'The search for truth even unto its innermost parts*'
In Honoi of
Mr. and Airs. Herman A. Mintz
on their 40th Wedding Anniversary
The Gift of
Several Friends
The National Women's Committee
of Brandeis University
Mut
^^fi
^
BRARY
/ .
Joseph Joachim 1867
Nach dem Gemälde von G. F. Watts
ll'ith permhsion of Mr. Frederick Hollyer, London
BRIEFE
VON UND^AN
JOSEPH JOACHIM
Gesammelt und herausgegeben
von
JOHANNES JOACHIM
und
ANDREAS MOSER
Zweiter Band: Die Jahre i858 — 1868
Mit sieben Bildbeilagen
Verlegt von Julius Bard in Berlin
1912
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BROUDE BROS,
M u s i c
NEW YORK
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Gedruckt von der Spamerschen Buchdruckerei in
Leipzig. Eine einmalige F^orzuqsausqabe von
hundert Exemplaren wurde auf van
Gelder-Bütten abgezogen^ nume-
riert und mit der Hand in
Maroquin gebunden
123674
VORWORT
Auch für den zweiten Band hatten wir uns
von manchen Seiten freundwiUiger Unter-
stützung zu erfreuen, für die wir uns zu leb-
haftem Dank verpflichtet fühlen. Besonders her-
vorgehoben seien die Herren Prof. D"" Bernhard
Scholz in Florenz, Prof. D*" Max Bruch in Frie-
denau und Prof. Y}^ Ernst Rudorff in Groß-
Lichterfelde , sowie abermals Fräulein Marie
Schumann in Interlaken, der wir auch die beiden
Bendemannschen Zeichnungen von Clara Schu-
mann und Joachim verdanken, die hier mit güti-
ger Erlaubnis des Sohnes des Künstlers, Exz.
von Bendemann in Haiensee reproduziert sind.
Das Bild von Joachims altem Leipziger Lehrer,
dem Magister Hering in seinem Arbeitsstübchen
auf der alten Pleißenburg, über den der Brief an
Herman Grimm vom 20. Mai 1860 ausführlich
handelt, bringen wir mit freundlicher Erlaubnis
des Malers Herrn Lärnrnel in Leipzig, die Büste
Amalie Joachims von Elisabeth Ney nach einer
Photographie von Fräulein Johanna Eilert in
Berlin. — Von der Katzensymphonie Schwinds
gibt es mehrere Fassungen: eine im Besitz von
Herrn D"^ Theodor Demmer in Frankfurt a. M.
(vgl. O. Weigmann, Schwind, 1906, S. 4^3), eine
zweite in der Kgl. Kupferstichsammlung in Mün-
VIII Vorwort
chen; die diesem Bande beigefügte wurde s. Z.
vom Künstler an Joachim geschenkt und gehört
jetzt seiner Tochter Frau Josepha Fels in Basel.
Auf der Rückseite steht von Schwinds Hand:
„Le chat noir / Concert Symphonie / pour le /
Violon / dedie h. Monsieur Joachim de Kitsee /
Debüt en composition musicale / dun membre /
de l'ordre sublime du chat noir. / Nouveau
Systeme de notes". /
Göttingen und Berlin, im April 1912.
Die Herausgeber.
JOSEPH JOACHIMS BRIEFE
ZWEITER BAND
VVVVVVVVVVVVlMMM*VVVVVVMVVVVVVVVV\VlVVVVVVVV\VV\VVVV\VWr\\V\\^
An Clara Schumann
[Hannover 3. Januar i858.]
Liebe Frau Schumann
Wie vieles giebt es auf Ihre ausführhchen und freund-
schafthchen, beghickenden Zeilen zu schreiben!
Und doch werde ich mich heute schon damit begnügen
müssen, nur das Nöthigste zu sagen. Die Zeit vor Post-
schluß ist nicht mehr lang. Vorgestern, am ersten Tag
dieses Jahres, da wollt' ich eigentlich zu gutem Anfang mich
mit einem Brief an Sie erquicken — aber Johannes kam
gerade in den INachmittagsstunden, das war freilich auch
sehr schön. Leider gieng er nach drittehalb Stunden weiter;
er wollte gern seine Eltern an dem Tag erfreuen — da
konnte der Freund nichts dagegen ausrichten. Er war aber
prächtig frisch, und wir dürfen uns wohl mit dem Ge-
danken schmeicheln, daß Johannes nun bei seinem klugen,
tüchtigen Sinn einen guten Anfang zu unbesorgter Existenz
in Detmold gelegt hat. Große Freude hat mir eine neue
Umarbeitung des ersten Concert-Satzes ^) von Job. gemacht.
Es sind wunderschöne Ruhe- und Verbindungs-Stellen hin-
zugekommen, mit denen auch Sie gewiß zufrieden sein
werden. Namentlich ist das zweite Thema breiter und
wohlthuender geworden. Nur fast zu reich scheint mir jetzt
das Ganze. Das ist aber ein guter Vorwurf! Wie sehr liegt
meine ganze Hoffnung, Neues und Schönes in der Musik
zu erleben, auf meinem lieben Freund ! Es ist wirklich eine
entsetzliche Dürre unter den jüngsten Kunst-Erscheinungen.
Reinecke hat ein Violin-Concert geschickt — so gewöhn-
lich, so manchmal sogar ungeschickt klingend, wie
^) des D moU-Konzerts.
An Clara Schumann
ich's von einem so routinirten Componisten nie erwartet
hätte.
Wie kommen Sie nur darauf, nach Richard Wurst zu
fragen ? Ich muß nur, damit ich den uninteressanten Mann
nicht vergesse, gleich sagen, daß ich aus der letzten Zeit
von seinen Werken nichts kenne. Vor vielen Jahren hörte
ich Quartette und eine Ouvertüre von ihm, wie sie eben
ein viel schreibender Musikus aus Spohr'schen und Mendels-
sohn'schen Reminiscenzen mit einigen farblosen eigenen
Verbindungsfäden zusammenwirkt. Über eine neue Sinfonie
von ihm habe ich von Stern u. A. wenig Lob vernommen,
desto mehr Klage über Langeweile dabei. Stern war zur
9^*"" Sinfonie hier, mit seiner Schwägerin Jenny Meyer, die
auch dabei mit half. Die Orchester Partie hatte ich nie so
gut, den Chor, der nicht zahlreich aber sehr correkt war,
nie besser gehört. Nur die Soli ließen zu wünschen übrig.
Aber dennoch war's erhebend, und Sie müssen mir schreiben,
wann Sie wohl hieher zu kommen gedenken, damit ich für
die Zeit die beabsichtigte Wiederholung der Sinfonie ein-
zurichten suche; Sie müssen sie von der hiesigen Kapelle
hören, und ich muß die Freude haben, daß ich Sie ein-
mal dabei als Zuhörerin denken kann, wenn ich sie dirigire.
Ach warum sind nur so wenig Menschen im Stand die
Seligkeit aufzunehinen, auch nur auf Momente, die Beet-
hovens Geist ausstrahlt. Es ist so schön, unbedingt zu
glauben — und wahrlich ihm verdankt man es, von der
ersten Note auf die Höhe reiner Hingebung gehoben zu
werden. Lauter Reinheit und Kraft!
Und da soll man dann Geduld haben, wenn man hin-
terher die Esel sich herumstreiten hört, ob auch der Stand-
punkt des „letzten" Beethoven nicht schwindelerregend,
und die Nahrung, die darauf w ächst, eine gesunde sei. Frei-
lich lauter Morast mit Disteln für solche Menschesel hat
der freie Beethoven auf seinen Zügen in die frische Berg-
luft nicht aufgesucht. Doch verzeihen Sie mein unwillkühr-
An Clara Schumann
lieh Schimpfen — wenn Sie kommen, dann wollen wir uns
ungetrübt freuen, ohne diese Töne, und Freudenvollere
anstimmen.
Dietrich ist seit einigen Tagen hier und singt mir viel
Schumannsche Lieder, die er fast alle auswendig weiß.
Wie er schrieb, hat ihn die „Sehnsucht" hieher getrieben;
aber ich glaube, das will bei D. nicht so ganz viel sagen
— obwohl ich ihm gewiß in der Verbindung mit der
Düsseldorfer Zeit eine angenehme Erinnerung sein mag.
Er ist ein herzlich guter IVIensch, vor dessen musikalischem
Können man denn doch Respekt haben muß, namentlich
im Vergleich zu den hannoverschen Musikern. Ein neues
Quartett von ihm aber ist freilich nicht melodisch bedeu-
tend genug, um nachhaltig zu erfreuen. Wehner hat
gestern den Paulus hier aufgeführt und so dirigirt, daß
nur das beständige Markiren erster Takttheile von Seiten
des braven Orchesters die Sache vom fortgesetzten Um-
werfen zurückhalten konnte. Ich hätte nie gedacht, daß
ein Dirigent im Stande wäre, die vortrefflichsten Sing- und
Instrumental-Kräfte so total zu lähmen. Der König war
entzückt von der Aufführung und hat eine Wiederholung
befohlen. Wenn ich meine Stelle nicht ganz aufgebe, so
erbitte ich mir jedenfalls den Urlaub nach Rom aus.
Schreiben Sie nur vorher hin und theilen Sie mir das
Resultat der Anfrage mit. Zu binden braucht man sich ja
doch nur einige Monate vorher, nicht schon jetzt.
Ich hoffe, Sie lassen mich immer Ihre Schweizer Adres-
sen wissen; gebe der Himmel auch diesmal gleich reichen
Segen wie das vorige Mal für Ihren Haushalt.
Für heut, verehrte Freundin, mit herzlichem Gruß
der Ihrige
Joseph J.
Von Clara Schumann
Von Clara Schumann
Stuttgart d. 26. Jan. [i8j58.
Ist es doch, als hinge es an tausend Ketten, ehe ich ein-
mal wieder dazu komme, Ihnen, liebster Joachim, einen
Gruß zu senden. Wie habe ich mich über Ihren letzten
Brief gefreut, aber wie hat er auch meine Sehnsucht
wieder erregt! Welch ein paar schöne Stunden mögen Sie
mit Johannes wieder verlebt haben — hätte ich können
unter Euch sein! — Und wie viel ferner rücke ich jetzt
wieder! Morgen reise ich ab nach Basel, dort bleibe ich
einen Tag, gehe dann direct nach Genf, vielleicht schwimme
ich gerade auf dem Genfer See, wenn Sie diese Zeilen er-
halten. Wie graut mir mit meiner Musik unter den Fran-
zosen! auf die Berge aber im Winterschmuck freue ich
mich, jubeln werde ich, wenn ich sie auf dem Rückwege
sehe . . .
Ich habe mich in der letzten Zeit mehr mit Ihnen be-
schäftigt, als Sie wohl ahnen. Es wurde mir nämlich der
Antrag gestellt, hierher zu ziehen, um als Lehrerin am
Conservatoire zu wirken, gegen einen fixen Gehalt, und
als ich gesprächsweise äußerte, daß ich mich dazu schwer
entschließen würde, weil mir dadurch gänzlich die Aus-
sicht genommen würde, mit Ihnen in einer Stadt leben zu
können, wozu ich in Berlin doch immer Hoffnung hätte,
so versicherte man mich, daß man Alles aufbieten werde,
auch Sie hierher zu ziehen, indem so die erste Capell-
meisterstelle noch nicht wieder besetzt sey etc. Was ist mir
da Alles durch den Kopf gefahren, auch wieder mit Jo-
hannes, Conservatorium in Hannover, wobei mir immer
der Genuß des herrlichen Orchesters vorschwebt — ein
Chaos von Gedanken! wir müssen bald darüber sprechen,
es rückt doch die Zeit immer näher, wo ich suchen muß,
eine feste Stellung zu gewinnen; ich will auch Alles gern
Von Hans v. Bronsart 5
thuen, will fleißig arbeiten, aber nur da, wo ich mit Euch
leben kann, wo Ihr mit Rath und That mir beisteht, mich
erhebt durch Eure Musik und zum Selbst -Studium be-
geistert durch Tadel und Lob. Jetzt lächeln Sie, denn es
fallen Ihnen wohl meine zuw eiligen Thranen ein, es
schadet aber nichts, gerade der Tadel ist unschätzbar, der
ächter Freundschaft entspringt, und hat mich schon manche
Stufe vorwärts gebracht.
Ihre Beschreibung der 9""' war herrlich, ach könnten
Sie sie wiederholen, daß ich sie hörte! ich denke, in 3 — 4
Wochen kann ich Ihnen Bestimmtes über den Beschluß
meiner Reise sagen, vielleicht können Sie in Hannover es
arrangiren, daß ich recht Schönes höre — ich lechze darnach.
F'ür Ihren Bericht über Wurst danke ich Ihnen, meine
Anfrage geschah zu Gunsten Rieter's, ich habe aber natür-
lich Ihres Namens mit keiner Sylbe erwäht. Nota bene:
Johannes schreibt mir, daß Sie Ihre Heinrich Ouvertüre
doch nicht drucken lassen wollen? ist's so?
Warum sind Sie nicht nach Hamburg ^) gegangen ? waren
Sie wirklich krank? etwa auch die Grippe? bitte, lassen
Sie mich darüber wissen, ich bin immer besorgt, wenn
Sie unwohl sind, weil Sie Sich immer so langsam wieder
erholen, und doch keine rechte Pflege haben, auch sich
nicht schonen . . .
Von Hans V. Bronsart
Weimar 8. Febr. [i8]58.
Hochverehrter Herr !
Die Bitte des Herrn Bärmann, ihm einen Brief an Sie
mitzugeben, erinnert mich daran, daß es längst mein
Vorsatz war, Ihnen zu schreiben, und ich erfülle seinen
^) J. hatte dort am 14. mit Brahms in Ottens neubegründetem „Ham-
burger Musikverein" spielen sollen.
Von Hans v. Bronsart
Wunsch mit um so größerer Freude, als ich dadurch zu-
gleich Gelegenheit habe, Ihnen einen vortrefflichen Pianisten
zu empfehlen und auch mich in Ihrer Erinnerung wieder
wach zu rufen. Herr Bärmann wird sich am besten selbst
empfehlen, wenn Sie ihn an Ihren Flügel führen; Liszt,
dessen Schüler er seit einem Jahre ist, nennt ihn Pruckner
den Zweiten. Er wünschte sehr, am Hofe zu spielen — ich
habe ihm gesagt, daß er insofern wenig Aussicht dazu
hätte, als meines Wissens Jaell in den nächsten Tagen in
Hannover eintreffen würde; sollte es Ihnen dennoch mög-
lich sein, seinen Wunsch zu erfüllen, so würde er Ihnen
unendlich dankbar sein.
Von mir kann ich Ihnen insofern wenig Erfreuliches
mittheilen, als ich, seit wir uns in Hannover gesehen,
durchaus keine Zeit gefunden habe, um irgendwelche der
Rede werthe Fortschritte zu machen — außer daß ich Ge-
legenheit hatte, meine Frühlingsfantasie für Orchester 6 mal
in Proben und 2 mal in Aufführungen zu hören, wobei
ich denn Manches gelernt habe. Im Übrigen aber habe
ich mein vagabondirendes Leben glücklich angefangen und
muß es leider Gottes! diesen ganzen Winter und voraus-
sichtlich bis weit in den Frühling hinein fortsetzen, denn
wahrscheinlich schon morgen trete ich meine Reise nach
Warschau und Petersburg an. Was den äußeren Erfolg
betrifft, so bin ich mit meinen Leipziger Affären ganz
zufrieden; ich habe ^md\ im Laufe von 4 Wochen da-
selbst öffentlich gespielt und darunter ein eigenes Concert
gegeben. Was mir dabei von besonderer Wichtigkeit ist,
u. mir in der That herzliche Freude macht, ist, daß ich in
vieler Beziehung die Spannung gemildert habe, welche
zwischen den musikalischen Notabilitäten Leipzigs u. der
Weimarer Schule bestand — und allerdings zum Theil
noch besteht; besonders habe ich den Herren auseinander-
gesetzt, wie ungerecht es ist, Liszt für jedes Wort verant-
wortlich machen zu wollen, was in der Brendelschen Zeit-
An Ave-Lallemant
Schrift steht u. dergl. Wenn die Künstler überhaupt erst
auf den Standpunkt kommen, auf das Journalgeschvvätz
Unberechtigter und Unberufener nicht mehr zu achten,
dann würde Manches besser werden.
Liszt grüßt Sie herzhch; ich bitte Sie, mir eine freund-
liche Erinnerung und Theilnahme zu bewahren.
In wahrer Verehrung
Ih
An Ave-Lallemant
Hans V. Bronsart.
[Anf. März i858.
Lieber Freund,
Das ist ja entsetzlich, daß Fianz Schubert in seinen alten
Tagen noch eine Censur der musikalischen Republik
passiren muß! Ich hätte es Grund weit weniger verdacht,
wenn er gesagt hätte, meine Instrumentation wäre schlecht,
aber die Composition ^) ist gut, als umgekehrt ! Nun, wir
beide müssen uns trösten, lieber Herr Ave! Aber damit
Sie sehen, wie ich Ihnen die Sache ganz und gar nicht
nachtrage, so mache ich Ihnen und mir das Vergnügen,
Ihnen unsere Prima -Donna Frau Caggiati-Tettelbach^),
welche Ihr nächstes philharmonisches Concert mit ihrem
Gesang verschönen will, vorzustellen. Sind Sie schon als
Director quasi verpflichtet, meiner Empfohlenen freund-
lich zu sein, so werden Sie als musikalischer und liebens-
würdiger Freund Sich doppelt gerne der Dame in Hamburg
annehmen — es ist eine durch und durch echte Künstlerin,
bescheiden und einfach und so lebhaftes Interesse für Alles
^) vgl. den Brief von Biahnis, Briefw. I, S. 197.
^) vgl. Fischer a. a. O. S. 182: „Ida C. war sehr beliebt, und eine
pflichttreuere, opferwilligere Sängerin hat die hannov. Oper kaum be-
sessen.''
Von Clara Schumann
in der Musik Wahre nehmend, daß für mich eine rechte
Freude war, mit Frau Caggiati hier näher bekannt zu
^verden. Sie kannte auch Schumanns schon in Dresden,
und theilt unsere Verehrung für die herrhche Frau — so
also daß sie in mehr als einer Beziehung mit Ihnen Be-
rührung für die Unterhaltung finden wird. Brahms wird
Ihnen wohl meine letzten Grüße gebracht haben; ich füge
neue hinzu und werde mich freuen, Sie bald einmal
wieder in Hamburg aufzusuchen, wo Sie als den Alten zu
finden hofft
Ihr
herzlich ergebener
Joseph Joachim.
Von Clara Schumann
Stuttgart d. 12. März i858.
Lieber Joachim,
also nach 6 Wochen, die ich ohne eine Zeile von Ihnen
blieb, schreibe ich wieder von hier aus! Ihr Schweigen
hat mir weh gethan, obgleich ich es ahnte, da Sie mich
so eifrig nach meinen Schweizer Adressen frugen!
Von Job. fand ich gestern bei meiner Rückkunft aus
der Schweiz einige Zeilen, wo er mir u. A. schreibt, daß Ihr
Beide mit einer Probe seines Concertes ^) auf mich wartet ;
ich möchte nun gern so bald als möglich genau wissen,
wann die Probe sein soll, damit ich nach Hannover komme,
bevor ich in Berlin war . . .
Mit dem Concert von Johannes ist mir übrigens Angst
vor den Musikern! erinnern Sie Sich, mit welchem Un-
willen sie das Conceit Roberts damals begleiteten — wird
^) des D moll-Konzertes von Brahms, das am 3o. März in Hannover von
Frau Schumann probiert wurde; das Zirkular Joachims an das Orchester
Brahms Briefw. I S. 2o5 ist also auf den 27. März zu fixieren.
An Clara Schumann ;)
es bei Johannes besser sein? es thäte mir um Ihn so
schreckhch leid, müßte er Widerspenstigkeit sehen, wo
er mit dem frischen, warmen Herzen eines Componisten
kommt ! — ...
Ich habe in Genf wieder i4 Tage völlig unthätig zu-
biingen müssen, da ich dasselbe Rheuma wie vorher im
linken, so jetzt im rechten Arme bekam. Ich saß da ohne
alle Zerstreuung, ohne Freund, und habe recht schwer
gelitten. Welche Freude wäre mir ein Brief von Ihnen
ein Mal gewesen ! ich kann mich mit aller Mühe gar nicht
recht darüber hinwegsetzen, obgleich ich wohl nicht das
Recht hatte, es zu erwarten, wenn Sie nicht selbst in mir
die Hoffnung darauf so rege gemacht hätten.
Nun, lieber Joachim, seyen Sie sehr gegrüßt! Ich
wünschte, Sie wüßten es nicht so gut, wie ich Ihnen
immer dieselbe getreue Freundin bin, ich hörte dann viel-
leicht mehr von Ihnen, freilich aber wohl nicht so frei-
willig als jetzt. So wird es denn wohl immer beim Alten
bleiben, mit Ihnen wie mit mir,
Ihrer
Gl. Seh.
An dieselbe
[Hannover, ay. März i858.]
Liebe Frau Schumann.
Da die Herren der Kapelle in dieser Woche gar nichts
zu thun haben, so werde ich ihnen heute Abend den
Dienstag oder Mittwoch Vormittag vorschlagen und morgen
Ihnen und Johannes das Resultat mittheilen. Einen vor-
züglichen Flügel von Herz aus Paris, im Besitz des Herrn
Kuhn, werde ich zu sichern suchen. Gelingt es mir nicht,
so schreibe ich sogleich an Ritmüller, der dann wohl
10 Von Herman Grimm
gleich einen sendet. Julius Otto^) soll dann keinesfalls
fehlen. Es thut mir sehr leid, daß Sie und Johannes
nicht, wie ich vorschlug, schon in voriger Woche kamen —
am Freitag hatte ich eigends die Concert-Probe so einge-
richtet, daß sie kaum über eine halbe Stunde dauerte —
alle übrige Zeit hätten wir für Johannes gehabt, und es
wäre auf den besten Willen der einmal versammelten
Orchester-Mitglieder zu rechnen gewesen; indeß, denke
ich, es soll an ihrem guten Willen auch in dieser Woche
nicht fehlen. Gern hätten wir Ihnen auch die Bdur Sin-
fonie von Schumann vorgespielt; sie bildete den Schluß
der Concerte und ging gleich der Manfred -Ouvert. in
einem frühern so schön wie ich sie kaum früher gehört.
König und Königin baten mich, ihr „Entzücken" über die
Sinfonie Ihnen auszusprechen. Daß Sie bei Hof spielen, wenn
Sie hier sind, unterliegt bei der Gesinnung des Königs und
seiner Frau für Sie gar keinem Zweifel. Ich werde Ihr
Kommen der Gräfin Bernstorff inorgen mittheilen. Apropos,
ein Brief von mir mit einem Einschluß der letztern nach
Winterthur muß verloren gegangen sein; Sie erwähnen
nirgends davon. Die Passion ist „aufgehoben". Wie konnten
Sie und Johannes an Bach unter Wehners Leitung ver-
langend denken? Es wäre eine Passion für uns geworden!
Morgen mehr. Stets
Ihr
J. J.
Von Herman Grimm
[Berlin] Sonnabend [3. April i858].
Lieber Joachim
heute morgen schickt mir die Giesel beifolgende zwei bücher
für dich und zwar im namen der Bettine, die dir so gern
^) J. O. Grimm in Göttingeii, der Schwiegersohn des dortigen Klavier-
fabrikanten Ritmüller.
Von Ferdinand Hiller ii
das sonnet Beethovens schicken wollte i) und dazu ein buch
von der Giesel bestellen ließ, das dann aber zu klein aus-
fiel, sodaß du nun zweie erhältst, ich hoffe, es kommt
gerade zum ersten ostertage an. die Giesel schreibt mir,
sie hoffte es, da sie dächte, es würde dir freude machen.
Brahms war bei mir, hatte aber Bargiel als bundes-
genossen mitgebracht, so daß wir wenig zusammen reden
konnten, denn man muß in solchen fällen Bargiel die
freude lassen, niutter zu sein.
es geht mir recht gut und ich arbeite zu meinem großen
glücke ordentlich weiter, es wird mich wohl den sommer
über hier halten, ich habe einen ganzen packen auf der
Seele, lauter flachs, der gesponnen sein will.
schreib mir doch, welches deine letzte nummer Wörter-
buch ist, es liegen hier von Schneider für uns etzliche
lieferungen.
und nun lebwohl
dein Herman,
Von Ferdinand Hiller
Köln 5. Apr. [i8j58.
Sie erhalten hier, lieber Freund, eine bunte Sendung —
Händel, Joachim, Hiller — alles durcheinander. Indeß,
da Alles Ihnen gehört, so brauchen Sie nicht viel darin
auszusuchen. Ihre Ouvertüre zu Heinrich möchte ich hören,
mit dem Lesen ist es doch bei derartiger Musik kaum eine
halbe Sache. Daß sie viel Interessantes enthält, scheint mir
sicher — vielleicht zu viel davon. So wenig Sie mit der Zu-
kunftsparthei gemein haben, so steuern Sie doch auch zu-
viel auf die Intention, u. vielleicht zu wenig auf die rein
musikalische Wiikung los. Und nachdem ich doch jetzt
^) vgl. I S. 23g; J. hatte es im Dezember i855 Bettinen zurückgegeben,
damit es W. v. Lenz für sein Buch über Beethoven mitgeteilt würde.
12 Von Ed. Remenyi
so mancherlei habe an mir vorüberziehen sehen, bin ich
überzeugter als je, daß die Musik vor allem u. nach allem
Musik, schöne ausdrucksvolle, möglichst wohlklingende
Musik sein müsse — und daß aller Geist u. alle Feinheit
und aller Witz nichts helfen ohne jene Grund-Lebensbe-
dingung. Sie wenden mir gar zu viele Undecimen u.
Terzdecimen Akkorde u. quasi Orgelpunkte in den Mittel-
stimmen u. dgl. an — das mag Geschmackssache sein —
aber zu viel ist ungesund u. man kann noch eher viel
Rindfleisch vertragen als viel Trüffeln. Nun wir plaudern
hoffentlich bald einmal mehr hierüber. Ich bin in diesem
Augenblicke, nachdem ich 4 Stunden lang Saul gekla-
vierauszugt habe noch dummer als sonst u. sehe kaum
aus den Augen . . .
Von Ed. Remenyi
Brighton 6. April i858.
Carino !
After so long an expectation alfine carissimo — vous
arriverez — grande joie dans la maison — große
freude im hause — grande gioja nella casa — great joy
in the house — nagy öröm a hazba — und noch in
mehreren sprachen
So willkommen denn, Lindenrauschen — iger Poet —
Abendglockist — Beethovenianer — Zukünftling — und gebe
acht auf deine sante — und komme bald — weil ich schon
wirklich müde bin der Sain tonischen — Sivorischen
Clique —
Si ä ces gens jamais j'ouvrirai ma porte
Je veux, mes enfants, que le diable m'emporte (: bis :)
(: Beranger :)
Was zu viel ist — ist ungesund — und diese leute sind
wirklich alles — alles — selbst Stiefelputzer — nur keine
Musiker —
An Clara Schumann i3
Das übrige wird im klarerem style der bruder — der
Heinrich 1) schreiben
Addio donc, carino, anima bella immortale
Und ich bin immer derselbe — nur etwas besser
ä vous de coeur
Remenyi Ed.
Magyar ember
An Clara Schumann
[Hannover i5. Apr. i858.]
Liebe Frau Schumann
Eben gelange ich in Besitz meiner Londoner Adresse,
die ich denn auch gleich mittheile; 23 Queen Street,
May Fair. Es ist bei einem Bäcker; ich laufe also wenig-
stens nicht Gefahr zu verhungern! Piccadilly ist in der
Nähe, damit Sie die Lage ungefähr wissen. — Morgen
spiele ich für Sobolewskj ^) in Bremen; Dienstag am 20"^"
reise ich von hier ab, am 21"^" ist Reineckes Concert in
Barmen, und so werde ich wohl Freitag Abend, den 2 3''"
bei Mr. Follet, Baker, 23 Queen St., May fair einziehen.
Vielleicht finde ich gar bei besagtem Mann ein paar Zeilen
aus der Dessauer-Str. vor; das wäre ein freundlich Omen!
War es nicht schön, daß wir wahrscheinlich zu gleicher
Zeit am Tag nach meiner Abreise einander schrieben?
Die schöne Kette 3) trage ich nun als doppelte Erinnerung
an Sie und Johannes.
Auch der wieder geschenkten Fantasie*) freue ich mich,
und denke sie fleißig zu benützen. Von Job: habe ich
^) J's. in London lebender Bruder.
^) Ed. S., Scliüler v. Weber, i854 — 58 Theaterkapelhneister in Bremen
•j* 1872 in Amerika.
^) eine Uhrkette aus Stahl, wie sie auch Brahms als Geschenk von Frau
Schumann trug. (Vgl. Brahms Brfw. I, 206.)
*) von Schumann.
i4 An Julius Otto Grimm
leider noch nicht wiedergehört. Unsere Dubliner Bekannten
wollen mich vom i4"^" Mai an auf eine Woche engagiren.
Außer den 4 Ella'schen Concerten hat mich auch Pauer
auf zwei Abende gemiethet. Nun, wir wollen sehen, wie's
mir gefällt, wie ich gefalle, und ob ich aufs nächste Jahr
vorbaue. Am 27""" spiele ich zum erstenmal; ich denke zu
schreiben, wie es ausgefallen ist. — Gestern war der liebens-
würdigen Herrscherin Geburtstag; ich hatte die Freude
sie aus dem Schlaf mit einem Kinderstückchen zu musi-
ciren, und sie ist wirklich gar so gut, daß ich es sehr
gern that ! Gräfin Bernstorff wird Ihnen ja wohl geschrieben
haben, daß die Königin ihren Namen gern in Ihre Lieder-
hefte eintragen will. Es ist mir sehr lieb, daß Sie es
wünschten. Dies sind wohl die letzten Zeilen vor Eng-
land — wünschen Sie mir eine sanfte Fahrt! Adieu, ver-
ehrte Freundin,
von
Ihrem
Joseph Joachim.
An Julius Otto Grimm
[Hannover, etwa ly. Apr. i858.]
Lieber Ise
Erstens wollt' ich Dir meine Londoner Adresse auf-
schreiben; 9.3 Queen Street, May-Fair, London! dann
aber auch einliegenden Brief aus üpsala schicken, damit
Du Dich wie ich an dem Lebenszeichen unseres alten
Schweden ^) und der beiden jungen freust. Sende ihn mit
meiner Ouvertüre vor Montag zurück; Dienstag geht's
hastig nach London. Bach wird nun bald nach Göttingen
übersiedeln. Ich bitte Dich inständigst, lieber Freund, nimm
Dich seiner Musikentwicklung mit Strenge an. Er begreift
^) Lindblad mit seinen Töchtern.
Von Clara Schumann i5
gut, aber Ausdauer und Tiefe fehlen zu Zeiten sehr. Da
du versprochen hast, ihm Harmonie- und Compositions-
Stunde zu geben, so darf ich Dich wohl auf die Noth-
wendigkeit aufmerksam machen, ihm bestimmte Aufgaben
zu Stelleu, die er bis zu gegebener Zeit lösen muß. Wenn
Du Dich wirklich seiner annimmst, so kann ihm der
Aufenthalt in Göttingen für seine Musikbildung von großem
Nutzen sein. Lasse ihn Partituren copiren, Noten schreiben,
kurz alles thun, was ihm Gewandtheit geben kann, sie fehlt
ihm noch ganz; so hübsch auch seine Geigentechnik ge-
fördert ist. Verzeih, daß ich so ausführlich bin, aber es
würde mir nahegehen, da er sich so vertrauend mir in die
Hände gab, wenn der liebenswürdige, gute Junge durch
mein Fernsein seine Zeit nicht nützlich verwendete, und
Du bist der Einzige, der mich ihm wirklich überflüssig
machen kann, da es jetzt mehr auf allgemein musikalisches
wie auf virtuoses Forschreiten bei ihm ankömmt. Bitte
schreibe auch, wie's Deinem Papa geht, küsse Häuschen,
grüße Pinchen und Fräul. Gathe und lebt alle wohl, bis
wir uns wiedersehen, und dann mir zu lieb womöglich
noch besser.
Aufrichtigst
der Deine
J. J.
Von Clara Schumann
Berlin d. 28. April i858.
Liebster Joachim,
Daß Sie unsere Grüße nicht bei Ihrer Ankunft finden,
schreiben Sie nur dem erwachenden Frühjahr zu, das
mich seit einigen Tagen in solche Trägheit des Körpeis und
Geistes versetzt, daß ich gar Nichts thuen konnte. Aber
viel sprechen wir — Johannes und ich — von Ihnen, und
i6 Von Clara Schumann
heute Nacht soll mein Gebet für Sie zum Himmel dringen,
daß er Sie glücklich hinüber führe. Sie sehen, Johannes
ist wieder hier, er überraschte mich, nachdem ich nach
Ihrer Abreise, fünf recht sehr einsame Tage verlebt hatte;
er hatte gemeint, es sey doch für mich gemüthlicher, wenn
er hier sey, und sehr richtig. So ist er denn also noch da,
und bleibt wohl noch einige Tage. — Ich gehe Mitte Mai
nach Göttingen, um ein Logis zu suchen, nebenbei viel-
leicht eine Soiree zu geben, und dann geht's nach Wies-
baden. Sobald ich dort bin, theile ich es Ihnen mit, damit
Sie meine Adresse wissen ! ! !
Man wird Sie bald genießen in England — seyen Sie
nur nicht zu gut, schaffen Sie Sich lästige Besuche vom
Halse, zu große Leutseligkeit ist in London, wo es der
Leute so Viele giebt, nicht angebracht. Strengen Sie Sich
auch nicht allzusehr an — ich kenne das Leben dort. Ich
weiß, Sie werden, müssen gefallen, nicht weil das Publi-
kum Sie versteht, aber weil es den herrlichen Künstler
ahnet, wie ich denn überhaupt den Publikum's kein weiteres
Vermögen zutraue. Das Höchste in der Kunst wirkt mit
unwiderstehlicher Macht und Zauber — so Sie, theuerer
Joachim, auf Jeden !
Von meinem der Bernstorff ausgesprochenen Wunsche
hatte ich Ihnen nichts gesagt, weil ich fürchtete, Sie
könnten für Eitelkeit halten, was wirklich nur Anhäng-
lichkeit. Das hätte ich nun freilich wohl nicht denken
sollen von Jemand, der mich kennt wie Sie, doch der Ge-
danke kam nun einmal. . . .
Ich habe zum mittelrheinischen Musikfest, Anfang Septbr:
eine Einladung angenommen (nach Wiesbaden), vielleicht
kommt Ihnen auch Eine zu, und Sie nehmen sie an?
Wir haben schon Pläne gemacht, dann kommt Job. auch,
und wir machen von da eine Fußtour in die bayrische
Pfalz. . . .
An Clara Schumann 17
An Clara Schumann
[London] Sonnabend, den i5''=" [Mai i858.]
Liebe Freundin.
Eben will ich Ihnen schreiben, und bekomme noch da-
zu einen frischen Gruß von Ihnen durch Fräulein
Krüger, so daß es mir gar nicht ist, als wäre der Ocean
zwischen uns. Fast unglaublich däucht es mir, daß ich
schon 3 Wochen hier sein soll. Die Masse von Eindrücken,
von der schönsten Musik bis zu den langweiligsten Be-
kannten läßt einem vorerst gar nicht wissen, daß es über-
haupt so etwas wie Wochen, Monate und Zeit giebt. Nun,
Sie haben das alles selbst erfahren ! Ich war auch schon in
Manchester und Dublin. Dort wurde Ihrer unaufhörlich
gedacht, bald von Mrs. Robinson, bald von ihm (ich wohnte
bei R's), bald von mir, im Concert oder beim Frühstück,
im Park; kurz, Sie gehören da ganz zu den musikalischen
Hausgöttern bei den lieben Leuten, who desire me to send
you their love. Das Dublin hat überhau|)t etwas sehr
lichtes und wohlthuend freundliches mit den vielen großen
Gärten in der Mitte der Plätze und dem gutmüthigen, fast
zudringlichen Enthusiasmus der Irish individuals, nicht des
Publikums, das etwas ziemlich provinzialisches, steifes hat.
Ich kann mir denken, daß Ihnen der Aufenthalt dort auch
etwas angenehm Ausruhendes hatte, denn eine dunkle
drückende Luft und eine freudlose Geschäftigkeit ist dem
London, trotz allem herrlichen, nicht abzusprechen. Frei-
lich des Herrlichen aber auch gar viel: der Krystallpalast,
die vielen bedeutenden Aufführungen, der scharf ausge-
prägte nationale Geist, — kurz, ich bereue keinen Augen-
blick, daß ich Hannover mit London eine Weile vertauscht
und mich auch praktisch überzeuge, daß es Gescheuteres
giebt als sich über Kleinstädter während des Tags zu
ärgern. Ich wollte nur, Sie wären mit hier und wir ge-
i8 An Clara Schumann
nössen manches gemeinschafthch, statt daß ich mich aufs
nächste Jahr damit vertrösten muß. Meine Aufnahme hier
war eine sehr herzHche. Man muß es den Engländern
nachloben, daß sie mit Beständigkeit ihren Freunden an-
hängen. Mein Spiel in der Philharmonie hatte zur Folge,
daß ich für den 24"^^" "^ derselben Gesellschaft engagirt
bin. Bei Ella habe ich erst einmal musicirt; am aS'"" ge-
schieht es wieder mit Rubinstein in der Kreutzer-Sonate.
Außerdem werde ich da zum erstenmal in meinem Leben
Beeth:'s Septett spielen, worauf ich mich freue. Donnerstag
gehe ich wieder nach Manchester, wo auch Ihre Freundin
Garcia singen wird, deren Bekanntschaft zu machen mir
sehr lieb sein wird. Sie ist eben erst angekomiuen, sonst
hätte ich sie schon Ihretwegen aufgesucht. Miß Busby^)
habe ich gesprochen, aber nicht gehört. Fräul. Hartmann 2)
aber könnt' ich mich noch nicht gefällig erweisen, obwohl
ich mir's wünschte. Ich werde ihr zu Pauer's Concert,
Mittwoch, Billete schicken und hoffe sie dort zu sprechen.
In P's erstem Concert hatten wir eine sehr gute Aufführung
von Schumann's Dmoll Trio mit Piatti, der ein ganzer
Cellist ist. Wir machten zwei Proben, und ich glaube,
Sie würden gern zugehört haben. Auch das Esdur Quartett
mit Klavier wollen wir noch einüben ; ich werde dabei die
Bratsche übernehmen und bei der Gelegenheit auch die
Märchenbilder vorführen.
Betrachten Sie, liebe Frau Schumann, diese Zeilen nur
als einen Schreibe-Entschluß; es giebt so viel zu sagen,
daß es mir ist, als hätte ich noch nicht angefangen. Aber
lassen Sie dennoch recht bald von Sich hören. Wann gehen
Sie nach Wiesbaden? Ich bleibe bis Ende Juni jedenfalls
hier, da ich Engagements bis dahin angenommen habe.
Am i"^" Juni werde ich in Liverpool zu einem Philh: Con-
cert sein. Heute muß ich noch bei Hof spielen; (ohne
^) bei der Frau Seh. gewohnt hatte.
-) Die Konzertsängerin Matliiltle H. aus Düsseldorf.
An Clara Schumann 19
Empfehlungsbrief, sonst würde ich mich schämen, da
eigentlich Gretry und Playdy [Kreti und Pleti] da oft Musik
machen). An Johannes habe ich wohl an seinem Geburts-
tag gedacht und ihm ein seltnes, gutes Bild Handels^) durch
Chrysanders Güte verschafft, aber nicht geschrieben, da ich
unterwegs war. Ich hole es aber bald nach.
Tausend herzliche Grüße an alle Ihrigen, und auch an
Woldemar.
Ganz Ihr ergebener
Joseph Joachim.
An Clara Schumann
[London] IMontag, am la**" Juli [i858].
Liebe Frau Schumann.
Ihre Freundin Frau Townsend hat mir gestern, Sonntag,
einen sehr freudigen Nachmittag bereitet. Ich habe sie
Ihretwegen aufgesucht und bekam auch, als einen warmen
schönen Empfang zur Belohnung, Ihre lieben Zeilen mit der
Musikeinlage, wie denn überhaupt meine Umgebung jede
kleinste Erinnerung an Sie auf das lebendigste festhielt, so
daß ich den guten Menschen in Champion Hill recht herz-
lich dankbar bin. Denn daß mein Stillschweigen häufig
in keinem Zusammenhang mit meinen Gedanken an ge-
liebte Freunde steht, das wissen wir leider! Wie sehr ich
Ihrer dachte, werden Ihnen wohl auch die inliegenden
Zeilen Ihrer Freundin Pauline (um Gotteswillen! mir fällt
die Hannoverische 2) himmelweit verschiedene ein!) zeigen,
mit der ich halb und halb ein Zusammentreffen mit Ihnen
in Pesth für den November verabredete. Was sagen Sie
dazu? Ich bin sehr begierig dies zu wissen, da ich es da-
von abhängig mache, ob ich im Herbst eine Tour in den
^) Das Schabkunstblau Turners.
-) P. Viardot-Garcia; die Hannoversche ist Frau Wehner.
20 Von Clara Schumann
englischen Provinzen annehme oder nicht. Daß ich eine
Reise nach dem heimathlichen Ungarn mit Ihnen vorzöge,
wissen Sie wohl, ohne daß ich es sage — aber wenn Sie
nach Pesth zu gehen keine Lust hätten, so fielen meine
Pläne überhaupt ganz anders aus. Bitte also, geben Sie mir
bald Bescheid; ich muß bis über den 21'^" jedenfalls noch
hier bleiben, da ich an diesem Tag nach Exeter ein En-
gagement angenommen habe. Sonst habe ich nicht Pro-
fessionelles vor und denke in den nächsten Wochen das
großartige London zu genießen und meinen Freunden oft
zu schrei —
Eben holen mich Goldschmidts i) ab, bei denen ich noch
nicht war, aufs Land in Rohampton, wo sie wohnen. Morgen
Fortsetzung.
Ihr
J. J.
Von Clara Schumann
Wiesbaden d. 17. Juli i858.
Lieber Joachim,
Ihr Brief hat mich sehr in Aufregung versetzt; Sie muthen
mir einen Beschluß zu, von dem Sie wieder den Ihrigen
abhängig machen. Was soll ich nun thuen? Das Engage-
ment, welches man Ihnen angetragen, muß doch ein sehr
vorteilhaftes sein, sonst würden Sie doch nicht daran denken
es anzunehmen, denn solch eine Tour nimmt ein ordent-
licher Künstler nicht leicht an, wenn sie ihm nicht viel
einträgt? ich thäte es freilich, weil ich muß, doch
Sie?! — . . .
Als ich Ihre Handschrift sah, lieber Joachim, freute ich
mich sehr, aber doch weiß ich nicht, ob es nicht besser
ist, keinen als einen halben Brief zu bekommen, aus
^) Otto G. u. seine Frau Jenny, geb. Lind.
An Clara Schumann 21
dem man nicht einmal entnehmen kann, worauf das Herz
hoffen darf. Nichts weiß ich, nicht, wann wir Sie wieder
sehen, nicht wo, und Manches Andere nicht! Grimm und
Johannes, auch Woldemar, Alle fiagen nach Ihnen, — ich
kann ihnen jSichts sagen.
Ich kann mich doch des betrübenden Gefühles nicht er-
wehren, daß Sie doch nicht so recht ernst an Ihre Freunde
gedacht haben, sonst hätten Sie uns nicht so vernachlässigt.
Sollte der Morgen anbrechen, an dem Sie die Fortsetzung
Ihres Briefes folgen ließen, so bin ich noch bis zum 23^*^" d. M.
hier, „Dotzheimer Weg Nro i*^".
Für die Einlage von Paulinen danke ich sehr. Wie
prächtig schreibt sie mir über Sie! das freut mich am
meisten.
Ich schriebe Ihnen gern mehr, aber ich kann nicht, denn
ich bin betrübt.
Leben Sie wohl! Wo werden Sie am 24"^" sein?^)
Ihre
Gl. Seh.
An dieselbe
[London, Ende Juli i858.]
Liebe Frau Schumann.
Ich habe mich wegen einer Reise in die Provinzen er-
kundigt. Es ist aber nicht rathsam für Künstler, die
nicht vorher in der Saison hier waren, eine solche zu
unternehmen; besser also, Sie und ich treffen im Herbst
mit der Viardot in Pesth zusammen, was Ihnen jedenfalls
auch angenehmer sein wird, und wie wir es unter uns schon
in Hannover verabredet hatten. Urlaub muß mir der König
von Ende Oktober bis Ende November geben — ich habe ihm
^) Frau Seh. meint 25; J. feierte an diesem Tage seinen Geburtstag, bis
er i863 aus seinem Geburtsschein ersah, daß er auf den 28. Juni fiel.
11 An Clara Schumann
einmal ja anderthalb Jahre seinen Concerten zu lieb aufge-
geben. So viel über diesen Punkt! Was nun Ihren nicht
ganz gütigen und vertrauenden Argwohn betrifft, daß ich
des Geldes wegen eine Tournee unternehmen wollte, die ja
sonst kein ordentlicher Künstler anderer Gründe wegen
antritt, so werde ich ihn einfach dadurch widerlegen, daß
ich erzähle: Halle, Piatti und meine Wenigkeit hatten vor,
den guten und wie es scheint fortschreitenden Sinn der
Engländer (auch in den Provinzen) für deutsche Kammer-
musik zu sondiren, in wie fern er auch für die Kasse der
Künstler sich dankbar erweise. Halle hätte als erfahrener
englischer Concertgeber die Sache für die praktischen arran-
gements in die Hand genommen. Mit Beale und Mitchel ^)
etc. habe ich gar nichts zu thun gehabt, beide kaum ein-
mal gesehen. Überhaupt glaubte ich, Sie würden von selbst
überzeugt sein, ich würde dem Erfolg unter keiner Be-
dingung etwas von dem Künstler geopfert haben, und bin
daher nicht wenig erstaunt, daß Sie mir in einem Augen-
blick der schlechten Laune wegen meiner Schreibefaulheit
allerlei Oxford-Street business zutrauen! Ei, eiü! Zanken
Sie mich lieber ein anderes Mal mit den ärgsten Nainen
und VV^orten, wie z. B. Morenborstorftausendsapperlot-
StötteritzBombenGranatenelementconcertmeister ! ! ! Die
Sache mit Halle und Piatti unterbleibt natürlich, und nicht
nur meinetwegen, sondern auch meiner Eltern halber
freut es mich, wieder einmal nach Pesth zu kommen. Die
Guten scheinen meinen Besuch dort sehr zu wünschen, und
in ihrem Alter hat man ein Becht, solche Wünsche berück-
sichtigt zu fordern. Machen Sie Sich also nicht den gering-
sten Scrupel darüber, wenn ich es auch von Ihnen abhängig
machte, ob ich lieber im Herbst oder im Frühjahr des
künftigen Jahres Wien und Pesth besuche. Ich will nur
hoffen, daß unsre Goncerte dort uns einträglich werden.
Hier kann ich ziemlich zufrieden in Bezug auf diesen Punkt
*) engl. Konzertunternehmer.
An Clara Schumann 28
sein; ich glaube, daß mir nach Abzug der Kosten immer
noch etwa 260 Pfund übrig bleiben werden, die ich entweder
zu den 4oo Thlrn bei Ihnen oder zu meinen Bruder geben
kann. Ich hätte mehr verdienen können, wenn ich nicht
alle Privatengagements abgewiesen hätte, die mir gewiß
über 100 £ wenigstens bringen konnten. Auch andere
engagements z. B. 3 für den Crystal-Pallast, für Kube, den
ich nicht leiden kann, u. s. w. habe ich ausgeschlagen, bloß
eben, weil ich nicht verstehe, daß man sich als Fremder
englischer Unsitte fügen soll. Der Crystall-Pallast, so herr-
lich als Aufenthalt er ist, und so sehr es mir Bespekt ein-
flößt, daß das englische Volk aus eigenen Mitteln, ohne
die Regierung, ein so kostspieliges Weltwunder sich erhält,
ist als Musiklokal ein Unding, wenn nicht mehrere looo
drin singen und spielen — als Solist drin zu musiciren,
heißt sich zu einem Schwärm von Mücken als Jüngstge-
borenes in die Gesellschaft melden. Aber nie in meinem
Leben habe ich so bedauert, kein Orgelspieler zu sein, wie
in diesem wunderbaren Glastempel; Johannes da musiciren
zu hören, auf einer der vielen schönen Orgeln, und nament-
lich auf der größten in der Mitte des Gebäudes, müßte gött-
lich sein. Überhaupt muß Johannes London kennen lernen;
es wird ihm da behagen. Mir gefällt es so gut, daß ich mir
nun noch ungestört von dem Saison-Treiben, das jetzt glück-
licher Weise vorüber ist, mein liebes London ein wenig
ansehen will. In voriger Woche war ich auf der reizenden
Isle of Wight, wo ich die schönsten Meeresufer, die mir
bis jetzt vorgekommen, gesehen. Waren Sie dort? Auch in
Exeter, Southampton, Salisbury und Bath habe ich mich
aufgehalten ; gespielt nur in ersterer Stadt. Aber wunder-
bar schöne Kirchen dort, habe ich gesehen. Auch in Cam-
bridge einzige Gebäude und Kapellen und College gardens
mit Bennett. Dieser ist mit Weib und Kind an die See.
Wie lange ich noch bleibe, schreibe ich nächstens — noch
bin ich zweifelhaft. Wann kommt Ihr alle in Göttingen
24 An Herman Grimm
zusammen? Lassen Sie bald und Gutes hören Ihrem getreu
ergebenen
J. J.
Was war denn am 24'*"? Sie fragen, was ich an dem
Tag that.
An Herman Grimm
Hannover, Mittwoch [22. Sept. i858J.
Lieber Herman
ch bin gestern hier angekommen ; auf meinem Tisch lag
Dein Packet mit Brief als schönster Empfang. Vori-
gen Freitag habe ich London verlassen, auf dem Weg hie-
her in Düsseldorf sah ich einen Tag lang Frau Schumann.
Meine Überfahrt von Dover nach Calais geschah in einer
stürmischen Nacht mit Blitzen ohne Regen; ich konnte
mich des herrlichen bewegten Meeres ohne Krankheit er-
freuen. Hier erwartet mich nun das sauersüße Geschäft,
eine Wohnung zu suchen, ich muß den isten Okt^"^ aus
meiner bisherigen hinaus. Den Shelley (in der ausführlich-
sten Ausgabe, die es bis jetzt giebt) und das Stück elek-
trischen Drahts^) (der dich freilich Emerson nicht näher
bringt als Deine Worte) nimmst Du wohl als Zeichen, daß
ich Deiner in England oft gedacht, freundlich an.
Eine Photographie von Shakespeares Haus in Stratford,
von dem Flecke selbst mitgenommen, gebe ich Dir,
wenn wir uns wiedersehen, was ein günstig Geschick bald
fügen möge. Ich will trachten, eine Wohnung zu finden,
in der es Dir ein paar Tage bequem sein kann.
Herzlichst
Dein
J. J.
*) vom ersten Untersee-Kabel nach Amerika, durch das am 7. Aug. i858
die erste Depesche befördert werden konnte; freilich riß es bereits im Sep-
tember, wie schon bei den ersten Versuchen im Vorjahre.
An Clara Schumann 20
An Clara Schumann
Hannover; Sonnabend [25. Sept. i858].
Liebe Frau Schumann.
Ich habe Graf Platen gesprochen und von ihm vorläufig
erfahren, daß ich den Monat November noch benützen
kann; also damit hätte es keine Schwierigkeit mehr! An
der ganzen Geschichte mit X. scheint nichts wahr; im
Gegentheil hat der König (der X. bei seinem Hiersein auf-
forderte überzusiedeln) die Bedingungen, die er nachträg-
lich stellte, zu hoch gefunden. Das Letztere aber entre
nous. Was sind aber doch die Herren berühmten Vir-
tuosen für unrühmliche Flausenmacher! Man kann sich
wirklich nicht wundern, wenn der Stand in Verruf ist!
X. muß doch wohl die Konservatoriums-Ente selbst ver-
breitet haben. Ich hasse das Geschlecht! Eben habe ich
mich beim König als wieder gekommen melden lassen.
Ich wollte indeß wirklich, die Konservatoriums-Geschichte
wäre wahr; Wehners zudringliche Liebenswürdigkeit läßt
auf starkes Festhalten schließen
Eine Masse Wohnungen habe ich gesehen; heute eine
mit einem Garten vor dem Thor, die mir wohl zusagt,
und in der Sie auch gern ein Stündchen sein werden,
hoffe ich! . . .
Morgen gehe ich nach Göttingen, um noch ein paar
Tage mit Johannes zu sein ; er hat mir mit alter Herzlich-
keit geschrieben und wäre hieher gekommen, wenn ich
nicht selbst die Wahl gelassen hätte. Dienstag, denke ich,
geht er nach Detmold. ...
20 All Her man Grimm
An Herman Grimm
[Hannover Okt. i858.]
Lieber Herman
13 ümpler hat mir Deine Essays im Auftrage des Herrn
J-W Verfassers zugesendet, was mir nicht wenig schmei-
chelt. Ich habe schon mit Freuden eine Stunde drin herum-
geblättert, wie man in einer lieben Gegend, die man wieder-
sieht, ohne Verweilen bald hierhin, bald dorthin seine
Schritte wendet, weil man in erster Unruh' gern überall
gewesen wäre. Ich hoffe aber auch noch oft gesammelt
zu genießen. Auch für die Austria^) bin ich Dir dankbar;
ich begreife Deine Erregung, mir kehrt der Gedanke an
die unglückliche Mannschaft noch immer wieder. Ein
sanfter, lieber junger Mensch: Romberg, der mich vor
Jahren oft auf dem Cello in London begleitete, war auch
unter den Verlorenen. Ich habe das Gedicht Herrn Nicola 2),
dem alten Mann mit dem Käppchen, den wir einmal be-
suchten, gegeben. Bekomme ich es zurück, so will ich
Frl. Seebach bitten, es mir einmal vorzusagen; ich habe
Verlangen es zu hören. Hast Du das Concert von Lührß,
das ich Dir im Frühjahr vor meiner Londoner Eeise zu-
schickte, damals erhalten, und auch noch in Verwahrung?
Ich bitte Dich dringend, mir dies gleich zu beantworten,
weil ich Lührß dann schreiben will, es bei Dir zu holen.
Von der Bettina höre ich öfters durch Frau Detmold, die
häufig von der Gfiu. Oriolla Nachrichten hat. Leider ein
*) Ein Auswandererschiff, das am i3. Sept. auf der Fahrt von Ham-
burg nach Amerika mit 600 Mann verbrannte. — Ilildebrand Romberg
lebte als Angestellter der Packelfahrt in Hamburg.
^) Erster Geiger der königl. Kapelle, ein Vollblutkiinstler, wie ihn
Marschner nannte. „Es sei dem alten Mann, der i856 nach 36jähr.
Dienstzeit in Pension trat, unvergessen, daß, sobald im Egmont bei Klär-
chens Verklärung die Musik begann, er sich im Orchester erhob und vor
Beethovens Genius sein schwarzes Sammetkäppchen lüftete." G. Fischer.
An N. W. Gade 27
immerwährend Schwanken zwischen schlecht und besser,
ohne andauernde Kräftigung. . . .
Dein
J. J.
An N.W. Gade
[Hannover, Mitte Okt. 1808.]
Lieber und verehrter Gade!
Sie müssen diesmal wirklich Nachsicht üben — d. h, ich
verdiene sie: ich habe eben den Trouble des Wohnung-
suchens und Umzugs überstanden; nun werden Sie aus
Ihrer Junggesellen -Zeit noch wissen, was das für einen
solchen zu sagen hat! Noch vor wenig Tagen dachte ich
in wärmster Erinnerung Ihrer und unserer Leipziger Er-
lebnisse; wir spielten nämlich hier zum ersten Mal Ihre
4'* Sinfonie (in einer vorbereitenden Probe für neue Sachen
zu den Winter -Concerten). Wie schöne, künstlerische
Klänge sind das! Ich war ganz stolz zu denken, daß Ihre
neueste Sinfonie mir gehört, wie ich übrigens zufällig
neulich in einer Musikalienhandlung sah. Einen so doppelt
zu überraschen! Lieber Freund, Sie wissen nicht, wie sehr
es mich beglückt, daß Sie mir so treu Ihre freundschaft-
liche Zuneigung bewahren, obwohl nun so viele Jahre,
Meilen und Erlebnisse zwischen der Leipziger Zeit und
jetzt liegen; das läßt auf künstlerische Verwandtschaft
schließen! Um nun auf Ihre Aufforderung zu kommen,
einige Wochen in Kopenhagen zu verbringen, so kann ich
nur sagen, ich habe die größte Lust — aber vor der Hand
sehe ich wirklich nicht, wie es in diesem Jahre zu machen
wäre. November soll ich (mit Frau Schumann) in Wien
concertiren; im December fangen hier die 8 Concerte an
(aller 14 Tage eins), die ich zu dirigiren habe; das dauert
bis in den März. Nun ist's zu spät! ...
28 An Clara Schumann
Kann ich es einrichten, so frage ich nochmals bei Ihnen
an. Und nun wünsche ich Ihnen alle musikalische Freude
und häuslich Glück für diesen Winter und uns recht viel
neue Sachen von Ihnen, verehrter Freund!
Ihr
Mit freundlichem Gruß an Tofte.
Joseph Joachim.
An Clara Schumann
[Hannover] Am 16'«" [Okt. i858].
Liebe Frau Schumann.
. . . Heute ist unser erstes Quartett: H. M. u. B. Die
Schumann'sche Sinfonie konnte ich neulich nicht pro-
biren; bei Whistling^) waren nicht genug Stimmen vor-
handen! Ich spielte die Ocean-Sinf. von Rubinstein, die
ich nicht aufführbar fand: recht viel Rohes, Häßliches
und Gewöhnliches neben manchem Talentvollen, ja groß-
artigen Anfängen an mehreren Stellen. 2) Dagegen spielten
wir eine recht anmuthige von Gade mit reizender Instru-
mentirung. Überall der feinfühlende Mensch und Musiker,
wenn auch keine bedeutenden Motive. Ich bin in meiner
Wohnung ziemlich eingenistet und wohl damit zufrieden,
was viel sagen will, da ich gräßlich erkältet bin. Bis Sie
kommen, will ich aber trachten gesund zu werden; und
bin ich's noch nicht, so werd' ich dann wenigstens nichts
von Übelbefinden merken.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Joseph Joachim.
*) Musikalienverlag.
*) vgl. Js. irrtümlich um i Jahr zu früh datierten Brief an Ave Bd. I,
S. 446» der hier einzureihen wäre.
Von Clara Schumann 29
An dieselbe
[Hannover 17. Okt. i858.]
Liebe Frau Schumann.
Ihre telegraphische Depesche scheint anzudeuten, daß
Sie wenigstens in den allernächsten Tagen nicht kom-
men. Es ist mir sehr fatal, vom König die abschlägige
Antwort bekommen zu haben, denn da ich erst am lO'*'"
bestimmt fortkönnte und Anfangs December wieder hier
sein soll, so ist das so gut. Meine Eltern hatten sich schon
so sehr darauf gefreut! Und es ist alles so unnütz; bloß
weil die Großfürstin Anfangs November herkömmt und
also dann möglicher Weise einen Abend musicirt würde!
Ich hatte es für eine bloße Formsache gehalten, den König
überhaupt noch zu fragen, und nun spielt er diesen Streich,
nachdem er sich die ganze Zeit nicht um mich gekümmert
hat, so lange ich hier bin. Er soll ein ziemlich schiefes
Gesicht gezogen haben, als Platen meinen Wunsch nach
Wien zu gehen, vortiug. Jetzt brauchte er mich nicht,
aber wenn die Großfürstin kömmt, müßte er mich hier
haben! Nun, es bestärkt mich in meinem Vorsatz! Hatten
Sie schon Säle bestellt? Können wir es im März nach-
holen? Dann bin ich frei.
Herzlich
Ih
Joseph J.
Von derselben
Cöln d. 20 Octbr. i858.
Lieber Joachim,
Welch ein Querstrich ist das aber, der uns gespielt wird !
wie konnten Sie aber auch den König bei solcher An-
gelegenheit links liegen lassen? nun ist in Wien Alles ge-
3o Von Clara Schumann
ordnet, ich hatte die Tage belegt, Logis bestellt etc: was
ist nun zu thuen? ich mag natürlich jetzt nicht allein
dorthin kommen, und wieder im März ist die Zeit nicht
günstig, da sich dann Alles zusaminen drängt. Und wäre
das auch nicht, ist denn auf Sie zu bauen? woher wissen
Sie schon jetzt, daß Sie den März frei haben? ich weiß
wirklich gar nicht, was zu thuen! wie hatte ich mich
schon darauf gefreut, mit Ihnen zu sein, in wie vieler
Hinsicht wäre es mir ein Labsal gewesen! —
Und nun sagen Sie mir aber, liebster Freund, wie
konnten Sie glauben, ich gienge an Hannover vorbei, ohne
Sie zu sehen ; glauben Sie denn wohl, ich brächte das über's
Herz? verdient man für seine Liebe nicht wenigstens gutes
Zutrauen? wie oft, immer kam ich ja nur für Sie nach
Hannover! Ihr jungen Leute habt doch gar kein Ge-
dächtniss! Sie haben mich wirklich betrübt! —
Ich denke zum Anfang nächster Woche bei Ihnen zu
sein — den Tag schreibe ich Ihnen noch genau. Wäre es
nicht möglich, daß ich einige Quartette hörte? Dann
würde ich mich so einrichten, daß ich einen Tag bliebe —
aber auch ohne das thue ich es eben so gern, wenn's
Ihnen lieb ist.
Morgen spiele ich in Aachen und Sonnabend in Crefeld.
Das Concert in Düsseldorf fiel gut aus, ich habe aber
immer an Sie denken müssen! ich spielte mit Königslöw,
er spielte auch recht schön, aber es fehlt Allen das Gött-
liche, Hohe, das Einen bei jedem Tone von Ihnen durch-
schauert.
Eine Freude hatte ich aber in dem Goncerte; ich spielte
zum ersten Male die ungarischen Tänze von Johannes
öffentlich, und fand begeisterte Aufnahme damit — auch
Alle sprachen mir noch Tage nachher mit Entzücken da-
von. Ich selbst liebe die Tänze so sehr! —
Ich habe recht viel geplaudert — es ist mir gar so wohl,
kann ich's mit Ihnen. Daß ich nicht früher schrieb, lag
An Clara Schumann 3i
nur an meinen vielen Geschäften! bis Sonnabend habe
ich in 8 Tagen 5 Concerte gespielt, und immer andere
Sachen.
Schreiben Sie mir nach Düsseid. Ich bin Freitag Morgen
schon wieder dort. Bitte, wegen Wien!
Nun lassen Sie Sich noch die Hand drücken von
Ihrer,
immer Dieselbe
getreue
Gl. Seh.
An Clara Schuinanii
[Hannover] Donnerstag [ii. Okt. i858].
Liebe Frau Schumann.
Sobald ich hier angelangt war, hatte mir Platen den
Urlaub so gut wie zugesagt, nur der Form wegen
mußte es noch an den König. Ich hatte nun sehr damit
gedrängt, aber Platen wurde Sr. Majestät nie habhaft.
Auch hatte ich immer darauf gerechnet, den K, einmal
selbst zu sprechen — denn ich war eigends in Herren-
hausen, Seinem Landsitz, gewesen, um mich zu melden.
Ich muß in Ungnade gefallen sein! Jedenfalls hat es das
Gute, daß ich mein Herz nun dem König gegenüber nicht
mehr gefesselt fühle und also meine Stellung bald quittire.
Daß ich nicht auf den Fleck hin um meinen Abschied
einkomme, geschieht, weil ich nicht aus Rache die Leute
eben vor Anfang der Concerte in Stich lassen will. Anfangs
Januar aber will ich ganz einfach an PI. schreiben, daß
ich meinen Kontrakt nach 3 Monaten für erloschen be-
trachte. Also im April bin ich erst frei; dann müssen wir
aber nach London, nicht nach Wien. Da muß man ein
paar Monate dazu haben, Pesth mitgerechnet. Es ist wirk-
lich zu tyrannisch, die ganze Zeit, wo ich hier bin, kümmert
32 An Clara Schumann
man sich nicht um mich, und bloß weil die Großfürstin
vielleicht bei ihrer Ankunft einmal einen Musikabend
wünscht, soll ich eine Reise aufgeben, die meine Concerte
in Hannover nicht gestört haben würde. ....
Meine herzliche Freude über die schönen Erfolge. Wie
lieb ist mir der Beifall für Johannes' Stücke!
Immer der Ihrige
J. J.
An Clara Schumann
[Hannover, Nov. i858.]
Liebe Frau Schumann.
yorgestern dauerte das Hofconcert, zu dem auch Drey-
schock aus Prag telegraphirt war (!) von ^j^ auf lO
bis ^2^5 ohne daß die Nummern des zweiten Theils ge-
spielt werden konnten, weil es zu spät wurde! Das Ganze
war so ungeschickt arrangirt (Wehner), daß ich mich
schämte, mit dabei sein zu müssen, und ich bitte mir heute
eine Audienz beim König aus, um ihm zu sagen, daß ich
als Concertmeister unmöglich mir solche Dinge gefallen
lassen kann. Den fremden Künstlern gegenüber machte
mich mein Titel eigentlich verantwortlich, und ich stand
da, selbst wie ein Gast, der seine Nummer abspielt, eines
der Opfer der Bornirtheit und Geschmacklosigkeit des un-
geschickten Programmfabrikanten.
Ich hoffe bald von Ihnen zu hören. Mit herzlichem
Gruß
Der Ihrige
J. J.
r
<"'j^^\^
Clara Scliuniann
Zeii.liiiuMf; von Eduard Beiuleiiiann 1859
An Julius Otto Griiniu
An seine Schwester Johanna v. Aranyi
[Hannover] 27. [Nov. i858].
Geliebte Schwester
Herzlichen Dank für Deinen freundlichen Mahnbrief.
Bin ich auch leider nicht bei Euch, so beschäftige
ich mich doch oft mit Euch in Gedanken — ich compo-
nire gerade etwas Ungarisches^), das Du hoffentlich auch
bald einmal hören wirst. Ich bin vielfach in Anspruch ge-
nommen, zudem ist ein junger Musiker, der sich meinet-
wegen hier aufhält, gefährlich erkrankt, und ich als der
ihm hier nahe stehende mußte mich seiner annehmen, was
mir Zeit nahm. Daß Frau Schumann in Pesth die Leute
entzückt, ist natürlich; aber namentlich ist es mir lieb,
daß Du die liebe Frau so richtig würdigst und öfter siehst.
Ich bitte Dich, ihr die einliegenden Zeilen zu übergeben,
und den theuern Eltern und Geschwistern die herzlichsten
Grüße zu sagen von
Deinem
treu ergebnen
Joseph J.
P.S. Es ist so spät, daß ich den Brief nicht mehr frei
mache; frankire Deine Briefe auch nicht. Es ist auch
sicherer.
An Juhiis Otto Grimm
[Hannover] Sonntag 28. [Nov. i858].
