  das  nur  mitBronsart  als  Intendant  in  Hannover  werden? 
Der  freut  sich  gewiß  aufs  Dirigiren  nicht  übel,  hat  schon 
drei  erfolglose  Gesellschaften  geleitet.  Nun  bricht  eine 
schöne  Wagner,  Liszt'sche  Plackerei  für  den  armen  Lindner 
etc.  an!  Nun,  mit  dem  wird  er  wohl  Trio-Soireen  geben 
und  wenigstens  seinen  Werthauch  pekuinär  besser  würdigen 
wie  Platen.  Ehrlich  meint  Bronsart  es  mit  der  Kunst,  das 
muß  ich  als  musikalischer  Gegner  ihm  nachsagen  3),  Fischern 
gönne  ich  den  neuen  Chef;  er  wird  sich  aber  gewiß  auch 
bei  diesem  durch  Einholen  von  Ratschlägen  für  die  Di- 
rektion Wagner'scher  Opern  im  Fahrwasser  zu  halten 
suchen.  Das  gibt  ein  Amüsement  für's  Frühjahr,  und  lieb 
ist  mir's,  einen  leidlichen  Spieler  in  Hannover  zu  haben. 
Und    Platen  ist  Chef  in  Dresden.     Der  ehrliche  Johann 

*)  Lord  Oberrichter ;  über  dessen  Verb,  zur  Musik  u.  zu  J.  siehe  Edm. 
Yates,  recollections  .  .  .  Vol.  2  ed.  2  i884i  S.  i36. 

-)  Anspielung  auf  die  deutsche  Ballade  vom  Wassermann. 

')  Durch  die  Übersiedlung  Bs.  nach  Hannover  knüpfte  sich  in  der 
Folgezeit  eine  herzliche  Freundschaft  an,  die  bis  zu  Js.  Tode  gedauert 
hat.    Die  Gegnerschaft  war  übrigens  nicht  so  groß,  wie  J.  vermutete. 


424  An  seine  Frau 


sucht  sich  so  einen  Intriguanten,  wenn's  nicht  ein  Namens- 
vetter ist.  Na,  Gott  gebe,  daß  ich  nie  wieder  mit  solchen 
Hof- Stellungen  mich  einlassen  muß!  Lieber  wollen  wir 
uns  ein  paar  Monate  im  Jahre  für  eine  Weile  das  Reisen 
gefallen  lassen.  Weißt  Du  denn,  daß  wir,  wenn  alles  gut 
geht,  von  Ostern  ab  looo  Thaler  Interessen  haben  können. 
Wie  wenig  Musiker  haben  Anstellungen,  die  ihnen  so  viel 
bringen !  .  .  . 


An  seine  Frau 

London  Mittwoch.  [Frühjahr]   1867. 

. . .  Ich  habe  eben  wieder  mehrere  Stunden  für  den  Maler 
Watts  gesessen,  zum  3"^"  Mal,  und  muß  noch  zweimal 
dran;  aber  ich  habe  den  Trost  zu  glauben,  daß  es  ein 
wirkliches  Kunstwerk  wird.  Wenigstens  sind  die  Portraits 
von  Tennyson  und  andern,  die  ich  von  ihm  gesehen,  in 
Bezug  auf  Auffassung  und  Farbe  trefflich.  Er  malt 
mich  Violine  spielend.  Watts  gehört  zu  den  in  England 
besonders  seltenen  Künstlern,  die  nur  ihrem  Fortschreiten 
leben,  für  die  das  Publikum  (im  Sinne  momentaner  Ab- 
hängigkeit) gar  nicht  existirt.  So  hat  er  unter  vielen 
großartigen  Entwürfen,  von  denen  sein  Atelier  wimmelt, 
und  die  er  con  amore  ausarbeitet,  wie  die  Inspiration  ihn 
eben  antreibt,  auch  sich  eine  Gallerie  ihm  sympathischer 
Köpfe  angelegt,  und  mich  freut  es,  daß  er  mich  wiedeiholt 
gebeten  hat,  ihm  zu  sitzen.  Ich  glaube,  er  wird  mich  in 
die  Ausstellung  geben.  Er  hat  mir  auch  Deinen  Kopf  zu 
malen  versprochen.  Wenn  Du  wüßtest,  wie  oft  Dich  aller- 
lei gute,  gescheute  Menschen  herbeiwünschen,  wie  ich 
immer  von  Dir  erzählen  muß,  ich  glaube.  Du  hättest 
England  lieb.  Und  nächstes  Jahr  mußt  Du  mit  herüber 
kommen  und  den  Leuten  zeigen,  was  Oratorium  singen 
(auch   ohne    „Tradition")    heißt.     Wenn   Du   schon   Dein 


An  seine  Frau  ^26 


Schärflein  zu  unserer  Unabhängigkeit  beitragen  willst,  so 
sehe  ich  nicht  ein,  warum  wir  getrennte  Reisen  machen. 
Es  ist  qualvoll!  Gelt?  Manchmal  denke  ich,  wir  sollten 
hier  auf  ein  paar  Jahre  ein  möblirtes  Haus  mit  Garten 
nehmen,  statt  in  Hannover  zu  sein,  Du  könntest  in  Eng- 
land so  viel  Oratorien  singen  wie  nirgend  anders.  Jephta ') 
soll  so  eine  herrliche  Alt -Partie  enthalten;  ich  meine  nicht 
den  Bremer.  Lord  Dudley  hat  mir  neulich  das  Versprechen 
abgenommen,  ihm  eine  Bitte  zu  erfüllen,  und  dann  kam's 
heraus,  ich  müßte  ihm  einen  rechten  Wunsch  von  Dir 
mittheilen,  damit  er  Dir  eine  Freude  machen  kann.  — 
Nun  muß  ich  es  thun,  weiß  aber  nicht,  was.  Wie  wär's, 
wenn  ich  ihm  sagte,  daß  wir  beide  große  Freude  an 
Photographien  nach  Kunstwerken  haben,  oder  Kupfer- 
stichen, vind  dann  hat  er  ein  für  allemal  ein  großes  Feld, 
und  kann  drauf  los  schenken,  und  mir  wäre  das  weniger 
peinlich  als  Schmuck  und  ähnliches.  Ich  spiele  morgen 
zum  3"""  Mal  bei  ihm;  er  traut  sich  aber  gar  nicht  mehr, 
mich  aufzufordern,  und  Halle  mußte  erst  gesprächsweis 
horchen,  ob  ich  keine  abschlägige  Antwort  geben  wollte. 
Denke  einmal,  der  arme  Mann  hat  nur  5ooooo  £  jähr- 
liches Einkommen,  also  etwa  3  Millionen  Thaler!  Da 
kann  er  schon  für  unsere  Mappen  und  Wände  mit  Photo- 
graphien sorgen.  Mich  freut's,  daß  Du  mein  Wort  an  die 
Warteschulen  einlösest.  Natürlich  mußt  Du  das  Concert 
in  Deinem  Namen  geben,  der  andern  wegen  ginge  doch 
kein  Mensch  hin.  Das  Programm  ist  sehr  schön,  einer 
Conzertdirektorsgattin  und  Strohwitwe  würdig.  —  Frau 
Schumann  habe  ich  die  ganzen  i  Y2  Wochen  nicht  gesehen; 
sie  war  in  Edinburg,  immer  anderswo  wie  ich  beschäftigt. 
Heute  sind  wir  Abends  bei  Frau  Sartoris  zusammen.  Frau 
Seh.  bleibt  bis  Anfangs  April,  vielleicht  wird  sie  in  Paris 
engagirt  vom  Athenee.  .  .  . 

*)  von  Händel;   auch  Js.  Freund,  der  Bremer  Kapellm.   Reinthaler  hat 
ein  Oratorium  Jephta  geschrieben. 


426  An  seine  Frau 


An  seine  Frau 

[London]  Sonnabend.  [Frühj.  67.] 

Es  ist  heute  so  warm  in  der  Luft,  daß  einem  das  Kamin- 
l'euer  zu  viel  wird,  ordentliche  Frühlingsgedanken 
kommen  einem  im  Nebelland,  und  im  ersten  Stück,  das 
ich  spielen  werde,  kömmt 


^^^^lÜEEÜ^^ 


k 


vor,  was  Du  gewiß  ganz  wunderschön  trällern  könntest! 
Wie  hübsch  muß  es  in  unserm  Garten  sein!  Kommen 
schon  allerlei  grüne  Spitzen?  Oder  ist  bei  Euch  noch  tiefer 
Winter  gar?  Ich  hoffe  „nein".  Aber  näher  rückt  nun 
auch  Gottlob  immer  die  Zeit,  wo  wir  ungestört  neben 
einander  existiren  werden.  Da  kommen  nun  die  Fragen 
wegen  der  Wiener  Reise.  Sollen  wir  uns  wirklich  gleich 
im  Frühling  wieder  auf  die  Sohlen  machen?  Ich  denke, 
Mitte  Mai  mit  Frankreich  fertig  zu  werden;  dann  wird's 
bei  uns  im  Garten  am  allerschönsten.  ungern  entsage  ich 
der  Zeit  mit  Dir  und  den  Kindern,  und  Quartetten  und 
schottischen  Liedern  etc.  bei  uns  zu  Haus.  Wie  wollen 
wir's  nur  einrichten,  wie  denkst  Du  über  alle  das?  Willst 
Du  Ende  April,  Anfang  Mai  mit  den  Kindern  allein  nach 
Wien,  und  ich  hole  Euch  dann  ab?  Sollen  wir  das  Ganze 
auf  den  August  oder  September  verschieben?,  die  Kinder 
bei  Omama  lassen,  und  wir  auf  8 — 14  Tage  nach  Mark 
Steyer,  Marburg  gehen?  .  .  . 

Ich  war  vorgestern  im  Museum,  habe  viele  Wunder 
aller  Kulturvölker  bis  zum  heutigen  Tag,  und  vorkultur- 
liches  gesehen.  Man  bekömmt  auf  so  einem  Gang  doch 
mehr  von  Geschichte  und  Menschenberuf  in  den  Kopf,  in 

*)  Trio  des  Menuetts  aus  dem  Esdur-Quintett  von  Mozart. 


An  seine  Frau  4^7 


die  Phantasie,  als  durch  Jahre  langes  Studium  in  der  Kinder- 
stube, ja  auf  Schulbänken,  und  unsre  Kinder  müssen  in 
solcher  Umgebung  aufwachsen.  Das  Bleibende,  Großartige, 
kleinlichen  Zwecken  Entrückende  tritt  ihnen  schützend  in 
den  Weg,  wenn  sie's  recht  verstehen  lernen,  und  wir 
wollen  uns  auch  recht  zusammen  sammeln,  sie  darauf  vor- 
zubereiten. Welch'  schönes,  herrliches  Leben  kann  uns 
noch  werden.  .  .  . 

Ich  habe  Piatti  als  Gellist  für  2  Pariser  Quartette  engagirt, 
für  200  Frcs  für  den  Abend.  Das  ist  blutwenig,  aber  da 
Ghappell  ihn  für  mehrere  Jahre  ganz  engagirt  hat,  so  habe 
ich's  mit  letzterem  zu  thun,  u.  keine  Skrupel.  Ghappell 
denkt,  er  kriegt  noch  andere  Engagements  in  Paris,  u.  thut 
mir's  zu  lieb.  Da  kannst  Du  schön  schottische  Lieder 
singen!  Nicht?  Gestern  Abend  war  ich  von  5  bis  9  im 
Parlament,  bei  den  Gemeinen  und  Lords;  2  M.  P's  machten 
sehr  liebenswürdig  meine  Giceroni.  Es  war  mir  ganz 
feierlich  zu  Muth,  die  Gebäude  haben  etwas  Großartiges, 
recht  als  ob  viel  Weltbewegendes  darin  ausgemacht  würde! 
Gladstone,  Stanley  u.  A.  sprachen  über  Griechenland,  eigent- 
lich zu  Gunsten  der  Türkei,  die  Ghristen  verüben  eben 
so  viel  Grausamkeiten  wie  die  Muhamedaner.  —  ... 


An  dieselbe 

[London]  Dienstag.  [aS.  März  6y.] 

Gestern  Abend  war  Herr  Joachim's  „last  appearance 
but  three".  Weißt  Du,  was  das  heißt?  Ich  wohl,  und 
es  begleitet  mich  wie  eine  Schubert'sche  Melodie,  die  man 
nicht  aus  dem  Kopf  kriegen  kann,  aber  ohne  mich  zu 
quälen.  Gestern  spielten  wir  das  große  A  moll  Qartett  (mit 
dem  Dankgebet  eines  Genesenen),  das  sehr  gut  gieng;  ich 
hatte  Holmes  als  Bratschisten  vorgeschlagen,  und  das  ist 
sehr  gut   ausgefallen.    Hoffentlich   hilft  es  ihm   vorwärts, 


428  An  Bernhard  Cracroft 

in  den  Kreis  der  Pop:'s  gekommen  zu  sein.  Jetzt  muß  ich 
gleich  nach  Derby,  wo  ich  heut'  Abend  mit  Piatti  u.  Halle 
2  Trios  und  ein  Solo  spielen  werde.  Das  Wetter  ist  Gott 
Lob  zum  Frühling  umgeschlagen.  Ich  habe  bis  ^1-2^0  ge- 
schlafen; der  Schlaf  erfrischt  mich  immer  so  sehr,  daß 
ich  glaube,  meine  Natur  hat  sich  ganz  nach  der  Deinen 
eingerichtet.  Aber  das  ist  doch  bös,  daß  ich  Dir  darum 
jetzt  nur  ein  paar  Zeilen  schreiben  kann!  Nun,  bald 
werden  wir  das  alles  nachplauschen.  Ich  spiele  am  S'*""  in 
Brüssel  bei  Hof;  ein  Herr  von  der  Gesandschaft  war  hier 
und  hat  viel  Schreiberei  darum  gehabt,  weil  ich  nur  den 
einen  Tag  geben  konnte.  Am  4""" !  Hotel  de  Flandry.  Küsse 
die  Buben!  Ob  die  einmal  für  Deutschland  zu  schlagen 
haben  werden?  Oder  am  Ende  noch  der  Papa  für  sie  vorher! 
Aber  die  Antwort  von  Bismarck  hat  mir  auch  großen  Jubel 
verursacht  ^).  Der  fragt  nicht  um  Erlaubniß  bei  den  andern 
Mächten.  Ich  lese  nur  englische  Zeitungen,  die  sich  aber 
brav  aufführen,  gerade  jetzt. 

An  Bernhard  Cracroft 

[London]  [April  1867?] 

Friday  at  back  I  shall  be  in  the  country. 

You  teil  me  you  have  been  practising  a  little  with  Wil- 
helmj,  and  you  say,  „with  my  pupil".  I  wish  he  were;  but 
I  have  even  only  heard  him  once  in  Leipsic,  when  bis 
master  David  made  him  play  to  me,  to  show  me  bis  won- 
derfull  ability  for  everything  connected  with  the  me- 
canisme  of  violin  playing.  I  long  to  meet  him  again  and 
to  see  how  bis  talent  has  grown.    His  tone  was  süperb  than. 

I  dont  know  how  to  thank  you  for  the  brotherly  manner 
in  which  you  look  upon  what  I  have  been  doing  in  my  art. 
I  know  that  we  sympathise  in  the  love  for  it  thoroughly  — 

*)  an  Napoleon   in  der  Streitsache  mit  Frankreich  wegen  Luxemburg. 


Von  Bernhard  Scholz  4^9 

and  you  confide  in  me,  my  dear  Cracroft,  that  at  least 
I  shall  not  Step  back  ward  instead  of  „vorwärts".  That 
is  the  principal  thing;  bat  I  wish  my  travels  were  over 
and  I  could  work,  I  do  it  for  my  two  boys,  who  are  in 
Hannover,  eise  the  would  send  all  kind  messages  for  you 
with  my  best  love.    Write  again  to  yours  affect'y 

Joseph  Joachim. 


Von  Bernhard  Scholz 

Berlin  8.  April  1867. 

Lieber  Jo,  Du  hast  vielleicht  aus  den  Blättern  ersehen, 
daß  ich  in  diesem  Winter  ein  Unternehmen  in's  Leben 
gesetzt  habe,  welches  in  Berlin  ein  Seitenstück  zu  den 
Abonnements-Concerten  in  Hannover,  den  Concerten  in 
Köln,  Leipzig  u.  s.  w.  geben  soll,  ein  Unternehmen  zur 
Vorfuhrg.  classischer  u.  moderner  Orchester-  und  Chor- 
musik, sowie  vorzüglicher  Sololeistungen.  Die  drei  Orchester- 
Abende,  die  ich  veranstaltet  habe,  haben  sich  eines  solchen 
Beifalls  zu  erfreuen  gehabt,  daß  ein  Comite  im  Begriff  ist, 
sich  zu  bilden,  um  mich  bei  Fortführung  des  Unterneh- 
mens im  nächsten  Winter  zu  unterstützen.  Es  sollen  als- 
dann auch  Kammermusikabende  mit  den  Orchesterabenden 
combinirt  werden;  es  soll  dem  Publicum  von  Berlin  das 
Beste  zu  mäßigen  Preisen  geboten  werden  (unser  end- 
liches Ziel  ist  die  Organisation  von  Concerts  populaires), 
und  wir  möchten  gern  nächsten  Herbst  recht  brillant 
beginnen. 

Deshalb  frage  ich  bei  Dir  an,  ob  Du  in  unserm  ersten 
Orchester-,  und  im  ersten  Kammermusikconcert  mitwirken 
willst.  Die  Concerte  finden,  soviel  jetzt  bestimmt  ist,  alle 
14  Tage  Sonnabends  statt.  Wir  würden  in  der  zweiten 
Hälfte  Oktober  beginnen.  ... 


43o  An  Bernhard  Scholz 

Ich  hoffe,  Du  hast  für  künftigen  Winter  das  Interdict 
über  Berhn  aufgehoben.  Auf  alle  Fälle  bitte  ich  um 
umgehende  Antwort.  Den  besten  Grüßen  von  Luise 
füge  ich  die  meinigen  bei. 

Dein 

Bernh.  Scholz. 

An  Bernhard  Scholz 

Hannover  am  24""  [April  1867]. 