Lieber Grimm
Ich habe Dir und unseren Göttinger Freunden eine trau-
rige Nachricht zu sagen, die Deine Theilnahme erregen
wird. Denke Dir, unser armer Bach, der so oft und so
*) Sein Concert „in ungai'ischer Weise".
34 Von Julius O. Grimm
lebendig mit uns war und musicirte, hat — aufgehört zu
sein. Seit 3 Wochen kränkelte er an Erkältung, die später
in Nervenfieber überging. Ich zog zuletzt einen berühmten
Arzt hinzu — aber selbst dessen Hülfe war vergebens.
Heute Morgen um ^/gS Uhr hörte er auf zu athmen. Be-
wußtlos war er schon die letzten Tage her. Mich hat das
ganze Kranksein sehr erschüttert, wie Du Dir leicht denken
kannst. Ich fürchtete, Ihr möchtet die Nachricht auf eine
verletzende Weise durch Fremde hören, und darum schrieb
ich diese Zeilen. Lasse doch bald durch Dich oder Deine
Frau etwas von Euch hören.
Herzlich ergeben
J. J.
Von Julius O. Grimm
[Göttingen] Montag [29. Nov. i858].
Lieber Joachim!
Habe Dank für Deine traurige Mittheilung, — Bachs
Tod hat uns alle hier sehr erschreckt und betrübt,
wer hätte denken können, daß dieser blühende gute Junge
so jählings hingerafft werden würde! Unter allen seinen
hiesigen Bekannten ist große Bestürzung, sie kommen und
fragen, ob's denn wahr ist. —
Auch ich habe Dir Trübes zu melden von Dirichlets.
Der Professor kehrte schwer krank aus der Schweiz zu-
rück, lag eine Woche lang zwischen Tod und Leben und
wird wohl den ganzen Winter durch sein Bett nicht ver-
lassen dürfen; wenn auch sein Zustand augenblicklich
etwas leichter ist, so soll doch keine Aussicht auf vollstän-
dige Genesung sein, denn er hat einen Fehler am Herzen,
ein heftiger Anfall kann seinem Leben plötzlich ein Ende
machen. — ^) Seit gestern Nacht ist's aber fürchterlich dort
^) -J- 5. Mai d. nächsten Jahres.
An Clara Schumann nach Budapest 35
im Hause: Frau Dirichlet hat denselben Zufall bekommen,
an welchem Fanny Hensel und Mendelssohn gestorben
sind und liegt seit 1 6 Stunden im Starrkrampf, ohne Atheni
vollständig wie todt. Baum^) zweifelt an ihrem Wieder-
aufkommen. Stelle Dir die alte 90jährige Mutter vor, die
einzige Gesunde an zwei Krankenlagern. — Dirichlet liegt
kraftlos in seinem Bett und darf sich nicht rühren, die
Thränen sollen ihm fortwährend über die Wangen rinnen.
Die Ärzte verlassen das Haus nicht. — ... Von Johannes
haben wir manches Schöne. Eine neue Serenade, d. h. ein
erster Satz in A dur, w underschön sanft leyernd ohne Geigen,
einen Grabgesang für Chor ebenfalls ohne Geigen, und
herrliche Lieder. In Detmold scheint ihm außer seiner
Prinzeß nichts recht zu behagen. . . . Wie befindet sich
Dein Streichquartett? 2) Schick es mir, bitte, bitte! —
An Clara Schumann nach Budapest
[Hannover] Am So««" [Nov. i858].
Liebe Frau Schumann.
Der arme Bach ist nach einigen meist in bewußtlosem
Phantasieren hingebrachten Tagen gestern am Nerven-
fieber entschlummert. Sie können denken, daß mich des
gutmüthigen, lebenslustigen Jungen Tod recht erschüttert
hat. Außerdem daß er mein Schüler war, verpflichtete
mich der Umstand, daß die Seinigen so weit weg sind, für
ihn mit zu sorgen. In den letzten Tagen freilich besuchte
ich ihn nur auf Sekunden, wie es der Arzt wollte. Ich
sage dies zu Ihrer Beruhigung, da Sie vielleicht die Krank-
heit für ansteckend halten. Ich bin aber körperlich sehr
wohl, und geistig läßt es jetzt schon mein Concert zu
*) Dirichlets Schwiegersohn u. zugleich Prof. der Medizin in Göttingen.
^) Der erste Satz eines Quartetts in Cmoll, der Schrift nach aus den
5oer Jahren, ist erhahen.
3*
36 An Clara Schumann nach Budapest
keinem Weltschmerz kommen. Meiner Familie, nament-
lich der lieben Mutter aber, bitte ich die Sache zu ver-
schweigen; Sie wissen, mütterliche Besorgniß macht leicht
eine Mücke zu einem Mammuth, oder eine Violinsaite zum
weltverbindenden Kabeltau.
Am 2"^" December.
Soweit schrieb ich vorgestern; seitdem war Bach's Vater
hier, das Begräbniß. Heute sollte ich w ieder von dem Auf-
hören eines Menschenlebens hören, das mir lieb und werth
war. Wer konnte glauben, daß die lebendige, geistig immer
strebende Frau mit den klugen Augen, Frau Diiichlet in
2 Tagen erkranken und aufhören sollte! Dasselbe Schick-
sal hat sie erreicht, das auch ihren Bruder Felix und die
Hensel der Erde entriß. Dabei liegt auch Professor Dirichlet
an einem Herzübel darnieder, sehr gefährlich. Die arme,
heimgesuchte Familie! Wenn man sich dabei die arme
90jährige Großmutter denkt, die, sonst so glücklich, in
wenig Tagen all den Jammer plötzlich hinnehmen muß.
Was es für Geschicke giebt ! Ich bin ganz zerklopft, kaum
fähig über die raschen Erlebnisse zu denken. Es ist ein
wahrer Segen, daß ich in wenig Tagen die Stärkung vor
mir habe, Bach's große Passion zu hören; sie wird von
Grädener in Hamburg zu wohlthätigem Zweck in einer
Kirche gegeben, und ich konnte der Aufforderung, das
Violin -Solo dabei zu übernehmen, nicht widerstehen. Es
wird mir unter den vorliegenden Umständen eine doppelte
Wohlthat sein; ich habe bis jetzt nur Bruchstücke daraus
gehört. Ich gehe Sonntag Abend nach Hamb. und kehre
Mittwoch früh wieder; am ii'^'"" ist unser erstes Concert,
vermuthlich aus der Melusinen-Ouverture, einer Arie aus
Medea, dem Violin-Concert von Beethoven (hier seit meh-
reren Jahren nicht gespielt) und der Schubert'schen
Sinfonie bestehend. Zum zweiten, am 8'*" Januar will ich
von neuen Sachen das hier nie gesungene 2"= Finale aus
An Clara Schumann nach Budapest 87
Don Juan (nach dem Untergang des Helden) und das Con-
cert von Johannes vorschlagen. Ich bin neugierig, was
Platen mir morgen in der Conferenz für eine Antwort
giebt. — Wann denken Sie wiederzukehren? Überhaupt
dünkt es mich sehr lange, seit ich von Ihnen und Ihren
Plänen gehört. Schicken Sie, wenn Sie nicht selbst schreiben
können, nur die Programme zu Ihren Concerten; das ist
dann doch etwas! Meine lieben Verwandten schreiben
auch, außer Vorwürfen über Stillschweigen, gar nichts von
dem, was zu Hause geschieht. Ich habe wirklich so viele
Briefe zu schreiben, daß ich manchmal nothgedrungen dem
einen oder andern gegenüber pausiren muß.
Johannes' Serenade habe ich noch nicht instrumentirt,
ohne indeß die Idee aufzugeben. Er ist rege und fleißig,
wie sich's nicht anders von ihm erwarten läßt. Schreck-
lich leid thut mir's, daß wir die Viardot nicht (allem An-
schein nach) hier sehen werden. Platen schob mich erst
mit einer Antwort auf die lange Bank unter dem Vorwand,
die Sache dem Könige vorzutragen; nachher schämte ich
mich der von mir so hoch gehaltenen Frau Ungewisses
mitzutheilen, wollte mich auf meine versprochene Audienz
beim König verlassen, die aber theils durch Krankheit,
theils wohl durch majestätische Gleichgültigkeit nicht ge-
geben wurde, kurz ich richtete nichts aus — und die ganze
Geschichte ist wiederum recht Hannoverisch. Adieu, du
unmusikalische Hofwirtschaft !
* *
Ich muß noch mit einer Bitte schließen, nämlich der-
jenigen, einer quasi Schülerin von mir, Frl. X., auf deren
Musikenthusiasmus und liebenswürdig bescheidenes Wesen
ich große Stücke halte, freundlich zu begegnen und etwas
vorzuspielen, wenn Sie sie in Wien etwa sehen.
Herzlich ergeben
J. J.
38 Von Clara Schumann
Von Julius Otto Grimm
[Göttingen i. Dez. i858.]
Lieber Joachim
Es ist nun an mir, Dir eine Trauerbotschaft zu melden —
Frau Dirichlet ist nicht mehr; heute morgen um */^
nach 7 ist sie verschieden, nachdem ihr Zustand von vor-
gestern gegen 5o Stunden ohne Veränderung fortgedauert
hatte. Der Professor hat beide Tage viel geweint und muß
auf seiner Stube liegen, — jetzt, da sie wirklich todt ist,
soll er gefaßter sein, — aber bei der alten Mutter geht das
Jammern erst an, sie soll außer sich sein. — Es ist eine
düstere Zeit, überall Jammer u. Trauer. — ...
Von Clara Schumann
Wien d. 9 Dec: [i8]58.
Drei Tage lang hatte ich einen fertigen Brief an Sie,
lieber Joachim, ich konnte mich nicht entschließen,
ihn abzuschicken, und schließlich, heute, hab ich ihn zer-
rissen — er war so traurig, daß ich mich schämte in meiner
Schwachheit Ihnen gegenüber. Nun aber, Avird's heute viel
besser werden? Ihren Brief neulich erhielt ich gerade nach
meinem Concerte, glücklicherweise hatte ihn mein Bruder
zurückbehalten bis dahin, er erschütterte mich wahrhaft.
Daß Sie dem armen Bach beigestanden, erschreckte und
erfreute mich zugleich. Wären Sie mein Sohn, so würde
ich trotz aller Sorge sagen, Sie haben Recht gethan! Gott
sey Dank, daß Sie Sich wohl fühlen und gerade jetzt in
rechter Thätigkeit leben.
Und wie betrübt hat mich der Dirichlet Tod! hatte ich
auch nie große Sympathie für sie, so war sie mir doch
werth, als ein Vermächtniß des unvergeßlichen Mendels-
Von Clara Schumann 89
söhn — so geht Eines nach dem Andern, und uns bleibt
nur die Erinnerung! — Ich habe die letzten Nächte sehr
wenig geschlafen und immer daran denken müssen, ob sie
nun wohl mit ihren Geschwistern vereint, und warum der
Himmel solch lebenslustigen Menschen, wie den Bach hin-
wegrafft, und Menschen, die täglich des Lebens Bürde
schwer empfinden, leben läßt! ach, wäre ich doch zur Ruhe
gegangen an ihrer Stelle!
Seyen Sie froh, daß Sie nicht mit mir sind, denn mein
Gemüthszustand ist furchtbar traurig und oft so, daß meine
Willenskraft ganz ohnmächtig dagegen. Freilich gebe ich
Concerte, aber unter welch inneren Quaalen? Meine Ge-
sundheit geht dabei zu Grunde. Denken Sie, daß ich kein
Concert gebe, wo ich nicht unter Todesangst ein Stück
nach dem Anderen spiele, weil mich das Gedächtniß immer
zu verlaßen droht, und die Angst davor quält mich schon
Tage lang vorher.
Ich habe nicht mehr die Kräfte, diesen Zustand zu be-
kämpfen. In Pesth im letzten Concerte blieb ich in zwei
Stücken gänzlich stecken, meine Gedanken verwirrten sich
so, daß ich wirklich den letzten Funken Kraft zusammen-
nehmen mußte, um nicht aufzuhöi'en. Sie können denken,
in welchem Zustand ich nach solchen Erfahrungen mein
Concert hier gegeben. Nach dem ersten Stücke bekam ich
solch einen Weinkrampf, daß es lange Zeit brauchte, bis
ich wieder zu einiger Fassung kam. Ich glaube aber, es
wäre besser, wären Sie mit mir, es wäre, abgesehen von
der künstlerischen Wohlthat, Balsam für mein Herz, das
furchtbar allein steht. Ach, liebster Joachim, es wird wohl
bald ein Ende mit meiner Künstlerschaft haben, denn, gäbe
es auch der Körper noch her, so ist doch mein Geist ge-
schwächt, und mein Herz wie geknickt. Wüßte ich nur
das Eine, ob ich meinen Robert wieder finde! — Seyn
Sie nicht bös, lieber Joachim, und bleiben Sie mir gut,
und der nachsichtige Freund meiner Schwächen. Ich weiß,
4o An Clara Schumann
ich sollte stolzer, kräftiger sein Ihnen gegenüber, doch
ich weiß auch, Sie sind ein zu edler Mensch, das offene
Zutrauen eines warmen Herzens mißbrauchen zu können,
und es darum minder zu achten, selbst wenn es Ihnen
zur Last würde. Doch genug, ich will Ihnen Anderes er-
zählen, zuerst von Pesth.
Die Ihrigen waren Alle wohl. Ihre liebe Mutter sehr
betrübt, auch Josephine, Sie nicht zu sehen. Erstere über-
legte viel, ob sie Sie nicht im Frühjahr in Hannover be-
suche könne. Ich war einen Abend dort, es war die ganze
Familie versammelt — ich mußte gehörig Rede stehen, that
es aber geduldig, weil ich immer an Sie dachte, und wie
gut es Ihre Eltern doch meinten. Ihre Schwester sah ich
öfter, und da waren Sie und ihre Hermine immer die Gegen-
stände unserer Unterhaltung. . . .
Leben Sie wohl, lieber Freund, gedenken Sie
Ihrer
Getreuen
Gl. Seh.
Schreiben Sie mir auch von den Fortschritten Ihres Gon-
certes und überhaupt immer recht viel von Sich! —
An Clara Schumann
[Hannover, Mitte Dez. i858.]
. . . Ob ich Ihrer neulich im Quartett gedacht habe? Und
wie lebhaft wünschte ich Sie herbei! Es waltet manchmal,
an seltenen Abenden freilich, ein besonderer Glücksstern
über Aufführungen; und so war es neulich. So unbeengt
frei und warm habe ich nie vor dem Publikum mit andern
Quartett gespielt; ich war gar nicht im Saal, sondern
namentlich beim Schumann'schen Quartett dem Kompo-
nisten gegenüber, und bei den Variationen war es mir,
als müßte ich versuchen, mich recht in sein Herz einzu-
An Clara Schumann 4^
schmeicheln: es ist so gemüthvoll, mit weicher Hingabe
an das liebewarme Thema weiterphantasierend! Die Mit-
spielenden schienen ebenso zu empfinden, und so sprach
es auch zum Herzen des Publikums. Das Sch'sche Quar-
tett hat an dem Abend von allen den meisten Eindruck
gemacht. Das Cis moll von Beeth. ist doch wohl vielen im
Saale zu tiefsinnig und dann wieder mit Riesen-Energie
eingreifend gewesen, wenn sie sich auch bescheiden vor
dem geahnten Musik-Gott duckten. Wie mancher mag da
wie an Sonnenschein an den edlen Dichter zurückgedacht
haben, der menschlich so trostreich zu und mit ihnen
sprach im vorhergehenden Stück.
Nach dem Quartett mußte ich noch (mit leichtern Füßen
als Gedanken) zum König in's Schloß; ich sollte mit
Blagrove^) auf Befehl ein Duett (2 Sätze eines Spohr'schen)
spielen, was auch pflichtschuldigst geschah; nachher hatte
der K. die Rücksichtslosigkeit, mich statt den Gast Blagrove
zum Solospiel aufzufordern. Ich hatte natürlich nichts
mitgebracht und ließ es bleiben. B. spielt nun morgen im
Theater, und ich werde seinen Kalliwoda und eignen —
Pegasus vom Orchester aus dirigiren. Es ist ein guter Kerl,
und ich habe die Engländer ja lieber als ihre Kompositionen.
Ein schauderhaftes Männchen aus Berlin, X., spielte dann
Abend auch beim König ; Gott soll mich bewahren ! Kennen
Sie es? Ich hoffe nicht. ... O du meine Güte, das nennt
man Musik! Dabei sah er aus, wie ein gemästeter Kapu-
ziner mit angeborner Tonsur, der eben vom halbvollendeten
Schweinebraten weggeholt wurde und die betreffende
Sauce dazu mit vielem gemeinen Gewürz nachspült. Ob-
wohl er ganz rein griff, glaubte icJi doch immer, ein Kell-
ner müßte für seine feisten Finger eine Serviette bringen
statt des battistenen Taschentuchs, mit dem er als Mann
von Bildung coquettirte. Ich bin unwirsch über den guten
Burschen, denn er behandelte mich wie einen, der auch
^) Henry G. Bl., geb. 181 1, Schüler Spohrs, -|- 1872.
42 An Clara Schumann
mit zu's Geschäft gehört. Der eben bei mir gewesene
Wehner sagt mir, daß der König sich das Violoncello auf
den nächsten Sonnabend wieder von Berlin verschrieben
hat. Werde auch spielen müssen ! Ich bin ja in's Plaudern
gerathen und statt mich zu bessern, muß ich auf Ihren
Befehl diesmal noch einen Musiker anschwärzen, denn ich
sollte ja über Herrn Y. Auskunft geben. Leider kann es keine
gute sein. ... Es fehlt dem Mann gänzlich an Geschmack
und an musikalischer und ästhetischer Bildung. Daß seine
Schülerin Frl. Z. hier mit Erfolg gastirt habe, weiß ich
nicht, glaube es aber auch nicht. Da es sich um die
Ausbildung einer jungen Dame handelt, für die Sie Sich
interessiren, mußte ich meine volle Meinung sagen, warnen,
ich hätte sonst über den Mann nicht so viel geredet. Von
etwas Besserem!
Wie mild und bescheiden ist's von Johannes, meinen
Quartett-Satz zu loben. Er kann ihn wirklich nicht be-
friedigen ; es ist keine falsche Schüchternheit, daß ich nicht
gut davon sprach, und ich will hoffen, daß ich einmal
einen bessern schaffe . . .
Lassen Sie bald von Sich und Ihren Plänen hören, liebe,
bewegliche Freundin! Von der Bettine hörte ich durch
Frau Detmold gute, wenigstens wieder bessere Nachricht.
Sehen Sie Jemand aus dem Hause, so sagen Sie das Beste
und Wärmste, dessen ich fähig bin.
Der Ihrige
Joseph J.
An Clara Schumann
[Hannover, Mitte Decbr. i858.]
. . . Auf Ihren Wunsch schicke ich auch heute den
Brief von Frl. Gisela an Sie; er war erbrochen, als er in
meine Hände kam. Ich weiß, daß G. es für vmzart hält.
An Clara Schumann 4^
versiegelte Briefe zur Besorgung zu überschicken. Sie ist
in den kleinsten Dingen rücksichtsvoll und harmonisch!
Das erste Concert fiel sehr gut aus; alle Dinge giengen
schön, und mit der Auswahl mußte man doch zufrieden
sein: Gluck, Cherubini, Beethoven und Mozart! Mein Arm
ist aber ein wenig angegriffen vom Spielen und Dirigiren,
darum auch meine kleine unruhige Schrift; das ist immer
das erstemal und geht rasch vorüber. Neulich in der
Probe spielten wir auch die Cdur Sinfonie von Schumann;
zur großen Freude an dem Werk bei den Musikern. Wir
führen sie jedenfalls auf. Was hätte ich drum gegeben,
dieses Lieblingswerk einmal für den Komponisten einstu-
diren zu dürfen! — Die Passions-Musik in Hamburg war
ergreifend schön. Grädener hatte das W^erk sehr gut ein-
studirt; auch die Solisten waren befriedigend, nichts störte
den Eindruck in der großen Kirche mit der herrlichen
Orgel. Sie hätten auch Ihre Seele recht erlabt, und Ihrer
Stimmung würde es eine W^ohlthat gewesen sein, liebe, ver-
ehrte Frau! Harren Sie nur muthig aus in der großen
Kaiserstadt und denken Sie einstweilen an die Freude, die
Sie den Ihrigen machen werden, wenn Sie zu Weihnachten
heimkehren und Sich sagen dürfen, Sie hätten all das ver-
breitete Glück durch die schwersten Opfer ihnen allein
geschaffen. Gott schütze Sie. Ich hoffe auf sehr baldiges
Wiedersehen ! Unser lieber Joh. war leider nicht in Ham-
burg; er hat mir viel Anerkennendes und Liebes über mein
ungarsches Adagio geschrieben, was mich herzlich freut.
Platen habe ich noch nicht gesprochen wegen des Concerts
von Joh. ; er wird mir es aber gewiß nicht abschlagen. Er
thut jetzt Alles mit Freundlichkeit für mich.
Der Ihrige
J. J.
44 An seine Eltern
An seine Eltern
[Hannover 1 1. Januar iSSg.]
Liebe, gute Eltern.
Ihnen vielmals für Ihre Gratulation dankend, erwidere
ich alle besten Wünsche durch meine herzlichsten, auch
an die liebe Regi, Ich kann seit meinem letzten nur an-
genehm Erlebtes mittheilen, obwohl ich leider nicht viel
arbeiten konnte. In Leipzig gieng alles gut; überall Theil-
nahme und Herzlichkeit für meine Leistungen und mich.
Bei meiner Rückkehr von dort hatte ich hier für das
2^^ Concert zu sorgen, das sehr guten Erfolg hatte. Ich
dirigirte eine Mendelsohn'sche Ouvert. und Beethovens
Pastoral-Sinfonie und spielte mit einem Mitglied unserer
Kapelle, Kömpel, der Spohr's Lieblingsschüler war und
sehr schön geigt, eine Concertante für 2 Violinen von
Spohr. Der König war nicht [da], denn er ist noch immer
krank, aber die Königin und der Herzog v. Altenb. etc, etc.
Der König hat mir einen sehr liebenswürdigen Beweis ge-
geben, daß er dennoch fortfährt, sich für mich zu interes-
siren, und mich dadurch sehr erfreut, da ich glaubte, er
wäre seit einiger Zeit kälter gegen mich geworden. Er hat
mir nämlich vorgestern den Guelphen-Orden (4"^ Klasse)
zugeschickt, ein silbernes Sternchen mit den Worten „nee
aspera terrent" und dem Königlichen Namenszug des Stifters
Ernst August darauf, an einem blauen Band. Ich lege
keinen großen Werth auf äußerliche Erfolge, aber als
Zeichen des Wohlwollens und der Zufriedenheit mit meinen
Leistungen vom König macht mir die Sache Vergnügen,
denn ich weiß, daß der König gegen Künstler mit seinem
Orden sehr sparsam ist. Aber mit meinem Abschieds-
fordern sieht es immer schwieriger für mich aus! Mein
Freund Brahms wohnt jetzt auf einige Tage bei mir; er
wird mir als Freund und Künstler immer lieber, und ich
An Clara Schumann 4-^^
staune seine enorme musikalische Begabung mit wärmster
Freude täglich an. Alles vielmals grüßend was zum Hause
gehört, Ihr
Joseph.
An Clara Schumann
[Hannover d. i6. Jan. 5g.]
Liebe Frau Schumann.
Wie lange schon bin ich ohne Nachricht von Ihnen;
zum Glück weiß ich jetzt durch Johannes, der seit
8 Tagen bei mir ist, Ihre Adresse und daß Sie nur Gutes erlebt
haben. Er schreibt eben einen Satz seiner Ddur Serenade
in's Reine für den Copisten, und wir werden sie nun am
nächsten Sonntag, den 2 3"^" mit der alten Besetzung hören,
da er sich nicht gern von den ursprünglichen Instrumenten
trennen mag. So lange bleibt er also jedenfalls auch noch
bei mir, und es sind prächtige Stunden, die ich aus dem
Zusammensein mit dem Freunde schöpfe. Sein Concert
soll nun auch in unserm nächsten, 3"^" Ab.-Conc. endlich,
am 22"=" hoffe ich, von Stapel laufen, und ich freue mich
aufs flott machen und steuern. Warum können wir Sie
nicht als einen guten Geist dazu haben! Nun, ich weiß,
mit Ihren Gedanken werden Sie dabei sein, und bin ich
auch ein unzuverlässiger Correspondent, bei dieser Gelegen-
heit werden Sie nicht über Mangel an Pünktlichkeit und
gewissenhaftem Detail zu klagen haben; da Sie natürlich
jedes kleinste Nötchen der Aufführung interessirt. Wie
habe ich Theil genommen an der Seeligkeit, die es Ihnen
gewähren mußte, Schumann's Compositionen so vielen
Menschen zum Mitgenuß erschlossen zu haben. Sogar die
Kreisleriana haben Sie gespielt! Die habe ich noch nicht
einmal von Ihnen gehört, treffen wir aber wieder zu-
sammen, so muß ich sie auch genießen dürfen. Es sind
einige Lieblinge von mir in dem Heft. Vor Ihrer hollän-
46 Von Clara Schumann
dischen Fahrt wird mir es wohl kaum so gut werden, Sie
zu sehen; aber auf Ihrer Eeise dahin, hoffe ich, halten Sie
Ihr Versprechen und spielen einmal hier. Platen sagte
neulich von freien Stücken, dann müßte auch endlich
die Schuld an Sie vom Hof abgetragen werden, was mir
lieb war. Der König war die ganze Zeit krank; und hat
mir zu seiner Genesung den Guelphen-Orden verliehen.
Sie lächeln gewiß, liebe Freundin ! Was Sie mir von
Frl. X. schreiben, erfreut mich, denn der guten Seele waren
die Stunden in Ihrer Nähe wahrscheinlich eine Wohlthat,
an der sie lange zehren und nachschwärmen kann! Ich
danke von Herzen, daß Sie meiner Empfehlung so viel
Ehre erwiesen haben. — Johannes' neue Sachen, nament-
lich der Grabgesang, gefallen mir sehr; mit dem Braut-
gesang befreundete ich mich weniger. Aber die neue
Serenade ist überaus lieblich und originell. Ich staune
über unseres Freundes Produktivität und komme mir
recht wie ein fauler Junge vor! In Leipzig wollen sie
meine Heinr. Ouvertüre u. das Schubertsche Duo spielen;
ich bin gespannt, wie es ausfällt. Hat Ihnen die Frege ge-
schrieben? Wir wollten es zusammen thun, als ich am
i"=" in Leipzig spielte. Wie oft schreibe ich mit den Ge-
danken! Aber mit Feder und Tinte Lassen Sie
mich's nicht entgelten und beschenken Sie bald wieder
mit einigen Worten Ihren
treu ergebenen
Joseph J.
Von Clara Schumann
Wien d. 16 Jan: iSSg.
Lieber Joachim,
Halten Sie es nicht für Zudringlichkeit, wenn ich, trotz
Ihres Stillschweigens auf meinen Brief zu Weihnachten
an Sie, heute wieder schreibe. Es betrifft jedoch keines-
Von Clara Schumann 4?
wegs mich, sondern lediglich Frl. X, dessentwegen ich es
thue. Ich schrieb Ihnen schon, daß ich Dieselbe kennen
gelernt, und auf meine Frage, warum sie nicht bei Ihnen
studire, die Antwort erhielt, es sey der Leute wegen nicht
geschehen; jetzt nun bei meiner x\nwesenheit in G. lernte
ich ihre Angehörigen kennen, welche mir erzählten,
daß, auf eine Anfrage an Sie, ob die X nach Hannover
kommen düife, Frau D. ihnen geschrieben habe, es sey
Ihr specieller Wunsch, daß sie nicht komme wegen des
Geredes der Leute : Mit Thränen erzählte mir die Schwester,
wie tief diese Antwort das arme Mädchen gebeugt habe,
wie sie ihr ganzes Glück gefunden hatte in der Hoffnung,
wieder bei Ihnen studieren zu können etc: etc: Ich habe
ihnen nun versprochen, Sie zu fragen, ob es wirklich Ihr
Wunsch nicht war, daß sie kam, oder ob es nur die Mei-
nung der Frau D. war? ich kann sie mir nicht recht
denken als die Ihrige, denn wo das ganze künstlerische
Glück eines so strebsamen Mädchens auf dem Spiele steht,
kann doch nicht in Betracht kommen, was Dieser oder
Jener etwa darüber sagt, was sich ja doch bald als un-
gegründet ausweisen müßte. Die Schwester wollte Ihnen
schreiben, ob Sie ihre Schwester noch die 3 Monate bis
April (England) unterrichten wollten; da es jedoch für sie,
nach dem, was Frau D. ihr geschrieben, gar zu peinlich
war, nochmals zu schreiben, so versprach ich es zu thuen,
und bitte Sie nun, mir offen Ihre Meinung darüber zu
sagen — ich werde ihr kein Wort mehr sagen, als Sie mir
Erlaubniß geben — nur damit sie wisse, woran sie sey,
thuen Sie es. Böhm behagt ihr, glaube ich nicht, er hat
ihr gesagt, sie werde in einem Jahre die größte jetzt
lebende Virtuosin sein etc:, das gefällt mir nicht von ihm,
es klingt mir so Charlatan-artig. Ich fürchte im Gegen-
theil, wie ich Ihnen schon schrieb, daß sie technich zu
spät angefangen, und wie schwer die Technik zu erringen,
wenn schon die Hände ausgewachsen, ist eine bekannte
48 An Clara Schumann
Sache; auch ist sie musikahsch doch noch zurück. Ich
bat Sie schon um Ihre Meinung hierüber, bitte, sagen Sie
sie mir. Eine Antwort hierauf wollen Sie mir nach Dresden
schicken, wo ich d, 21 oder 22'^" einzutreffen denke. Ich
werde bei Bendemann's, Halbe Gasse N'" 3 wohnen und
wohl einige Zeit bleiben. Ihretwegen frage ich nicht mehr!
Leben Sie wohl! ich grüße Sie wie immer von Herzen,
obwohl sehr betrübt,
Ihre
Cl. Seh.
An Clara Schumann
[Hannover, Sonntag, 28. Januar iSSg.]
(Liebe Freundin) Verehrte Frau Doctorin!
Y ergeben Sie, daß ich mich schon wieder, nach 8 Tagen,
schriftlich an Sie wende und Sie auf einige Augen-
blicke Ihren Dresdner Freunden und Verwandten entziehe,
aber es betrifft keineswegs mich, sondern lediglich Herrn
Johannes Brahms — ^) Ne! das hielt ich doch nicht aus,
einen ganzen Brief lang so fortzufahren ! Liebe Frau Schu-
mann, wir haben gestern Abend also Johannes' Concert vor
einem hohen Hannoverschen Adel und sonstigem Publi-
kum, ja selbst vor sämmtlichen allerhöchsten Herrschaften
gespielt. Und es gieng sehr gut! Es wurde das Concert
sogar durch Hervorruf des Spielers und Componisten ge-
ehrt, dessen Bücklinge so aussahen, als wollte er nach
Untei tauchen im Wasser die Feuchtigkeit aus den Haaren
schütteln. Er hat sich aber sonst sehr gut aufgeführt,
namentlich sehr erträglich und im Tacte gespielt und ist
wirklich ein ganzer Kerl! Sie wißen, wie sehr ich das
Concert liebe, und ich kann sagen, daß im Ganzen meine
Neigung dazu durch die Aufführung bestätigt wurde, ob-
*) Vgl. den Anfang des vorhergehenden Briefes.
An Clara Schumann 49
wohl ich empfand, daß Einiges im ersten Satz ruhiger,
gedrängter werden muß. Aber herrlich ist das Adagio,
und voll wunderbar schöner Einzelheiten der letzte Satz,
namentlich der Schluß von prächtiger Ursprünglichkeit
und Frische. Langsam, aber desto sicherer wird sich
die Empfindung für das Genie unseres Freundes Boden bei
den Musikern und in immer weitern Kreisen erringen, das
ist mir klar geworden. Denn wer ist, selbst unter Musi-
kern, klar und tief genug, um gleich alle reichen Ver-
schlingungen für wahre, aus der Tiefe einer mächtigen
Phantasie entspringende organische Gebilde, und nicht als
Gesuchtheit zu erfassen? Wer wird denn das rücksichts-
lose Schwelgen in der angeborenen Energie seines Cha-
rakters gleich als den natürlichen Kontrast einer bedeu-
tenden Kraft gegen das weiche, warme, träumerische Vei-
senken verstehen, dessen Johannes mit seinem liebevollen
Verständniß der leisesten Regungen in dem Menschen-
herzen und der Natur fähig ist? Aber doch Niemand wird,
wenn unser Freund sich selbst treu bleibt und fortwächst,
dem Allen widerstehen, so sehr sich in der Regel Menschen
(u. Musiker zumal!) wehren, das über ihnen stehende an-
zuerkennen. Wir hatten zwei Proben, und das Verständ-
niß der Spieler wuchs, wie sie denn am Abend mit sicht-
licher Aufmerksamkeit und Liebe begleiteten. Daß Sie,
liebe Freundin, nicht zuhörten, hat mich natürlich mit
herzlichem Bedauern erfüllt; es tröstet mich einigermaßen,
daß Sie das Stück vermuthlich in Leipzig hören werden.
Nicht wahr? Ich denke mir Sie am Donnerstag im Ge-
wandhaus, obwohl Sie dieser Brief in Dresden aufsucht.
Daß ich nicht augenblicklich, wie Sie wollten, in der An-
gelegenheit V. Frl. X geantwortet habe, kommt daher, daß
eben nichts mehr in der Sache zu ändern ist. Es ist wirk-
lich auch meine Überzeugung gewesen, nachdem ich sah,
wie sehr die südliche, enthusiastische, sorglos i'eine Natur
des lieben Mädchens hier beobachtet, commentirt und für's
5o Von L. Spohr
Gespräch benutzt wurde, daß es ihr auch innerhch nicht
förderhch sei, sich dem ferner auszusetzen. Bei einem Mann
gleitet das ab, was Gerede heißt, ein so zartes Mädchen
aber könnte dadurch verwundet werden, oder minde-
stens von dem zarten, reizenden Schmetterhngsstaub, weib-
hche Schüchternheit, einbüßen. Das sind die Hannove-
raner, oder überh. Kleinstädter nicht werth. Dazu kömmt,
daß gerade dasjenige, was ihr im Violinspiel hauptsächlich
fehlt, die Bogenführung, von Böhm, meinem frühern Lehrer,
eine Specialität ist etc. etc. Wir müssen eben bald darüber
sprechen, wie über manches Andre, und ich danke nur
noch für das liebenswürdige Interesse, das Sie meiner Em-
pfohlenen geschenkt.
Daß die Bettina ausgelitten, wissen Sie wohl schon. Sie
starb Donnerstag früh; am Todestage Achim's v. Arnim!
Sie ist gestern in Wiepersdorf beerdigt worden. Wie viel
Gedanken kreuzten sich in mir durch die Nachricht — wie
sehr hat sie mich ergriffen. Sie werden das begreifen, liebe
Freundin ....
Schreiben Sie bald
Ihrem
J. J.
Heut um 3 probiren wir Johannes' Serenade; Abends
ist Sommernachtstraum. Fidelio hörten wir 2 mal.
Von L. Spohr
Caßel den 24^^^" Januar iSSg.
Hochgeehrter Herr und Freund,
In seiner Neujahrsgratulation meldete mir Kömpel voller
Freude, daß er im 2^*^" Ihrer dortigen Abonnement Con-
certe die Ehre und das Glück haben würde, meine 2'^ Con-
certante in Hmoll mit Ihnen zu spielen, und sprach den
Von L. Spohr 5i
Wunsch aus, daß ich herüberkommen möge, um sie mit
anzuhören. Leider war ich damals nicht ganz wohl und
durfte daher Mitte Winter es nicht wagen, die Reise zu
machen.
Seit der Zeit hat er mir nun abermals geschrieben und
sagt unter anderm, das Auftreten mit Ihnen habe ihm so
viel Ehre und Ruhm gebracht, daß er noch gar nicht recht
wiße, wie ihm eigentlich geschehen sey, und voller Freude
fügt er hinzu, Sie hätten nachher geäußert: Sie würden,
wenn Sie mir damit eine Freude bereiten könnten, die Con-
certante nochmals mit ihm in Gaßel wiederholen. Ist diese
Äußerung wirklich von Ihnen geschehen und haben Sie
vielleicht die Absicht, eine größere Kunstreise über Caßel
anzutreten? ich hörte kürzlich von einer Reihe von Gon-
certen, die Sie in Wien zu geben gedächten — so könnte
mich in der That nichts mehr erfreuen, als Sie einmal hier
in einer meiner Lieblingskompositionen zu bewundern und
die Veranlassung zu seyn, daß eins unserer Abonnement-
concerte durch einen fremden Künstler reich ausgestattet
würde, während mein Nachfolger, Kapellmeister Reis deren
vorigen und diesen Winter schon eine ganze Reihe der-
selben in dieser Weise ausgestattet und unserer Wittwen-
kaße dadurch zu glänzenden Einnahmen verholfen hat.
So noch das letzte unserer Concerte, welches durch die
Anwesenheit der Harfenistin Frl. Mösner und des Geigers
Herren Weißenborn aus Weimar verherrlicht wurden.
Sollte Sie also Herr Reis zu einem der nächsten Goncerte
einladen, so gedenken Sie wohlwollend und freundlich
Ihrer Äußerung und nehmen Sie Ihren Weg über Gaßel.
Gewiß würde dann auch Herr Amtsrath Lueder einmal
wieder uns besuchen, und Zeuge Ihrer Triumphe sein
wollen.
Herr Zillinger^) war einen Tag hier und hat mir Ihre
^) Schüler Spohrs, war später Organist in Dresden, wo er im 34- Lebens-
jahre gestorben ist.
i*
52 An Th. Ave-Lallemant
Grüße überbracht. Er hatte die Absicht nach Naumburg
zu reisen und sich um die dortige Stadtmusikdirector-Stelle
zu bewerben. Ich gab ihm zu dem Behuf einen Brief an
den dortigen eifrigen Musikfreund Herrn Oberweg mit,
der ihm dann auch zur Erlangung der Stelle behülflich
gewesen ist. Heute früh kam er von dort zurück und
fühlte sich sehr glücklich, sein projektirtes Auswandern
nach Südamerika nun aufgeben zu können.
Mit inniger Freundschaft ganz
der Ihrige
Louis Spohr.
NS. Herrn Kömpel bitte ich herzlich zu grüßen. Ich
laße ihm für seine beyden freundlichen Briefe bestens
danken.
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover, Mitte Februar iSSg.]
Lieber Freund.
Ich denke, es ist eine längst abgemachte Sache, daß ich
am 24"^" März komme! Habe ich's denn noch nicht
geschrieben? Oder ist mein Brief nicht angekommen?
Brahms' Concert hat mir bei näherer Bekanntschaft immer
mehr Liebe und Achtung eingeflößt. Bei den meisten
Intelligenten, die ich aus dem Publikum u. dem Orchester
gesprochen, hat sich eine hohe Meinung über Brahms als
Musiker kund gegeben; über sein eminentes Spiel sind
selbst Gegner seines Concerts einig. Daß theilweise Vor-
urtheil, dann das Befremden über eine so rücksichtlos ideal
sich gebende Individualität, wie die unseres Freundes, dem
Glanz des Erfolges hindernd entgegentreten würden, habe
ich von vornherein nicht anders erwartet. Auch werden
einige Längen in der Composition, hie und da, selbst gut
disponirte, an einzelnen Stellen im Vollgenuß stören.
An Gisela v. Arnim 53
Trotzdem darf man sagen, es hat das Concert einen Pu-
blikum und Künstler gleich ehrenden Erfolg gehabt; so
in Hannover. Nun mögen Mäkler und böswillige Ver-
leumder wie Wehner ausstreuen, was sie wollen, mich
kümmert's nicht, wir haben recht gethan. Die Leipziger ^)
haben aber in ihrer Blasirtheit ein testimonium der Ärm-
lichkeit und Herzlosigkeit gegeben, das mir um so mehr
leid thut, als ich dort selbst erfahren, daß so etwas trotz
aller Philosophie schmerzt den, welchem solche Theilnahm-
losigkeit das kalte Wasser über das warme Herz gießt.
Nun mögt Ihr in Hamburg thun, was ihr wollt; aber wenn
Sie, lieber Freund, das Concei^t im Philharmonie bringen,
so komme ich und dirigire. Das ist ja längst ausgemacht.
Im übrigen grüße ich von Herzen alle guten Menschen in
Ihrem Haus und Ihrer Stadt. Brahms wird wohl auch
schon darunter sein!
Ihr
J. J.
An Gisela v. Arnim
[Hannover 23. od. 24. Febr. iSSg.]
. . . Klaus Groth kam zweimal in den letzten i4 Tagen
hier durch und hat mich da jedesmal aufgesucht. Er ist
mir sehr sympathisch, und ich denke immer, daß ich ihn
quasi durch Dich habe kennen lernen. Seine Braut und
ihre Familie kannte ich lange vor ihm; sie heißt Doris,
hatte sehr angenehme Züge, als ich sie zuletzt vor mehreren
Jahren sah, kam mir aber ein bischen ehrgeizig und be-
wußt angenehm, mit Sehnsucht nach Genialität vor. Um
Klaus Groth's Ideal zu entsprechen, müssen die Jahre gut
an ihr gewirkt haben ; er scheint sehr glücklich.
Hermanns Schriften haben auf einige Menschen, die ich
^) vgl. Brahms' Brief vom 28. Jan. Sg an Joachim, Briefwechsel I.
54 An Th. Ave-Lallemant
hier damit bekannt machte, außerordenthchen tiefen Ein-
druck hervorgebracht, namenthch die prosaischen Aufsätze:
Essay's, die Schrift über Akademie u. s. w. Ich würde es
nicht erwähnt haben, wenn es gewöhnliches Wohlgefallen
wäre, aber es ist wirklich die herzlichste Theilnahme und
wahres Verstand niß seiner Natur, die man als berechtigt
harmonisch anerkannte, selbst wo man nicht mit ihr über-
einstimmte. Alle wollten nach und nach seine sämtlichen
Sachen lesen oder sagten unwillkührlich : lebte ein Solcher
hier ! — auch der Königin Hofdamen, denen ich indeß alle
Pläne gleich damit durchschnitt, daß ich äußerte: Grimm
ist ein zu stolzer Patriot, um irgendwo anders als in Berlin
zu existiren, — Wie lange ich's hier aushalte, weiß ich
auch nicht; mein Ideal wäre jetzt, mir alle Jahre durch
mein Spiel, ohne Anstellung, so viel zu verdienen, daß ich
meinen Aufenthalt wählen könnte. Leider Gottes sind die
meisten Künstler und Institute (zumal an Höfen!) derart,
daß man unwillkührlich in Störendes, ja Gemeines hinein-
gezogen wird. — Sonnabend gehe ich bis zum 3"^" März,
also bis nächsten Mittwoch, nach der Universität Utrecht
in Holland. Die dortigen Studenten haben, nachdem ich
mehrere Jahre lang ihre Einladungen abgeschlagen, ja
zuletzt nicht beantwortet hatte, vor Kurzem einen der
Ihrigen eigends zu mir hierher geschickt, und ich habe
solcher Liebenswürdigkeit nicht widerstehen wollen. Ist das
nicht herzlich von den jungen Leuten. „Irrende, Suchende,
die ihr hinanjubelt den Parnassus, zu Kastalias Quell!" . . .
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover, Mitte März iSSg.]
Liebster Ave.
. . . Zur Probe komme ich rechtzeitig mit Stockhausen
— wir wollen nämlich zusammen Extrapost nehmen,
also werden wir etwa gegen 9 — 10 Mittwoch bei Euch
An Clara Schumann 55
sein — hoffe auch unterwegs alle Muße zu haben, meine
diplomatische Mission Avegen der Wohnung bei Stockhausen
zu Ihrer Zufriedenheit zu erledigen. Aber daß ich diesmal
bei Johannes wohnen ■ soll , wird Ihnen und den Ihrigen
doch nichts helfen — zu Hause werde ich mich doch bei
Euch auch fühlen. Nur bin ich bange, daß mein dies-
maliger Rivale mich und meine Geige für alle Zeit mit
seiner Liebenswürdigkeit und seiner Stimme in Schatten
stellt. Der Kerl singt unbeschreiblich schön ; sagen Sie nur
Joh., er möchte alle seine Lieder copiren lassen. Ich will
bis Montag nach der Soiree bleiben, dann muß ich aber
spornstreichs zurückgallopiren.
Vielleicht bringe ich Bronsart nach Hamburg, der gern
Johannes' Concert hören will. Nehmt ihn gut auf, wenn
er kömmt.
In aller Eile und in alter Freundschaft
Joseph J.
An Clara Schumann
[Hannover] Donnerstag Nachmittag. [3 1. März 1859.]
Liebe Frau Schumann.
. . . Sonnabend spielt Jaell das Beeth.'sche Esdur Con-
cert, imd die C moll Sinfonie wird gemacht. Ich wollte ur-
sprünglich die Schum[ann]'scheGdur No. 2 aufführen, wage
es aber, da das Concert im Theater ist, vor einem so ge-
mischten Publikum nicht. Das wäre Caviar fürs Theater-
volk; Beeth. sitzt ihnen schon eher in den Knochen, und
aus Respekt vor dem Namen finden's auch die meisten
schon göttlich. — Unsere Soiree in Hamburg ist sehr gut
ausgefallen, der Saal war übervoll, und die Serenade hat
trotz der zum Theil mangelhaften Ausführung in den letzten
Sätzen namentlich entschieden angesprochen : Brahms wurde
gerufen, und da er in der Loge war, u. erst gar nicht
56 Von Frau Amalie Herstatt
kommen wollte, dauerte der Spectakel sehr lange. Die
Serenade ist aber auch ein köstliches, frisches, graziöses,
und dann doch wieder tiefes Stück, und ich hatte beim
Einstudiren, trotz der Gimpel und Faulthiere von Pfeifern
und Streichern der freien Stadt, großen Genuß. Soviel
darüber. . . . Ich habe von Stockhausen mit Freuden von der
Aussicht gehört, zusammen Concerte ^) zu geben. Ich werde
natürlich spielen, so oft und was Sie wollen, u. damit Sie
sehen, liebe Freundin, daß ich aufrichtig bin, so habe ich
nur die Bitte, daß mein Name nicht mit als Concertgeber
auf dem Programm steht, sondern nur als engagirtes Mit-
glied, denn ersteres könnte wirklich meinen Beeth. Quartett-
Abenden schaden. Sonst bin ich aber in allen Stücken
ungebunden und wie immer für Alles, was Ihnen ange-
nehm sein kann,
Ihr
getreuer, herzlich ergebener
J. J.
Von Frau Amalie Herstatt
Cöln d. 2. April 1859.
. . . Ihre Fürsorge für Friedemanns Grab war auch mein
Wunsch, nur wagte ichs nicht, Sie in Betreff eines Leichen-
steins von Neuem zu belästigen. Sollte die kleine Summe,
die durch mein schlechtes Rechentalent in Ihren Händen
ist, nicht ausreichen, so bitte ich Sie über mich zu verfügen.
In voriger Woche war ich noch in Bonn beim Vater Bach,
der nicht zu trösten ist; wie viel wir von Ihnen sprachen
— ach — das können Sie wohl denken. — Geehrter Herr
Joachim, Sie sagen mir, daß meine Worte Ihnen wohlthun,
und doch sind sie nur der schwache Ausdruck meiner Ge-
sinnung und meines dankbaren Gefühls! Die großartige
*) in England.
Von Jenny Lind-Goldschmidt Sy
Hochherzigkeit Ihrer Denkungsart habe ich durch die That
kennen gelernt in ihrer prunklosen edlen Art; ja ewige
Hochachtung vor dem seltnen Manne und uneigennützigen
Künstler! Nie werde ich das Wort vergessen, was Sie mir
schrieben, als Sie vom Sterbebette des armen Künstlerkindes
kamen, wo Ihr eignes Leben durch Ansteckung in Gefahr
schwebte, und ich Sie mit mütterlicher Angst bat, den
Kranken zu verlassen, ihn nicht mehr zu sehen! Da schrie-
ben Sie mir das herrliche Wort: „Ich werde ihn nicht
mehr sehen, bis er mich wieder erkennt." . . . Enthalten
diese paar Worte nicht die ganze Ghristuslehre von der
wahren sich selbst vergessenden Nächstenliebe? Eingraben
mit glühenden Buchstaben möcht ich's . . .
Von Jenny Lind-Goldschmidt
Oak Lea 9. Juni [iSSg].
Verehrter Herr Concertmeister
ch habe eine sehr große und unverschämte Bitte an Sie
I
wenn Sie können dieselbe gewähren — so möcht
ich, thuen Sie es (wenn Sie nicht können — so weiß ich
ebensogut, daß Sie mir verzeihen).
Am ai'^'en (J. M. (Dienstag) werde ich einige sehr liebe
Freunde bei uns sehen — alle aus der besten Gesellschaft
und sehr musikalisch. Sie schwärmen alle für Sie —
und haben mich gefragt, ob Sie nicht hei auskämen — ich
sagte, ich wollte fragen — Wollen Sie gegen 9 — u. halb
10 den Abend kommen — und uns etwas spielen? Ich
kehre mich um keine andere Musik — Sie sind die reinste
Manifestation der Kunst, die ich kenne, und kann ich Sie
nicht haben — so arbeite ich lieber selbst (was ich natüi-
lich ohnedem thun werde) meinen Gästen vor. Denn ich
kann keine Musik von Jemand Anders als von Ihnen hören.
Welch Eindruck habe ich von Beethovens Concert mitge-
58 An Clara Schumann
bracht! Sowie Sie spielen — hätte Adam spielen müssen,
ehe die Sünde kam, und so lange er nur vom lieben Gott
direct gelernt, seine Unschuld zu bewahren!
Unmöglich ist es zu sagen, wie schön es ist — das erste
Geschöpf Gottes so dar zu stellen, wie Sie thuen, wenn Sie
von Ihrer Sache beseelt sind!
Wollen Sie mir ein Wort (und bald) wissen lassen — ob
Sie kommen wollen und können, und der Wagen soll bei
Ihnen seyn, wann Sie befehlen.
Wie wohl thut es, einmal im Leben ein Künstler so recht
und acht bewundern zu können, wie es thut Ihre
ergebene
Jenny Goldschmidt.
An Clara Schumann
[London] Am 8^^" Juli [1859].
Liebe Frau Schumann
. . . Die Concerte sind bei der drückenden Hitze ganz
unausstehlich. Doch machte mir das Beethoven'sche Sep-
tett vorgestern bei Ella Freude; es ist doch ein Stück
voll jugendlicher F'rische und Anmuth, und ich kann die
dummen Grübler nicht begreifen, die das nicht mehr gou-
tiren, als ob nicht das jugendlich freie Lächlen eines starken,
reinen Helden eben so entzückend wäre, wie seine großen
Thaten begeisternd. Es wird Ihnen sonderbar vorkommen,
daß ich darüber etwas sage, aber ich kenne das Septett am
wenigsten von allen Beeth. 'sehen Sachen. Montag spiele
ich zum letzten Mal, u. z. in der Philharmonie das 9'^ Con-
cert von Spohr in D moll, das Sie wohl nicht kennen. Die
Directoren haben mich gebeten, für diesmal zu Gunsten
Meyerbeers auf die Aufführung einer Ouvertüre von mir
zu verzichten, da er ein älterer Künstler und ein Ehren-
mitglied der Gesellschaft sei. Sie schickten eigends Hogarth
An Clara Schumann 69
zu mir, der mir die ursprüngliche Skizze des Programmes
zeigen mußte, wo den richtig eine M, S. Ouv. von J. .1.
figurirte. Es bleibt mir also nichts übrig, als ruhig die un-
ruhige Struensee-Ouv. über mich ergehen zu lassen, über
deren Partitur Bennett sehr wenig erfreut scheint. Es ist
aber auch ein kleinliches Hin und Hergezerre, und nur das
Dänische Volkslied darin musikalisch anziehend. . . . Diens-
tag gehe ich für 2 bis 3 Tage auf's Land zu Sir George
Smart 1) nach Chertsey, wo es sehr angenehm sein soll, und
wo ich mich zur Arbeit zu sammeln hoffe. . . .
Von Herzen, liebe Frau Schumann,
Ihr
alter musikalischer Verbündeter
Joseph J.
An dieselbe
[London 26. August iSSg.]
Liebe Frau Schumann
Otto Goldschmidt sagt mir, daß Sie mich im Verdacht
haben, einen Brief von Herrn X'^) aus Nachlässig-
keit zurückgehalten zu haben. Der Verdacht ist unbe-
gründet — in Geschäftssachen bin ich, glaubeich, erträg-
lich genau. Goldschm: hatte mich in die ganze amerik.
Angelegenheit durch Mittheilung der Aktenstücke einge-
weiht, und um dieselben nicht erst wieder an G. nach Wim-
blanden zurückzuschicken und so Zeit zu verlieren, hatte
ich mit ihm verabredet, Ihnen den Brief von Scharfenberg
(und nur diesen) selbst einzusenden; froh wie ich immer
bin, mit Ihnen zu verkehren, war mir das ein willkommenes
^) Sir G. Sm., geb. 1778 Begründer d. Philharm. Soc, Freund Webers,
der in seinem Hause starb, verdient um die Einführung der deutschen
Klassiker in England. -|- 1867.
^) Ein bekannter Impresario, der Frau Seh. eine Toiu-nee nach Ame-
rika vorschlng.
6o An Clara Schumann
Übereinkommen. Der Brief von X an Scharfenberg ent-
hält an Thatsachen nichts, was der letztere nicht theil-
nehmencler u. zarter ausdrückt. Ich wollte Ihnen nament-
lich nicht (weil es unnöthig war und Porto gekostet hätte
obendrein) direct vor die Augen bringen, mit welcher Un-
verschämtheit und Fühllosigkeit so ein puffender Spekulant
uns Künstler wie ein Stück Waare abschätzt, Faser nach
Faser von unserer Persönlichkeit wie von einem Stück
Tuch unter seinen groben Fingern zerreibend, und noch
dazu mit Biedermanns-miene, heuchlerisch abschätzend.
Der Brief war so trocken neben der Dummheit, daß ich
die Verhältnisse nicht einmal in komischem Licht ansehen
konnte. Der abgeschmackteste, abstoßendste Sklavenhandel !
Ich danke meinem Schöpfer, daß Sie nicht dahin über-
gehen. Ja, wären Unmöglichkeiten möglich — dann wünschte
ich aber lieber, daß wir, lauter gute Musiker zusammen,
in der wunderschönsten Gegend Schlösser erspielten und
eigne Kapellen, bloß dadurch, daß wir recht für Bach und
Beethoven schwärmen und uns unsere Lieblinge ab und
zu vormusiciren dürften! Das gienge aber gerade ebenso
leicht, als daß Sie, mit Ihren hohen künstlerischen An-
sprüchen und mit Ihrer Geschmacksrichtung, in einem Jahre
3oooo Thaler von einem Entrepreneur gesichert bekämen.
So weit über den Brief von X. Der E . . . soll uns nicht
entzweien. Was nun meine Reise nach Irland (Island ist
bei der Hitze ein angenehmerer Gedanke!) betrifft, so wird
sie Ende des Septembermonates beginnen; am Anfang No-
vembers werde ich in Hannover zurück sein. Auf wie lange,
weiß ich nicht; das hängt dann von dem ab, was ich Gutes
in den Concerten ausrichten kann. Ich freue mich, daß
ich einen materiellen Gewinn von England fortnehme —
um durch ein paar Tausend Thaler mehr Unabhängigkeit
von meiner Hannoverischen Stellung zu haben. Wie sehr
empfinde ich mit, was Sie in diesen Tagen in Bonn durch-
leben müssen. Erst vorgestern brachten mir einige Schu-
An Clara Schumann 6i
mann'sclie Lieder den ganzen Reichthum von Liebe und
Güte seiner schönen Natur vor die Seele. Schätze reinster
Empfindung. Wie sieht wohl jetzt die Ruhestätte aus ! Der
Herbst hat für mich immer etwas tief bewegend Weh-
müthiges — aber nicht ohne den Trost der Verklärung, wenn
die schrägen Strahlen auf das bunte Laub fallen. Es ist
meine liebste Jahreszeit — und ich wollte, ich wäre mit
einem Ränzel auf dem Rücken bei Johannes, und am Rhein.
Das ist doch besser wie England!
Ihr
An Clara Schumann
Joseph J.
[London lo. Sept. iSSg.]
Liebe Freundin
Ich habe nur ein paar Minuten, um Ihnen vor Postschluß
(Sonnabend) zu schreiben i); thue dies aber, um Ihnen
meine frische Freude über Ihre Zeilen auszudrücken.
Morgen gehe ich aufs Land, und wohl auch Montag, und
will daher nicht aufschieben zu danken. Ich hatte gehofft,
vor Irland nach Wales und Schottland zu gehen — aber
statt dessen bin ich ein Reconvalescent, der über 8 Tage
fast immer im Bett gelegen hat: ein Karbunkel, der auf-
geschnitten werden mußte, schmerzhaft und „nasty"! Nun
muß ich mich noch sehr in Acht nehmen, um keine
frischen zu bekommen. Die Irländische Tour verlangt,
daß ich meine Violine pflege, und auch einige Irländische
Melodien will ich für Klavier u. Violine mit Gold-
schmidt setzen, und so bin ich um meine Reise! Möchte
^) Am i3. war Frau Seh. 's Geburtstag, und da Sonntag in England
keine Briete befördert wurden, so fürchtete J., sein Brief würde zu spät
kommen. Charakteristisch ist, daß er zu gratuheren vergißt, wofür ihn die
Empfängerin dann in ihrer Antwort aufzog.
62 An Clara Schumann
die Tour mich in angenehme Landschaft bringen — mich
verlangt nach dem i4tägigen Arrest noch recht nach
Herbstschönheit. Am Rhein muß es wundervoll sein, und
ich wollte, ich wäre dort. Geben Sie doch endlich die Idee
auf, liebe Frau Schumann, als könnte ich je mit Fühlen
und Sinnen etwas anderes sein, als ein rechter deutscher
Musikant . . .
Von Johannes so lange nichts gehört zu haben und ihm
geschwiegen zu haben, kommt mir wie ein Märchen vor.
Doch er war glücklich und hat gearbeitet — während dem
ich etwas Geld verdient habe.
Wie freue ich mich auf seine Sachen. Ich schreibe, be-
vor er nach Detmold geht. . . .
An Clara Schumann
[Hannover 5. Dez. iSSg.]
Liebe Frau Schumann
Das Concert vorgestern und der gestrige Tag waren
durch Johannes rechte Feste. Wir haben mancherlei
musicirt, gestern früh bei mir unter anderm das schöne,
tiefe Gmoll Trio von Schumann, und Ihrer oft gedacht.
Die Adur Sinfonie gieng herrlich, ich hatte sie nie schöner
gehört. Warum ist dies Orchester in Hannover?! Die
Serenade kam rechtzeitig. Ich halte bis jetzt doch den
ersten und den letzten Satz für die schönsten. Da ich sie
bis Sonnabend jedenfalls hier behalte (Johannes ist eben
fort), so können wir noch recht darüber sprechen. Es bleibt
für Ihr Concert jedenfalls beim lO'^" (Sonnabend). Schon
des Quintetts von Seh. wegen; es ist zu unsicher, ob wir
die Herrn an einem andern Tag haben könnten. Ich habe
den Saal genommen, auch Karten bestellt (3oo Stück) und
Annoncen in die Zeitungen besorgt. Morgen geht eine
Subskription-Liste herum, natürlich bloß die Anzeige ent-
An Th. Ave-Lallemant 63
haltend, und als ob's gar nicht von Ihnen veranlaßt wäre,
sondern von der Musikalienhandlung und mir, da es die
beste und sicherste Art ist, anzukündigen, und hier Styl
scheint. Ich habe es sorgfältig besprochen und erwogen.
Das Programm bitte ich mir aber umgehend, wäre es
auch nur durch andere Hand aus. Ich schlage außer dem
Quintett von Schumann (einer sehr glücklichen Wahl!)
die Kreutzer-Sonate vor. Wir könnten damit beginnen.
Müssen Sie Sich ausruhen, so bin ich mit Freuden bereit
ein oder 2 Soli einzuflechten, die Scholz begleiten könnte,
wenn es Sie ermüdet. Dieser und seine Frau sind ganz
glücklich über Ihr Herkommen, und wäre ein kleines,
schreiendes Kind von 5 Wochen nicht im Haus, so lüden
sie Sie gern ein, bei ihnen zu wohnen. Ersteres ist aber
nicht einladend. Wollen Sie ein paar ungarische Tänze
von Johannes spielen? Das wäre schön . . .
Job. hat in Hamburg als Solo- und Componist großen
Triumph gefeiert. Endlich! Er war fidel. Auch ich will
mich aufs Wiedersehen freudig halten ! . . .
An Th. Ave-Lailemant
[Anf. Dez. iSSg.]
Lieber Freund
Der 10'^ Febr., und der i3'^ passen ganz gut mit unsern
Concert-Tagen, und wenn nicht eine unvorherzu-
sehende Königliche Gegenordre kömmt (was ich indeß
kaum glaube), so könnte ich dann vergnügt mit Euch
musiciren. Mehr kann ich mitten unter Brahms, der auf
der Diehle schnarcht, und andern angenehmen Hinder-
nissen nicht schreiben.
Aber herzliche Grüße an alle Ave's von
Joseph Joachim.
64 An Clara Schumann
An Clara Schumann
[Hannover 3i. Dec. iSSq.]
Liebe Frau Schumann
Ich möchte, daß Sie als gutes Omen für meine Besserung
als Correspondent am i'*" Tage von 1860 ein paar
Worte von mir erhalten. Meine Wünsche sind immer die-
selben, herzlichen, auch dei egoistische ist darunter, daß
Sie mir Ihre Güte und Liebenswürdigkeit erhalten mögen,
und daß ich im Stande sein möchte, dies immer mehr zu
verdienen. Sie wissen, das ist keine Redensart, und es be-
dürfte des durch Ihre Freundessorgfalt behaglich warmen
Fußbodens gar nicht, um mich dies auch in diesem Augen-
blick dankbar empfinden zu lassen. Aber ich freue mich
doch besonders, wenn mein Blick jetzt unwillkührlich auf
das liebe, weiche Fell unter mir fällt. Ich war zu Weih-
nachten hier, und war ich auch nicht bei denen, die
meinem Herzen auf Erden am allernächsten stehen, so
war ich doch unter angenehmen, freundlichen Menschen,
bei Kaulbach ^). Auch Fräulein Ney^) war dort, und ich
denke mir, meine Vermuthung wird sich wohl bestätigen !
Das Mädchen ist mir seines Talentes wegen und in seiner
anmuthigen Erscheinung werth, und es würde mir sehr
leid thun, anderes als Gutes über es zu hören. Ich schreibe
dies als Antwort auf Ihre Neckerei und auf die „kuriosen
Geschichten". Hier hielt mich zu allermeist der Wunsch
in meiner Umarbeitung des Goncerts^) vorwärts zu kommen,
und der i"^ Satz ist denn auch in den Händen des Copisten,
da eine neue Partitur und andere Stimmen nöthig sind.
Wär's mir erst ganz aus den Knöcheln! Nun, bald! —
Der Flügel steht in der Nebenstube, wohlbehalten. Jaell
') Der Maler Friedrich K., Vater von Fritz Aug. v. K.
*) Bedeutende Bildhauerin, -j- 1908.
^) des ungarischen.
An Clara Schumann 65
bat die Dmoll Sonate von Schumann drauf mit mir zu
spielen; ich denke, Sie werden nichts dagegen haben. Auch
die Hebräischen Melodien will ich wieder einmal hören,
da sich ihnen neue zugesellen möchten. ^ Johannes hat
mir den größten Theil seiner Serenade instrumentirt über-
schickt; meist als ob er nie etwas anderes gethan hätte
als mit dem Orchester umgehen. Nun, es ist ja auch mit
ihm geboren ! Für ein Ürchester-Concert in Berlin bin ich
nicht; Ruhm läßt sich nicht über's Knie brechen. Und
ein Goncert mit unsicherer Einnahme ist ein gewaltsam
Mittel, das wir lieber den Weimaranern überlassen wollen —
meinen Sie nicht? Künstler sollen mit ihren Leistungen
verdienen, nicht den Leuten was schenken. Hannover,
Hamburg, Leipzig werden das Werk geben, hoffentlich
Jemand es verlegen, die andern kommen schon nach. Ich
spreche wohl unwillkührlich dagegen aus noch einem
Grund — ich wäre gern auch dabei, und das geht in
diesem Winter nicht, weil die Zeit mir fehlt. Sie werden
Sich wohl morgen an Orpheus eine Freude bereiten? Hier
war kürzlich Fidelio; das Orchester vortrefflich, die Sänger
mittelmäßig, die Tempi oft schlecht. Doch hat's mich tief
gepackt wie immer! Aber, wie musikalisch einsam laufe
ich doch hier herum! — Heute geleitete ich Marschner's
letzten Sohn mit zu Grabe.
Nach Holland w ill ich von Ihnen an Haakman schreiben.
Wie steht's mit Braunschweig?
Wann bekonmie ich mein grünes Schirmchen, und wann
spielt mir Fräulein Marie vor? Grüßen Sie sie und alle
Geschwister herzlich und schreiben Sie bald wieder,
verehrte Freundin,
Ihrem aufrichtigen
J. J.
66 "" Von Clara Schumann
Von Clara Schumann
Berlin d. x. Jan. 1860.
Ihr schöner langer Brief, lieber Joachim, hat mich gestern
Abend so innig erfreut, daß er mir den Schluß des
nicht eben freudigen Tages zu einem frohen gemacht.
Weiß ich auch, daß Sie mein treuer Freund, so liegt es
denn eben in der weiblichen Natur, daß das Herz doch
nach einem lieben Worte zuweilen verlangt, und das thut
dann innig wohl ! —
Ich war am Sylvester im Sommernachtstraum, und als
^^^ J J^ J^ J j J^) kam, da bildete ich mir fest ein, Sie
müßten angeklopft haben, und ich müßte Sie bei'm nach
Hause kommen finden, und Frau Gisela's Äußerung, daß
Sie versprochen, einen Tag hierher zu kommen, bestärkte
mich darin. Der Sommernachtstraum war, obgleich mittel-
mäßig ausgeführt (namentlich der inusikal. Theil unter
Taubert), entzückend! ein solches Stück mit solcher Musik
vereint ist doch höchste Wonne!
Frau Gisela schenkte mir neulich einen Abend, leider
war Herman Grimm nicht mit — es war eigen, sie sagte,
er sey nicht wohl, und daher habe sie Ihn spatzieren ge-
schickt; bei mir habe er gefürchtet, Musik zu hören, und
die würde Ihn zu sehr aufgeregt haben. Es ist doch sonder-
bar, daß die Leute immer glauben, Musiker könnten sich
nur wohl befinden bei ihrer eigenen Musik. Ich verbrachte
den Abend mit Frau Gisela und Rudolph Grimm allein,
ohne Musik und doch schön. Die Stunden waren schnell
vergangen.
Ich habe es mir wohl gedacht, daß Sie jetzt sehr fleißig
an Ihrem Concerte, und um so schwerer wird mir meine
heutige Bitte, die Ihnen von Ihi^er kostbaren Zeit viel
raubt. Ich sende Ihnen nämlich die Bach'schen Cello-
*) Der Rliythnius des Scherzos.
An Clara Schumann 67
Sonaten^) mit der Bitte, sie durchzugehen und mir zu
sagen, ob ich sie so drucken lassen kann — Schubert will
sie so schnell als möglich. ...
Mit Johannes, lieber Joachim, haben Sie mich aber nicht
ganz verstanden. Ruhm will ich Ihm ja nicht machen,
finde es aber so einfach, daß er, wenn ich hier Concert
gebe, seine Serenade hier auffürt. Das ist kein Aufdrängen
dem Publikum; thue ich es, so ist's ja nur um der Sache
halber, hingegen sucht Johannes in Leipzig die Aufführung
der Serenade zu erzwingen, so könnte man das wohl eher
über's Knie brechen nennen. Dort kämpft er entschieden
mit bösem Willen. Hier höchstens mit Unwissenheit, ob-
gleich er ein kleines Publikum theilnehmend findet, das
bin ich überzeugt. Hamburg hat aber für die Anerkennung
und Verbreitung seiner Sachen gar kein Gewicht, Berlin
nach Leipzig doch am meisten. Daß Sie aber dabei sein
könnten, hatte ich gehofft! — Nun, ich erzwinge nichts,
dazu ist mir Johannes viel zu lieb und gut, also, liegt
Ihm nichts daran, so unterbleibt es. Ich habe es ihm
vorgeschlagen, weil er selbst mir schrieb, er möchte gern
seine Serenade so viel aufführen als möglich.
Jetzt seyen Sie auf's herzlichste gegrüßt ! bleiben Sie mir
im neuen Jahre gut! meiner treuen Freundschaft sind Sie
versichert für alle Zeiten.
Ihre Gl. Seh.
An dieselbe
[Hannover i3. Januar 1860.]
Liebe Frau Schumann
Yor allem, wir sind ganz wohl und sehr munter Mitt-
woch 2) hier angekommen, nachdem wir unterwegs
tüchtig geschlafen. Ich entdeckte hier, daß ich das Bach-
*) Rob. Schumanns Be{];Iei tung dieser Solosonaten ist ungedruckt geblieben.
*) aus Berlin vom Besuch bei Frau Clara und Grimms.
68 An Clara Schumann
heft für Violoncell mit Schum.'s Begleitung bei Ihnen ge-
lassen. Bitte, schicken Sie's baldmöglichst. Käme es Sonn-
tag früh, so könnte auch Johannes noch mitrathen, er
fährt erst Montag früh, da Sonntag Morgens nach aller
Wahrscheinlichkeit seine i^^ Serenade im Atelier von
Kaulbach probirt wird. Mittwoch Abend war nichts bei
Hof, dafür gestern. Wir spielten Beethoven's Fdur Sonate
I ^ \ f* CjLT • zusammen u. ich noch ein paar Kleinig-
keiten, Job: nichts allein. Es musicirt sich herrlich mit
ihm, wenn er will, das wissen wir schon lange! Der König
war ganz enthusiasmirt, und selbst der musikfeindliche
Slicher^) wurde ganz warm nach dem Adagio. Wir sind
auf morgen (nach der ersten Quartett-Soiree) wieder be-
fohlen. Ich erzählte dem König, daß wir Sie nach aller
Wahrscheinlichkeit zum nächsten Concert hier sehen wür-
den 2): und er frug gleich sehr freudig überrascht, W'as Sie
spielen würden. Ich mußte antworten, daß Jaell engagirt
sei, und da meinte er, das wäre Schade, Sie in der Nähe
zu wissen, ohne Sie zu hören. Er rief gleich die Königin,
und ich versprach beiden, sofort an Sie die Bitte zu schreiben,
Sie mögten wenigstens ohne Orchester die Majestäten am
Klavier entschädigen, entweder Freitag, Sonntag oder Montag
Abend nach dem Abonn: Concert. Ich hoffe sehr, daß Sie
können und daß ich eine angenehme Antwort mittheilen
darf. Schreiben Sie bald, wenn's auch nur ein paar Worte
sind. Johannes ist eben ausgegangen, die Serenade ist ganz
durchgesehen ; wie werde ich mich freuen, wenn sie erst leben-
dig auch zu andern Herzen dringt ! Grüße an alle im Haus !
J. J.
[von Brahms' Hand :] Brief nicht, aber Gruß erhalten. Von
den Eltern Grüße an Dich. Von mir die herzlichsten.
Johannes.
^) Oberst V. Sliclier, Flüj;eladjutant des Königs.
^) um der Aufführung von Schumanns B dur-Symphonie beizuwohnen.
Von Robert Franz 6(j
An Herman Grimm
[Hannover i6. Januar 1860.]
Lieber Herman.
Inliegend die 2 Schiller-Briefe; der gelbe ist von Deinem
Namensvetter in Göttingen copirt. Das Original hatte
ich meinem kleinen Pathen, seinem Sohn, als Talisman in
ein silbernes Becherchen geschenkt, da ich zwei besaß.
Ich lege auch einen von Herder bei, wahrscheinlich auch
an Frau Mereau; Du findest vielleicht, da er nicht un-
interessant ist, Vergnügen ihn zu lesen, und schickst ihn
gelegentlich wieder.
Johannes ist heute nach Hause gereist, seine 2*^ Serenade
probirten wir gestern, und sie hat allen Musikern Freude
gemacht. Sie ist im Charakter von der ersten ganz ver-
schieden, sanft hinträumend, und das ist mir sehr lieb
dabei. Ich habe noch oft an den Michel-Angelo ^) denken
müssen und wünsche mir sehr die Fortsetzung, an der ich
Dich schreibend mir einbilde. Gottes Segen fahre fort auf
Eurer entzückend lieben Häuslichkeit zu ruhen !
J. J.
Von Robert Franz
Halle d. 20' Jan. 60.
Bester Freund!
Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit einer Doppelbitte be-
lästige. Im vergangenen Jahre brachte eins der Ge-
wandhausconcerte das von Ihnen für Orchester bearbeitete
große Cdur Duo von Schubert. Meines Wissens ist das
Werk in dieser Form seitdem noch nicht gedruckt wor-
^) Grimms Biographie, deren Anfan{{ er J. vermutlich bei seinem Be»
suih am Anfang des Monats vorgelesen hatte.
70 Von Robert Franz
den, u. die es gern benutzen möchten, müssen sich daher
an Ihre Güte wenden. Da wir nun in den nächsten Wochen
hier ein Concert haben werden, in welchem ich es sehr
gern aufführen möchte, so frage ich bei Ihnen freund-
schafthchst an, ob Sie mir leihweise Partitur u. Orchester-
stimmen auf kurze Zeit überlassen können u. wollen. Ich
weiß zwar recht gut, daß dieser Wunsch bei Lichte be-
sehen ziemlich stai^k ist: allein die Liebe zu jenem Werke
u. das Vertrauen, welches ich in Ihre schlichte Künstler-
natur setze, läßt mich über derartige Bedenklichkeiten hin-
wegsehen. Für einen möglichst baldigen u. kurzen Be-
scheid in dieser Sache würde ich Ihnen sehr verbunden
sein.
Dabei regt sich denn ganz von selbst ein alter Lieblings-
wunsch, der: einmal die Freude zu haben, den Hallensern
Ihre außerordentlichen Leistungen vorführen zu können.
Freilich werden wir wohl kaum im Stande sein, nur einiger-
maßen den Forderungen, die Ihr Talent zu stellen voll-
auf berechtigt ist, zu entsprechen, lieber 6 Friedrichsd'or
würde ich nicht hinausgehen dürfen, da die hiesigen Cassen-
kräfte eine größere Anspannung nicht erlauben. Ich denke
nun nicht entfernt daran, Sie in dieser Bagatelle expreß
von Hannover nach Halle sprengen zu wollen — vielleicht
ließe sich aber mein Vorschlag mit einer Absicht auf
Leipzig, das Sie ja jährlich im Winter einmal zu besuchen
pflegen, in Verbindung bringen, u. Sie wäien demnach im
Stande, meine Bitte nicht ganz von der Hand zu weisen.
Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, wie glücklich ich
mich schätzen würde, unserm Publikum Leistungen wie
Ihr Beethoven'sches Concert vorzuführen — das Vergnügen,
Sie einmal wieder sehen u. sprechen zu können, rechne
ich noch gar nicht einmal hinzu. — Unser Concert, auf
das ich mich hier beziehe, fällt auf den lO'*" Febr. u. findet
jn der hiesigen Berggesellschaft statt. —
Sind Sie mir aber doch nicht böse über meine Zu-
Von Ad. Fr. Lindblad 71
muthungen? Lassen sie sich durch meine Lage, stets auf
fremden Beistand rechnen zu müssen, entschuldigen? Doch
ich mag Ihnen gegenüber weiter keine Redensarten schmie-
den u. bin der Überzeugung, daß Sie mir in dem einen
oder dem andern Falle, wenn Sie können, helfen werden.
Indem ich die Bitte wiederhole, mir in zwei Worten mög-
lichst bald auf meine Anfragen Bescheid geben zu wollen,
bin ich mit den besten Grüßen
Ihr
Rob. Franz.
Von Ad. Fr. Lindblad
Stockholm 2. Febr. 1860.
Geehrtester Herr!
Hier werden Sie die Folgen Ihrer gar zu großen
Liebenswürdigkeit sehen. Nehmen Sie sich künftig
in Acht.
Der Überbringer dieser Zeilen: Herr Dente aus Stock-
holm ist ein junger Musiker, welcher den hiesigen Künst-
lern und Dilettanten die Hoffnung eingeflöst, er würde mit
der Zeit ein guter Violinenspieler werden. Die allgemeine
Theilnahme, die er geweckt, hat ihm in den Stand gesetzt
eine Zeitlang sich die Leitung des Herrn Leonard in Brüssel
anzuvertrauen, aber ehe er nach seinem Vaterlande zurück-
kehrt, hat er gewünscht Ihre Bekanntschaft zu machen,
Sie spielen zu hören und, wenn sich die Gelegenheit dazu
darbietet, Ihre sonstige Güte und Bereitwilligkeit durch
meine Empfehlung auszusetzen. Diesse Empfehlung habe
ich mich um so weniger entziehen können, da der junge
Mann auch mich interessirt, obgleich er ein arger Schu-
mannianer ist, was ich hier erwähne, damit er, wenn auch
mich weniger, Sie um desto mehr gefallen werde. Thun
Sie ihm Gutes an und Verzeihen Sie, wenn ich vielleicht
72 An J. O. Grimm
zu sehr auf Ihre, mir einmal, jene unvergeßhchen Tage in
Göttingen, gezeigte außerordenthche Güte rechne —
Meine älteste Tochter ist verheirathet und wohnt weit
von mir. Meine Freude an Musik hat dadurch einen großen
Anstoß gelitten, und dieser Umstand mit samt mein zu-
nehmendes Alter trocknet mir das Mark des Lebens
aus. Todt sind auch alle, die mir in meiner Jugend lieb
waren
In diesem Sommer wird Jenny Lind nach Schweden
kommen. — Vielleicht kommen Sie auch mit? — Doch!
was kann Ihnen hier geboten werden? Meine Freude und
Freundschaft wäre ein gar zu geringer Ersatz für die lange
Reise.
Und nun, Leben Sie recht wohl und seyn Sie von der
Dankbarkeit und Erkenntniß alles dessen, was Sie dem
jungen Freunde machen, überzeugt.
Mit der größten Hochachtung
Ihr ergebenster
Adolf F. Lindblad.
An J. O. Grimm
[Hannover i3. Febr. 1860.]
Lieber Grimm
Dein Werner hat sich noch nicht eingestellt; ich war
aber auch nicht hier, sondern auf 2 Tage in Ham-
burg, wo Johannes' 2'" Serenade zu großer Befriedigung,
auch des Publikums, aufgeführt wurde. Das Stück kennst
Du; der Klang ist reizend, und das Ganze so tief und frisch
in schöner Abwechslung, daß einem das Herz lacht, sol-
cher Schöpfungen Erblühen mit zu erleben. Job: i'^ Sin-
fonie Serenade sollte auf Königs Befehl schon im nächsten
Concert hier aufgeführt werden — da aber lange keine
Beethoven'sche auf dem Programm war, fürchtete ich diesen
Von C 1 a r a S c li u m a n n 7 3
Umstand für Brahnis, des Beethoven durstif^en Publikums
halber, und will sie erst am 4"^^" März bringen (vielleicht
wenn es nicht zu viel des Neuen scheut, auch mein um-
gegossenes Concert). Nächsten Sonnabend giebt's die Eroica,
Mendelssohn's Dmoll Concert, eine Chopin'sche Polonaise
mit Orchester und wohl auch Stockhäuser, der bis jetzt
stockheiser war. Der Klavierspieler heißt Nacciarone ; recht
gut. Nun komme womöglich zu beiden Concerten und
bringe Deine Damen mit.
Herzlich
J. J.
Von Clara Schumann
Wien d. 3 März 1860.
Also wieder einmal aus der Kaiserstadt, und wieder
ohne Sie, lieber Joachim ! — Und heute, welch herr-
liche Musik macht Ihr, und ich kann nicht dabei sein ! i) —
Ob Ihr wohl meiner dabei auch gedenkt?
Nun, mir geht es sonst aber gut hier! mein erstes Con-
cert war vorgestern — es war ein herrlicher Empfang, ein
nicht enden wollender Applaus, als ich erschien, so daß
ich wirklich ganz gerührt wurde, was viel sagen will bei
mir, denn Sie wissen, was ich vom Publikinii halte. So
gute Concerte wie diese Drei habe ich noch keine hier ge-
geben, es ist schon lange voraus kein guter Platz mehr zu
haben gewesen. Das freut Einem doch! pecuniär steht es
nur leider sehr schlecht hier, denn das Geld hat keinen
Werth, es steht so, daß man ein Drittel verliert. Aber hier
zu musiciren, das ist doch eine Lust, da steigt Einem die
Kraft, man weiß nicht wie.
Ihrer, lieber Freund, habe ich aber nicht nur sehnsüchtig
') Am 3. fand in Hannovci die Aufführung von Brahms' erster Sere-
nade statt.
74 ^on Clara Schumann
bei den Concerten gedacht, sondern auch geschäfthch mit
Spina. Er will diesen Sommer Ihr Duo drucken mit Ver-
gnügen — ich dachte nun aber, für das Vergnügen könnte
er doch auch etwas bezahlen, und sagte ihm daher in Be-
tracht dessen, daß das Werk ein kostspieliges und nicht so
verdienendes sein könne, als z. B. ein Solostück etc., wür-
den Ihre Ansprüche nicht allzu hoch sein, Sie hätten mir
schon gesagt, daß Sie einen Theil des Honorar's gern
mit den Schubert 'sehen Werken aus seinem Verlage ge-
deckt sehen würden, und dachte nun, Sie sollten doch
wenigstens noch so viel verlangen, daß Sie Abschreiber-
kosten der Partitur und Stimmen gedeckt sehen, also etwa
noch 100 Gulden, die jetzt 5o Thaler P. C. geben. Ich
weiß genau, das hätte Robert auch gethan, und ich bin
überzeugt, Spina giebt es^); oder finden Sie es zu viel, so
verlangen Sie 60 Gulden, diese hat Ihnen das Abschreiben
doch sicherlich gekostet, und würde ich das Spina an Ihrer
Stelle auch sagen, denn als Honorar darf das ja nicht an-
gesehen werden. Er trug mir auf, Sie zu bitten. Ihm bald
Alles zu schicken. Wollen Sie mir in der Sache noch auf-
tragen, so wissen Sie, wie gern ich's thue.
Wegen Johannes habe ich gestern auch mit Herbeck-)
gesprochen — er will bei nächster Gelegenheit das Ave
Maria und den Begräbniß- Gesang auffühi'en. Könnte ich
nur mit Eckert 3) wegen der Serenade etwas ausrichten —
jedenfalls versuche ich es. Das Duo v. Schubert bringt nun
Spina*) jedenfalls in einem der ersten Concerte nächsten
Winters heraus, das sagte er mir gleich, als ich davon
^) Er dachte gar niclit daran, schob aucli den Druck auf Jahre hinaus,
törichterweise, denn J. wurde in der Folgezeit von verschiedenen Konzerf-
direktionen um Überlassung zur Aufführung angegangen ; es erschien erst
1873 bei Spinas Nachfolger.
^) artistischer Direktor der Gesellsch. der Musikfieunde.
') Kapellmeister der Wiener Hofoper und Dirigent der philharmon.
Konzerte.
*) Wahrscheinlich verschrieben für Herbeck.
Von Clara Schumann 75
sprach. Hätte ich nur die Partitur der Serenade, denn
natürhch fragt gleich Jeder darnach, der sie aufführen \vill.
Nach Pest weide ich wohl nicht kommen, es sieht gar
so unruhig dort aus.
Ich lege Ihnen einen Aufsatz hei von Hanslick über
Liszt's Prometheus — er wird Sie interessieren — es freut
Einem doch, wenn das Publikum einmal das Herz auf dem
rechten Flecke hat. Ich hätte mögen dabei sein, ich hätte
wollen mitjubeln 1).
Neulich hat Eckert in den philh. Concerten Roberts
Dmoll Symphonie und Ouvertüre, Scherzo u. Finale auf-
geführt, und beide Sachen haben den größten Enthusias-
mus erregt — hätte ich nur dabei sein können ! auch vom
Manfred ist noch Alles voll Entzücken. Warum nur erst
jetzt! Freude und Schmerz empfinde ich immer zugleich,
wenn ich davon höre.
Morgen höre ich im Gesellschaftsconcert drei Lieder für
Chor, die ich noch nicht kenne, da Whistling sie seit Jahren
ungedruckt liegen ließ, und Arnold sie erst jetzt heraus-
gegeben hat. Herbeck spricht mir sehr erbaut davon —
ich freue mich darauf. Was hört und sieht man hier Alles !
Morgen Ruinen von Athen (habe ich noch nie gehört),
Montag Sommernachtstraum, Dienstag Faust (Mephisto:
Lewinsky) und so fort die ganze Woche Interessantes. Nun,
ich muß doch Etwas haben für das Entbehren der Sere-
nade! ich darf heute gar nicht daran denken, dann rührt
sich's in mir.
Bitte, lieber Joachim, schreiben Sie mir darüber und
über Alles sonst, was Sie betrifft — Alles ist mir so lieb,
was ich von Ihnen höre.
^) Vgl. E. Hanslick, Geschichte d. Konzertvvesens in Wien Th. 2, 1870,
S. 200: „Auf Liszt's Prometheus Heß die Gesellschaft der Musikfreunde
unmittelbar und ganz allein Mozart's G-moll-Symphonie folgen ... Es er-
eignete sich der unerhörte Fall, daß nach den ersten vier Takten der all-
bekannten Symphonie das ganze Publikum in jubelnden Beifall ausbrach ..."
76 Von Unbekannt
Ich will eben auch an Johannes nach Hamburg schrei-
ben, da ich fürchte, mein Brief trifft Ihn nicht mehr bei
Ihnen.
So leben Sie denn wohl. Gedenken Sie Ihrer alten ge-
treuen Freundin
Gl. Seh.
P. S. Mein 2'" Goncert ist am 8""" — mein Trioi)!!! was
sagen Sie zu dieser Gourage? (es geschieht zum ersten
Male, daß ich's öffentlich spiele, und wahrhaftig nur auf
dringendes Zureden von vielen Seiten), Edur Sonate v.
Beethoven etc: Das 3'* ist am i5'^" — Davidsbündler, So-
nate Hmoll, Glementi (vielleicht) etc:
Noch 'mal Adieu!
Von Unbekannt
Hannover 5. März [1860].
Brahms Serenade ist ein Monstrum, ein Zerrbild, eine
Unnatur, welche niemals einen Verleger hätte finden,
geschweige denn hier zur Aufführung gelangen sollen:
wir sagen hier, indem uns das im vergangenen Winter auf-
getischte Klavier -Goncert noch in den Gliedern steckt!
Unverantwortlich, daß ein solcher Mist, dem nach guter
Musik dürstenden Publikum ist vorgeführt worden. Das
war eine Stunde — eine Höllenqual, an die man denken
kann. Armer Mozart, armer Beethoven, — wenn Ihr herab
geschaut: wohin ist es mit Euch gekommen!! — Mögten
wir doch für alle Zeiten mit ähnlichen Grimassen verschont
bleiben, wir rufen dem Herrn Brahms, ein einstimmiges
Lebewohl zu und Herrn K.[onzert] M.[eister] [?]: die Ge-
duld der Zuhörer, auf eine nicht zu arge Probe zu stellen,
oder denselben, einen Geschmack aufbürden zu wollen, der
^) Gmoll op. 17.
An Clara Schumann 77
für ein gesundes Menschen Ohr die größte Pein sein
und bleiben würde.
Genehmigen Sie die Hochachtung aller Zukunftsanbeter —
nur nicht die der edelern und besseren
Musikfreunde.
M. H.
An Clara Schumann
[Hannover etwa i3. März 1860.]
Liebe Frau Schumann.
Da Ihr letztes Concert am i5'^" ist, so wird dies Blatt
wohl gerade eintreffen, um anzudeuten, wie gern ich
zuhörte. Wie herzensfroh bin ich, daß meine lieben Wiener
sich so liebenswürdig gegen Sie aufführen; es lockt mich
ganz gewaltig, auch in die Kaiserstadt zu kommen. Nun
nächsten Herbst, so Gott will. Aber Ihrem letzten Concert
wird gewiß ein allerletztes und dann ein Abschiedsabend
folgen; das sehe ich voraus. Brahms wird Ihnen wohl von
seiner Serenade und unserm Zusammensein vorige Woche
schon geschrieben haben. Daß Sie uns sehr fehlten, zum
Anhören und dann zum Mitfreuen, wissen Sie (oder solltens
wenigstens wissen), ohne daß ich's sage. Das Werk hat
entschieden durch sein neues Kleid, aus Metall und Thier-
fellen, gewonnen. So frisch und warm jubeln die Trom-
peten und Pauken, daß man mit einjauchzen möchte im
ersten und letzten Satz. Und das Adagio voll schöner Me-
lodik und tiefer Harmonie gemahnt oft auch im Klang an
die Orgel. Das Orchester konnte leider nur 2 mal 2 Stunden
lang probiren, aber wenn auch bei so entschieden Neuem,
Individuellem, die Wiedergabe an Freiheit und Hingebung
nicht unserm Ideal entsprach, gieng es doch gut und klar.
König und Königin, auch Hauptmann, der hier war, waren
sehr befriedigt, und das Publikum — ziemlich aufmunternd,
78 An Clara Schumann
wie ich's beschönigend nennen will. Es ist das alte Lied:
wo der bloße Name nicht zur Aufmerksamkeit und Hin-
gebung von vornherein zwingt, da sind die Leute zerstreut
oder befangen, abwehrend oder faul. Wenn ich hier bleibe,
werde ich nicht los lassen! Übrigens ist mir, auch wenn
ich an die Stumpfheit des Publikums denke, für Johannes
nicht bange, — Sonnabend komme ich mit meinem Ma-
gyarember-Concert an die Reihe; wie wird mir's gehen?
Daß Sie nicht nach Pesth gehen, thut mir der Eltern und
Schwester wegen leid — Sonst ist wohl die politische
Stimmung ^) der musikalischen zu sehr entgegen. Gott gebe,
daß es künftiges Jahr anders werde, aber mag's kommen,
wie es wolle, ich gehe hin. Daß Spina meine Schubert'sche
Bearbeitung drucken will, danke ich Ihnen herzlich; auch
muß ich Ihrem diplomatischen Geschick wegen „ein Theil
des Honorars" alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Die
40 Rthlr. „Copirkosten" sind gewiß auch mir lieb; dafür
kann man im Sommer ein paar Berge mehr erklettern.
Wie will ich die freien Monate den Sommer genießen und
benützen; Chappells^) erhalten heute von mir Nachricht,
daß ich nicht nach London komme. Ich bin des Paradirens
auf Konzertzetteln schrecklich überdrüssig, und so leid es
mir auch thut, London aufzugeben, bin ich's meiner gei-
stigen und leiblichen Gesundheit schuldig. Wissen Sie schon,
wo Sie den Sommer weilen werden? Lassen Sie mich's bald
hören; auch wann Sie dem König Ihr Versprechen erfüllen,
nochmals gegen's Frühjahr herzukommen. In letzter Zeit
war oft Musik bei Hof, Hauptmann's wegen zweimal, der
König ist auch von dessen Kompositionen „entzückt"
Nur schwärmen scheint die harmlose Devise des liebens-
würdigen Königspaars. H.'s Gmoll Sonate spielte ich auf
spezielle Bitte d, K. mit Wehner, 2 mal! Hätte ich dafür
^) Infolge der Niederlagen Österreichs im Kriege mit Frankreich, die
1867 zum Ausgleich zwischen Gis- und Transleithanien führten.
*) Konzertunternehmer.
Au Robert Franz 79
lieber Ihr Trio hören können; ich entsinne mich eines Fu-
gato im letzten Satz — und daß Mendelssohn ein Mal bei
Freges großen Spaß darüber hatte, daß ich's nicht glauben
wollte, eine Frau könne so etwas componiren, so ernst und
tüchtig! Sie entgehen dem Schicksal nicht, nun auch das
Trio neben den Romanzen aufs Königliche Repertoire auf-
genommen zu sehen ! Könnte ich mein Bennett'sches, halb-
schadenfrohes Lachen mit in den Brief schließen, damit Sie
einstimmten und dabei mit dem Finger dem Ungezogenen
drohten !
Von unserm hier ausgeheckten Protest gegen das Treiben
der Liszt'schen Clique werden Sie durch Job: erfahren
haben. Ihnen wird's recht sein. Es läßt sich viel dagegen
sagen vom Standpunkt der tiftelnden Klugheit — aber mir
ist\s darum zu thun, so kuiz, trocken und einfach auch
öffentlich zu wiederholen, was privatim bloß meine Freunde
wissen ; damit ich klar für alle Zeit von dem Vorwurf der
Feigheit sei. Das Übrige wird die Folge bringen, ist mein
leichtsinniger Nachsatz. — Sonnabend schließen wir mit
der Fdur Sinfonie von Beethoven: Av[> g j ' *8 J ! Die
fröhlichsten Frühlingsgedanken möge der Gedanke Ihnen
erwecken in der herrlichen Kaiserstadt, wo er zuerst ent-
sprang. Adieu für heut, und grüßen Sie Elise freundlich
von mir.
Der Ihrige
Joseph Joachim.
An Robert Franz
Am ai»"^" [März 1860.] Bach's Geburtstag.
Verehrter Freund.
Es scheint mir meine Pflicht nach reiflicher Erwägung,
Sie nicht nur mit dem Inhalte der inliegenden Er-
klärung bekannt zu machen, bevor Sie veröffentlicht wird.
8o An Robert Franz
sondern Sie aufs eindringlichste aufzufordern, Ihre Sanktion
durch Naniensunterschrift mit zu geben. —
Durch den Aufsatz von ßerlioz äußerlich dazu angeregt,
besprach ich jüngst mit Freund Brahms und einigen andern
Kunstgenossen das schädliche Wirken der „Neudeutschen"
durch ihre Werke und die kein Mittel scheuende Art die-
selben zu verbreiten, wozu namentlich auch die heuchle-
rische Weise gehört, sich mit Namen zu brüsten, die zum
Heil der Kunst, Apoll sei Dank! nicht das Geringste mit
den „Neudeutschen" gemein haben. Es schien uns, als wäre
es Lässigkeit, wenn auch wahrlich nicht Feigheit, nicht
längst protestirt zu haben gegen Leute, die in Eitelkeit und
Frechheit alles Heilige, Hohe, das die musikalische Kraft
unseres Volkes bisher erschaffen, gleichsam als Dünger für
die verkrüppelten, machtlosen Wucherpflanzen — Liszt-
scher — Phantasien betrachten. Das Wort Liszt ist her-
aus, so schwer es mir auch wird, diesen Namen, an den
sich viel liebe Erinnerungen, manche verehrungswürdige
glänzende That aus frühester Zeit knüpft, mit einem
öffentlichen Protest gegen Kunstgemeinschaft mit ihm
zu verbinden; aber: Amicus Liszt, magis amica Musica.
Sein Treiben ist jetzt zu unnatürlich verderbenbringend
in der Gonsequenz, die er halb gezogen, halb gesunken fest-
halten muß. Ich begnügte mich vor 3 Jahren etwa, bei
Gelegenheit der Karl August Feier, zu der ich geladen ward,
ihm privatim zu schreiben, daß ich nicht als Neugieriger
oder Heuchler kommen wollte, nicht anders kommen könnte
— es ward mir schwer genug, dem älteren, oft gegen meine
Leistungen so nachsichtigen Mann gegenüber — . Aber trotz-
dem muß ich seiner verderblichen Propaganda wegen als
Hüter einer meinem Herzen am nächsten liegenden Kunst
mit in den Schrei der Nothwehr einstimmen, der nun auch
zu Ihnen dringt. Kräftigen Sie unseren Protest durch das
Gewicht Ihres Namens; er vor allen würde die irrenden
Strebenden von einem falschen Ideal zurückschrecken,
Von Robert Franz 8l
welche durch die KriegsHst der „iXeudeutschen" in dem
Wahn sind, Sie billigten diese Schule, mit der Sie doch nichts
gemein haben. Viel lieber bespräche ich (ungeübt zu schrei-
ben wie ich bin) die Sache mit Ihnen; aber zu einer Reise
kann ich jetzt unmöglich kommen: am 24""' ist unser letztes
Concert, am 27"" habe ich alten Versprechen gemäß in
Bremen und Hamburg zu spielen. Kirchner, Grädener,
Bargiel, Dietrich, Wüllner haben zugestimmt, an Gade,
Rietz, Hiller denke ich auch zu schreiben. Gerne forderte
ich H. V. Saran^) auf, weiß aber seine Adresse nicht. Man
hat mir viel Gutes von seinen Sachen erzählt, und ich hoffe
sie bald aufzutreiben und sie kennen zu lernen. Daß die
BrendeFsche Zeitung gut von ihnen spricht, wie ich durch
einen Freund erfahre (da ich selbst das genannte Blatt nur
manchmal zufällig lese), so ist das eben eines der verwirren-
den, unklaren Manöver, mit welchen sie glauben macht,
Künstler gehörten zu ihrer Partei, welche ihre Tendenz
verdammen müssen.
Als Freund und Lehrer Sarans sind Sie wohl so gütig,
ihm die Erklärung bekannt zu machen, wenn er in Halle
weilt. Ich habe Ihnen, verehrter Freund, noch die ange-
nehme Mittheilung zu machen, daß ich, angeregt durch Ihre
Sympathie für meine Bearbeitung des Schubert'scheu Duos,
dieselbe Spina angeboten habe, welcher sie drucken will.
Sobald Sie die Partitur entbehren können, schicken Sie
mir sie wohl, und wenn Ihnen irgend etwas beim Anhören
aufgefallen ist, das geändert werden könnte, so theilen Sie's
freundlich mit: es sind denn doch über 4 Jahre, daß die
Arbeit von mir gehört ward.
In der angenehmen Aussicht bald von Ihnen zu hören,
Ihr aufrichtigst ergebener
Joseph Joachim.
*) Aug. Fried. S., geb. i836 bei Genthin, gab iSyS die Schrift heraus
,R. Franz und das deutsche Volks- u. Kirchenlied".
82 Von Robert Franz
Von Robert Franz
Halle d. 2 3"=" März 60.
Mein sehr lieber Freund!
Sie werden es mir hoffentlich nicht als Schwäche oder
gar Feigheit auslegen, wenn ich Anstand nehme, dem
mitgetheilten Proteste beizutreten. Zwar finde ich ihn durch
die Verhältnisse gerechtfertigt u. erblicke in ihm eigentlich
nur einen Akt der Nothwehr — dem ohngeachtet verbieten
mir persönliche Gründe, mich von L. öffentlich loszusagen.
Dazu erfahre ich noch, daß L. seit geraumer Zeit, in Folge
vieler bitterer Erfahrungen, mit der Welt wie zerfallen ist
— sicherlich würde er durch einen neuen Schlag in noch
trübere Zustände versetzt werden. Derartige sentimentale
Erwägungen müßten jedoch schweigen, könnte ich mich
überzeugen, daß der Kunst durch die „Neudeutschen" auf
die Dauer ernste Gefahr drohe. Zwar wird sich der oder
jener eitle Schwächling in das tolle Lager hinüber ködern
lassen — dem kann durch keinerlei Maßregeln gesteuert
werden — geht aber an solchen Individuen der Kunst viel
verloren? Ich glaube kaum ! Außerdem lebe ich der festen
Überzeugung, daß Lug u. Trug den vernünftigen Entwick-
lungsgang der Welt langhin nicht zu stören vermag: Wahr-
heit u. Schönheit leuchten ja durch ihren Gegensatz nur
um so strahlender! Trügen nicht alle Anzeigen, so sind
wir diesem erwünschten Ziele näher wie je: — die Zukunfts-
musik hat sich durch ihre eigene Jämmerlichkeit vollstän-
dig gerichtet und wird fürder nur dazu noch nützlich sein,
das Echte unverhüllter zu zeigen. Dies alles zusammen-
gefaßt, zürnen Sie mir über meine Zurückhaltung sicherlich
nicht, da ich überdieß kaum annehmen darf, durch meine
Person die gegenwärtige Lage der Dinge wesentlich mit
ändern zu helfen. Zudem ist mein ganzes Leben ein fortge-
setzter Protest gegen „Jung- Weimar" — der Unbefangene
Von Robert Franz 83
muß davon längst ohne meine Versicherung überzeugt
sein. —
Große Freude hat es mir gemacht, daß Ihre Bearbeitung
des Schubert'schen Duo gedruckt wird. Darf ich Sie bitten,
mir die Partitur noch auf kurze Zeit zu lassen? Der Copist
ist noch nicht ganz fertig — ich habe ihn aber angetrieben,
sem Geschäft möglichst zu beschleunigen. Sollten Sie da-
gegen keine Frist geben können, so erhalten Sie Alles um-
gehend mit einigen jDersönlichen Bemerkungen zurück. —
Demnach freue ich mich herzlich über Ihre Theilnahme
an Saran. In dem steckt ein ungewöhnliches Talent, das
wohl der nachdrücklichsten Aufmuntrung werth sein dürfte.
Leider lebt er in ziemlich gedrückten Verhältnissen — als
temporisirender Schulmeister an dem hiesigen Waisenhause!
Ihr Schreiben habe ich ihm mitgetheilt — aus gerecht-
fertigter Bescheidenheit lehnt er aber einen öffentlichen
Protest ab. —
Schließlich bin ich weit davon entfernt, mit meinen Be-
denklichkeiten bestimmend auf Ihre u. der Übrigen Ent-
schließungen einwirken zu wollen: einen Schritt, wie den
vorliegenden, hat die Brendersche Clique längst doppelt
u. dreifach verdient. Meine Stellung zur Sache ist eine rein
persönliche u. daher völlig gleichgültige. Wäre ich L. nicht
zuviel Dank schuldig — er hat sich stets edel u. uneigen-
nützig mir gegenüber gezeigt — so wäre es ein ander Ding,
u. mit aller Wonne würde ich meine jahrelange Liebe:
„den großen Franz Brendel" in den Misthaufen zurück-
schleudern helfen, aus welchem er frech gekrochen ist.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
Roh. Franz.
84 An Clara Schumann
An Clara Schumann
[Hannover i 3"" April 1 860.]
Liebe Frau Schumann.
Natürlich will ich an Ghappell schreiben; nur fürchte
ich, daß es nicht viel nützen kann. Sein Interesse ist
es zu sehr, für Künstler thätig zu sein, die ihm Jahr aus
Jahr ein dienstlich für seine Unternehmungen sind, als
daß er viel Mühe daran wenden sollte, einer fremden, noch
so bedeutenden Erscheinung zu nützen. Indeß schaden
kann's ja auch nicht ! Also Sie werden doch wahrschein-
lich wieder das liebe Insulanervolk aufsuchen? Ich habe
zu Zeiten ordentlich Heimweh nach den alten schönen
Bäumen in manchen Squares und nach dem buntbewegten
Leben und der eigenthümlichen Einsamkeit, die einen ge-
rade in dem Gewühl beschleicht und nach den Park's hin-
zieht. Kurz, es ist doch vieles herrlich in dem dear, dear
London! Aber ich will fest dabei bleiben, diesen Sommer
herzhaft zu arbeiten und im Herbst nach Wien und Pesth
zu ziehen. Einstweilen bleibe ich hier, habe aber zugesagt,
Pfingsten in Düßeldorf zu spielen. Wäre ich nicht durch
ein Versprechen, in Hildesheim zu spielen (für den alten
Heinemeyer), nächste \Voche hier gefesselt, ich hätte Sie
am Ende in Dresden aufgesucht. — Morgen ist der Königin
Geburtstag und letztes Quartett. Wir spielen Es dur v.
Mozart, A moll von Roh. Schum. und C moll von Beeth.
Wenn Sie herkommen und zeitig genug schreiben, möchte
ich trachten, Ihnen das Ungar. Goncert u. vielleicht das
Schnbert'sche Duo zu spielen, das ich gern hörte (bevor
ich's an Spina sende), oder Brahms' a"" Serenade. Ver-
sprechen kann ich's freilich nicht.
Grüßen Sie die Dresdner Freunde, namentlich Rietz.
Der Ihrige
J. J.
Von Claia iSchumann 85
Von derselben
Berlin d. 2.5 April 1860.
Lieber Joachim,
Ich gehe nicht nach England, fühle mich physisch und
moralisch zu sehr abgespannt — andere Gründe sage ich
Ihnen später mündlich. Sehen werde ich Sie nun erst im
Mai — wird da auch noch Hoffnung zu einer Probe sein?
nun, auf Quartett hoffe ich mindestens. Der Entschluß mit
England ist mir schwer geworden, daß ich aber zum Musik-
fest jetzt in Düsseid. sein kann, freut mich sehr.
Haben Sie vielen Dank, daß Sie gleich zu Graf Platen
gegangen sind. Mit dem Hof aber, wie kurios! Sind Sie
wieder einmal in Ungnade?
Erschrecken Sie nicht über den furchtbaren Briefe) hier,
lesen Sie ihn aber, und dann rathen Sie mir. Ich kann
doch nicht dahin gehen, um ein solches Fest mit den Men-
schen zu begehen, die ich aus tiefster Seele (als Musiker)
verachte. Soll ich unumwunden meine Herzensmeinung
aussprechen? Machen diese Weimaraner sich nicht überall
herbei, wo's gilt sich großthuen mit Roberts Kameradschaft?
wüßte ich nur kurz und bündig, aber fein dabei, mich aus-
zusprechen. Meinen Sie überhaupt, ich gehöre zu solch
einem Feste? mein Gefühl sagt mir, daß ich als Frau gar
nicht dahin passe, auch wenn nicht die Weimaraner dabei
wären. Ist es nicht eine Selbstquälerei? kann ich gleich-
gültig dabei sein? mein Gefühl aber zur Schau tragen bei
solcher Gelegenheit, um Alles nicht! also ist's doch in jedem
F'alle eine schiefe Stellung. Soll ich nun Dieses oder das
Andere offen sagen? Bitte, rathen Sie mir! —
Wie steht's denn mit der bewußten Erklärung? könnte
ich mich da nicht auch mit unterschreiben? bin ich auch
^) eine Einladunjj zur Scliuinaniil'cier in Zwickau am 7. — S.Juni; vgl.
Kalbeck I* S. 4io.
86 An Clara Schumann
nicht producierend, so doch reproducierend. Da wüßten's
die Leute auch von mir und frügen nicht immer.
Senden Sie mir den Brief zurück, recht bald, und Ihre
Meinung. Seyn Sie nicht bös, lieber Freund, die Sache ist
aber doch zu wichtig, als daß ich sie ganz ohne Freundes-
rath erledigen möchte.
Ich bleibe noch 8 — lO Tage hier — dann, hoffentlich,
sehe ich Sie.
Mit herzlichstem Gruße
Ihre
getreue
Cl. Seh.
An Clara Schumann
[Hannover, Ende April 1860.]
Liebe Frau Schumann.
Verzeihung, daß ich nicht gleich schrieb; indeß da das
beabsichtigte Fest des Zwickauer Herrn (oder Herrn
Zwickauer) erst im Juli sein sollte, so pressirte es am Ende
nicht. Ich bin natürlich ganz Ihrer Meinung: nicht Theil
zu nehmen. Zu den Gründen gehört namentlich auch die
Anwesenheit „Weimar 'scher Koryphäen". Hätte man letztere
nicht von vornherein erwähnt, und kämen sie bloß wie
der Rest des Publikums verehrend, theilnehmend oder neu-
gierig, Sie könnten nicht aus der Anwesenheit der Herrn
Anlaß zur Ablehnung nehmen ; aber indem die Veranstalter
Ihnen officiell gleich bei der Bitte um Mitwirkung mit-
theilen, daß die Liszt'schen vertreten sein würden, da ferner
einer der Wortführer dieser Leute im Gomite sitzt, so hieße
anzunehmen eine Bestätigung geben für die Annahme
Unwissender und Urtheilsloser, daß Schumann mit den
neuesten Fortschritten zur Unmusik gemeinschaftliche Sache
gemacht habe. Bei der Unredlichkeit und Zudringlichkeit
An Clara Sclmmann 87
vieler zu Weimar gehörenden Persönlichkeiten würde man
nicht verfehlen, dies auf's rührigste auszuheulen. Aher auch
abgesehen davon, finde ich, daß sich die Herren vom Ko-
mite nicht sonderlich anstrengen: eine Gedenktafel am
Hause, und eine Gedecktafelei im Wirthshause — Wär's
eine Büste oder die Aufführung des Faust ! Aber so sollen
Sie auch noch das Einzige bedeutende Künstlerische dazu
leisten. So feiern wir, Gott sei Dank, Schumann oft in unsern
vier Pfählen und brauchen nicht eine Reise zu unternehmen.
Wäre gemüth volle Wärme und nicht „eitler Stolz" das
Motiv, so sollten die Herrn ganz bescheiden und demüthig
das Wenige, was sie thun können, darbringen, eine Gedenk-
tafel setzen und die wirklich in herzlicher Beziehung zu
Ihnen stehenden nähern Freunde zusammen bitten, das
könnte gemüthlich erhebend sein. Übrigens fände ich den
„Stolz" ohne Eitelkeit auf das „berühmte Stadtkind" ganz
in der Ordnung, nur müßte man sich hübsch zusammen
nehmen und etwas hervorbringen, das von gehobenem Be-
wußtsein Zeugniß giebt.
Sie werden wohl den Herrn in Zw. geantwortet haben
— sollten Sie aber erst auf meine Meinung gewartet haben,
(eine Ehre, die ich kaum verdiene), so möchte ich sagen,
daß: so freundlich und angemessen die Absicht der Herrn
sei, ihre Theilnahme zu bezeigen, Sie eine Betheiligung bei
der vorgeschlagenen Feier dankend ablehnten, da es Ihnen
unmöglich wäre, bei einem Anlaß mitwirkend vor das
Publikum zu treten, der Ihre Empfindungen so heftig er-
schütterte. Aber auch in künstlerischer Beziehung würde
das Zusammenwirken und Feiern mit „Koryphäen der
Weimar'schen Schule", deren Betheiligung man Ihnen
officiell mittheilte, dem Geiste Schumann's zu sehr wider-
sprechen, der seine Abneigung und Mißbilligung eben
dieser Schule zu oft und nachträglich ^) ausgesprochen hätte,
^) Selbstgebildetes [?] Wort im Sinne von „nachtrachtlich" = eifrig,
nachdrücklich.
88 Von Clara Schumann
als daß Sie einen Zweifel darüber haben könnten. — Über
den Protest habe ich nichts mehr erfahren — Franz lehnte
ans sentimentalen Rücksichten gegen Liszt ab, andere ver-
klausuliren sich, kurz, da doch nicht an ein würdig ernstes
Auftreten en masse zu denken ist, so muß eben jeder für
sich arbeitend suchen, einen dauerhaftem, im Grund noch
wirkungsvollem Damm durch Werke zu errichten. — Daß
Sie nicht nach London gehen, ist mir für Sie lieb; Ruhe
wird Ihnen gut thun, und ich darf so auch hoffen, Sie
öfter zu sehen. Der König erwartet Sie, wie er mir neu-
lich sagte, mit großer musikalischer Ungeduld. Für die
Probe mit Orchester ist der Mai jedenfalls günstiger . . .
In herzlicher Ergebenheit
Joseph Joachim.
Von Clara Schumann
ßerün d. 3 Mai 1860.
Lieber Freund,
Herzlichsten Dank für Ihren lieben rathenden Brief. Ich
hatte allerdings mit meiner Antwort auf Ihre ge-
wartet, und das war sehr gut, denn so schön hätte ich es
gar nicht schreiben können, wie Sie es mir gesagt, so recht
nach meinem Sinn, kurz und kräftig und doch fein dabei.
Morgen soll gleich die Antwort fort. Nochmals Dank.
Nun muß ich Ihnen aber von mir erzählen: denken Sie,
ich war gerade bei Job:, als Ihr schönes Mozart-Geschenk
ankam. Johannes hatte mich so dringend gebeten, zu seiner
letzten Frauenvereinigung anwesend zu sein, daß ich nicht
widerstand. Ich blieb da bis Dienstag, gehe aber am Sonn-
tag wieder bis zum Musikfest in Düsseldorf nach Ham-
burg, er wünschte es so dringend, und auch mir ist es ja
eine Freude! Ich wollte Ihnen aber nun einen schönen
Vorschlag machen! Kommen Sie (ohne Job: davon zu
schreiben, von mir weiß er auch den Tag nicht) Sonn-
An Clara Schiunann 89
>fag Abend an, bleiben Sie im Hotel Petersbuiff die eine
Nacht (ich habe mich nämlich dort eingemiethet), und Mon-
tag früh, als am 7"", lassen Sie uns zusammen Ihm unseren
Geburtstag-Gruß bringen. Das wäre herrlich — wollen
Sie? Mittwoch hat er seinen Verein, und Donnerstag
(wenn Sie überhau[)t nach Hannover /Airück wollen) gehen
wir zusammen dahin, wenn Sie nämlich wirklich an einem
der Tage die Probe veranstalten können, denn, wegen des
Königs konnne ich nicht, das ist nur nebenbei. Vielleicht
geht dann Job: mit, wenn nicht, so nehmen Sie mit mir
allein fürlieb, — Freude machen Sie mir für Zehn und
mehr! —
Sollten Sie nun aber nicht nach Hamburg kommen
mögen, so stehe ich jeden der Tage nach Mittwoch be-
reit, zu Ihnen zu kommen, also könnte die Probe Freitag
oder Sonnabend, oder Sonntag sein. Montag ist wieder
Verein, da habe ich versprochen, immer dabei zu sein,
Bitte, schreiben Sie mir gleich; dann erhalte ich Ihre Ant-
wort noch am Sonnabend, nur Wenig, Ja oder Nein (oder
vielmehr nur Ja), und den Tag, wo ich in Hannover sein
soll.
Der Zug geht gleich ab, daher in großer Eile nur noch
herzlichsten Gruß. Bitte kommen Sie, wenn's irgend
geht. Im Hotel Petersburg (Jungfernstieg) finden Sie mich.
Getreu
Ihre
Gl. Seh.
An dieselbe
[Hannover 5. Mai 1860.]
Liebe Frau Schumann.
Ich wollte bei Hof, da ich für Leipzig u. Düßeldorf Reise-
erlaubniß nachholen muß, nichts von Hamburg sagen,
sondern so hinrutschen. Nun inliegende Störung unserer
90 Von Clara Schumann
Kleeblattfeier! Ich dachte ganz sicher zu sein, da der König
gestern nichts sagte. Indeß werdet Ihr auch ohne mich in
Hamburg froh sein, so leid es mir immer thun mag, nicht
dabei zu sein. Das herzlichste an Johannes, dem ich morgen
schreibe, wenn ich nicht komme.
Das Leipziger Klatschblatt i) hat denn also schon losge-
keift, ganz wie Fisch weiber thun, oder Eckensteher; noch
bevor wir veröffentlicht ! Das möge uns die Gemeinplätze,
falschen Stimmführungen und Querstände andeuten, die
auf dies Vorspiel folgen sollen.
Never mind!
Der Ihrige
J. J.
Von Clara Schumann
Hamburg d. 8. Mai 1860.
Lieber Joachim,
Das war ja eine rechte Enttäuschung, nach Ihren Zeilen
nach Berlin diese Depesche, die ich, in freudiger Hoff-
nung, sie werde mir die Stunde Ihrer Ankunft melden,
öffnete, dann Ihre Zeilen, die mir alle Hoffnung benahmen,
und die bittere Pille „indeß werdet Ihr in Hamburg auch
froh ohne mich sein" noch hinteidrein ! ei, wie garstig!
Sagen Sie mir nur, ich begreife das nicht, wozu brauchen
Sie jetzt Urlaub, Sie haben ihn ja ohnehin? wollen Sie
denn von Düsseldorf wieder zurück? werde ich denn den
Sommer gar nicht irgendwo mit Ihnen sein können? Job:
hatte mir gesagt, Sie kämen gewiß auch hierher in dieser
Zeit! Vielerlei möchte ich noch fragen, doch ich sehe Sie
ja wohl bald?
*) Eine Parodie des Protestes, der noch ungedruckt war, stand in der
Brendelschen AHg. Musikzeitg. v. 4- Mai. Vgl. Kalbeck, i. Aufl., Bd. I,
423 ff. Otto Jahn hatte H. v. Bülow einmal in den „Grenzboten" einen
„betrunkenen Eckensteher" genannt.
An Her man Grimm 91
Meine Überraschung mit Johannes ist mir ganz geglückt,
er hatte keine Ahnung, daß ich früher als mit dem Nach-
mittagzug am 7""" eintreffen ^vürde. Er hatte mir, zur
großen Überraschung, seine 2"^ Serenade vierhändig arran-
giert, und ganz reizend. Was ein prächtiges, frisches Werk
ist das, wie muthet Einem Alles an ! und welche Meister-
schaft dabei in Form und Charakteristik. Nun, Sie wis-
sen's besser als ich! ach, wie gern hörte ich sie bald in
ihrer ursprünglichen Gestalt, imd Ihr Concert, wovon Joh:
mit Entzücken immer spricht. Spielen Sie es auf dem
Musikfest? . . .
Herzlichst
Ihre Gl. Seh.
An Herman Grimm
[Hannover, 9. Mai 1860.]
Lieber Herman.
Ich habe die Bitte an Dich, Kaulbach, der jetzt wieder
in Berlin ist, freundlich zu sein, wenn seine Persönlich-
keit Dir nicht von vornherein widerstrebt, was ich nicht
glauben kann, wenn auch seine Werke Dir nicht zusagen
mögen. Meine Bitte zu inotiviren, gebricht mir in diesem
Moment die Zeit, aber nur im Allgemeinen, daß ich ihm
unter dem Druck trüber Erlebnisse den wohlthätigen Ein-
fluß eines Mannes gönne und wünsche, dem man anfühlt,
daß geistiger Gehalt seine Laufbahn bestimmt. Ich will
damit keinen Wechsel auf Deine Zeit ausstellen, den Du
aus freundschaftlicher Schonung acceptiren sollst — der-
gleichen darf man nicht; aber nur nicht von vornherein
abwehrend w ünscht' ich Dich, da bei einer etwas sensiblen
Natur wie K. ein Schmerz statt der Freude erwachsen
könnte, die Dein und der Deinen edles Dasein zu gewähren
ihm vielleicht im Stande ist. ...
J. J.
92
Von Otto Goldschmidt
An Otto Goldschmidt
rano Fidel !
soprano r idel !
^gg^
^E^glS
[Hannover] Am 9"=" Mai [ 1 860].
Mein lieber Goldschmidt
Mit diesem heitern Sang, den ich noch immer von
unserer Reise i) her oft unwillkührlich höre, grüße
ich auch Dich wieder nach so langer Pause. Ich habe mich
Deines Grußes durch meinen Bruder recht erfreut; nament-
lich that mir wohl, daß Du und Deine liebe Frau bei Ge-
legenheit der Reise nach Schweden an ein Zusammensein
mit mir denket. Mein erstes Gefühl war, unbedingt mit zu
reisen, und den alten Lindblad mit Euch aufzusuchen —
aber nun ich an die Ausführung ausführlich denke, an
meine Unkenntniß der Sprache, an die Last, die ich da-
durch den Freunden bereiten muß, die dadurch doppelt
bei ihrer Güte an mich gefesselt wären etc. etc., kömmt
denn doch die Reflektion und will meinem Enthusiasmus
die Flügel nachträglich ein wenig stutzen. Das Beste wird
wohl sein, ich spreche Dich selbst erst einmal über die
Sache, denn dazu wäre die schönste Aussicht, wenn Du,
wie mir Deine Mama erzählte, im Juni wirklich nach
Hamburg kommen willst. Dann mußt Du ja über Hannover;
oder noch schöner, wir träfen in Düsseldorf beim Musik-
fest zusammen und hörten wie in Leeds mit einander!
Was meinst Du dazu? Gar zu gerne spielte ich auch bei
^) nach Irland mit Otto G. und Jenny Lind im Herbst 1869, auf der sie
die von Goldschm. und Joachim komponierte Fantasie über irische Melodien
spielten; sie ist erhalten (z.T. skizziert) und ungedruckt geblieben ; vgl. S. 61.
Von Otto Goldschmidt 98
dieser Gelegenheit Dir und Deiner Jenny mein Concert, das
ich diesen Winter gänzlich umgeschrieben habe und das
nun, wie ich glaube, meiner Liebe zum Geist der ungari-
schen Musik mehr entspricht, als damals im Philharmonie.
Daß Du noch au eine Herausgabe unseres Irischen Duos
denkst, ist jedenfalls ein gutes Zeichen für dasselbe. Ich
muß gestehen, daß ich eigentlich kein Urtheil darüber habe;
damals machte mir die Sache an sich, so etwas frisch Ge-
backenes dem Publikum vorzusetzen, und was damit an
Freuden und Leiden zusammenhieng, Spaß! Nun müßt
ich's erst nochmals hören, um zu wissen, ob's mehr als ein
Gelegenheits-Stück war; ohnehin eilt's nicht damit, denn
für den Verleger ist's jedenfalls günstiger, wenn wir's kurz
vor der Vei'öffentlichung zusammen in London gespielt.
Bitte, vergiß nicht, es in den Koffer zu thun, wenn Du von
dort fährst, damit wir es prüfen können. — Ich bin eben
im Begriff, auf einige Tage (vielleicht 6 — 8) nach Leipzig
zu fahren. Ein Sprung, der sich schon in Irland zeigte,
hat meiner Violine die Behandlung von Bausch in Leipzig
nöthig gemacht. Die Operation ist aber zum Glück gefahr-
los. Lieb ist es mir, bei dieser Gelegenheit Kiengel wieder
zu sehen. Eine andere mit Dresden zusammenhängende
Kunsterscheinung wird Dich wohl aufgesucht haben; ein
dort im Klavierspiel gebildeter amerikanischer Knabe, der
von Kaskel an Dich empfohlen ist, wie mir sein Vater
mittheilte. Der 1 3jährige Junge heißt Denck, und da er
Anlage hat, (namentlich technisch) fleißig gewesen ist und
mich an mein armes Selbst erinnert, als ich auch gerade
so alt in das riesige London hineinzog und guter Hülfe so
bedürftig war, möchte ich ein empfehlend Wort nicht ver-
säumen. Sei so gut und lasse Dir von ihm etwas spielen,
der Knabe wird Dir durch sein bescheidenes, liebes, kind-
liches Wesen von vornherein gefallen . . .
94 An Herman Grimm
An Clara Schumann
[Hannover i8. Mai 1860.]
Verehrte Freundin.
Bitte, schreiben Sie mir doch ja ein Wort, ob x\ussicht
vorhanden ist, daß Sie vor Düßeldorf noch hieher
kommen. Der König fragt jedesmal, ob Sie auch Ihr Ver-
sprechen, im Frühjahr zu kommen nicht vergäßen, wo Sie
wären, wann wir wieder bei ihm spielten! Auch gestern
noch. Sonntag muß ich wieder hin, nach Herrenhausen.
Meine Violine ist durch die Reparatur, wie das gewöhnlich
nach einer solchen zu sein pflegt, schwerer in der Ansprache,
und ich muß viele Stunden täglich drauf arbeiten, um sie
zum Fest zurecht zu spielen. Also kann ich nicht nach
Hamburg, denn dort könnte ich unmöglich mehrere Stun-
den täglich üben. Gern möchte ich Ihren Rath diesmal
wegen Zwickau. Soll ich auf das gedruckte Circular ant-
worten, da ich wüßte, daß Sie nicht hingiengen, schiene
mir auch, als ob Sie das Ganze nicht guthießen? Das gienge
doch wohl nicht. Im Circular ist eigentlich nichts Takt-
loses; anders war es mit dem Brief an Sie. Was wird Jo-
hannes thun? Wir müssen jedenfalls entweder beide hin,
oder beide schreiben, weßhalb wir nicht kämen. . .
An Herman Grimm
Hannover, Sonntag [30. Mai 1860].
Lieber Herman.
Am liebsten zöge ich mit durch so viel unbekannte
Städte und wünsche nun gefesselt wenigstens Dir die
beste Laune und feste Körperkraft. Ich wäre in diesen
Tagen doch kaum gekommen, hoffe aber sehr auf die Zeit
nach dem Musikfest, um Euch wieder zu sehen. Werden
An Herman Grimm yS
dann die Kartons noch zu sehen sein^)? Vom Brief des ehr-
würdigen Mannes habe ich aus Deiner gedruckten Ankün-
digung seiner Schätze vernommen; ich freue mich darauf,
wenn Du ihn mir zu lesen giebst. In Berlin. Eine Aner-
kennung und ein Verständniß Deines Strebens hat mir
unerwartet in Leipzig große Freude gemacht, von Seiten
eines alten Lehrers 2) von mir; nicht Kiengel, von dem ich
Dir wohl bisweilen gesprochen, sondern ein viel älterer
Mann, der schon seit zwanzig Jahren fast wie ein Einsiedler
auf der Sternwarte wohnt, den ganzen Tag Bücher corri-
girt, um unabhängig zu leben, und deßhalb höchstens ein
Mal in der Dämmerung zu den Menschen herabsteigt, weil
er dann doch nicht arbeiten kann, um spazieren zu gehen.
Er war früher Theologe, hat aber, da seine Ansichten nicht
ganz mit den auf der Kanzel geforderten übereinstimmen,
die Unabhängigkeit einer Anstellung vorgezogen, obwohl
er nicht nur Sinn für die Gesellschaft hat, sondern auch
als Tenorist mit schöner Stimme und gebildeter Musiker
von allen Seiten verhätschelt ward. Auf Mendelssohn's
Empfehlung hatte er mich als Schüler im Latein und bib-
lischer Geschichte angenommen, und ich kletterte denn
mehrmals wöchentlich zu ihm hinauf, wirklich und bild-
lich. Dieser nun brach, als zufällig Dein Name erwähnt
ward, und ohne zu wissen, wie nah wir uns ständen, in
das wärmste Lob für Dich aus, dessen edle, feine, männ-
liche Sprache (ich citire bloß,) und tiefe sittliche Anschau-
ung, die er nur aus den Aufsätzen im Morgenblatt kennt,
ihn auf eine durch und durch bedeutende Persönlichkeit
schließen ließen. War's da nicht schön, als ich ihm Deinen
*) Die Ausstellung der Kartons des in Deutschland damals fast ver-
gessenen Cornelius wurde den Bemüliungen H. Grimms und AI. v. Hum-
boldts verdankt, vgl. darüber und über Grimms persönl. Verhältnis zu
Cornelius: i5 Essays N. F. iSyS, S. 5oo ff ; die Erklärung Grimms wieder
abgedruckt in : Zehn ausgew. Essays.
^) Magister Hering, vgl. über ihn Moser I, S. 46 u- Gartenlaube 1882,
S. 267 ff, wo auch ein Holzschnitt nach d. Gemälde M. Lümmels.
96 An Jenny Lind-Goldschmidt
Aufsatz über Cornelius mittheilen konnte, den Du mir
eben geschickt, und ihm sagen konnte, weßhalb ich
seine Wärme ganz verstände? Gestehe, es passirt noch
manchmal ganz Erlebenswerthes — Daß Ihr von meinem
Concert Gutes gelesen, ist mir sehr lieb; ich habe keine
Zeile darüber gesehen. Aber allerdings viel Freundliches
gesagt bekommen; am schönsten vom Orchester hier, das
mir ganz gegen seine sonstige sich verklausulirende Mei-
nungsverschiedenheit nach der Probe einen hellen, freudigen
Tusch brachte. Ich muß gleich nach Herrenhausen, zum
armen, blinden König. Willst Du mir untervsegs sagen,
wie's Dir geht, und mir dadurch ein bischen Mitgenuß an
Deiner und Deines Apapa Reise gönnen, so thu's poste re-
stante nach Düsseldorf. Ich reise Donnerstag hin. Ich will
der Gisel, die ich von Herzen grüße, schreiben, wie's mir
dort ergeht.
Leb' so wohl, wie ich's wünsche.
D.
J. J.
Kaulbach war also richtig nicht bei Dir! Nun, ich meint's
gut mit ihm.
Von Jenny Lind-Goldschmidt
Argyle Lodge il\. May 1860.
Lieber Herr Joachim (ohne Titeln)
's hat uns sehr gefreut, wieder einmal direct von Ihnen
E^
zu hören, da wir sonst geglaubt hätten, wir wären
bei Ihnen ganz vergessen worden sammt unsere letzte Reise
— worunter Sie doch unter meinen Mütterlichen Schutz sich
gestellt hatten ! ! Indessen — ich glaube an einer Natur
wie die Ihrige — ich weiß, wie sie ist — und daher können
Sie schweigen oder sprechen, wir w erden Sie immer gleich
lieb behalten. Nun muß ich Ihnen mein Unglück mittheilen
Magister Hering in seinem Studierzimmer
1880 gemalt von Martin Laniniel für Johann Anibrosius Barth
Von Elisabeth Ney 97
— 2 mal bin ich diesen Winter nach London gewesen, um
Musik zu hören, und was war mein grausames Schicksal?
Die Tartinische Sonate (d. h. Ihre Sonate) und das Men-
delssohnsche Concert (ebenfalls Ihr Concert, Herr Musik-,
Concert- und Ehren-Director!) von Herrn X. zu hören!
pfui! pfui! das war mir sauer — und heute will ich auch
weiter nichts sagen — als daß jede Note von Ihnen mir
im Herzen klingt — und Sie machen keine Pause — oder
irgend sonst was, was ich nicht fühle und weiß, daß: nur
so war es gemeint! ja! ja! Sie sind begabt mit etwas
musikalischer Noblesse, Sie schlechter Violin-Spieler. —
nun — willkommen nach Schweden, falls Sie sich ent-
schließen hinzugehen . . . Gott sey mit Ihnen.
Ihre ergebene
Jenny Goldschmidt,
Von Elisabeth Ney
Berlin d. 4/6 1860.
ein lieber, verehrter Freund! Nur ganz Außerordent-
M
liches konnte mich bewegen, mehr als mein Ver-
sprechen gegen Sie zu erfüllen: zu schreiben, wenn ich
einen Ort verließe. Die Nachricht hat mich heut getroffen,
nach der ich all die Tage gesucht: Glänzend ist Ihr Werk^)
dem Vergessensein mit Einem Male enthoben, jauchzend
hat das Volk, für das Sie gearbeitet, es hingenommen! —
Wie dank ich den Leuten allen, die mir wie aus der Seele
gesprochen, u. wie neide ich sie nur um des Glückes willen,
das ihnen geworden. Mir ist es damals wie ein Erlebniß
gewesen, ein großes gewaltiges, als ich es zum erstenmale
gehört. Erfüllt mich jetzt doch die Gewißheit, daß Sie ge-
tragen von den Seelen dieser Menschen alle, im Fluge
^) Bezieht sich auf das Unfjar. Concert und seine Aufnahme in Düssel-
dorf beim Musikfest am 29. Mai.
98 An Herman Grimm
weiter u. weiter den Geist der Ewigkeit uns hernieder-
bannen. —
Genug. Sie brauchen mir nicht zu erwiedern, mir nicht
zu danken für meine Theilnahme. Daß sie Ihnen Heb ist,
haben Sie mir gesagt, das ist ja das Wenigste, was wir
Ihnen wieder schenken können.
Ehsabeth Ney
Den Sommer bleibe ich hier. Schreiben Sie, wohin Sie
gegangen sind.
An Herman Grimm
[Hannover] Am 10'*". [Juni 1860.]
Lieber Herman.
Die beifolgenden Photographien sollten schon vor mei-
ner Düsseldorfer Reise fertig sein, kommen aber nun
hoffentlich auch nicht unwillkommen. Die Photographie
der Madonna ist nach einer Zeichnung, die Preller von
dem Michel-Angelo'schen Werk in Brügge gemacht hat.
Ich bin erst seit letzter Nacht um 12 Uhr zurück, und
freute mich Eures Empfangs mit der Constantia. Müde
wie ich war, wollte ich zuerst gleich einen guten Zug zur
Stärkung aus der Flasche thun, kräftigte mich aber lieber
mit dem Entschluß, sie mit nach Berlin zu nehmen und
mit Euch gemeinschaftlich aus zu s — chlürfen. Wie lange
werden Cornelius' Bilder noch zu sehen sein, und wann
käme ich am gelegensten? Ich kann von jetzt an immer
auf ein paar Tage. Wenn ich nicht irre, ist der Meister
z. Zt. selbst in Berlin.
Ich war mit Frau Schum. u. Töchterchen, Bargiel, Brahms
u. Stockhausen im Aarthal, in der Eifel u. am Laacher-See,
an Schumanns Sojährigem Geburtstag am 8. Juni in Bonn.
Von dem argen Regenwetter wurden wir oft tüchtig ge-
plagt; die Bergluft that aber doch wohl. Hannover wird
An Julius O. Grimm 99
mir immer unangenehmer; so wenig mich die poHtischen
Ungebührhchkeiten ^) auch angehen und treffen, es ist mir
doch zu Muth, als spielt' ich mit imreinen Fingern Geige,
wenn ich zu Hof commandirt werde. Pfui. Stinnerreb' !
Grüße Rudolf von mir und bitte vergiß nicht ihm zu
sagen, daß ich in Düsseldorf noch in seiner Wohnung ge-
wesen bin, ohne ihn aber leider mehr anzutreffen. Von
Dir zu hören hoffend
Euer getreuer
J. J.
An Julius O. Grimm
[Hannover, i3. Juni 1860.]