Mein  lieber  Scholz. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  ich  einer  Unternehmung 
wie  die  Deinige  in  Berlin  meine  volle  Sympathie  zu- 
wende, ganz  abgesehen  von  unsern  persönlichen  Beziehungen. 
Das  hätte  ich  Dir  eigentlich  schon  viel  früher  schreiben 
sollen  und  können  —  ich  wollte  aber  bestimmteres  hinzu- 
fügen, und  das  war  bei  meinem  unstäten  Wanderleben 
nicht  möglich.  Leider  bin  ich  aber  auch  jetzt  nicht  weiter, 
wenn  ich,  wie  Du  verlangst,  Details  bestimmen  soll;  es  wird 
hierzu  erforderlich  sein,  daß  wir  uns  sprechen,  und  das 
kann  ja  diesen  Sommer  nicht  ausbleiben !  Also  nur  soviel 
über  Deine  Concerte,  daß  ich  keinen  Grund  habe,  Berlin 
im  kommenden  Winter  zu  meiden,  und  daß  ich  Dir  folg- 
lich gerne  meine  Mitwirkung  im  Allgemeinen  zusage.  Ich 
denke  sogar,  es  wird  sich  für  Dein  erstes  Concert  ein- 
richten lassen,  aber  es  darf  dies  noch  nicht  unabänderlich 
festgestellt  werden.  Deine  Programme  sind  ja  prächtig! 
Ihr  zieht  nun  bald  nach  der  Hammermühle,  wie  ich  durch 
Kaulbach  und  Lazar  weiß.  Wir  werden  den  größten  Theil 
des  Sommers  in  unserm  wirklich  reizenden  Garten  bleiben. 
Einen  Abstecher  haben  wir  nach  der  Schweiz  vor,  da  wir 
unsere  Mitwirkung  zum  Schweizer  Musikfest  zugesagt  haben, 
das  am  i3'^"  Juli  in  Zürich  anfängt.  Da  treffen  wir  denn 
jedenfalls  auf  der  Hammermühle  oder  sonst  zusammen; 


Von  Bernh.  Scholz  4^* 

denn  daß  Ihr  schlechtes  Volk  über  Halle  und  nicht  über 
Hannover  nach  Cassel  fahren  wollt,  soll  nicht  gerächt 
werden,  wenn  ich's  auch  empfinde.  Ist's  denn  wirklich 
so?  Grüße  die  Deinen,  denen  es  hoffentlich  so  gut  geht 
wie  den  beiden  Pützen  und  Ursi  hier.  Lasse  wenigstens  von 
Dir  hören  und  sei  der  herzlichsten  Empfänglichkeit  gewiß 

von  Deinem 

Jo. 


Von  demselben 

Hammermühle  bei  Wiesbaden  7  Mai  1 867. 

Lieber  Jo,  ich  danke  Dir  herzlich  für  Deine  Zusage  in 
Betreff  meiner  Berliner  Concerte.  Am  Liebsten  wäre 
mir  natürlich.  Du  trätest  in  dem  ersten  auf;  nun,  darüber 
verhandeln  wir  später,  wenn  wir  Dich  und  die  Ursi  auf 
Eurer  Schweizerreise  hier  sehen;  wir  erwarten  bestimmt, 
daß  Ihr  Euch  bei  uns  ein  bischen  Zeit  gönnt!  —  Ich  selbst 
kann  für  den  Augenblick  die  Data  der  Conzertabende  noch 
gar  nicht  so  unbedingt  festsetzen,  da  die  Organisation 
meiner  Concerte  noch  in  der  Schwebe  ist. 

Ganz  im  Vertrauen  und  unter  dem  Siegel  der  Ver- 
schwiegenheit will  ich  Dir  nämlich  mittheilen,  daß  auf 
den  künstlerisch  guten  Erfolg  meiner  Orchester-Abende 
hin  eine  Conzertgesellschaft,  deren  Dirigent  ich  sein  soll, 
sich  zu  bilden  im  Begriff  steht.  Lienau  (der  Inhaber  der 
Schlesinger'schen  Musikhdlg.)  verhandelt  darüber  mit  hie- 
sigen Crösussen  und  Mäcenen.  Bleichröder  und  der  eine 
Mendelssohn  haben  schon  fest  zugesagt,  von  mehreren 
Andern,  darunter  Namen  aus  der  Aristocratie,  —  in  Summa 
lauter  Leute  aus  der  ersten  Gesellschaft  —  haben  wir 
halbe  Zusagen.  Die  Sache  ruht  eben,  bis  Lienau  in  ca. 
3  Wochen  aus  Carlsbad  zurückkommt.  Übernimmt  eine 
solche  Gesellschaft  das  Risiko,   so  geben  wir  10 — 12  Or- 


432  An  seine  Frau 


chesterconzerte.  Kommt  sie  nicht  zu  Stande,  so  führe  ich 
die  Sache  allein  aus,  aber  nur  mit  6  Orchester-  und 
4  Kammermusik-Abenden.  In  jedem  Falle  muß  ich  gut 
anfangen,  —  drum,  wenn  Du  willst,  mit  Dir!  .  .  . 

Meine  Mutter  trägt  besondere  Grüße  an  die  Olle  auf  und 
bittet  sie  und  Dich,  in  Erinnerung  alter  Zeiten  bescheidenes 
Quartier  auf  der  Hammermühle  nicht  zu  verschmähen; 
die  Ursi  kennt  ja  unsere  Räume:  brillant  sind  sie  nicht, 
aber  wohnlich,  und  sie  wird  sich  vielleicht  dabei  mancher 
guten  Stunde  erinnern. 

Antwortet  recht  bald  und  mit  Ja 

Eurem 

B.  Scholz. 


An  seine  Frau 

Wien,  d.  20'^"  [Juni  1867] 
Heute  ist  Frohnleichnamstag. 

Ich  bin  nach  ununterbrochener  Fahrt  gestern  Abend 
^2  9  hier  angekommen.  .  .  .  Ich  sah  die  Mutter  noch 
schlafend,  wir  weckten  sie  natürlich  nicht;  doch  behaup- 
tet die  eine  der  drei  abwechselnd  am  Bett  beschäftigten 
Dienerinnen,  sie  habe  beim  Rollen  des  Wagens  gesagt: 
da  kommt  mein  Joseph.  Heute  früh  um  1/39  trat  ich 
denn  an's  Bett;  sie  war  sehr  ruhig,  aber  ich  glaube, 
es  that  ihr  wohl,  obgleich  sie  kaum  je  Zufriedenheit  äußert. 
Doch  ist  sie  heute  vollkommen  bewußt;  sie  ist  sehr  einge- 
fallen, aber  im  Gesicht  geröthet.  Sie  frug  nach  Dir  und 
den  Kindern,  und  warum  ich  nicht  früher  von  Paris  aus 
gekommen  sei.  Sonst  hört  man  kaum  etwas,  als  bisweilen 
Stöhnen  vor  Schmerz,  und  alle  drei  bis  fünf  Minuten  ver- 
langt sie  einen  Schluck  Wasser.  Essen  mag  sie  gar  nicht, 
man  zwingt  ihr  hie  und  da  einige  Tropfen  Bouillon,  ein 
halbes  in  Tokayer  getränktes  Bisquit  auf.  Sie  ist  wohl  sehr 


An  Clara  Schumann  4^3 

apathisch  —  doch  kann  das  Ende  doch  noch  ein  paar 
Wochen  dauern.  Ach  Gott,  Uebes  Rind,  wozu  muß  diese 
arme  Seele  sich  und  andern  zur  Pein  schmerzhaft  fort- 
vegetiren.  Es  Hegt  etwas  so  Grausames  darin,  so  dazu- 
sitzen und  sich  gewissermaßen  Gesundheit  und  Kraft  zum 
Vorwurf  zu  machen.  Ich  gebe  ihr  zu  trinken  und  wehe 
wohl  mit  ein  paar  grünen,  frischen  Zweigen  die  Fliegen 
weg  —  aber  was  empfindet  die  arme  liebe  Mutter  wohl 
noch  von  Liebe;  sie  ist  zu  schwach  dazu^).  Ich  danke 
immer  dem  Himmel,  daß  Du  nicht  hier  bist,  um  es  mit 
anzusehen. 

Dein 

Joseph. 

An  Clara  Schumann 

[Hannover,   17.  Juli  1867J 

Liebe  Frau  Schumann 

Mir  scheint  denn  doch  zuweilen  das  bloße  Ohren- 
klingen nicht  ausreichend,  und  ein  paar  noch  so 
unmusikalisch  aussehende  Linien  sind  unentbehrliche  Binde- 
mittel für  Freunde,  die  weit  von  einander  leben !  Sie  haben 
an  meine  Ursi  Ihr  Bedauern  ausgesprochen,  daß  ich  nicht 
meine  Rückreise  von  Wien  über  Baden  machte  —  aber 
wie  kurze  Zeit  hätte  ich  bleiben  können,  und  in  welcher 
trüben  Stimmung  war  ich,  da  ich  noch  dazu  meine  Frau 
in  leidendem  Zustande  wußte!  Hatte  ich  ja  auch  das 
Züricher  Musikfest  aus  letzterem  Grund  aufgegeben,  noch 
bevor  ich  wußte,  wie  gefährlich  es  mit  meiner  .armen 
Mutter  stand.  Die  Gute  hat  furchtbar  vor  ihrem  Ende  ge- 
litten —  und  hülflos  zusehen,  wenn  geliebte  Menschen 
Qualen  leiden,  ist  wohl  das  traurigste  im  Menschenleben !  — 

^)  Sie  starb  nach  wenigen  Tagen  und  wurde  am  38.  auf  den  Waehringer 
Friedhof  beerdigt. 

28 


434  An  Clara  Schumann 

Brahms  war  mir  ein  großer  Trost;  er  war  so  gut  und  theil- 
nehmend,  weihte  mir  alle  Zeit  in  den  Tagen,  die  ich  in 
Wien  zubrachte.  Musicirt  hat  er  aber  nur  einmal,  und 
leider  nichts  von  sich  bei  der  Gelegenheit;  doch  versprach 
er  mir  die  Einsendung  von  Streichquartetten,  die  aber 
bis  jetzt  noch  nicht  gekommen  sind.  Kennen  Sie  sie?  Ich 
denke,  Sie  werden  Brahms  sehr  entbehren;  einen  so  reich 
schaffenden  musikalischen  Geist  nahe  zu  haben,  wäre  auch 
mir  eine  Labung.  Wir  musiciren  in  Ermangelung  dessen 
wenigstens  recht  viel  für  uns;  so  hatten  wir  neulich  zu 
vieren  eine  recht  schöne  Schumann -Feier  in  aller  Stille, 
deren  Programm  ich  aufschreibe: 

1.  Amoll  Sonate  <Frau  v.  Bronsart  u.  ich) 

2.  Frauenliebe  u.  Leben  <meine  Frau  u.  H.  v.  Bronsart) 

3.  Etudes  symph:  <Frau  v.  B.) 

4.  Die  Märchenbilder  <H.  v.  B.  u.  ich) 

5.  3  Duette  für  Sopr.  u.  Alt  <Frau  v.  B.  u.  Ursi) 

6.  Carnaval  <H.  v.  B.) 

Sie  sehen,  daß  die  Preußen  einen  bedeutend  musikalischeren 
Intendanten  als  die  Hannoveraner  hergesetzt  haben.  Ernst 
genug  meint  er  es,  und  auch  gesellschaftlich  mag  ich  das 
Künstlerpaar  gern,  so  daß  wir  uns  oft  sehen.  Bronsarts 
bleiben  wie  wir  den  ganzen  Sommer  hier.  Unser  reizen- 
der Garten  macht  den  Aufenthalt  erträglich;  ich  wollte, 
Sie  sähen  die  beiden  Schlingelchen  drin  herumwirtschaften .  — 
Vor  einigen  Tagen  war  ich  bei  der  Königin  Marie  auf  der 
Marienburg;  da  ich  leider  allemal,  wenn  sie  mich  bisher 
einladen  ließ,  verhindert  gewesen  war,  hatte  ich  bei  den 
Gerüchten  von  ihrer  bevorstehenden  Abreise  jetzt  angefragt, 
ob  ich  kommen  dürfte.  Sie  freut  sich  jedes  Zeichens  von 
Theilnahme  und  v^ar  namentlich  auch  darüber  ganz  ge- 
rührt, daß  ich  Ihre  Romanzen  unter  andern  ihr  lieben 
Stücken  mitgebracht  hatte.  Ich  mußte  von  Ihnen  und 
allen  Kindern  viel  und  öfter  erzählen.  Die  gütige,  darin 
wirklich  von  Herzen   edle  Frau  findet   sich  ohne  Rache- 


Von  Herman  Grimm  4^5 

gedanken  in  ihr  Geschick  und  beweint  nur,  aus  dem 
Land  zu  müssen  und  das  Plätzchen  aufzugeben,  das  sie 
mit  aller  Liebe  bis  in's  Kleinste  ausschmücken  ließ.  Die 
Burg  ist  wirklich  reizend  und  sogar  die  Lage,  ohne  groß- 
artig zu  sein,  voll  Schönheit.  Sie  würde  Ihnen  gefallen. 
Es  ist  noch  immer  unbestimmt,  wann  sie  fort  muß  —  aber 
da  der  König  so  thöricht  in  seiner  Politik  und  seinem 
Hochmuth  ist,  wird's  wohl  bald  auf  immer  sein  müssen. 
Man  hört  traurige  Dinge  über  sein  Schalten  in  Wien.  —  ... 

Von  Herman  Grinini 

Eisenach  25.  August  1867. 
Liebster  Joachim, 

Ich  habe  Dir  die  traurige  Nachricht  vom  Tode  der  guten 
Mama^)  mitzutheilen,  die  am  22sten  hier  an  einer 
rasch  verlaufenden  Lungenentzündung  gestorben  ist,  in 
Arnswald's  kleinem  Häuschen,  auf  halber  Höhe  zur  Wart- 
burg gelegen;  man  sieht  es  so  deutlich  vorspringen,  wenn 
man  unten  aus  dem  Rautenkranz  in  die  Höhe  blickt. 
6  Wochen  hatte  sie  da  mit  Gustchen  gelebt  und  sich  aus- 
nahmsweise glücklich  und  wohl  gefühlt.  Die  Krankheit 
kam  wie  ein  Schlag  aus  heitrer  Luft  und  führte  rasch  an's 
Ende.  Gerade  eine  Woche  dauerte  es.  Ihre  geistige  Kraft 
und  ihre  Sinne  behielt  sie  bis  in  die  letzten  Momente 
beinahe. 

Giesel  und  ich  waren  in  Heiden,  Rudolf  in  Ostende,  wir 
kamen  vier  Tage  vor  ihrem  Tode  an  und  waren  Tag  und 
nacht  an  ihrem  Bette.  Gestern  haben  wir  sie  hier  begraben. 
Sie  konnte  das  Verpacken  und  Versenden  irdischer  Über- 
bleibsel niemals  leiden  und  liegt  nun  an  einem  reizenden 
Plätzchen,  von  wo  aus  man  die  Stadt  übersieht,  und  wo 
eine  ungeheure  Buchenwaldwand  den  Hintergrund  bildet. 

^)  Vgl.  über  die  herrliche  Frau  Ad.  Stoll  in  „Erinnerungen  aus  meinem 
Leben  von  Ludw.  Emil  Grimm",  S.  576  ff. 

?8* 


436  Von  Bernhard  Scholz 

So  ist  nun  von  den  Dreien  *),  die  Du  kanntest,  Niemand 
mehr  übrig.  Gustchen  wird  wohl  zum  Rudolf  nach  Pots- 
dam ziehn.  Einstweilen  haben  wir  die  Absicht,  nach  Ostende 
zu  gehn,  eine  Reise,  deren  ich  dringend  bedürfte,  und  die 
nun  eine  Art  Beschäftigung  bildet.  Wir  reisen  morgen  ab, 
während  auf  der  Wartburg  der  arme  Arnswald,  dessen 
wahnsinnig  gewordener  einer  Bruder  vorgestern  forttrans- 
portirt  worden  ist,  die  Vorbereitungen  zu  einem  musika- 
lischen Feste  trifft,  an  dem  Du  auch  vielleicht  theilzuneh- 
men  hast?  Wie  schal  und  unerquicklich,  sagt  Hamlet.  Ich 
danke  Gott,  daß  ich  nicht  noch  eine  Mutter  zu  verlieren 
habe.  Was  blieb  zuletzt  noch  übrig  von  Menschen?  Ich 
hatte  mir  so  schöne  Arbeit  zurechtgelegt  für  den  nächsten 
Winter.  Es  gehört  Glück  zum  Leben  :  Goethe  war  55  Jahre 
alt,  als  er  den  ersten  wirklich  erschütternden  Verlust  erlitt. 
Wie  geht  es  Dir  und  Deiner  Frau  und  den  Kindern? 
Ich  erkundigte  mich  in  der  Schweiz  vergeblich  nach  Euch. 
Auf  dem  Zürcher  Fest  mußt  Du  nicht  gewesen  sein. 
Giesel  und  ich  grüßen  Euch  auf  das  herzlichste. 

Dein 

Herman. 

Von  Bernhard  Scholz 

Berlin  am   i  i.  Sept.  1867. 
Lieber  Jo 

Vor  einigen  Tagen  bin  ich,  und  zwar  vorläufig  als 
Stroh witt wer  —  denn  Luise  und  die  Kinder  bleiben 
noch  bis  Ende  des  Monats  auf  der  Hammermühle  —  hier 
wieder  eingezogen  und  beschäftige  mich  nun  mit  den  An- 
gelegenheiten dieses  Winters.  Das  erste  Orchesterconzert 
der  philharmonischen  Gesellschaft  —  so  werden  wir  den 
jungen  Conzertverein  taufen  —  wird  gemäß  unserer  Ver- 

*)  Jacob,  Wilhelm  und  Dortchen  Grimm. 


Von  Bernhard  Scholz  4^7 

abredung  am  19.  Oct.  stattfinden.  Die  Gesellschaft  wird  im 
Laufe  des  Winters  lO  Conzerte  und  zwar  nur  O r eheste r- 
conzerte  geben  (im  dritten  hoffen  wir  Frau  Schumann  zu 
hören);  die  Kammermusik  wird  mir  privatim  überlassen; 
aus  künstlerischen  Gründen  sowohl  wie  aus  pecuniären 
wäre  es  mir  nun  sehr  erwünscht,  einen  gut  besuchten 
Cyclus  von  Soireen  zusammen  zu  bringen,  und  da  bin  ich 
so  unbescheiden  zu  fragen,  ob  Du  mir  bei  der  ersten  Soiree, 
die  ich  unmittelbar  nach  dem  Concert  vom  19'*",  also  etwa 
am  22'^",  ja  selbst  am  21'*"  geben  würde,  behülflich  sein 
willst.  Ich  habe  mich  lang  besonnen,  ob  ich  Dich  darum 
bitten  sollte,  denn  es  ist  immer  gewissermaßen  ein  Opfer, 
das  Du  mir  bringen  sollst,  eine  Ausbeutung  Deiner  Kraft 
zu  meinen  Gunsten,    Aber  sieh,  ich  denke  so: 

1)  schadet  es  der  Rentabilität  Deiner  für  Januar  pro- 
jectirten  Conzerte  gewiß  nichts,  wenn  Du  mir  im  October 
einmal  mehr  spielst, 

2)  ist  es  Dir  immerhin  doch  nicht  ganz  gleichgültig,  ob 
Du  in  ein  Paar  Tagen,  die  Du,  so  hoffe  ich,  doch  bei  mir 
zubringen  würdest,  20  Fr'dor  mehr  (welche  ich  so  frei 
bin.  Dir  anzubieten)  mitnimmst  oder  nicht, 

3)  stelle  ich  Dir  die  Sache  ganz  ehrlich  und  aufrichtig 
dar,  wie  sie  ist,  und  sage  Dir,  ich  sehe  es  als  eine  große 
Freundlichkeit  Deinerseits  an,  wenn  Du  mir  zusagst.  Durch 
Deine  Mitwirkung  wäre  erstens  die  Rentabilität  meines 
Unternehmens  (woran  ich  in  diesem  Winter  doppelt  denken 
muß)  gesichert,  und  zweitens  würde  mein  Unternehmen 
ein  ganz  besonders  Relief  in  künstl.  Beziehg.  bekommen. 
Ich  würde  mit  Deiner  Zustimmung  noch  Lindner  dazu 
engagiren,  dem  ich  dadurch  gewiß  einen  großen  Dienst 
erwiese,  und  wir  würden  so  einmal  den  Berlinern  das  alte 
hannoversche  Trio  hören  lassen. 