Liebster Ise
Bis jetzt hätte ich wirklich noch gar nicht kommen
können! Sonnabend und Montag war Orchester-
Concert in der Herrenhäuser -Orangerie, d. h. der König
ließ sich (bloß von der allernächsten Suite und etwa einem
1/2 Dutzend Gäste umgeben) das i^*^ Mal die Sinfonie mit
Schlußfuge von Mozart und die in Cmoll von Beeth. und
das 2'^ Mal die Adur Sinfonie von Ditto und die Mendels-
sohn'sche Amoll vorspielen. Was ich, wenn ich Rex wäre,
auch öfters thun ließe, denn es gieng gar seere scheene,
und war\s nur Schade, daß die lieben Göttinger, d. h. Du,
Pine, Gathe und Pemma nicht auch zugehört haben. Mein
ältester Wiener Bruder war ganz entzückt, obwohl er
die Wiener Hofkapelle oft gehört. Er ist gestern Abend
wieder fort, nachdem er 2 Tage hier gewesen war. Du
*) Die Erhebung des reaktionären Ministers v. Borries in den Grafenstand,
die allgemein als Belohnung für seine in ganz Deutschland mit Entrüstung
aufgenommene Äußerung, die deutschen Fürsten würden zur Rettung ihrer
Souveränität im Notfall selbst auswärtige Hilfe nicht verschmähen, auf-
gefaßt wurde.
100 An Clara Schumann
siehst also, aus mehreren Gründen war ich hier gefesselt.
Nun kann ich aber auch noch nicht nach Göttingen, da
ich seit einem Vierteljahr schon immer einen Besuch
nach Berlin aufgeschoben habe und endlich hin will. Ich
habe die dortigen Freunde über ein Jahr nicht gesehen
und mich definitiv für diese Woche angekündigt. . . .
Dein
J. J.
An Clara Schunianii
[Hannover] i3. [Juni 1860].
Liebe Frau Schumann.
Es ist leider mit der Erfüllung unseres Wunsches, noch-
einmal in Herrenhausen vereint zu musiciren, nichts
geworden. Ich habe mich am a'*^" Tage in Herr.'^" ge-
meldet, aber die Herrschaften nicht gesehen; nun höre ich
eben, der König wäre gestern nach Berlin. Er hat meiner
an seinem Geburtstage in sehr liberaler Weise gedacht.
Eine Zulage von looo Thalern Gehalt ohne iVnsuchen zu
ertheilen, muß man wirklich recht königlich nennen ! Ein
Rescript vom Finanz -Ministerium setzte mich vorgestern
davon in Kenntniß, daß mein Gehalt verdoppelt sei, ohne
daß mir dadurch neue Verpflichtungen auferlegt werden.
Ich habe dann gestern einen Dankbrief abgeschickt und
habe für's Erste — nicht gekündigt. Wie lange ich nun
noch bleibe, weiß ich nicht, keinesfalls über i4 Tage^).
Nach Berlin will ich noch vorher auf 2 Tage; nach Ham-
burg bin ich deshalb nicht, weil ich doch nach der Gnaden-
bezeugung mich melden mußte, und jetzt ist's zu spät, da
Goldschmidt's am i5. nach Stockholm segeln. — Morgen
gehe ich mit Lindner die Sonaten von Bach 2) durch. Wo-
^) Vor seiner Fahrt nach Bonn für Jen Sommer.
') die von Schumann hearbeiteten Cellosonaten.
Von Clara Schumann loi
hin soll ich dann das M: Scrpt. senden? Ich erwarte Ihre
Befehle darüber und hoffe überhaupt, wenigstens ein paar
Zeilen vor Ihrer Abreise zu hören. . . .
Von derselben
Düsseldorf d. i/| Juni 1860.
Ein Glück ist's, daß Sie, lieber Freund, mir die Mitthei-
lung Ihrer Gehalt-Erhöhung nicht persönlich gemacht,
ich glaube, ich hätte Sie vor lauter Jubel bei'm Kopfe ge-
kriegt. Ach, das ist ja herrlich! könnte ich nur sagen,
wie's mich freut ! nun dürfen Sie aber auch nicht kün-
digen, eine solche Stellung, aooo Tbl. für 6 — 7 Monate,
ein solches Orchester, das finden Sie doch in ganz Deutsch-
land nicht mehr, und bleiben Sie dort, so kommen auch
Andere noch. Machen Sie, daß sie mich dort auch für
2000 Tbl. anstellen, dann komme ich, und Sie haben daim
wenigstens doch immer leidliche Begleitung, Von' Allen,
die mich umgeben, soll ich Ihnen auch die Freude aus-
sprechen. . . .
Die Bach scheu Sonaten wollen Sie freundlichst in mei-
nem Namen (und mit meinem Danke im Voraus) direct an
Seh. nach Leipzig schicken — es ist das Kürzeste,
Ich schreibe so kritzlich, bin aber so erregt, daß ich
nicht anders kann. Es giebt doch kaum größeres Wonne-
gefühl, als wenn einem lieben Freunde Freudiges pas-
siert — erst das herrliche Concert anerkannt, dann die
1000 Tbl,! freilich, die Prosa der Poesie auf dem Fuße,
nun, solch ein Wechsel ist ja das ganze Leben für den
Künstler. . . .
102 All Herman Grimm
An Herman Grimm
Hannover, am 28^*^" Juni. [1860.]
Lieber Hermann.
Erst morgen gehe ich von hier nach Bonn. Ich nehme
in meinen Sommeiaufenthalt die Erinnerung an Eure
Herzhchkeit aus dem F'rühhng mit hinüber, und unter die-
sem heben Schutz wirds mir wohl gehen. Auf Deinen Wunsch
habe ich die 2 Briefe Goethes mit dem gedruckten Brief-
wechsel verglichen. Der eine ganz kurze vom la**"" Novbr.
18 10 ist wortgetreu ; zu dem andern vom iS'*"" Septbr. 1809
ist leider viel Neues gekommen, auch Vorhandenes ge-
ändert; es ist der Art, daß ich das mir vertraute Andenken
doppelt gewissenhaft vor Neugierigen hüten will. Nur Dir
werde ich, wenn Du's später verlangst, eine Kopie geben.
Der Herzog kömmt im geschriebnen Brief z. B. nicht
vor» — Die Erinnerung an die herrlichen Eigenschaften der
Bettine ist in mir so tief, meine Anhänglichkeit so echt,
daß ich mir meine Verehrung aus dem schmerzlichen Ein-
druck rette, den die Vergleichung, ich leugne es nicht,
hervorgerufen. Bei Wesen, die wir wirklich lieb haben,
erfüllt uns die Entdeckung von Fehlern ^) mit einem eigen-
artigen Mitleid, das der doppelten Heftigkeit der Neigung
der Mütter zu ihren hülfbedürftigen schwächern Kindern
verwandt sein mag, als folgerte die Kraftanstrengung des
Schätzens die Liebe.
Auch Thaers^) Aufsatz habe ich wiedergelesen; um ge-
wissenhaft zu sein, muß ich ihn von meiner Anklage frei-
^) Diese Auffassung von „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" ist
bei J. bald der jetzt allgemein angenommenen gerechteren Würdigung
Bettinens gewichen, für die in erster Linie H. Grimms Nachruf (abgedr.
i5 Essays, 3. Folge, 1882, besonders S. 276 f.) Bahn gebrochen hat.
^) Thayer, vermutlich seine Rezension von Marx' „Beethoven" im „At-
lantic Monthly", übersetzt von Otto Jahn.
An Herman Grimm io3
sprechen, er habe Verstöße in matter of fact begangen.
Flüchtiges Lesen gab bei einer StylundeutHchkeit Ver-
anlassung dazu. Auch machte mich stutzig, daß er meine
Lieblingsouverture zuCoriolan ^) mit geringern, sogenannten
Gelegenheitsarbeiten, zusammen nennt. Es mag auch ein
„work to Order" sein. Die Biography of Ludwig v. Beeth.
aber wird, trotz meines Geständnisses, auch nach der
wackern Anstrengung unseres würdigen Amerikaners still
remain to be written! Nur eine selbst schöpferische Kraft
kann von dem geheimnißvollen Schaffen des Genies eine
Vorstellung haben, und gewöhnliche Biographen sollten
gar nicht versuchen, durch Kommentare den Schleier von
der Entstehung eines Kunstwerks zu nehmen. Was Du
bald zu Anfang Deines Essay über Friedrich d. Gr. 2) sagst,
paßt auch darauf ganz einzig. Bei Gelegenheit der Essays
schicke ich ein Briefchen der verstorbenen Hofdame Bern-
storff mit, das die Gisel freuen wird. Ich hatt' es längst
hervorgesucht; sie hört ja so gern ihre Kunstkameraden
loben! In der beifolgenden Rolle ist ein jetzt raies Portrait
Händeis, von dem voriges Jahr auf einer Auktion in Lon-
don zwei Exemplare in meine Hand kamen. Es wird Dir
besser gefallen wie die Büste, wenn es auch ein wenig
manierirt ist. . . .
Viel Schönes und Gutes Deiner Gisel von
Deinem getreuen
Joseph Joachim.
^) Über die Coriolan Ouv. vergl. die Worte J.'s im Programmbuch zum
Bonner Beethovenhest v. 1907.
*) Abgedr. in i5 Essays, Berlin 1874, S. 116, wo Oulibicheffs „Beet-
hoven" u. „Mozart", Lewes' Goethe, Macaulay's Friedrich kurz charak-
terisiert werden.
io4 An Clara Schumann
An Clara Schumann
[Bonn 5. Juli 1860.]
Liebe Frau Schumann
Soeben war ich bei Dr. Breusing; die Kinder waren aus-
gegangen, aber durch ihn erfuhr ich, daß die Ferien
erst am iS**^" d. M, anfangen. Ihre Annahme mußte also
auf einem Mißverständniß beruhen. Für Ihren Zweck paßt
ja aber gerade die erwähnte Erholungszeit am besten, und
ich will also den Kindern, wenn sie mich in diesen Tagen
besuchen, wie Dr. B. versprach, vorläufig erzählen, wie
schön es bei Ihnen ist. Ja, wirklich reizend war der Auf-
enthalt 1), vom Stübchen im Thal mit den Bach'schen Suiten
bis zur höchsten Spitze der rothen Felsen, und ich werde
noch oft im Leben daran denken. Wir konnten uns auch
nicht entschließen, ganz direkt mit der Eisenbahn auf einen
Ruck in die Einsamkeit der Studirzimmer hinein zu rut-
schen; wir fuhren erst nur bis Bingen, von da giengen
wir, die Ränzel auf dem Rücken nach Bacharach. Unter-
wegs besuchten wir Sonneck und kletterten auf Leitern
und Gerüsten alles aus, bis zur Thurmspitze! Die Burg
wird für die Königl. Familie ganz ausgebaut. Obwohl wir
zur Mittagszeit wanderten, hatten wir nicht von Hitze zu
leiden, der Himmel war sanft umwölkt, und am Rhein hin
wehte lieblich frische Luft. Es giebt doch nichts Schön'res
als zwischen Wald und Weingärten abwechselnd mit einem
treuen, guten Kameraden hinzuwandern. Ich hoffe den
Sommeraufenthalt recht zu genießen. Heute früh haben
wir schon musicirt, durch äuf3ere Veranlassung; Dr.
Becker 2) reiste ab, und da wir ihn gern mochten, wollten
wir ihm vorher noch etwas Angenehmes erzeigen. Ich
^) vgl. Litzmann, III 81.
*) Der berühmte Heidelberger Augenarzt, war später mit einer Cousine
J's. verheiratet.
An Clara Sclimnann lo5
spielte Schumann's Phantasie, und Job: viel Fugen aus
dem wohl temp : Klavier, auch ich einige Bach'sche Stücke.
Nachher giengen wir zusammen die Begleitung zu den
Violoncellsonaten ^) durch, natürlich ohne Zuhörer. Da
ich mir gewißenhafte Aufrichtigkeit gegen Sie zur Pflicht
mache, darf ich nicht anders handeln, als nach abermaligem
Durchgehen der Arbeit die Hoffnung Ihnen auszusprechen,
daß Sie an Seh. kein festes Versprechen der Veröffent-
lichung gegeben haben mögen. Ich hatte bei der Revision
in Hannover manches angestrichen, das ich zu ändern
wünschte, bei andern Stellen hatte ich gehofft, Johannes
würde meine Bedenken zu scrupulös finden — aber dieser
unser Freund ist in allem, was ich an Bedenken sagte, ganz
mit mir einverstanden, ja er hat mit seinem scharfen Ver-
ständniß und mit seiner tiefen Bachempfindung auch mich
von vielem Unbach'schen überzeugt, das ich nun nicht
mehr stehen laßen möchte! — Kurz, ich muß nun wirklich
ganz ernsthaft von der Publikation abrathen, so wehmüthig
es mir auch bei dieser Pflichterfüllung an dem geliebten,
theuern Meister ist, an dessen Werken ich ja noch täglich
mit neuer Verehrung und Dankbarkeit für so viel Herr-
liches hinaufblicke. Grade aber weil die Lorbeerblätter an
dem Kranz der Unsterblichkeit, den ihm die Nachwelt ge-
wunden, so dicht und frisch sind, dürfen wir nicht meinen,
mit Nachsicht ein welkes Blatt noch hinzutragen zu sollen,
statt es den Blicken der musikalischen Welt mit wachen-
der Liebe zu entziehen. — Seh. braucht man ja das „Warum"
nicht zu sagen; er verdient ja mit seiner ausbeutenden
Marktschreierei nicht, daß wir ihm unsere innerste Meinung
preisgeben. Sie könnten ihm einfach schreiben, daß sich bei
Vergleichung mit dem Berliner Bach'schen M-Script. zu viele
Differenzen ergeben hätten, und daß bei der Genauigkeit der
Kritik, mit der man jetzt bei Herausgabe von Bach'schen
Werken verführe, nur Schumann selbst darüber hätte ent-
*) Bearbeitung v. Schumann.
io6 An Th. Ave-Lallemant
scheiden können, was an der Begleitung dem zu folge ge-
ändert werden sollte oder nicht. So Jemand ist immer
leicht abzufertigen!
Sie werden wohl jetzt allmälig in's Concert, und ich
wünsche Ihnen einmal im Leben das trübste Wetter dazu !
Lassen Sie hören, wie's ausgefallen, da wir leider nichts
anderes davon hören können.
Ich grüße Sie und die lieben Kinder von Marie bis Felix
herzlichst und verbleibe, verehrte Freundin,
Ihr altergebener
J. J.
Von Clara Schumann
Kreuznach d. 8 July 1860.
. . . Vor Allem danke ich Ihnen, daß Sie die Bach'schen
Sonaten noch einmal so gewißenhaft durchgegangen und
mir so aufrichtig, und doch in so zarter Weise, Ihre Mei-
nung gesagt. Wie erkenne ich in Ihrer Gewißenhaftigkeit
wieder Ihre Liebe und Verehrung für den Theuren, wie
denn überhaupt die Art und Weise, wie Sie immer Seiner
erwähnen, mir im Innersten wohl thut.
Ich stimme in Allem mit Ihnen übereiu und werde an
Seh. schreiben, wie Sie es mir gerathen. Scharfe Debatten
wird's freilich geben, denn er hatte die Publication schon
angezeigt . . .
An Th. Ave-Lalleniant
[Hannover] Am 10'*^" Septbr. [1860].
Lieber Ave.
Meine Reise nach Wien kömmt erst im Februar zur
Ausführung, und so hoffe ich denn, es wird sich be-
stimmt ein Tag finden, die Mozart'sche Concertante mit
Au Th. Ave-Lallemant 107
Eyertt bei Euch zu spielen- denn Du weißt ja, wie gern
ich bei Euch musicire ! Schwerer wiid es indeß sein, Deinen
Hebenswürdigen Wunsch, noch ein anderes Mal zu kommen,
auszuführen. Du weißt, daß ich Otten's Verein (dessen Mit-
glied ich obendrein bin) schon mehrere Jahre zugesagt
habe da zu spielen, ohne bis jetzt dazu gekommen zu sein.
Ich muß also trachten, es in diesem Winter möglich zu
machen. Mehr als zweimal aber kann ich mich Eurem
Hamburger Publikum nicht gut octroyiren lassen! Der
Vorschlag indeß, an einem Abend mit Eyertt die Mozart'-
sche Concertante zu spielen und am Tag darauf mit Frau
Schumann in ihrer Soiree zu musiciren, hat meinen Beifall,
wenn Du es so arrangiren kannst. Unsere Hannov. Concert-
Tage sollst Du erfahren, sobald sie festgestellt sind: Das
kann aber noch mehrere Wochen dauern. In 8 Tagen etwa
wird Euch Bargheer besuchen, von dem Dir Brahms wohl
schon öfter gesprochen hat; es wäre schön, wenn Ihr diesem
talentvollen jungen Künstler, der nur zu bescheiden ist,
um mehr von sich reden zu machen, Gelegenheit gäbet,
sich den Winter einmal hören zu lassen. Er wäre über-
haupt eine gute Acquisition für Hamburg, und ich glaube,
mit einigem Entgegenkommen brächtet Ihr ihn leicht dahin,
sich ganz dort nieder zu lassen. Ich habe in diesen Tagen
so oft interessante Auszüge aus dem Reisebuch Deines
Bruders^) in den Zeitungen gefunden, daß ich nun das
Ganze lesen werde und mich auf die Lektüre freue. Die
allgemeine Anerkennung und der Nutzen, den das Buch
für unsere Landsleute zu stiften scheint, muß Dir doch ein
freudiges Gefühl geben als Bruder des Verfassers !
Ich hoffe bald wieder von Dir zu hören, und indem ich
die Deinigen alle grüße, und auch den großen Johannes,
verbleibe ich herzlich ergeben
Joseph Joachim.
^) Robert A. (1812 — 84): Reise durch Südbrasilien iSSg; durch Nord-
brasilien 1860.
io8 An Clara Schumann
An Clara Schumann
[Hannover d. •3.1\. September 1860.J
Liebe Frau Schumann.
Ich war diesmal wirklich etwas unruhig, da Ihre ge-
wissenhafte Pünktlichkeit mich bisher so verwöhnt hatte.
Nun, Gott Lob, es ist alles in bester Ordnung! Ich freue
mich auf unsere Musik in Dresden und bin mit allem ein-
verstanden, namentlich auch mit den 3 verschiedenen
Plätzen; denn obwohl ich glaube, daß in einer großen an
Fremden reichen Stadt auch bei erhöhtem Preis genug Zu-
spruch zu unsern Soireen wäre, so halte ich's für Pflicht,
auch unbemittelten Leuten den Zugang für gute Musik zu
öffnen. Schullehrer, niedere Beamte sind oft die innigsten
Zuhörer! . . .
Rietz zu einem Trio aufzufordern, hat viel für sich. Doch
muß ich die Entscheidung darüber Ihnen überlassen, da
Sie gewiß später als ich mit ihm musicirt haben. In
früherer Zeit fand ich seinen Ton etwas hart luid die
Technik etwas steif; aber freilich war er sehr zuverlässig,
und eine gewisse musikalische Gewissenhaftigkeit im En-
semble machte, daß ich gerne mit ihm spielte. — ...
Meine i''" Orchesterprobe wird nächsten Freitag sein.
Ich will Ouvertüre, Scherzo u. Finale darin versuchen und
Ihrer dabei gedenken. Vielleicht mache ich auch meine
Schubert-Bearbeitung unter Scholz' Leitung durch, damit
ich mich nochmals von der Wirkung als Zuhörer über-
zeuge. Der Spina ist aber doch sonderbar; vor etwa
12 Tagen habe ich ihm geschrieben, und noch immer bin
ich ohne Nachricht. Vielleicht reut ihn jetzt, was er Ihnen
damals nicht abschlagen mochte. Gestern habe ich das
Quintett von Schubert für 2 Viol., Viola und 2 Celli durch-
gespielt. Vieles ist ganz wunderschön, von überquellender
Empfindung und so eigenartig im Klang; vmd leider macht
An Clara Schumann 109
das Ganze wieder keinen befriedigenden Eindruck ! Maaß-
los und ohne Gefühl für Schönheit in den Gegensätzen.
Was ein Jammer, daß ein solches Genie nicht zur Voll-
endung durchgedrungen ist ! Und dennoch hat man den
armen, guten Schubert so lieb ! ^) Wie freue ich mich auf
die neuen Sachen von Johannes. Ich gönne Ihnen von
Herzen die schöne Überraschung, die Ihnen zum Geburts-
tage damit ward 2). Mein Freund übertrifft mich weit, wie
an Talent so an zarter Aufmerksamkeit; aber wenn Sie
bedenken, daß ich eigentlich seit meinem 9^"" Jahr immer
in der Fremde war, weit vom Elternhause, so liegt darin
eine kleine Entschuldigung, wenn nicht mein Sinn für ähn-
liche Zartheit und nicht der warme Wille für meine Freunde,
aber die Übung solcher Aufmerksamkeit fehlt. Ich hoffe
mich aber noch zu bessern. Meine herzlichsten Wünsche
zum Geburtstag nachträglich, Sie schreiben gar nichts wegen
der lieben Jungen. Wie war's mit dem Vorschlag von Frau
Bendemann?^) Soll ich noch an Kiengel schreiben?
Jedenfalls hoffe ich Ihre Adresse nach dem Aufenthalt
in Mehlem zu hören. Ich grüße Sie und Fräulein Marie
vielmals und bin wie immer
Ihr aufrichtigst ergebner
Joseph Joachim.
An dieselbe
[Hannover 9. Oktober. 1860.]
Liebe FVau Schumann.
Ich habe Ihre beiden inhaltreichen Schreiben zusammen
bekommen, da ich von Freitag Nachmittag über Sonn-
abend in Göttingen war. Bei herrlichem Wetter machten
*) Dieses blühendste aller Instrumentalstücke Schuberts war in spä-
teren Jahren eine Lieblingskomposition Joachims.
*) Über die Kompositionen, mit denen Brahms Frau Seh. zum Geburts-
tag am i3. Sept. überrascht hat, s. Litzmann, III, 84.
') Sie sollten aus der Pension in Bonn fortgenommen werden.
1 10 An Clara Schumann
wir einen reizenden Spatzirgang über Mariaspring links
an der Pleßburg vorbei nach dem Hardenberg und zu-
rück: ich, Ritmüllers, Grimms, Bargheer und Braut, und
Agathe, die sehr schön 2 Beethoven'sche (mir unbekannte)
Lieder und Bach'sche und Händel'sche Arien sang und
sehr anmuthig, aber ernster als sonst war. Bargheer war
voll guter Nachrichten aus Hamburg und Leipzig zurück-
gekehrt. An beiden Orten hat er Einladungen zum öffent-
lichen Spiel erhalten, und kömmt noch Berlin dazu, so
wird ihn das ein gut Stück vorwärts in seiner Carriere
bringen, wie ich hoffe. Sie können ihm nach Detmold
schreiben, und er meint immer für Ihren Zeck loszukoin-
men, freut sich auch natürlich sehr auf Ihre Einladung.
Mit Laub wird auch mir das Rathen schwer. Ich hielt ihn
immer für den besten Geiger unter meinen Kollegen, habe
ihn aber nun wohl 5 Jahre nicht gehört. Da kann sich
denn im Guten, wie im Bösen viel geändert haben. Eine
Noth wendigkeit ihn aufzufordern liegt nicht vor, wenn
Sie nicht schon früher mit ihm in Berlin öffentlich gespielt
haben. Haben Sie aber ja bereits mit ihm musicirt, so wäre
es allerdings eine Zurücksetzung, ihn bei Ihren Soireen zu
ignoriren. Ein Honorar mit solcher Zartheit anzubiethen,
daß es nicht verletzt, wird Ihrem Takt nicht schwer wer-
den. Wäre es eine kleinere Stadt wie Leipzig, Hannover etc,
so würde ich nicht dazu rathen, in London, Wien oder
Berlin aber, wo das Leben soviel Ansprüche an die Zeit
der Künstler macht, kann eine taktvolle Anfrage nicht ver-
letzen. Hellmesberger spielt, glaube ich, fortwährend in
den Konzerten gegen Honorar. Ich habe Piatti in London
auch um seine Terms gefragt und nichts darin gefunden,
obgleich ich befreundeter mit ihm stehe, als Sie mit Laub.
Indeß kann ich doch die Berliner Verhältnisse nicht genau
genug beurtheilen, um meine Meinung für gültiger als die
Ihre zu halten. Nur eins halte ich für wichtig: daß Sie
Bargheer nicht nach Laub spielen lassen. Ersterem könnte
An Clara Schumann iii
es schaden bei Laub's Behebtheit, und diesen in seiner
Eitelkeit verletzen. Meine Mitwirkung in den Berliner
Soireen habe ich für diesmal mit gutem Grund, wenn auch
Ihnen gegenüber mit schmerzlichem Bedauern, abgelehnt.
Ich kann das Gefühl nicht los werden, daß die dortigen
Menschen mich mit einer Art persönlicher Neugierde ^) be-
trachten; und wenn dies auch Ihnen übertrieben und un-
haltbar scheint, so kann ich die Empfindung nicht los wer-
den, und diese ist's, die mich bei den Leistungen stören
würde. Mit der Umänderung der Tage in Dresden bin ich
vollkommen einverstanden. Auch in Betreff von Rietz gebe
ich vollkommen Recht. Ich habe ihm geschrieben, aber
noch keine Antwort. Spina schweigt ebenfalls beharrlich. —
Ouvertüre, Scherzo und Finale haben uns neulich allen
viel Freude gemacht. Es geht so frisch vorwärts in der
Entwicklung, daß einzelne Bedenken nicht zu Wort kom-
men. Nach der unholden Faust -Ouvertüre von Wagner
und Abt Voglers Lärmen um nichts in einer Samori-Ouver-
ture war die Schumann'sche Musik eine Wohlthat des
Schöpfers. Außerdem spielte ich die Spohr'sche CmoU Sin-
fonie durch, die ich seit der Kindheit nicht gehört hatte.
Mit Maaß genossen ist doch die Musik dieses Meisters der
Feinheit und des Wohlklangs wegen, die darin herrschen,
von großem Reiz. Wäre nur nicht die Stimmung gar so
monoton kränklich!
Doch genug für heut! Bald komm' ich wieder mit der
Fortsetzung der Antwort.
Ihr
Joseph J.
*) wegen der Verheiratung Giselas v. Arnim mit H. Grimm.
s
12 Von Clara Schumann
Von Clara Schumann
Godesberg d. ii. Octbr: 1860,
Lieber Joachim,
chon seit einigen Tagen hoffe ich auf die versprochenen
Programms. Denken Sie, ich kann gar nicht dai^an
denken, da werde ich ganz nervös, und zwar so, daß ich
kein einziges Stück ohne Stocken kann in dem Gedanken
an Publikum. Was wird nur daraus werden ! bitte, machen
Sie Programms, ich kann's nicht. . . .
Tausend Dank für alle Ihre Rathschläge, die ich gern
befolge. Bargheer soll in allen drei Soireen spielen. Ihr
Gefühl, was Berlin betrifft, begreife ich ganz, obgleich der
Mann wohl solche Empfindungen bezwingen soll, die man
dem zarter organisirten, aber auch beschränkteren Weibe
nachsieht. Mir nun thut es unendlich wohl, wenn ich bei
einem Manne ein solches Feingefühl finde! — Wollen Sie
denn aber nie mehr in Berlin spielen? Sie müßen auch
bedenken, daß, da einmal die Neugier der Leute durch ein
Factum gestillt, das Intereße schnell sinkt (ich meine
das neugierige). Ich komme wohl Ende nächster Woche
durch Hannover, wäre es nicht möglich, daß ich Jo-
hannes' Sextett hörte? er schrieb mir, daß er es Ihnen
geschickt.
Spielen Sie am 19'*" Nov: in Leipzig? Job: 2"" Sere-
nade wird da auch gemacht — da komme ich von
Berlin, Sie müßen sie aber dirigieren, er will nicht
hin. . . .
Herzlichst wie immer
Ihre
Gl. Seh.
An Clara Schumann ii3
An Clara Schumann
[Hannover 12. Okt. 1860.]
Liebe, verehrte Freundin
Daß Sie alles Klavierspielen gänzlich verlernt haben,
ist mir gar nichts Neues; schon zu oft habe ich das
von Ihnen gehört, auch mich in Kreuznach noch zur Ge-
nüge davon überzeugt, als Sie die ßach'schen Suiten und
Beethovenschen Sonaten spielten ! Das kommt davon, wenn
man Spatzirgänge auf die Eberburg und den Rheingrafen-
stein macht, statt hübsch Fingerübungen zu studiren!
Und wie wirds erst mit dem Zusammenspielen von uns
werden ; gewiß lauter Taktfehler ! Übrigens gehts mir auch
jeden Winteranfang so; ich begreife dann nie, wie ich's
nur anfangen würde, vor so viel Leuten da zu stehen ohne
vor Scham in die Erde zu sinken, wenn ich vorher daran
denke. Darum muß man das auch nicht; nachher gehts
doch, weil man eben über die Musik allen Plunder ver-
gißt! Und so wollen wir eben nur an die Programme
denken. Da ist's mir nun doch nicht ganz recht, daß wir
gleich zu Anfang 3 Gesangspiecen haben! Katharinchen
ist ein gans nettes Kind, und das kleine Vögelchen pfiff
in Ihres Papas Käfig ganz allerliebst, als ich im Frühjahr
in Dresden war, aber — warme Kunst, wie wir sie gern
vertreten, ist's doch nicht, und dasselbe gilt von Ihrer ge-
ehrten Schwester, die ich ja sonst sehr schätze. Wir soll-
ten eigentlich nur 3 Sonaten spielen, von Mozart, Bach,
Beethoven od. Schumann. Um Programme mit einiger
Sicherheil festzustellen, müßte ich unsere frühem Dresdner
einmal durchsehen. Sie ordentliche (und außerordentliche)
Freundin besitzen sie gewiß noch und schicken sie wohl
an mich ein, und zwar bald, damit ich gleich an's Werk
gehe. . . . Mündlich mehr darüber, denn es ist eine prächtige
Aussicht, Sie Ende nächster Woche hier zu sprechen. Sie
ii4 An Hans v. Bronsart in Leipzig
sollen Johannes' Sextett in der 2*^" unserer hiesigen Quartett-
Soireen, Sonnabend 20'*", hören. Sonntag früh probire ich
zum 1"^" mal daran. Auch der letzte Satz ist gar schön
geworden. Bei Hof will ich schon zeitig melden und zweifle
nicht, daß wir nach Herrenhausen müssen, wo man in
alter Herzlichkeit neulich Ihrer und der Ihrigen gedachte.
Schreiben Sie bald den Tag Ihrer Ankunft und schicken
Sie die Programme.
Ihr
Joseph Joachim.
An Hans V. Bronsart in Leipzig
[Hannover 12. Okt. 1860].
Lieber Herr v. Bronsart
So gerne ich Ihre herzlichen vertrauensvollen Worte ^)
ausführlicher beantwortete, so muß ich mich doch be-
gnügen, da die Hauptangelegenheit sehr dringend ist, Ihnen
vorläufig mitzutheilen, daß die Soireen in Dresden vom
26"^" Oktober bis zum i'*" Nov'^' dauern. Ich bin also
keinesfalls im Stande, Ihren schmeichelhaften Wunsch zu
erfüllen, die Euterpe-Concerte 2) mit zu eröffnen! Ich hoffe
Sie jedenfalls auf der Durchreise nach Dresden in Leipzig
zu sehen, und wir kommen dann auf den Inhalt Ihres
Schreibens zurück; nur noch, daß ich mich Ihrer unver-
änderten Gesinnung aufrichtigst freue, und daß Sie gewiß
nicht irren, wenn Sie auch mir für Ihren reinen, warmen
Eifer in der Kunst herzliche Theilnahme zutrauen, so sehr
unser musikalischer Geschmack auch leider in vielen Dingen
ein verschiedener sein mag.
Also, auf baldiges Wiedersehen hoffend,
Ihr aufrichtig ergebner
Joseph Joachim
') Nicht erhalten.
^) die V. Bronsart leitete.
An Jul, Otto Grimm ii5
An Jul. Otto Grimm
[Hannover] Montag Nachmittag [22. Okt. 1860].
Liebster Ise
Yor wenigen Stunden erhielt ich einhegendes Schreiben
des H. V. Dalwigk, dessen Inhalt ich Dir wohl nicht
vorenthalten dai^, wenngleich mir strengste Reserve nach
allen Seiten anempfohlen ist. Bei meinem Vertrauen ziemt
der Ausdruck „weil" sie anempfohlen ist, Dir gegenüber
besser. So mache ich Dich denn bloß auf die roth ange-
strichene Stelle aufmerksam und bitte Dich, mir den Brief
mit einigen Zeilen sogleich nach dem Hotel de Baviere
in Leipzig nachzusenden, wohin ich morgen gehe und
bis zum Donnerstag-Concert (Manfred-Musik) bleibe. Ich
denke, der Inhalt wird wesentlich auf Deine Entschließung
wegen Münsters Einfluß üben. Die Kapelle in Oldenburg
ist jedenfalls von den kleineren eine der besten Deutsch-
lands; der Detmolder z. B., die Du kennst, vorzuziehen.
Vom Intendanten kann ich, sowohl was Charakter als was
Bildung anlangt, nur das Beste sagen: ich wünschte mir
einen ähnlichen, der mit entschiedener Bildung dem Neuen
in der Kunst folgt, ohne Illusion. Auch für Literatur und
Malerei hat er offenen Sinn, und so ist auch in seinem ge-
bildeten Kreis bei Beaulieu, Wedderkopp, Strackerjahn
Kunstinteresse vorhanden und im Umgang die angenehmste
Abwesenheit aller Adelsbornirtheit. Sollte meine Meinung
über Deine „etwaige Qualifikation" wirklich einigen Ein-
fluß üben können, so weißt Du ja, wie ich darüber denke
und also auch schreiben muß. Und nun in aller Eile Glück-
auf! Johannes ist vor einer Stunde fort, Hamburgwärts.
Frau Schumann den Nachmittag um ^/g 3. . . .
*) Grimm hätte die Oldenburger Kapellmeisterstelle lieber als die
Münsterer angenommen; entweder konnte er seine dorthin gegebene Zusage
aber nicht mehr rückgängig machen oder sein Freund Alb. Dietrich wurde
ihm vorgezogen.
Il6 Von C. A. Spina
Von CA. Spina
Wien, am 7/ II 1860.
. . . Was nun den Inhalt dieses Schreibens i) betrifft, er-
laube ich mir denselben zu wiederholen, indem ich vor
Allem bemerken muß, daß ich nur mit der grösten Freude
das schöne Werk Schuberts in Ihrer Bearbeitung übernehme,
und es als eine ebensolche Auszeichnung als Ehre für
meinen Verlag erkenne, dieses mit einem so gefeierten
Nahmen, als den Ihren, geziertes Werk — dem Publikum
übergeben zu können. Es freut mich um so mehr, als ich
— als Eigenthümer des Originals das Erscheinen dieses
Werkes in einem anderen Verlage nicht gestatten könnte.
— Wenn ich mir aber erlauben muß, bezüglich der mit-
getheilten Bedingungen einige Bemerkungen hinzuzufügen,
welche Ihrer freundlichen Berücksichtigung empfehle, so
hoffe ich, daß Sie dieselben nicht ungütig aufnehmen wer-
den, da selbe nur den materiellen Theii betreffen. — Die
Auflage eines so großen Werkes ist mit bedeutenden Kosten
verbunden, und die Theilname leider nicht im Verhältnisse
des Werthes der Arbeit und des Werkes — da namentlich
bei großen Orchester- Werken die Abnahme nur eine sehr
geringe, was durch die größeren Schwierigkeiten der Auf-
führung seine Erklärung findet. — Ich würde mir daher
nur erlauben, Sie zu bitten, den zweiten Theil der mitge-
theilten Bedingungen aufzuheben, indem ich Ihnen mit
großem Vergnügen ein Complettes Exemplar sämtlicher
bei mir erschienen [en] Werke Franz Schubert (inclusive
Gesangswerke) zur Verfügung stelle, welches einen Betrag
von circa rth 190 representirt und den bei weitem größten
Theil der sämtlichen Werke Schubert ausmacht.
Wenn es mir auch nicht möglich wäre, die Herausgabe
dieses Werkes, welches gewiß ein ziemlich bedeutendes
^) eines auf der Tost verlorenen ersten Briefes.
An Clara Schumann 117
bezüglich des Umfanges wird, alsogleich in Angriff zu
nehmen, da ich einige sehr dringliche und große Werke,
worunter Rubinstein's Oper^), gegenwartig in Arbeit habe,
so bitte ich dennoch überzeugt zu sein, daß ich gewiß be-
müht sein werde, ein so schönes Werk, das ich als einen
Stern meines Verlages und als eine besondere Ehrensache
desselben betrachte, gewiß möglichst beschleunigen
werde . . .'^)
An Clara Schumann
[Hannover d. 16. Nov. i86o.]
. . . Ich bin durch unser 1'** Concert morgen recht in
Anspruch genommen. Dirigiren und Spielen zusammen
greift mich immer etwas an. Wir machen die Ddur Sin-
fonie von Beeth:, die Abenceragen Ouvertüre v. Cherubini,
dazu spiele ich Mendelssohns Concert, und Frau Castellan
(eine Prima Donna der mittelmäßigen Operngesellschaft,
die jetzt hier vor leeren Häusern gastirt, weil es ja vor-
nehm ist für italienischen Gesang sich zu interessiren) singt
eine Gavatine aus Teil und die Variationen von Rhode 3),
s' Neieste was mer erseht kriagt hab'n! Die gute Dame
würde mit ihren Trillern schwerlich vor der Thee-Gesell-
schaft in der Rampe'schen Gasse Gnade finden, — doch
singt sie nicht ohne Geschmack und war vor lO Jahren,
wo ich sie in London kannte, nicht ohne Anmuth. —
Ihr altergebener
J. J.
^) Bei Spina ist nichts von Rubinstein verlegt.
*) vgl. S. 74 Anm. 1.
^) Die V^iolinvariationen von Rode mit unterlegtem Text.
Ii8 An Theod. Ave-Lallemant
An Tlieod. Ave-Lallemant
[Hannover i8. Nov. 1860.]
Liebster Ave.
Ich habe mit gutem Bedacht gestern zu telegraphiren
gezögert. In der Voraussetzung, S. M. den König im
Concert selbst zu sprechen, hoffte ich Dir zu Gefallen die
Reise nach Hamburg zum 4'^" noch möglich zu machen.
Aber da der König mir sagte, er käme am i"^" von Herren-
hausen zur Stadt und hoffte recht nachzuholen, was er
von Musik durch Trauer und Abwesenheit versäumt habe,
und da ich ferner von Graf Platen, als ich eben in die K.
Loge trat, zugeflüstert bekam, mich selbst an den König
um Urlaub zum 26'*"" nach Leipzig zu wenden, da er es
noch nicht gethan, so blieb mir nichts übrig, als herzlich
bedauernd meine Hamburger Freunde für diesmal auf-
zugeben. Graf PI. hat nämlich die gütige Eigenthümlich-
keit mir nie gern „Nein" zu sagen, und dann traut er sich
dem König gegenüber (nach Höflingsart) doch nicht zu
verlangen, was vielleicht ein angefangenes Lächeln einen
Augenblick unterbräche! Dies sehr entre nous! Euch Re-
publikanern kömmt dies wohl wie Sklavenbrut vor? —
Das gestrige Concert fiel Gott sei Dank so aus, daß ich
hoffe, vertrauenssicher für den Rest der Saison agiren zu
können. Im nächsten Concert wollen wir die Clauß bringen,
und ich glaube, wenn Ihr Euer Concert am 4"^" g^bt, wird
sie am Ende sehr gern zu Euch hinüber fahren. Sie spielt
wirklich sehr schön, und Du alter Klavierpapa und Johannes
werdet Euch sie zu hören freuen. Sie ist fortgeschritten.
Für Ersatz wäre dann dem Novität begierigen Publikum
reichlich gesorgt, wenn ich auch weiß, daß ein paar nette
Gesellen mich ungern vermissen. Nun später gewiß. Mit
dirigir- und spielmüdem Arm, lieber Ave,
Dein Joseph J.
An die Eltern 1 19
An die Eltern
[Hannover] Am 20^'" Nov''*^ [1860].
Liebe Eltern
Ich habe eben an Herrn Spina in Wien geschrieben, der
so gütig war, sich mir für den Fall meines Kommens
zur Disposition zu stellen, daß ich im Februar dort sein
würde. Was die Angelegenheit mit dem Musikverein be-
trifft, so hoffe ich auch, daß diese zur beiderseitigen Zu-
friedenheit geordnet werden kann, und daß ich wenigstens
nichts vernachlässigen will, verspreche ich zu Ihrer Be-
ruhigung, lieber Vater, denn ich wünschte, daß Sie keine
Sorge, nur womöglich Vergnügen von meinem Kommen
haben möchten. In Dresden hat es mir sehr gut gegangen;
ich war 14 Tage dort, habe mich an der herrlichen Ge-
mälde-Gallerie und an den Theaterauftührungen, die auf
einer sehr hohen Kunststufe stehen, sehr ergötzt, und was
die 3 Soireen mit Frau Schumann anlangt, so sind diese
sehr gut ausgefallen; die Theilnahme des Publikums war
bis zum Schluß wachsend. Seit 10 Tagen bin ich zurück,
war aber, da vorvorgestern unser erstes Orchester-Concert
stattfand, sehr in Anspruch genommen. Es ist alles vor-
trefflich geglückt: die von K.-M. Scholz dirigirte Cheru-
binische Ouvertüre und die Sinfonie von Beethoven in D
unter meiner Leitung giengen ausgezeichnet, und auch
mein Spiel des Mendelssohn'schen Concertes fand mehr als
gewöhnlichen Anklang. Nach dem Concert ließen mich
die Majestäten zu sich in die Loge rufen und waren sehr
gnädig. Daß sie überhaupt trotz der Trauer erschienen
waren, ist ein erfreuliches Zeichen für ihr Musik-Interesse.
Zum aö**"" muß ich nach Leipzig, um im Pensions-Con-
cert der Musiker, meiner ehemaligen Orchester-Kollegen,
zu spielen, ein Versprechen, das ich um so lieber halte,
als es mich freut, mit so guten Kräften mein ungarisches
120 Von Clara Schumauii
Conceit in Leipzig zu Gehör zu bringen. — Dem lieben
Fritz will ich selbst gratuliren. Gott sei Lob und Dank,
daß ihm Ernstchen erhalten worden! Verzeihung für die
eilige Schrift, liebe Eltern!
Ihr
Joseph.
P. S. Sollte Kapellmeister Scholz von hiei-, der morgen
nach Wien geht, nach Pesth kommen, was möglich, wenn
auch nicht wahrscheinlich ist, so bitte ich ihm freundlich
zu sein. Er ist ein als Mensch und Künstler gleich von
mir hochgeschätzter Freund,
Von Clara Schumann
Leipzig d. 7 Dec: 1860.
Liester Joachim,
Wie schade, daß ich morgen nicht bei Ihnen sein kann !
ach, wie so gern säße ich als begeisterte Zuhörerin
unter Ihnen. Ueberhaupt, wie sehne ich mich nach einem
ruhigen Stündchen mit Ihnen — ich habe das Herz so voll
wegen unseres lieben Johannes. Fühlte ich es je, daß Ihr
mir theuer seyd, so war es hier.
Wie tief empfand ich die Freude^) mit Ihnen, wie das
Leid mit Johannes — vielleicht mehr als Ihr selbst. Die
Trauer wegen der schlechten Aufnahme Johannes' wuide
etwas gemildert durch den Abend im Gonservatorium, wo
doch die Musiker fast Alle nach der Serenade mir gestanden,
daß dieselbe schön sey.
Johannes reiste Sonnabend nach Ihnen ab — in den
letzten Tagen doch etwas heiterer gestimmt. . . .
Gade's 3'* Symphonie war gestern schön — ein Viol. Con-
cert (Dreyschock) v. Rietz unbeschreiblich langweilig !
^) J. hatte im Gewandhaus am 26. Nov. sein ungar. Konzert unter
großem Beifall gespieh, während im selben Konzert Brahms' 2. Serenade
sehr unfreundhch aufgenommen wurde, vgl. Litzmann III, S. 92 f.
Au Clara Schumann 121
An dieselbe
[Hannover, d. i-?.. Decbr. 1860.]
Liebe Frau Schumann.
Ich wollte, ich könnte für Sie ein lockenderes Programm ^)
hinschreiben, als das Folgende:
I.) Ouvertüre von Scholz (M. S.)
2.) Concert für Violine von Paganini (Ole Bull)
3.) Ouvertüre zu Euryanthe
4.) Solo von Ole Bull.
5.) Cmoll Sinfonie.
Daß Ole Bull spielt, geschieht eigentlich nur halb durch
mich; ich wünschte ihm die Erlaubniß zu erwirken, im
Theater Concert zu geben, und sprach S' M. davon; dieser
aber ließ sich nicht davon abbringen, ihn für's Concert ein-
laden zu lassen, und obwohl ich Anfangs meinte, daß es
Ole Bull selbst lieber sein mußte, in der Theaterumgebung
zu spielen, und dies auch mehrmals betonte, ließ es der
Anstand nicht zu, dem König länger zu widersprechen, da
es schließlich wie eine Art neidischer Befürchtung ausge-
sehen hätte. Indeß interessirt mich der iNorvveger wirklich
mehr, als ich dachte: er hat sein Instrument ganz merk-
würdig in der Gewalt, einen sehr schönen Ton, und viel
Leben. Freilich habe ich ihn nur im Zimmer Fragmente
und sehr schöne kleine Norweg'sche Volkslieder einfachster
Art spielen hören . . .
Der Ihrige
Joseph J.
*) zum 3. Abonn.-Konz. am i5. Dez.
122 An Herman Grimm
An Herman Grimm
[Hannover, etwa 22. Dez. 1860.]
Lieber Herman.
Ole Bull ist seit über acht Tagen hier und gefällt mir
als Mensch sehr. Wir haben schon mehrmals davon
gesprochen, auf zwei Tage nach Berlin zu fahren um Euch
zu besuchen, und denke auch, wir führens noch aus. Ich
komme jedenfalls auch ohne den Norweger, wenn er sich
nicht entschlösse; am besten könnte ich am Neujahrsanfang.
Wäre Dir der i"' recht oder habt Ihr da zu vielerlei vor?
Die Flasche Kapwein und den reizenden Murillo verdanke
ich wahrscheinlich Ernst Rudorff, der wohl meinen Erfolg ^)
gemeldet hat? Ich habe mich kindisch über die Sachen
gefreut, wie über alles, was von meinen beiden Freunden
kommt. Der Aufsatz über Humboldt 2) brachte mir den
Spaziergang im Thiergarten, voriges Frühjahr, in lebendigste
Erinnerung. — Dein Michel- Angelo scheint sich sehr zu
verbreiten: ich habe die verschiedenartigsten Menschen
mit Wärme davon reden hören. Mijch hat er zum Italienisch-
lernen angetrieben ; ich lese und übersetze bei einem Signor
Caggiati. Das Bildchen der Ristori, das im Norvvegschen
Buch liegt, macht der Gisel vielleicht Spaß. Auch das
Buch, trotz der schlechten Übersetzung. Ole Bull hat neu-
lich im Concert, und Sonntag gleichzeitig mit Frau Schu-
mann bei Hof gespielt. Vielleicht hören wir ihn noch im
Theater. Sein Spiel gefällt mir im Zimmer besser als öffent-
lich, weil er privatim oft sehr originelle Norwegische Me-
lodien wählt. Sein Ton ist wohlthuend weich und seelen-
voll. — In Deinem Elternhaus hat wohl Dahlmanns Tod
sehr viel Kummer erregt. Ich hatte ihn in Bonn nicht auf-
*) in Leipzig, wo Rudorff damals das Konservatorium besuchte.
-) Alexander v. H., -{- 6. Mai iSSp; der Aufs, ist wieder abgedruckt in
„Fünfzehn Essays" 1874.
An Clara Schumann 128
gesucht, da er schon damals sehr leidend war und Gesell-
schaft mied. Seit 8 Tagen war ich durch ein rheumatisches
Uebel an der linken Hand sehr mißgestimmt; ich konnte
nichts ohne Schmerz anfassen ; es geht aber Gottlob wieder
gut.
Mit tausend Grüßen
von Herzen
Dein
J. J.
An Clara Schumann
[Hannover] 22"'" Dec'" [1860].
Liebe, verehrte Frau Schumann
Daß ich auch in diesen Tagen, wie immer, Ihrer ge-
denke, darf wohl diesmal das schlichte, diese Zeilen
begleitende Buch ^) verkörpern. Ich habe nur darin ge-
blättert, aber Johannes, der es besitzt, stellt es sehr hoch,
und für Sie als schwärmerische J^aturfreundin, und mit
der Absicht Norwegen zu besuchen, wird die Schilderung
von Schneeregionen anziehend und erfrischend sein. Joseph
im Schnee liest Ihnen Fräulein Marie wohl mal vor. Ich
kenne es noch nicht, aber Auerbach'sche Dorfgeschichten
waren mir oft eine liebe Zerstreuung. Ich gehe nun weder
nach Berlin, noch auch nach Düsseldorf, weil mich der
König in Folge einer Audienz, die ich mir in der Kömpel'-
schen Angelegenheit erbeten hatte, auf den zweiten Feiertag
mit Graf Platen zu sich bestellt hat, um das, was ich vom
König erwünschte, gleich zu ordnen. Es ist mir sehr lieb,
daß ich die schändlichen Verläumdungen, die man über
mein Verhalten zuKömpeP) in Umlauf gebracht hat, durch
*) Tschudis Tierleben der Alpenwelt.
*) Eifersuchtsanwandlungen Kömpels, des späteren weimarschen Kon-
zertmeisters, Joachim gegenüber.
124 ^on Clara Schumann
Thatsachen wiederlege. Daß ich nicht nach Berlin konnte,
thut mir auch wegen Eugenien und Felix sehr leid. Für
den kleinen Geiger ^), der doch eigentlich auch Ihrem Willen
nach mein Pathchen war, habe ich mir etwas ausgedacht,
das Sie mir gewähren müssen. Ich möchte ihm nämlich
meine Guarneri- Geige schenken, auf der ich zuerst in
Leipzig öffentlich gespielt habe, und die ich erst, seitdem
ich die Stradivarius- Violine vor lo Jahren bekam, nicht
mehr öffentlich benütze. Sobald seine Fingerchen nicht
mehr „zu kurz" sind, soll er sie ganz in die Hände be-
kommen. Dann wird er hoffentlich auch mein Schüler.
Sie dürfen auf keinen Fall „Nein" sagen, denn das Instru-
ment ist mir so lieb, daß ich's dennoch nie verkaufen
würde ; und ich sorge also nur, daß es auf eine edle Weise
benutzt wird, da ich ja doch nicht darauf spiele. Ich
rechne darauf, Sie, liebe Frau Schumann, im Januar hier
zu sehen; der König sagte, er wollte uns dann bitten, ohne
alle Zuhörer, bloß für ihn und die Königin die DmoU Sonate
zu wiederholen.
Von Herzen ergeben
Joseph Joachim.
v^on Clara Schumann
Düsseldorf d. 27 Der: 1860.
Lieber Joachim,
. . . Was ich Ihnen aber auf Ihren lieben, lieben Brief sagen
soll, weiß ich kaum, nur das weiß ich, daß, hätten Sie, als
ich ihn las, in mein tief bewegtes Herz sehen können, Sie
gewiß den schönsten Lohn für Ihre so liebevoll zart ge-
botene Gabe empfunden hätten. Ich nehme sie an, d. h.,
wenn Gott will, daß mein Felix sich solcher Gabe würdig
^) Felix Schumann ; J. konnte nicht Pathc werden, weil er noch nicht
zum christlichen Glauben übergetreten war.
An Th. Ave-Lallemant I25
zeigt. Möchte dann von Ihrer wunderherrlichen Kunst ein
klein Wenig mit auf ihn übergehen. Ach, und welche
Freude wäre es mir, ihn einstens als Ihren Schüler zu
sehen ! — Sie lieber, theurer Freund, könnte ich Ihnen nur
Alles sagen, was mir im Sinn und Herzen liegt, wie Ihre
Freundschaft so manchen wohlthuenden Strahl in mein
Inneres wirft, doch genug, bald sehe ich Sie und drücke
Ihnen dann die Hand recht aus vollster Seele.
Was haben Sie wohl mit Platen ausgerichtet? der Kömpel
nennt sich übrigens schon überall Concertmeister, darf er
das denn eigentlich? . . .
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover] am 2'^" [Januar 1861J.
Lieber Ave.
Meine freundschaftlichste Erwiderung Deiner Neu-
jahrsgrüße, und vor allem meine Freude darüber,
daß wir uns sobald sehen sollen, als gutes omen für 61! ...
Ich habe mich sehr gefreut, endlich Johannes' Sachen für
Orchester') gedruckt vor mir zu sehen. Nun können sie
getrost von den Signalen und andern oberflächlichen Ge-
sellen verschimpfirt werden. Sie werden noch freundlich
fortlächeln mit ihren schönen Motiven, wenn die plumpen
Tadler längst verstummt sind. Adies ! und grüße die Deinen
herzlich von mir.
Aufrichtigst ergeben
J. J.
^) Die beiden Serenaden, 1860 erschienen.
126 An seine Eltern
An seine Eltern
[Hannover, Januar 1861.]
Liebe Eltern
Es steht fest in meinem Willen, am 4'^" kommenden
Monats von hier abzureisen. Wenn nun mein Gon-
cert in Wien am 11"^" ist, so kann ich recht gut, um den
Tag des beglückenden Festes 1) nicht zu ändern, am i3'*"
in Pesth sein und ein oder zwei Tage bleiben, und wieder
nach Wien zurückfahren, um später auf längere Zeit
nach Pesth zu kommen und Concerte zu geben. Ich schreibe
dies für den Fall, daß Sie die Feier nicht gerne aufschieben,
liebe Eltern, da ich mich darin ganz so richten will, wie
es Ihnen am angenehmsten ist. Über das Datum der in
Pesth zu gebenden Concerte kann ich aber unmöglich vor
meiner Ankunft in Wien etwas bestimmen, und es ist auch
vollkommen Zeit dann. Obwohl der Aufenthalt in Pesth
meine Reise veranlaßt, und obwohl mir natürlich das Fest
am i3'*" der Haupttag sein wird, so ist mir doch in mu-
sikalischer Hinsicht Wien wichtiger wie Pesth, so sehr
ich mich auch freue, in meiner Vaterstadt zu musiciren
und namentlich für das Conservatorium zu spielen. — Sie
schreiben mir von allerlei Gerüchten, auch daß Frau Schu-
mann mitkommen würde. Das ist ganz falsch; und zwar
hat es Frau Seh: selbst aufs entschiedenste abgelehnt, als
ich ihr anbot, einige gemeinschaftliche Goncerte zu arran-
giren, weil sie sagte, daß es mir in pekuniärer Hinsicht
schaden würde. Aber Sie sollten Sich, liebe Eltern, nicht
um Zeitungsschreibereien über mich beunruhigen — sol-
cher Klatsch verdient wirklich keine Beachtung. Ich habe
mir durch meine langjährigen Erfahrungen darin das
kälteste Blut angewöhnt und werde mich auch in Wien
u. Pesth nicht beunruhigen lassen. Etwas leisten und be-
*) Goldene Hochzeit der Eltern.
An Clara Schumann 127
harren ! — Auf der Reise will ich mich in meinen warmen
Pelz hüllen; haben Sie keine Angst, liebe Mutter!
Mit herzlichsten Grüßen an die lieben Geschwister, und
mich aufs Wiedersehen freuend,
Ihr
Joseph.
An Clara Schumann
[Hannover d. 3. Febr. 1861.]
Tiiebe Frau Schumann.
Nach einem sehr genußreichen Concert gestern Abend,
zu dem ich Sie sehr lebhaft herbeiwünschte, bereite
ich mich nun zur Wiener Reise, die ich morgen Mittag
um 2 antrete. . . . Mit vielem Danke habe ich die Auf-
schriften an Ihre Freundinnen u. an Laube gelesen und
hoffe von erstein gemüthlich freundliche Aufnahme, von
letzterem Theaterbillette. Wenn mir nur alle in Oester-
reich so gütig entgegen kämen, wie ich's von denen er-
warte, an welche Sie empfehlende W^orte gerichtet! Nun,
Sie sollen's erfahren, wie es mir am Sonnabend ergangen
sein wird. — Ihre Quittung an Hn, X., der des Königs Gold
in bittere Pillen hinein reibt, statt es umgekehrt zu machen,
habe ich überschickt. Verpflichtungen lese ich sonst nicht
aus der Quittung, als die eine, im April oder Mai (oder
auch Ende März) noch einmal bei Hofe zu spielen, wie
Sie ja dem Könige versprochen haben. Wahrscheinlich
hat der letztere bloß einfach Hrn. Y. gesagt, daß das Ho-
norar für Ihre nächste Leistung bei Hofe in dem einge-
schlossen sei, was er Ihnen jetzt überschickte. Die takt-
lose Ausführung des K. Auftrags ist bloß ein neuer Beleg
für den Unterschied zwischen den feinen Gesinnungen der
Herrschaften und der plumpen Ausführung von Seiten der-
jenigen, die sich auf Kosten ihrer Gnade brüsten. Ich
I a8 Von Clara Schumann
konnte es übrigens nicht unterlassen, Frl. v. G.[abelentz] die
Sache zu erzählen und derselben zu sagen, daß ich vor-
hätte, Ihnen zu schreiben (auf eigne Gefahr), die Herr-
schaften hätten gewiß nichts von dem Wortlaut des Schrei-
bens geahnt, ich wollte bloß von Frl. v. G. wissen, ob sie
die Sache nicht ebenso wie ich ansähe. Sie gab mir voll-
kommen recht und sagte, daß leider nur zu oft ähnliche
Unzartheit vorkäme. Zu meiner größten Freude nun er-
hielt ich auch noch eine schriftliche Bestätigung, die ich
Ihnen confidentiell mittheile, weil Sie dadurch vollkommen
über die Sache beschwichtigt sein werden. — Auch theilte
mir Frl. v. G. mit, daß die Königin geäußert hätte, Sie be-
dürften der Königin Empfehlung nach Brüßel nicht, wenn
Sie von der Erzherzogin eine bekämen, wenn dies aber
nicht geschehen sollte, so wollte I. M. den Ausweg treffen,
in der 3'^" Person an ihre Verwandtin zu schreiben. Das
ist wieder so recht nach der Königin freundlicher Gesin-
nung ; ordentlich rührend. . . .
Doch nun genug, liebe Frau Schumann, ich muß leider
an's Packen! Lassen Sie mich ja durch Spina hören, wo
Sie meine Gedanken suchen dürfen.
Der Ihrige
Joseph J.
Von Clara Schumann
Düsseldorf d. lo. Febr: 1861.
Lieber Joachim,
Wie viel habe ich heute an Sie gedacht, wie innig ge-
wünscht, daß Ihnen Alles recht nach Wunsch gehen
möge: Welche Sehnsucht erfaßte mich heute Mittag — hätte
ich doch nur ein Weilchen lauschen können! Bald hoffe ich
von Ihnen einige Worte zu hören, muß aber diese Zeilen
doch früher abschicken, weil ich Ihren lieben Eltern so
Von Clara Schumann 129
gern auch meinen Glückwunsch senden wollte. Ich möchte
so gern, daß Sie gerade an dem Tage, wo Ihre Eltern ein
so herrliches, seltnes Fest begehen, auch meiner einmal ge-
dächten, die mit so vollem Herzen unter Ihnen ist. Welche
Seligkeit muß es doch sein, solch Fest zu erleben ! und wie
freue ich mich für Ihre Eltern, daß sie an dem Tage auch
Sie bei sich haben — der Gedanke an Ihrer Eltern Glück
erleichtert Ihnen auch gewiß Manches.
Ihren lieben Brief nach Detmold erhielt ich, und danke
für Alles — so hat sich ja die Sache in Wohlgefallen auf-
gelöst! — Ich will übrigens der v. Gabelentz einige Worte
des Dankes für Ihre Majestäten schreiben.
Der Aufenthalt in Detmold wird mir um Eins unver-
geßlich sein. Ich benutzte dort die Gelegenheit des Or-
chesters und lernte die Concerte in G d u r und A d u r von
Mozart kennen. Gejubelt und geweint habe ich dabei. Bis
mir die Thränen bei der Musik kommen, da muß sie schon
herrlich sein — das Adagio im G dur Concert, welche Him-
melswonne ist das, und die ersten Sätze, und im Adur der
letzte Satz, welch frisches Leben in all den Instrumenten,
was ein Reichthum an Gemüth und Humor ! Hätte ich nur
Einen noch gehabt, der mit mir gejubelt hätte — solche
Freude allein tragen, ist auch schwer. Wie betrübt ist es,
daß das Publicum bei solcher Musik beinah theilnahmlos
bleibt, und es brauchte doch weiter nichts als natürliches
Empfinden. . . .
Ein Bekenntniß muß ich Ihnen noch thuen : so gern
hätte ich Ihnen mündlich, als wir uns jetzt sahen, meinen
Dank für Ihren Weihnachtsbrief ausgesprochen, viele Male
setzte ich an dazu, dann fühlte ich aber jedes Mal, als ob
mir die Stimme versage, kurz ich fühlte mich weich wer-
den und schwieg dann. Sie wissen aber, wie mit der
Freundschaft auch der Dank für alles Liebe in mir immer
lebt.
Von Johannes hatte ich lieben Brief — Sie können den-
i3o Von Bernhard Scholz
ken, wie ich in Detmold bei der Musik und im Walde
seiner gedacht habe. Er schrieb mir gestern, die Concerte
von Mozart seyen wie aus einem Jungbrunnen geschöpft.
An Clara Schumann
[Wien 1 1 . Februar 1 86 1 .]
Liebe Frau Schumann
Ich weiß, daß es Sie freuen wird zu erfahren, daß alle
Ihre Prophezeihungen, die Sie mir für Wien ^) machten,
erfüllt sind. Darum schreib ich's in aller Kürze auf diese
Karte. Ich spielte Beethovens Concert, ein Spohr'sches
Adagio und Tartini, und obwohl Anfangs beklemmt, ward
ich bald so verzogen, daß ich mich wie zu Hause fühlte
und ganz warm wurde. Morgen gehe ich nach Pesth; am
i5"" komme ich wieder zurück und gebe das 3"^ Concert
am 18'*" um 5 Uhr; da spiele ich dann mein eigen ung:
Stück. — Meine Verwandten sind sehr gut und voll Rück-
sicht. Lewinsky^) ist ein netter Kerl, und alles verspricht
sich angenehm zu gestalten. Für heute nehmen Sie mit
diesem flüchtigen Gruß fürlieb.
Bald mehr! J. J.
Von Bernhard Scholz^)
[Hannover, Anf. März 1861.]
Lieber Freund!
Die Ankunft Ihres Briefes vertilgte alle heimlichen Vor-
würfe, die wir Ihnen bis jetzt gemacht; selbst diese
waren indeß nicht so heftig, denn ich konnte mir recht
^) Über dieses erste Auftreten Js. in Wien seit seiner Kindheit vgl.
E. Hanslick, Aus dem Concertsaal, 1870, S. 236 ff.
^) Auch Frau Seh. schätzte Lewinski als Menschen ganz besonders.
') Über seine Freundschaft mit J. vgl. Bh. Scholz, Verklungene Weisen.
Mainz (igi 1).
Von Bernhard Scholz i3i
wohl denken, wie sehr Sie die ganze Zeit über in Anspruch
genommen sind.
Wir freuen uns sehr auf Ihre baldige Rückkunft und
haben die Zeit über die Wochen Ihrer Abwesenheit gezählt :
diesmal sind Sie's, der die Häuslichkeit stört! — Ich will
nicht hoffen, daß Ihr Wunsch, den 23"^" als Conzerttag
innegehalten zu sehen, auf eine baldige Wiederabreise
deutet, denn i) müssen Sie Paula's (die Gott sei Dank
immer noch hier ist) und meinen Geburtstag mitfeiern,
2) sind Sie auch dem Könige, der nun Kömpel in Ungnaden
entlassen hat, schuldig, ihm einige Zeit zu widmen, und
drittens, viertens, fünftens, sechstens u, s. w. können wir
Sie nicht schon wieder entbehren. Ich gehe ja hier herum,
„als wär's ein Stück von mir!"
Wie habe ich gewünscht, bei Ihren Triumphen gegen-
wärtig zu sein; wir haben uns darüber gefreut wie die
Könige; — auch bei den Aufführungen, die Sie hörten und
noch hören, hätte ich mögen und möchte ich zugegen sein.
Die große Messe werden Sie ja wieder in Aachen hören,
wohin Sie wohl schon geladen sind; Freund W^üllner er-
kundigte sich wenigstens dieserhalb nach Ihrer Adresse.
In Ihrer Abwesenheit ist nicht viel hier vorgefallen:
Kaulbach zeichnet immer noch an Paulas Bild, das nun
aber nur noch einer Sitzung bedarf zur Vollendung. Mar-
chesi hat beim Könige gesungen. Ole Bull gibt heute
Abend ein Conzert im Logenhaus des Theaters, u. ich glaube
nicht, daß er seine Kosten herauskriegen wird. Er hatte
aber erklärt, er müsse ein Concert geben, schon deshalb,
weil man gegen ihn intriguire, daß er keines geben solle.
Ich sehe ihn Gott sei Dank gar nicht: er ist mir nun
gründlich zuwider.
Kommen Sie bald und bleiben Sie uns dann ein Weil-
chen! Hannover ist ohne Sie ein gräuliches Nest.
Noch Eines! Mein Bruder mahnt mich immer wieder
an eine Geige ! Auch meine Mutter bittet wiederholt darum.
9*
i32 Von Frau Luise Scholz
Sollte Ihnen dort zufällig ein preiswürdiges Instrument
(200 — 35o Thlr) begegnen, so bitte einstweilen die Hand
darauf zu legen.
Herzlichen Gruß von Ihrem
Scholz.
Grüßen Sie, wenn Sie sie sehen, Dessoff u. Gunz.
Von Frau Luise Scholz
Hannover 9, März 61.
Lieber Herr Joachim!
Ich kann mich doch nicht in Ihre großen Triumphe
hineindrängen, ungerufen, wie ein Bettelbub zu einem
König! wußte ich ja doch nicht, ob Sie ein Augenblickchen
für uns übrig hätten! Jetzt aber weiß ich's, u. weil Sie
uns ein wahres Fest durch Ihren lieben Brief bereitet, so
sollen Sie auch hören, daß wir fast stündlich Ihrer gedacht.
Wir haben alle Zeitungsartikel gelesen, die von ihrem
Ruhme sprechen u. uns nicht wenig darüber gefreut. Ein-
mal aber haben uns die dummen Leute einen schönen
Schrecken eingejagt mit dem Gerüchte, daß Sie ganz in
Wien bleiben wollten. Der Bär^) lacht u. glaubt nicht
daran, ich aber lache gar nicht. Wenn Sie uns wirklich
verlassen wollen, dann packen junge Scholze ihre sieben
Sachen u. laufen aus Hannover hinaus; dann kann's ihnen
kein vernünftiger Mensch mehr zumuthen, daß sie's dort
aushalten. Es ist ohnedem zwischen den Zeilen zu lesen
in Ihrem Briefe, daß Sie gleich nach dem Conzerte wieder
rechts um kehrt machen u. gehen, u. wir haben das Nach-
sehen.
Seit Ihrer Abreise haben wir sehr still gelebt u. Nie-
mand bei uns gesehen als den Kaulbach zum Zeichnen.
Das Bild wird wunderschön, er wird aber auch gar nicht
^) So wurde Scholz von den ihm Nahestehenden genannt.
An Clara Schumann i33
fertig damit. — Die Paula habe ich sammt ihrer Mutter
so lange gequält, bis sie mir länger zu bleiben versprach.
Ob die Henni Sie vergessen, kann ich so ganz bestimmt
nicht sagen, da sie mir durchaus kein Geständniß darüber
machen will. Aber eine große Errungenschaft ihrerseits
habe ich Ihnen zu vermelden, die aus vier Backenzähnen
besteht. Der Buvva ist riesig groß u. dick geworden. —
Sie werden erstaunen!
Jetzt grüßen Sie Ihre Frau Mutter von mir u. gratuliren
Sie ihr in meinem Namen, daß sie wirklich sagen kann:
„Je suis la mere de Joachim".
Seien Sie auf's Herzlichste gegrüßt
von
Luise.
An Clara Schumann
[Hannover, Anfang April 1861.]
Liebe Frau Schumann.
Ohne noch Fräulein v. d. Gab. gesprochen zu haben,
rathe ich Ihnen, nicht an dem genannten Tag^) zu
kommen, da gewöhnlich diese Zeit gerade voll Hofbesuch
und Unruhe ist. So liebenswürdig die Absicht ist (die ich
auch mittheilen will), die Herrschaften genießen Ihr Kommen
gewiß später ungestörter. Und dann dürfen Sie auch den
Kostenpunkt nicht unbeachtet lassen. Da Sie noch einmal
zu spielen verpflichtet sind, so sehe ich nicht, warum
Sie diese Schuld nicht lieber auf der Durchreise ab-
machen sollen. — Ganz ohne Egoismus ist indeß meine
Meinungsäußerung auch nicht: ich reise am i5*^" nach
Hamburg zum Philharmonischen Concert am 16'*^"; und
zwar werde ich mit Eyertt die Concertante für Viola und
^) dem Geburtstage der Königin.
i34 An Clara Schumann
Geige v. Mozart spielen und allein die Phantasie v. Schu-
mann. Daß ich diese auch in Wien im 3'*" Concert, u.
mit Erfolg gespielt, wissen Sie wohl. Wie leid hat es mir
gethan, meine Rückkehr nach Wien jetzt aufgeben zu
müssen! Durch den Tod der Herzogin von Kent wurde
es nicht möglich, vor dem 6*^" das letzte Abonnements-
Goncert hier zu geben, und Spina meinte, daß es dann
doch für Wien zu spät würde, und ich sollte die Rückkehr
nach Wien lieber auf den nächsten Herbst verschieben.
Wir werden noch viel über die liebe Kaiserstadt mitein-
ander zu sprechen haben ! Wenn nicht früher, so soll dies
Ende April i), und in Aachen, geschehen, wohin ich die
Einladung angenommen habe. Hauptsächlich Ihretwegen
und der Mißa sollemnis zu lieb. Schumann sagt zwar,
man soll nicht 2 Gründe angeben, aber es ist doch so, daß
mich das anziehende Programm allein schwerlich ver-
mocht hätte, die Reise zu machen, und daß ich Sie lieber
ohne den Musikfesttrouble besuche. Aber ich freue mich,
das Violin-Solo im Benedictus für Sie zu spielen. Noch
habe ich eine Schuld an Sie abzutragen, nämlich: einmal-
hunderttausend Millionen und ein — Grüße, ich wollte es
wären Goldstücke. Aber sie kommen wenigstens von einer
liebenswürdigen Dame, der Gräfin Zamoyska, der ich ver-
sprochen habe, wörtlich auszurichten, was sie mir auftrug.
Sie habe schon so viel Briefe an Sie angefangen, aber das
Hofleben mit dem exigeanten Herrendienst läßt sie eben
nie zu ordentlichem Schreiben kommen. — Für heute Adieu,
und die schönsten Grüße an Fräulein Marie und an Ihre
arme kranke Freundin.
Immer getreu
J. J.
^) beim 38. niederrheinischen Musikfest, das aber erst im Mai stattfand.
An Julius Otto Grimm i35
An Theodor Ave-Lallemant
[Hannover 4- April 1861.]
Lieber Freund Ave.
Viel Dank für die herzlichen Worte; auch ich freue
mich auf den Besuch bei Euch sehr, wie immer noch.
Was nun das Concertprogramm anlangt, so ist das frei-
lich diesmal eine mißliche Geschichte — höllisch bunt.
Auf keinen Fall darf gerade das Mozart'sche Stück fort-
bleiben; denn das war ja gerade der Hauptspaß. Spohr's
Concerte habe ich auch schon so oft abgedroschen, und
zudem kömmt noch, daß ich dem armen Eyertt, der eben
sein kleines (einziges) Söhnchen vorloren hat, die Anregung
und Zerstreuung gönne und ihm schon davon gesprochen
hatte. Sollte also Fräulein Gärtner Euch mit dem Gmoll
Concert doch noch beglücken, so machen wir das ganz
einfach so, daß ich meine gewöhnliche Einnahme mit
Eyertt theile, da ich vollkommen einsehe, daß ein Comite
den Kostenpunkt bei seiner Verwaltung im Auge behalten
muß. Eyertt braucht das ja nicht zu erfahren, und ich
komme ja nicht des Honorars, sondern der Freunde wegen
nach Hamburg, obwohl ich sonst nichts gegen das appetit-
liche Gold einzuwenden habe. . . .
Mit herzlichem Gruß
Joseph Joachim.
An Julius Otto Grimm
[Hannover Mai 1861.]
Mein lieber Ise!
Hast Du schon „Ut de Frantosentied " in Olle Kamellen
von Fritz Reuter gelesen? Wenn noch nicht, so hole
Dir's gleich und lese aus dem Buch die zweite Novelle^)
^) „Woans ick tau ne Fru kam."
i36 An Julius Otto Grimm
zuerst mit Deinen Frauenzimmern, die, wie Euer himmlich
verrückter Brief zeigt, selbst dem ollen Amtshauptmann
keine „tau quarigen Dernss" wären. Kaufe Dir das Buch
nicht, denn ich möchte es gar zu gerne in meinen lütten
Päding seine Bibliothek stiften, falls es noch nicht darin
ist. Kommen aber kann ich nicht vor Aachen, denn am
j5ten ijiuß [q]^ wahrscheinlich noch mit Frau Schumann
in Herrenhausen spielen. Am i6'"' ciber ist's hoch Zeit
(nicht Hochzeit!), nach Aachen zu fliegen, wo am 17*^" die
Proben beginnen. Ihr solltet aber mir ein Rendezvous geben
und alle mit; das wäre der einzige vernünftige Nachsatz
zu Eurem küssenswerth unvernünftigen Brief- Vorsatz ! Dem
schnöden Troer aber, der mich bei der heil'gen Elisabeth
oder klugen Ilse mit der Erzählung verläumdet hat, ich
wäre 8 Tage in Braunschweig gewesen, bieth ich figo und
wünsche ihm zeitlebens bei altem Pfefferkuchen und Mumme
im dortigen Thalia-Tempel eingesperrt zu werden! Einen
halben Tag lang war ich dort zum Pensions-Concert der
Musiker. O schnöder hungarischer Wicht! Bin letzteres
übrigens selbst; zum Theil wenigstens! Und damit Euer
Lachen eine neue Anregung gewinne, so schicke ich jedem
der fidelen Unterzeichneten wenigstens mein Bild: „denn
warum sollt' ich Bedenken tragen, meine Visage, so mir
Gott gegeben. Jedermann vorzuzeigen?"
Uebrigens verpflichte ich jeden Leser der „ollen Kamel-
len" nach Kräften für Weiterverbreitung gedachten Buchs
zu sorgen. Wonach sich männiglich und weibsbildlich zu
richten! Adjes, und auf Wiedersehn beim Musikfest;
das ist der Humor davon!
Joseph.
Presto
^^
'fr-r^ff^^
Didel didel didel didel didel Di ti ti!
Bernhard Scliolz
Nach einer Pliotof;raphie
An Clara Schuniaun i3~
An Clara Scliumann
[Hannover, etwa 3o. Mai 1861.J
Liebe Frau Schumann.
Meine Photographien, die noch vor Ihrer Abreise nach
dem Bad ankommen sollten, begleite ich mit den
freundlichsten Grüßen. Eine an die „Säule" gelehnte
Stellung ist mir unter meinen Exemplaren nicht mehr vor-
gekommen; nehmen Sie also fürlieb, bis ich die gewünschte
Photographie wieder auftreibe, und vertheilen Sie ad libi-
tum. An Johannes will ich auch denken. — Mein Kopf
weiß gar nichts mehr von dem Unfall auf der Eisenbahn ^) ;
es scheint, daß er hart genug ist, um einen tüchtigen Puff
zu vertragen ! Daß Sie nicht zum Geburtstagsconcert ^) ge-
kommen waren, ist mir nachträglich noch recht lieb ge-
wesen — Sie hätten Sich zu sehr geärgert über die feinen
Rüpel in Glace -Handschuhen, denen man zwar keinen
Respekt vor Händel und Beethoven, aber wenigstens etwas
loyale Ehrfurcht vor der Wahl einer königlichen Herrin
hätte zutrauen dürfen, und welche nicht nur alle pp, son-
dern sogar die ff der Symphonie todtschw atzten. Mir war
die Sache zuletzt förmlich komisch. Der König hat mich
ersucht, die Symphonie nochmals vor den Ferien zu dirigiren,
damit er sie ungestört genießen könne. Dadurch ist meine
Fahrt nach Berlin wieder um 8 Tage verschoben, denn
wahrscheinlich wird der König die Orchester-Musik Sonn-
abend befehlen. Scholzens reisen auch Sonnabend nach
Mainz; er hat noch definitiven Bescheid in der Niemann-
Angelegenheit bis dahin gefordert und gekündigt für den
Fall, daß er keine Antwort bis dahin erhielte. Mein Ent-
^) 8 Tage vorher war bei Gütersloh der Zug, in dem Joachim saß, ent-
gleist ; er war aber bloß mit dem Schreck davongekommen, daß ihm seine
im Netz liegende Geige auf den Kopf fiel.
*) der Königin.
i38 Von Bernhard Scholz
Schluß bleibt auch bestehen, ihn nicht allein ziehen zu
lassen, falls der König eine gute Stimme wirklich für
werthvoller hält als künstlerische Ehre ! Noch glaube ich's
nicht. 1)
Für's Bad die besten Wünsche und die Bitte, mich hören
zu lassen, ob sie fruchten! Schöne Grüße an Fräulein Marie
und an die Hausgenossen von
Ihrem
J. J.
P. S. Die Königin hat uns sämtliche Concertmitwirkende,
d. h. Scholz, Stockh. und mich, mit Nadeln beschenkt. Eine
recht schöne Perle, die ich tragen werde.
Von Bernhard Scholz
Hammermühle den lo. Juni 1861.
Lieber Freund!
och keine Entscheidung ! Ich neige auch bereits stark
zu der Ansicht, daß ich trotz des königlichen Wortes
bis zu der gesetzten Frist keine Entscheidung bekomme.
Es ist für Se. Maj. die bequemste Art sich aus der Affaire
zu ziehen und nachher zu sagen: „Scholz hat ja meinen
Bescheid nicht abwarten wollen; ich war ihm günstig u.
hätte Niemann wohl gezwungen". . . .
Ich zeige Ihnen sofort das Resultat der Geschichte an,
wenn es sich durch Entscheidung oder auch durch Schwei-
gen des Königs herausgestellt hat.
Ich bin in Ffurt bei Herrn von Guaita gewesen und
vermuthe aus dem freundlichen Empfang, der mir zu Theil
wurde, daß Sie ihm schon geschrieben haben. Sollte ich
mich irren, so thun Sie es, ich bitte, noch, damit seine
^) Über Alb. Niemanns Konflikt mit Scholz vgl. Fischer igo f. u. Scholz,
Verklungene Weisen S. i49f-
N
Von Bernhard Scholz 189
gute Gesinnung zum Superlativ gesteigert werde. Sollte
sich die Sache in Ffurt machen, so wäre ich wenigstens
in einer Beziehung leidlich entschädigt, — und doch, wie
ungern scheide ich von Hannover und — und von Ihnen! Es
war so schön und wäre noch schöner geworden ! — Finden
Sie noch, daß ich nicht Ursache habe, einen Menschen
von Herzen zu hassen, der mir eine schöne Zukunft aus
reinem Frevelmuth zerstört?! — Ich werde bitter über die
Geschichte und will schweigen.
Wir leben hier vergnügt, sind wohl, die Kinder gedeihen
prächtig, und ich hätte Ursache ganz glücklich zu sein,
wenn nicht die fatale Geschichte mir alle paar Stunden
einmal einfiele. Das ist's, was mich am meisten ärgert, daß
sie mir nun schon wochenlang die Stimmung verdirbt und
noch verderben wird. Das Einzige, was mich mitunter freut,
ist die Rache, die wir am König nehmen werden. Es ist
doch ein schönes Ding darum, und ich werde auch an N :
noch auf die eine oder andere Art Rache genießen; deß
bin ich sicher. Zum Arbeiten kam und komme ich noch
nicht; ich denke wohl immer an mein Requiem, aber es
muß erst wieder ruhiger in mir werden, ehe ich mich
sammeln kann.
Ich fülle meine Zeit mit Spazierengehen, Fahren, Schießen
u. s. w. aus; unsere herrliche Gegend ist so einladend zum
Genuß! Kommen Sie bald zu mir u. zu uns! — Vielleicht
habe ich Sie den Winter nicht mehr!
Schreiben Sie mir bald wieder; ich habe es recht nöthig!
Paula grüßt und all' die Meinigen! Wie gern wären
Sie hier aufgenommen!
Meine Frau schickt Ihnen tausend Grüße, wie auch ich,
Ihr getreuer
Scholz.
i4o Von Clara Schumann
Von Clara Schumann
Spa d. 12. Juni 1861.
...Die Gegend ist lieblich, wo man hingeht, überall
schöner Wald, wie müßte Ihnen und Johannes das gefallen!
Könnte ich es nur mit einiger Heiterkeit genießen! aber
da kommt mir immer die Wehmuth, je schöner die Natur,
desto mehr fühle ich die Trauer, nichts mehr mit Ihm, dem
geliebten Manne, genießen zu können. Ach, lieber Freund,
was kann die ganze lachende Natur sein gegen einen lieben,
freundlichen Blick, der mir von Ihm kam ! nur in lieber,
anregender Gesellschaft gewinnen diese Gedanken nicht
die Oberhand — dann freut mich auch, was sonst Schönes
mich umgiebt ! . . ,
Wie froh war ich, nicht zu dem Concerte nach Hannover
gekommen zu sein, das hätte mich doch schrecklich ge-
ärgert! — Sie thaten freilich am besten, der Sache die
komische Seite abzugewinnen, für meinen Geldbeutel aber
wäre es doch etwas tragikomisch gewesen.
Ob Sie nun wohl in Berlin waren? oder Johannes etwa
bei Ihnen ist? oder Sie dort in Hamburg? was wird denn
wohl schließlich für den Sommer herauskommen?
Bitte, lieber Freund, schreiben Sie mir bald, recht viel
— denken Sie, welche Freude Sie mir machen. Meine
Adresse ist: Spa en Belgique, Palais de Westminster N"^" 9^.
Denken Sie nicht etwa, ich wohnte in einem wirklichen
Palais — hier nennt man jedes kleine Haus Palais oder
Hotel, jedes Zimmer, worin man sich eben nur umdrehen
kann, Salon.
Wie ist es mit Scholz geworden? gewiß noch nichts be-
stimmt. Ich glaube, es wird mir doch recht traurig sein,
wenn ich Sie mal nicht mehr in Hannover weiß — wo
wird man Sie dann noch finden!
Von Clara Schumann
i4i
Nun, liebster Joachim, seyen Sie innigst von mir gegrüßt
und gedenken Sie Ihrer getreuen Freundin
Cl. Seh.
Canone per tonos a 4
P
J. B.
(Fine)
m^^^^^^^^^^
Tö - ne, lin-dern-der Klang, Du kannst nicht neh - men die
^tLiI f 1 1 ^'-^^^^=^^^^^^^3^
Schmer-zen
A - her die Tö - ne viel -leicht
^^^^^P^^
dem die lei - den - de Brust.
Der Canon, von dem ich Ihnen neulich sprach — er klingt
so schön.
^) Canon in der Unterquarte.
J. Brahms.
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M.
i42 Von Frau Scholz
Von Frau Scholz
Hammermühle i4. Juni 6i,
Wenn ich jetzt meinen Vortheil zu wahren wüßte,
liebster Meister, so wartete ich in aller Ruhe, bis
Sie wieder in Hannover oder irgend wo anders säßen u.,
so gut wie ein Anderer hie u. da zu einem langweiligen
Stündchen verdammt, jeden Brief mit freundlichen Augen
betrachteten. Ich bin Ihnen aber so dankbar für die Theil-
nahme, mit der Sie uns Nachricht gaben, daß ich's Ihnen
jetzt gleich nach Berlin schreiben muß. — Eben, während
ich hier schreibe, erhebt sich ein furchtbarer Sturm, u. die
großen Akazien, dicht vor meinen Fenstern, schütteln mit
solchem Nachdruck ihre Häupter, daß ich alle contenance
verliere. Ich glaube, sie wollen durchaus nicht, daß ich
fortfahre; ich weiß auch jetzt, woran sie denken: „P.S.
(Für Ihre Frau)",^) ist auch wirklich nicht die artigste
Form, unter welcher Jemand an Jemandes Frau schreibt;
auch nicht die einladendste zur Antwort — was aber dies
„P.S. (für Ihre Frau)" enthielt, war doch gar zu lieh —
Jemandes Frau muß darauf antworten. Ich danke recht
herzlich u. weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll, daß
Sie sogar unsere Wohnung besuchten.
Mein Mann hat nach Ihrem letzten Briefe an Kaulbach
geschrieben u. ihn darum gebeten, Sr. Majestät doch wo
möglich an eine direkte Zusage erinnern zu lassen; aber
vor der Ankunft dieses Schreibens in H., heute früh, kamen
3 Telegramme, eines von Kaulb. , eines von der Theater-
direktion u. ein späteres vom Hrn. Cbtsrth. Lex direkt,
alle desselben Inhalts: Sr. Majestät würde dem N.[iemann]
befehlen, unter S. zu singen, dessen Kündigung sei also als
*) So hatte J. eine Notiz für Frau Seh. in einem Briefe an ihren Mann
eingeleitet.
Von Frau Scholz i43
nicht angenommen zu betrachten. Wir haben uns sehr
gefreut, denn i) Sie u. 2) das übrige Hannover verlieren
zu sollen, war uns keine glückliche Aussicht. Nun können
wir uns ruhig u. sorgenfrei unseres stillen Landlebens
freuen. Mein Mann läßt Sie tausendmal grüßen ; er macht
mit der Mutter u, den Schwestern eine kl. Parthie an den
Rhein, wo sie junge Streckers treffen wollen. Ich kann
noch nicht länger von Haus weg u. bin deßwegen seit-
her, in Mainz u. Wiesbaden abgerechnet, immer auf
der Mühle geblieben. Die Kinder danken mir's auch
sehr; sie haben so dicke, rothe Backen, daß es ein
wahrer Staat ist; der Henni ist es unter dem Vieh gar
zu wohl; sie findet darunter ihren genußreichsten Um-
gang. ...
Ihr Adam Bede liegt in meinem Schreibtische u. freut
sich seines prächtigen Einbandes; zur Stunde weiß noch
kein Mensch, ob er auch ein schönes Innere hat. Aber ich
will's zu erfahren suchen, sobald ein ganzes Regiment
kleiner Röckchen, Kittelchen u. Kleidchen, welche der Ruhe
der Mühle ihre Entstehung danken sollen, erst meiner
Nadel entwachsen sind u. sich an die runden, rosigen Glie-
derchen ihrer munteren Besitzer schmiegen. Ein gutes
Drittheil davon ist überwunden u. ich stichle wacker mei-
nem Adam Bede entgegen.
Lieber Joachim ! ich habe Sie sehr lieb, u. jeden Anderen
würde ich herzlich drum beneiden, wenn er den ganzen
Tag so um die Tochter der Bettina sein dürfte, die gewiß
manchen Zug von ihrer herrlichen Mutter hat. Vor dem
Herman Grimm würde ich mich zu Tode fürchten, denn
wenn der wirklich gescheiter ist, als Sie (was ich übrigens
ganz unter uns gar nicht glaube), so können ja andere Men-
schen gar nicht bei ihm aushalten.
Mein Mann bittet sich für diesmal eine katholische
Adresse aus. Sie können mir jetzt eigentlich auch einmal
schreiben u. ein bischen viel.
i44 ^on Frau Scholz
Bernhard, Henni u. Paula grüßen, u. ich bleibe von
Herzen Ihre
Luise Scholz.
[Nachschrift von Beruh. Scholz:]
Mien leiw Friend!
Ditmal is de Sak nich mit'n verkihrt En'n tau ierst tor
Welt kamen, un wenn weck gefesselt an den Stufen des
Throns stahn möten, dann is Hei dat, un nich wi.
Gestern bekam ich Nachricht von Kaulbach, Uentze u.
Lex, daß Niemann fortan unter mir singen müsse u. daß
meine Kündigung als ungeschehen angesehen werden
solle. — Bong!
Adjüs für heute!
Laten Sei bald weder wat von Sik hüren.
Von ganzem Herzen
Der Ihrige
Scholz.
Von Frau Scholz
Hammer mühle 22. Juni 61.
Ew. Wohlgeboren
besonderer Güte erlaube ich mir Überbringer dieses ^), einen
jungen Menschen zu empfehlen, der mit geringen Mitteln
sich vergeblich quält, Etwas zu Stande zu bringen. Er hat
zwar viel Streben und wenig Talent, dagegen ist er durch
ein sehr ungefälliges Aeußere ausgezeichnet. Von ganz ob-
scurer Herkunft, hat er sich 6 hessische Fuß in die Höhe
gearbeitet u. darin liegt eigentlich das Verdienst, dem er
meine Empfehlung verdankt. Da nun auch mein Wahl-
spruch lautet:
„Entbehre, was Dir Gott beschieden,
„Genieße froh, was Du nicht hast!",
*) ihren Manu, vgl. den folgenden Brief.
An Frau Scholz i45
so verbleibe ich, in Bezug auf Obiges Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenste u. s. w. — „P. S. (Für Joachim)" Ich ver-
diene ein ganz besonderes benefice; nicht daß Sie in einem
Concerte für mich spielen sollen, sondern daß ich gern
einen Brief von Ihnen möchte. Edle Seelen wollen zwar
nicht bemitleidet sein, aber bei Ihnen, scheint es, muß man
ganz besonders an die Barmherzigkeit appelliren, um auch
nur einen Buchstaben aus Ihnen herauszupressen. So hören
Sie denn: ich entsage willig einer vier wöchentlichen
Reise in Gesellschaft meines Mannes nach der
Schweiz u. nach Italien, aber dafür will ich einen Brief
von Ihnen. Kommen dürfen Sie nicht eher, als bis Alle
wieder da sind, natürlich, denn mein Mann will erst die
Reise u. dann auch Sie für sich, dafür will ich aber einen
Brief von Ihnen. Ich werde in der nächsten Zeit viel Land-
leben, viel Kinder u. viel Langeweile erleben, dagegen
wenig Angenehmes, dafür will ich aber einen langen Brief
von Ihnen. Sie haben mir erlaubt, aggressiv zu sein, dafür
will ich aber einen Brief von Ihnen. Ich beneide meinen
Mann herzlich, daß er zu Ihnen kommt; geben Sie ihm
Ihre nächste Adresse u. machen Sie ihm das Leben mög-
lichst sauer.
Leben Sie wohl!
Ihre
Luise Scholz.
An Frau Scholz
[Hannover etwa il\. Jmii 1861.]
Verehrteste Freundin
Ich bin wirklich trostlos, daß der arme Bernhard durch
telegraphische Depeschen in seinem Sommer-Aufenthalt
inkommodirt werden muß! Sie sind hoffentlich auch ohne
meine Versicherung überzeugt, daß ich völlig schuldlos
i46 An Frau Scholz
daran bin; so sehr ich mich natürhch auch freue, ihn so
unverhofft wiederzusehen. Ich hatte eigends, als ich hörte,
daß B. dieser Blitzstrahl aus dem heitern Himmel König-
licher Gnade drohte, andeuten lassen, daß ich auf S*^ Maj
Wunsch auch mit Wehner einmal ausnahmsweise musi-
ciren könnte! Das scheint aber nicht gefruchtet zu haben.
Es ist recht ärgerlich, eine schöne Reise in die republika-
nische Schweiz um einen russischen Großfürsten aufgeben
zu müssen! Indeß dürfen wir's der letzten Königl: Ent-
scheidung wegen nun nicht zu genau nehmen, und schließ-
lich ist's ja auch diesmal sehr gut gemeint, wenn's auch
ungeschickt rücksichtlos herauskömmt. Diese hochver-
rätherische Auffassung wollen wir aber unter uns genießen;
die andern mögen in gehörigem Respekt vor der neuen
Blume aus dem Füllhorn Königl' Gnade ersterben, umso-
mehr als hier noch mancher Tenoristen -Trugschluß im
Publikum cirkulirt. „Thut uns aber weiter keinen Ab-
bruch" i) wie Rabe sich ausdrückt! — Ich bin erst seit
2 Tagen von Berlin wieder zurück. Es waren sehr schöne
Tage; ich wohnte bei Schumann's, von denen aber nur die
beiden Jüngsten, Felix und Eugenie, ein paar herzige Kin-
der, dort waren; Frau Seh. selbst ist in Spa. Die meiste
Zeit aber war ich bei meinen Freunden , den Grimms, bei
denen mir's so gut gefiel, daß ich eben gar keine Einzel-
heit besonders hervorzuheben wüßte. Wir plauderten, musi-
cirten, sahen zusammen liebe Menschen, gute Bilder, fuhren
spazieren, und doch war's das alles nicht, was den Aufent-
halt mir reizend gestaltete ! Es ist auch nur eine nüchterne,
prosaische Bezeichnung, wenn ich's den guten Genius nenne,
der echte Freunde immer als das Bewußtsein begleitet, ver-
stehend verstanden zu werden. Das Beste kann im Freundes-
verkehr, wie bei einem echten Kunstwerk gar nicht erklärt
werden. Ein reizender Besuch aber, der von auswärts unter
^) Js. Diener R. hatte diesen Ausspruch nach Anhören des Geigers
Ole Bull getan.
An Clara Schumann l47
meine Berliner Freuden flog, und für den ich eigentlich
aus vollstem Herzen zu danken hätte anfangen müssen, be-
vor ich noch was anderes mittheilte, war Ihr lieber, guter,
lebenathmender Brief! War mir's doch, als hätte ich Sie
alle in der großen Stube vor mir, so sehr verstehen Sie's
schreibend ein Bild Ihrer gesammten, wohlthuenden Exi-
stenz hervorzurufen. Wie preise ich das gute Geschick, das
mir vergönnt, Sie und Bernhard in der Nähe zu behalten!
Ich denke, wir werden uns noch oft des eigenthümlichen
Dramas mit der befriedigenden Lösung in der Erinnerung
freuen. Ihren Brief habe ich Grimms mitgetheilt, denen
ich viel von den neuen Freunden erzählen mußte. Ich hoffe,
die Akazien schütteln diesmal nicht die Häupter, sondern
nicken sanft zustimmend.
Herman G. will mich im Herbst einmal besuchen; dann
sollen Sie Sich überzeugen, daß Sie mich in Ihrem Un-
glauben überschätzt haben. — Über meine noch immer un-
stäten Sommer -Pläne wird Ihnen Bernhardus berichten,
ich habe gegen meine Gewohnheit viel geschwatzt und
muß wohl aufhören ! Nur noch viele Grüße an Ihre Eltern,
Schwiegereltern, Schwägerinnen, an alle, die Ihnen lieb
sind und sich meiner noch erinnern.
Aufrichtigst ergeben
J. Joachim.
Der Henni und dem Buba einen Kuß.
An Clara Schumann
[Hannover 28. Juni 1861.]
Liebe, verehrte Freundin.
Sie werden sehr erstauen über die Eröffnung, die ich
Ihnen jetzt machen werde: daß ich nämlich den Som-
mer über ganz ruhig hier bleiben will! Ich bin so viel
hin und her gewesen in diesem Jahr, daß ich förmliche
l48 An Clara Schumann
Sehnsucht nach Ruhe habe, und die ist mir erst jetzt hier
gegönnt. Die Zeit seit Berhn war durch 3 Concerte hei
Hof (wegen der Russischen, Oldenburgischen, Badischen
etc. etc. Besuche), zu denen auch Scholz als Begleiter tele-
graphirt ward, recht zerstückelt. Scholz, der nicht einmal
in seine Wohnung konnte, weil das Mädchen mit dem
Schlüssel nach Haus gereist war, lebte die ganze Zeit bei
mir, dazu kam das lange Aufbleiben, kurz, an Arbeitstim-
mung und Fleiß war unter solchen Umständen nicht zu
denken. Nun aber denke ich, soll's in meiner fi-ischen,
gegen Wärme sehr geschützten Gartenstube recht heimisch
werden, und ich hoffe, Ihnen bald sagen zu können, daß
ich mitten in der Arbeit stecke, bis über die Ohren ! Später
wollen wir dann in der Schweiz, oder wo Sie wollen, zu-
sammentreffen. Ich habe für den 1 9""' August ein Engage-
ment in Antwerpen angenommen, wo die Eroica, die Wal-
purgisnacht und das Beethoven'sche Concert in's Programm
aufgenommen sind und man mir für das letztere 1 5oo francs
bestimmt hat. Das durfte ich doch nicht ausschlagen ! Wie
schön kann ich dann für die Summe eine Reise zur Er-
holung machen, wenn ich bis dahin recht arbeite. — Lassen
Sie mich nun recht bald wissen, Avas Sie nach Spa be-
ginnen. Mit dem Aufenthalt in diesem Bad muß es für
Sie bald zu Ende gehen. — Ich habe Ihnen noch so viel
zu danken für den Aufenthalt in Berlin! Felix und Eugenie
waren gar so lieb, und in der ganzen Wohnung wehte der
Geist Ihrer Fürsorge, trotz der Entfernung. Auch ist die
Lage zehr reizend, und ich begreife immer nicht, daß Sie
Berlin gar so hassens würdig finden. Es ist und bleibt denn
doch die geistig belebteste Stadt Deutschlands, und das
will wahrlich viel sagen. Mit etwas Ausdauer und dem
für die Berliner dadurch erwachsenden Gefühl, daß Sie
wirklich dort festen Wohnsitz gründen wollen, würden Sie
bald dort den wohlthätigsten Einfluß Ihrer reinen, be-
geisterten Kunstausübung merken. Die kurze Zeit, die Sie
Von Frau Scholz i49
bisher widerwillig dort weilten, konnte in einer so
großen Stadt noch keine Wirkung nach sich ziehen. Wir
müssen einmal mündlich auf dies Thema kommen. — Für
Felix'chens Violinspiel konnte ich bis jetzt leider noch nichts
weiter thun, als ihm anempfehlen, nur in den Stunden
mit dem Lehrer und auf einer etwas größern Violine zu
spielen, die ihm der Geigenmacher Grimm geben wird,
sobald er sie holt. Allein zu üben, fehlt's dem kleinen
Jungen doch noch an Crtheil, obgleich er ganz gut hört,
wenn ein anderer falsch greift. Ich durfte auch lange Zeit
nicht allein üben. Bei der Violine ist's damit natürlich
anders zu halten wie beim Klavier, wo die Töne fertig und
rein vom Stimmer überliefert werden. Ich muß dann im
Herbst wieder einmal nachsehen. — Ich soll Ihnen von
der Königin sagen, daß sie ein kleines Hufeisen für Sie habe
besorgen lassen und es Ihnen bald einmal zu übergeben
hoffte, da es Glück bringt. Sie hätten das von Frl. Wentzel ^)
einmal gelobt, und es wäre annähernd so, wenn es auch
nicht ganz gleich geschafft werden konnte.
Den schönen Kanon habe ich dankend, d. h. Ihrer den-
kend gelöst. Frl. Marie einen freundlichen Gruß von mir,
Ihrem altergebenen
.1. .1.
Von Frau Scholz
Hammermühle 5. Juli 6i.
So glücklich hat mich Ihr liebenswürdiger Brief gemacht,
lieber Joachim, daß ich bis heute mit der Antwort u.
dem Danke an mich hielt, aus Furcht, meine Unbescheiden-
heit ließe Reue in Ihnen aufkommen. Aber ich habe ja
außerdem noch für eine so schöne Aufmerksamkeit zu
danken u. überhaupt — 'ch kann nun nicht mehr still sein.
^) Klavierlehrerin der Prinzessinnen.
l5o Von Frau Scholz
Der Gruß zum 28. hat mich unendlich gefreut, u. das kl.
Buch ist wirklich „ein frischer Bursche" ^) durch u. durch.
Ganz besonders will mir die Idee behagen, einen Schul-
meister einmal als warmen Freund seiner Zöglinge u. nicht
als ihr Popanz aufzuführen. Außerdem gibt ein ganz frem-
der Schauplatz auch der einfachsten Erzählung etwas Pi-
kantes. Es war mir eine erquickHche Lektüre.
Mein Mann war durch Sie ganz getröstet über das lang-
weilige Hin- u. Herreisen u. sprach nur von der Freude,
Sie vier Tage ganz u. gar gehabt zu haben. Ich kann's
verstehen ! Heute überraschte mich ein lieber, lieber Brief
von ihm aus Flüelen, u. da ich „alle Lieben" grüßen soll,
kann ich Sie gewiß nicht ausnehmen. Sie haben ihre Reise-
rute des schlechten Wetters wegen herumgekehrt, gehen
gleich nach Lugano u. dann in's Berner Oberland. Morgen
sind es acht Tage, daß Bernhard von mir fort ist — sie
kommen mir vor wie eine Ewigkeit ! In solcher Zeit macht
mir die Welt einen fatalen Eindruck, ^icht, daß ich eigen-
lich traurig wäre, denn er genießt ja froh, aber ich laufe
als Hälfte herum u. weiß nicht mehr recht, wie ich zu
dem ganzen Kram stehe. Bald kommt mir die W elt so groß
vor, daß mir scheint, ich könne mich nicht mehr darin
zurecht finden, bald so eng, daß mir ist, als läge ich an
Händen u. Füßen gefesselt u. müßte doch hinaus, hinauf!
Daß ich mich überhaupt so wenig über mich selbst erheben
kann u. bin so ein armer, kleiner Wurm all dem Großen,
Schönen u. Wunderbaren gegenüber, das von allen Seiten
auf mich einstürmt!
Ich habe mich über die Rahel geärgert! Das ist doch
eine gar zu kranke, eitle Judenmadam. Sie mag recht viel
Bildung u. Verstand haben; dabei macht sie aber einen
Spektakel mit ihrem Gefühl, daß Einem Hören u. Sehen
vergeht; u. der Weltschmerz! vor dem hab ich einmal
allen Respekt; deßhalb bleibt mir auch der X eine höchst
*) Von Björnson.
Von Frau Scholz i5i
unsympathische, wenn auch allerwärts schön drapirte Er-
scheinung.
Denken Sie nur, der Moleschott hat über mich gebrummt,
daß ich ihm den Michel Kohlhaas empfohlen u. kann nicht
begreifen, warum. Ist das zu verstehen? Auch er hat durch
seinen Brief meinen Geburtstag nicht wenig verherrlicht.
Es ist ein schöner Tag, wenn man ihn aus dem Schooße
des Glückes anlacht. So mannigfach sonst meine Empfin-
dungen bei dieser Jahresfeier waren, so bestimmt sind sie
jetzt und nehmen alle eine Richtung. Ich meine die der
innigsten Dankbarkeit für meinen Mann, der mich vor
einem traurigen Schicksale bewahrte, der mich in sein
warmes, großes Herz zog u. der mir Seligkeiten gab, die
mir in jeder Stunde aus zwei blauen Augenpaaren entgegen-
strahlen. — Es war ein schöner Tag ! Meine Eltern waren
auch da — liebe Freunde dachten an mich; u. ich bekam
auch wunderschöne Sachen! Abends kam zufällig ein Or-
gelmann auf die Mühle, den ließen wir aufspielen u. tanzten
in der freien Natur tüchtig drauf los. — Die Henni erwischt
jede Feder, die sie finden kann u. will dem „Mann" schrei-
ben; ich zeige ihr zuweilen Ihr Bild, das sie immer freudig
begrüßt. Mit dem Sprechen geht es jetzt etwas voran; das
lernt sie von dem kl. Vetter. Sie läuft mit einem kurz ge-
schorenen Köpfchen herum, was ihr allerliebst kleidet. Der
Buwa wiegt 19 i^ u. hat zwei Zähnchen.
Grüßen Sie mir den alten Herrn ^), wenn Sie ihn sehen,
so herzlich Sie können. Auch auf ihn freue ich mich ganz
ungeheuer. Ach, wenn ich mir denke, daß wir des Abends
wieder bei Ihnen sitzen — Sie als Rauchsclave zu Füßen
des alten Herrn, der Bär in einem Sessel lungernd, der
Unvermeidliche als schöner Statist u. allenfalls noch die
M. Soest, in ihr glücklichstes Lachen ausbrechend, bei je-
dem freundlichen Worte, das Sie ihr sagen — wenn ich
mir das so denke, sehne ich mich recht nach Hannover,
*) den Geiger Nicola.
l52 An seine Eltern
meiner jetzigen eigentlichen Heimath. Es wäre mir ein
großer Schmerz gewesen von dort zu scheiden, von dem
Fleckchen Erde, wo ich meine beiden Kinder zum ersten
Male an's Herz gedrückt u. wo wir Sie erworben.
Die Akazien stehen regungslos; sie sind starr über die
Unverschämtheit, mit der ich Ihnen alle die Geständnisse
mache u. scheinbar Ihres Gleichen bin. Denken Sie zu-
weilen, wie allein ich hier bin; das hat vielleicht einen für
mich günstigen Erfolg!
Leben Sie wohl!
Luise Scholz.
An seine Eltern
[Hannover i. Hälfte Juli 1861.]
Liebe Eltern
Es ist mir lieb, daß die Theilnahme für den jungen
Auer diesem zu einem guten Instrument verhelfen soll.
Er braucht es allerdings nöthig, da seine jetzige Violine
nicht im Verhältniß zu seinem Talent und seinen Lei-
stungen steht. Doch ist es nicht nöthig, eine Violine an
mich hieher zu senden, namentlich da der junge Mann mit
seinem Vater zur Hochzeit seiner Schwester Ende dieses
Monats nach Ungarn reist und jedenfalls auch nach Pesth
kommen wird, wo es dann die beste Gelegenheit giebt,
wenn die Summe bis dahin groß genug ist, dem Knaben
und seinem Vater die Freude zu machen. Ich werde dies
auch an Liechtenstein ^) schreiben, dem ich für seinen Eifer
in der Sache sehr dankbar bin. Der Wollsortirer Auer ist
in der That der Bruder des alten A., der mir ein sehr
ordentlicher Mann scheint und bereit ist, für seinen Jungen
jedes Opfer zu bringen. Gestern hatte er die Freude, daß
sein Sohn mit mir beim König Duetten spielte, die wir
^) Eine mit Js. befreundete Pester Familie.
An Frau Scholz i53
am Sonnabend wiederholen müssen, so gut war der Köniy
mit der Leistung zufrieden. Ich bin jetzt jeden Abend zum
Thee in Herrenhausen (dem eine ^/g Stunde weit gelegenen
Sommeraufenthalt der Majestäten), und meist musicire ich
auch dann. Die Herrschaften sind immer sehr gnädig, aber
es ist doch etwas monoton, jeden Abend zu Hof zu müssen,
und so werde ich denn nächste Woche auf einige Tage in
den Harz, um mich an den Bergen etwas zu erholen. —
Vom lieben Heinrich hatte ich vor etwa lo Tagen Nach-
richt aus Elboeuf, wo er seine Geschäftsfreunde besucht.
Von dort aus wird er wohl nach London zurückkehren.
Er schien sehr wohlauf, . . .
An Frau Scholz
[Hannover etwa 8. Juli 1861.J
Liebe PVau Scholz
In mein hier ziemlich gleichförmiges Leben bringen Ihre
willkommenen Nachrichten immer die liebste Anregung,
für die ich danken würde, wenn ich's nicht vorzöge, die
Schuld anwachsen zu lassen ; da es wahren Freunden gegen-
über gar nichts Schöneres giebt, als zu fühlen, wie die Ver-
pflichtungen zu einem immer schwereren Anker erstarken,
der aneinander fesselt. Ich hoffe, es geht Ihnen und dem
Bernhard eben auch nicht anders, wenn Ihnen in der Nähe
meine Violine und in der Ferne meine Theilnahme manch-
mal wohlthut. Vom Bernhard werde ich wohl kaum was
zu hören bekommen, bevor wir uns wiedersehen: wir Mu-
siker schreiben ungern, und wenn man vollends mit den
liebsten Schwestern in den Alpen herumstreifen kann, giebt
das die schlimmsten Aussichten für Brief erwartende Stuben-
hocker in der Ferne. Meine Spaziergänge beschränken sich
seit 14 Tagen fast nur auf Herrenhausen. Ich weiß, Sie
werden nicht vor Neid vergehen, wenn ich Ihnen sage, daß
i54 An Frau Scholz
ich allabendlich dort meinen Thee trinken „darf", um
mich loyal auszudrücken; zumal wenn ich hinzufüge, daß
ich vorher allemal mit der Zitterpappel ^) aus dem Norden
zu probiren habe! Ich glaube kaum, daß der Hofkonditor
(trotz der Sommerhitze) so viel bei der Bereitung der Süßig-
keiten zum Theetisch auszustehen hat als ich, wenn ich
mit dem wackern Schweden die Romanzen, Spohr'schen
Adagios etc. vorher koste, die der König des Abends zu
consumiren liebt. Der arme Lindhult! Er klammert sich
vor ängstlicher Nervosität förmlich krampfartig an die
Tasten und ist schwer vorwärts zu kriegen. — Doch darf
ich auch die angenehme Seite der Herrenhäuser Abende
nicht vergessen: Frau Platzhof singt wundervoll Lieder,
wie ich außer der Lind von keiner Frau es hörte, und dann
ist der meist einsame (Lindhult wohnt draußen, und Kaul-
bach ist seiner Braut wegen meist in der Stadt) Heimweg
zu Fuß in der Lindenallee bei Nachtstille sehr wohlthätig.
Des herrlichen Kometen nicht zu vergessen, den Sie hoffent-
lich auch genossen haben!
Der alte Herr Nicola hat sich Ihrer Grüße sehr erfreut.
Ich wollte ihn überreden, mich in den Harz zu begleiten,
wohin ich den warmen Strahlen der Königlichen Gnade
am Sonntag auf einige Tage auszuweichen gedenke; aber
seine Flügel sind so lange nicht gebraucht, daß sie nicht
mehr leicht in die Ferne fliegen können. Schade darum!
Ob ich wohl auch einmal so hypochondrisch unbrauchbar
vereinsamen werde? Von Kaulbach soll Ihnen die nächste
Seite ^) das Gegentheil versichern; er war mit seinem aller-
liebsten „nüdlichen" Bräutchen bei mir, und selbst das
Hannöver'sche kleidet ihr Mündchen hübsch. — Werden
Sie denn Frau Schumann einmal in Kreuznach aufsuchen?
Sie ist seit 8 Tagen dort; ich habe es aber noch nicht von
ihr selbst erfahren. Daß Sie der kleinen Henni Gedanken
*) dem schwedischen Gesanglehrer Lindhuh.
^) Kaulbachs Verlobungsanzeige.
Von Bernhard Scholz i55
auf Federn zum „Mann" trafen, ist Hebenswürdig, küssen
Sie das kleine Ding von mir.
Mit freundschaftlichen Grüßen an Sie und B.
Der Ihrige, Eurige
J. J.
Von Bernhard Scholz
Lugano, Belvedere du Parc 9 Juli 1861.
Wir leben hier im Garten Europas herrlich und in
Freuden, in angenehmer Wohnung, mit der schön-
sten Aussicht vor den Fenstern.
Das „Wir" besteht aus meiner Mutter, drei Schwestern
und 1 Freundinnen derselben nebst meiner Wenigkeit.
Trotzdem also 6 Damen auf mich einzigen Herrn kommen,
gäbe ich doch viel darum, wenn meine gute liebe Frau u.
ihre resp. meine zwei kleinen Appendixe auch dabei wären.
Das schlechte W^etter hat uns aus der nördl: Schweiz
rasch vertrieben; wir sind über den Gotthard hierher ge-
flohen u. habe keine Ursache, es zu bereuen. Wir sind nun
5 Tage hier, wollen aber demnächst weiter. Ob nördlich,
zui'ück nach der Schweiz, oder südlicher, nach Genua, hängt
von Witterungsberichten ab, die wir heute aus Zürich er-
warten. Mir sagt südliche Luft und Vegetation nun ein-
mal mehr als alles Andere zu; mir ist, als ob ich leben-
diger lebe, frischer empfinde, als ob ich hier erst in vollem
Besitze meiner 5 Sinne sei.
Selbst ein furchtbarer Kolikanfall, der mir vorgestern
nach einem unvorsichtig genommenen Bade die entsetz-
lichsten Schmerzen verursachte, vermochte nicht die Grund-
stimmung innigsten Behagens über das Verweilen in dieser
sonnigen Natur zu trüben. Die Erde steht hier in einem
engeren Verhältniß zur Sonne, zum Licht, zum Urquell
aller Schönheit, als bei uns, im feuchtkälteren Norden mit
l56 Von Bernhard Scholz
seiner Nebelatinosphäre. Ich bin drauf und dran, ein Feuer-
anbeter zu werden.
Doch will ich nicht leugnen, daß auch ein düstrer Himmel
seine Schönheiten hat. So erschien das Reußthal, durch
welches die Gotthardstraße auf der Nordseite führt, dop-
pelt furchtbar großartig durch die finsteren Wolken, deren
Farbe so gut zu der der gewaltigen Felsformationen stimmte.
Es war freilich kein Anblick, wie man ihn lange genießen
möchte, und wir waren Alle hocherfreut, als wir vom Gott-
hard hinab in die klare italienische Luft und Welt schauten;
doch war es schön!
Wir Beide sollten wirklich einmal zusammen eine Gebirgs-
reise machen ; ich glaube, wir würden uns gut vertragen und
manche guten Früchte ernten, wenn sie auch anderer Art
wären, als sie Lammers aus der Eilenriede nach Hause trägt.
Sie haben wohl seitdem den Hochgenuß gehabt, die
C-moll-Symphonie nach Gerold i) zu genießen und die kgl.
Freude über diese interessante Art, Beethoven zu variiren
( — die derbere Art es auszudrücken, behalte ich mir münd-
lich vor, wenn wir einmal allein u. im Dunkeln spa-
zieren gehen — -) theilen zu müssen. Ich wünsche, daß
ihnen das menu der Herrenhäuser Musiken weiter keine
Indigestionen bereiten mögen. Ich muß nun leider auf ein
Gesundheitsbulletin Ihrerseits für die nächste Zeit ver-
zichten, da es noch unbestimmt ist, wohin wir unsre Schritte
lenken; doch bitte ich Sie recht dringend, mir in späte-
stens i4 Tagen wieder auf die Hammermühle ein Lebens-
zeichen zu senden, als Vorboten Ihres bald darauf folgen-
den Besuchs, auf den sich Alles freut.
Herzlichen Gruß vom Süden nach Norden. Ich wollte,
ich könnte Ihnen ein Paar italienische Sonnenstrahlen mit-
schicken.
Ihr treuester
Scholz.
*) Militärmusikdirektor.
Von Frau Scholz 167
Von Frau Scholz
Hammermühle 22. Juli Gi.
Wenn Sie mich todtschlagen , liebster, bester Meister,
so weiß ich nicht, ob's der 24- oder 25. ist. Aber
einer davon ist Ihr Geburtstag ^), das weiß ich gewiß. Jetzt
glauben Sie gewiß, daß ich Ihnen gratulieren will? Ich
mag aber die Sache betrachten wie ich will, ich finde
immer, ich muß mir gratuliren. Denn ich sehe gar nicht
ein, wie es für Sie noch glücklicher sein soll, als für uns,
daß Sie da sind, u. dafür kann ich Ihnen auch nicht dan-
ken, weil Sie doch gar Nichts dafür können. Alles, was
ich Ihnen wünschen kann, wünsche ich ebenso gut mir —
u. so bin ich in einiger Verlegenheit, denn es gibt nicht
den richtigen Geburtstagsbrief! Aber vom Bären bin ich be-
auftragt, Ihnen von Herzen zu gratuliren; er hat in den
Alpen keine Zeit zu schreiben u. wird desto mehr an Sie
denken. — Ich habe mich erst schön geputzt, um Ihnen
das Alles zu sagen, weil ich dann festlicher empfinde u.
Ihnen unbefangener schreiben kann, was ich meine.
Ihr voriger Brief kam recht wie ein guter Engel in eine
desperate Stunde. Es hatten mich gerade zwei äußerst
pedantische, tugendhafte Hausfrauen in den Krallen u.
geißelten mich dergestalt mit den feinsten Stichen u. Hieben
über mein pflichtvergessenes Leben, daß ich schon anfangen
wollte, mich zu entschuldigen, daß ich überhaupt existire,
als mich der Anblick Ihrer schönen, lieben Handschrift
hoch in den Himmel hob, ich mich stolz erhob u. die bei-
den ansah, als wären sie zwei W^ürmer tief unter mir auf
der Erde. . . . Die Ehe ist ein Kapitel, über das ich mich gar
zu oft zu schämen habe für die ganze Welt, . . . Ich kann gar
nicht begreifen, wie die Menschen mit bescheidnen, mit
bedingten, überhaupt nur mit gemäßigten Ansprüchen hei-
') Vgl. die Anin. S. 21.
i58 Von Frau Scholz
rathen können. Ich habe ganz unmäßige Forderungen an
dies schönste Verhältniß gestelU, wäre aber das unglück-
sehgste Geschöpf unter der Sonne, wenn sie mir nicht erfüllt
worden wären. Und da sehe ich mich um u. sehe überall
diese Art von Heiratherei! — u. muß so oft roth darüber
werden. Hier soll das Höchste verlangt werden, hier sind
wir berechtigt, in all dem prosaischen Getriebe unsere Hoff-
nungen u. Wünsche zum Ideal hinauf zu schwingen u.
Keiner gefällt mir, der's nicht thut! — ...
Ihr Leben muß eben nicht das beneidenswertheste sein.
Das kommt davon, wenn man während drei Monaten Ferien
in Hannover hocken bleibt, sich einbildet, man wolle fleißig
sein, u. doch ganz gewiß nicht sehr viel thut. Ich habe
das Alleinsein hier jetzt herzlich satt u. wünsche den Bär
mit jeder Stunde sehnlicher herbei. Herzlich freue ich
mich wieder auf Hannover, auf mein liebes Zuhause u.
mache mir die prächtigsten Bilder vom kommenden Winter,
in denen Sie keine kleine Rolle spielen. — Ich finde es
eigentlich ganz scandalös, daß Ihr Geburtstag nicht auch
einige Tage vorher in den Zeitungen steht, wie von so
vielen gekrönten Häuptern, von denen eine ganze Stube
voll nicht soviel denkt als Ihrer allein. Aber dahin wird's
wohl noch kommen, ehe ich sterbe.
Nun habe ich noch meinen alten Nicola zu vertheidigen.
Wie nennen Sie das? „unbrauchbar vereinsamen"? Wenn
die Leute noch soviel von Ihnen haben, Sie noch so frische,
vielseitige Interessen haben u. überhaupt ein so lieber alter
Mann werden, wie der alte Nicola, dann freuen Sie sich!
Aber eigentlich meinen Sie, ob Sie ein alter Junggeselle
würden oder nicht, gelt? Darüber kennen Sie meine An-
sicht.
Wenn ich aufrichtig sein soll, so bin ich ein bischen
schadenfroh, daß Ihnen der Lindwurm, das schwedische
Ungethüm doch noch so viel zu schaffen macht, weil Sie
ihn überschätzen.
An Clara Schumann 169
Gestern war ein herrlicher Tag ! Wir machten eine lange
Fahrt in der himmlischsten Natur! Ich hatte mich allein
ganz in die Höhe gesetzt hinten auf den Bedientensitz u.
thronte da so lustig u. luftig, daß es eine wahre Wonne
war ; Die Gegend hier ist gar zu prächtig ! . . .
Jetzt müssen Sie mir aber verzeihen, daß ich Sie mit
dem Strome meiner Schreibseligkeit wahrhaft überfluthe.
Schließlich nur noch, lieber Joachim, daß sich über Ihren
Geburtstag zwar Alle, die Sie kennen, freuen werden, aber
mehr als ich Wenige. Ihr Umgang gehört zu den reich-
sten Freuden in meinem reichen Leben. Erhalten Sie ihn
uns !
Gehe es Ihnen so gut, als Sie's verdienen!
Luise Scholz.
P. S. WüUner kommt Anfang August hierher, wollen
Sie vielleicht mit ihm Zusammensein?
P. S. Ich lasse mir aber ein schönes Kleid nach dem
anderen machen u. hoffe, daß man jetzt mit mir zufrie-
den ist.
An Clara Schumann
Hannover d. 3o. Juli 1861.
Liebe, gute Frau Schumann.
^/Tan sollte immer gleich im ersten Freudenfeuer auf
J^TJL angenehmste Briefe antworten. Nun sind wieder
mehrere Tage vergangen, in denen der Schein der Un-
dankbarkeit auf mir lastete! Wie Sie immer gütig gegen
mich sind! Auch unter so schweren Sorgen haben Sie
meines Geburtstages nicht vergessen. Und welche herr-
liche Gabe begleitete Ihre herzlichen Zeilen. Nur sollte ich
eigentlich, statt für die Partitur zu danken, als gewissen-
hafter Freund Vorwürfe machen, daß Sie mich all zu reich
bedacht. Ich kann aber Ihnen gegenüber gar nicht recht
iGo An Clara Schumann
in Philister-Laune kommen ! Denken Sie aber, daß ich den
Figaro bereits hatte, so aber, daß ich doch nun den
Ihrigen behalten kann. Es liegt nämlich mein alter in
einer Mappe uneingebunden, und da er so unversehrt
ist, als käme er eben aus Simrock's Lager, so ist gar keine
Schwierigkeit vorhanden, die Zauberflöte dafür einzutau-
schen und in die Mappe zu legen. Ich habe meinen Ge-
burtstag hier sehr ruhig verlebt. Nur Abends war ich in
Herrenhausen zu einem Militär- Musiker-Concert, wo ich
von dem Königspaar Abschied nahm, das Tags darauf nach
Norderney abreiste. Der Schubert'sche schnelle Ddur-
Marsch, (der mit dem Hmoll Akkord anfängt) klang ar-
rangirt für Militär-Musik sehr gut und würde Ihnen auch
Vergnügen gemacht haben. Am aS^'"" war ich von einem
Stägigen Harzaufenthalt wiedergekehrt, wo ich Gisela und
Herman besucht hatte. Die Lage von Suderode, wo sie
wohnen, ist eine sehr anmuthige, eben zu Anfang der Harz-
Berge, von Wald umgeben und von reizend durch die
Bäume schimmernden rotbedachten Ortschaften belebt.
Wir waren natürlich viel im Freien, obwohl der arme Her-
man nicht viel gehen konnte, da er sich kurz zuvor bei
einem Sprung aus den Wagen den Fuß vertreten.
Einen Nachmittag brachten wir damit zu, einer Freundin
der Gisela in dem 2 Stunden entfernten Wienrode eine un-
verhoffte musikalische Freude zu verschaffen. Die arme,
wegen Lähmung nur in einem Wägelchen weiterzube-
wegende Frau Pastorin Lichtenstein i) (der Sie ja auch
Ernst Rudorff's wegen einst einen Besuch zugedacht hatten)
war nicht wenig erstaunt, als ihr Gisela sagte, wer ich wäre,
und daß ich auch meine Violine mitgebracht hätte. Ich
merkte, welchen entbehrten Genuß ich ihr durch Bach'sche
Klänge in das einsame, aber reizend friedliche und wohl-
thuende Pfarrhaus brachte, und werde noch lange an den
^) Gemeint ist Frau Pastor Hoffmeister, geb. Lichtenstein, eine Tante
E. Rudorffs.
An Clara Schumann i6i
herzlichen Dank der beiden Gatten denken müssen, der
mir lieber war, als die lärmendsten Beifallsstimmen, Ich
mußte denn natürlich auch viel, und immer wieder von
Ihnen erzählen. Kommen Sie je in die Gegend, so müssen
Sie die Leute noch aufsuchen, Sie werden's nicht bereuen.
Übrigens muß die Pastorin auch früher gut gespielt haben ;
sie ließ sich zur F dur Sonate mit Violine von Beethoven
überreden, und der Vortrag klang musikalisch, wenn auch
nicht ohne jene Sentimentalität, zu welcher Leute oft
kommen, die mit einer löblichen Sehnsucht nach geistigem
Leben fern von dem Schauplatz künstlerischer Thaten
existiren müssen. — Die Harzer Berge haben mir im Ganzen
gute Dienste geleistet, und die Erinnerung daran, wie an
ein neues, sehr tiefes Trauerspiel der Gisela i), das sie mir
vorgelesen, läßt das sommerliche Staub -Hannover schon
erträglich scheinen.
Ich muß zum i6"=" in Antwerpen sein und werde ein
paar Tage vorher abieisen, um Scholz den längst ver-
sprochenen Besuch auf der Hammermühle zu machen. An
der Schweizer-Reise nach dem 19'^" wollen wir festhalten.
W^ie freue ich mich darauf, noch i4 Tage mit Ihnen um-
her zu wandern, in der Schweiz zumal, deren Riesen mir
noch unbekannt sind ! Nun müssen wir aber wirklich etwas
gewissenhafter correspondiren, denn am Ende finden wir uns
sonst gar nicht, wenn wir zusammentreffen wollen ! — Ich
hoffe auch auf Johannes zur Schweiz. Ist Job. am Ende
in Kreuznach? Wir haben uns lange nicht geschrieben.
— Ich wollte, was Sie von einer Sinfonie sagen, wäre wahr !
Aber es ist nichts dergleichen entstanden, obgleich ich
wenigstens wieder Muth zum Schaffen bekommen habe in
der Sammlung der Einsamkeit. Stillstand im Componiren
rächt sich; und ich denke, es soll nicht wieder so kommen,
daß ich ganz mit meinem Musikquell versiege. Ich habe
1) Wahrscheinlich „Das Steinbild der Corneüa" (Dram. Werke III,
BerHn i865).
i62 An Bernhard Scholz
in diesen Tagen einen Antrag (in Schottland mit Mrs.
Goldschmidt Concerte zu geben) für den Oktober ausge-
schlagen. Dafür habe ich mir vom König den Februar
und März kommenden Jahrs für Wien erbeten, wo ich
dann auch gern neu Komponirtes brächte. Ich habe am
24"^" das Abendlied Schumann 's für Violine, Bratschen,
Celli, Contrabaß, Klar"''" Fag"" und Hörner gesetzt, weil
ich Seiner besonders treu gedachte. Auch habe ich die
Briefe vorgesucht, um Ihnen die versprochenen Abschriften
zu machen. . . .
In herzlicher Ergebenheit
Ihr
J. J.
An Bernhard Scholz
[Hannover, Anfang August 1861.]
Lieber Freund
yoran meinen theilnehmendsten Glückwunsch zur
Wiedervereinigung mit den Liebsten nach so genuß-
reicher Fahrt mit Ihren Lieben! Daß Henni und „Buwa"
immer schöner gedeihen, soll mir ja auch nun bald zu
Nutzen werden. Ich hoffe am 9'^" von hier abzureisen und
Sie direkt aufzusuchen. Vorher steht mir Herman Grimms
Besuch hier bevor, den ich ja sehr hoch halte, wie Sie
und Ihre liebe Frau wissen, und nicht aus dem Weg gehen
will. Während Sie in der Schweiz umher schwärmten,
war ich wenigstens in den freundlichen Höhen des Harzes,
wo ich 8 Tage faullenzte. Auf die Art läßt sich Hannover
schon ertragen. Die Einsamkeit mit Klavier und Geige war
mir ganz zuträglich, wenn ich auch nichts Größeres, fertig
Geschaffene aufzuweisen haben werde. Ich habe Muth und
Vertrauen, daß dies auch kommen soll. Wie Schade, daß
Sie nicht mit in Antwerpen sein können ; w ie schön hätten
An Bernhard Scholz i63
wir von Ihnen aus zusammen hin rutschen können! Von
Antwerpen aus will ich noch vor meinem Hannöver'schen
Winterquartier etwas in Ihre Schweizer Fußtapfen treten.
Ich soll mit Frau Schumann und Stockhausen im Berner
Oberland zusammentreffen; natürlich ohne Bogen, bloß
mit einem Spatzierstock ! So wird denn der September an-
gebrochen sein, bevor wir uns hier zu gemeinsamem Wirken
wiedervereinen. Ein großer Trost ist mir die Aussicht Ihres
Wiederkommens ! Selbst Fischer und Platen und die übri-
gen platten Geschäftsverbindungen sollen mich nicht ärgern.
Heute erfreute mich der frische Bursche Gunz ^) plötzlich
durch seine behagliche Gegenwart. Er ist ganz voll Selig-
keit über das, was er in Paris gelernt hat; mir kam seine
Stimme runder und sein Vortrag verfeinert vor, so daß ich
meine, auch Sie sollen zunehmende Freude an Ihrer Acqui-
sition erleben. Er hat mit seiner Braut eine Wohnung aus-
gesucht, da er im Herbst heirathen will, und ist schon
wieder nach Cassel zurück. Ich versprach, Sie zu grüßen.
Auch von Kaulbach.
Ihre liebe Louise (Luise) hat mir ein sehr freundschaft-
lich Zeichen treuen Gedenkens durch eine Gratulation zum
2^ten geschickt. Da ich immer an Sie alle zwei zugleich
denke, wenn ich an den Einen schreibe, sei's Er oder Sie,
so darf ich auch wohl meinen herzlichen Dank hier noch
zufügen. Gern träfe ich Wüllner noch bei Ihnen an;
grüßen Sie ihn auf alle Fälle freundlichst und empfehlen
Sie mich angelegentlich Fräulein Paula, Therese und allen
Ihrigen.
Herzlich ergeben
Joseph J.
') Vgl. Fischer S. 196.
i64 An Hans v. Bronsart
Von Clara Schumann
Düsseldorf d. 26. Septbr. 1 86 1 ,
Liebster Joachim,
Wie lieb war es von Ihnen, daß Sie mich so freundlich
überraschten mit den herrlichen Briefen ^), und den-
ken Sie, welch sonderbarer, hübscher Zufall, Johannes hatte
sie mir auch zum i3'*" geschenkt, aber nicht geschickt,
da er sie mir selbst geben wollte — er hatte nämlich ge-
glaubt, ich würde Ihn am i3'^" in Hamburg überraschen,
woran ich allerdings oft gedacht, jedoch wegen meiner
vielen Obliegenheiten hier nicht ausführen konnte. Schon
viel haben wir in den Briefen gelesen, und mir ist immer,
als vergegenwärtige mir jedes seiner Worte Ihn selbst. Da
ist Frische, Geist, Gemüth, Alles, und in welcher Einfach-
heit gegeben, so unbefangen frisch und fröhlich. Doch was
sag ich das Ihnen, Sie wissen's ja viel besser als ich und
wußten vorher, welche Freude Sie mir machten. . . . ^)
An Hans V. Bronsart
Hannover 3o. Sept. [1861].
Lieber Bronsart
Ihr Schreiben kam gerade während meiner Schweizer
Reise hier an und erreichte mich, nach manchen Kreuz-
und Querzügen in der Schweiz, erst wieder, als ich zurück-
gekehrt war. Sollten Sie, was ich aber bei Ihrem Aufent-
halt in Danzig diesmal kaum glaube, in Ihrem Glückshafeu
meine erwidernden Worte vermißt haben, so bitte ich Sie
mich durch obigen Umstand freundlichst zu entschuldigen.
— Zu Ihrer Verheirathung wünsche ich von Herzen Glück,
*) Die soeben erschienenen Reisebriele von Felix Mendelssohn.
-) Die Fortsetzung des Briefes bei Litzmann III S. 108.
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An Hans v. Bronsart i65
und daß Ihnen ein günstig Geschick, welches Sie im Leben
wie in der Kunst vereinte, ferner alles Gute vereint zuführe !
Ich werde gewiß aufrichtigsten Antheil nehmen. Wäre nur
das Gerücht, daß Sie, lieber Bronsart, veranlaßte mir zu
graluliren, kein falsches! Aber — ich gehöre leider noch
immer nicht zu denen, von welchen Schiller und Beethoven
so begeistert singen:
^
:^^
Mein Trost ist, daß sich beide Sänger neidlos freuen
konnten, ohne selbst des Glücks theilhaftig zu sein: Seh.
war noch nicht, B. nie verheirathet. —
Haben Sie Dank für das, was Sie mir von Ihren Leip-
ziger Plänen mittheilten. Bei meiner wirklichen Achtung
für Ihren hingebenden Eifer an Ihre ideellen Zwecke würde
es mir die größte Freude machen, Ihnen ausführen zu
helfen, was Sie vorschlagen — aber es stellt sich eben
dennoch mancherlei in den Weg, das ich Ihnen offen aus-
zusprechen Ihrer kollegialischen Offenheit schuldig bin.
Zunächst muß ich gestehen, daß mir die Idee, die Künstler-
Gruppe, welche sich Ihnen als Schumannisch darstellt, in
einem Concert zu repräsentiren, nicht ganz glücklich vor-
kömmt. Entweder die Komponisten ähneln sich wirklich
so, daß kritisch die Anordnung gerechtfertigt schiene, dann
müßte meiner Meinung nach eine gewisse Monotonie ent-
stehen, die durch keinen äußern Anlaß (Erinnerungsfeier,
Erläuterung zu Vorlesungen etc.) entschuldigt würde. Oder
die Klassifikation wäre eine willkürliche — und dann fiele
ja der Beiz, wenigstens eine Art „historischen" Genusses
geboten zu haben, weg. Böswillige könnten sogar den zwei
noch wenig bekannten lebenden Komponisten den Vorwurf
machen, sie benützten warme persönliche Beziehungen zu
einem berühmten Todten, um sich in Programme einzu-
führen, die ihnen sonst nicht zukämen. Was mich nun
persönlich anlangt, so muß ich bekennen, daß es für mich
i66 An Hans v, Bronsart
etwas beinahe körperlich Beängstigendes hätte, mich mit
meinen Bestrebungen, mögen sie unbedeutende oder werth-
volle sein, bei lebendigem Leibe in die bestimmten Grenzen
eines noch so glorreichen Rahmens oder Namens hinein
zu begeben. Was ich geschaffen, lohnt leider noch kaum
der Mühe, es überhaupt zu classificiren ! Aber wenn mich
je beim Musiciren die Liebe zu unsern großen Vorbildern
beseligt hat, so dankte ich solche Wonne andern Meistern
gewiß nicht minder als dem herrlichen Schumann.
An Brahms habe ich von Ihrem Vorschlag bisher nichts
erwähnt; wir haben zufällig in letzter Zeit wenig corre-
spondirt. Ich glaube indeß, er würde nicht unähnlich wie
ich über den Gegenstand empfinden. Über meines Freundes,
der Anzahl wie dem Werth nach die meinen weit über-
ragenden Leistungen steht mir eher ein Urtheil zu als über
meine Bestrebungen. Da muß ich denn sagen, daß es mir
oft fast vorkönuiit, als schwebte seinem kühnen Geist als
Ideal mehr die über alle Manier erhabene Formherrschaft
des großen Sebastian einerseits und Schuberts Volksthüm-
lichkeit andererseits vor, wie gerade Schumanns edle, tiefe,
liebenswürdige Subjektivität, die er gewiß liebt und dank-
bar ehrt wie wenig Andere.