Es  versteht  sich  ganz  von  selbst,  daß  ich  Dir  en  revanche 
für  Deine  Conzerte  auf  jede  Weise  dienen  will,  wenn  Du 
mich  brauchst.  .  .  . 


438  An  Bernhard  Scholz 

Der  guten  Ursi,  die  wir  in  Mägde -Angelegenheiten 
wahrhaft  mishraucht  haben,  sage  Dank  und  herzlichen 
Gruß;  wir  haben  dann  schließlich  das  Mädchen  engagirt, 
das  ihrer  Schilderung  nach  der  Bettelheim  so  ähnlich  sieht; 
sowie  sie  ankommt,  werde  ich  sie  examiniren,  ob  sie  viel- 
leicht auch  eine  ebensolche  Stimme  hat.  .  .  . 


An  Bernhard  Scholz 

H.  d.  1 1'"="  [vielm.  12.]  Sept.  1867 

Lieber  Freund 

Es  würde  mir  natürlich  Freude  machen,  Deinem  Wunsch 
hinsichtlich  der  Soiree  nachzukommen,  wenn  ich 
nicht  bereits  Schritte  gethan  hätte,  selbst  unmittelbar  nach 
dem  Philhannonischen  Concert  in  Berlin  zu  concertiren. 
Mein  Bruder  schrieb  mir  nämlich  aus  Wien,  daß  ich  vor 
dem  i5'^"  Nov""^  doch  nicht  gut  auftreten  könnte,  und  so 
wandte  ich  mich  bereits  am  3o"="  Aug.  an  Schaeff  in  Berlin, 
um  meine  Zeit  dort  zu  benützen.  Es  ist  mir  selbst  arg 
genug,  daß  ich  so  sehr  auf  den  Erwerb  bedacht  sein  muß; 
aber  ich  möchte  den  Jan.  und  Februar  fast  ausschließlich 
bei  der  Frau  in  Hannover  zubringen,  und  da  kann  ich 
nicht  anders,  als  die  Monate  vorher  möglichst  ersprießlich 
für  die  Meinen  verwerthen.  Wie  wäre  es  aber,  wenn  Du 
Deine  Soiree,  für  welche  Du  auf  mich  rechnest,  Anfangs 
des  kommenden  Jahres  gäbest?  Ich  würde  gerne  für  Dich, 
wenn  es  Dir  lieb  ist,  die  Reise  von  hier  aus  machen,  und 
es  versteht  sich  von  selbst,  daß  von  einem  Honorar  bei 
Deinen  eigenen  Soireen  nicht  die  Rede  sein  kann,  das 
Reisebillet  abgerechnet,  wenn  das  Dich  drückt!  .  .  . 

P.  S.    Ich  las  neulich  in  irgend  einer  Zeitung  einen  Auf- 
satz Julian  Schmidt's  über  Grimm's  Roman  ^)  angekündigt. 

•)  Unüberwindliche  Mächte, 


An  Julius  Stockhausen  4^9 

Weißt  Du,  wo  er  steht,  und  kannst  Du  mir  den  Aufsatz 
einsenden  lassen,  durch  irgend  welche  Buchhandlung? 
Mich  interessirt's. 

Von  demselben 

Berlin   i3.  Sept.   1867. 

Mein  Lieber 

Ich  danke  Dir  recht  herzlich  für  Deinen  Brief  und  Deine 
freundliche  Zusage  für  Januar;  die  Honorarfrage  er- 
ledigen wir  mündlich;  jedenfalls  ist  mir  Deine  Gesinnung 
gegen  mich  sehr  erfreulich. 

Ich  finde  es  ganz  natürlich,  daß  Du  unter  den  ange- 
führten Umständen  Deine  Zeit  hier  ausnützest,  und  freue 
mich,  daß  wir  Dich  auf  diese  Art  länger  genießen  sollen; 
wie  sehne  ich  mich  danach,  wieder  ein  Paar  Mal  mit  Dir 
musiziren  zu  können!  .  .  .  Julian  Schmidts  Rezension  über 
die  Unüberwindlichen  steht  in  den  Preuß.  Jahrbüchern, 
die  Du  gewiß  in  Hannover  vorfindest.  Wenn  nicht,  so 
will  ich  Dir  sie  gern  schicken;  sie  ist  sehr  ruhig  und  maß- 
voll gehalten.  Ich  finde  sie  nicht  in  Allem  zutreffend, 
hie  und  da  selbst  nicht  scharf  genug,  schneidet  nicht  bis 
auf  die  Knochen,  u.  das  soll  der  Anatom,  auch  der  geistige. 
Grüße  mir  herzlich  die  Ursi  und  die  Jungens. 
Addio 

Dein 

B.  Scholz. 

An  Julius  Stockhausen 

[Hannover]  26.  [Sept.   1867] 

Lieber  Stockhausen !  Man  schlägt  Orchestern,  wenn  sie 
kollegialisch  zutraulich  bitten,  nie  etwas  ab !  Zudem,  wie 
oft  habe  ich  schon  erfreulich  mit  dem  Hamburger  Körper 
gewirkt  und,  last  not  least,  bist  Du  der  Vermittler.    Also  3 


44o  An  Jul.  Otto  Grimm  in  Münster 

Gründe,  um  nichts  halb  zu  thun,  d.  h.  den  Herrn  meine 
Mitwirkung  ohne  Honorar  zur  Verfügung  zu  stellen. 
Nur  möchte  ich  bitten,  den  Tag  nicht  eher  zu  fixiren,  als 
bis  meine  anderen  Pläne  (Schwerin)  festgestellt  sind,  auch 
nicht  vor  dem  12"="  zu  annonciren.  Kiel  am  12'*"  6^^' 
ganz  gut,  ich  freue  mich  darauf;  nach  Schwerin  will  ich 
heute  schreiben.  Eure  Gastfreundschaft  nehme  ich  dankend 
gerne  an.    Die  Frau  grüßt 

D. 

J.  J. 

An  Stockhausen 

[Hannover]  Mittwoch  [2.  Okt,  1867.J 

Lieber  St!  Du  bist  mir  doch  nicht  böse,  daß  ich  neu- 
lich vergaß,  des  Schubertschen  Duo  zu  erwähnen.  Ich 
glaube  indeß  wirklich,  daß  dieses  Stück  sich  für  ein  Volks- 
Concert  als  Novität  nicht  eignet,  rathe  also  entschieden  ab. 
Es  ist  für  ein  Publikum,  das  eine  gewisse  Vertrautheit  mit 
den  göttlichen  Längen  des  Instrumental-Schubert  mit- 
bringt. Dem  Volk  muß  man  vor  allem  Haydn,  Mozart, 
Beethoven  lehren.  —  Mit  Mend.-Viol.-Concert  einverstanden. 
2'^  Nummer:  Adagio  v.  Spohr. 

Stets  getreulichst 

Joseph  J. 

An  Jul.  Otto  Grimm  in  Münster 

[Hannover,]  Sonntag.  [Herbst  1867.] 
Liebster  Ise 

Mama  Barth  ist  hier  und  sehr  vernünftig.    Sie  denkt 
nicht  daran,  daß  der  Junge  ^)   schon  was  verdienen 
müßte,  findet  es  auch  erklärlich,  daß  seine  Kleinheit  ihm 

*)  Richard  Barth,  damals  eben  17  Jahre  ah;  über  sein  nahes  Verhältnis 
zu  Grimm  vgl.  sein  Vorwort  zu  dessen  Briefw.  mit  Brahms. 


An  seine  Frau  44^ 


einigermaßen  für  eine  officielle  Concertmeisterschaft  im 
Wege  steht.  Da  ich  nun  positiv  glaube,  itens,  daß  Du 
positive  Freude  an  dem  Jungen  haben  würdest,  und  daß 
dem  Jungen  atens  eine  praktische  Orchester-Thätig- 
keit,  verbunden  mit  der  Gelegenheit,  öfter  öffentlich  zu 
spielen,  heilsam  sein  müßte,  so  gehe  ich  aus  meiner  Defen- 
sive heraus  und  frage  Dich  agressive:  kannst  und  willst 
Du  ihn  verwenden?  Es  erleichtert  vielleicht  auch  Deecke's  ^) 
Angelegenheit.  Bist  Du  nach  reiflicher  Überlegung  mit 
Pinchen  der  Meinung,  daß  Euch  Barth  (eine  nicht  genug 
zu  empfehlende  liebenswürdige,  echte  Natur)  in  Eurem 
Hause  nicht  geniren  würde?  Würde  es  Deiner  Frau  nicht 
zuviel,  das  mehr  der  Ausgaben  aufzuschreiben  und  Frau 
Barth  zur  Wiedererstattung  zu  behändigen?  (Ich  weiß, 
daß  dies  ein  Opfer  wäre,  mit  solchen  Plackereien  behelligt 
zu  werden!)  Würdest  Du  für  die  musikalischen  Leistungen 
Barth's  diesem  Klavier-  und  Kompositionsstunden  (i.  e.  Kon- 
trapunkt) zu  Theil  werden  lassen?  Ich  hielte  es  für  ein 
Glück  für  den  jungen,  mir  sehr  lieben  Kerl  so  einen 
Winter  in  Deiner  Umgebung  zuzubringen.  Überlege  es  und 
gieb  mir  sofort  Bescheid,  ob  ich  Mutter  Barth  zu  Dir 
(eventuell  mit  Sohn)  schicken  soll.  Ich  reise  Mittwoch 
Nacht,  müßte  also  vorher  Antwort  haben.  Wir  grüßen 
von  Herzen,  und  ich  bin 

Dein 

treu  ergebener 

J.  J. 

An  seine  Frau 

[Berlin]  Sonntag  Nachmittag  [20.  Okt.  1867.] 

Ist  das  nicht  arg,  daß  ich  Dir  noch  nicht  geschrieben? 
Aber  wie  war  ich  in  Anspruch  genommen !    Scholz  war 
an  der  Bahn,  wir  gingen  in's  Hotel  Wales;  da  ist's  aber 

^)  Der  einem  Ruf  Levis  als  Konzertmeister  nach  Karlsruhe  {jefolgt  war. 


44^  An  seine  Frau 


nicht  besonders,  und  da  Herman  und  Gisel  wiederholt 
mündlich  und  schriftlich  auseinandersetzten,  ich  könnte 
so  schön  bei  ihnen  sein  (sie  haben  auch  viel  Platz),  so 
werde  ich  wohl  morgen  hinziehn.  Sie  sagt,  sie  wünsche 
sich  es  seinetwegen,  damit  er  nicht  schon  wieder  arbeite 
und  sich  anstrenge,  und  er:  er  glaubt,  daß  es  ihr  soviel 
Plaisir  machen  würde,  daß  ich  kommen  müßte.  Kurz,  ich 
denke  recht  zu  thun,  wenn  ich  hinziehe.  Gelt?  Das  Con- 
cert^)  ist  im  Ganzen  gut  ausgefallen,  nur  die  Höhe  der 
Stimmung  war  unerträglich,  und  auch  die  Hitze.  Es  war 
voll,  und  nach  der  Chaconne  überreichte  mir  ein  Mädchen 
aus  dem  Chor  einen  Lorbeerkranz,  wovon  ein  Blatt  hier 
liegt.  Scholz  dirigirte  mit  viel  Frische  und  hat  das  Orchester 
(das  im  Klang  viel  zu  wünschen  übrig  läßt,  auch  unrein 
stimmt)  gut  in  Disciplin  gebracht.  Wir  waren  noch  nach 
dem  Konzert  kneipen :  Scholzens,  Maler  Menzel  ^)  mit  Frau, 
Dilthey,  Julian  Schmidt  und  Frau,  Hey  etc.  Ich  habe 
gestern  und  heute  bei  Scholz  gegessen,  sie  haben  einen 
ganz  netten  Kreis  junger  Gelehrten  und  wohnen  sehr 
behaglich.  Wir  können  für  6oo  Thlr.  gewiß  eine  ganz 
schöne  Wohnung  kriegen;  sie  sind  alle  praktisch  auf  Be- 
quemlichkeit eingerichtet.  Alles  freut  sich  auf  unser  Her- 
ziehen .  .  . 


An  seine  Frau 

[Berlin]  Dienstag,  5  Uhr  Nachmittag  [22.  Okt.  186-.] 

Ich  schreibe  Dir  einen  Gruß  von  Radeckes  aus,  wo  ich 
eben  mit  Scholzens  dinirt  habe,  und  wo  ich  gleich 
Scholzens  Trio  zu  hören  bekommen  soll.  Es  war  eine  aller- 
liebste Partie.    Radeckes  werden  Dir  gewiß  auch  gefallen ; 

^)  Das  I.  Philh.  Konzert  am  19.  d.  M.  unter  Bernh.  Scholz. 
*)  Menzel  war  nicht  verheiratet,  vieUeiclit  ist  die  Schwester  Frau  Krigar 
gemeint. 


An  seine  Frau  44^ 


ich  treue  mich  so  sehr  darauf,  im  Frühjahr  mit  Dir  hier 
eine  Wohnung  zu  suchen!  Radeckes  wohnen  im  Gentrum 
der  Stadt,  haben  einen  prächtigen  Garten  am  Haus,  der 
noch  dazu  an  einen  prinzhchen  Park  stößt,  also  die  frischeste 
Luft,  und  zahlen  35o  Thlr.  für  7  Räume!  Es  ist  gar  nicht 
so  arg  mit  der  Theuerung  .  .  . !  Der  arme  Bär  hat  Pech;  er 
hat  sich  durch  Sparsamkeit  mit  Billets  die  Presse  verfeindet. 
Es  ist  nicht  seine  Schuld,  da  er  nichts  mit  den  Arrange- 
ments des  praktischen  Theils  zu  thun  hat  —  aber  alle 
Recensenten  (auch  Gumprecht)  schweigen  die  Concerte 
todt.  X,  der  eigentlich  das  Coinite  der  Philh.  Concerte  ver- 
tritt, hat  einem  wichtigen  Kritiker  (der  verheirathet  ist)  nur 
eine  Karte  geschickt,  dieser  sandte  sie  zurück,  und  nun 
schrieb  man  ihm  zur  Entschuldigung,  wenn  Gumprecht 
(der  blind  ist)  u.  Kossak  (der  lahm  ist)  nicht  2  Billete  haben 
müßten,  um  auszugehen,  so  hätte  man  ihnen  auch  nur 
eines  gegeben !  Davon  hat  nun  natürlich  der  Beleidigte  den 
indiskretesten  Gebrauch  gemacht  und  alle  aufgehetzt!  Der 
arme  Scholz  nimmt  sich  die  Sache  sehr  zu  Herzen.  Ich 
freue  mich  auf  den  guten  Bletz  ^),  will  ihn  morgen  an  der 
Bahn  empfangen.  Du  hast  doch  das  Ungarische  Goncert 
gefunden  und  geschickt? 


An  dieselbe 

[Wien,  etwa  i5.  Nov.  1867] 

.  .  .  Das  war  wohl  ein  echter  Schwabenstreich,  daß  ich 
mich  so  anstrengte  und  nach  Klagenfurt  fuhr  —  es  war 
aber  doch  gut!  Auch  Brück  an  der  Mur,  wo  ich  im 
Mondschein  sehen  konnte,  wie  schön  es  liegt,  und  auch 
an  Deinen  guten  Vatter  dachte,  der  wohl  nicht  weit  weg 
von   der   Eisenbahnstation   auf  dem   schönen   Fleck   Erde 

*)  Der  Baritonist  Bietzacher  aus  Hannover. 


444  ^^  seine  Frau 


ruht.  Wie  sehr  wünschte  ich  Dich  zu  mir,  wie  wollte  ich 
überhaupt,  daß  Du  hier  wärest!  Gestern  der  Redouten- 
Saal  hätte  Dich  auch  gefreut  —  allerdings  waren  viel  Frei- 
billette (z.  B.  an  die  Orchester -Mitglieder)  vertheilt  —  es 
war  aber  auch  ganz  voll,  und  es  werden  wohl  an  lOOO  Fl, 
übrig  bleiben,  denke  ich.  An  der  Kasse  wurde  noch  für 
etwas  über  3oo  Fl.  verkauft.  Ich  schreibe  die  Zahlen, 
weil  sie  für  die  Theilnahme  sprechen.  Frl.  Enequist  sang 
ganz  hübsch,  mit  dem  schwedischen  Sinn  für  Wohlklang, 
aber  auch  kühl.  Sie  schlägt  einen  süperben  Triller.  Mein 
ungarisches  Concert  hätte  vom  Orchester  aus  besser 
gehen  können  —  eine  Probe,  mit  andern  Sachen  dabei, 
langt  für  das  W^erk  bei  den  besten  Kräften  nicht  aus.  Sie 
schleppten,  und  die  Bläser  waren  nicht  zart  genug  im  All- 
gemeinen, wie  das  Quartett  nicht  schwunghaft  genug. 
Ich  wollte  2  Proben,  DessofF  meinte  aber,  sie  hätten  es  ja 
mit  mir  u.  seitdem  mit  Laub  gespielt.  Nachher  mußte  er 
mir  recht  geben;  da  war's  zu  spät.  Na,  das  Concert  war 
doch  gelungen  im  Ganzen,  und  ich  habe  recht  con  amore 
gegeigt.  Sonnabend  ist  nun  wieder  mit  Brahms  Concert 
im  kleinen  Saal ;  wir  können  mit  dem  Programm  nicht  zu 
Stande  kommen;  Brahms  ist  so  launenhaft  und  unbestimmt 
dabei.  Wenn  er  nur  öffentlich  so  spielte  wie  zu  Haus  — 
er  ist  aber  durch  die  Grazer  Reise  etwas  in  Zug  gekommen. 
Mit  Rubinstein  ist's  nicht  so  brillant  hier,  wie  die  Zei- 
tungen schildern.  Sein  3'*''  Concert  war  gar  nicht  voll;  er 
spielt  aber  manches  wundervoll,  nur  so  liederlich  ungleich, 
gerade  wie  er  componirt.  Ich  sage  Dir,  Händersche 
Variationen  spielte  [er]  gerade  so  gemein  wie  Jaell  —  aber 
leider  schlug  das  am  meisten  durch.  Das  Publikum  bleibt 
nicht  reinlich  —  auch's  Beste!  —  Heute  hatte  ich  schon 
Quartett -Probe.  Schließlich  habe  ich  Rover,  Hellmes- 
berger's  Cellisten,  den  dieser  cedirte,  nachdem  der  arme 
Schlesinger  am  Bluthusten  erkrankte,  alle  andern  zu 
ängstlich    waren    und    ich    schon    Müller    telegraphiren 


An  seine  Frau  44^^ 


wollte.    —   Morgen    früh    gehe   ich   mit   Standhartner   zu 
Hebrai). 

Ich  schreibe  nicht  weiter,  mein  Arm  ist  etwas  müde.  .  .  . 


An  seine  Frau 

[Wien]  Freitag.  [22.  Nov.  67] 
ch  habe  wirklich  so  fortwährend  zu  thun  (jetzt  auch 


I 


fast  täglich  Quartettprobe),  daß  Du  Nachsicht  üben  mußt; 
aber  meinen  längeren  Brief  mußt  Du  nun  auch  unmittel- 
bar nach  Absendung  des  Deinen  bekommen  haben.  Denke, 
daß  morgen  mein  6'"'  Concert  (mit  Programm  machen, 
was  sehr  schwer  ist.  Reisen,  Proben  etc.)  stattfindet.  Sonn- 
tag gehe  ich  mit  Brahms  nach  Brunn,  ein  bischen  näher 
zu  Dir.  Es  nimmt  nur  einen  Tag  in  Anspruch  und  bringt 
wohl  jedem  200  Fl.  Im  Redoutensaal  sind  bloß  880  Fl. 
netto  geblieben,  über  700  Fl.  Kosten!  Man  meint  aber, 
das  am  22'^"  Dezbr.  wird  noch  besser  ausfallen;  der  Saal 
war  nicht  früher  frei. 

Große  musikalische  Freude  habe  ich  an  den  Quartetten; 
Käßmeyer  ist  viel  besser  wie  der  2'"  Geiger  Eyertt,  Hilpert 
wenigstens  sehr  gut,  u.  Rover  hat  zwar  weniger  Ton  wie 
Lindner,  ist  aber  schmiegsamer  und  zarter;  ich  denke,  es 
wird  gut  gehen.  Die  Programme  schicke  ich  später.  — 
Bei  der  Königin  war  es  neulich  recht  behaglich,  nur  der 
König  2),  die  Kinder,  eine  alte  Fürstin  Eszterhäzy  (die 
Schwiegertochter  des  Haydn'schen)  Herr  v.  Stock. [hausen]  '^) 
u.  die  Grfin  Bremer.  Wir  waren  von  7 — 1 1  dort.  Die 
Königin   läfk    Dich    herzlich  grüßen,  es  gieiige  ihr  gut 

^)  um  den  berühmten  Arzt  weffcn  eines  schmerzhaften  Finjjers  zu  kon- 
sultieren. 

*)  Köni^y  Georg  von  Hannover,  der  nach  der  Katastrophe  von  i86G 
seinen  Hothalt  in  Hietzing  bei  Wien  aufgeschlagen  hatte. 

')  Früher  Hannov.  Gesandter  in  Wien,  Vater  der  Frau  v.  Herzogenberg. 


446  An  seine  Frau 


bis  auf  großes  Heimweh.  Ich  merkte  es  der  guten  Dame 
an.  Der  König  weiß  nicht,  daß  wir  nach  BerHn  ziehen; 
Stockh.  sagte  mir,  es  fehlt  ihm  der  Muth,  es  ihm  mit- 
zutheilen.  Er  ist  sehr  gealtert,  war  aber  wirklich  liebens- 
würdig und  sprach  mit  Ernst  aber  ohne  Heftigkeit  davon, 
daß  er  zwar  seine  Nachbarn  (da  er  in  Berlin  erzogen)  ge- 
nügend kannte,  um  ihnen  nichts  Gutes  zuzutrauen,  daß  er 
aber  von  dem  jetzigen  König  von  Preußen,  den  er  immer 
für  einen  redlichen,  wohlgesinnten  Herrn  gehalten,  sich 
diesen  Überfall  nicht  erwartet  habe.  Indeß  könnte  Gott 
nicht  zulassen,  daß  es  auf  die  Länge  so  ungerecht  höre  [so!], 
und  er  wolle  mit  Stärke  die  kurze  Trennung  von  seinem 
geliebten  Hannover  ertragen.  Es  war  für  mich  ein  er- 
greifender, peinlicher  Moment,  u.  ich  antwortete,  da  er 
schwieg:  Gott  erkennt  seine  treuen  Diener  daran,  daß  sie 
im  Unglück  am  festesten  auf  ihn  bauen.  Was  konnte  ich 
anders  sagen?!  Die  armen  Leute!  Vergiß  nicht,  lieb  Kind, 
mir  den  Guelphen- Orden  mit  der  Schachtel  zu  schicken; 
der  König  fühlte  neulich  nach  der  Stelle,  wo  er  sitzen 
sollte,  ich  habe  mir  vorschriftswidrig  nur  ein  blaues  Band 
in  aller  Eile  einknüpfen  können.  Ich  dachte  wohl  daran, 
daß  ich  nicht  „Mangel  an  Nichtachtung"  i)  beweisen  durfte.— 
Gestern  war  ich  in  der  Vorstellung  der  Concordia  an  der 
Wieden:  ein  neues  MosenthaFsches  Stück,  von  den  Burg- 
theater-Mitgliedern gespielt.  Ich  war  von  der  Darstellung 
buchstäblich  hingerissen:  Löwe  und  Laroche,  der  eine  als 
westfälischer  Dorfschulz  (Zimmermann'sch),  der  andere  als 
Gutsbesitzer  (eine  Art  Willisen),  von  einer  Feinheit,  Sicher- 
heit, Maaß  haltend  und  doch  so  kräftig,  es  war  zum  Dich 
herbei  wünschen.  Auch  die  alte  Haitzinger,  Levinsky  in 
einer  Nebenrolle  unübertrefflich.  Das  Stück  war  stellen- 
weis effektvoll,  aber  im  Ganzen  ungenügend,  gegen  den 
Schluß  ermattend.  .  .  . 

*)  Ein  bei  J.  geflügeltes  Wort,  das  aus  einer  Anekdote  stammt,  in  der 
sich  Jemand  „solchen  Mangel  an  Nichtachtung"  verbittet. 


An  seine  Frau  44? 


Über  Brahms  bald  mehr;  da  hast  Du  ihn  und  mich^). 
Er  ist  besser  als  sein  Ruf;  wird  allmählig  viel  lieber!  Daß 
Du  in  Bremen  warst,  freut  mich.  Hebra  will,  daß  ich 
nichts  thue,  als  zum  Schutz  einen  Finger  trage,  wenn 
ich  nicht  spiele.    Hat  nichts  auf  sich. 

Grüße  alle,  die  Du  willst. 


An  seine  Frau 

[Wien,  Dienstag  2/).  Nov.  67] 

...  In  Brunn  gieng's  gut;  jeder  hat  doch  25o  Fl. 
übrig.  Concert  hier  am  Sonnabend  war  brillant;  auch 
Brahms  spielte  gut  disponirt.  Eben  erwarte  ich  Mrs.  Sartoris 
u.  Lady  Bloomfield,  die  englische  Gesandtin,  die  Brahms 
gern  einmal  a  la  camera  hören  wollten,  weil  ich  gesagt, 
daß  er  dann  viel  schöner  spielt.  Auch  Schwind  kömmt, 
der    Dich   herzlich    grüßt.     Die  Katzen -Sonate  2)  ist  ganz 

*)  Eine  Photographie  beider. 

*)  Die  „Katzen -Symphonie"  Schwind's  ist  wiederhoU  reproduziert; 
die  Idee  kam  Schw.  als  Ritter  des  Katzenordens,  vgl.  Bh.  Scholz,  Ver- 
klungene  Weisen  S.  169.  Daß  die  Überschrift  „Zukunftsmusik"  keine 
Satire  auf  Wagner  sein  soll,  wie  man  öfter  angenommen,  ist  aus  den 
beiden  nachstehenden  Briefen  ersichtlich. 

Hrn.  Fr.  Senff  in  Leipzig. 

Euer  Hochvvohlgeboren 
beehren  meine  Herrn  Joachim  gewidmeten  Violin  Variatzionen  mit  einer 
sehr  auszeichnenden  Ankündigung.  Als  jungem  Compositeur  —  es  handelt 
sich  um  meinen  ersten  Versuch  auf  musikalischem  Boden  —  muß  dessen 
Erscheinen  in  Ihrer  bekannten  Verlagshandlung  nur  aufmunternd 
und  erfreulich  erscheinen  —  Ich  sehe,  Sie  halten  es  wenigstens  für  mög- 
lich, daß  dieser  kühne  Versuch,  ein  ausdrucksvolleres,  durchgeistigteres 
Notensystem  an  die  Stelle  des  veralterten,  einem  überwundenen  Stand- 
punkt angehöriges  [!]  pedantisches  und  zopligen  [aus  s.  korrig.]  Schreiber- 
wesen zu  setzen,  vor  dem  Publicum  Gnade  finden  könnte.  Seien  sie  ver- 
sichert, Sie  haben  Sich  einer  Sache  angenommen,  die  eine  Zukvmft  hat. 

Da  die  Sache  aber  auch  eine  malerische  Seite,  und  ich  als  solcher  als 
alte  Firma  gelte,  von  der  viele  Freunde  Freiexemplare  geschenkt  zu  erhalten 


448  An  seine  Frau 


genialisch,  aber  nur  auf  ein  Notenblatt,  ein  gewöhn- 
liches hingeworfen,  nichts  größeres,  wird  Dir  aber  Spaß 
machen.  Grüße  die  liebe  Frau  Schumann  und  küsse  die 
Kinder  lOOO  Mal. 

Immer  Dein 

Jo. 

{jewohnt  sind,  möchte  ich  E.  Hochvvohlgeb.  unbeschadet  des  Danks,  den 
ich  Ihnen  als  angehender  Musiker  schulde,  von  der  malerischen  Seite  die 
freundliche  Zumuthung  ansinnen,  mich  durch  Zusendung  einer  hübschen 
Parthie  Exemplare  zu  überraschen  —  aber  keine  Visiten -Karten -Größe, 
die  ist  abscheulich.  Wollen  wir  auf  diese  freundliche  Weise,  dem  nicht 
mehr  zu  beschwichtigenden  Ruf  nach  Autors  Rechten,  wie  man  sagt, 
Rechnung  tragen. 

Mit  ausgezeichneter  Hochachtung 

Ihr  ergebenster 
München,  4'*"  Jan.  1869  M.  v.  Schwind. 


Euer  Hochwohlgeboren 
verehrliches  Schreiben  unterrichtet  mich,  daß  ich  mich  mit  der  Annahme, 
Sie  seien  der  Verleger  der  berühmten  Variationen,  gänzlich  im  Irrthnm 
befunden.  Von  Herrn  Wawra  werde  ich  nichts  bekommen,  denn  ich  habe 
ihm  in  Wien  schon  ein  Paar  Dutzend  abgenommen.  Das  ganze  ist  eine 
Kinderei  und  eine  Unvorsichtigkeit  von  Seite  Joachims,  also  niclit  davon 
zu  reden.  Da  ich  aber  dem  ohngeachtet  Abdrücke  brauche,  will  ich 
wenigstens  jenem  Heiden  in  Wien  nichts  zu  verdienen  geben,  und  er- 
suche Sie,  Verehrtester  Herr,  mir  ein  Dutzend  von  der  größern  Auflage 
—  die  visitenkartenmäßige  finde  ich  niederträchtig,  gegen  Postnachnahme, 
an  mich  gelangen  zu  lassen. 

Eine  große  Fantasie  für  Ciavier  —  Frau  Clara  Schumann  gewiedmet  — 
möchte  ich  schon  lange  schreiben.  Die  Aussictit  auf  ein  Honorar  in  Beeth. 
Simfonien  u.  dgl.  würde  mich  ermuntern — es  nur  ein  bescheidener  Wink. 

Hier  kommt  das  Ding  gar  nicht  zum  Vorschein.  Ich  glaube,  man 
fürchtet  sich,  es  auf  R.  Wagner  bezogen  zu  sehen,  während  an  nichts 
weiters  gedacht  ist,  als  an  den  Orden  von  der  schwarzen  Katze,  der  sein 
Capitl  in  Hannover  hat  und  dem  Joachim  und  ich  anzugehören  die  Ehre 
haben. 

Mit  ausgezeichneter  Hochachtung 

Ihr  ergebenster 
München  17.  1.69.  M.v.  Schwind 

Sonnenstr.  23. 


An  seine  Frau  449 


An  seine  Frau 

[Wien]  Sonntag.  [i.Dez.   1867] 

.  .  .  Mein  Handgelenk  ist  trotz  des  Spielens  besser;  ich 
hatte  wirkhch  Angst,  es  könnte  mir  einen  Strich  durch 
die  Rechnung  machen.  Nun  bleibe  ich  diese  Woche  ganz 
ruhig  hier,  jedenfalls  bis  Freitag;  dann  geht's  wahrschein- 
lich nach  Pesth.  Ich  habe  Donnerstag  zweites  Quartett, 
also  jeden  Tag  daran  zu  probiren.  Das  erste  am  Donners- 
tag gieng  ganz  gut;  aber  natürlich  finden  die  weisen  Leute, 
daß  das  Hellmesberger'sche  Quartett,  da  sie  Jahraus  Jahr- 
ein zusammenspielen,  schöner  und  vollendeter  geht.  Na, 
auch  recht!  Übrigens  habe  ich  viel  Last,  und  für  die  vielen, 
vielen  Stunden,  die  ich  daran  wende,  werden  die  lOOO  Fl. 
Reinertrag  für  die  3  Abende  kein  reicher  pekuniärer 
Gewinn  sein;  gedrängt  voll  war's  nicht,  aber  man  meint, 
die  nächsten  werden  besser  sein.  Ob  ich  am  22'*"  Decbr, 
Erlaubniß  bekomme,  mein  Concert  im  großen  Redouten- 
saal  zu  geben,  ist  noch  ungewiß.  Die  Polizei  hat  es  einst- 
weilen (der  Feiertage  wegen)  untersagt!  aber  ich  habe  an's 
Consistorium  apellirt,  und  der  Rath  Kornhäusel,  den  ich 
sprach,  hofft  es  durchzusetzen.  Es  ist  dies  der  vortragende 
Rath  des  Erzbischofs,  ein  sehr  feiner,  liebenswürdiger  Welt- 
mann im  PfafTenrock,  der  mir  sagte,  daß  man  bei  meinen 
Concerten  im  Voraus  wüßte,  es  könnte  nichts  vorfallen, 
was  nicht  zur  Feier  eines  Festtages  beitrüge;  meine  Rich- 
tung spräche  dafür;  vederemo!  —  Gestern  war  ich  wieder 
beim  König  .  .  ,  Ich  fuhr  beidemal  um  7  Uhr  mit  Rrahms 
hinaus,  man  bleibt  dann  im  engsten  Kreis  bis  11V2  Uhr 
und  muß  dann  „ungespeist"  noch  hier  in  ein  Wirthshaus, 
hat  auch  den  Wagen  mit  7  Gulden  zu  bezahlen.  ^)  Ich 
würde  es  für  gemein  halten,  das  zu  sagen,  wenn  nicht  be- 
kanntlich 6  o  Pferde  im  Marstall  hier  ständen.    Die  Röni- 

*)  Natürlich  ahnten  die  Herrschaften  davon  nichts. 


45o  An  seine  Frau 


gin  und  die  Prinzessin  Marie  lassen  Dich  herzlich  grüßen, 
sie  trugen  es  mehrmals  auf  und  sahen  so  lieb  dabei  aus, 
daß  sie  es  werth  sind.  Dein  Ordenspacketchen  kam  erst 
heute  an,  also  zu  spät.  Und  keine  Zeile  dabei  —  Du  böses 
Kind !  Wir  sind  doch  recht  unglücklich  daran,  so  getrennt 
von  einander  vegetiren  zu  müssen  —  statt  uns  des  Lebens 
und  der  rechten  Arbeit  gemeinsam  zu  freuen.  Ach,  wäret 
Ihr  hier!  —  Die  einzige  volle  Freude  habe  ich  eben  gehabt, 
wo  die  3  ersten  Sätze  von  Brahms'  Requiem  im  Gesellschafts- 
Concert,  wenn  auch  unvollkommen  ausgeführt,  gemacht 
wurden.  Die  Musik  ist  auf  gleicher  Höhe  mit  der  Idee  des 
Ganzen,  von  einer  Tiefe  der  Empfindung,  einem  Schwung 
der  Auffassung,  einer  Originalität  der  Conzeption,  die 
Brahms  für  mich  zu  einem  erhabenen  Menschen  stempelt, 
dem  gegenüber  ich  nie  an  Kleinigkeiten,  die  mir  an  ihm 
nicht  recht  sind,  mäkeln  werde.  O  Uzzi,  könnte  ich  das 
Werk  einmal  so  einstudiren,  wie  ich's  fühle,  und  Du  zu- 
hören! Wo,  wann  wird  das  sein?!  Ich  wollte,  Bronsart 
lernte  das  Stück  kennen  und  begeisterte  sich  dafür,  wie 
ich!  Vielleicht  ließe  er's  dann  mit  Muße  in  den  Sommer- 
monaten schön  einstudiren  und  brächte  es  dann  nächsten 
Herbst.  Wer  weiß,  wie  lange  Brahms  noch  wird  schmachten 
müssen,  ehe  er's  hört,  wie  sich's  gebührte.  —  Das  Publi- 
kum hörte  mit  Theilnahme  zu  —  eine  kompakte  kleine 
Partei  mit  Weihe  und  Enthusiasmus;  einiges  zischendes 
Gesindel  konnte  doch  den  Sieg  nicht  erringen,  Brahms 
wurde  laut  gerufen,  und  der  Beifall  hielt  an,  obwohl  er 
5  Minuten  lang  brauchte,  um  vom  Saal  über  die  Treppe 
in's  Orchester  zu  kommen.  —  Von  Schuberts  Musik  ^)  ist 
einzelnes  entzückend  schön  und  graziös  populär.  Die  Aus- 
führung war  ausgezeichnet;  Herbeck  kann  fein  und  schwung- 
voll einstudiren.  Ein  ausgezeichneter  Dirigent,  der  nur  auf 
Schubert  allein  Mühe  verwandte.  Es  fehlt  an  Proben  wie 
überall. 

^)  Musik  zu  Rosamunde;  vgl.  über  die  Aufführung  auch  Kalbeck  II 23 1  f. 