Doch wie weit hat mich eine einfache Antwort auf einen
Concert- Vorschlag geführt! Verzeihen Sie mir die Ab-
schweifung, die Sie von weit angenehmem Dingen nur zu
lange abgezogen haben mag ! Empfehlen Sie mich bitte auf
das Angelegentlichste Ihrer Frau Gemahlin. Wie lieb ist
mir die Aussicht, sie wieder begrüßen und ihr Spiel aufs
Neue bewundern zu dürfen. Ich rechne sicher darauf, von
Ihnen zu hören, wann die gnädige Frau hier durchkömmt.
Vielleicht kann ich dann, wenn auch nur auf der Eisen-
bahn, mit derselben Näheres verabreden. Auf alle Fälle
werde ich Herrn Grafen Platen schon vorher davon sprechen.
Die Concert-Tage sind noch nicht fixirt; Mitte December
dürfte sich aber am besten eignen.
Von Eduard Bendemann 167
Und nun zürnen Sie mir nicht ob meiner abschlägigen
Antwort, hinter der keine Partei- oder andere kleinhche
Absicht versteckt sein sollte. Ich wollte, wir musicirten
wieder einmal einträchtig und zu beiderseitigem Genuß
wie früher in Hannover statt uns in Briefen zu zanken;
das wäre gescheidter! Ist keine Aussicht dazu da? Ein
paar Worte Ihrer freundlichen Gesinnung würden sehr
erfreuen, lieber Bronsart,
Ihren aufrichtigst ergebnen
Joseph Joachim,
Von Eduard Bendemann
Düsseldorf i/\. Oktober 1861.
Lieber Joachim (ich lasse das Herr weg, Sie müssen
es aber s. Z. auch thun).
Sie erhalten hiebei der Verabredung gemäß ein Blatt
vom Rigi. Es ist groß; größer als praktisch ist. Denn
für ein Album ist's zu groß und zum Einrahmen zu blaß.
Ich hatte aber Frau Schumann übergeben, ein Blatt für
Sie zu wählen, und daher bin ich in so fern unschuldig.
— Sollten Sie etwa doch daran denken, es einrahmen zu
lassen, so bitte ich Sie ein graues oder hellbräunliches
Papier unterlegen zu lassen, so daß etwa 2 Finger breit
Rand um die Zeichnung bleibt. Aber nicht zu dunkeles
Papier, damit der Grundton (etwa die Bässe oder Posaunen)
den Contour (die erste Geige) nicht übertöne. Habe ich
nicht etwas gelernt?
Der Punkt, den ich gezeichnet habe, ist das Stück des
4 Waldstätter Sees nach dem Gotthard u. Uri Rothstock
zu. Die höchste Spitze des letzteren reicht über das Papier
hinaus. — Ich saß ganz in der Nähe der Fichte, an deren
Fuß eine Naturbank befestigt ist. Fr. Seh., welche den
Platz, wie alle Damen, liebt, saß dort, als Sie in unschul-
i68 An Clara Schumann
diger Weise sich mit einer jungen Ziege am Boden zu
befreunden suchten, welche Ziege ein Bock war. — Hätten
Sie bessre Studien im Weintrinken gemacht, so würden
Sie bei dem Capitel „zu Würzburg an dem Steine" etwas
von Bocksbeutel gehört haben und auch getrunken, und
dann würden Sie nicht jenen Fehler in der ^Naturgeschichte
des Viehes gemacht haben. Nach dieser Abschweifung ist
Ihnen, hoffe ich, die Stelle klar, von wo aus ich jene
blassen Striche, der glühenden Pracht der Farben gegen-
über, gezeichnet habe.
Möge es eine wenn auch blasse Erinnerung an jene
schönen Tage sein! —
Ich wünsche, daß es Ihnen eben so gut ergehen möge,
jetzt wie damals! JNIir gehts ebenso; ich bin wohl und
ganz wohlauf, aber mit der Sprache i) wills gar nicht
anders werden; ich habe ganze Folianten vollgeschrieben.
Zum Schluß bitte ich Sie recht dringend, uns einmal zu
besuchen. Sie können gleich mit der Geige ins Haus und
ins Bett fallen. In den ersten i4 Tagen wird meine Frau
nicht hier sein; also hoffe ich, daß Sie nicht innerhalb
der Zeit kommen. Somit leben Sie wohl!
Ihr
E. Bendemann.
An Clara Schumann
[Hannover d. i5. Okt. 1861.]
Verehrte Freundin.
Der junge Spohr^) ist mir in Ihrer Wohnung durch
Laub vorgestellt worden, der große Stücke von ihm
hält. Er spielt technisch vortrefflich, und es ist nur ein
*) Bendemann litt eine Zeitlang an Stimmlosigkeit, die ihn zwang, seine
Worte aufzuschreiben.
*) Später Konzertmeister der kgl. Kapelle in Berlin; nic'ht mit L. Spohr
verwandt.
Joseph Joachim
Gezeichnet von Eduard Bendemaiiri, Uigi-Stlieidcck, August iS6i
An Clara Schumann 169
Jammer, daß der arme junge Mensch durch sein kränk-
Hches, verwachsenes Äußere einen so betrübenden Ein-
druck hinterläßt. Wie er Stunden giebt, das kann ich
freilich nicht sagen; Sie wissen ja selbst, daß man sehr
gut spielen kann, ohne zum Lehren begabt zu sein, und
umgekehrt! Obwohl ich nun Lixchen gar zu gern zu
einem Lehrer verhelfen möchte, kann ich doch die Ver-
antwortlichkeit eines Raths nicht übernehmen. Kennen
Sie Wendt in der Bellevue-Straße? Dem traue ich eigent-
lich pädagogisches Geschick zu, und wenn er auch selbst
nicht virtuosenmäßig spielt, so glaube ich, daß er einem
kleinen Kerl auf angenehme Weise zum Spielen Lust machen
und vorwärts bringen würde. Fast wäre ich dafür, es mit
dem ein halbes Jahr zu versuchen.
Nun komme ich aber mit einer Bitte, nämlich mir auch
so bald als möglich wissen zu lassen, ob Sie am So"'" No-
vember in unserm 2"^" Concert spielen könnten. Das i"' ist
am 16^''" Nov*"^, und damit Platen nicht glaubt, man zahle
mir meinen Gehalt umsonst, muß ich schon den Anfang
machen. Wäre es Ihnen aber im 2'''" Concert nicht mög-
lich, bei uns zu spielen, so hätte ich freilich daran einen
Grund, meine Leistung auf's 2'^ Concert zu verlegen. Es
gienge einzurichten. Platen willigte mit Freuden in den
Vorschlag, Sie überhaupt einzuladen. W^ann gehen Sie
denn nach Hamburg? Kommen Sie vielleicht zu unserem
?.•''" Quartett am Sonnabend hier durch? Heute habe ich
ausführlich an Johannes geschrieben und seine Quartette i)
wiedergeschickt, die mir noch viel Genuß gewährt haben.
Ich hoffe, wir hören sie bald zusammen. Was ich neulich
von Unangenehmem sagte, war wohl bloß körperlich ge-
meint, Oder habe ich über Hannover geklagt, so ist das
ein Thema, was immer wieder von Zeit zu Zeit Unbehagen
hervorbringt, ohne daß gerade etwas Besonderes gemeint
wäre. Von Grimm 's habe ich bessere Nachrichten.
*) Die Klavier-Quartette Op. 26 und 26.
lyo Von Clara Schumann
Grüßen Sie, wenn Sie hinkommen, wie auch alle Ihre
lieben Rinder herzlich von Ihrem
Joseph J.
Von Clara Schumann
Berlin d. i6. Octbr. 1861.
Lieber Joachim,
rürerst herzlichen Dank für Ihre schnelle Antwort —
Felix wird Morgen die erste Stunde bei Herrn Wendt
haben; Letzterer war gleich sehr bereitwillig und bot mir an,
ihm die Stunden unentgeltlich zu geben, was ich natürlich
entschieden aber dankend ablehnte — jedenfalls war es
sehr gut gemeint.
Was das Concert betrifft, so können Sie sowohl zum
igten jjjg auch am 3o'^" Nov: über mich verfügen, also
wie es Ihnen am liebsten! Aber eine Bitte: können Sie
nicht Graf Platen um eine Vergütung der Flügelkosten
von 10 Till, bitten — ich bekomme diese jetzt fast überall,
da mir sonst ja noch weniger vom Honorar bleibt.
Haben Sie schon an ein Programm gedacht? welches
Concert? CmoU v. Beethoven? (das habe ich noch nie
gespielt, studiere es jetzt zum ersten Male), Johannes'
Concert? oder einmal Mendelssohn? mir ist Alles recht.
Gern käme ich zu Ihrem Quartett, kostete es mich nur
nicht zu viel — die Reise machte ich wohl gern darum!
Nun will ich aber bald nach Hamburg, und muß daher
doch etwas sparsam sein. Johannes hat mich so dringend
eingeladen, ich habe Ihn so lange nicht gesehen, sehne
mich nach Ihm und seinen Sachen, kurz, ich konnte nicht
„Nein" sagen. Die Quartette von Ihm freue ich mich un-
geheuer in Hannover von Ihnen u. Job: zu hören. Er will
später mit mir nach Hannover, und dann wohl länger
An Clara Schumann 171
bleiben, so denke ich mir wenigstens. Etwas hoffe ich
dann doch mit zu genießen.
Nota bene. Sie haben bei mir Capital 600 Tbl., und in
der Zinsen-Casse habe ich, nachdem ich eine Eisenbahn-
Actie ä 200 Tbl. verkauft, und dafür 62 Tbl. mehr erhielt,
und die Auslagen v. 87 Tbl. abgezogen, noch 91 Tbl. Ich
bringe Ihnen einen Zettel mit, worauf Alles genau steht —
ich kann ihn auch gleich beilegen, nur weiß ich nicht, ob
Sie klug daraus werden. Heben Sie ihn gut auf, ich er-
kläre ihn Ihnen später genau. Die Eisenbahn-Actie haben
Sie mit 268 Tbl. eingekauft, jetzt 267 erhalten, also einen
Thaler verloren, aber 3 Jahr hindurch 7 Procente Zinsen
gehabt, also einen ganz hübschen Gewinnst^). Wenn die
nächsten Zinsen fällig, will ich Ihnen wieder ein Papier
ä 100 Tbl. kaufen, damit das Geld nicht todt daliegt; oder
wollen Sie lieber das Geld haben? das brauchen Sie mir
nur zu sagen.
Das leere Plätzchen hier will ich noch zu einem recht
herzlichen Gruß benutzen, Vieles mehr dürfen Sie immer
noch zwischen den Zeilen lesen.
Ich hoffe heute Gisel zu sehen — es geht Ihr viel besser.
Adieu, liebster Freund.
Ihre
Cl. Seh.
An dieselbe
[Hannover 19. Oktober 1861.]
Liebe Erau Schumann
. . . Was Ihre Verwaltung meiner Besitzthümer an-
langt, so darf ich Ihren klugen und erfolgreichen Opera-
tionen meinen anerkennendsten Beifall auszusprechen um
so weniger Anstand nehmen, als die Zweckmäßigkeit der-
') [am Rande:] i8 Thl. beträgt der Profit.
172 An Clara Schumann
selben selbst meinem beschränkten Geldverstande voll-
kommen einzuleuchten im Stande ist, und bedauere ich
nur aufrichtigst, daß die Mäßigkeit meiner Mittel der
Zweckmäßigkeit der Anlage etc. etc. Ich bin guter Dinge,
weil ich noch einen angenehmen Auftrag auszurichten
habe! Eigentlich müßt' ich mich sehr feierlich dazu an-
stellen, die Feder will aber vor Vergnügen gar nicht lang-
samer einherschreiten und gleich zur Sache fliegen. Näm-
lich, ob Sie Lust haben, (soll ich im Namen des Königs
und der Königin fragen) vom i*''" Dec. d. J. oder Januar
1862 an sechs Monate lang den Unterricht der Princes-
sinnen im Klavierspiel zu übernehmen. Die Herrschaften
wünschen es sich sehr und schlagen, um die Ausführung
zu ermöglichen, vor: i"^"'' freie Wohnung, 2'*^"* einen Ge-
halt von 2000 Thalern. Sollten Sie etwa 2 — 3tägigen Ur-
laub von Zeit zu Zeit wünschen, um in benachbarten
Städten Concert zu geben, so stände dem nichts im Wege.
Inbegriffen wäre als Verpflichtung Ihrerseits noch das Spiel
in den Privat -Soireen der Majestäten. — Die Idee gieng
von der Königin aus, welche mir vor etwa i4 Tagen da-
von sprach, wie gern sie sähe, wenn die guten musikali-
schen Anlagen der Princessinnen durch Sie weiter ent-
wickelt werden könnten. Seitdem habe ich durch Fräu-
lein V. d. Gabelentz weiter über die Sache gehört und
heute durch dieselbe den definitiven Auftrag erhalten,
bei Ihnen anzufragen. Sie sind deshalb wohl auch so gütig,
Ihre Antwort so einzurichten, daß ich sie Frl. v. d. G" zeigen
kann, welche die größte Theilnahme für die Angelegen-
heit zeigt. Mit welcher Spannung ich Ihrer Entschei-
dung entgegen sehe, brauche ich wohl nicht erst zu be-
schreiben. Lassen Sie nicht lange warten, verehrte Freundin.
Herzlichst ergeben
J. J.
Von Clar a Schumann lyS
Von Clara Schumann
Hambui'ff d. 2 3 Octbr: 1861.
Lieber Freund,
Schönsten Dank für Ihren heben Brief, den ich, wie Sie
Sich auch sicher dachten, als Sie schrieben, mit der herz-
hchsten Freude las. Am liebsten hätte ich gleich „Ja" ge-
sagt, denn Sie wissen ja, wie solch eine Stellung immer zu
meinen Wünschen gehörte, und wo möchte ich solche
wohl lieber annehmen, als bei Ihrem so kunstsinnigen,
gütigen Königs-Paar! Da ist denn aber doch recht Vieles
zu bedenken, und ist es mir nicht möglich, schon heute
eine Entscheidung zu geben, hoffe es aber bis in einigen
Tagen. Indessen möchte ich Sie aber bitten, mich etwas
genauer wissen zu lassen, welche Verpflichtungen meiner-
seits man beansprucht? Wie viel Stunden soll ich den
Prinzessinnen geben? Wie oft würden wohl Soireen bei
Hofe sein, wobei auf mich gerechnet wäre? Sie wissen, ich
bin nicht interressirt mit meinem Spiel, jedoch muß ich
leider immer mehr darauf bedacht sein, meine Kräfte zu
schonen, auch brauche ich die Abende namentlich zu mei-
nem Studium, habe außerdem der Verpflichtungen nach
allen Seiten hin, und allerlei bereits eingegangene Engage-
ments würden mich auch zu öfteren Reisen veranlassen,
ohne welche ich übrigens, trotz des so gnädig vom König
bewilligten Honorars, nicht würde bestehen können bei
der so zahlreichen Familie.
Schreiben Sie mir also, bitte, so bald Sie können, über
diese Punkte — es würde mich gar sehr freuen, ließen sich
alle Scrupel beseitigen! Bitte empfehlen Sie mich dem
Fräulein v. Gablenz und danken Sie in meinem Namen
für Ihr so gütiges Interesse.
Herzlichsten Gruß von
Ihrer Gl. Schumann.
174 ^" Clara Schumann
An Clara Schumann
[Hannover ■i.l\. Oktober 1861.]
Verehrte Freundin
Seien Sie nicht böse, daß ich Sie heute mit einer tele-
graphischen Depesche behelligt habe. Ich mußte es
aber thun, denn gestern wurde ich durch das inliegende
Schreiben von Frl. v, Rahden^) aus Baden in Erstaunen
gesetzt, und bevor ich es Ihnen mittheilte, mußte ich wissen,
ob der Hannoverische Vorschlag, dem jetzt ein Russischer
den Rang streitig macht, Ihnen überhaupt bekannt ge-
worden, oder nicht. Mein Brief konnte ja verloren gegangen
sein. Als K. Hannover'scher Diplomat und Hof-Egoist hätte
ich eigentlich erst ganz ruhig Ihre Antwort abwarten sollen;
da ich aber vor allen Dingen Ihr guter Freund und College
zu sein mir schmeicheln darf, so lasse ich es darauf an-
kommen, daß Sie mich bei den hiesigen Herrschaften als
unzuverlässigen Unterhändler verschreien ! Der Vorschlag
der Großfürstin scheint mir ernster Erwägung werth.
Sie sehen daraus am besten, daß Sie nicht ein für alle Male
Ihnen Adieu zu sagen wünschte, sondern auf öfteres Be-
gegnen hoffte, als Sie Sich verabschiedeten. Ich bitte mir
nun baldmöglichste Instruktion darüber aus, was ich
an Frl. v. Rhaden auf den freundlichen Brief antworten
soll, soweit Sie dabei im Spiel sind. Kömmt nun morgen
Ihre Antwort auf den Hannoverschen Vorschlag mittler-
weile an, so will ich sie noch bis übermorgen für mich
behalten und erst abwarten, ob Sie mir nicht in Erwägung
der Russischen Proposition andere Befehle zukommen lassen.
Am liebsten freilich überlegte ich mündlich mit Ihnen,
was am zweckmäßigsten sei! Doch Sie haben ja an Jo-
hannes einen klugen, zuverlässigen Rathgeber, der mich
') Hofdame der Großfürstin Helene.
Von Clara Schumann lyS
entbehrlich macht. Ich komme aber, so lange Sie in Ham-
burg sind, einmal hinüber, und müßte ich auch im Philh:
spielen ! Wir müssen wieder alle drei einmal miteinander
musiciren und spatzieren. Viele, viele Grüße an Joh. und
Julie von
Ihrem
J. J.
Von derselben
Hamburg d. 3 Nov: i86r.
Lieber Joachim,
Ehe ich von Anderem anfange, muß ich Ihnen erst noch
'mal die Hand drücken, daß Sie nämlich uns die große
Freude bereitet haben zu kommen. Als Sie fort waren,
fühlte ich erst, daß ich Ihnen noch gar nicht genug gedankt
hatte — Sie wehren dem immer so liebenswürdig ab, und
doch spricht man es so gern aus.
Inliegender Brief ist zu meinem eignen Leidwesen ein
Absagebrief. Ich werde aber immer klarer in mir, daß ich
jetzt solche Stellung nicht annehmen kann. Ich fühle
noch die Kraft in mir — kaum weiß ich, ob zu meinem
Glücke — nach Außen thätig zu sein, und würde mich
daher in solch einer Stellung unbefriedigt fühlen. Alle
weiteren Gründe kennen Sie. Dieser Entschluß ist mir aber
in dem Gedanken, daß ich länger hätte können mit Ihnen
sein, recht schwer geworden; wie manche gemüthliche
Stunde hätte ich wohl mit Ihnen verlebt, wieviel Herr-
liches gehört! — Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf,
daß ein gütiges Geschick uns später noch 'mal Alle zu-
sammen führe — daran will ich zu meiner Erstarkung
recht festhalten.
Lesen Sie inliegende Zeilen und, sind sie Ihnen recht,
so senden Sie sie ab; haben Sie aber etwas dagegen einzu-
wenden, so sagen Sie es mir. . . .
176 An Selmar Bagge
An Selmar Bagge
[Hannover, Winter 1 86 1 ,]
Geehrter Freund
Yor allen Dingen den aufrichtigsten Dank, daß Sie fort-
fahren, meiner so theilnehmend zu gedenken, wie Ihr
Schreiben es erkennen läßt. Wien und meine dortigen
Freunde sind für mich oft Gegenstand treuester Erinnerung,
und wenn ich mir es leider in diesem Winter versagen
muß hinzugehen, so verfolge ich nichts destoweniger Alles
mit herzlichem Interesse, was auf musikalischem Gebiet und
überhaupt dort geschieht. Der Grund, weßhalb ich nicht,
wie ich wollte, schon Anfangs 62 nach Wien reise, liegt
in den unglücklichen politischen Angelegenheiten, die Wien
und Pesth in zwei Heerlager theilen ^). Es ist mir uner-
träglich, zu einer Zeit, wo so bedeutende Konflikte herein-
drohen, Koncerte gebend neutral von beiden Parteien Nutzen
zu ziehen. Ich könnte nicht in Wien sein, ohne meine
liebe Vaterstadt Pesth aufzusuchen, mich in letzterer nicht
aufhalten, ohne nachdrücklichst auf „Germanismus" schim-
pfen zu hören — kurz, ich käme aus Aufregungen nicht
heraus, die zu künsterischem Wirken nicht taugen.
So muß ich mich auf nächsten Sommer und Herbst ver-
ti'östen, ich welchem Zeitraum ich länger in Oesterreich
zu verweilen hoffe. Ihren Wunsch, mich über „Dur & Moll"
für einen größeren Kreis 2) auszusprechen, kann ich leider
aus dem Grund nicht erfüllen, daß mir gerade dies D[avid]-
sche Werk^) besonders unsympathisch ist: ich müßte (nach-
dem ich's Ihretwegen nochmals durchgesehen) Sachen sagen,
*) wegen der Gesamtverfassung vom 26. Febr., gegen die Ungarn re-
monstrierte.
') in der von Bagge redigierten „Deutschen Musikzeitung".
^) Op. 39, 25 Etüden, Kaprizen und Charakterstücke in allen Tonarten
für Violine allein oder mit Klavierbegleitung.
Von Clara Schumann 177
die meinen persönlichen guten Beziehungen und den Ver-
pflichtungen gegen einen altern Kollegen (gewissermaßen
auch Lehrer) sehr hart ankämen. Viel lieber wäre es
mir, Sie überließen mir die Besprechung von etwas, das
mich recht warm machte — vielleicht das Sextett von
Brahms! Das würde meiner ohnehin nicht sehr geübten
Feder beflügelnde Hülfe bringen!
Grädener bitte ich herzlich zu grüßen und Ihrer Frau
Gemahlin angelegentlichste Empfehlungen zu sagen von
Ihrem
aufrichtigst ergebenen
Joseph Joachim.
Von Clara Schumann
Leipzig d. i5. Dec: 1861 Abends.
Lieber Joachim,
Ich muß Ihnen heute noch schreiben, ich weiß, Sie freuen
Sich mit mir. Johannes Var: sind mir gestern schön ge-
lungen und fanden enthusiastischen Beifall, Hervorruf etc:
Die Leute, die ich dann gesprochen, haben wenigstens zu-
gestanden, daß sie „interessant" seyen, freilich mußte ich,
wie immer, erfahren, daß doch die Musiker von Fach am
schwersten zugänglich sind — sie können nicht unbefangen
in sich aufnehmen und sich freuen, daß 'mal Einer wieder
etwas Gescheutes schreibt, kaum eingestehen mögen sie,
daß Etwas daran sey! ich könnte Ihnen Beispiele sagen,
doch das behalte ich mir für mündlich vor. Respect vor
diesen Var: haben sie denn doch mindestens alle bekommen,
und das Andere kommt später; einstweilen freue ich mich,
daß es so ist.
Das Mozartsche Concert neulich ist sehr gut abgelaufen,
viel besser als ich es erwartet hatte, nur hatte R[einecke]
das Malheur, nach der Cadenz nicht einzusetzen mit dem
178 Von Clara Schumann
Orchester, was mich aus der sehönen Stimmung, in der
ich war, recht unsanft heraus riß. Das Andere ging Alles
sehr gut, jedoch ich selbst fühlte nicht mehr das Behagen,
Große Freude habe ich gehabt an Liedern meines Robert
für gemischten Chor, die R, reizend einstudiert hatte und
die das Publikum entzückten. Das Zigeunerleben mit der
Grädenerschen Instrumentation klang prächtig — ich konnte
kaum glauben, daß es dieselbe sey, die ich kürzlich in Cöln
gehört, wo Alles so flau wie möglich klang.
Röntgen's, die lieben Künstler-Seelen, sah ich heute und
erwarte sie noch heute Abend, wo ich mit ihnen etwas
musicieren will. Er befindet sich nur leider in letzter Zeit
sehr angegriffen, hat aber neulich so schön im Gewandhaus
gespielt, daß noch Alle mit großer Wärme davon sprechen,
was mich herzlich freut. Wenn man doch Den an den
rechten Platz bringen könnte! ich freue mich, daß er das
Theater aufgeben will — es widert ihn zu sehr an.
Wie ich jetzt nun wieder so hier in die Verhältnisse
blicke, bin ich doch recht froh, daß Sie nicht hier sind.
In H. haben Sie es doch nur mit Einem zu thuen, hier
mit Mehreren, die Einen wohl zur Verzweiflung bringen
könnten. Es fällt mir jetzt ordentlich schwer aufs Herz,
wenn Sie Ihre Stellung aufgeben, und ich denke wieder,
Sie könnten Ihre fünf Monate Urlaub doch ganz zum Ar-
beiten an einem anderen Orte benutzen, verdienten im
Winter noch so zwischendurch Einiges und brauchten
weder England noch sonst Wen. Es ist wohl dumm, daß
ich wieder mit diesem Thema komme, aber es geht mir
doch so oft durch den Sinn!
Eben kommen Röntgens, ich soll Sie herzlich grüßen
und Ihnen sagen, Ihr Zimmer stünde immer für Sie bereit.
Marie schreibt mir neulich über Ihr Concert von Laub,
ich will's Ihnen lieber hersetzen: „man hörte Ihm an, daß
er es mit großer Liebe und Hingebung studiert hatte, es
fehlte Ihm aber Alles, was Einem Joachim\s Spiel so lieb.
An Clara Schumann 179
so sympathisch, so über Alles schön macht. Er hat
weder die Gracie noch die Seele im Ton, und Du kannst
Dir denken, was ich empfand, dies herrliche Concert von
Laub hören zu müssen ; trotzdem daß er es technisch wirk-
lich meisterhaft spielte, fühlte man doch, daß er es nicht
beherrschte. "
D. 16.
Ich konnte gestern nicht fertig schreiben, mochte doch
Röntgens nicht zu lange warten lassen. Wir haben Roberts
D moll Sonate gespielt, und ich mich wahrhaft erfreut an
Röntgens seelenvollem, feinen Spiele. Diese beiden Menschen
könnte ich sehr lieb haben, ich wollte, ich könnte mit
ihnen an einem Orte leben ; die Frau wäre eine Freundin,
wie ich sie mir wünschte, immer gewünscht habe, ein
warmes Künstlerherz und dabei das liebende Weib und
die prächtigste Mutter, Ich halte ihr Herz empfänglich für
Alles, und kräftig dabei. Morgen will ich sie noch 'mal
besuchen — könnte es öfter sein, aber hier, wissen Sie, bin
ich nicht Herr einer Minute.
So denn Adieu, lieber guter Joachim. Lassen Sie mich
bald von Sich hören und seyen Sie looo Mal gegrüßt von
Ihrer
Clara Seh.
An Clara Schumann
[Hannover d. 2. Jan. 1862.]
Liebe, gute Frau Schumann.
Sie haben mich wie immer an Aufmerksamkeit und
Herzensfreundlichkeit sehr überragt, indem Sie mich
am i'^" durch Ihre warmen Zeilen weckten, währenddem
ich mich begnügt hatte, meiner lieben Freunde am Sylvester-
Abend herzlich zu gedenken! Sie sind, wie ich hoffe, mit
den Kindern und Johannes eben so heiter beim Punsch-
i8o An Clara Schumann
dampf und Gläserklang in die neue Jahresnummer gelangt
wie ich, der ich bei Kaulbach mit Scholzen's zusammen
war, vorher die Es dur Salieri Sonate ^) spielte, und dann
eine allerliebste Kindermummerei der K'schen Buben mit
ansah, bei der wir alle vor Lachen (nicht vor Punsch!)
kaum aufrecht stehen konnten.
Laub 2) hat hier, namentlich dem Orchester, sehr gefallen ;
auch ist er wirklich der beste Geiger, den ich gehört habe,
und ich habe mich über unsern Hof, der die Taktlosigkeit
hatte, sich ungezogen theilnahmlos aufzuführen, recht ge-
ärgert. Besonders schätzen lernte ich L. im Vortrag eines
letzten Beethoven u. Haydn bei mir, zu denen ich 2^ Geige
spielte. Sie glauben garnicht, mit welcher Gefühlswärme
und Laune er die Quartette vortrug! Weniger gefiel mir
der Vortrag des Beethoven'schen Violin-Concertes, bei dem
mich die etwas virtuosenmäßigen Kadenzen, ein bisweilen
etwas rauher Ton (statt der weichen Fülle, die ich ver-
lange) und etwas moderne Sentimentalität im Adagio störten.
Doch mag am Ton das Instrument schuld sein, das zwar
gut, aber nicht ausgespielt genug ist. Wahrhaft erstaun-
lich aber spielt er mein Concert, so feurig und sicher in
den schwierigsten Passagen, wie ich's nicht herausbringe.
Es freut mich, daß er's so gerne vorführt. — Übermorgen
haben wir das Concert für Marschner im Theater — leider
so bald, denn da sich jetzt so viel Aufführungen für unser
mittel- „reichisches" Hannover zusammendrängen, so habe
ich nicht den Muth, Ihnen zu einem Concert zuzureden,
und Celle allein lohnt mir nicht, wenn ich den Flügel-
transport bedenke. Wenn Sie kommen, besprechen wir
dies Alles, und wann für Sie ein passenderer Moment zu
finden sei. Für Johannes habe ich heut ein hübsches Zim-
merchen in meiner Straße gefunden, falls er wirklich hier
^) Beethoven op. 12, Nr. 3.
*) Er hatte im Abonnementskonzert am 28. Dezember das Beethoven-
sche Konzert {jespieh.
An Herrn v. Guaita i8i
ein wenig aushalten kann. Sie kommen doch wohl zusam-
men. Ich bitte nur um Stunde der Ankunft. Die Oktett*)-
Stimmen bitte ich mitzubringen.
In herzlicher Ergebenheit
J. J.
An Herrn v. Guaita^)
Hannover i3. Januar [1862].
Ew. Hochwohlgeboren
erlaube ich mir vertrauend den beiliegenden Aufruf zu
übersenden, der sich an die Musikliebenden in Deutschland
wendet, um einen hochverdienten Komponisten zu ehren,
der namentlich für die deutsche Oper rastlos thätig wirkte.
Gewiß hat auch in Frankfurt a. M. sich das Publikum schon
oft an manchem, echteste Empfindung athmenden Klang
Marschner'scher Musik erlabt, und da die dortige Bühne
zugleich auch das Glück hat, sich einer Verwaltung zu
erfreuen, die nicht (wie leider jetzt so viele Direktionen!)
die Kassen-Einnahmen als alleinige Richtschnur gelten läßt,
sondern höhere Zwecke kennt und berücksichtigt, so wage
ich bei Ew. Hochwohlgeboren anzufragen, ob wohl von der
Direktion des Frankfurter Theaters die Aufführung einer
Oper von Marschner als Beisteuer für das Denkmal des
Komponisten angeordnet werden könnte. Gewiß würde
eine solche Aufführung (die an sich unsern Zweck schon
wesentlich fördern könnte) auch an andern Orten Sym-
pathie und Nacheiferung erwecken, und so hoffe ich, es
werde diese Betrachtung mich entschuldigen, wenn ich
durch diese Zeilen die Beschäftigungen vermehrt habe, von
denen Ew. Hochwohlgeboren umdrängt sind.
Mit ausgezeichneter Hochachtung ergebenst
Joseph Joachim.
*) Vielleicht die ursprüngliche Fassung der Ddur-Serenade?
') Intendant des Frankfurter Theaters.
l82 An Th. Ave-Lallemant
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover, Mitte Februar 1862.J
Lieber Ave.
Es war uns beiden ^) eine große Freude, Deinen Brief zu
empfangen, und was Du uns über den Josua geschrie-
ben, interessirt uns sehr. Die Aufführung in Aachen war
damals auch von gewahigem Eindruck; ich weiß indeß
nicht, von wem die Orchester-Bearbeitung herrührte. 2) Die
geistige Größe mit der sinnhch eindringhchen Malerei ist
vielleicht nirgends in solcher Einfachheit geboten wie bei
Händel. Bei der einen Stelle, wo alles ins Schwanken und
Beben geräth, fühlt man sich schaudernd auf der eigenen
Bank nicht mehr sicher ! Es giebt wohl kaum einen größern
Kontrast, als das Werk, das ich auf Graf Platen's Wunsch
zum nächsten Concert einstudiren werde: das Scherzo „Fee
Mab" von Berlioz! Hier ist alles äußerliche Wirkung. Aber
das Einstudiren soll mir, denke ich, doch Spaß machen. . . .
An denselben
[Hannover 23. Febr. 1862.]
. . . Wegen Schrad[ieck]'s^) Violine müßt Ihr Euch nicht
übereilen. Da der Junge die noble Zusicherung (Ihr Hamb.
seid doch fixe Kerls !) hat, so kommt's auf ein halbes Jahr
gar nicht an. In diesem Augenblick wüßte ich nichts zu
empfehlen. Ich würde vorschlagen, mich in London um-
zuthun, aber da ist der theuerste Geigenmarkt. Am
besten pflegt man in Paris zu kaufen, wenn man die Sache
^) d. h. Brahms und J.
*) Von Julius Rietz.
^) Henry Schradieck, geb. 1846 in Hamburjy, seit 1874 Nachfol{jer
Davids im Gewandhaus und Konservatorium zu Leipzig, lebt jetzt in
Amerika.
An Clara Schumann i83
versteht, weil die meiste Concurrenz etc: da ist. Aber vor
Allem übereilt Euch nirgends damit; der Zufall kann viel
thun. Geigenmacher sind selten makellos ehrlich beim
Verkauf. . . .
An Clara Schumann
[London] am 6. März [1862].
Liebe Frau Schumann.
Seitdem ich mich von Johannes getrennt habe, am 24'*"^)
V. M., ist mir wohl jede Aussicht benommen, von Ihnen
zu hören, wenn ich nicht speciell darum bitte. Ich weiß
gar nicht, wo und wie Sie leben! Hiller sagte mir, Sie
wären in Karlsruhe und würden mehrere Tage dort blei-
ben. In Zeitungen las ich, Sie würden in Paris erwartet!
Mir hatten Sie einmal im Winter mitgetheilt, Sie hätten
Lust, die Londoner Ausstellung mit zu sehen. Soll ich mit
Ella, Chappel, Bennett etc, sprechen und sagen, daß Sie
gewiß zur Saison kämen? Sonst ist es natürlich sehr
schwer, Engagements zu ermöglichen.
Auf alle Fälle aber schreiben Sie mir recht bald ein paar
Worte, wie es Ihnen und den Ihrigen geht. Ist Julchen
wieder besser? Das arme Kind soll recht leidend gewesen
sein. Mir geht es, nach überstandener häßlicher Seereise,
recht gut. Ich bereue es nicht, herüber gefahren zu sein;
mein Zimmerchen ist sehr wohnlich, ein schöner Broad-
wood drin, und Rabe's^) freundlich drolliges Gesicht ist
mir gefolgt. Meine Adresse ist: 40 S' James's Place, S' James's
Street. Miß Busby habe ich neulich gesehen; auch Leh-
mann's^), bei denen ich nächsten Dienstag mit Dickens essen
*) in Hannover bei seiner Abreise nach Köln, wo er am 25. im 8. Ge-
sellschaftskonzert sein Ungarisches Konzert spielte.
*) Js. Diener, vgl. Moser II 72.
') Rudolf Lehmann, englischer Maler; 1894 sind von ihm „Reminis-
cences" erschienen.
i84 An Bernhard Scholz
soll. Aber die lOOO Fragen von ihnen und vielen Andern
nach M™* Seh. konnte ich nur sehr ungenügend beant-
worten. Benutzen Sie doch ja bald meine Adresse, damit
es anders wird, und ich nicht roth zu werden brauche, als
hätten wir uns gezankt, wenn man sich nach Ihnen er-
kundigt! Das ist gar nicht in der Ordnung, Über Gade^)
und über manches Andere von Hannover hätte ich zu er-
zählen und hoffe darum, bald zu hören, wohin ich meine
Gedanken wenden soll. Ohne Zielpunkt in die Welt hinein
zu schreiben, ist unbehaglich, das haben Sie gewiß auch
erfahren,
Schuberth hat mich gebeten, meine Bearbeitung des
Abendlieds drucken zu dürfen. Ich habe es unter der Be-
dingung erlaubt, daß er keine Anpreisungs-Annoncen macht
und bloß in Klammern mit kleinen Buchstaben auf den
Titel des Blättchens: bearbeitet für Violine etc. von J. Joa-
chim setzt. Ist's aber Ihnen auch recht? Schuberth wartet
auf Antwort; Sie müssen also bald ein paar Zeilen schrei-
ben.
Für diesmal Adieu!
In herzlicher Ergebenheit
An Bernhard. Scholz
Joseph Joachim.
[London i3. März 1862.]
Lieber Scholz
Es sind über i4 Tage, daß ich von Hannover fort bin,
und ich habe vieles erlebt, aber leider bin ich ohne
alle Nachricht von den dortigen Freunden. Ihr schwärmt
wohl in Masken- und andern Bällen? Oder komponiren
*) Gade hatte Joachim Mitte Februar in Hannover aufgesucht und dort
Brahms und dessen Klavierquartette kennen gelernt; vgl. Dagmar Gade:
N. W. Gade. Kebenh. 1802, S. i6o.
An Bernhard Scholz i85
Sie? Oder seid Ihr über's Feld? Oder schlaft Ihr^), länger
als bis 8? Mir geht's recht gut; ich musicire viel und
habe mir sogar neulich Abend einen Doppelgänger ange-
schafft, da ich in S' James' Hall und Hannover-Square
Rooms zugleich zu spielen versprochen hatte! Ohne Spaß
fuhr ich 2 mal hin und her, um meine Schuldigkeit zu
thun, wie Sie aus den Programmen sehen werden, die ich
mitschicke. Gestern Abend führte ich mein eigen Concert
vor. Der zweite und letzte Satz gingen recht gut, der i'*' war
ungenügend probirt. Doch war das Publikum sehr freund-
lich, es waren die meisten Musiker Londons unter den
2000 Hörern, was mich sehr freute. Man behandelt mich
hier wie einen alten Bekannten, herzlich theilnehmend,
und das thut immer wohl. Das Einzige, was vollkommenen
Aufführungen hier im Wege steht, ist Zeitmangel. Die
Orchester-Kräfte mehrerer Gesellschaften sind ganz außer-
ordentlich gut. Lesen thut auch unsere (oder vielmehr
Ihre) Hannoverische Kapelle nicht besser. Dabei muß es
aber auch stehen bleiben, wenn die Herren nicht gewisse
Sachen allmälig auswendig lernen, durch ofte Aufführungen.
Neulich hörte ich Mendelssohn's Lobgesang in Exeter-Hall.
Die Chöre sehr sicher und kräftig, aber ohne Feinheit.
Morgen wird der Israel dort gegeben, der den Leuten hier
recht in Fleisch und Blut übergegangen ist; das wird schön,
hoffe ich. Sie sind wohl auch mitten in den Proben für
das Werk. — Heute Abend werde ich Dickens lesen hören.
Ich machte vorgestern bei einem Diner seine Bekanntschaft
und freute mich über sein kräftiges, unaffektirtes Wesen;
als Kontrast gegen meinen Nachbar zur Rechten, der Nie-
mand anders als Bulwer war. Was hätte ich um das
Album Ihrer Frau gegeben? There was an occasion ! ! !
B. ist gelehrt, gemacht eitel, natürlich nicht uninteressant
mit haut goüt blase. Lieber Freund, verzeihen Sie mir,
daß ich so hinschmiere, aber wenn ich nicht ein flüchtiges
*) Anspielung auf Mendelssohns Elias.
i86 Von Fürst Georges Nicolas Galitzin
Lebenszeichen gebe, laufe ich Gefahr, gar nicht zu schreiben,
und also nichts von Euch zu hören.
Miß Henny and Buba und alle Freunde, Nicola, Brink-
mann, Kaulbach, Eyertts müssen Sie herzlich grüßen.
Vom König höre ich nichts; das nenne ich unhöflich.
Herzlich ergeben
Ihr
J. J.
Rabe's Zunge fangt an gelöst zu werden; er krächzt
englisch, was ihn nicht unergötzlicher macht. Er lacht
mit dem ganzen Gesicht, da ich ihm sage, ich schreibe an
Scholzens.
Von Fürst Georges Nicolas Galitzin
Londres 33 golden Sq.
17 Mars 1862.
Monsieur Joachim,
Je ne puis vous exprimer le bonheur que j'ai eprouve
hier en vous entendant executer le grand quatuor de
Beethoven en la mineur, qu'en vous priant d'accepter les
manuscrits ci-joints.
Le double souvenir de Beethoven et de mon pere est cer-
tainement un objet sacre pour raoi — mais c'est aussi pour
cela que je trouve juste de le remettre entre les mains de
Joachim.
Veuillez agreer mon estime
Georges Nicolas Galitzin
Je nie fais aussi un plaisir de joindre ä la präsente le
quatuor en si b, lequel je vous prie d'accepter en souvenir
direct de ma part. i)
*) Demnach scheinen die Manuskripte von Beethovens op. i3o und 182
vorübergehend im Besitze Joachims gewesen zu sein, bevor sie der Samm-
lung Paul Mendelssohn Barthoidys einverleibt wurden, die dann 1908 von
seinem Sohne Ernst der Kgl. Bibliothek zu Berlin geschonkt ward.
An Clara Schumann 187
An Clara Schumann
[London] Am ao'*" [März 1862].
Liebe Frau Schumann
Ich bin selten so überrascht gewesen, als durch Ihre Be-
stätigung Ihrer Ankunft in Paris ; denn weder Johannes
noch ich hatten die Zeitungsnachrichten ernst genommen.
Ich bin nun schon sehr neugierig auf das, was Sie mir von
dem Erfolg dort schreiben werden. Die Pariser sollen für
die virtuosen Leistungen ein sehr gebildetes Urtheil haben,
und so werden sie denn jedenfalls enthusiastische Zuhörer
für Sie abgeben. Es muß nebenbei sehr angenehm für Sie sein,
mit Frau Erard und Frau Viardot einige Zeit zuzubringen.
Beiden Damen bitte ich freundlichste Empfehlungen von
mir zu sagen. Das Louvre und manche der kleinern Thea-
ter sähe ich selbst gern wieder einmal; ich war vor 12
Jahren doch noch etwas zu jungenhaft, um den rechten
Genuß von Paris zu haben.
Heute muß Ihr erstes Concert dort sein, von dem ich
bald zu hören hoffe; Ihre Pläne werden sich wohl wesent-
lich durch dasselbe bestimmen lassen. Was Sie vorläufig
von London schreiben, klingt leider so, als ob ich wenig
Aussicht haben sollte, Sie hier zu begrüßen! Ich habe in-
deß sofort nach Ihrem Schreiben mit Chappeirs, Ella und
Bennett gesprochen. Es ist ganz unmöglich, wenn Sie nicht
bestimmt die Absicht haben, London zu besuchen, En-
gagements zu bekommen, so gerne Ihnen gewiß viele An-
erbiethen machten, wenn Sie Ihres Kommens sicher wären.
Voraus wüßte ich Ihnen nur etwa 6 Engagements gewiß
zu verschaffen, von der Musical Union, den Populär Con-
certs und der alten Philharmonie. Die neue und die
Musical Society of London würden wahrscheinlich nach-
folgen, wohl auch noch viele andere; aber Sie können doch
unmöglich verlangen, daß alle Concertgeber ein Meeting
i88 An Clara Schumann
halten, um eine runde Zahl Engagements zusammen zu
bringen und anzubiethen. Etwas anderes wäre es, wenn
Sie schon Anfangs des Winters versprochen hätten, die
Saison hier zuzubringen.
Ob diese „brillant" wird, weiß man nicht zu sagen; eine
interessante Zeit aber giebt's gewiß, und ich freue mich
auf die vielen Anregungen, welche die Ausstellung mit sich
bringen wird. Da Sie so nahe sind, sollten Sie im Mai
jedenfalls auf i4 Tage mit Fräulein Marie herüber kom-
men, um die exhibition zu sehen; Benzon's, die eben erst
wieder gekommen sind, würden sich gewiß freuen, Sie zu
beherbergen. So meint wenigstens ihr Bruder, Lehmann.
Benzon's selbst kenne ich nicht, habe mir aber ihre Adresse
geben lassen . . . , um Ihretwegen Erkundigung zu holen.
Mein Goncert hat in der Musical Society diesmal wirklichen
Erfolg gehabt, wenigstens die beiden letzten Sätze, die auch
gut begleitet wurden, während beim i'^" Satz einige kleine
Malheurs passirten.
Von Hannover kann ich noch nichts sagen; der König
antwortet auf meine Urlaubsbitte nicht. — Das Ständchen
hatte mir gegolten. Ich schreibe bald wieder. Grüßen Sie
Fräulein Marie vielmals.
Ih
J. J.
An Clara Schumann
[London i. April 1862.]
Liebe Frau Schumann
Es wird Ihnen überraschend sein von mir zu hören, daß
ich vom 21"'" bis 3o"" Mai nach Hannover gehe, um
dort am 27'^" zu des Königs Geburtstag ein Goncert zu
dirigiren! die Königin richtete durch Fräulein v. d. Gabe-
lentz eine so freundliche, dringende Bitte an mich, ich
An Clara Schumann 189
möchte ihr die Idee, den König auf diese Weise zu „über-
raschen" nicht verderben, daß ich unmögHch so unritter-
hch sein konnte „Nein" zu sagen; obwohl ich weiß, daß
ich dadurch manche unangenehme Auseinandersetzung
wegen meines Urlaub-Gesuches für 2 Jahre auf mich lade.
Ich denke aber fest zu bleiben; umsomehr als mir wirk-
lich im Gedanken an die kleine Stadt mit den allerlei Hof-
Umständlichkeiten schon jetzt graut — . Die ganze Über-
raschungs-Geschichte bleibt aber wohl unter uns.
Mir geht es ganz gut; Sie wissen, wie heimisch ich mich
hier fühle, und ich bedauere immer nur, daß Ihnen die
Schattenseiten des hiesigen Lebens nicht auch, wie mir,
im Zusammenhang mit lieben Erinnerungen erträglich vor-
kommen! Wie gern redete ich recht zu, Sie sollten auf
jeden Fall kommen ; das darf ich aber nicht, denn es käme
mir zu egoistisch vor! Ich habe auch mit Broadwood dem
altern^) gesprochen, welcher ebenfalls meint, daß es noch
ungewiß sei, ob die Ausstellung günstig oder ungünstig
auf die Concerte wirken würde. Er wünscht sehr, daß Sie
kommen, und hat das aufrichtigste Interesse dabei — aber
er meint, ein Risiko müsse jeder fremde Künstler über-
nehmen, wenn er nicht alljährlich erscheint. Ella wird
Ihnen wohl selbst geschrieben haben. Chappeirs würden
Sie für 2 Abende der „Populär Concerts^) engagiren,
und wenn diese Concerte allwöchentlich fortgesetzt wer-
den, was wohl wahrscheinlich so kommen muß, noch öfter.
Der Name „Pop''"^ Conc'^" erschreckt Sie hoffentlich nicht;
er kommt davon, daß auch Plätze zu einem Shilling ver-
kauft werden, um auch den Unbemittelten die Möglich-
keit zu verschaffen, zuzuhören. Es wird nur die allerbeste
Kammermusik da aufgeführt, vom letzten Beethoven bis
*) Klavierfabrikant.
-) Die 1 SSg von Arthur Chappell begründeten, noch heute bestehenden
Kammermusikaufführungen, gewöhnlich kurzweg „Pops" genannt, vgl.
Grove's Diction. unter Monday Pop. Concerts.
190 An Clara Schumann
zum jungen Haydn, vor 2000 u. mehr Hörern, wobei denn
Apollo freilich auf Gerechte und Ungerechte seine goldnen
Strahlen gießt. Wie schön ist's, daß die Pariser Ihnen so
dankbar sind, und mit Verständniß! Ja, Musik mit An-
dacht dargebracht, übt Macht; sie wird immer mehr Aus-
breitung gewinnen, je mehr die Wiener großen Meister
von den Künstlern verstanden und mit Überzeugung ge-
spielt werden. Das lockt die Liebhaber, und so schlagen
diese Wellen in der Empfindung des Menschen-Geschlechts
immer weitere Ringe. Das sehe ich hier, wenn ich heute
mit der Zeit vor 10 Jahren vergleiche. Mag auch immer-
hin bei den Einzelnen etwas Affektation mit unterlaufen!
Wie geht's Johannes? Ich kann mit dem besten Willen
hier nicht regelmäßig correspondiren, will ihm aber in den
nächsten Tagen schreiben. Benzons waren mit Ihnen gleich-
zeitig in Paris, ohne es zu wissen, daß Sie dort.
Neulich (am 28) haben wir bei Marie Benecke ^) den
Tag, an dem Mendelssohns silberne Hochzeit gewesen wäre,
durch 3 Quartette von ihm gefeiert. Es war mir ganz
eigenthümlich ernst dabei zu Muth; ich wurde aber durch
und durch erwärmt durch manche lichte Stelle in den
Werken, welche mir im ganzen Zusammenhang mit seiner
vollendeten, reinen Menschlichkeit aufgieng, wie ich so an
ihn dachte.
Adieu, liebe Frau Schumann ! Grüßen Sie Fräulein Marie
von mir; und denken Sie an meine aufrichtige Ergeben-
heit, wenn Sie mir manchmal etwas übel nehmen wollen.
J. J.
^) Älteste Tochter F. Mendelssohns, mit dem Raufmann Victor B. ver-
heiratet.
Von Clara Schumann 191
An Frau Marie Benecke
[London 8. April 1862.]
Verehrte Frau!
Mit aufrichtigstem Bedauern erhielt ich die Nachricht,
daß ^veder Sie noch Ihr Herr Gemahl die Fahrt nach
Manchester mitmachen können. Es wäre gar zu hübsch
gewesen, die „Kunst "-Reise in eine Vergnügungstour um-
gewandelt zu sehen ! Ich habe neulich vergebens versucht,
Ihnen und den Ihrigen im Crystal-Palace auf- und ab-
wandelnd zu begegnen, möchte aber nicht unterlassen,
Ihnen wenigstens nachträglich zu dem Erfolg Ihres Schütz-
lings^) zu gratuliren, der das gute Omen hat, unter Ihrer
Pathenschaft in die Musikwelt eingeführt zu werden. Es
ist vieles in SuUivans Musik, das mich recht angesprochen
hat. Kraft und Originalität werden mit den Jahren (bei
so frischem Erfassen der Aufgabe und so geschickter Be-
handlung der Mittel für einen Jüngling) gewiß wachsen
und Erfreuliches schaffen.
Mit herzlichem Gruß an Herrn Benecke, verehrte Frau,
Ihr aufrichtigst ergebener
Joseph Joachim.
Von Clara Schumann
Paris d. 9 April 62.
Lieber Freund,
Sie hätten schon früher auf Ihren lieben Brief Antwort
erhalten, ich war aber zu furchtbar beschäftigt und
bin wirklich jetzt ganz herunter. Ich habe diese ganze
Woche jeden Abend zu spielen, und die Soireen sind in
den kleinen Salon \s und der enormen Hitze anstrengender
') A. Sullivan, damals 20 Jahre alt, war der erste Mendelssohnstipendiat.
192 Von Bernh. Scholz
als alle Concerte. Ich kann Ihnen heute den glücklichen
Verlauf des Conservatoire und meines letzten Concerts gestern
mittheilen. Im Conservatoire ist Alles sehr gut gegangen,
und ein wahrer Beifallssturm nach dem Concert v. Beethov.
Auch gestern fehlte es an Nichts. Ich spielte Roberts Quar-
tett und wurde wieder sehr schön von dem Arminigaud'-
schen Quartett begleitet. Merkwürdig ist es mir, und ist
es wohl als kein sehr gutes Zeichen für den Geschmack
anzusehen, daß das Maurin'sche Quartett hier einen weit
größeren Ruf hat, meiner Ansicht nach aber dem von
Armingaud nicht an die Seite zu setzen ist. Maurin gefällt
sich in den schönsten Contrasten, er heult entweder oder
er haut plötzlich auf ein paar Noten so hinein, so ohne
allen Verstand, daß es ganz widerlich anzuhören ! Ich finde
das Quartett v. Armingaud so warm, die Leute behaupten
aber, das sey nur, wenn sie mit mir spielten. Jedenfalls
sind Armingaud und Lalo (Viola) gebildete Musiker, wäh-
rend Maurin ganz dumm ist. Das aber nur Ihnen — ich
nehme mich hier sehr in Acht und ertappe mich oft auf
einer Politik, die mich in Erstaunen setzt. Es ist aber zu
nöthig, denn geklatscht wird gerade wie in einer kleinen
Stadt. . . .
Von Bernh. Scholz
Hannover 10. April 1862.
My very dear friend, da Sie gar nichts von sich hören
lassen, so muß ich Ihnen wieder einmal schreiben,
damit unser Verkehr nicht ganz in's Stocken kommt. Ich
habe schon vermuthet, meine beiden ersten Briefe seien
gar verloren gegangen, weil Sie nicht antworten; deshalb
adressire ich diesen an Ihren Bruder; zugleich lege ich
Ihnen mehrere Fragen vor, auf die Sie mir antworten
müssen; das nennt man Correspondenz per Zwangscours.
Von Bernh. Scholz 198
Ich habe mit Vergnügen gehört, daß Sie zum Geburts-
tag des Königs da sein werden. Haben Sie ein Programm
festgestellt? Stockhausen war da, sang zwei Mal bei Hofe
und hat seine Bereitwilligkeit erklärt, zum festlichen Tag
da zu sein. Etwas Größeres, etwa Alexanderfest, läßt sich
wohl in den Rahmen des Conzerts nicht einfügen, da der
König Sie natürlich am liebsten spielen hören wird, die
Königin Sie auch, wie ich vernahm, schon dazu auffordern
ließ. Haben Sie Chor-Wünsche irgend einer Art, so lassen
Sie es umgehend hören; wenn ich Ihnen helfen kann, so
geschieht es ja gern, wie sie wissen. Andrerseits ist, wie
Sie wissen, das Publicum der eigentlichen Hofconzerte
längeren, gar oratorischen Sachen abhold. Wäre es über-
haupt nicht am Platze, Garantieen gegen Wiederholung
eines ähnlichen Lärmens, wie er im vorigen Jahre statt-
fand, zu verlangen. Ich meine, daß Sie das unbedingt thun
können.
Vorigen Sonnabend habe ich den Israel mit 240 Sängern
im Theater aufgeführt; er ging wirklich sehr gut — „das
hörten die Völker (Hannovers) und sind erstaunt" ; die
Leute hatten sich schon allerhand Dinge erzählt, die Auf-
führung käme nicht zu Stande u. dgl. ; nachträglich mußten
selbst meine Neider gestehen, daß eine solche Aufführung
hier noch nicht gehört worden sei. Der König hat eine
W^iederholung nach Ostern erbeten.
Am Dienstag gab Auer seine Soiree; er spielte vortreff-
lich. Der König war auch anwesend; nachher war noch
bis I2i/^ Uhr Hofconzert mit Stockhausen. Ich war Tags
darauf wie gerädert.
Der König läßt Sie bitten , doch auf Sir George Smarts
Jubiläum nicht zu vergessen; es liege hier Alles für ihn
bereit.
Waren Sie so freundlich, mir numerirte Plätze zu den
Händel-Conzerten zu sichern ? Bitte nochmals darum, wenn
es noch nicht geschehen sein sollte.
i3
194 An Bernh. Scholz
Grüßen Sie Mr. Henry Joachim, Pauer und empfehlen
Sie mich auch dem wohlwollenden Andenken of Mr. Rabe.
Herzlichen Freundesgrnß
von Ihrem
Scholz.
P. S. Unsere Capelle spielt wirklich gut und hat auch
Zeit zum Probiren, solange Sie es wollen.
Ebenso können Sie hier Quartett spielen, wann, wo, wie,
was und so oft Sie wollen.
Haben Sie das anderswo auch?
Antwort auf diese „Bescheidenheitsfrage" erbittet sich
Ihr alter
[Unterschrift ausgerissen]
An Beruh. Scholz
[London il\. April 1862.]
Mein lieber Scholz
Sie und Ihre liebe Frau sammeln feurige Kohlen über
mein Haupt ; sie verwandeln sich aber in einen ganzen
sonnigen Ball, der mich wärmt und mir das Gefühl der
Sicherheit giebt, daß Eure Freundschaft mir fort und fort
leuchtet. Ich habe mich lange nicht über einen Brief so
sehr gefreut wie über Ihren (bis) letzten mit den lieben
M. S'^" von Buba und Henni. Ihre Händel Tickets sollen
besorgt werden; ich denke, es soll uns nicht einmal was
kosten. Aber es ist jammerschade, daß Frau Spätzin nicht
mitfliegen kann ; die hätte Frische genug, um London, trotz
aller Schattenseiten, herzlich zu genießen. Ein ander Jahr
muß sie auch her. Sehr leid thut mir's auch, daß wir die
Rückreise nicht im Juni zusammen machen können; ich
muß aber am 20' Mai noch in Liverpool spielen, und am
3o"" wieder in London, so daß ich nur 8 Tage für die
ganze Fahrt nach Hannover habe. Eine Einladung zum
An Bernh. Scholz ipS
Kölner Musikfest war ich auch abzulehnen genöthigt.
Die Reise nach H. ist für mich ein Opfer; aber die Kö-
nigin ließ mir den Wunsch, mich zum 26'^" dort zu wissen,
so herzlich aussprechen, und in Form einer Bitte (wo man
ja befehlen konnte), daß ich das Opfer mit Freuden bringe.
Ich sollte Frau Goldschmidt zu gewinnen suchen (was ich
schreibe, ist natürlich immer unter 6 Augen!), habe aber
noch keine Antwort auf den Brief des Frl. v. Gabelentz an
die Goldsch:. Meine Meinung war von vornherein, daß die
Sängerin die Einladung nicht werde annehmen können;
ihre Entscheidung ist aber jedenfalls jetzt abzuwarten, be-
vor man weitere Schritte thut. Kann sie nicht, so wäre
freilich Stockhausen der beste Ersatz, und ich werde ihn
vorschlagen. Vielleicht giebt mir dann außerdem die
Goldsch: eine Arie von Mozart mit obligater Violine für
Frl. Ubrich (nicht die in B), die dem König und der Kngn:
gewiß gefallen würde. Meine Meinung wäre, da ich auch
die Bedenken gegen Chor hege, welche Sie Ihrerseits mit-
theilen, ein Concert in Form der Abonnemts-Conc'^ zu ver-
anstalten: einem 1'*" Theil (den sie dirigirten u. in dem
ich spielte) und für den 2""" Theil eine Beethv'sche Sin-
fonie (Bdur). Gegen Schwatzlust wird sich wohl schwer-
lich etwas thun lassen! Aesthetisches Schamgefühl ist bei
der Majorität der Hoffähigen ja nicht vorhanden, und
Prügel darf man selbst in Hannover nicht drohen, selbst
wenn der Kultusminister Lust hätte. Weiß denn Platen
schon etwas vom Vorhaben der Königin? Bellt er? Ich
habe ihn nicht übel in Verdacht, einige freundliche Notizen
in den Blättern (Ungnade, Urlaub und Entlassung zugleich
nachschicken etc.) veranlaßt zu haben; dennoch will ich in
meinem nächsten Brief an Frl: v. Gabelentz bitten, daß
man die Concert -Sache nicht ohne meinen „Chef" be-
treibe — . Ich bin nicht rachsüchtig. Über meine Bitte um
Urlaub habe ich meine Ansicht nicht geändert; doch wollen
wir das Thema bis auf's Wiedei^sehen lassen.
i3*
196 An Clara Schumann
Sehr habe ich mich über den Erfolg der Singakademie
gefreut. Studiren Sie jetzt Ihr Requiem? Ich möchte wohl
etwas daraus hören, wenn ich nach Hannover komme.
Gienge das? Sehr hoffe ich, bevor ich zu Ihnen komme,
noch einmal von Ihnen zu hören. Grüßen Sie Fräul: Soest,
Nicola, Eyertts, Lindhult, Kaulbach. Letzterem schreibe
ich in den nächsten Tagen; sonst schäme ich mich gar zu
sehr, wenn ich wiederkomme. Sie und Ihre liebe Frau in
getreuester Erinnerung bewahrend,
Joseph Joachim.
Mein Bruder wünscht freundschaftlichst empfohlen zu
sein.
P. S. Rabe war ganz verklärt vor Vergnügen , daß Sie
Sich seiner erinnern.
Was macht Gunz?
An Clara Schumann
[London d. i5. April 1862.]
Liebe Frau Schumann.
Es ist also entschieden, daß Sie nicht kommen ! So leid
dies mir persönlich thut, so bin ich doch insofern ge-
tröstet, als ich glaube, daß Sie mit der Ausstellung hätten
eine Masse Unruhe in den Kauf nehmen müssen. Es kom-
men schon viel Bekannte zusammen, auch sehr angenehme:
Karl Mendelssohn 1), den ich eben gesehen habe. In einer
Stunde kömmt Mariens Bekannte, Helene Figdor^) mit
ihrem Vater u. Bruder an. Aber zum Wichtigsten: zu
Ihrem Protege 3).
Wenn Sie meinen, daß es zu seinem Glück unabänder-
lich not big sei, schon jetzt Paris zu verlassen u. hieher
^) Sohn Felix M's., bekannter Historiker, -j- 1897.
^) Cousine Js., Braut des Heidelberger Ophthalmologen O. Becker.
*) dem Geiger Rose, der damals in Paris studierte.
An Clara Schumann 197
zu kommen, so würde ich natürHch trachten, soviel wie
möglich zur Erreichung seiner Absichten beizutragen. Nur
muß ich darauf aufmerksam machen: die Zeit der Aus-
stellung wird für einen jungen Menschen sehr aufregend
u. vom Studium ablenkend werden. Alles (oder wenigstens
vieles) mitzumachen, wird sehr kostspielig sein; in London
leben und, während andere alles Interessante kennen lernen
und sich zerstreuen, bloß an's Studium zu denken, ist an-
dererseits etwas, was mich als jungen Menschen sehr traurig
gemacht hätte. Zudem kömmt, daß ich nicht nur durch
Concerte, sondern auch durch eine Menge Freunde u. Be-
kannte aus allen Gegenden werde in Anspruch genommen
werden: Verwandte, Wiener Künstler, Scholz (im Juni),
etc., die ich wohl alle mit Billetten werde zu versorgen haben,
so viel ich kann. Bedenken Sie dies alles, und auch: mit
dem Hören allein ist's denn doch nicht gethan! Sind Sie
nach diesen Bedenken dennoch der Meinung, daß der junge
Böse herüber kommen soll, so werde ich, wie gesagt, nach
Kräften suchen, ihm nützlich zu sein. Rath geben kann ich
nicht. Ich kenne die Natur und das Talent des jungen
Mannes gar nicht und möchte die Verantwortlichkeit der
Veranlassung zu dem Schritt nicht auf mich nehmen.
Soll ich Sie zum 26. Mai für Hannover in Vorschlag
bringen? Dem König könnte gewiß keine liebere Über-
raschung kommen; und die Königin hat nur aus Beschei-
denheit nicht auf Sie reflektirt; davon bin ich fest über-
zeugt. Werden Sie das Kölnische Fest mit hören? Dann
gieng's wohl zu vereinigen; Sie schienen nicht ohne Lust!
Bitte, schreiben Sie mir darüber. An allem Schönen, das
Ihnen widerfährt, nehme ich herzlichen Antheil!
Sie und Fräulein Marie vielmals grüßend
Joseph J.
198 Von ßernh. Scholz
Von Bernh. Scholz
Hannover 16. April 1862.
Lieber, lieber Freund!
Wie hat uns Ihr Brief erfreut ! Er war heute zu unserm
Frühstück angekommen wurde mit lautem Geschrei
begrüßt, und seine erwärmende Wirkung wird lange nach-
halten: thut aber auch Noth, denn es herrscht in jeder Be-
ziehung eben eine kalte Temperatur dahier.
Ich zähle die Tage bis zu Ihrer Ankunft; wir wollen
Ihren kurzen Aufenthalt hier recht nutzen; nur schade,
daß meine gute Frau gerade dann Ihrer wenig froh wer-
den wird. Auch auf unser Londoner Zusammensein freue
ich mich unendlich; bei der ersten Nachricht von Ihrer
demnächstigen Ankunft erschrak ich fast, denn ich glaubte,
Sie würden dann nicht mehr nach Old-England zurück-
kehren und ich müßte ohne Sie in London sein; nun habe
ich doppelte Freude.
Platen weiß noch nichts von Ihrer Ankunft: ich werde
es ihm demnächst sagen, sonst meint er, ich conspirire.
Ich glaube nicht, daß er die fragl. Artikel veranlaßt hat,
aber ich glaube, daß er mit Fischer zusammen intriguirt,
und daß Beiden Ihre Rückkunft sehr unerfreulich sein
wird. . . .
Wenn Sie an die Gabelentz schreiben wegen des Goncerts,
so schreiben Sie auch ihr, daß Sie meine, nicht F's Mit-
wirkung wünschten, sonst kriegen wir am Ende noch den
unangenehmen Patron mit dazwischen; wenn aber meine
Mitwirkg. von hoher Seite directe gewünscht wird, so ge-
traut sich Platen nicht, F. mit hineinzubringen.
Die ürlaubssache wird sich ja wohl auf eine vernünftige
Art ordnen lassen; das einzig Schlimme bisher war, daß
Sie den König nicht persönlich darum angegangen haben;
P. hat Alles verdorben, und jetzt ist wieder das Schlimme,
Von Clara Schumann 199
daß Ihre Anwesenheit zu kurz ist, um den König mit Ihnen
zu einer vernünftigen Unterredg. zusammenzubringen. In-
dessen ist er nichts weniger als aufgebracht gegen Sie; er
sprach neulich mit größter Freundlichkeit von Ihnen gegen
Stockhausen u, mich. Was die Königin betrifft, so empfindet
sie wahren Kummer um die Sache; sie ist eine gute Frau
und er ein König ! Ayez pitie ! Misericordia ! !
Was meine Vorstellungen, Vorwürfe und Unterstellg. wegen
Ihres Urlaubgesuchs betrifft, so denken Sie von mir, was
Sie wollen; nur vergessen Sie keinen Augenblick, daß ich
Ihr aufrichtiger Freund bin. Wir wollen über die Sache
weiter reden, wenn Sie erst hier sind.
Haben Sie wegen des Conzerts nichts zu besorgen?
Welche Bläser wollen Sie? Alle Ersten? Soll ich Platen
darüber sprechen? Wollen Sie ihm selbst schreiben?
Schreiben Sie an Stockhausen? Soll ich?
So viele Fragen sind, denke ich, eine baldige Antwort w erth !
Grüßen Sie Ihren Bruder : er ist uns immer freundschaft-
lichst empfohlen,
Raben sagen Sie, daß ich hoffte, er würde gut für Sie
sorgen und die Hand über Sie halten ; ich werde demnächst
kommen und Inspection halten.
Tausend Grüße übers Meer (via Ostende)
von Ihrem getreuen
Scholz.
Von Clara Schumann
Paris d. 27 April 1862. Sonntag.
Lieber Joachim,
Ueberbringer Dieses, Herr Rose, hat ein so sehnendes
Verlangen, Sie mindestens einmal zu sprechen, daß
er sich entschlossen, auf einige Tage nach London zu gehen,
und, da es jetzt nicht sein kann, wie er sehr wohl einsieht.
200 Von Clara Scliuinann
über später mit Ihnen zu sprechen. Ich brauche Sie nicht
zu bitten, Ihn freunclHch aufzunehmen, Sie thun es schon
ohnedem.
Ich habe auf vieles Zureden diese Woche noch ein 4"^^
Concert gegeben, das sehr schön ausgefallen, Stockhausen
sang wundervoll u. Mad: Viardot spielte reizend Roberts
Var: f. 2 Claviere mit mir. Was mir aber überhaupt hier
die größte Freude gemacht, ist, daß ich den Menschen, d.
h. den Besten hier, Respect für Johannes eingeflößt habe.
Die Meisten sprachen geringschätzig von Ihm, sie kannten
entweder Nichts, und nur die Serenaden oder eine und die
andere Sonate, die sie nicht vorstanden. Sie können den-
ken, daß mich das quälte, und so lud ich einige Musiker
neulich zu mir, um Ihnen nur Brahms verzuspielen. Erst
hielt es etwas schwer, ihre Theilname zu wecken, jedoch
mit dem Sextett erwärmten sie, und schließlich nach den
Variationen waren sie Feuer und Flamme, und Szarvady
besonders bat, ich möchte sie doch noch einmal Mehreren
vorspielen ; ich habe nun heute eine kleine .Soiree bei mir,
nur Künstler, erst -Roberts Trio in Dmoll, dann Job. Var:
und hoffentlich singt dann Stockhausen auch einige Lieder
von Johannes. Im deutschen Singverein wollen sie sich
auch die Harfenlieder anschaffen. Das hat mich wirklich
Tage lang froh gestimmt, und umsomehr, als es bei den
großen Anstrengungen und der so furchtbar eingetheilten
Zeit recht schwer hielt, daß ich die Sache zu Stande
brachte — ich fand nicht 'mal Zeit die Var : zu studieren.
Sie haben neulich Job: Sextett gespielt, was mich sehr
freute zu hören. Heller schreibt darüber entzückt an
Damke's. So haben wir denn Jedes unser Theil gethan.
Sie wissen, ich dränge Niemandem gern Sachen von Denen
auf, die mir theuer sind, ich konnte aber hier nicht anders,
es lag mir Tage lang so schwer auf dem Herzen ! — ...
Adieu denn, lieber Freund. x\lles Gute Ihnen von Ihrer
treuen Gl. Seh.
An Beruh. Scholz 201
x\n Bernh. Scholz
[London] Am 8i<=" Mai [1862].
Lieber Freund.
Ich sehe eben das Datum Ihies und der verehrten Ihren
letzten Briefes und finde den 16'""! Sind das wieder
3 Wochen ? ! Die Zeit meiner projektirten Fahrt nach
Hannover ist vor der Thür; ich muß an ein Programm
denken, für das ich Ihr Einverständniß erwirken kann.
Da ich Solo spielen soll, so übernehmen Sie ja wohl den
ganzen i^'^" Theil, wie immer in den Concerten. Die
Lind hat abgelehnt; Stockhausen ist zu weit weg; aber
Frau Schumann wäre zu haben. Da scheint es mir am
gerathesten, da w ahrscheinlich die Gesangskräfte für irgend
eine Festoper (oder eine Offenbach'sche Novität) in An-
spruch genommen sind, bloß Instrumentalmusik zu geben.
I. Ouvertüre (nach Ihrer Wahl)
3. Adagio von Spohr
3. Kl.-Concert in (Es oder Gdur) v. Beethoven
4. a) Romanze von Joachim
(aus dem Ungarischen Concert. Die Königin will
das Ganze; ich halte das aber für hinlänglichen
Gehorsam)
b) Abendlied v. Schumann
5. Amoll Sinfonie v. Mendelssohn (des Königs Lieblings -
stück).
Ich denke, dagegen läßt sich kaum etwas einwenden.
Wollen Sie Fräulein Ubrich anbringen, so müssen Sie mir's
gleich schreiben, damit ich suche, mir die Mozart'sche Arie
von der Lind zu verschaffen, die zwar nicht bedeutend ist,
aber, gut einstudirt, für Stimme und Violine angenehm
klingt. Vielleicht haben Sie die Güte, zu Fräulein v. Gabe-
202 An Beruh. Scholz
lentz zu fahren und mündlich die Sache zu ordnen; es
wäre praktisch. Ich lege einen Brief an die gütige Dame
bei, in dem ich bitte, die Direktion, wie bei den Abonne-
ments-Concerten, zwischen uns beiden zu vertheilen, und
den Vorschlag mit Frau Schumann mache. Übergeben Sie
den Brief womöglich selbst.
Ich habe für uns ein paar gratis Billette zum Händelfest
ausgemacht.
An Platen zu schreiben, halte ich nicht für nöthig. Die
Sache geht von I. M. der Königin aus, und durch sie
müssen ihm die nöthigen Befehle zugehen. Ich bin für die
ersten Bläser bei dieser Gelegenheit. Die Aussicht, Sie und
die lieben Ihrigen zu haben, erleichtert mir die nicht an-
genehme Pflicht, die Reise nach Hannover jetzt zu unter-
nehmen.
Ihr
J. J.
An Bernh. Scholz
[London etwa lo. Mai 1862.]
Yivat Wilhelmus! Nicht der König v. Preußen, son-
dern der kleine Republikaner in spe! Hurrah! Es ist
prächtig, daß Frau und Junge sich so gut halten und daß
ich mittaufen soll. Vergessen Sie nicht, mir im nächsten
Brief wieder ein Bulletin zu geben. Ich werde am 22"^"
von hier fortreisen und mit dem Mittagszug des 28'*",
will's Gott, in Hannover sein. Ist denn die Orangerie wirk-
lich so riesig, daß Klavier keinesfalls klingen kann? Man
verliert in den großen Sälen hier etwas den Maaßstab. Sie
werden aber gewiß mit Frau Schumann das Geeigneteste
überlegen. Die übrich, Gunz und der neue Stern ^) sind
^) Frl. Weis; Che faro, Arie aus Glucks Orpheus, die in Offenbachs
Orpheus aus der Unterwelt parodiert wird.
An Beruh. Scholz 2o3
mir ganz heb; nur habe ich was gegen das „schöne Mäd-
chen" von Spohr, nicht gegen Frl. Weis. „Che faro"
wäre mir lieber; außerdem ist ja das Stück auch dem
Hörerkreis durch OfFenbach vielleicht acceptabel geworden.
Im Übrigen gebe ich zu allem, was Sie beschließen, gern
im Voraus meinen Consens. Käme die Schumann, so
wäre am Ende die Kreutzer-Son:, in der wir beide gleich
beschäftigt sind, u. ein Solo für jedem von uns außerdem
am taktvollsten. Ich bin gewiß, wenn der Saal es erlaubt,
so wäre Frau Seh. dem König das liebste.
Wollen Sie mit der Jubel - Ouvertüre, oder mit der
Beethoven'schen Fest-Ouv. (Op. 1 1 4?) ^) anfangen. God save
wäre am Ende der rechte Anfang ! ?
Mit herzlichem Gruß an Ihre Frau und an die Haus-
freunde
Ihr
Joseph J.
An denselben
[London] Montag. [12? Mai 1862.]
Lieber Scholz.
Ich habe mir die Arie nochmals angesehen; man müßte
sie copiren lassen etc. etc. ; le jeu ne vaut pas la chan-
delle. Was daran gefällt, sind ein paar Kadenzen, die ich
mit der Lind habe, und die wir sehr einstudirt. „Non
temer" 2) ist viel besser; die ist in Hannover; sehen Sie
Sich dieselbe an, und dann schlagen Sie sie der Uhr: vor,
mit der zu musiciren mich freuen soll. Alles ist mir recht.
*) Gemeint ist die „Ouvertüre zur Weihe des Hauses", op. 124.
^) Aus „U re pastore" von Mozart. J. hatte für Jenny Lind neue Ka-
denzen an Stelle der vom Dresdner Konzertmeister Schubert geschrieben ;
statt Frl. Ubrich sang Frl. Weis, der J. bei dieser Gelegenheit zum ersten-
mal nahe trat.
2o4 Von Bernh. Scholz
Ich komme am Mittwoch des 2 3""" an. Heute spiele ich
in 3 Concerten : Trio von Bennett, Duo (H moll) Schubert,
Sonate von Bach. — Fdur Quart: N" 7 von Beethoven,
Fuge in C v. Bach, und B dur Trio v. Beethoven. Morgen
Concert in Liverpool! Sie sehen, ich hab' nicht viel Zeit.
Doch ist mir das lieber, wie Platen's Verhältnisse!
Apropos, in Zürich ist eine Musikdirektorstelle offen mit
5ooo Franken Gehalt. Wissen Sie davon?
Ich lade mich für den 28^^" zu Tisch und bleibe
Ihr
getreu ergebener
Joseph J.
Von Bernh. Scholz
Hannover i5 Mai 62.
Caro amico und very dear friend
Wir freuen uns kindisch auf Ihre Ankunft; besonders
freut sich meine Frau, die heute bereits ein wenig
auf war, daß auch sie etwas von Ihnen haben wird. Es
geht ihr u. dem Kleinen gut.
Ich komme eben von Herrenhausen und habe nun nach
reiflicher Ueberlegung das Programm so festgestellt.
1 Ouv: zu Leonore v. Beethoven od. Euryanthe
2 Che faro senza Euridice Frl. Weis
3 Adagio v. Spohr Joachim
4 „Wehen mir Lüfte Ruh" aus Euryanthe Gunz
5 Adaffio V. Joachim 1 t 1 •
.^ „. j > Joachun
Abendhed J
6 Gesang (?) Ubrich
7 Symphonie v. Mendelssohn.
Ist's Ihnen so nicht recht, so treffe mich Ihr ganzer
Zorn; die Königin hat Alles in meine Hand gelegt: ich
Von Beruh. Scholz 2o5
solle das Programm nach Ihrem, Joachims, Wunsch ein-
richten.
Ich habe aber für gut befunden, kein Ciavier in's Pro-
gramm aufzunehmen, i) weil es wirklich etwas monoton
geworden wäre, 2) weil Frau Schumann erst vor 8 Tagen
bei Hofe gespielt hat u. die Königin, ohne Ihr Programm
im mindesten beanstanden zu wollen, glaubte, etwas Ge-
sang wäre ganz erwünscht, 3) weil der Orangeriesaal, in
welchen 900 Menschen eingeladen werden sollen, ein sehr
schlechtes Format für die Acustik hat, 282' Länge auf nur
40' Breite, und 4) weil ich glaube, diesmal im Interesse
der ruhigen Ausführung der Musik wohl daran zu thun,
dem Wunsche des Publicums bezgl. Gesangsoli nachzu-
kommen, 5) weil Violin-, Ciavier- u. Gesangsoli ein viel zu
langes Piogramm zu dieser Gelegenheit gegeben hätten.
Die Ouv: zu Leonore od. Euryanthe habe ich gewählt,
weil die Jubel-Ouv: vor gar nicht langer Zeit, u. die Beet-
hoven'sche Festouvertüre bei beiden Israel- Aufführungen
gemacht worden ist. Bezügl. Ihrer Solostücke haben Sie
natürlich noch immer freie Hand; ich halte indeß die Wahl
derselben für gut.
Die Königin läßt Frau Schumann dennoch zum Concert
als Zuhörerin einladen, um Ihnen u. ihr die Freude einer,
wenn auch flüchtigen, Begegnung zu verschaffen.
Ein anständiges Podium habe ich auch anfertigen lassen;
kurz, ich hoffe, Sie werden mich ein bischen loben, wenn
Sie kommen.
Nun kommen Sie bald; Sie werden mit offenen Armen
empfangen von Alt u. Jung und von aller Welt.
Hannover ist gar nicht so schrecklich, u. wenn Sie erst
wieder da sind, ist's sogar sehr schön.
Herzl. Gruß bis auf Wiedersehen.
Ihr
Scholz.
206 An Otto Goldschmidt
An Otto Goldschmidt
[London, wahrsch. Sommer 1862.]
Lieber Goldschmidt
Eben nach einem Concert in meiner Wohnung ankom-
mend, finde ich in dem beiliegenden Couvert 1 5 Gui-
neen eingeschlossen. Dies ist mir eine total unverständliche
Sache! da wir, wie Du erinnern mußt, neulich übereinge-
kommen waren, daß ich meine Dienste zu dem Concerte
für die Malerinnen nicht für Geld, sondern der guten Sache
wegen darbieten wollte. Es war nie meine Gewohnheit,
zu wohlthätigen Zwecken für Geld zu spielen, und ich
werde dies auch in England nicht lernen. Du scheinst ver-
gessen zu haben, dies dem Vorstand der F. A, Society zu
sagen, und ich hoffe, Du wirst als Freund und Künstler
wissen, was Du mir schuldig bist, um dies Vergessen gut
zu machen.
In aufrichtiger Ergebenheit
Dein
Joseph Joachim.
An denselben
[London, Sommer 62.]
Lieber Goldschmidt
Ich war in Manchester und bitte Dich damit zu ent-
schuldigen, wenn ich Deine Zeilen nicht früher beant-
wortet habe. Ganz zuversichtlich rechne ich darauf, daß
Du dem Vorstande der F. A. Society den mir bestimmten
Wechsel zurückstellest — ich habe nichts von den Damen
zu fordern. Meine Mitwirkung, die Du für das Concert
zum Besten der Gesellschaft wünschtest, ist nur unter der
festen Verabredung von mir gewährt worden, daß ich
Von Stephen Heller 207
meine Dienste allein der guten Sache wegen leistete (es
handelte sich nach Deiner Aussage darum, den Malerinnen
die weitere Ausstellung ihrer Kunstwerke zu ermöglichen,
die sonst künftig hätte unterbleiben müssen); und nicht
für Geld, das anzubieten Du so bescheiden warst. Konnte
oder wollte der Damen -Vorstand unter solchen Umständen
meine Mitwirkung nicht annehmen, mochte er mir nicht
gestatten dem edlen Beispiel Deiner verehrten Frau zu
folgen, so mußte man mir dies vor demConcert mittheilen;
ich hätte mich dann natürlich mit meiner Musik nicht
weiter aufgedrängt.
Der für mich unangenehme Vorfall, die nachträgliche
Uebersendung eines Wechsels für meine Leistungen, kann
selbstverständlich die Erinnerung an die besondere Freude
nicht stören, die es mir gewährte, mit Dir und Deiner Frau
zu musiciren. Herzlich lieb soll es mir sein, Dir dies oft
durch die That zu beweisen!
In aufrichtiger Ergebenheit
Joseph Joachim.
Von Stephen Heller
Paris 8. juni i 862.
Lieber Joachim,
Ich hätte Ihnen jedenfalls von Paris aus geschrieben,
wenn ich auch nicht noch einen besondern Grund dazu
hätte, den ich Ihnen weiter unten angeben werde. — Seit
ich in Paris bin, habe ich oft an Ihre Idee, hier einige Zeit
des Sommers zuzubringen, gedacht und mir vorgenommen,
Ihnen darüber ganz offen zu schreiben. Ich finde Paris
wieder ganz behaglich, hübsch und angenehm. Das Ganze
hat nicht das Großartige London \s, aber es ist lustiger an-
zusehen, u. die Menschen sehen weder so preoccupirt geld-
und gewinnsüchtig, noch so insolent — reich aus wie so
ao8 Von Stephen Heller
Viele der beiden Klassen (der arbeitenden <Künstler-> und
der genießenden) in London. Doch finde ich die guten
Engländer herzlicher, treuer, redlicher, hingegen die nicht
guten und ungebildeten Engländer weit unter den Fran-
zosen derselben Gattung, die man nie so entblößt aller
bonhomie und Grazie treffen wird, wie gewisse bizarre
oder verdrießliche englishmen. Nebst jener stillen Herz-
lichkeit und schlichten Weise der „Guten im Lande"
vermisse ich auch das viele und reiche Grün, welches
die Parks, Squaares und Gärten dort bieten. Die Hitze
ist groß, und mir bangt vor July und August. — Meine
neue Wohnung ist hübsch, kühl und bequem. Das ein-
zige Störende ist eine Ciavierlehrerin, die im 4"^" Stocke
wohnt u. die den ganzen lieben Tag klimpern läßt; die
satanischen Schülerinnen verderben einem alle Lust zur
Musik. In meinem Arbeitszimmer höre ich wenig, aber
im Schlafzimmer werde ich aus den schönsten Beethoven-
träumen durch elendes Clavierschlagen geweckt. —
Nun mein Anliegen. Mein Freund Berthold Damcke
geht mit seiner Frau Ende juni nach Hannover, seiner
Vaterstadt, um dort 4 Wochen bey seiner 80jährigen
Mutter zu verweilen. Er war vor vielen Jahren Cellospieler
im dortigen Orchester u, dann später 1 2 Jahre in St, Pe-
tersburg, wo er sehr viel Compos. u. Harmonieunterricht
gab und mit Rubinstein, Henselt, usw. sehr liirt war.
Jetzt ist er in Paris fixirt, wo er Unterricht giebt u. eines
bedeutenden Rufes genießt. Er wünscht nun, bey Gelegen-
heit seines Aufenthaltes in Hannover sein Trio oder Cla-
viersonate mit Violoncell dem Könige vorzuspielen, der ihn
vor Jahren gesehen u. ihm eine goldene Medaille für eine
Dedicace gegeben. Was meinen Sie : wäre es möglich, daß
ihm diese Gunst, dem Könige ein Werk vorzuführen, ge-
währt würde? Und könnten Sie ihm einen Brief an irgend
eine hochgestellte Person geben, welche dies Vorhaben be-
günstigen könnte? Sie können auf meine Verantwortung
Von Ad. Fr. Lindblad 209
das Trio u. die Cello Sonate als ganz tüchtige, trefflich ge-
schriebene Werke empfehlen, die hier in Goncerten von
]\|nie Viardot- Garcia selber gespielt u. mit großer Aner-
kennung aufgenommen worden sind. Diese beiden Werke
stehen weit über die Yeillee, die Sie kennen, und sind hier
sehr zur Geltung gelangt. —
Sie wissen jetzt genug. Ich kenne Sie jetzt zu sehr, um
nur einen Augenblick an Ihrem guten W^illen, meinem
Freunde nützlich zu seyn, zu zweifeln. Wollen Sie einen
Brief schreiben, so schicken Sie ihn mir. — Sie fehlen mir
sehr, lieber Joachim, u. ich denke mit einer Art von weh-
müthigem Vergnügen an unsere letzte trauliche Unterhal-
tung. Ich rechne die nähere Bekanntschaft mit Ihnen als
einen Gewinn meiner Reise nach England. Mögen Sie eben
so freundschaftlich meiner gedenken,
Leben Sie recht wohl, erfreuen Sie noch Viele mit Ihrem
seltenen Talente u. seyn Sie herzlich gegrüßt
von Ihrem
Stephen Heller.
Von Ad. Fr. Lindblad
Stockholm 25. Juni 1862.
S: H: T:
Mein lieber Freund! (wenigstens von meiner Seite
ist diese Anrede berechtigt.)
Der Überbringer dießes, Herr Book, Mitglied der hießigen
Königl: Hofkapelle, Stipendiat des Königs, wird sich
ein Jahr im Auslande aufhalten, um sein Talent zu fördern.
Herr Book hat von mir eine Empfelung an Herrn Joachim
gebeten. Ich gebe gerne zu, daß ich sehr dreistig bin, da
ich dieße Bitte nicht abgeschlagen, aber die Freundschaft
und die Güte, die Sie vor 5 Jahren mir bewiesen, haben
mich ermuthigt, und wage ich also, Ihnen den Herrn Book
14
210 Von Clara Schumann
vorzustellen in der Hoffnung, daß Sie ihn mit Rath und
guten Willen entgegenkommen. Herr Books heißester
Wunsch ist, einmal in seinem Leben Joachim spielen zu
hören, und die große Leichtigkeit, die ich damals hatte,
dießes Glück zu erreichen, bürgt mich dafür, daß er auch
es erreichen werde, wenn übrigens Zeit und Umstände es
erlauben. Herr Book hat hier durch sein mit Sorgfalt und
Fleiß bis zu einem gewissen Grade entwickeltes Talent all-
gemeine Theilnahme und Aufmerksamkeit erworben. Von
seinem Karakter ist alles Gute zu sagen.
Vorherstehendes ist die eigentliche Anleitung zu dießem
Briefe und, wie ich Sie kenne, werden Sie es mir nicht übel
nehmen —
Sonst, Lieber Freund! Wie geht es denn? Sie stürmen,
wie ich höre, auf die Welt los und die liegt Ihnen ja schon
lange zu Füßen. Ich, der ich alt geworden, habe mich von
der Welt abgewendet und habe hier nichts weiter zu thun
als — sterben. Meine Töchter lassen Sie grüßen mit einer
Theilnahme und Dankbarkeit, die fast an Vergötterung
gränzet. Ja, es ist wahr, daß wir Sie alle lieb haben und
uns an Ihrem Wohlergehen herzlich freuen und, bemerken
Sie es. Sollte ich einmal noch in meinem Leben nach
Deutschland kommen, wurde ich keinen dort finden, den
ich kenne mehr als Sie; Alle die Andern sind gestorben.
Leben Sie ewig wohl, mein theurer Freund.
Ad: Fr: Lindblad
Von Clara Schumann
Münster am Stein d. i. July 1862.
Lieber Joachim,
Ich sehe schon, daß ich sobald nichts von Ihnen höre, wenn
ich nicht 'mal wieder schreibe und Sie bitte, doch endlich
'mal wieder der deutschen Freundin zu gedenken ! ich hoffte
Von Clara Sc liuinann 211
von Woclie zu Woche auf Brief, recht ernsthaft am 8'^"
Juni, da, dachte ich, würden Sie meines Roherts und dabei
denn auch meiner gedenken, aber vergebhch ! von Menschen,
die Einem so nahe stehen, nur immer aus Zeitungen zu
erfahren, ist recht hart, und soHten Sie, heber Freund,
manchmal daran denken! —
Daß Sie fort und fort die Engländer entzücken, versteht
sich von selbst, es freute Einem aber doppelt, hörte man
es einmal von Ihnen Selbst, da erführe man dann doch
auch manches Andere, so z. B., wann Sie wieder zu uns
zurückkehren? was für Pläne Sie im Sommer haben? wann
Sie wieder in Hannover sein werden? Daß der König Sie
wieder gewonnen, hörte ich zu meiner großen Überraschung
neulich ganz zufällig. Da habe ich gefühlt, daß ich wohl
egoistisch sein kann, denn ich freute mich, und mehr, als
es mir um mancher Gründe halber leid thuen mußte. Es
war aber ein gar zu trauriger Gedanke, Sie ganz in Eng-
land! Rose schrieb mir neulich, d. h. vor 6 Wochen, einen
langen Brief voll des Jubels über Sie, und hat es mir die
herzlichste Freude gemacht, daß Sie den frischen, warmen
Menschen so freundlich aufgenommen — weiß ich auch, Sie
hätten es ohne mein Fürwort eben so gethan, so muß ich
Ihnen doch danken, vielleicht war ich doch ein wenig Ur-
sache, daß Sie Ihn gleich so liebevoll empfingen. Ich
hoffe sehr, er kommt im Winter zu Ihnen nach Hannover
— Glücklicheres für Ihn weiß ich nicht.
Von mir kann ich Ihnen so weit Gutes sagen, freilich
hatte ich aber, als ich im Mai in Berlin war, schwere
Sorgen und habe sie auch noch, namentlich um Julie, für
deren Kräftigung ich diesen Sommer Alles thun muß, was
ich kann. Ich bin mit ihr, Marie und Eugenie hier im
Bade, und wie Sie sehen, diesmal in Münster am Stein,
wo es reizend ist, Sie erinnern sich doch der Ebernburg
und Rheingrafenstein? Letzteren sehe ich gerade von
meinem Balkon aus vor mir. Frl. Leser ist auch mit, und
i4'
212
Von Clara Schumann
leben wir so ganz gemüthlich eine Familie. Nach dem Musik-
fest in Köln kamen Johannes, [Albert] Dietrich und Wolde-
mar. Letzterer bringt seine ganze Ferienzeit (bis 14. Juli)
hier zu; Johannes und Dietrich waren 14 Tage hier und
wohnten ganz ländlich in einem Hause unter der Ebern-
burg. Es gefiel ihnen so, daß sie ungern fortgingen, Johannes
bedauerte, sich nicht ordentlich Arbeit mitgebracht zu
haben, um nicht zu bummeln, was ei-, Sie wissen, nicht
allzulange verträgt. Vorgestern sind sie alle fort — (Herr
V. Sahr kam auch noch) in die Pfalz zu Fuß; leider haben
Sie recht schlechtes Wetter gehabt, wie es denn hier mehr
Herbst als Sommer ist.
Johannes schickte mir neulich — denken Sie, welche
üeberraschung — einen i . Symphoniesatz ^), mit folgendem
kühnen Anfang:
*
^^=^
*
sf-.
m
ää
^^^
^,
^t^E&
^Ez±
^E^El
^^
^.
m
f
53iS
i
Das ist nun wohl etwas stark, aber ich habe mich sehr
schnell daran gewöhnt. Der Satz ist voll wunderbarer Schön-
heiten, mit einer Meisterschaft die Motive behandelt, wie sie
ihm ja so mehr und mehr eigen wird. Alles ist so interessant
*) den Anfang der ersten — '877 erschienenen CmoU-Symphonie.
Von 8t. Heller 2i3
in einander verwoben, dabei so schwungvoll wie ein erster
Erguß; man genießt so recht in vollen Zügen, ohne an die
Arbeit erinnert zu werden. Der üebergang aus dem zweiten
Theil wieder in den Ersten ist Ihm wieder 'mal herrlich
gelungen. Außerdem erhielt ich noch Magelonenlieder, von
denen Einige mir sehr lieb. Andere es weniger sind. Seine
4händigen Variationen über Roberts letztes Thema kennen
Sie wohl? Die "sind auch 'mal wieder prächtig! Daß Er
nun selber kam. Alles das spielte, und Vieles Andere noch,
auch 4händig D-moll Quartett, C-dur Quintett und Octett
von Schubert zu mehreren Malen, war recht eine Freude
für mich.
Wer weiß, in welch bedrängten Stunden Sie diese Zeilen
erhalten, daher will ich der Länge nun ein Ende machen.
Von mir nur noch Dies: ich bleibe bis zum i8'^" J^^y
hier und gehe dann nach einem Besuche von einigen Tagen
bei Schroedters in Karlsruhe direct auf den Rigi, bleibe
dort bis Ende August, mache wohl wieder eine Tour in's
Berner Oberland, wobei ich nicht wenig Ihrer gedenken
werde, auch Manches wünschen, und was dann, das
weiß ich noch nicht.
Von Woldemar, der gar nicht wohl war — recht Be-
sorgnißerregend sogar — soll ich Sie sehr grüßen. Man
darf Ihm ja nicht merken lassen, daß man Ihn für unwohl
hält. Die Luft hier thut Ihm übrigens recht gut, käme er
nur nicht so bald wieder in's Stundenjoch! —
Von St. Heller
Paris 3 july 1862.
Lieber Joachim,
. . . Führen Sie Ihren Vorsatz aus, diesen Winter hier zu
spielen. Sie werden zufrieden seyn. In Damcke werden
Sie einen unterrichteten, geistvollen Mann und in seiner
2i4 Von Beruh. Scholz
Frau eine seltene Liebenswürdigkeit und Herzensgüte
kennen lernen. Sie werden sich da wohl fühlen. —
Manchmal lese ich die 3^*^ Colonne der Times, um zu
sehen, ob die Concerte noch immer fortdauern. Ich sehe
immer Ihren Namen u. den Halle's, u. es ist mir, als müßte
ich eine weiße Cravatte nehmen u. nach St. James Hall
wandern. Wer mit Euch wanderte, mit Euch musicirte!
Das Reich der weißen Cravatten hat für mich aufgehört;
ich gehe hier herum wie ein Rapin und freue mich meines
abgetragenen Daseyn's: alte Röcke, alte Strohhüte, weite
Beinkleider bedecken meinen Westenlosen Leib, und kein
englischer Bedienter würde mich anmelden.
Leben Sie wohl, ruhen Sie ein wenig aus, schütteln Sie
bald Alles Füll Dress von sich (das körperliche und geistige)
und gedenken Sie in Freundschaft
Ihres herzlich ergebenen
Stephen Heller.
Von ßernh. Scholz
Hammermühle lo. Juli 1862.
Liebster Freund!
enn ich meine Londoner Reise nicht ausgeführt habe,
so ist es wahrlich nicht deshalb gewesen, daß es
mich nicht zu Ihnen hingezogen hätte. Ihre Anwesenheit
drüben war überhaupt die Veranlassung meines Reise-
projekts; — aber ich war zu abgespannt von der Unruhe
der lezten Zeit in Hannover, von der Reise nach Hause,
dem unmittelbar darauf folgenden Musikfest in Köln
u. dem Besuch in Aachen, als daß ich für eine fernere
Reise, namentlich für Londoner Getümmel, noch hätte
genußfähig sein können. Dazu kam noch die Nachricht,
daß in unserer Gegend das Scharlachfieber die Kinder deci-
mire, — und so werden Sie meine Umkehr begreiflich
w
Von Bernh. Scholz 2i5
finden. Ich bin meinem zweiten Plan, unsere Reisenden in
Paris zu treffen, treu geblieben u. habe alle Ursache, mit
diesem kleineren Ausflug, den ich nach Stägiger Ruhe
unternommen habe, zufrieden zu sein.
Die baulichen Veränderungen der Stadt in den letzten
10 Jahren sind allein für mich lohnend gewesen; es ist
ungeheuer viel in dieser Beziehg. geschehen. — Ich habe
dann einige Vorstellungen in der opera comique gehört, u.
A. die neue Oper von Felicien David: Lalla Rookh. Die
Ausführung derselben war vortrefflich u. bestechend, wenn
auch die Gesangsmanier der Leute widerlich ist. — Eigen
ist mir's mit Maurer und Schlosser ergangen. Unter sämmt-
lichen Mitwirkenden war auch nicht eine Stimme, u. doch
packte mich's durch das vortreffliche Zusammenspiel der
Leute.
Ich habe auch die Bekanntschaft von Delsarte gemacht
u. bin höchst erfreut darüber; ich war 3 mal mit Gunz bei
ihm u. habe diesem beim Unterricht begleitet. Ich kann
sagen, daß ich viel dabei gelernt habe.
Hier leben wir, wie alle Jahre, vergnügt bei den Mei-
nigen und wünschen nur sehnlich, Sie einmal bei uns zu
sehen. Sie würden durch Ihren Besuch die engere und
weitere Familie herzlich erfreuen. Kommen Sie!
Zunächst aber, bitte ich, geben Sie mir bald, recht bald
Nachricht, wie Sie Ihre Hannoversche Angelegenheit er-
ledigt haben. Ich bin sehr gespannt darauf; meine Frau
natürlich nicht minder; wir leben in der besten Hoffnung
darüber: Sie werden uns hoffentlich nicht getäuscht haben.
Schreiben Sie bald, recht viel und in alter Gesinnung
Ihrem
Scholz
auf der Hammermühle bei Wießbaden.
2\6 Von Frau Scholz
Von Frau Scholz
Hammermühle i?.. Juli 62.
Lieber Meister!
Mein Spatz ist einmal irre geworden u. auch im Nest
geblieben — lachen Sie ihn deßhalb nicht zuviel aus !
Hätte ich statt seiner zu Ihnen nach London gedurft! Ich
hätte mir von allen Seiten tüchtig imponiren lassen u. viel
dabei profitirt. Vor allzu großer Entmuthigung hätte mich
Ihre Freundlichkeit geschützt, auf die ich mir bis in mein
hohes Alter entsetzlich viel einbilden werde, —
Über vierzehn Tage war ich mit den Kindern nach Mainz
verbannt, weil das gefährliche Scharlachfieber der Hammer-
mühle immer näher rückte. Ich konnte dort viel mit
meiner Familie u. alten Freunden zusammen sein, fand
deßwegen Nichts hart bei der Geschichte, als daß ich die
alleinige Bewohnerin des großen Scholzischen Hauses war,
das dadurch sehr öde und leer blieb. — Jetzt sind wir
wieder hier u. von obligatem Regen begleitet, der sich nur
hie u. da auf halbe Tage zum Aufhören herbeiläßt. —
Dilthey ^) war 8 Tage da, u. ich habe ein Paar sehr schöne
Stunden mit ihm verplaudert, in denen Sie oft genug ge-
nannt wurden. Frl. Weis, die ihren Sommeraufenthalt in
Biebrich genommen, ist fast täglich mit uns zusammen.
Sie ist ein talentvolles, sehr anmuthiges Mädchen, aber sie
erinnert mich leider zu oft daran, daß ich zu permanentem
Spaßmachen zu alt geworden bin — eine Sache, die sich
am allerwenigsten ändern läßt! u. die traurigste Seite der
Frauen.
. . . Mir fehlt der Muth, Sie abermals um Ihr Kommen
zu quälen. Aber nach Hannover kommen Sie doch zurück,
gelt? Mit wieviel leichterem Herzen zöge ich in meine neue
Behausung ein, wüßte ich, daß auch diese von Ihnen er-
^) der aus Biebrich stammende Philosoph Wilhelm D.
An Hernian Grimm 217
heitert und verschönt würde. Sie hätten uns nicht so ver-
wöhnen dürfen, wenn Sie nun so hart mit uns zu verfahren
denken !
Ihr Service habe ich mit unserem Kessel an Frl. Weber
zum Aufheben gegeben, wo es in einem großen eisernen
Kasten mit vielem anderen Silber steht. — Bitte, nehmen
Sie nicht immer den Bogen, u. manchmal auch die Feder
zur Hand und vergessen nicht Ihre
Luise Scholz.
An Herman Grimm
[London] Dienstag d. 1 5*^" [Juli 1862].
Lieber Herman
Sei so gut, mir mitzutheilen, ob ich Dir den Rest der
M.[ichel] A.[ngelo] Mscrpte „Poste restante" nach Frei-
burg senden soll. Es ist mir ängstlich, die Abschrift der
Post anzuvertrauen, ohne sicher zu wissen, daß sie Dir
direkt in die Hände kommt. Ich fange an aufzuathmen
und werde nie wieder die Verpflichtung auf mich nehmen,
in so viel Concerten nach einander zu spielen. Ich werde
einige Monate in der Nähe Londons auf dem Lande zu-
bringen und freue mich darauf. In voriger Woche brachte
ich 2 Tage in Dickens' Haus zu, bei Rochester, eine Stunde
mit der Eisenbahn zu fahren. Es würde Dir und der
Gisel dort gefallen ; das Haus steht auf Gadshill wo Fal-
staff's Gaunerei vorgieng lustigen Andenkens. Sobald ich
mich mit eigenen Augen (durch Deine Schriftzüge) von
Eurer Anwesenheit in Freiburg überzeuge, schreibe ich
mehr.
Von Herzen
Dein
Joseph J.
2i8 Von H. W. Ernst
Von IL W. Ernst
Nice den if"" Jiily 1862.
Theuerster Freund,
Ich habe bereits Chorley i), Halle und Chappell gebeten,
allen jenen Lieben, die sich so theilnahmsvoll und
freundlich für mich gezeigt, gemeinsam zu danken 2).
Du bist in der ersten Reihe, und so laß mich denn Dich
herzlichst umarmen und Dir für Dein brüderliches Ver-
fahren brüderlich danken.
Du hast mich dadurch auch geehrt, und ich kann Dir
nicht sagen, wie glücklich es mich gemacht zu ersehen,
daß Dein freundschaftlicher Versuch Deinen Künstler-
ruhm nicht geschmälert hat. Da aber keine Freude in dieser
W^elt vollkommen ist, so bleibt mir auch das tiefe Bedauern,
mich nicht durch Dich gehört zu haben: Wer weiß, ob
mir je diese Freude noch zu theil wird, und mein Bedauern
ist noch um so tiefer, wenn ich daran denke, daß ich in
Wien am Quell dieser Erquickung war, daß aber der
moderne Gesetzgeber des Violinspiels den Zauberstab nicht
schwingen wollte. Du hast übrigens bewiesen, daß. Du noch
ein größerer Zauberer bist aU der große Vorgänger, denn
Du hast das Wunder bewirkt, daß, während Du in Lon-
don mit dem Zauberbogen angeschlagen, mir hier das
Wasser in den Mund gekommen ist. — Schreibe mir bald,
wie Dein Bruder es mir ankündigt. Nichts gibt mir Trost
und Muth als die Überzeugung, denjenigen nicht gleich-
giltig geworden zu seyn, für die mein Herz stets mit Be-
^) Musikschriftsteller, Mitarbeiter des Athenaeums.
^) Am 23. Juni hatte in St. James' Hall zugunsten des unheilbar er-
krankten Ernst ein Monday Populär Concert stattgefunden, in dem Joa-
chim, Laub, Molique und Piatti ein Streichquartett des Benefizianten spiel-
ten, Joachim überdies noch dessen „Elegie".
Von II. W. Ernst aif)
w'underung und Liebe erfüllt war und geblieben ist. Seit
einigen Tagen geht es mir wieder etwas besser. Meine
Schmerzen sind minder, und das Wetter ist so wunderbar,
daß ich wieder die Seebäder ohne Unterbrechung nehmen
kann. Ich hoffe Erleichterung und wenigstens so viel
Kräftigung, um einen leidlichen Winter verbringen zu
können. — Über den bey uns begangenen Diebstal noch
nicht die mindeste Spur von Aufklärung; aber die Ver-
muthung, daß er durch unsere Magd begangen wurde, ge-
winnt, leider zu spät, sehr viel Wahrscheinlichkeit. Diese
hat uns aber schon beynahe seit 4 Wochen verlassen, und
es scheint der Polizey nicht genehm, auf eine neue Unter-
suchung zurückzukommen. A propos dieses Diebstals habe
ich vergessen, auf die Bemerkung des sehr liebenswürdigen
und geistreichen Heinrichs (ich meine nicht mich, sondern Dei-
nen Heinrich), daß er (ich meine nicht Deinen Heinrich,
sondern den Diebstal), daß er nur meinen festen gesunden
Schlaf beweist, zu antworten: daß einem Glückskind Avie
er so etwas nicht zukömmt, daß dazu ein Chlemil gehört
wie ich, der die ganze Nacht bis 4 ^U ^^^^ nicht schlafen
kann und Lust hat, aber da der Dieb wahrscheinlich un-
geduldig geworden, sich ihm zu Gefallen umdreht, vor
Müdigkeit und verbissenen Schmerzen einschläft — und
sich vor seinem Hintern die Uhr vom Nachttisch und
andre werthvolle Juwelen wegstehlen läßt. War es ein
Dieb von Piofession, so war es vielleicht ein Glück, daß
ich mich in dem Augenblick nicht umgewendet und ihm
die Nase gezeigt habe. Ich scherze jetzt hierüber, weil sich
Gott sey Dank im Leben jeder unangenehme Eindruck
schwächt, aber ich kann Dich versichern, daß ich noch
8 Tage nach diesem unglückseligen Ereigniß keine ruhige
Minute in der Nacht genoß. Da dieses alles sich mehr an
Deinen Bruder als an Dich selbst adressirt, so lasse ich ihm
sagen, bey einem nächsten ähnlichen Fall, der hoffentlich ihm
und nicht mir zustoßen wird, charitabler zu seyn und für
220 An Clara Schumann
diesmal mit mir (er wird wohl wissen, was es sagen will)
Goimel zu benschen. ^)
Nochmals bitte ich Dich herzlich, mir zu schreiben, und
hast Du neues componirt, so lass' es mich haben mit
Deinem D moll Concert, das Du mir schon in Wien ver-
sprochen,
Gott mit Dir, Dein treuer. Dich herzlich verehrender
Freund und Bruder
H. W. Ernst
Da Du gewiß Gelegenheit hast, die Klingemannsche
Familie und Horsley's zu sehen, so grüße sie alle bestens.
Meine Frau läßt Dich und Deinen Bruder herzlichst grüßen
und läßt letztem! sagen, daß sie von seiner Freundschaft
erwartet hätte, daß er in dem Conzert auf seine gewohnte
meisterhafte und von uns oft bewunderte Weise Wilikens
singt — il vous aurait certainement tous enfonces.
An Clara Schumann
[London] Am i8'™ Juli [1862].
Liebe Frau Schumann.
Sie sind jetzt schon auf einer Station zur Reise in die
Schweiz, während ich noch immer unter der Häuser-
masse London's sitze mit mancherlei Fesseln, welche die
Saison hier um alle schlingt, die sich in ihr Treiben begeben,
nolens volens! Ich habe die Verpflichtung, noch am 28""
und 29"=" d. Mts. hier zu spielen, dann bin ich, dem Him-
mel sei Dank, frei, da ich alle Aufforderungen zu Reisen
in die Provinzen abgewiesen habe. Mein Plan ist, dann in
unmittelbarer Nähe London's auf's Land zu gehen, etwa
^) Gaumel oder gomel benschen heißt in der Aussprache der deutschen
Juden: ein kurzes Dankgebet für Errettung von schwerer Krankheit oder
aus Lebensgefahr sprechen. Ein solches Gebet wurde fiüher in den Syna-
gogen nach dem Aufrufen zur Tliora von den Genesenen oder Enetteten
rezitiert, worauf die Gemeinde responsorisch einfiel.
An Frau M. Benecke 221
nach Norwood, und da einige Zeit zu leben, um zu arbei-
ten und nebenher die Kunstschätze London's und die Aus-
stellung mehr und mehr kennen zu lernen. Wohl zöge es
mich wieder nach der Schweiz, wo es mir voriges Jahr so
herrlich geschienen — aber ich scheue das ewige Herum-
ziehen, das inich zuletzt ganz rastlos machen würde. Meine
Gesundheit ist so stark, daß ich keiner Reiseerholung und
Bergluft bedarf, so gerne ich die Lavinen wieder rollen
hörte! Johannes ist wohlbehalten in Harn, wie mir Heins
aus Hamburg versicherte, der ihn vor seiner Hieherkunft
gesprochen. Was Sie mir von seiner Sinfonie schreiben,
entzückt mich. Könnte ich sie doch sehen; aber ich fürchte,
er wird sie kaum hieher schicken wollen. Doch will ich's
versuchen, ihn zu überreden. Wenn ich an die Freude
denke, Johannes' Sinfonie einstudiren und zuerst aufführen
zu können, bekomme ich freilich wieder starke Lust, den
Vorschlag des Königs zu segnen, der mir freistellte, meine
2 Jahre Urlaub zu nehmen, mit der einzigen Beschränkung
den Gehalt fortzubeziehen und dafür (nach meiner
Wahl der Zeit) 6 Concerte jedes Jahr zu dirigiren. Ich
weiß, Sie reden zu ! . . .
In getreuer Ergebenheit
Ihr
Joseph J.
An Frau M. Benecke
[London] Freitag früh [25. Juli 1862].
Liebe Frau Benecke
Nehmen Sie und Fräulein Lilly i) meinen wärmsten
Dank dafür, daß Sie mir Ihre Bildchen schickten,
Wär's auch noch schöner für mich gewesen, ich hätte mit
') L. Mendelssohn, -j- 191 o als Gattin des Leipziger Rechtsgelehrten
Adolf Wach.
322 Von Bernh. Scholz
Ihnen selbst den Ausflug nach Windsor machen können,
so ist's doch auch eine große Freude, ein Zeichen Ihrer
und Ihrer Schwester freundlichen Gedenkens für's Geburts-
tagskind 7.U sehen.
Ich habe nun die vier Geschwister vor Augen, so oft
ich will, wie ich sie beständig treu in meinem Herzen be-
hüte als die Kinder des edelsten, frühesten Freundes, der
sich in Großmuth zu mir, dem Knaben wandte, um mich
besser zu machen durch seine Sorgfalt. Grüßen vSie Ihren
lieben Victor, von dem es sehr gut war, selbst zu kommen.
Ich hoffe, Sie vor dem nächsten Freitag zu sehen, und
bin und bleibe
freundschaftlich ergeben
Ihr
Von Beruh. Scholz
Joseph Joachim
Hannover 26 Aug. 1862.
Mein lieber Freund!
Seit zwei Tagen befinde ich mich wieder in Hannover,
und zwar ohne Frau und Kinder (die ich erst nach
erfolgtem Umzug will kommen lassen), ohne Joachim, —
selbst ohne Brinkmann, der noch auf Beisen ist, so daß
ich mir so einsam und verlassen vorkomme wie Adam im
Paradies, ehe Eva geschaffen war, nur daß Hannover noch
lange kein Paradies ist, und daß ich lieber den freund-
lichen paradiesischen Bestien begegnen möchte, als man-
chem widerwärtigen Gesichte hier.
Ist das nicht Wasser auf Ihre Midile? — Ich sehe Sie
ordentlich schadenfroh grinsen, daß mir hier eben so
schlecht zu Muthe ist. Es ist aber eine schlechte Stim-
mung, ein bischen Heimweh, dessen ich mich schämen
sollte, und das ich auch gewiß bald überwunden haben
Averde. Blicke ich vorwärts, so gestaltet sich mir das Bild
Von Bernh. Scholz 223
schon besser: heitere Abende mit meiner Frau, mit Joachim
und manchem guten, Heben Gesicht, deren ich doch auch
jetzt schon wieder manche erbhckt habe, — ich nenne nur
Papa Nicola, der Sie herzlich grüßen läßt.
Rehren Sie uns bald wieder, lieber, lieber Freund; —
wir wollen brav zusammen arbeiten, — ich muß aber auch
ehrlich gestehen: ich hab's nöthig, denn ich habe den
ganzen Sommer über keine Feder gerührt; mir fällt nichts
ein — ich bin muthlos und glaube auch nicht, daß ich
eher wieder was schreiben werde, als bis ich mein Re-
quiem einmal gehört habe; vielleicht schöpfe ich dann
wieder einiges Vertrauen in mich und mein Talent —
wenn ich überhaupt eins habe. Desto mehr freue ich mich
auf das, was Sie nun zeigen werden, denn Ihre Andeu-
tungen geben mir Hoffnung auf eine größere Arbeit von
Ihnen. Wir führen sie Ihnen dann auch wundervoll auf:
Kommen Sie nur bald, recht bald!
Meine liebe Frau und alle drei Kinder sind recht wohl,
frisch und gesund, und das Landleben bekommt ihnen.
Henni fängt an, besser zu plaudern, Dickerchen ist ein
allerliebstes Thier, so braun gebrannt, daß seine Hautfarbe
dunkler ist, als seine Haare, — und Ihr Pathchen gedeiht
vortrefflich. Er kommt dieser Tage zum ersten Male in feind-
liche Berührung mit der Welt, d. h. er wird geimpft werden.
Wie sehne ich mich nach den Meinigen, so kurz ich
auch weg bin; die Trennung wird aber hoffentlich bald
vorüber sein; ich denke, schon nächste Woche in mein
neues Quartier überzusiedeln.
Frl. Weis hat die ganzen Ferien in unserer Nähe und
viele Zeit auf der Hammermühle verbracht; wir haben
sie als ein braves, vortreffliches Mädchen kennen gelernt.
Wie talentvoll sie ist, wissen Sie selbst. Es ist mir darum
zu thun, sie vorwärts zu bringen. Opern singen allein kann
dabei nicht genügen; sie muß auch das Oratorium, für
welches sie sehr begabt ist, cultiviren. Sie beabsichtigt,
224 ^^•^i^ Bernhard Molique
diesen Winter französisch zu lernen; ich möchte ihr lieber
rathen, englisch zu treiben, eine Sprache die für ihre
Zwecke passender ist, da sie in Frankreich nichts zu holen
hat, Avohl aber, wie ich hoffe, später in England. Sollte es
nicht mögliclx sein, sie später in einer Londoner Saison
unter Ihrer Aegide und vielleicht mit hannoverschen Em-
pfehlungen in England zu introduciren? Sie ist fleißig und
hat auch diesen Sommer brave Fortschritte in Bezug auf
Vertiefung der Empfindung beim Gesang gemacht. Ich
glaube, es wäre lohnend und auch für Sie erfreulich, ein
Mädchen, das aus der großen Zahl sogenannter Künstle-
rinnen bedeutend hervorragt, zu fördern. Was meinen
Sie? Soll sie englisch oder französisch treiben?
Geben Sie mir bald Antwort und vergessen Sie nicht, auch
meiner lieben Frau die versprochenen Briefzeilen zu senden ;
sie ist in dieser Beziehung sehr eifersüchtig, wie Sie wissen !
Schließlich herzlichen treuen Gruß; auch Eyertt, Grün,
Lindner's Frau lassen Sie grüßen.
Behalten Sie lieb
Ihren Scholz
Von Bernhard Molique^)
Littlehampton, Sussex 26. August 1862.
Mein lieber Freund!
Sie sind vielleicht schon irgendwo an der See, doch
denke ich, Sie werden die Zeilen erhalten, wenn ich
sie in Ihre Wohnung adressire. Wie geht es Ihnen, sind
*) Joachim schätzte den urwüchsijjen Nürnberger, der es nicht über
sicli gewann, bei seinem 17 jährigen Aufenthalt in London ordentlich eng-
lisch zu lernen, namentlich als Menschen sein Leben lang ungemein hoch ;
das Salatanmachen hatte J. von Felix Mendelssohn und Niels W. Gade
gelernt und tat sich so viel darauf zugute, daß ihm, wenn er bei Freun-
den speiste, häufig die Schüssel und die Ingredienzen an seinen Platz ge-
stellt wurden.
Von Bernhard Mol ique 2 9.5
Sie vergnügt auf der I. of Wight oder in Hastings? ich
bin in meinem stillen, ruhigen Littlehampton sehr wohl
auf, bade fleißig, bin bey diesem schönen Wetter den
ganzen Tag in der Luft, aber habe noch nichts compo-
niert, welches ich nicht recht finde, und will mich jetzt
bessern und mich meines Versprechens erinnern, welches
ich Cracroft den letzten Abend bei Very gegeben habe.
Meine Frau schreibt mir auch, daß Sie ihnen das Ver-
gnügen gemacht haben, sie zu besuchen, und daß Sie einen
Salat so gut angemacht hätten (auf welche Geschicklich-
keit ich beynahe ein wenig eifersüchtig bin), und daß dieser
Salat so wohl ihnen geschmeckt habe. Nun komme ich
bis den 6"^ September nach London zurück, und ich hoffe,
daß Sie mir auch einen Salat anmachen, daß ich auch
darüber urtheilen kann. Das war sehr freundlich von
Ihnen, daß Sie nach meinen Leuten gesehen haben. Meine
Frau schreibt mir auch, daß Sie nach Hanover gehen, ich
hoffe Sie noch zu sehen, ehe Sie fortgehen, um Ihnen per-
sönlich zu sagen, daß mir Ihr Aufenthalt in London viel
Vergnügen gemacht hat, und daß es mir immer leid thut,
wenn ich mich trennen muß von einem, den ich als
Künstler und Mensch so hochschätze.
Lassen Sie mich bey Gelegenheit hören, wie es Ihnen
geht, und seyn Sie versichert, daß ich immer bin
Ihr
ergebener Freund
B. Molique.
Caroline und Louisa lassen Sie vielmals grüßen, und
erstere für das in's Album geschriebene bestens danken.
i5
226 An Clara Schumann
An Clara Schumann
London am 26'^" August [1862].
Liebe Frau Schumann.
Ich habe in dem letzten Monat an keinen meiner Freunde
ein Wort geschrieben — und sie haben nichts daran
verloren, denn man hat wirklich eine Zeitlang zu thun,
bevor man sich aus dem prosaischen Geschäft des vielen
Spielens in der Saison zu der alten Lust und Freudigkeit
an der Kunst zurückfindet. — Manchmal machte ich kleine
Ausflüge in die Umgegend von London, zuletzt nach Ha-
stings am Meer. Da hat es mir so gut gefallen, daß ich
morgen auf einige Wochen — vielleicht auf 6 Wochen
hinziehe. Meine Adresse dort kann ich noch nicht sagen,
ich will erst ein Quartier an der See suchen; aber wenn
Sie ein paar Worte an Herrn Victor Benecke adressirten,
so würde mir dieser sie zukommen lassen. Es ist dies der
Schwiegersohn Mendelssohn's, und Sie werden es natürlich
finden, daß ihn mir das besonders werth macht. Ich war
hier in London am liebsten in seinem Haus ; Marie Mendels,
ist eine vortreffliche Hausfrau geworden und so klug und
anmuthig dabei, daß man ihr die Eltern anmerkt. Auch
Karl und Lili haben mir einen sehr guten Eindruck ge-
macht, und ich hoffe, dasselbe von Paul sagen zu können,
den ich bei seiner Schwester bald werde kennen lernen,
da er zum Besuch in Hastin gs erwartet wird, Sie sehen,
daß es mir also an Gesellschaft nicht fehlen kann, wenn
ich sie nicht an der Frau Musica haben sollte. Wenn ich
Sie aber im Oktober wiedersehen werde, so hoffe ich einiges
Notenpapier als Zeichen mitzubringen, daß die letztge-
nannte Dame mir die liebste Gesellschaft geblieben.^)
^) Er schrieb damals das Gdur- Konzert; als es nach 20 Jahren ver-
öffentlicht wurde, schrieb eine bekannte Musikzeitung, es bestände nur
Von Herman Grimm 227
Vielleicht kann ich Sie Ende Oktobers zu Brahms' Sin-
fonie nach Hannover laden. Einen Theil meiner Sachen
habe ich mit Rabe dahin vorausgeschickt, der heute über
Bremen zurückgereiset ist. Ich freue mich auf 6 Concerte,
die meine Hannover'sche Wirksamkeit mit Jahresschluß
enden sollen, wie ich denke. Grüßen Sie den herrlichen
Rigi, der Sie gewiß gestärkt und erhoben hat. Die herz-
lichsten Grüße auch an Fräulein Marie und Julie. Mein
Geburtstagsgeschenk soll mit Stolz in die Reihe seiner Ge-
schwister aufgenommen werden. Innigsten Dank von
Ihrem treu ergebnen
Joseph Joachim.
Von Herman Griinni
Montreux 29. August 1862.
Lieber Joachim.
Gestern Abend sind wir hier angekommen, bei Regen-
wetter, und auch heute hängt der See und das Ge-
birge ringsum voller Wolken. Deinen Brief fanden wir
vor, durch den wir Dein vortreffliches Portrait erhielten,
und durch den außerdem Rabe's Persönlichkeit (die dessen
hauptsächlichen Inhalt bildet) der Unsterblichkeit über-
geben worden ist. Rabe wird leben. Ich schreibe Michel
Angelo's, Joachim schreibt Rabe's Lebensbeschreibung. Ich
widme Dir mein Buch, Du mir das Deinige. Ich muß ge-
stehn, als ich auf der vierten Seite Deines Briefes immer
noch Rabe vorherrschen fand, wurde mir die Sache etwas
düster. Hattest Du die Absicht, meine Undankbarkeit da-
mit zu züchtigen? Lieber Freund, ich schrieb Dir nicht,
weil ich froh war, die Gedichte in Händen zu haben, und
kein dringender Grund zu schreiben vorlag. Daß wir
aus Phrasen, die aus dem Brahmsschen und Bruchschen Konzerte zu-
sammengeholt seien !
i5*
228 Von Herman Grimm
darum aber nicht alle Tage darüber verhandelt, ob wir
Dich nicht dringend einladen sollten, zu uns zu kommen
(Du hättest es vielleicht gethan), ist eine andere Sache.
Die Giesel war trotz allem Guten, was die Reise gebracht
hat, doch immer recht elend, geistig herunter und oft kaum
im Stande, die indifferentesten Leute zu sehn.
Und so haben wir auch über Rom viel gesprochen. Nach
Florenz kannst Du nicht, das ist kalt, trocken und Rheu-
matismus erweckend. Rom aber wäre der Ort für Dich.
Du würdest dort für alle Lücken des Daseins Ausfüllsel
finden. Was uns stillschweigen hieß darüber, war nur die
Erwägung, wie wenig wir bei Giesels Angegriffenheit doch
auch dort von einander haben wüi^den. Aber versuch es,
wie wir es versuchen. Nur der arme tragische, kriegerische
Heilige, der ganz seinem großen Charakter angemessen
jetzt endlich seinem Schicksal in den Rechen läuft, läßt
uns noch schwanken, ob wir gehn sollen i). Denn wenn es
in Rom Unruhen giebt, kann ich Giesel nicht dahin bringen.
In diesem Falle wollen wir an einen bei Genua an der
Riviera gelegenen Ort gehn.
Ris zum i5. Oktober hält mich mein Ruch hier, von
dem 20 Rogen gedruckt sind und lo — 12 noch vorliegen.
Davon die letzten 6 erst hier noch zu schreiben. Heute
hatte ich allein 3 vorgefundene Correkturen zu absol-
vieren. Ich merke doch, daß dies gewaltsame Gedanken-
zusammenfassen, das ich nun schon 2 Monate lang dieser
Arbeit zu Liebe vornehmen muß, mehr angreift, als was
es sonst angreifendes giebt. Es ist wie eine Art Zahnweh.
Mitten durch die Länder und Menschen geht man fort
und schüttelt alles, was auf einen eindringt, wie die Regen-
tropfen von sich. Von dem vielen Schütteln wird man
endlich schwindlich. Ich war vorher an der Station unten,
meine Reisekiste mit Rüchern ist angekommen. Es fehlt
^) Der Fi-eischarenzu{i; Garibaldis gegen das päpstliche Rom scheiterte
aber am selben Tage, an dem dieser Brief geschrieben wurde.
Von Herman Grimm 229
nur noch ein ruhiges Zimmer, um anfangen zu können.
Unser jetziges Hegt am Markte, und dicht unter uns waschen
die Weiber den Heben Tag, wobei sie mehr Geschwätz als
Seife gebrauchen. Dazu bin ich tüchtig erkähet. Man
kommt in dieser Beziehung dies Jahr auf keinen grünen
Zweig. Man möchte gern hin und wieder ein bischen
Sonnenschein bezahlen, wie man im Theater die Beleuch-
tung bezahlt. In Heinrichbad wurde es zuletzt so kalt,
daß wir uns kaum mehr erwärmen konnten in den dünnen
Holzwänden.
Nun leb wohl und arbeite fleißig an Deinem Violin-
concert auf [das] wir uns beiden fieuen. Du kannst es
wohl denken. Dein letztes Goncert ist doch für mich das
einzige musikalische Ereigniß; daß ich habe etwas ent-
stehn sehn, das vorher nicht dawar und das etwas ist.
Giesel grüßt Dich vielmal und dankt für das Bild, das
bei uns am Spiegel steckt. Ich hoffe. Du schreibst bald ein
paar Worte, aber nicht mit der Rabenfeder.
Dein
Hermann.
[Nachschrift von Gisela Grimms Hand:]
Dein Bildchen ist grade zu meinem Geburtstag gekom-
men, der Morgen ist, ich kann mir dazu ein paar Feigen,
Myrten und Rosen im Freien pflücken, — hier würde es
Dir gefallen, alles großartig mehr, Blätter und Beume
schlanker, üppiger, wie bei uns, und die Menschen alter-
thümlicher, samt Heusern und Gerten — Herman lächerte
mich gestern Abend so, — er sah in dem patriarchalischen
Eszimmer so aus — wie einer, den in einem fremden Post-
wagen plötzlich einer aufs Knie nimmt und sagt — liebes
Kind zu einem, was allerdings sonderbahr wäre, wenn man
ihn nicht kennte. — Es waren so Greise mit Silberhaaren
da, die fortwehrend aussahen, als wollten sie einen seegnen,
und Jünglinge mit Locken. — Aber wie schön hier die
23o Von Herman Grimm
hohen weiten gedehnten Berge um den See — Alles neu —
eben so schlank wie steil, — üppig wie stark, — weh-
rend das sonst oft in der Schweiz nicht so, ein vermehlen
mit Italien. — Dein Bild ist gut, aber das Meulchen hättest
Du ein wenig feiner machen können, es ist wie Deine
Prutsche, die Du manchmal machst, — mein kleiner
Joachim von Dir ist zierlicher — er ist auch von uns da-
hin gegangen. — Das Da meinen Brief mit gewohnter
Liebevolligkeit von mir aus findest, wundert mich doch,
ich bin, weil ich Dich so lieb habe, doch immer offen und
recht derb gegen Dich, habe dafür aber auch nichts
hinter Deinem Rücken zu tadeln — ich denke, das muß
Dir so lieb sein? — Lebe tausend Mal wohl — je mehr
ich Menschen sehe, je mehr freue ich mich oft im stillen,
das wir 3 uns kennen und lieb haben — leider find ich
Niemand, den ich dazu gesellte, vielleicht Emerson, wenn
ich ihn besser kennte, — es ist kein falscher Stolz — nur
der Gedanke, daß wir reine freie Absichten haben — und
so bin ich oft ganz seelich, sitz ich still unter Menschen
und denke an unsre gute Bekanntschaft, im höchsten Sinne
p^emeint. Ich kann nicht viel schreiben, ich war viel krank.
Herman ist auch angegriffen, denn zu arbeiten wehrend
der Reise, in schlechten Zimmern vor Lärmen, Nacht einen
Kranken pflegen, aber nun kommt's doch wieder gut. Hier
noch ein Bild von mir.
D.
G.
Herman plagt Dich über die Geschichte mit Rabe, die
mir aber sehr gefallen, nur hättest Du noch was dazu
schreiben sollen von Dir. Du bist die Taube zum Raben
mit Deiner Unruh Strafe [PI.
An seine Eltern aSi
An seine Eltern
Hastings 5"=" Sept""- [1862].
Theuerste Eltern
Der Ort, von dem diese Zeilen kommen, liegt an der
Südküste Englands, und ich bin seit etwa 8 Tagen
hier, um mich von dem Geräusch des Londoner Lebens
zu sammeln. Das Meer im Mondschein ist wahrlich in
seiner Großartigkeit recht dazu geeignet. Ich gehe sehr
viel auf den Anhöhen am Meer, die Landschaft ist da ganz
herrlich, und bade täglich zu meiner großen Erquickung.
Dazu habe ich eine Komposition unter der Feder und führe
so das angenehmste Leben in der Welt, so daß ich glaube,
ich werde es noch mehrere Wochen hier aushalten. Auch
an freundschaftlichem Umgang fehlt es mir nicht: der
Schwiegersohn Mendelssohns (ein englischer wohlhabender
Kaufmann, Namens Benecke) mit Frau und deren Bruder
Paul und Schwester Lili, die ich alle 3 als Kinder schon
gekannt, sind hier. Zudem will auch Heinrich mich manch-
mal besuchen ; ich erwarte ihn morgen. Die Kinder Mendels-
sohns sind alle so gescheut, anmuthig und talentvoll, daß
ich große Freude daran habe, mit ihnen zu sein. Der Name
Mendelssohn hat in allen Jahren nichts von dem Zauber
verloren, den er als Knabe auf mich ausgeübt; ja, je mehr
ich vom Leben kennen lerne, desto mehr sehe ich, wie
wohlthätig in der reinsten Bedeutung des Wortes dieser
große Meister auf mich einwirkte, und ich wollte zu Gott,
ich hätte mich des Einflusses nicht so früh beiaubt ge-
sehen ! So will ich denn hier und immer die Freundschaft
seiner Kinder als eine edle Hinterlassenschaft von Herzen
genießen. — Von hier aus werde ich (nach kurzem Aufent-
halt in London auf der Durchreise) Ende dieses nach
Hannover, wohin ich meinen „Rabe" bereits geschickt
habe. Ihre Biiefe bitte ich, nach wie vor an den lieben
232 An Herman Grimm
Heinrich zu adressiren. Ich will eben auch an Fritz schrei-
ben; sollte der liebe Bruder eben in Pesth sein, so grüßen
Sie ihn wohl herzlichst, wie alle theuern Angehörigen.
Ihr getreuer
Joseph.
An Herman Grimm
Hastings 20*^" Septbr. [1862].
Lieber Hermann.
Ich hätte Euch gleich gesagt, wie lieb mir Eure beiden
Briefe waren, und wie ich Euch dafür danke, wenn
mich nicht zu derselben Zeit gerade ein Ereigniß betrü-
bender Natur (in meiner Familie in Pesth) in Anspruch
genommen hätte. Meine Zweitälteste Schwester, bei der
ich während meines letzten Aufenthalts in Ungarn gewohnt
hatte, ist plötzlich aus einem Badeort ganz erkrankt zurück-
gekehrt und am Abend darauf gestorben. Für meine Eitern,
die so lange ich denken kann, keines der Kinder verloren
hatten, ist's ein harter Schlag. Sie sind doch über 70,
wünschten mich und Heinrich, den Londoner Bruder, öfter
zu sehen, hätten gerne gehabt, wir wären gleich gekommen,
kurz die Sache hat auch mich sehr bewegt, wie Du denken
kannst. Es wäre für mich jetzt kaum thunlich gewesen,
so in aller Eile nach Pesth zu gehen; es ist denn doch
mehrere Tagereisen von hier, und man ist nun eben keine
Möve, die im Moment die freien Flügel in die Lüfte
schwingt, wohin die Regung treibt. Ich brauche der
Sammlung und Ruhe nach dem bewegten Sommerleben
in London, um endlich auch wegen meines Aufenthaltes
in Zukunft etwas zu beschließen. Wie ich es mit Hannover
mache, darüber will ich heute nichts sagen; es wird so
ziemlich von einer Nachricht abhängen, die ich in der
nächsten Woche erwarte. Nur daß ich nicht meine An-
An Herman Grimm 233
Stellung behalte, steht in mir fest, denn ich habe den Ort
nicht lieb genug, um mir die Aussicht, lebenslänglich dort
zu sein, erträglich zu machen. Sage doch der Gisel, daß
jedes Wort, das sie mir über Hannover geschrieben, mir
vollkommen richtig erscheint, gerade so klar und charakter-
voll wie ihr Bild, das Ihr mir schicktet. Daß Ihr auch mit
Garibaldi so viel beschäftigt wart, und daß wir von vorn-
herein ähnlich über ihn empfunden, ist mir eine Freude
gewesen. Aber für Euren Besuch in Rom sieht es wohl
ungünstiger aus als je! Ich glaube, Napoleon will durch
die Balancirstange der Leidenschaften der päbstlichen und
italienischen Parteien seine Herrschaft behaupten, so lange
es geht. Ich bin begierig, wie es Mitte Oktobers aussehen
wird, wo sich Deine Bewegungen entscheiden sollen, nach
glücklicher Beendigung Deines 2'*" Theiles. ^) Kann ich
Dir in London nichts mehr besorgen? Ich gehe in 8 Tagen
hin und werde in meines Bruders Wohnung absteigen.
Leider habe ich das Häuschen hier nicht bekommen, von
dem ich erst geschrieben. Wo ich jetzt wohne, ist's recht
angenehm, aber manchmal ein wenig lärmend, Spazier-
gänger, unerwartete Straßenmusik. Eine Zeitlang am Meer
gelebt zu haben, das vor meinen Fenstern ab und zu wogt,
wird mir für's Leben eine gute Erinnerung bleiben. Mein
Concert wächst, auch zu andern Arbeiten habe ich Lust
gewonnen.