An  seine  Frau  4^* 


Über  eine  sehr  gelungene  Soiree  bei  Julie  [v.  Asten] 
(mit  der  Bettelh.,  Lewinsky,  Hanslick,  etc.)  ein  ander  Mal 

Frau  Schumann  ist  wohl  wieder  abgereist.  Schreibe  mir, 
wohin,  und  willst  Du  sehr  lieb  sein,  so  schreibe  ihr,  daß 
das  Requiem  herrlich  war  und  mich  begeisterte  .  .  , 

An  seine  Frau 

[Wien  ca.  2.  Dez.  1867] 

Mein  Arm  ist  wieder  ganz  gut;  ich  sage  dies  nicht, 
um  Dich  zu  beruhigen,  sondern:  auf  Ehre,  es  ist 
vorbei.  Ich  habe  ihn  mit  Zwiebelsaft  eingerieben  und  im 
Quartett  u,  bei  Königs  auf  den  Ärmel  einen  Zettel  gepickt, 
worauf  stand :  nur  äußerlich !  Denn  da  Zwiebel  der  Juden 
Speise  ist  (ich  aß  Samstag  in  einer  jüdischen  Restauration 
mit  Brahms,  Wittelshöfer i)  u.  Fritz  köstlich),  so  war  das 
wohl  nöthig  .  .  .  Freitag  gehe  ich  nach  Pesth,  gebe  Sams- 
tag u.  Dienstag  dort  mit  Brahms  Concert.  Gestern  hat 
Rubinstein  zu  Zeiten  entzückend  schön  in  seinem  Ab- 
schieds-Concert  gespielt.  Er  hat  den  schönsten  Anschlag 
von  allen.  Nachher  kneipte  ich  mit  ihm  u.  ßr.  bis  i  Öhr, 
es  war  recht  gemüthlich  u.  freute  ihn.  Wo  hat  er  Dich 
singen  gehört,  daß  er  so  entzückt  von  Deinem  Lieder- 
gesang ist?  .  .  . 

An  dieselbe 

[Wien]  Freitag.  [i3./i4-  Dez.  67] 

Von  mir  kriegst  Du  keine  Beschreibung  der  Soiree  mehr, 
das  geht  ja  alles  mündlich  bald.  Ich  habe  so  viel  zu 
thun!  Heute  z.  B.  zwei  Proben  für's  Quartett  am  Sams- 
tag;  Vormittags   und   Abends.    Gestern   lief  mitfolgendes 

^)  Prof.  der  Medizin,  Verwandter  Js. 

^9' 


452  An  seine  Frau 


Programm  von  Stapel,  und  zwar  sehr  gut,  ich  war  ordent- 
lich disponirt  und  gab  ein  Bach'sches  Andante  zu.  Das 
Orchester,  die  Streicher  nur  aus  Dilettanten  bestehend, 
spielte  sehr  brav.  Die  Mozart'sche  Sinfonie,  eine  ganz  kleine, 
mir  nicht  bekannte,  hat  reizende  Sachen;  auch  Labor 
spielte  stellenweise  sogar  sehr  schön.  Er  giebt  Montag  sein 
2'*^  Concert  und  bath  natürlich  mich  —  aber  ich  kann 
doch  schließlich  nicht  jeden  Tag  öffentlich  spielen.  Sonn- 
tag Concordia,  Mittags  im  Karltheater;  die  Kreutzer-Sonate 
(mit  Brahms,  auswendig)  und  Tartini  .  .  .  Vielleicht  kann 
ich  endlich  in's  Burgtheater.  Heute  ist  das  Wintermähr- 
chen  mit  der  Wolter  —  aber  ich  habe  Probe.  —  Ich  kriege 
täglich  von  Schwester  und  Cousinen  Vorwürfe,  daß  ich 
nicht  zum  Essen  komme,  aber  ich  bin  froh,  wenn  ich 
das  im  Beisel  in  1/3  Stunde  abmache  und  nicht  noch  bei 
Tisch  Rede  u.  Antwort  zu  stehen  brauche  .  .  .  Die  Woche 
will  ich  nun  hier  so  viel  wie  möglich  genießen  und  Besor- 
gungen machen.  Es  ist  Schade,  daß  ich  nicht  noch  mit 
den  Quartetten  fortfahren  kann ;  die  Spieler  kommen  immer 
mehr  in  Zug  und  möchtens  auch  gern.  Ein  andermal, 
da  müssen  wir  zusammen  auf  ein  paar  Monate  her- 
kommen .  .  . 


An  seine  Frau 

[Wien]  Am  18'^"  [Dez.  67.] 

Am  23'*"  in  aller  Früh  reise  ich  fort  und  esse,  so 
Gott  will,  am  24"^"  mit  Euch  zu  Mittag;  aber 
vielleicht  wäre  es  doch  besser,  die  Bescheerung  auf  den 
25'*°  zu  verschieben,  wir  putzen  dann  am  24'^"  den  Baum 
zusammen.  Ach,  wie  ich  mich  darauf  freue!  Das  mache, 
ganz  wie  Du  Lust  hast.  Es  ist  ein  Elend,  daß  der  22'*  der 
einzige  Tag  ist,  der  zur  Wahl  stand!  Neulich  Sonntag 
nach  dem  Concordia-Concert  war  ich   so  müde,    daß  ich 


An  seine  Frau  ^53 


nur  fähig  war,  in  der  Wieden  mich  in  der  Zauberposse  der 
Diamant  und  Geisterkönig  von  Raimund  auszusimpeln. 
Gestern  war  ich  in  der  Burg,  wo  die  Gönnerschaften  von 
Scribe  kösthch  gespielt  wurden.  Das  und  ein  Stück,  in  dem 
die  Gallmeyer  spielte  (die  jedenfalls  das  größte  Bühnen- 
talent ist,  das  Wien  aufzuweisen  hat),  ist  alles,  was  ich  hier 
im  Theater  zu  sehen  bekam.  Die  Iphigenia  von  Gluck 
versäumte  ich  durch  eine  Einladung,  und  Richard  d.  Illte 
war  während  eines  meiner  Concerte !  Wir  müssen  wirklich 
einmal  zusammen  einige  ruhige  Monate  hier  verleben,  alles 
Schöne  genießen.  Für  meine  musikalischen  Erfolge  ist's 
Schade,  daß  ich  schon  fort  muß;  Du  hast  keine  Idee,  wie 
sichtlich  die  Quartette  in  die  Gunst  der  Hörer  hinein- 
wuchsen. Ich  könnte  jetzt  noch  6  ankündigen,  und  die 
Billette  wären  gleich  vergriffen.  —  Man  macht  hier  An- 
strengungen, um  den  Vorstand  des  Conservatoriums  neu 
zu  organisiien  und  es  dahin  zu  bringen,  daß  sie  mir  eine 
ordentliche  Besoldung  als  Director  bieten  können.  Die 
Stelle  würde  dann  mit  genügender  Vollmacht  ausgerüstet 
werden,  um  mir  ein  ersprießliches  Wirken  zu  sichern. 
Ich  glaube  nicht  daran,  daß  es  zu  Stande  kömmt,  und 
habe  das  den  unter  der  Hand  fragenden  mitgetheilt,  aber 
zugleich  gesagt,  daß  ich  natürlich  für  meine  Pflicht  halten 
würde,  eine  gesicherte  Stellung,  die  mir  ein  schönes 
musikalisches  Wirken  hier  ermöglichte,  anzunehmen.  Sams- 
tag sind  die  Neuwahlen,  die  Schelle,  Dumba  u.  A.  in  dem 
Sinn  bearbeiten  wollen.  Aber,  wie  gesagt,  wir  können  ge- 
trost nach  Berlin  ziehn.  —  Mit  den  hiesigen  Kräften  und 
dem  Publikum  wäre  wohl  etwas  anzufangen;  aber  dann 
bin  ich  wieder  so  entschieden  norddeutsch  geworden  und 
hasse  diese  Kriecherei  und  ewige  Höflichkeit  der  Menschen, 
von  denen  selten  einer  den  Muth  hat,  seiner  Überzeugung 
zu  leben.  Die  Norddeutschen  sind  einfacher  und  tüchtiger, 
wenn  auch  weniger  erregbar  und  lebenslustig.  Sie  finden 
den  Kern  der  Dinge  eher  heraus.    Na,  mündlich  bald  über 


454  An  Clara  Schumann 

dies  und  so  vieles  andere  .  .  .  An  Frau  Schumann  weiß  ich 
nichts  zu  schicken,  aber  wenn  Du  kannst,  so  suche  doch 
mit  Hülfe  von  Riechers  ^)  die  Guarneri  aus  meinen  Violinen 
hervor,  lasse  sie  gut  verpacken,  versichern  und  schicke  sie 
an  den  Felix  Schumann  durch  Grimms.  Ich  hatte  sie  ja 
immer  diesem  meinem  ideellen  Pathchen  zugedacht.  Das 
kannst  Du  dabei  schreiben,  wenn  Dir  das  Ganze  recht  ist. 
Wie  lieb  ist,  was  Du  von  den  Buben  schreibst  —  wie  mir 
manchmal  das  Herz  nach  Euch  schwer  ist!  —  Nun  bald 
schlägt  Erlösung.   Bald  heißt  es  auf  Wiedersehen ! 

Dein 

Jo. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover]  Am  3i*«"  Dec^'  [1867] 

Liebe  Frau  Schumann 

Wenn  ich  auch  nur  wenige  Minuten  heute  erübrige, 
so  will  ich  Sie  morgen  nicht  ohne  herzlichen  Gruß 
von  uns  wissen.  Sie  haben  hoffentlich  fortwährend  gute 
Berichte  von  Julchen  und  können  sich  des  Zusammenseins 
mit  den  andern  lieben  Kindern  ungetrübt  freuen,  die  ich 
herzlich  zu  grüßen  bitte;  es  sind  wohl  Marie,  Elise,  Fer- 
dinand? Der  letzte  ist  ein  so  stattlicher,  prächtiger,  lebens- 
frischer Junge  geworden,  daß  ich  mich  in  Berlin  seiner 
recht  freute.  Dabei  fällt  es  mir  aufs  Herz,  daß  ich  Ihnen 
von  Felixchens  Spiel  noch  gar  nichts  geschrieben !  Der  liebe 
Junge  spielte  mir  die  Fdur  Romanze  von  Beethoven  vor, 
und  recht  rein  und  ordentlich.  Mehr  kann  ich  freilich 
nicht  sagen ;  aber  es  ist  bei  der  wirklich  sehr  geringen  Zeit, 
die  er  aufs  Violinspiel  verwenden  kann,  gar  nicht  möglich, 
viel  zu  leisten.  Um  mir  ein  ürtheil  über  seine  Befähigung 
zum  Künstler  zu  erlauben,  müßte  ich  ihm  entweder  selbst 

*)  Tüchtiger  Geigenmacher,  später  in  Berhn. 


An  Bernh.  Scholz  4^^ 

eine  Zeitlang  Unterricht  geben  können  oder  ihn  hören, 
nachdem  er  mehr  und  anhaltend  Mühe  aufs  Geigen  ver- 
wendet hat.  Wenn  ich,  so  Gott  will,  im  Herbst  nach  Berlin 
übersiedle,  werde  ich  mich  ja  mit  dem  guten  Lix  mehr 
befassen  können;  aber  es  wäre  gut  (da  Sie  überhaupt  die 
Möglichkeit,  ihn  zum  Musiker  zu  bestimmen,  in's  Auge 
fassen),  wenn  er  vorläufig  mindestens  1^/2  Stunden  aufs 
Üben  verwendete.  Sollte  sich  das  nicht  einrichten  lassen? 
Er  läßt  sich  ganz  geschickt  zum  Violinspielen  an,  und  es 
wäre  ein  Unrecht,  geradezu  abzurathen,  bevor  man  ihm  die 
Möglichkeit  zur  Entwicklung  einige  Monate  wenigstens 
gegönnt  hat. 

Mehr  kann  ich  nicht  sagen;  leider  wohl  nicht  mehr,  als 
Sie  ohnehin  gewußt!  — 

Wie  schön  fängt  das  Jahr  durch  die  Genoveva  ^)  für  Sie 
an;  könnte  ich  sie  mithören!  Überhaupt  wäre  ich  gern 
nach  Karlsruhe,  's  ist  nur  gar  so  weit,  und  da  ich  im 
Februar  (zum  17'*")  wieder  nach  London  muß,  mag  ich 
mir  von  der  Zeit  bei  den  Meinigen  nicht  mehr  als  nöthig 
abschneiden.  In  Brüssel  zu  spielen  möchte  ich  Ihnen  unter 
allen  Umständen  rathen,  die  Akustik  ist  im  Theater  nicht 
schlecht  und  das  Publikum  sehr  empfänglich,  auch  ist  der 
Dirigent  ein  seelenguter  Mensch,  dem  ich  Ihr  Spiel  gönnte, 
obwohl  es  für  Sie  gefährlich !  Mich  hat  er  vor  dem  Publi- 
kum umarmt!  .  .  . 

An  Bernh.  Scholz 

[Hannover,  23.  Januar  1868.] 
Lieber  Scholz 

Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  ich  gerne  Jedermann, 
der's  zu  wissen  nöthig  hat,  viel  Gutes  über  Dich  mit- 
theilen möchte  —  nur  weiß  ich  wirklich  nicht  recht,  wie 

^)  die  H.  Levi  in  Karlsruhe  zur  Aufführung  brachte. 


456  An  Bernh.  Scholz 

ich  in  vorhegendem  Falle  formell  zu  Werke  gehen  soll, 
und  wünsche  oder  hoffe,  von  Dir  einen  Modus  zu  erfahren. 
Haben  denn  die  Leipziger  Ratsherrn  eine  allgemeine  Be- 
werbung für  die  Cantor-Stelle  durch  ein  officielles  Doku- 
ment hervorgerufen?  Mir  ist  nichts  dergleichen  bekannt 
geworden.  Von  Stadträthen  ist  mir  nur  Härtel  befreundet; 
kann  ich  ihm  sagen,  Du  hättest  gewünscht,  daß  ich  in 
Deiner  Angelegenheit  an  ihn  schreibe?  Ich  fürchte,  die 
Leipziger  Herrn  würden  (bei  der  hohen  Meinung,  die  sie 
von  ihren  eignen  Mitbürgern  haben)  es  mir  geradezu  übel 
nehmen,  wenn  ich  ungefragt  einen  Rath  ertheilte,  wie  die 
Stelle  ihres  Cantors  zu  besetzen  sei,  und  es  könnte  eher 
schaden  als  nützen.  Ich  bitte  Dich,  lieber  Freund,  nimm 
das  nicht  für  Umständlichkeit;  mich  soll  nichts  verdrießen, 
womit  wirklich  Deine  Angelegenheit  gefördert  werden 
könnte.  So  viel  ich  weiß,  kennt  Dr.  Julian  Schmidt  die 
Leipziger  Verhältnisse  ziemlich  genau;  sprich  doch  mit 
ihm  über  die  Sache.  Als  Freund  aber,  der  nicht  gerne  hätte, 
daß  Du  bei  einer  Anstellungsbewerbung  vergebliche  Ver- 
suche machtest,  möchte  ich  Dir  aussprechen,  daß  ich  die 
Chancen  gerade  in  Leipzig  für  Dich  nicht  günstig  beurtheile. 
Die  Leute  werden  entweder  einen  lange  gekannten  „Alt- 
meister" wie  Rietz  berufen  oder  eine  Kraft  berücksichtigen, 
die,  wie  Richter  z.  B.  sich  bereits  um  die  städtischen  Musik- 
institute verdient  gemacht  hat.  Du  bist  gerade  in  Leipzig 
nicht  oft  genug  gewesen,  hast  sogar  ein  paar  Mal  wenig 
angenehm  schriftliche  Erörterungen  mit  maßgebenden  In- 
stituten gehabt.  Diese  subjektive  Vorempfindung  über 
Deine  etwaige  Bewerbung,  lieber  Freund,  wird  aber  nicht 
hindern,  daß  ich  thue  und  lasse,  was  Du  von  meiner  Seite 
als  nützlich  Deinen  Zwecken  erachtest.  Ich  freue  mich,  als 
Nachsatz  meine,  wie  ich  glaube,  objektive  Ansicht  Dir  in's 
Gesicht  zu  sagen,  daß  Deine  Wirksamkeit  dem  Thomaner- 
Chor  und  dem  Conservatorium  zu  größtem  Nutzen  aus- 
fallen würde,  wenn  sie  Dich  anstellten  .  .  . 


Von  Carl  Ferdinand  Pohl  4^7 


An  Bernhard  Scholz 

[Hannover,  Ende  Januar  1868.] 

Lieber  Bär,  die  Stimmen  vom  Schubert'schen  Duo  habe 
ich  nicht;  ich  muß  sie  dieser  Tage  für  das  Frankfurter 
Museum  aus  Halle  verschaffen,  d.  h.  sagen,  daß  ich  dem 
dortigen  Musikdirektor  das  Verleihen  erlaube.  Vielleicht 
geht's  auch  später  so  für  Dich.  Für  das  zu  genaue  Bezeich- 
nen der  Stimmen  (fast  militärisches  Auf-  und  Abstreichen) 
bin  ich  nicht.  Die  Geiger  sind  doch  auch  meist  ungleich- 
mäßig technisch  gebildet,  der  Eine  wird  mehr  Kraft  in 
der  Mitte,  der  andere  am  Frosch  entwickeln  können,  und 
was  an  Gleichmäßigkeit  erreicht  wird,  könnte  an  Schwung 
verloren  gehen.  Ich  habe  bei  dem  Müller'schen  Quartett, 
auch  bei  Pariser  Aufführungen,  so  etwas  empfunden;  gehe 
nicht  zu  weit  darin.  Denke  wenigstens  darüber  nach  .  .  . 

Von  Carl  Ferdinand  Pohl^) 

Wien  i5.  Feb.  68. 
Hochgeehrter  Herr! 

Mit  aufrichtiger  Herzensfreude  las  ich  in  der  Times, 
daß  Sie  wieder  in  London  sind.  Erschrecken  Sie 
nicht,  wenn  ich  ohne  viel  Worte  zu  machen,  einen  Sturm 
auf  Ihre  Güte  wage.  Ich  will  meine  Bitten  kurz  zusammen- 
fassen. Als  ich  an  jenem  Morgen  von  Ihnen  Abschied  ge- 
nommen, war  mir  sehr  weh  um's  Herz.  Ihre  Worte  „wenn 
ich  etwas  für  Papa  Haydn  thun  kann"  werden  mir  immer 
nachtönen.  So  will  ich  denn  auch  gleich  zum  „Geschäft" 
übergehen. 

^)  Der  verdienstvolle  Archivar  d.  Gesellch.  d.  Musikfreunde,  geb.  6.  Sept. 
1819.  Sein  „Mozart  u.  Haydn  in  London"  war  1867  erschienen.  Er  starb 
1890,  ohne  seine  Haydn-Biographie,  deren  erster  Band  1875  erschien,  zu 
vollenden. 


458  Von  Carl  Ferdinand  Pohl 

1 .  Es  befinden  sich  in  England  ganz  gewiß  Autografe  aller 
Art  von  Haydn  in  Privatbesitz,  und  auch  Briefe  dürtten  noch 
der  Erlösung  harren.  Bitte:  regen  Sie  doch  die  Haydn- 
Frage  recht  oft  an,  besonders  auch  in  den  Provinz -Haupt- 
städten, und  sollten  Sie  Musicalien  in  Haydn's  Handschrift 
finden,  so  notiren  Sie  den  ersten  Tact  und  das  Datum, 
welches  selten  fehlt.  Will  Jemand  direct  mit  mir  ver- 
kehren, so  ist  meine  Adresse: 

F.  Pohl  —  Musik -Verein  —  Wien  (Austria). 

2.  Wenn  es  die  Gelegenheit  erlaubt,  erwähnen  Sie  doch 
manchmal  meines  „Mozart  und  Haydn  in  London"  (nament- 
lich in  Schottland,  in  Liverpool  u.  Manchester).  Pauer 
schrieb  mir,  daß  ihm  bei  dem  Buchhändler  Williams 
&  Norgate  gesagt  wurde,  daß  das  Buch  ziemlich  gekauft 
werde.  An  eine  engl.  Übersetzung  ist  vorderhand  nicht 
zu  denken.  Angesichts  des  fast  unglaublichen  Factums, 
daß  eine  Übersetzung  von  Jahn's  „Mozart"  (2'^  Auflage) 
abgelehnt  wurde,  habe  ich  keine  Ursache,  jetzt  schon  zu 
murren,  wenn  auch  das  Buch  gerade  für  England  mehr 
Interesse  haben  muß  und  der  Engländer  gar  nirgends  die 
Geschichte  seiner  verschiedenen  Vereine  und  berühmten 
mus.  Personen  beisammen  findet,  von  Mozart  u.  Haydn 
ganz  abgesehen,  die,  wie  das  ganze  Buch,  nach  authentischen 
Quellen  bearbeitet  sind. 

3.  Regen  Sie  doch  Chappell  oder  sonst  einen  Crösus  an, 
daß  er  endlich  ein  etwa  zweibändiges  musikalisches  Uni- 
versal-Lexicon  ^)  unternimmt.  Das  letzterschienene  Werk 
der  Art  stammt  aus  dem  Jahre  1824!!,  ein  miserables 
Machwerk.  Ich  habe  diesen  Punkt  in  der  Vorrede  meines 
Buches  berührt,  denn  es  ist  ein  Skandal,  daß  Engländer 
sich  über  Alles,  was  seit  fast  einem  halben  Jahrhundert 
in  Musik  geschehen  ist,  Raths  erholen  müssen  aus  fremden 

^)  G.  Grove's  Dictionnary  of  Music  fing  erst  1879  an  zu  erscheinen, 
wohl  mit  durch  Pohls  Vorrede  zu  s.  „Mozart  u.  Haydn"  veranlaßt.  Pohl 
hat  darin  den  Artikel  „Haydn"  bearbeitet. 


Von  Carl  Ferdinand  Pohl  4^9 

Büchern.  Felis  hat  obiges  Werk  fleißig  benutzt  und  sind 
natürlich  diese  Auszüge  erbärmlich.  Nach  dem  heutigen 
Stand  der  Musik  in  England  dürfte  ein  solches  ja  nicht 
zu  umfangreiches  Werk  in  keiner  honetten  Familie  fehlen, 
und  ich  kann  mir  dabei  kein  Risico  denken. 

4.  Sie  hatten  jene  Violine  in  Pest  probirt,  die  Frau 
Polzelli^)  verkaufen  will.  Ein  Freund  von  mir,  Sohn  des 
Hofkapellmitgliedes  Benesch,  wäre  geneigt  sie  zu  kaufen. 
Die  Frau  verlangt  lOOO  F.  Viel  schüchterner  als  über  die 
früheren  Bitten  wage  ich  nun  den  Versuch,  Ihrer  kost- 
baren Zeit  einige  Minuten  zu  rauben  u.  mir  in  wenig 
Zeilen  zu  schreiben,  ob  Sie  zum  Ankauf  der  Violine 
rathen. 

Mit  dieser  Frau  bin  ich  in  Correspondenz  gerathen.  Sie 
zeigte  sich  Anfangs  sehr  hart;  aber  ich  appellierte  an  ihr 
Witwenherz  und  schrieb  sie  richtig  weich.  Sie  schickte 
mir  in  Abschrift  7  Briefe  von  Haydn  u.  das  Porträt  ihres 
Seligen.  Haydns  Zärtlichkeit  zu  seiner  Gattin  war  bekannt- 
lich wenig  heftig;  auch  diese  Briefe  sprechen  dafür.  „La 
mia  moglie,  questa  bestia  infernale"  sind  die  wenig 
schmeichelhaften  Beinamen,  mit  denen  er  von  ihr  spricht. 
Die  Witwe  hat  aber  noch  viele  weitere  Briefe,  die  jedoch  „de- 
likater" Natur  sind,  daß  sie  dieselben  nicht  aus  den  Händen 
giebt.  Sie  gestattete  mir  jedoch  großmüthig,  Einblick 
nehmen  zu  können  in  diese  zarten  Ergüsse  unsers  guten 
Papa's  —  Dr.  Härtel  in  Leipzig  hat  mir  alles  auf  Haydn 
Bezügliche  zur  Benutzung  geschickt  (Notizen,  Cataloge, 
Anmerkungen  voll  Werth).  Auch  die  letzte  Messe  Haydns, 
comp.  1801,  Autograf,  in  Paris  gekauft,  schickte  er  zur 
Ansicht. 

Ich  wate  förmlich  in  Arbeit;  aber  viel  Brodarbeit  unter- 
bricht Haydn,  an  dem  doch  schon  im  Herbst  gedruckt 
werden  soll. 

*)  Ihr  Mann  war  ein  Schüler  Haydns  und  seine  Mutter  dessen  GeHebte 
gewesen. 


46o  An  seine  Frau 


Bitte  Pauer,  Grove,  Manns,  Sullivan,  das  britt.  Museum, 
Cryst.  Palast,  ganz  London  herzlich  zu  grüßen. 

Unser  Conservatorium  windet  sich  in  Reorganisations- 
Plänen.  Ich  habe  wenig  Hoffnung  auf  Erfolg.  Viel  Köpfe 
aber  kein  Kopf;  es  fehlt  das  Oberhaupt.  Als  solches  giebt 
es  nur  Einen,  u.  der  ist  weit  weg  von  hier  „überm  Canal". 
Gott  sei  mit  Ihnen!   Ihr  treu  ergebener 

F.  Pohl. 

An  seine  Frau 

[London]  Sonntag  Abend  [i?  März  68.] 
.  .  .  Ich  sollte  gestern  Abend  nach  dem  Concert  bei  Sar- 
toris sein  und  heute  zu  den  Rothschilds  aufs  Land,  habe 
aber  beides  abgesagt.  Die  letzteren  hatten,  glaube  ich,  man- 
cherlei Leute  auf  mich  geladen,  unter  andern  Mrs.  Glad- 
stone,  wie  mir  Benedict  sagte.  Letzteres  thut  mir  leid, 
weil  ich  dadurch  vielleicht  auch  ihn  hätte  kennen  gelernt; 
aber  den  R.'s  schadet's  nicht.  Was  sagst  Du  dazu,  daß 
ein  getaufter  Jude  und  ein  Schriftsteller  Premier-Minister 
von  England  ist?  Ist  doch  gut,  daß  so  etwas  möglich 
ist.  Edel  hat  gewiß  sein  Plaisir  daran.  Da  kann  ich  ja 
auch  noch  was  werden.  Und  König  Georg  soll's  nun  an 
den  Geldbeutel?  Kann's  den  Preußen  nicht  verdenken. 
An  sich  sind  ja  die  Reden  harmlos,  werden  den  preußi- 
schen Staat  nicht  erschüttern  —  aber  eine  Menge  armer 
Leute  führt  es  irre,  die  außer  der  Faselei  materiellen 
Schaden  davon  haben.  —  Also  Du  sollst  wieder  aufs 
Theater? 2)  Ach  Gott,  so  ist's  mit  allem  guten  Willen 
Bronsarts  auf  den  Hannover'schen  Brettern  nicht  beschaffen, 
daß  ich  Dich  gerne  darauf  sähe!  Wo  ist  ein  Publikum, 
dem  ich  Dich  gönnte,  ganz!  Nein,  die  3  Mivi's,  die  kleinen, 
brauchen  Dich  doch  zu  nothwendig,  wenn  ich  auch  an 
mich  nicht  denke.    Is  nicht ! !    Gelt ! ! ! !  .  .  . 

*)  Es  war  Frau  J.  von  befreundeter  Seite  nahegelegt  worden,  wieder 
in  einigen  klassischen  Opern  aufzutreten. 


An  Theodor  Ave-Lallemant  4^i 


An  dieselbe 

Taunton.   Donnerstag,    [y.  März  68.] 

.  .  .  ich  muß  so  weit  von  Euch  fortsein!  Das  ist  der  un- 
natürlichste Zustand  von  der  Weh,  und  ich  denke  jetzt 
manchmal,  daß  eine  Anstellung,  die  mir  auch  die  Zukunft 
für  Euch  sicherte,  das  Vernünftigste  wäre.  Wie  oft  habe 
ich  das  gedacht,  wenn  ich  mich  nach  Euch  sehnte,  und 
Du  vielleicht  auch!  Unser  Glück  ist  doch  im,  und  nicht 
außer  dem  Haus;  ich  glauhe,  ich  hielte  es  auch  in  Berchtes- 
gaden  mit  dir  und  den  Mivis  aus  und  kriegte  wieder  Lust 
zu  schreiben.  Das  ist  ja  doch  eigentlich  kein  Leben,  weder 
geistig,  körperlich,  am  wenigsten  künstlerich,  denn  daß 
man  für  die  Verbreitung  der  großen  Kunstwerke  wirkt, 
ist  doch  nur  eine  Beschönigung  oder  Ausrede.  Der  billige 
Druck  und  die  Schönheit  thun's  von  selbst  heut  zu  Tage. 
An  einem  Orte  gründlich  für  das  Gedeihen  der  Musik  zu 
sorgen,  ist  mehr  werth  als  flüchtiges  Erscheinen  vor  loo 
halbkultivierten  Concertpublikum.  In  London  glaube 
ich  allerdings  etwas  gewirkt  zu  haben,  aber  auf  dem  Land 
ist's  manchmal  trostlos  mit  diesem  Concertiren.  Du  siehst, 
ich  habe  auch  mein  Theil  Katzenjammer,  wenn  ich  ohne 
Dich  bin !  Besser,  wir  sind  zusammen  und  haben  bisweilen 
unsern  gesunden  Zank.  .  .  . 

An  Theodor  Ave-Lallemant 

45,  Leinster-Square  Bayswater 

London  11.  März  [1868] 
Lieber  Ave. 

Wie  viel  Sorge  und  Glück  liegt  zwischen  dem  Empfang 
Deines  Schreibens  und  jetzt!  Wir  sind  von  der  Vor- 
sehung wunderbar  gnädig  behütet  worden!  Du  wirst  die 
Anzeige  von  dem  gesunden  Mädi  erhalten  haben;  alles  ist 


402  An  seine  Frau  nach  Berlin 

seitdem  so  gut  gegangen  wie  nie  zuvor,  ich  habe  schon  5 
Briefe  von  meiner  Frau.  Habe  von  Herzen  Dank  für  Deine 
treuen  Gedanken  an  uns;  gewiß  Hegt  ein  Segen  in  dem 
Behütetsein  von  warmen  Freunden,  und  wenn  ich  auch 
(verzeihe!)  nicht  an  die  Erhörung  individueller  Bitten  da 
droben  glaube,  fühle  ich  doch  den  milden  Hauch  wahrer 
Sympathie  als  einen  Schutz  in  all  dem  geschäftigen  Con- 
certtreiben.  Man  hat  gleich  einen  Anker,  sich  ruhig  zu 
vertiefen,  denkt  man  an  einen  echten  Freund. 

Du  willst,  daß  ich  am  9**"  April  zu  Euch  komme,  sauer 
genug  wird  mir's  werden,  wieder  von  Haus  zu  gehen;  aber 
ich  muß  wohl !  Dann  würde  ich  vorschlagen,  das  A  moll 
Concert  von  Bach  und  Bruches  Concert  zu  spielen.  Ersteres 
dauert  etwa  12,  das  letztere  20  Minuten.  Leider  muß  ich 
aber  noch  eins  erwähnen,  was  mir  sauer  genug  wird.  Ich 
finde  nämlich,  da  ich  eigentlich  nie  eigene  Concerte  in 
Hamburg  gebe,  und  das  eben,  weil  ich  immer  im  Philhar- 
monie spiele,  die  Gesellschaft  ein  höheres  Honorar  auftreiben 
könnte.  Würdest  Du  es  peinlich  finden,  dem  Comite  mit- 
zutheilen,  daß  ich  3o  Friedr'sdor  beanspruche?  Du  weißt, 
daß  ich  nicht  geldsüchtig  bin,  daß  ich  aber  nicht  für  mich, 
sondern  für  die  Zukunft  der  Meinen  die  Öffentlichkeit 
statt  des  Privatstudiums  erwähle,  nicht  das  bessere  Theil ! 
Sage  mir  Deine  aufrichtige  Meinung.  —  Ich  freue  mich, 
daß  bei  Euch  alles  wohl  geht,  und  grüße  von  Herzen. 

Dein 

Joseph  Joachim. 

An  seine  Frau  nach  Berlin 

Dienstag.  [London?  März?  1868] 

Liebe  Frau 

Du  willst  ein  Machtwort,  und  wenn  ich  es  gegeben,  so 
viel  Meilen  fort  von  den  Wohnungen,  wirst  Du  damit 
am  Ende  unzufrieden  sein !   Mittlerweile  hast  Du  vielleicht 


An  seine  Frau  nach  Berlin  ^63 

schon  Lichterfelde  gesehen  und  kannst  wissen,  ob  wir's  da 
künftigen  Winter  versuchen  können.  Meine  Meinung  ist  die, 
keinesfalls  wieder  in  Hannover  abzuwarten  —  wir  sind  uns 
längst  einig,  daß  dies  weder  in  Bezug  auf  Gegend,  noch 
Gesellschaft  oder  Kunst  unserer  Idee  entspricht,  und  da 
endlich  fort!  Aber  ich  möchte  Dich  um  ein  wenig  Rück- 
sicht oder  vielmehr  Ergebung  für  die  i**  Berliner  Zeit  bitten, 
dann  findet  sich  auch  etwas.  —  ich  will  mit  dem  kleinsten 
ifenstrigen  Stübchen  (eine  Treppe  höher  als  die  eigentliche 
Wohnung  sogar)  fürlieb  nehmen.  Es  ist  nicht  Geiz,  wenn 
ich  sage,  daß  ich  nicht  über  660  Thlr,  unsren  jetzigen 
Miethpreis,  gehen  mag  —  Du  hast  aber  die  Erfahrung  ge- 
macht, mein  Kind :  eine  theurere  Wohnung  ist  für  die  übri- 
gen Ausgaben  maßgebend!  Die  Leute  bemessen  auch  die 
Ansprüche,  die  sie  an  den  Hausvater  machen,  darnach. 
Eine  gesunde  Lage,  eine  große  Kinderstube,  eine  behagliche 
Stube  für  Dich  in  der  Nähe,  alles  Übrige  muß  sich  vorerst 
nach  diesen  Hauptsachen  richten,  nächstes  Jahr  finden  wir 
wahrscheinlich,  was  wir  brauchen,  um  ganz  befriedigt  zu 
sein.  Blieben  wir  in  Hannover,  so  müßten  wir  auch  einen 
Umzug  halten,  ersparten  also  kein  Mühe.  Es  bleibt  ja  doch 
dabei,  daß  wir  im  Januar  auf  einige  Monate  nach  London 
gehen  (bis  Ostern),  wo  wir  dann  gewiß  schon  was  ge- 
funden haben  oder  mit  Lichterfelde  im  Reinen  sind.  — 
Es  müßte  denn  sein,  daß  Du  sonst  gegründete  Bedenken, 
oder  entschiedene  Abneigung  vor  den  Berliner  Ver- 
hältnissen im  Ganzen  und  Großen  bekommen  hättest,  dann 
natürlich  überlasse  ich  Dir  zu  thun,  was  Du  willst,  gebe 
Dir  carte  blanche;  denn  vor  allen  Dingen  sollst  Du  Dich 
glücklich  fühlen,  das  ist  die  erste  Bedingung  für  mein 
Wohlbefinden.  Und  nun  fasse  Dich  zusammen,  sei  nach- 
sichtig mit  meinem  Geldbeutel,  der  ja  nur  um  Euretwillen 
seine  Schnüre  zusammenzieht.  Es  thut  mir  zu  leid,  zu  leid, 
daß  ich  nicht  mit  Dir  all  die  Wohnungssorgen  theilen 
kann,  in  der  Nähe.    Das  Requiem   ist  eigentlich  Schuld, 


464  An  seine  Frau 


aber  das  Werk  verdient  ein  Opfer,  wenn  ich  auch  mit 
meiner  persönlichen  Theilnahme  für  den  Gompositeur 
desselben,  oder  vielmehr  mit  meinen  freundschaftlichen 
Ansprüchen  an  ihn  immer  weiter  zurückweiche.  Darüber 
mündlich,  —  Und  nun  verzeihe  die  farblose  Schrift;  ich 
muß  mein  Handgelenk  schonen,  die  verdammten  kraftlosen 
Bogenhaare,  die  dann  um  so  größere  Ansprüche  an  die 
Energie  der  Muskeln  machen,  denn  heraus  muß  der  Ton. 
Ich  gehe  keinesfalls  nach  Schweden;  also  sehen  wir  uns 
bald. 

Dein 

J.  J. 


An  seine  Frau 

[London,  ca.  Ende  März  1868.] 

Man  kann  nicht  besseres  Glück  haben,  als  ich  mit  der 
Ueberfahrti).  Das  Meer  war  so  freundlich,  kräuselte 
nur  eben  die  Köpfchen  der  Wellen  und  sah  prachtvoll 
aus  in  seiner  Weite.  Möven  flogen  ab  und  zu,  einmal 
umkreisten  eine  größere  schneeweiße  und  drei  kleinere 
das  Schiff,  als  wären  es  die  Mivis,  die  mich  schützten.  Ich 
lunchte  ganz  vergnügt  ein  Mutton  chop  und  trank  Bordeaux 
dazu  auf  Euere  Gesundheit;  es  war  schön,  wohl  zum  Lohn, 
daß  ich  so  muthig  sein  wollte  für  Euch,  liebes  Volk. 

Ich  kam  in  Dublin  nicht  zum  Schreiben,  die  Concerte 
brauchten  viel  Probirens,  mit  zwei  Irländern!  und  einem 
deutschen  Cellisten,  der  ein  Frankfurter  und  recht  gut 
ist.  Eisner.  Er  lebt  seit  Jahren  mit  Weib  und  Kind  in 
Dublin.  Das  ist  eine  schöne  Stadt,  nur  Schade,  daß  man 
so  viel  Armuth,  Trunkenheit  und  nackten  Schmutz  im 
Volk  sieht.  England  hat  da  viel  auf  dem  Gewissen  und 
fängt  an,  das  zu  empfinden.    Der  republikanische  Fenianis- 

*)  von  Dublin  nach  En(jlancl. 


An  Karl  Reinthaler  4^^ 

mus  ist  aber  von  America  importirt,  hat  keine  Zukunft 
in  der  grünen  Insel,  die  eigentlich  ziemlich  feudal  scheint, 
gern  Pomp  bewundert,  und  seine  Aristocratie  gern  ver- 
hätscheln würde,  wenn  man  seine  Eigenliebe  pflegte  und 
dem  Volk  auch  Aufmerksamkeit  und  Liebe  zeigte.  Von 
Aufgeregtheit  und  Rebellion  merkte  ich  keine  Spur;  es 
lautet  so  was  in  der  Regel  in  der  Ferne  schlimmer,  als 
man  nahbei  findet.  Deine  Idee  mit  Potsdam  leuchtet  mir 
eigentlich  sehr  ein,  nur  scheint  mir  das  Haus  (das  man 
erst  sehen  müßte)  zu  klein.  6  Zimmer  und  2  Kammern 
reichen  doch  für  uns  nicht  aus !  Wir  könnten  uns  ein  paar 
Zimmer  nebenbei  in  Berlin  miethen,  wenn  wir  einmal  ein 
paar  Tage  ganz  dorthin  von  Potsdam  wollten,  und  hätten 
auch  nicht  absolut  nöthig,  jeden  Sommer  eine  Reise  von 
3  Monaten  zu  machen.  .  .  . 

An  Karl  Reinthaler 

[Hannover  Anfang  Apr.  68] 
Lieber  Reinthaler! 

Zunächst:  wir  freuenuns  sehr  auf  das  Gonzert^),  wir  sind 
zu  dreien;  es  ist  also  wohl  gut,  bei  Hillman  ein  Zimmer 
mit  zwei  Betten  und  ein  einschläfriges  zu  bestellen,  wenn 
Du  vorbeikömmst.  Wir  kommen  natürlich  um  5  ^/g  an. 
Meine  Frau  hat  keine  D  dur  Stimmen,  das  wird  ja  aber 
kaum  Transpositions-Schwierigkeiten  haben.  Brahms'  Idee, 
zwischen  den  Requiem-Theilen  ein  Violin-Solo  zum 
Ausruhen  zu  haben,  ist  vielleicht  gut,  wenn  nicht  eine 
Orgelfuge  vorzuziehen  wäre.  Ich  überlasse  das  Euch.  Die 
A  dur  Sonate  von  Händel  ist  ein  schönes  Stück,  das  gut  mit 
Orgel  geht.  Wie  denkt  Ihr  vom  AmollGoncert  mit  Streich- 
orchester von  J.  Bach?  Ich  habe  allerdings  nur  afache 
Quartettbegleitung  dazu;  aber  die  Stimmen  sind  gewiß  in 
Bremen   aufzutreiben.    Vielleicht   auch   nur   den   2'*"   Satz 

*)  Das  Requiem  von  Brahms  im  Bremer  Dom  am  Charfreitag. 

3o 


466  An  seine  Frau 


daraus  mit  Streichinstrumenten,  und  dann  hinterdrein  das 
kleine  F  dur  Andante  v.  Tartini  und  Abendhed  ^)  mit  Orgel. 
Die  Orgehegister  können  wir  am  Vormittag  mit  Muße 
ausprobiren.  Nach  der  Passionsarie  das  Abendhed  will 
mir  nicht  scheinen.  Bitte  überlegt  meine  Vorschläge.  Nun 
auf  musikalischstes  Wiedersehen!  Grüße  Familie  und 
Fl  eunde  von 

Deinem 


Joseph  J. 


An  seine  Frau 


[Kopenhagen]  Dienstag  [19.  Apr.  1868] 

Freilich  kaufen  wir  das  Grundstück  jetzt,  und  im  Herbst, 
wenn  der  Wald  gefärbt  ist  und  die  schönen,  langen 
Schatten  kommen,  dann  fahren  wir  einmal  nach  dem  Feld 
und  besehen  uns  die  Sache  bei  Lichte.  Da  können  wir 
uns  immer  noch  für  den  Bau  oder  Verkauf  entscheiden; 
die  Grundstücke  scheinen  ja  in  Lichtenfeld  2)  im  Steigen. 
Heute  über  8  Tagen  denke  ich,  können  wir  über  all  dies 
sprechen;  o  wie  freue  ich  mich!  Ich  reise  über  Corsör 
direkt  nach  Kiel,  denn  die  Ostsee  ist  viel  gutmüthiger  als 
die  Nordsee.  Ich  wollte  nur,  Berlin  läge  an  einem  großen 
Hafen,  das  schickte  sich  eigentlich  für  die  Hauptstadt 
Deutschlands.  Es  war  so  wundervoll  neulich  am  Sonntag, 
vind  nur  Schade,  daß  ich  es  ohne  Dich  genießen  mußte, 
auch  die  Hummern,  die  ihre  Arme  nach  Dir  ausstreckten. 
Frau  Ruhen  (Goppels  Tochter)  und  ihr  Mann  sind  gar 
freundliche,  gastfreie  Menschen,  deren  Manieren  nicht  an 
5o,ooo  Thlr.  „Procente"  erinnern,  nur  tischen  sie  zu  viel 
auf;  so  mußten  wir  Sonntag  um  1  Uhr  „frühstücken"  und 
um  6  in  der  Stadt  wieder  bei  ihnen  diniren  mit  allen  mög- 

')  von  Schumann. 

*)  Lichterfelde,   wo  J.  damals  ein  Grundstück  kaufte;  es  wurde  aber 
nicht  bebaut. 


An  seine  Frau  4^7 


liehen  Austern,  Auerhähnen,  Putern  etc.  Hol's  der  Guck- 
guck !  Gade  und  ich  haben  uns  auch  um  ein  andres  ähn- 
liches Diner  .  .  .  herumgedrückt,  immer  hingehalten 
und  gehen  bloß  Abends  hin,  da  wir  bei  Gades  erstem 
Schwiegerpapa,  dem  Musiker  Hartraann,  ganz  bürgerlich 
tafeln  wollen.  Die  Musikerclique  ist  hier  sehr  nett,  und 
müssen  wir  einmal  hier  zusammen  Concerte  geben,  das 
soll  Dir  gefallen,  auch  einträglich  werden,  gelt?  —  Das 
Quartett  fiel  gestern  ganz  gut  aus,  obwohl  mein  Schüler 
Tofte  etwas  ängstlich  spielte.  —  Neulich  sah  ich  wieder 
ein  Ballet,  in  dem  das  Leben  der  Berggeister  und  Elfen 
zur  Anschauung  kömmt,  ganz  reizende  Musik  dazu  von 
Gade  und  Hartmann.  Die  Hutzelmänner  stehlen  ein  Kind 
und  legen  einen  Wechselbalg  dafür  in  die  Wiege,  während 
die  Amme  schläft,  gieb  nur  auf  unser  Mivi  Acht !  —  Apro- 
pos, Du  wirst  Dich  gewundert  haben,  wer  „Lauritz  Eck- 
hardt "  ist,  auf  dessen  Briefpapier  ich  gestern  schrieb :  der 
Schauspieler,  von  dem  ich  Dir  neulich  sagte,  daß  er  mit 
Lewinsky  befreundet  ist.  Er  ist  so  fabelhaft  gutmüthig 
und  dienstfertig,  bringt  mir  Theaterbillets  und  Zeitungen, 
zeigt  mir  Wege,  und  so  habe  ich  ihn  denn  gestern  einmal 
zum  Essen  besucht.  Seine  Theaterwirksamkeit  besteht 
in  3'^"  und  4*^°  Rollen,  dabei  ist  er  im  Gesang  Schüler 
von  Garcia  u.  Stockhausen  und  reist  alljährlich  auf 
einen  Monat  nach  Wien,  um  Burgtheater  zu  studiren ! ! ! 
Er  hat  Vermögen  und  einen  Gehalt  von  4^0  Thlrn. 
Überhaupt  ist  der  Ton  musterhaft  am  hiesigen  Theater 
und  der  Schauspielerstand  bürgerlich  hochgehalten,  i)  So 
viel  vom  Guten  hier;  aber  die  lächerliche,  krampfhafte  Ab- 
wehr gegen  alles  Deutsche,  während  sie  doch  ohne  Deutsch- 
land noch  rohe  Fischer  wären,  ist  zu  albern,  um  sich  zu 
erzürnen.  Doch  lasse  ich  mich  natürlich  nicht  auf  Politik 
ein.  .  .  . 

*)  Es  gab  seit  Holberg  ein  Gesetz,  daß  nur  solche  zur  Kgl.  Bühn«  zu- 
gelassen wurden,  die  die  Universität  besucht  hatten. 

3o' 


468  An  seine  Frau 


An  seine  Frau 

[Kopenhagen]  Donnerstag  [23.  April  1868.] 

Du  bist  wohl  wieder  in  Hannover,  wo  ich  Dich  eigent- 
lich schon  früher  zurück  vermuthete.  Ich  sehne 
mich  stark  nach  Brief  und  bin  auch  neugierig,  was  Du 
ausgerichtet  hast.  Überhaupt  habe  ich  schon  so  ein  Ver- 
langen, nach  Haus  zu  kommen;  es  könnte  ja  hier  ganz  nett 
sein  —  aber  ich  war  zu  lange  von  Euch  getrennt,  mir  ist 
fast  schon  Alles  gleichgültig,  ausgenommen,  wenn  ich  mich 
in  einen  Band  Goethe  vertiefe  (Ich  habe  mir  die  2  bändige 
Ausgabe  von  Gade  geholt).  Höre,  wir  dürfen  nicht  so 
lange  auseinander,  das  ist  immer  der  Refrain  —  ich  bin 
zum  Glück  kein  Geschäftsreisender,  der  sich  mit  andern 
als  den  Seinen  gleich  behaglich  fühlt.  Gade  ist  übrigens 
ein  reizender  Kerl,  ein  so  feinfühliger  Künstler,  wie  ich 
nur  2  bis  3  im  Leben  habe  kennen  lernen,  und  ein  so 
guter  tüchtiger  Musikus,  studirt  so  schön  ein.  Das  ganze 
Programm  gieng  gestern  prächtig,  die  Haydn'sche  Sinfonie 
hättest  Du  hören  sollen!  Es  waren  im  Casino  (ein  Theater) 
über  1400  Menschen,  und  mein  Erfolg  war,  wie  Gade 
sagt,  glänzend;  die  Leute  klatschen  wenig,  aber  man 
brachte  mir  einen  Tusch,  und  ich  habe  Frau  Gade  2  große 
Waschbecken  voll  Blumen,  mit  denen  beinahe  Geige  und 
Bogen  beim  Werfen  zu  Schaden  gekommen  wäre,  abliefern 
können;  man  glaubt,  daß  mein  eignes  Concert  am  Don- 
nerstag (da  leider  das  Orchester  nicht  vor  einer  Woche 
zu  haben  ist)  ganz  voll  wird,  was  dann  eine  sehr  schöne 
Einnahme  werden  kann.  In  der  Zwischenzeit  spiele  ich 
nun  noch  einmal  Quartett  für  den  Musikverein.  Viel- 
leicht gebe  ich  nachher  auch  noch  ein  Quartett  für  meine 
Gasse,  aber  jedenfalls  komme  ich  in  der  i"^"  Maiwoche 
heim.  Meine  Hand  ist  wieder  besser,  das  Jod  hilft  zum 
Glück  immer  bald,   trotz  des  Violinspiels. 


An  seine  Frau  4^9 


An  dieselbe 

[Kopenhagen]  Montag  [27.  Apr.  1868] 

Ich  war  gestern  den  ganzen  Tag  auf  dem  Land,  an  der 
See^  es  ist  reizend:  Buchenwald  bis  dicht  an's  Meer. 
Aber  grün  ist's  hier  noch  nicht,  wohl  bei  Euch  im  Garten! 
Nun,  warte  nur,  balde  komme  ich  auch!  —  Ich  spiele 
heute  das  3'^  Mal  für  den  Musikverein,  Esdur  Quartett 
von  Mendelss.,  E  moll  v.  Beethoven  und  Chaconne.  Ich 
habe  4  Proben  dazu  gehalten.  Nun  ist  auch  mein  Concert 
schon  annoncirt,  und  es  verspricht  voll  zu  werden;  Don- 
nerstag ist  es.  Wie  schön,  daß  wir  nun  eine  Wohnung 
haben  und  Deine  Beharrlichkeit  belohnt  ist.  Es  kommt 
mir  wie  eine  Erlösung  vor,  von  Hannover  los  zu  kommen; 
ich  war  viel  zu  lange  dort  für  das,  was  es  mir  in  künst- 
lerischer Beziehung  bot.  Gade  wünscht,  daß  wir  hierher 
ziehen;  er  würde  dieDirection  derConcerte  mit  mir  theilen 
etc.  etc.  Wär's  in  Hamburg  oder  sonst  in  Deutschland! 
Neulich,  d.  h.  vorgestern  war  ich  bei  Hof,  des  Vormittags; 
wohldenkende  liebenswürdige  Leute,  aber  nicht  königlich. 
Ich  spielte  ein  paar  Kleinigkeiten  mit  Gade.  Nun  muß 
ich  auf  die  Post,  und  dann  an's  Concert  denken ;  also  Adieu 
bis  morgen  .... 

An  dieselbe 

[Kopenhagen]  Freitag  [i.  Mai  1868] 

Das  Concert  ist  gestern  gut  ausgefallen,  es  mögen  wohl 
1000  bis  iioo  Menschen  dagewesen  sein,  also  wird 
die  Einnahme  ja  auch  netto  gegen  700  Thlr.  dänisch  ab- 
werfen. Die  Leute  waren  sehr  animirt,  auch  der  König 
war  da,  der  sonst  nie  in  Concerte  geht,  weil  er  nur  italienische 
Musik  (namentlich  Verdi)  liebt,  und  Gade  ihm  das  nie  zu 


470  An  Ferd.  David 


Gefallen  thut;  also  eigentlich  eine  Schande  für  mich!  Anbei 
das  Programm,  dessen  Gesangsnummern  reizend  vom  Chor 
ausgeführt  wurden;  hättest  Du  nur  statt  des  Fräulein 
Lehmann  das  Solo  singen  können.  Ich  wünschte  mir  schon 
lange  das  Ständchen  von  Schubert  (Grillparzer's)  zu  hören; 
es  war  hübsch  instrumentirt  ^) .  .  .  Wie  ich  mich  auf  Euch 
freue,  Ihr  lieben  Grundstücksbesitzer.  Lebe  wohl,  ich  muß 
noch  Kopenhagen  besehen,  bin  in  der  letzten  Zeit  vor 
lauter  Proben  nicht  dazu  gekommen. 

An  Ferd.  David 

Hannover  22.  Mai  1868. 
Lieber,  verehrter  Concertmeister 

Wie  leid  thut  es  mir,  daß  wir  uns  in  Leipzig  nicht 
gesprochen !  Manches  hätte  sich  verabreden  lassen, 
das  durch  die  Anregung  des  Mendelssohn-Denkmals  sich 
leicht  ergeben  hätte.  Mir  scheint  ein  gewöhnliches  Vir- 
tuosen-Concert  fast  zu  dürftig  für  den  schönen  Zweck !  In- 
deß,  da  Sie  beschlossen,  auf  die  praktische  Geldfrage  zuerst 
mit  einem  Theater  Concert  los  zu  gehen,  wird  sich  das 
Bedeutendere  später  vielleicht  nachholen  lassen  und  der 
Anfang  zu  Geldsammlungen  wenigstens  gemacht  sein, 
hoffentlich  mit  Erfolg!  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß 
ich  mich  den  Vorschlägen  des  Leipziger  Comite  füge  und 
bereit  bin,  das  Mendelssohn'sche  Concert  zu  spielen,  wie 
ich  mich  denn  auch  auf  Tausig's  wunderbar  vollendetes 
Klavierspiel  freue.  Meine  Frau  kann  ja  eine  Arie  (von 
Händel  vielleicht)  und  Lieder  von  Mendelssohn  singen. 
Wollen  Sie  persönlich  gar  nichts  bringen  ?  Wie  wäre  es 
mit  dem  2"""  und  i'^"  Satz  der  Mozartschen  Concertante, 
die  wir  ja  leider  nur  einmal  gespielt?  Ich  finde,  es  geht 
gar    nicht,   daß  Sie  Sich   nur   im   Orchester   betheiligen. 

*)  von  Gade. 


Von  Herman  Grimm  4?^ 

Denken  Sie  drüber  nach  und  schreiben  Sie  mir  ein  Wort 
nach  Cöln,  wohin  wir  nächsten  Donnerstag  abreisen.  Wir 
haben  noch  herzlich  zu  danken,  daß  Sie  auf  eine  Vergnü- 
gungsfahrt an  den  Rhein  hebenswürdige  Rücksicht  ge- 
nommen, und  grüßen  Sie  und  die  Heben  Ihrigen  freund- 
schafthchst, 

stets  Ihr  getreuer 

Joseph  Joachim. 

Von  Herman  Grimm 

Donnerstag  [Berhn  Ende  Mai  1868] 
Lieber  Joachim. 

Dein  Dänenblut  ist  heute  angelangt  und  von  mir  und 
Giesel  eine  kleine  Anschnapsung  vorgenommen 
worden,  deren  Resultat  ein  höchst  zufriedenstellendes  war. 
Wenn  Du  kommen  willst,  so  komm  ja  vor  dem  Concerte, 
da  von  der  Hude^)  um  den  26.  verreist;  im  übrigen  bist 
Du  uns  immer  recht,  wie  Du  weißt.  Hoffentlich  sind  auch 
Scholzens  dann  glücklich  ausgemasert,  ich  habe  sie  seit 
der  Anwesenheit  Deiner  Frau  nicht  gesehn. 

Weiter  ist  nichts  zu  bemerken,  ausgenommen,  daß  ich 
neulich  mit  Giesel  in  Lichterfelde  ein  gemüthliches  Sonn- 
tagsmittagsessen gefeiert  habe,  nachdem  wir  vorher  auf 
Eurem  Grundstücke  auf  dem  warmen  Mooßboden  gelegen, 
in  der  Sonne,  und  uns  Deine  Bäume  angesehn :  Echtes  deut- 
sches Kieferngewächs  von  ein  wenig  vermickerter  Gattung. 

Grüße  Deine  Frau  und  Kinder  bestens. 

Der  Deinige 

Herman  Gr. 

Wir  waren  neulich  in  Laube's  bösen  Zungen.  Wenn 
Ihr  erst  hier  seid,  müssen  wir  dergleichen  Partien  ä  quatre 
machen,  um  etwas  Trost  aneinander  zu  haben. 

')  Architekt,  der  die  Pläne  fiir  Js.  Lichterfelder  Haus  zeichnete. 


472  An  Clara  Schumann 

Ich  freue  mich  sehr  auf  ürsi's  Johanna.  Sie  wird  auch 
Dir  zu  Gute  kommen.  Bei  uns  kocht  jezt  Carolina.  Ein 
Glück  ist,  daß  wir  uns  fast  nur  von  Spargeln  nähren.  An 
denen  ist  wenig  zu  verderben. 

Diese  Haushaltungsbemerkungen  für  ürsi. 


An  Clara  Schumann 

[Hannover  26  Mai  1868] 

Liebe  Frau  Schumann 

. . .  Ich  mußte  in  Berlin  mir  mein  Grundstückchen  (ein  klei- 
ner Kieferhain,  10  Minuten  Eisenbahnfahrt,  in  Lichterfelde) 
besehen,  bevor  ich  mich  zum  bauen  entschloß.  Meine 
Freunde  haben  mir  schon  allerlei  dagegen  gesagt,  aber  ich 
finde  nichts  stichhaltiges,  denn  da  ich  nun  einmal  in  Berlin 
residiren  will,  möchte  ich  nicht  gezwungen  sein,  jedes  Jahr 
mit  dem  ganzen  Kindergesindel  eine  große  Reise  zu  machen. 

In  Lichterfelde  ist  aber  die  Luft  so  gut,  daß  man  es 
schon  Sommers  aushalten  kann,  und  mir,  der  ich  an 
Londoner  Verhältnisse  gewohnt  bin,  kommt  die  Eisenbahn- 
fahrt zur  Stadt  nicht  so  ungeheuerlich  vor.  Zudem  kann 
ich  gewiß  das  Ganze  ohne  Schaden  jederzeit  los  werden. 
Kritisiren  ist  immer  leichter,  als  etwas  besseres  vorschlagen. 

In  Kopenhagen  hat  es  mir  sehr  gefallen;  wie  intelligent 
und  fein  ist  doch  Gade.  Außer  Brahms  wüßte  ich  doch 
keinen  Musiker,  der  ein  so  subtiles,  musikalisches  Vers  tändniß 
für  alles  Schöne  hätte.  Wie  trefflich  und  gewissenhaft 
studirt  er  auch  ein! 

Mir  graut  eigentllich  vor  dem  Concert  in  Leipzig  in  der 
ärgsten  Hitze;  aber  der  Zweck  läßt  keine  Absagegedanken 
aufkommen.  Mir  ist's  unbegreiflich,  daß  die  Herrn  nicht 
lieber  ein  ordentliches  Musikfest  vor  Anfang  der  Gewand- 
haus-Concerte  mit  schönen  Choraufführungen  von  Bach- 
schen  Sachen  und  Betheiligung  desConservatoriums,  kurzum 


An  Bernh.  Scholz  47^ 

etwas  ganz  Würdevolles  unternommen  haben.  So  ein  Vir- 
tuosen-Concert  im  Theater  als  Anfang  für  ein  Mendels- 
sohn-Denkmal gefällt  mir  nicht !  Sie  denken  gewiß  ebenso . . . 
Gestern  kam  Brahms  hier  durch,  ii,35  Abends,  ging 
noch  weiter  an  den  Rhein,  wo  ich  ihn  wiedertreffe. 

An  Bernh.  Scholz 

[Hannover,  etwa  26.  Juni  1868] 
Lieber  Freund  und  Onkel  Bär! 

Du  bist  wohl  von  Deiner  Münchner  Tour  eben  zurück, 
wie  wir  seit  gestern  in  Hannover.  Leider  ist  in  Leipzig 
eingetoffen,  was  voraus  zu  sehen  war:  sie  haben  Richter 
gewählt.  Ich  habe  mir  eben  eine  Liste  derjenigen  Stadt- 
räthe  gemacht,  die  ich  allenfalls  aufsuchen  durfte,  als  mir 
das  Resultat  mitgetheilt  ward.  Die  lokalen  Rücksichten 
gegen  einen  alten  verdienten  Lehrer  (der  sogar  schon  oft 
Hauptmann  als  Dirigent  vertreten)  sind  begreiflich ;  ohne 
diese  wäre  Dir  der  Posten  kaum  entgangen.  Es  versteht 
sich  von  selbst,  daß  ich  Dir  meine  Mitwirkung  für  die  Con- 
certe  in  Berlin  zusage,  wenn  Du  sie  für  den  Erfolg  Deines 
neuen  Unternehmens  nützlich  erachtest,  obgleich  ein  Lieb- 
lings wünsch  von  mir,  recht  still  und  unbeachtet  in 
unsern  neuen  Wohnort  einzuziehen,  gleich  Anfangs  aufs 
gründlichste  dadurch  ruinirt  wird.  Ich  würde  letzteres 
nicht  erwähnen,  wenn  Du  nicht  in  Deinem  Brief  eine  Pa- 
rallele zwischen  dem  zögest,  was  ich  an  andern  Orten  um's 
liebe  Geld  thue.  Ich  will  mich  wirklich  nicht  preciös 
machen,  und  wollte  es  am  allerwenigsten  Dir  gegenüber, 
lieber  Freund ,  als  wir  auf  dem  Weg  nach  Wiesbaden  so 
nett  und  warm  zusammen  auf  ein  Ziel  lossteuerten.  Es 
ist  ein  Opfer,  aber  ich  bringe  es  mit  Freuden,  wie  ich  fest 
überzeugt  bin,  daß  Du  es  auch  mir  brächtest,  wäre  eben 
die  Gelegenheit   dazu   vor  der  Thür,    und  ich   hoffe,   das 


474  ^on  Bernhard  Scholz 

Beethoven'sche  Concert  macht  Dir  nun  erst  recht  Freude, 
da  Du  weißt,  daß  ich  für  sonst  Niemanden  in  Berhn  ein 
gleiches  thäte.  —  Lieb  wäre  es  mir  nur,  wenn  du  es  so 
einrichten  könntest,  daß  meine  liebe  Frau,  die  natürlich 
gleichfalls  zusagt,  in  einem  der  spätem  Concerte  mitwirkt, 
nicht  gleich  im  i'*"  mit  mir.  .  .  . 

Lasse  nun  recht  bald  etwas  über  die  Daten  vernehmen; 
am  28'*^"  Oktober  müssen  wir  in  Frankfurt  bei  der  H-moll 
Messe  sein.  Sehr  nett  wäre  es,  wenn  Du  ein  paar  Zeilen 
über  Hans  Sachsen i)  beifügtest!  Wie  war's?  Ich  habe 
enthusiastisch  darüber  sprechen  hören,  freilich  nur  Leute 
wie  Pasdeloup,  Pohl!  Wie  könnte  man  sich  über  den  Er- 
folg freuen,  wenn  ein  Joseph  d.  II.  u.  Mozart,  u.  nicht  ein 
paar  Komödianten  dabei  im  Spiel  wären! 

Leb'  wohl  und  grüße  die  lieben  Deinen  im  engern  und 
weitern  Kreis  herzlichst. 

Jo.  Jo. 


Von  Bernhard  Scholz 

H[ammer]mühle  b.  Wiesbaden  29.  Juni   1868. 

.  .  .  Betr.  der  Leipziger  Stelle  war  ich  ziemlich  resignirt; 
doch  hätte  es  mich  sehr  gefreut,  sie  zu  bekommen.  Wäre 
ich  doch  damit  von  aller  Concertplage  und  vieler,  schwerer 
Sorge  erlöst  gewesen,  anderer  Vortheile  nicht  zu  gedenken ! 
Nun  heißt's  wieder:  Kopf  hoch,  Ohren  steif,  vorwärts 
schauen,  sich  durchzuschlagen  suchen,  bis  man  irgendwo 
ein  Plätzchen  zum  Stehn  erobert. 

Die  Meistersinger  haben  mir  im  Ganzen  einen  sehr  großen 
Eindruck  gemacht,  namentlich  in  der  ersten  Probe.  Die 
Aufführung  als  solche  war  aber  auch  herrlich,  geradezu 
berauschend.  Ich  wollte,  Ihr  wäret  dabei  gewesen;  ich 
habe  von  der  Leistungsfähigkeit  der  Bühne  eine  ganz  neue 

^)  die  Aufführung  der  „Meistersinger"  in  München. 


Von  Bernhard  Scholz  4?^ 


Anschauung  gewonnen.  Das  treffliche  Ensemble,  bis  in 
die  geringste  Bewegung  der  Solosänger  von  Wagner  selbst 
einstudirt,  half  mir  in  der  Probe  auch  über  alle  Mängel 
des  Werks  hinweg.  Bei  der  i.  Aufführung,  für  mich  die 
2'*",  da  mir  die  Generalprobe  als  i"'  galt,  sah  ich  viel  klarer. 
Da  wurden  in  Text  u.  Musik  viele  Längen  empfindlich; 
leider  wird  Wagner  Kürzungen,  die  sich  sehr  wohl  vor- 
nehmen ließen,  nicht  sanctioniren  u.  dadurch  seinem 
Vs'^erke  selbst  schaden.  Dasselbe  dauert  5  Stunden  bei 
kurzen  Zwischenacten,  müßte  aber  auf  4  reducirt  werden. 
Musikalisch  am  bedeutendsten  wirken  das  Quintett,  Wal- 
thers Lied  u.  einiges  andere  im  3"^"  Act  —  diese  No.  hatten 
denn  auch  wie  billig  den  größten  Erfolg  zu  W.'s  ausge- 
sprochenem Ärger,  —  scenisch  wundervoll  wirkt  der  2'^  Act 
mit  dem  reizenden  Dialog  des  Hans  Sachs  und  der  Eva 
Pogner  an  Sachsens  Hausthür,  Bekmessers  possirlichem 
Ständchen,  der  Prügelei  —  und  dem  höchst  wundervollen 
Auftreten  des  Nachtwächters  nach  derselben.  Man  darf 
die  Musik  nicht  auf  sich  allein  untersuchen,  denn  man 
würde  außer  vielem  sehr  Schönen  noch  mehr  abscheulich 
Häßliches  finden.  Diese  Musik  soll  aber  auch  stellenweis 
sich  zum  Ganzen  nicht  anders  verhalten,  als  etwa  die  grob 
gemalten  Decorationen,  die  bei  Lampenlicht  u.  zur  Action 
doch  gute  Wirkung  thun.  Damit  will  ich  nicht  sagen, 
daß  sie  nicht  schöner  sein  dürfte,  so  recht  sei,  bewahre 
Gott,  gerade  der  Erfolg  hat  bewiesen,  daß  die  meiste 
Wirkung  doch  wieder  den  guten  Musikstücken  zu  ver- 
danken ist,  welche  das  Werk  enthält  —  ich  will  nur  con- 
statiren,  daß  das  Werk  so  aus  einem  Guß,  so  als  Ganzes 
concipirt  ist,  daß  es  trotz  sehr  bedenklicher  Einzelheiten 
in  seiner  Totalität  intensiv  poetisch  wirkt.  Wo  es  mittel- 
mäßig aufgeführt  wird,  muß  es  entschieden  misfallen;  aber 
Wagners  Inscenirung  gehört  nun  einmal  zu  seiner  Schöp- 
funff.    Dixi!  ...  ^^ 

■="'"■  B:  Schob.. 


476  Von  Max  Bruch 


Von  Max  Bruch 

Sondershausen  2y.  JuH  1868. 

Lieber  hochverehrter  Freund, 

Als  wir  uns  in  Coblenz  trennten,  versprachen  Sie  mir, 
wenn  irgend  möghch,  im  Laufe  des  Sommers  einmal 
in  unser  Thüringisches  Waldnest  herüberzukommen  und 
meine  Sinfonie  zu  hören.  Darf  ich  Sie  heute  an  dies  schöne 
Versprechen  erinnern?  Die  Sinfonie  ist  fertig  —  gestern 
haben  wir  sie  mit  allem  Glanz  zum  ersten  Mal  öffentlich 
aufgeführt  —  nach  unendlichen  Änderungen  im  Einzelnen 
klingt  sie  nun  so,  wie  ich  wollte.  Es  wäre  nun  prächtig, 
wenn  Sie  es  möglich  machen  könnten,  bald  hierher  zu 
kommen  und  zu  hören.  Erst  wenn  ich  Ihr  aufrichtiges 
Ürtheil  über  das  Ganze  und  das  Einzelne  weiß,  bin  ich 
ganz  beruhigt.  Ich  möchte  Ihnen  niui  vorschlagen,  uns 
im  Laufe  der  nächsten  Woche  (zwischen  Sonntag  d.  2.  und 
Sonntag  dem  9.  August)  mit  Ihrem  hochwillkommenen 
Besuch  zu  erfreuen.  Ich  würde  dann,  wenn  Sie  wollen, 
Mittwoch,  Donnerstag  etc.  eine  Extra-Probe  Morgens  an- 
setzen. Die  Capelle  würde  es  sich  zu  einer  ganz  besonderen 
Ehre  anrechnen,  Ihnen  meine  Sinfonie  vorzuspielen,  und 
auch  vielleicht  das  Schubert'sche,  von  Ihnen  so  schön  in- 
strumentirte  Duo.  Wir  haben  das  treffliche  Stück  kürzlich 
wieder  aufgeführt,  und  die  allergrößte  Freude  daran  ge- 
habt. Spinas  Verhalten  ist  unbegreiflich,  —  selbst  vom 
rein  geschäftlichen  Standpunkt  aus  müßte  er  darauf  be- 
dacht sein,  die  Partitur  bald  zu  veröffentlichen.  Alle  Con- 
certinstitute  würden  darüber  herfallen.  Cranz  dachte 
daran,  das  Stück  (Ihre  Orchestration)  von  Spina  zu  er- 
werben und  zu  drucken;  glauben  Sie,  daß  ein  solches 
Arrangement  mit  Spina  überhaupt  möglich  wäre?  —  W^ir 
sprechen  mehr  darüber.  Noch  eins!  —  Sie  würden  der 
ganzen  Capelle  eine  unbeschreibliche  Freude  machen,  wenn 


An  Theod.  Ave-Lallemant  477 

Sie  (verzeihen  Sie  meine  Unbescheidenheit)  den  Morgen 
in  der  Extra-Probe  mein  Concert  spielen  wollten!  —  Es 
wäre  zu  schön,  —  aber  ich  bereue  fast,  die  Gedanken  aus- 
gesprochen zu  haben,  denn  ich  möchte  Sie  nicht  gerne 
plagen,  am  allerwenigsten  in  dieser  Sommerhitze.  —  Schließ- 
lich habe  ich  Ihnen  von  meinem  Freunde  Dr.  Spitta^)  die 
allerbesten  Grüße  auszurichten.  Er  freut  sich,  wie  wir 
Alle,  außerordentlich  über  Ihr  Kommen  und  ladet  Sie 
freundlichst  ein,  bei  ihm  zu  wohnen.  Ich  glaube,  daß  Sie 
bei  ihm  sich  ganz  ungenirt  und  sehr  behaglich  fühlen 
werden.  ...  —  Spitta  wird  sich  erlauben,  Ihnen  gleich- 
zeitig mit  diesem  selbst  zu  schreiben.  Er  ist  ein  prächtig 
musikalischer  Mensch,  den  ich  außerordentlich  schätze.  — 
Nun  hoffe  ich  recht  bald  gute  Nachrichten  von  Ihnen  zu 
erhalten.  Seien  Sie  mit  Ihrer  1.  Frau  herzlichst  und  freund- 
schaftlichst gegrüßt  von  Ihrem 

Max  Bruch. 


An  Th.  Ave-Lallemant 

Hannover  d.   ii^*"  Aug.  [1868] 

.  .  .  Fräulein  Agnes  Zimmermann  ist  eine  ganz  vorzüg- 
lich Pianistin,  ja  Künstlerin,  und  ich  würde  ihr,  die  in 
dem  riesigen  London  so  schwer  aufkommt,  in  Deutschland 
den  verdienten  Erfolg  von  Herzen  wünschen.  Ich  habe 
schon  in  London  mit  ihr  die  Kreutzer-Sonate  öffentlich 
gespielt  und  mich  sehr  über  ihre  Leistung  gefreut,  noch 
mehr  aber,  wie  sie  alles  Alte  kennt  und  auch  Neues  von 
Bedeutung  aufsucht.  Zudem  hat  sie  sehr  hübsche  Sachen 
componirt,  und  nächstens  erscheint  eine  mir  gewidmete 
Klavier-  und  Violin-Sonate,  die  wenigstens  manches  Gute 
enthält.    Wäre  ich  Concert-Direktor,   ich  gäbe  ihr   meine 

*)  Philipp  Spitta,  damals  Gymnasiallehrer  in  Sondershausen. 


4/' 


An  Theod,  Ave-Lallemant 


Stimme,  ...  Es  ist  die  richtige  Sorte.  Madame  Y.  kenne 
ich  nicht,  habe  bloß  einmal  ein  paar  empfehlende  Worte 
von  Fetis  über  sie  gelesen.  Sie  scheint  mehr  im  großartigen 
Styl  mit  Sekretär  und  Reklame  zu  arbeiten  .... 

An  Theod.  Ave-Lalleniant 

Hannover,  d.  26'"="  Aug.  [1868] 

Lieber  Ave. 

Du  kennst  meine  Bereitwilligkeit,  wenn  ich  Dir  in  mu- 
sikalischen Dingen  was  zu  lieb  thun  kann:  s'ist  aber 
absolute  Unmöglichkeit  für  meine  Frau  und  mich,  in  der 
Zeit  des  Umzuges,  gerade  in  den  ersten  Oktobertagen,  zu 
concertiren.  Es  ist  nicht  allein  um  der  2  Tage  willen,  aber 
schon  viel  vorher  geht  ja  der  Trouble  los:  an  Sammlung, 
Stimmung,  ja  nur  Übung  ist  dabei  nicht  zu  denken.  Dann 
die  Kinder  unter  ganz  neuen  Verhältnissen  in  den  i"'"  Tagen 
allein  lassen,  es  geht  eben  nicht ! ! . . . 

. . .  NB.  Die  beste  Feier  für  Euer  4ojähriges  Bestehen  i) 
wäre  eine  recht  schöne  Aufführung  eines  der  Werke  Eures 
großen  musikalischen  Landsmann's  Johannes  Brahms. 


^)  am  26.  Nov.;    der  78jährige  verdienstvolle  Begründer  der  Philh. 
Konzerte  Fr.  W.  Grund  dirigierte,  Brahms  kam  im  Programm  nicht  vor. 


Berichtigungen  zu  Bd.  I. 

S.  97  Anm.  3  lies:  Adolphe  Sax  (i8i4 — 1894)' 

Der  Brief  an  Th.  Ave-Lallemant  auf  S.  44^  gehört  in  den  Herbst  1 858, 
ist  also  im  i.  Band  einzuschalten  (vgl,  die  Anmerkung  II  S.  28). 

Das  Daguerrotyp  des  jungen  Joachim  (nach  S.  32o)  gehört  nicht  Herrn 
Edvv.  Speyer,  dem  wir  die  danach  angefertigte  Photographie  ver- 
danken, sondern  Fräulein  Marie  Schumann  in  Interlaken. 

Der  Quartettabend  bei  Bettina  von  Arnim  (nach  S.  368)  ist  kein  Pastell, 
sondern  ein  auf  Pappe  gemaltes  Aquarell. 


3  TQT7  DD1371b1  5 


<^oaohi„,  Joseph  ^^^^^^ 
'  '^  "^^-"^e  1858-1866. 


123674