Mögest Du oder Gisel mir bald ein paar Zeilen schicken;
wenn nur, wie's mit Eurer Gesundheit aussieht; ich bin
über die letzten Nachrichten etwas beunruhigt.
Von Herzen
Dein
Joseph J.
') vom Michel Angelo.
a34 An Th. Ave-Lallemant
All Th. Ave-Lallemant
4i, Fall Mall. London. 27'*^" Septbr. [1862].
Mein lieber, guter Ave.
Du bist immer der Gleiche, Alte; statt zu schmälen,
daß ich nichts von mir hören lasse, besorgst Du
freundlich meinen Brief an Brahms und schreibst mir den
herzlichen Gruß. Das ist wirklich christlich, wohlthuend.
Nun, Du brauchst wahrlich nicht Angst zu haben, daß
ich mich allzusehr veranglisire ; wenn ich auch lieber hier
als in Hannover bin, so vergesse ich deutsches Gemüth
und deutschen Geist zu segnen keinen Tag! Es hilft aber
alles nichts ; trotzdem bleibe ich noch 3 Monate hier, nach-
dem ich vorgestern von der See hieher zurückgekehrt bin,
wo ich tüchtig gebadet, (geschwommen), fußgewandert und
Stoff zum arbeiten eingesammelt habe: London ist jetzt
ziemlich von aller „Gesellschaft" verlassen, aber es thut
mir gerade wohl, endlich einmal wieder in einer großen
Stadt zu wohnen, ohne die Furcht vor den Anforderungen
der Öffentlichkeit. Wäre Johannes mit hier, so wäre es
freilich noch viel schöner. Der läßt nichts von sich hören;
es muß ihm aber überall wohl gehen, und ich gäbe was
darum, die großen Augen der Wiener (und Wienerinnen
namentlich) über ihn zu sehen. Aber ich kann mich jetzt
nicht wieder in neue Reisen und Zerstreuungen begeben.
So thut es mir auch leid. Deinen Vorschlag mit den Con-
certen von Frau Schumann nicht ausführen zu können!
Aber ich glaube wirklich, daß die Hamburger eben so gern
ohne mich in's Concert gehen werden, und daß es pekuniär
wenigstens auf Eins herauskömmt. Ich geige Euch nicht
eher was vor, bis ich ein neues Violin-Concert, gut oder
schlecht, producire. Die alten Sachen habe ich Euch genug
gegeigt. Vor Neujahr gehe ich nicht nach Hannover, und
dann nur, um meine Sachen zusammen zu packen. Bitte,
An Bernh. »Scholz 235
sprich aber nicht davon; es kommt jetzt immer gleich
Alles in die Signale oder dergleichen, und der König weiß
es noch nicht. Wenn Du von Johannes was hörst, so theile
es mit; ich fürchte, er läßt nichts von sich direkt wissen.
Rose ist ein fixer Kerl. Fräulein X spielt, glaube ich, gut;
aber es ist ein Affchen gewesen, als ich sie kannte (ohne
sie zu hören). Eine von denen, die da glauben, man kann
auch nebenbei ein bischen „klassische" Musik, „klassisch"
einstudiren, da's mit verlangt wird, etwas Rococo im Laden
zu haben. Y ist ein brillanter, „eleganter" Spieler; ich
meine die Eleganz, die nicht zugleich Seelenfeinheit ist.
Mir gefiel er nicht. Er macht aber überall Effekt. —
Grüße die Deinigen und bleibe gut
Deinem
Joseph Joachim.
An Beruh. Scholz
London am 28^«" Septbr. [1862].
Mein lieber Bernhardus.
Ich kann Ihnen und Ihrer lieben Frau kaum einen Be-
griff geben, wie schwer es mir wird, gerade Ihnen bei-
den mitzutheilen, was sich nun doch nicht länger ver-
schweigen läßt: ich habe meine Stellung in Hannover auf-
gegeben und schreibe mit derselben Post die Nachricht an
Graf Platen. Man darf sich eben zu nichts zwingen lassen,
was man gegen seine Natur fühlt. Ihr Alle, lieben guten
Freunde, würdet es Euch später nicht vergeben, mich mit
Rosen und labenden Brombeerstauden so eng und dicht
eingeschlossen zu haben, daß ich mich nicht mehr heraus-
winden könnte, wenn ich mich nach Freiheit sehnte ! Und
so wäre es wirklich gekommen, wenn ich wieder könig-
licher Gunst und Gnade für ein Jahr, und abermals ein
Jahr nachgegeben hätte — ohne die Frische und Wärme
wahren Dankgefühls, bloß aus augenblicklicher Weichheit
236 An Bernh. Scholz
und Rührung, wo mir doch meine eigene Erfahrung sagen
muß, daß sie nicht Stich haken wird. Der Kunst-Enthu-
siasmus des Königs ist eben lange nicht so tief gewurzelt
in Georg von Hannover wie der Republikanismus in Georg
Joseph Joachim. Ich habe lange genug Gunst und Gnade
als Höfling ertragen und gegen meine Anlagen dadurch
gesündigt; und es giebt doch kein wahres Glück, als die
äußern Lebensumstände immer mehr nach dem Leitfaden
der Überzeugung einzurichten. Es ist in Scherz und Ernst
bis zur Unendlichkeit über das Thema fortzufahren — ich
wilFs aber nicht thun. Nur soviel, daß ich recht gut weiß,
man wird mich von mancher Seite einem — Hedemann i)
vergleichbar finden! Es wird mir nicht gleichgültig sein,
ich muß es aber ertragen. Vom Quartett und der Kapelle
darf ich gar nichts sagen, und von manchem lieben Freund
alt und jung — es wird mir zu wehmüthig dabei. — Ich
bleibe wohl bis Jahresschluß hier, habe mich an der See
lecht an Seele und Körper gestärkt und hoffe recht fleißig
zu sein. Im Januar werde ich meine Sachen bei Euch
holen — und wenn's Napoleon, der Abscheuliche und Gari-
baldi, der Lichte, Brave, erlauben, nach Rom, oder doch
südwärts! Doch das sind Pläne. Heinrich, bei dem ich
einstweilen wohne, ist in Paris, kömmt aber morgen und
wird von meinem Entschluß hoffentlich angenehm über-
rascht werden. Leider habe ich vor 3 Wochen eine liebe
Schwester verloren, was mich im Gedanken an die Eltern
namentlich ergriffen hat. Auch der treffliche Klingemann 2)
ist hier plötzlich gestorben; für mich jetzt ein doppelter
Verlust. Behaltet mich nur in der Ferne auch recht lieb
und küsset die beiden Kinder. , , , , .
Joseph Joachnn.
*) General und Hofmarschall des Königs, war kurz vorher wegen um-
fangreicher Unterschlagungen ins Untersuchungsgefängnis geführt wor-
den, aus dem er zu entkommen wußte; später wieder eingebracht, wurde
er zum Zuchthaus verurteilt.
^) der Freund Mendelssohns.
Von Beruh. Scholz 287
Von Bernh. Scholz
Hannover 6 Oct. 186?..
Mein Heber Freund!
Ihr Brief hat Ihre hiesigen Freunde alle betrübt, und
wir wissen uns noch immer nicht darein zu finden, daß
wir Sie hier ganz und für immer entbehren sollen.
Wir wollen über die Nothwendigkeit Ihres Schrittes
nicht rechten: das haben Sie schließlich mit sich selbst
auszumachen.
Aber darauf muß ich Sie aufmerksam machen, daß Ihr
Verfahren dem König gegenüber nicht correct ist, und daß
es mir höchst peinlich sein würde, wenn Ihr Weggang
nicht in der besten Form erfolgte. Sie können nicht sagen,
der König habe Ihnen den Urlaub verweigert; im Gegen-
theil, er hat Ihnen denselben bewilligt, und Sie haben da-
bei versprochen, seinem Wunsche bezgl. kurzen Aufent-
halts dahier im Winter zu willfahren. Sagen Sie nicht,
Sie hätten nicht Ja gesagt, Sie haben wenigstens nicht Nein
gesagt und haben den König (wie auch uns) im Glauben
gelassen, Sie hätten des Königs Propositionen angenommen
und würden, wenn auch nur auf wenige Wochen, wieder-
kommen. Sie haben dasselbe später gegen Prinz Georg ge-
äußert, und der König durfte nach Allem, was er Ihnen
bewilligt hatte, erwarten, daß Sie kommen würden.
Nun auf einmal kommt in denselben Tagen, in denen
man Ihrer Rückkehr entgegensah, ein Brief an Platen,
worin Sie sich Ihrer Verpflichtungen lossagen, nicht ein-
mal die Form 6 monatlicher Contractkündigung wahren,
sondern vom ersten Juni an frei zu sein wünschen.
Mir scheint das durchaus nicht der rechte Weg zu sein :
es sieht dies einem Bruche von Versprechungen gegen den
König nicht unähnlich und wird allerorts so angesehen
werden. — Sie hätten im Frühjahr entweder des Königs
238 Von Bernh. Scholz
Vorschläge nett ablehnen oder jetzt wiederkommen müssen.
Ein Anderes gibt es nicht.
Oder hat sich neuerdings die Ansicht in Ihnen befestigt,
daß Sie keinfalls bleiben wollen, — gut, so kommen Sie
jetzt, — erklären Sie es muthig persönlich dem König selbst
und kündigen Sie in aller Form Rechtens Ihren Contract.
Das sind Sie dem König und sich selbst schuldig!
Derselben Ansicht sind alle ihre hiesigen Freunde. Sollen
wir Sie verlieren, so wünschten wir wenigstens, daß Sie
keinerlei gerechter Vorwurf treffen möchte.
Was die Platen'schen Verhältnisse betrifft, die größten-
theils Ihr Weggehn verschulden, so werden dieselben nach
und nach so o verfaul, daß ich demnächst dem Könige dar-
über eine Lampe werde anzünden müssen. Wären Sie
da, — jetzt ließe sich Vieles wirken; die Saat wird mälig
reif. Ich glaube, wir könnten bessere Zustände anbahnen ;
ich werde Sr. Maj. übrigens Erläuterungen über das Ver-
hältniß zwischen Ihnen und Platen geben und damit Ihre
Entschlüsse hinreichend zu motiviren wissen; ich werde
dem König sagen, daß es bei andauernder derartiger Lei-
tung der musical. und Theatergeschäfte bald kein recht-
licher Künstler mehr wird hier aushalten können.
Die schmerzlichen Verluste, die Sie erlitten haben, be-
dauere ich von Herzen ; doch so sind eben des Lebens Wege.
Wir wollen einander treu die Alten bleiben, komme was
da wolle; manchen treuen P'reund hat Ihnen doch Ihr
Aufenthalt in Hannover verschafft, und das ist denn doch
auch was.
Meine gute liebe Frau grüßt Sie mit mir, Sie und Ihren
Bruder Heinrich. Entscheiden Sie sich rasch! Gf. Platen
ist verreist, und offiziell erfährt der König Ihren Brief nicht
vor Donnerstag oder Freitag.
In alter Treue
Ihr
Scholz.
An Beruh. Scholz 289
All Bernh. Scholz
[London etwa 8. Oktober i86i>..]
Mein Heber Scholz.
Wenn irgend was geeignet ist, mich besonders tief
empfinden zu lassen, wie viel ich mit meiner Han-
noverschen Stellung aufgebe, so ist's Ihre treue Art und
Weise darüber zu wachen, daß ich, ohne in Betreff meines
Charakters in ein falsches Licht zu gerathen, von Han-
nover loskomme. Ich danke für Ihren klaren, lieben Brief,
dem zu Heb ich an Platen einige Zeilen schreibe, die zwar
nichts Neues in Bezug auf meinen Entschluß enthalten,
aber es selbst i h m unmöglich machen sollen , meine
frühere Mittheilung so auszulegen, als wollte ich kon-
traktliche Pflichten unerfüllt lassen, wenn dem König
ihre Erfüllung wünschenswerth scheinen sollte. Vor allen
Dingen aber muß [ich] auch Sie über einen Irrthum
aufklären: mein Kontrakt fordert von beiden Seiten bloß
eine 3 monatliche Kündigung, keine 6 monatliche. Ich
habe nur im Interesse der Intendanz -Kasse (und weil es
mir ebenfalls peinlich wäre, Geld für nicht zu leistende
Dienste einzustecken) an Grafen Platen geschrieben, daß
ich zur „Vereinfachung der Verhältnisse" vorschlüge
(nicht forderte), er möchte statt 3 monatlicher Kündi-
gung annehmen, daß unser Kontrakt im Juni zu Ende ge-
wesen sei. Ich nahm freilich auch als selbstverständlich
an, daß der König in seiner heftigen, absoluten Weise keine
Note mehr von mir würde hören wollen, wenn er wüßte,
daß es mein fester Wille sei zu gehen. Meine heutigen er-
läuternden Zusätze an Graf Platen sollen diesem mittheilen,
daß ich natürlich bereit bin, noch 6 bis 8 Concerte in den
Monaten von Januar ab zu leiten, falls der König dies
noch vor meinem Scheiden aus seinen Diensten
wünschte, (was mir aber wirklich ganz unwahrschein-
24o An Bernh. Scholz
lieh vorkömmt). Wollen Sie ihm auch mündlich in mei-
nem Interesse den Unterschied zwischen einem „Vor-
schlag" zur „Vereinfachung" gegenseitiger Beziehungen
und einem Kontraktbruch auseinandersetzen, so dürfte dies
nicht überflüssig sein. Vielleicht hilft es seinem Verständ-
niß, wenn Sie ihm sagen, daß ich kein gutes Geschäft bei
meinem Vorschlag machte. Daß Ihnen der Verkehr mit
unserm Chef nach und nach unerträglich wird, begreife
ich vollkommen. Wir haben oft genug über diesen Ka-
valier unsern Odem ergehen lassen; aber selbst, wenn es
Ihnen gelänge, ihm eine zu offenbare Ungerechtigkeit vor
dem König zu beweisen, so wäre es bloß vom Zufall ab-
hängig, ob ein besserer folgte. So lange Könige die Über-
wachung der Künste als eine Hofcharge (zur Versorgung
eines sonst unbrauchbaren Adligen) betrachten, kann's
nicht anders sein. Der König und die Königin kennen ein-
gestandener Maßen den Charakter Platens; auch seine Ma-
nieren sind ihnen unausstehlich; ja sie meinen, wenn er
ihnen eine Freude vergällen könnte, thäte er's — und doch
seit 10 Jahren zeichnen sie ihn aus, haben ihn um sich.
Wird er ihnen oktroyirt? Und wodurch? Nur durch Um-
gehen der vom König eingesetzten Autorität, durch „In-
triguen" läßt sich was gegen Platen durchsetzen, wenn's
gelingt — Nun, ich will nicht mehr über diese eine Seite
unter manchen andern aus dem Kapitel der Hannover-
schen Hofgunst reden ; nur bedenken Sie's auch nochmals,
bevor Sie's der Mühe werth eiachten, Ihre edle Hand in
einen Kampf gegen Platen zu mischen. Gott sei Dank, Sie
wissen wenigstens, warum Sie eine feste Stellung behaupten
wollen, in der Sie nach Möglichkeit den Einfluß Ihrer
reinen Natur geltend machen: Louise und Henni und
Richard, diese zweite Musik, und doch eins mit allen Ihren
Wünschen und Hoffnungen in Ihrem Gesang! Schätzen
Sie Sich glücklich, mein Freund; aber seien Sie eben darum
nicht hart gegen Jemand, der mit seinem eignen Innern in
Von Clara Schumann 24 ^
Harmonie leben will und keiner weltlichen Macht „die-
nen" mag, wenn er's vermeiden darf. —
Ich bin Verpflichtungen eingegangen, an jedem Montag
(gegen eine Summe von 20 Pfund) Quartette und andere
Kammer-Musik zu spielen, bis gegen Weihnachten. Später
hoffe ich über Hannover nach Italien zu gehen ; entweder
um noch die Konzerte zum Abschied zu dirigiren oder
meine Angelegenheiten bloß zu ordnen. Ich wohne 4 Trep-
pen hoch, einsam und still, obwohl in einer der beweg-
testen Straßen: ^o, Pall Mall. Da mir das Quartettspielen
mit Piatti keine großen Vorbereitungen kostet und eine
sympathische Art, das Brot zu verdienen, ist, so hoffe ich
auf angenehme Wintermonate, was äußere Verhältnisse
anlangt. Apropos! Wenn Fräulein Weis den Plan befolgt
und tüchtig englisch singen lernt, so kann sie sich hier
gewiß für Oratorien-Gesang eine angenehme Stellung grün-
den. Sie müßte aber natürlich Aussprache, Manieren und
Verzierungen des Gesangs an Ort und Stelle selbst kennen
lernen. Bei ihrem Talent, glaube ich, müßte es ihr leicht
werden, das Nöthige bald zu bemeistern. Empfehlen Sie
mich ihr und allen Freunden : Brinkmann's, Nicola, Unruhs,
Eyertts etc. Ihre Frau brauche ich nicht erst apart zu grüßen.
Ihr
J. J.
Lassen Sie mich doch wissen, wie's Kaulbach's geht ; ob
seine Familie einen Zuwachs erhalten hat. Er schreibt ge-
wiß nicht mehr.
Von Clara Schuiiiann
Gebweiler den 8. October 62.
Lieber Joachim.
Da ich nicht möchte, daß Sie, was ich Ihnen mittheilen
will, zuerst aus den Signalen, die ja Alles gleich auf-
schnappen, erführen, so wissen Sie denn hierdurch, daß
16
242 An Clara Schumann
ich soeben von Baden zurückgekehrt, woselbst ich in der
Lichtenthaler Allee ein kleines bescheidenes, aber sehr
nettes Häuschen gekauft habe und mit ganzer Familie im
April 63 dahin ziehe, um den Sommer größtentheils mit
den Kindern Allen zusammen zu sein, im Winter wie bis-
her zu reisen oder einmal in Wien, einmal in Paris zuzu-
bringen. Schon seit 3 Monaten ging ich mit dei Idee um,
jedoch mußte ich eben Alles hinlänglich bedenken und
wollte nicht davon sprechen, ehe ich die Sache wirklich
beschlossen, und so hören Sie und Frl. Leser es heute zu-
erst — an Job. schreibe ich es nächster Tage. Ich habe
den Kauf vorgestern in Baden selbst abgeschlossen und
hoffe, es bringt mir dieser Entschluß der Vortheile und
Annehmlichkeiten Viele. Ich kann dort mit Stunden den
Sommer über recht gut verdienen und genieße dabei welch
wundervolle Natur! Ich bin so erregt, daß ich kaum
schreiben kann, es zieht so Vieles mir durch die Seele!
eine neue Heimath, was wird sie mir bringen? bleiben Sie
mir auch in dieser ein treuer Freund, liebster Joachim ! —
Klingemanns Tod hat mich sehr betrübt, ich dachte auch
gleich an Sie, als ich es erfuhr — wie schmerzlich wird
er Sie berühren! Die arme Frau, wie empfinde ich mit
Ihr den Schlag! . . .
An Clara Schumann
[London] Am i4'«n Okt'^^'' [i86a].
Liebe Frau Schumann.
Scholz hat mir gestern Ihren i sten Brief geschickt; heute
kam der zweite, vom 8. Oktober. Sie können nicht
denken, wie sehr mich beide erfreut haben — ich hatte
mir wirklich ganz fest eingebildet und mit der Phantasie
in den grellsten Farben ausgemalt, daß Sie und Johannes,
von dem ich auch nur indirekt durch Ave aus Hamburg
An Clara Schumann 243
gehört, mich geradezu aufgegeben hätten ! Um Ihnen dies
begreifhch zu machen, muß ich Ihnen erzählen, daß ich
von Hastings aus an Johannes geschrieben hatte, er möchte
mir sobald als möglich (spätestens nach 8 Tagen)
antworten, ob er den Wunsch habe, seine Symphonie zu-
erst in Hannover zu probiren und aufzuführen ; es läge mir
sehr viel daran, dies zu wissen, bevor ich nach Hannover
käme. Meine Absicht war, im Falle er „Ja" sagte, dorthin
zu gehen und erst nach den Concerten dort meine
Stellung definitiv zu lösen. Aber es kam gar keine Ant-
wort. Was war natürlicher, als zu denken, er wäre geradezu
gegen mich aufgebracht und wollte von meiner freund-
schaftlichen Hülfe zum Hören seines Werkes keinen Ge-
brauch machen. Ich wurde darin dadurch bestätigt, daß
ich auch von Ihnen nichts hörte. So beschloß ich denn,
da der Haupthebel für mein nochmaliges Dirigiren der
Hannover'schen Concerte fehlte, von hier aus meinen Kon-
trakt zu lösen, um den unvermeidlichen, peinlichen münd-
lichen Auseinandersetzungen zu entgehen, falls ich es am
Ort selbst thäte. Die Unbehaglichkeit (trotz aller Annehm-
lichkeiten der Stellung), in einer Stadt zu leben, in der man
nicht mit ganzem Herzen heimisch sein kann, und meine
Antipathie gegen Höfe überhaupt, hatte mir schon
zu lange alle Stimmung geraubt, alles Gefühl der Har-
monie zerstört! Es war ein harter Schritt, manches zarte,
edel gemeinte Zeichen der Gunst von Seiten des Königs-
paars so zu zerstören — aber es mußte geschehen. Ich
hoffe meine Freiheit zu gutem Zweck zu nutzen; sonst
müßte ich mit ewigem Vorwurf an die Kapelle zurück-
denken, die ich aufgegeben. Bis zum Ende des Jahres
bleibe ich hier; London ist jetzt viel angenehmer für mich
als in der Saison. Ich werde jeden Montag öffentlich Quar-
tett spielen, sonst aber in meinem 4^^" Stock nur meiner
Musik leben. Wenn ich noch trotz meiner Kündigung für
die 8 Concerte nach Hannover citirt werde, so muß ich
i6*
244 ^^ Beruh. Scholz
natürhch im Januar zum letzten Mal gehorchen. Ich glaube
es aber kaum; der König wird zu aufgebracht sein. —
Scholz schreibt mir heute, daß ein Packet von Brahms aus
Wien für mich dasei; ich hab' natürlich gebeten, es gleich
hieher zu besorgen, Hurrah ! vielleicht das Quintett ! ^)
Von der Sinfonie kenne ich auch noch nichts; am Ende
ist's die.
Ihr Entschluß, bei Baden Hütten zu bauen, überrascht
mich sehr. Mir ist's so herzlich lieb, daß Sie endlich Ihre
Theuern alle um Sich haben sollen, daß dieser Gedanke
bei mir vorwiegt. Sonst kenne ich gerade die Gegend zu
wenig, um mich für mich darüber zu freuen, — Daß ich
immer in England bleibe, müssen Sie nicht glauben. Ich
kenne die Schattenseiten des Künstler-Lebens da zru genau ;
wenn es mir auch sonst in vielen Dingen zusagt. Nehmen
Sie mit diesen unruhigen Zeilen fürlieb; ich wollte Sie
nicht auf Nachricht warten lassen. Mit loo Grüßen an
die Ihrigen
Ihr
Joseph J.
An Beruh. Scholz
[London] Am i/^'«^" Okt"»^- [1862].
Lieber Scholz
Es wäre mir lieb, das Packet von Brahms sobald
als möglich zu erhalten. Wollen Sie so gut sein, die
tJberschickung zu bewerkstelligen? Es wird ja nicht gar
zu viel kosten; wenigstens wüßte ich nichts, was mir zu
viel wäre (Schulden etwa ausgenommen), um von denen,
die ich liebe, zu hören. Brahms hat mir seit Monaten nicht
geschrieben. Hoffentlich ist's ein neues Streich-Quintett,
^) Vgl. Brahmsens aufgeregte Mahnbriefe wegen des Quintetts, dem
späteren op. 34, an Joachim. Rri<>f\vechsi-1 1.
An Beruli. Scholz 245
von dem mir Frau Schumann erzähk, deren beide Briefe
ich durch Sie erhaken habe. Wegen meiner Hannoveri-
schen Wohnung und Rahe kann ich nichts beschheßen,
bevor ich von unserem General-Intendanten gehört habe,
der hoffentlich nicht allzu unhöflich lange seine Antwort
aufschiebt. Sie glauben nicht, wie sehr mich die „Lösung"
meiner Stellung innerlich angegriffen hat. Manche fieber-
hafte, schlaflose Nachtstunde kostete sie! Der Brief an den
König wurde mir entsetzlich schwer. Meinem Entschluß
gegenüber mußte mir Alles Phrase erscheinen. Die eigent-
liche Wahrheit durfte ich nicht sagen, ohne auf's tiefste
zu verwunden. Auch ohne ein Kriecher zu sein, mag man
selbst einer Privatperson nicht mittheilen, daß man zwar
dankbar für gütige Absichten, aber nicht beglückt durch
dieselben sei.
Das Goncert gestern: Dmoll Quartett v. Haydn, Octett
V. Mendelssohn, Gdur Sonate Op. 3o v. L. v. B, war so
erfolgreich vor den i6oo Hörern, daß es wohl nicht
zweifelhaft ist, daß alle Woche bis gegen Weihnachten
eins sein werde. Inliegend das Programm für's nächste.
Grüßen Sie Brinkmann, und danken Sie für seinen Brief.
Er hat vollkommen recht, was den Telegraphen betrifft;
ich hatte nicht bedacht, daß die Leute beeidigt seien. Aus-
genommen Staatssachen, meinte ich, nehmen sie's nicht
ernst.
Herzlichstes den Ihrigen
J. J.
P. S. Ich hoffe, Sie erbarmen Sich Rabens manchmal
durch eine Beschäftigung. Bitte, sagen Sie ihm, ich würde
nächstens schreiben, (leider, daß er sich wieder frei fühlen
könne.)
246 An Frau M. Benecke
An Frau M. Benecke
[London, Mitte Oktober 1862.]
Verehrte Frau Benecke.
yon der indiskreten Besprechung der Mscrpte im Athe-
naeum^) habe ich durch eine sehr treffende, scharfe
Kennzeichnung eines solchen Verfahrens in einem Aufsatz
der Musical World erfahren. Ich will machen, die Nummer
der M' W**, in welcher er steht, für Sie zu bekommen. Es
ist darin alles gesagt, was auch ich darüber empfinde. Wenn
Sie Chorley oder irgend einem seiner Freunde die Concerte
(„one if not two!") nicht gezeigt haben, so kann er sie
natürlich nur auf seiner letzten Reise in Deutschland ge-
sehen haben, wo gewiß Abschriften der W^erke existiren.
Sie sind mit vollem Recht aufgebracht über die Meuchelei
früher Geisteskinder; aber, da Sie so vertrauend die Sache
an mich erwähnen, verzeihen Sie wohl, wenn ich die Bitte
wage, Sie möchten sich nicht in einen Streit gegen die
Impietät einlassen. Es ist unter der W^ürde einer Tochter
Mendelssohns, wie's mir scheint, die Mücke zu jagen, die
um das glorreiche Denkmal des großen Mannes mit eitlem,
nichtigen Gesumm herumfliegt. Sie kann das gewaltige
Erz nicht stechen, diese Mücke, sich höchstens den Kopf
einrennen, wenn sie's zu toll macht ! Was ist über Goethe,
über jeden Großen Gehässiges gesagt! They can afford to
be silent. Es ist ein unendliches Thema, und ich hoffe,
wir sprechen bald einmal darüber mehr. Ich werde spä-
testens Sonntag mich in Denmark Hill einfinden.
Stets ergeben
der Ihrige
Joseph J.
^) In der Nr. vom 1 1. Oktober war auf ein oder zwei unveröffentlichte
Klavierkonzerte aus Mendelssohns Jugend in einer abfälligen Kritik hinge-
wiesen. Chorley war Hauptmitarbeiter für die Musikabteilung am Athenaeura.
An Beinh. Scholz 247
An Beruh . Scholz
[London etwa 3,3. Oktober 1862.]
Lieber Freund
Da ich ^veder das Mscrpt. von Brahms bis jetzt er-
halten habe, um dessen direkte Übersendung ich Sie
dringend bat, noch über das Schicksal eines Briefes an den
König gehört habe, der durch Sie an „ Allerhöchstdenselben"
von mir adressirt ward, (und den ich selbst auf die Post
gab), so bin ich etwas unruhig in Bezug auf diese beiden
mir wichtigen Sachen. Haben Sie meine Mittheilungen
nicht erreicht? Schreiben Sie umgehend, bitte!, ein Wort
darüber. Sie erwähnen ein Briefpacket an mich. Auch
davon ist mir nichts zugegangen. Wohl aber ein Brief von
Graf Platen. Ich muß nun natürlich nach Hannover und
mein Welfensclaventhum bis zur Neige trinken. Kaum
habe ich mich hier für den Winter etwas ein geheimset
und mit Wonne daran gedacht, im Frühjahr nach Italien
zu reisen. Nun, dat will ik dem König gedenken, wie der
olle Amtshauptmann Weber sagt! Meine Dankbarkeit ist
gründlich kurirt. Übrigens ist's mir unmöglich, vor der
ersten Decemberwoche hier abzureisen, und auch das nicht
ohne pekuniären Nachtheil, der natürlich sekondair ist.
Ich hatte zu gewiß darauf gezählt, daß der König stolz
genug sein würde, um zu sagen „der Kerl kann zum Teufel
gehen", oder großmüthig genug, um mir nicht etwas zu
verderben, woran mein ganzes Herz hieng, wie er sehen
mußte. Mit geistigem Aug, meine ich, gäb's dergleichen. —
Durchbrennen werd' ich aber nicht. Wie geht's Kaulbachs
Frau ?
An Ihre liebe Frau wie immer den wärmsten Gruß
von Ihrem
Joseph J.
a48 An Frau M. Benecke
Von Bernli. Scholz
[Hannover, 23. Okt. 1862.]
Lieber
Sie werden wohl Platens, richtiger des Königs Brief er-
halten habend). Platen hatte, um Ihnen des Königs
Antwort zu motiviren, beigefügt, da Sie nicht gekündigt
hätten, bestände für Sie allerdings die Verpflichtung, sich
wieder einzufinden. Rex hat diesen Passus gestrichen, „um
Sie nicht darauf aufmerksam zu machen, daß Sie kündigen
können", er hofft, u. hofft!
Frdl. Gruß
Scholz.
An Frau M. Benecke
[London] Donnerstag [23. Oktob. 1862].
Verehrte Frau Benecke
Die Sinfonie, die ich unter dem Namen Reformations-
Sinf: von Ihrer seligen Mutter gezeigt bekam, war
nicht im Original-Msci" Ich erinnere mich des großen
Buchs in einem grünen Einband, mit sehr großen Noten-
köpfen auf ziemlich steifem Papier, als ob es noch eben
vor mir läge. Die Handschrift war wesentlich von der
Mendelssohn'schen verschieden, und ich möchte sie einem
gewissenhaften Kopisten zuschreiben. Genau entsinne ich
mich, daß ich die Sinfonie im Studirzimmerchen Ihres
seligen Vaters in der Königs-Straße durchgelesen habe; ob
es aber im December 1847 oder Anfangs 48 ^var, weiß
ich nicht zu sagen. Das Original-Manuscript habe ich
nicht gegen Ihren Gemahl erwähnt : es ist mir jetzt dunkel,
als ob mir Rietz in Dresden einmal davon gesprochen hätte :
^) leider verloren.
An Clara Schumann 249
aber schwören könnte ich nur auf meine Erinnerungen
von Leipzig her, die durch den Ort und die Güte Ihrer
Mutter in mir unverwischt durch spätere Erlebnisse ge-
blieben sind.
Ich hoffe, Sie und Herrn Benecke heute zu sehen und bin
stets ergeben
d. I.
Joseph J.
An Clara Schumann
[London] 28'«" Oktober [1862].
Liebe Frau Schumann.
Wie bedauere ich von Herzen, heute nicht mit Ihnen,
Stockhausen und den anderen Freunden genießen
zu können, was uns bis in's tiefste Herz erwärmen würde i).
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie ich mich sehne, den
Faust zu hören. Aber leider soll's mir auch in Leipzig am
4'*^" December nicht zu Theil werden, dabei zu sein! Ich
kann erst am 4"^" Decbr. von hier abreisen und gehe dann
direkt nach Hannover, wo ich dennoch wieder die Con-
certe zu dirigiren habe, da ich nicht konti'aktbrüchig
werden will und man dort darauf besteht. Wie fatal es
mir ist, wieder an einen Ort zu müssen, der mir nun nie
sympathisch werden wird (so lieb ich einzelne Menschen
dort habe), kann ich nicht genug sagen. Fest hatte ich
darauf gerechnet, daß man entweder mir die 2 gewünschten
ürlaubsjahre bewilligen, oder auch jetzt keine Dienste
mehr verlangen würde, da man nachgerade doch merken
muß, ich wolle frei sein. Der König denkt aber, bin ich
erst wieder in Hannover, so würde ich mit Gnade zu fangen
sein — und diese lange Defensive vor mir zu haben und
den langweiligen Hof wieder ein halbes Jahr zu ertragen,
^) Aufführung des Faust in Basel.
aSo Von Frau Scholz
der mir schon in Friedenszeiten Kummer genug verursachte,
ist zum Verzweifeln! Werden Sie denn Mitleid mit dem
armen Gefangenen haben und während der Goncerte
kommen? . . . Mit Johannes' Sinfonie werde ich Sie nicht
bewirthen können; wohl aber mit dem Quintett, das ich
tagtäglich aus Hannover zu empfangen hoffe, um es vor-
läufig zu sehen. Hier gefällt es mir jetzt viel besser als
während der Saison; ich spiele jeden Montag Quartett und
ein Bach'sches Solo-Stück, sonst aber nicht öffentlich. Wir
probiren gewissenhaft, und mit Piatti zu musiciren ist
wirklich eine Freude. Molique sehe ich öfter und habe
den würdigen, alten ehrlichen Schwaben sehr lieb ge-
wonnen. Frau Benzon spricht immer von Ihnen und sehnt
sich, Sie wieder zu sehen und zu hören. Bei Bennett's ist's
seit i4 Tagen doppelt still — die liebe Frau hat seitdem
ausgelitten. Ich folgte mit zu der Stelle, wo ihr Sarg, nicht
fern von Klingemann's, in die Erde gesenkt wurde. Soll
ich Bennett von Ihnen ein Wort der Theilnahme sagen? —
Am I**" werde ich den Faust durchspielen: Ewer^) hat ihn.
Denken Sie an mich und schreiben Sie über die Auf-
führung. Dem Helden ^) und den guten Kollegen, die zum
Kunstwerk wallfahrten konnten, was mir nicht gegönnt
sein sollte, herzlichen Gruß!
Ihr und der Ihrigen
treuergebner
Joseph J.
Von Frau Scholz
Hannover 28. Oktober 62.
Da sitz' ich vor der .Schreibmappe u. wähle zwischen
einem ganzen Dutzend höchst dringender Briefe,
suche beim dringendsten anzufangen, um — mich schließ-
^) Londoner Musikalienhändler,
^) Stockhausen.
Von Frau Scholz 25 i
lieh an Den zu wenden, der mich gar nicht erwartet u.
so gut entbehren kann! Aber alle meine Gedanken sind
schon Monate lang bei Ihnen, lieber Joachim, nun wollen
sie auch endlich auf Papier via Ostende transportirt sein,
u. so müssen sich heute Abend alle Partheien gedulden:
die Anderen warten, Sie mich gnädig anhören. Denn daß
Sie jetzt im Allgemeinen sehr ungnädig sind, u. was ich
dabei riskire, weiß ich sehr wohl; u, damit Sie gleich voll-
ständig orientirt sind : meine einzige Empfindung während
der ganzen Geschichte „Joachim contra Georsen" war
immer nur die ungetrübteste, große Freude, daß Sie uns
wiederkehren müssen. Ist's auch nur eine Galgenfrist von
6 Monaten — ist auch voraussichtlich Ihre Stimmung der-
art, daß Sie den Freunden weniger zugänglich sein wer-
den, ist für Sie selbst der Aufenthalt hier auch schreck-
lich — ich bin so scheußlich egoistisch, dcd3 ich nur juble
über das „gefundne" halbe Jahr, ein halbes Jahr mit all
der Anregung, die Ihre bloße Gegenwart uns bringt, ein
Gewinn, den ich bereits ruhig aus meinem Leben gestrichen
hatte. Sie sprachen einmal darüber, die Frauen würden
so leicht u. gleich so ganz u. gar persönlich; wie recht
hatten Sie! Ich bin nun alt genug geworden, daß das Ge-
schick mir manchen Verlust u. manche Entsagung aufer-
legte; zum Schwersten aber gehört mir immer das Ver-
zichten auf die Nähe geliebter Menschen. Und gerade
hierin wird schonungslos mit mir verfahren: die liebsten
Freunde u. Freundinnen sind weit, weit von mir getrennt ;
manchen drunter habe ich jahrelang nicht wiedergesehen.
So kam's, daß, — jetzt lachen Sie mich nur aus — als ich
zuerst Ihren grausamen Entschluß las, ich Sie beweinte
u. betrauerte wie einen theuren Verstorbnen. Was auch
Bernhard zum Tröste mir sagen mochte, daß wir uns im
Leben doch hin u. wieder sehen würden, daß wir doch
von einander hörten — „Gerade so gut wie todt!" hab ich
nur immer gesagt, u. immer wieder geweint. Nun denken
252 An Bern h. Scholz
Sie sich das Glück, als ich von der Auferstehung hörte!
Seien Sie gut u. freuen Sie sich nur fünf Minuten mit mir!
Was Sie unserem Hause genommen, können Sie gar nicht
wissen, habe ich's ja selbst nicht entfernt geahnt, bis ich's
erlebt hatte. Seien Sie mir nicht bös, wenn mir immer der
alte Napoleon über Sie einfiel, wie er über das Wohl Ein-
zelner ruhig wegmarschirt seinen großen Weg zum großen
Ziele. Sie haben ja so recht — aber es thut so weh!
Jetzt sind aber wenigstens schon drei verschiedene Sachen
unter Ihren ungeduldigen Fingern zu Grunde gegangen —
ja, ich bin jetzt auch stille. Ich höre schon auf, noch eh
das vierte unschuldige Ding — sei's nun Feder oder Blei-
stift oder Siegellack — geliefert ist. . . .
An Bernh. Scholz
[London i. Nov. 1862.]
Lieber Freund
Nur 2 Worte kann ich vor Postschluß Ihnen schrei-
ben, statt Ihrer lieben Frau, deren Brief in altem
herzlichen Ton mich sehr erfreut hat. Ich muß aber meiner
Unruhe wegen des Brahms'schen Mscpts. noch Sonnabend
Luft machen, denn vor übermorgen geht im frommen Eng-
land keine Post wieder. Es ist nicht angekommen,
und ich bitte Sie gleich nachzuforschen, woran
das liegen mag. Ein Schiff über Ostende oder Calais ist
Gottlob nicht verunglückt. Die 3 Briefe mit Jungen habe
ich erhalten. Dank der Firma B & L.
Heute war der letzte Ausstellungstag; Sie hätten das
Monstrum von Industrie und Kunst doch mit ansehen
sollen !
Ich bin und bleibe
Ihr alter
Joseph J.
An Bernh. Scholz 253
An denselben
[London 6. November 1862.J
Lieber Freund
Das Quintett von Brahms ist endlich vorgestern in
meine Hände gelangt, und ein ganz bedeutendes, ori-
ginelles Kunstwerk ist es! Es ist mir aber unbegreiflich,
daß es so lange unterwegs war. Ich muß Sie nun noch
quälen, bester Bernhardus, was von Briefen wichtig er-
scheint, hieher zuschicken; Siewerden's mit Ihrem klugen,
klaren Blick den Buchstaben schon ansehen, was der Mühe
lohnt. — Also Platen will nun doch noch in diesem Monat
anfangen? Ich glaube, es ist Taktik des Königs, die Kon-
zerte so früh als möglich zu beendigen, damit er dann
sagen könne: so, nun dürfen Sie auf ein Jahr gehen und
doch die nächste Saison wieder dirigiren. Ich hab's aber
anders vor: gekündigt ist, vom 1"^" Januar nehme ich
keinen Groschen mehr Gehalt, und nach den Concerten
packe ich ein, ohne zu fragen. Sie verrathen mich nicht;
ich schreibe Ihnen dies als meinem Freund, damit Sie nicht
glauben, daß ich die Herrn Begenten in ihrer Freundlich-
keit nicht verstände. Ich muß Sie nun noch um einen
Rath bitten. Heute bekam ich den inliegenden Brief von
Chappell. Letzterer ist Ihnen dem Namen nach bekannt;
er ist's, der dieConcerte „unternimmt", in denen ich spiele.
Sobald ich ihm sagte, daß ich nach Hannover müßte, hat
er die Zahl der Concerte abgeändert etc. etc. Er liat nichts
unterlassen, to oblige me. Meinen Sie nun, daß ich ihm
den Gefallen thun kann, den er verlangt, statt am 4'*" ^n^
9"^" abzureisen? Ich käme dann am 10*''" Abends in Han-
nover an, für den i3'*" allerdings früh genug — aber wird
Platen nicht Geschichten machen? Schwätzereien meine
ich. Kann ich ihm trauen. Sagen Sie mir Ihre Ansicht
offen, und bald. Ich bin zwischen zwei Stühlen: zwischen
254 ^on Bernh. Scholz
dem Zorn und der Großmuth des Königs, auf die ich ge-
baut, auf die Alltäglichkeit des Eigennutzes gefallen u.
habe so viel blaue Flecke, daß ich viel schlaflose Nächte
davon erleiden muß. Doch genug über diese unerquick-
liche Zeit. —
Der Brief Ihrer lieben Frau hat mir die guten Seiten
meiner Gefangenschaft, ja ein großes Stück Sonnenschein,
das in den kalten Winter fallen soll, recht lebhaft vor die
Seele geführt. Ich danke ihr bald selbst dafür; denn ich
hoffe das Geschäftliche ist zu Ende! Wie muß sich Ihre
Frau übers Requiem i) freuen!
Mit herzlichem Gruß
Ihr
Joseph J.
Von Beruh. Scholz
Hannover 8. Nov. 1862.
Mein lieber Freund !
Was Ihr Eintreffen dahier angeht, so scheint es mir,
als ob der 10. Dec. früh genug sei, wenn Sie vor-
her schriftlich sich mit Platen über Programm u. Proben
verständigen.
Was aber Ihre Absicht wegen des Weggangs betrifft, so
kann weder ich noch Brinkmann dieselbe gut heißen. Sie
haben bis jetzt nicht gekündigt; Ihr Vorschlag an Platen
ist nicht acceptirt worden, und es muß nun von Ihnen in
aller Form Rechtens Ihr Contract aufgesagt werden.
Derselbe erlischt dann 6 Monate nach dem Kündigungs-
tage, aber nicht eine Stunde früher. Gehen Sie früher weg,
so sind Sie conti^actbrüchig, riskiren einen Prozeß und Ver-
urtheilg. und kommen auf eine durchaus unloyale u. un-
^) von Scholz.
Von Bernh. Scholz 255
gentile Art hier weg. Bleiben Sie, wenn Ihr Herz es nun
einmal gebieterisch fordert, lest bei Ihrem Entschluß zu
gehen, — gehen Sie aber erst dann, wenn rechtlich kein
Mensch, und wäre es auch der König, Anspruch an Ihr
Bleiben, Recht auf Ihre Dienste mehr hat. Sie können
den Gehalt von Neujahr an nicht zurückweisen, denn der
König kann sich nichts schenken lassen; er wird aber
ebenso wenig Ihnen das Geringste schenken.
Streng beim Recht! Fügen Sie sich in das Unvermeid-
liche! Es wird uns dennoch manche gute Stunde bringen.
Noch Eines! Nach meiner Ansicht dürfen Sie erst kün-
digen, wenn Sie gleich darauf eintreffen wollen. Ich we-
nigstens würde mir keine Stunde Sclaverei schenken
lassen, sondern volle 6 Monate abbüßen, um mir dann
sagen zu können, daß ich Niemandem etwas schuldig ge-
blieben sei, und wäre es nur einen Dank! —
Nun genug davon ! ! —
Ich habe mir erlaubt, auf den Titel meiner so eben er-
schienenen Iphigenien-Ouv: zu setzen, daß ich sie Ihnen
gewidmet habe. Ich wollte Ihnen damit aussprechen, lieber
Freund, daß ich Ihrem Verkehr u. Einfluß strengere Selbst-
kritik und mehr Gewissenhaftigkeit verdanke, und da die
Ouv: eine Frucht dieser Wendung zum Besseren ist, so
dachte ich, es sei nicht unpassend, das, was ich Ihnen danke,
auf diese, freilich sehr versteckte Art, öffentlich zu be-
kennen. Ich gebe Ihnen ein Ex. davon, wenn Sie hier
sind; es wäre ja wohl zwecklos, Ihnen die Part:, die Sie
schon kennen, über den Canal zu schicken; sie in London
aufgeführt zu sehen, ist da doch wohl keine Aussicht vor-
handen.
Von Briefen erfolgt anbei wieder eine kleine CoUection.
Es sind auch diverse Packete (u. A. ein Quintett v. Nau-
mann) da, welche wohl warten können. Für heute schließe
ich.
Lassen Sie uns bald Gutes hören und werden Sie dem
256 An Beruh. Scholz
langweihgen Prediger des strengen Rechts -Standpunktes
nicht gram!
Behalten Sie lieb
Ihren ollen
Scholz
An Bernli. Scholz
[London etwa 8. Nov. iSö?,.]
Lieber Scholz
Das i"^ Concert wird wohl bald probirt; da wäre es
mir denn lieb zu erfahren, was Sie darin geben, da-
mit ich das Programm des 2'*" darnach bedenke. Ich bin
neugierig, worauf Ihre Wahl gefallen sein wird; wahr-
scheinlich eine Beethoven'sche — und ein Cherubini oder
Weber! So finge ich denn mein Wirken gern recht trotzig
an: Coriolan-Ouv., und um mich beim Herrn Chef etwas
einzuschmeicheln, spielte ich eine Fuge in A moU von Bach,
die ich neulich zum ersten Mal vor Leuten producirte und
wiederholen mußte. Die in Gmoll und Cdur habe ich in
Hannover schon gespielt; bleibt also nur diese eine.
Schließen ließe sich mit der Dmoll Sinfonie von Schu-
mann, to oblige Platen, Das ist nur Scherz! Ich habe
keinen Wunsch zu hänseln. Im Ernst aber muß ich ganz
ordentlich danken, Ihnen, lieber Freund, für Ihre Dedi-
cation. Was Sie sagen, sollte mich fast stolz machen! Daß
ich auf einen so festen, sichern Kollegen Einfluß geübt
haben kann! Leider weiß ich nur zu gut, wo mich selbst
der Schuh drückt, und da ist mir Ihr Zeichen der Freund-
schaft eins, das mir wohlthut, weil ich sehe, daß Sie mich
lieb genug haben, um meine bessern Seiten zu pflegen.
Ich freue mich, meinen Namen auf dem Exemplar gedruckt
zu sehen. — Apropos! Ich glaube, Frau Schumann wäre
am Ende für's erste Concert zu gewinnen. Sie ist in Ham-
Von Clara Schumann 267
bürg (pr. Adr. von Th. Ave Lallemant, Tonkünstler) zu
erreichen. Da sie später zu weit weg sein wird, um für
die Concerte erreichbar zu sein, so bin ich unegoistisch
genug, um darauf aufmerksam zu machen. Von Brahms
habe ich drei zornigste Briefe erhalten, daß ich in Be-
treff seines Quintetts nachlässig gewesen wäre. Es ist mir
lieb, daß Sie das Gegentheil wissen. . . . Wollen Sie nicht
endlich Wort halten, Bernhardus, und ein Mozart'sches
Concert für den Winter studiren, mit eigenen, statt Humm-
ler'scher^) Kadenzen, wie man sie hier hört?
Ich erwarte über einige dieser Punkte ein paar Zeilen
vor dem Wiedersehen und bin und bleibe in Treu' ergeben
Ihr
Joseph J.
Apropos! Schicken Sie die Partitur Ihrer Ouver-
türe doch lieber ein. Ich meine, ich kann eine Auf-
führung doch vorbereiten.
Von Clara Schumann
Frankfurth a/M d. 10 Nov. 1862.
Lieber Joachim,
Zürnen Sie nicht, daß ich auf Ihre i)eiden Briefe nicht
früher schrieb, ich bin aber seit 8 Wochen wieder furcht-
bar beschäftigt. Ihr erster Brief mit der Nachricht, daß
Sie in London bleiben würden, hatte mich so betrübt, daß
ich, hätte ich Ihnen darauf geschrieben, nur Klagen her-
vorgebracht hätte. Nun, bald kam ja die gute Post hinter-
drein, und für mich muß ich mich doch freuen, thut es
mir freilich für Sie leid genug, daß Sie nun unter so wenig
angenehmen Verhältnissen noch einen Winter bleiben
müssen. Ich muß Ihnen aber offen gestehen, daß ich Ihre
Handlungsweise nicht recht finden konnte; Sie hätten
^) Scherzhaft für Hummel.
258 Von Clara Schumann
gleich im Mai entschieden „Nein" sagen sollen, das wäre
für die Königin sicher nicht so hart und kränkend gewesen,
als Ihr jetziges Verfahren. Ich denke übrigens, sind Sie
erst 'mal wieder dort, so gleicht sich dies bald wieder aus,
und ich hoffe, Sie ertragen Hannover leichter, als Sie es
Sich jetzt in London vorstellen.
Ihren letzten Brief erhielt ich gerade am i Nov:, war
aber sehr froh, daß Sie Selbst nicht da waren, denn, trotz
des besten Willen von allen Seiten, war die Aufführung
eine höchst mittelmäßige, und es wäre mir recht hart
gewesen, hätten gerade Sie den Faust zum ersten Male so
gehört. Ich möchte doch so gern, daß Sie ihn so voll-
kommen als möglich hörten, dann, weiß ich, Sie müssen
dies Werk bewundern, Sie müssen es über Ihre Erwar-
tung herrlich finden. Daß Sie aber gerade am 4 Dec: ^)
von London abreisen, und nicht ein paar Tage früher, so
daß Sie vor Hannover nach Leipzig gekommen wären, das
betrübt mich sehr! —
Von Johannes haben Sie wohl direct erfahren, daß es
Ihm in Wien außerordentlich gefällt, wie voraus zu sehen
war. Er bleibt den ganzen Winter dort. Sein Quintett
haben Sie wohl nun auch erhalten? er spielt es, d. h. er
läßt" es bei Hellmesberger Ende d. M. spielen. Das möchte
ich 'mal von Ihnen hören ! Sie wissen wohl, daß Job: morgen
in Hellmesbergers Quartett sein Gmoll Quartett spielt.
Wie sehr Mad. Bennett's Tod mich erschreckt hat, kann
ich Ihnen nicht sagen, hatte ich doch keine Ahnung von
ihrem Krankseyn! wie dauert mich der arme Bennett,
welch ein Verlust, solch liebe Frau! bitte sagen Sie Ihm,
wie tief ich den Schmerz mit Ihm und seinen Kindern
fühle. Auch Frau Klingemann versichern Sie meiner innig-
sten Theilnahme, wie hat auch dieser Tod mich bedrückt I
So geht Eines nach dem Anderen — bliebe man nur selbst
nicht gar zu lange zurück! — ...
*) Am 4- sollte Schumanns Faust in Leipzig aufgeführt werden.
An Herman Grimm 269
Leben Sie wohl, lieber Joachim. Reisen Sie glücklich,
und bringen Sie das alte Herz mit
Ihrer
getreuen
Clara Schumann.
An Herman Grimm
[London] r3'«" Novbr. [1862].
Mein lieber Herman.
Wenn Du wüßtest, wie traurig es mir ist. Euch nach
Rom zu schreiben, statt selber zu kommen! Ich
muß, da man in Hannover von meinem Vorschlag nichts
wissen will (den Kontrakt vom Juni ab als erloschen zu
betrachten), dorthin am Anfang Decembers zurückkehren
und 6 Monate ausdienen. Ich dachte, mein Kontrakt setzte
3 monatliche Kündigung voraus, das war aber süßer Irr-
thum. So fest hatte ich mir eingebildet, der König würde
entweder stolz und zornig, oder (in Betreff meiner Forde-
rung der zwei Jahre ohne Gehalt) nachgebend milde sein,
daß ich hier bis Ende des Jahres Engagements angenommen
hatte, um dann im Januar zu Euch reisen zu können . . .
Von Verhältnissen abzuhängen, kann den Heldenmuth her-
ausfordern; je trauriger sie sind, um so mehr mag es uns
Genugthuung gewähren, sie stark zu tragen; aber einem
Menschen freiwillig solche Macht über uns eingeräumt zu
haben, daß er uns tiefberechtigte Wünsche zerstören darf,
ohne durch Noth dazu gezwungen gewesen zu sein, ist hart
zu verarbeiten. Ich hatte fiebervolle Nächte, in denen ich
wachend die fast körperliche Empfindung der Unfreiheit
hatte — ich rüttelte an den Stäben meines eisernen Bettes,
als ob's Ketten wären. Es ist wohl kaum jetzt abzusehen,
wie lange Ihr in Rom bleiben werdet. Schwerlich bis zum
Juni! Und wenn auch, es wäre dies die schlechteste Jahres-
zeit, und Ihr müßtet dann fort. Um „Gnade" wollte ich
•7'
200 An Herman Grimm
nicht anflehen; habe auch Niemand den Grund sagen
mögen, warum mir so viel daran läge, dies Jahr frei zu
sein. Es würde nicht richtig aufgefaßt werden.
Dieser Tage brachte mir Th. \. Bunsen Berliner Grüße
von Euch und erzählte mir vom Tode des Grafen Oriola'),
eine Nachricht, welche Gisel gewiß sehr angegriffen hat.
Thut ihr das Römische Klima wohl? Kannst Du noch ein-
mal vor dem g^^" Dezember hieher schreiben, lieber Her-
man? Hier war gestern der Nebel so dick, daß man von
einer Gaslampe nicht bis zur andern sehen konnte. Ich
mußte auf dem Rückweg vom Hause eines Freundes Abends
in einem Gasthof einkehren, um zu übernachten! Es ist
aber seit mehreren Jahren nicht so toll gewesen. Im Üb-
rigen gefällt es mir hier ganz gut. Man sieht die Umge-
bung mit den verschiedenartigsten Interessen um sich be-
wegt, wenn's auch nicht immer die höchsten sind, und die
Abwesenheit kleinstädtischer Hofluft ist mir eine Wohl-
that. Neulich begegnete mir in einem Concert flüchtig
einer Eurer Spangenberge. Ich konnte mich erst nicht auf
seinen Namen besinnen, obgleich mich die Züge anhei-
melten. Er hat aber bis jetzt keinen Gebrauch von meiner
Adresse gemacht. Seine Nachrichten über Euch waren
veraltet. Solltest Du die Bekanntschaft des Amerikanischen
Bildhauers Story machen, so schreibe mir, wie Du ihn und
seine Tochter findest. Es sind Verwandte Maclellans und
Bekannte Emersons. ... Er zeigte mir eine vortreffliche
Statuette BeethoAcns, die Du Dir mir zu lieb vielleicht an-
siehst. Seine Kleopatra und eine „Sibylle" in Marmor
machten auf der Ausstellung Aufsehen. Mir scheinen sie
würdevoll und von der Schablone abweichend, aber mehr
verständig und gebildet, als warm und tief. Schickt mir in
meine Zeit der Duldung manchmal Erquickung durch
Euch, Ihr lieben Menschen, und bleibt gut dem alten
J. J.
*) Der Gatte von Giselas Schwester Maxes.
Von Frau Scholz 261
Von Frau Scholz
Hannover 22. Nov. 62.
Das war eine große Freude, lieber, lieber Joachim ! Es
ist aber auch der 22'* heute, u. das war immer ein
Glückstag für mich. An einem 22. habe ich mich verlobt;
an einem anderen kam — während eines hartbedrängten
Brautstandes — der Geliebte aus der Ferne — an einem
22. hat er sein schönstes Lied gemacht — an einem 22.
kamen Ihre lieben Zeilen zu mir. Drum lasse ich viele
Geschäfte liegen u, stehen, nur um Ihnen gleich zu sagen,
wie vergnügt mich Ihr lieber Brief gemacht hat! Also Sie
können vielleicht gleich Anfangs sehr gut u. lieb sein? Ich
muß roth werden, daß Sie mich bescheiden nennen, denn
das ist kein Mensch weniger als ich. Den Hauptbeweis
dafür liefern Sie. Es giebt liebe, gute Menschen genug
hier u. aller Orten, wenn ich bescheiden wäre, müßte ich
mit diesen mich „bescheiden" u. nicht lamentiren nach
Ihnen wie ein Krüppel. Aber so verwöhnt bin ich, daß
ich immer nur nach dem höchsten Adel trachte u. daß
mir selbst der Stockh. nicht so ganz auf die Dauer gefallen
kann. Der kam neulich ein Paar Tage, so recht ein be-
lebend Element, in unsere Einsamkeit geschneit; er wohnte
bei uns, u. es war das erste Mal, daß ich ihn mir näher
besah. Er ist ein sehr begabter Mensch u. vor Allem eine
glänzende, gewinnende Erscheinung ... St. hat gewaltige
Pläne für hier — u. wenn Sie doch einmal fort sind, ist
er besser wie die meisten Anderen.
Nach Cöln^) gehe ich wirklich mit, da haben Sie recht
gerathen, aber von jeher in Gedanken in Ihrer Begleitung;
dem Bär zu Liebe müssen Sie zwei Tage loszukommen
suchen. Lasse ich ja so lange fünf gerade sein u. riskire
doch dadurch noch mehr. Ich habe neuerdings gefunden,
^) zur Aufführung von Scholz' Requiem.
202 Von Beruh. Scholz
daß es gefährhch wird für mich, wenn ich meinen Mann
immer allein seine Interessen verfolgen lasse; wenn mich
die Mutterpflichten allzuviel abhalten, meine Stelle zu be-
haupten an der Seite des Geliebten — zuletzt gewöhnt er
sich daran, mich zu entbehren. Das wird doch zu betrübt
für mich! — Ich hab auch neuerdings gefunden, daß es
überhaupt furchtbar schwer ist, ein halbwegs anständiger,
brauchbarer Mensch zu werden: zu leben im besten Sinne.
Das klingt gar einfach, ist aber ein mächtig großes Kunst-
stück ! — ...
Seien Sie tausendmal gegrüßt
von Ihrer
Luise Scholz.
Von Beruh. Scholz
Hannover 22. Nov. 1862.
Mein Lieber!
Zuerst das Geschäftliche : An Frau v. Bronsart ist schon
geschrieben und ihr ein Tag im Januar bestimmt
worden. — Auf Brassin wird man wohl nicht weiter re-
flectiren. Bezgl. des ersten Concertes ist man noch sehr
im Unklaren: Nur soviel steht fest, daß Lauterbach das
9*^ Concert von Spohr und zwei Vieuxtemps'sche Sätze
spielen wird. Im Uebrigen erwartet man täglich Nachricht
von der Trebelli, und es soll mit ihr ein Concert im Theater
(als erstes Ab.-Conc.) sein, wobei denn für eine Symphonie
kein Platz bliebe. Sagt sie nicht zu, so denke ich, wird
man Stockhausen engagiren, und dann soll das Concert
im Concertsaale mit einer Beethoven'schen Symphonie los-
gehen. Wieviel lieber mir Letzteres wäre, werden Sie
wissen.
Stockhausen ist übrigens vor. Sonntag sowie am Mitt-
woch hier gewesen. Heute Nachmittag um 3^2 Uhr kommt
Von Bernh. Scholz 263
er wieder von Hamburg, und zwar mit Frau Schumann.
Beide musiciren morgen bei Königs.
Meine Ouv: sollen Sie haben, und es würde mich freuen,
wenn Sie unter Ihrem patronage drüben gemacht würde:
probirt müßte sie freilich ordentlich werden, des
Schlusses wegen.
Ich freue mich sehr auf Ihre Rückkunft; wir wollen
dann zusammen über alle Vorfälle lachen, über die wir
uns bis jetzt einzeln geärgert haben. Denn auch ich, lieber
Freund, schiffte die ganze Zeit auf bewegter See. Ich
hatte schon mehrere Spectakel und liege gegenwärtig in
Fehde mit Ihrer lieben Ubrich und ihrem hohen Protector G.
— Es handelte sich um Besetzg. einer Rolle in einer Auber-
schen Oper^), die ich Frl. Weis zugetheilt hatte, wogegen
die U. protestirte. Auber hatte mir nun Recht gegeben,
der König erklärte ihn aber für altersschwach, und da
nichts aus ihm heraus zu verhören war, wurde etwas in
ihn hinein verhört, wie Vansen sagt. Dazu wurden die
hannoverschen Gesandschaften und Ministei'ien in Be-
wegg. gesetzt — tant de bruit pour une Omelette! — und
schließlich natürlich Frl. U. zu Gunsten entschieden. —
Dieser Tage erhält nun der König von mir einen neuen Stoß
Acten mit göttlichen Briefen von Auber, Frz. und V. Lachner,
Eckert u. s. w., die sich alle verwundern, wie man nur
einen Augenblick im Zweifel sein könne über die Stimm-
lage der Partie.
Die Sache fängt nun an, auch für mich lustig zu wer-
den, obwohl ich mich Anfangs ganz infam geärgert habe.
Was sagen Sie dazu — daß der Aerger mir — mir — mir
selbst den Schlaf geraubt hat !
Apropos: Es würde mir Freude machen, einmal ein
Mozartsches Concert im Ab.-Concert zu spielen. Schlagen
Sie mir eines vor!
So leben Sie denn wohl, mein lieber Freund, und kom-
*) Siehe das Nähere bei Scholz, Verklungene Weisen S. i6of.
204 Von B. Molique
men Sie uns bald und möglichst heiter her: Sie haben
keine Ursache zum Mißmuth ! Ihr Schicksal liegt lediglich
in Ihrer Hand; Sie haben für sich die Macht zu lösen u.
zu binden, — und wenn Sie nur wollen, sind Sie im Früh-
jahr so frei wie der Vogel in der Luft. Bis dahin wollen
wir noch manche gute Stunde gemeinsam froh genießen.
Tausend Grüße
von Ihrem Scholz.
Von B. Molique
3o Harrington Square N. W.
den 2**" Dezember 1862.
Mein lieber Freund Joachim!
Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für den Genuß,
den Ihr herrliches Spiel mir gestern Abend machte,
ich wäre diesen Morgen zu Ihnen gekommen, um Ihnen
für die Mühe und Sorgfalt, welche Sie meinem Quartett
geschenkt haben, zu danken, habe mich aber leider ver-
kältet und muß ein paar Tage wieder zu Hause zubringen.
Es wird mir nahe gehen, wenn ich Sie nächsten Montag
zum letzten Male höre und Sie von hier weggehen, denn
ich will Ihnen nur gestehen, daß Sie sich bey mir als
Violinspieler unentbehrlich gemacht haben, S. Bach werde
ich nicht mehr hören, ausgenommen Sie kommen wieder
nach London und ich lebe noch, denn von einem anderen
will ich mir den Eindruck, den Ihr Spiel auf mich machte,
nicht verderben lassen. Gott sey mit Ihnen.
Ihr
ergebener Freund
B. Molique.
An Jul. Rietz 205
An ßernh. Scholz
[London] 3. Dec^'- [1862].
Lieber Freund
Bis heute früh hatte ich gehofft, der Postbote würde
mir wenigstens das bloße Programm des i ^'" Concertes
bringen, da ich aus der Ferne über das 2'^ Vorschläge
machen muß — quod non! Nun habe ich eine Epistel an
Platen mit „Wenn 's" und „Aber's" über den Gegenstand
abschicken müssen, und ich erlebe es noch, daß Ihr sagt:
es geschieht Joachim ganz recht. Ich habe Platen in Be-
zug auf Gesang an Sie adressirt und bitte Sie freund-
schaftlichst als Mit-Konsul dafür zu sorgen, daß die
K, H/sche Orchester-Republik keinen Schaden nimmt.
Ich reise Dienstag den 9'*^" in der Frühe hier ab und bin
also Mittwoch bei Euch. Wenn Sie mir aber Samstag noch
ein paar Worte schreiben, so bekomme ich sie noch, und es
wäre mir sogar höchst willkommen, vor der Abreise etwas
über das kommende Concert zu wissen. Ich habe Kopf
und Hände voll zu thun bevor der Abfahrt und schließe
darum mit dem wärmsten Gruß an Frau und Kinder ganz
eilig.
Immer Ihr
Joseph J.
An Jul. Rietz
Hannover am i8'*"Decbr. [1862].
Lieber, hochgeehrter Rietz
Mit Kummer sah ich aus der fremden Hand, daß Sie
noch immer nicht ganz hergestellt sind. Möchten
Sie bald wieder ganz dem frischen Leben und Ihren
Freunden gehören. Man kann sich unter allen Menschen
206 An Jul. Rietz
Sie am wenigsten zur ünthätigkeit gezwungen denken.
Sie müssen in diesen letzten Monaten unendlich gelitten
haben. —
Ich war lange in England und habe dort manches Er-
freuliche erlebt, wovon ich nur erwähnen will, daß ich
auch alle Mendelssohn'schen Kinder einmal wiedergesehen
habe. Es wird Ihnen lieb sein zu hören, daß sie sich aufs
vortheilhafteste entwickelt haben; lauter kluge, feine, an-
muthige Naturen, wie man sie den Nachkommen des edel-
sten Menschen und Künstlers wünschen mag. Ihren Auf-
trag, die Mendelssohn'sche Sonate i) betreffend, erfülle ich
mit Freude; ich habe sofort unter der geringen Auto-
graphenzahl in meinem Besitz nachgesehen. Der erste Satz
ist am 2i'*" Mai 1828 beendigt, der 2'* am 25'*^" Mai, der
letzte am 3'^" J. (uni ist beim Beschneiden des Randes
wohl weggekommen.) Das Ganze ist klein und mit den
bekannten zierlichen Notenköpfchen geschrieben ; oft finden
sich weggestrichene Takte, Aenderungen. In der rechten
Ecke der ersten Seite sind die Buchstaben L. e. g. G., die
ich wie andere seiner Buchstaben als Motto nicht deuten
kann. Wissen Sie etwas über ihren Sinn? Bei der Sonate
ist eine von Ihrem Bruder geschriebene Violinstimme. Das
Ganze ist mir als Geschenk von Frau Mendelssohn doppelt
werth.
Möchte der versprochene 2** Band 2) Briefe bald kommen,
und möge ich vor allen Dingen von Ihrer gänzlichen Ge-
nesung hören, hochverehrter Freund und Meister!
Stets Ihr
(gez.) Joseph Joachim.
^) Die Eduard Rietz gewidmete F molI-Sonate, op. 4^ für Riavier und
Violine.
^) Erschien i863 unter Mitwirkung von Rietz.
Von Clara Schumann 267
Von Clara Schumann
Berlin d. 19. Dec: 1862.
Liebster Joachim,
endlich, endlich 'mal wieder ein Briefe) von Ihnen aus
Deutschland! er wurde mir diesen Morgen von Breslau
hierher geschickt, und ich setze mich gleich zur Antwort.
Den Sonnabend, wo Sie zum ersten Male wieder dirigirten,
wie getreu habe ich da den ganzen Abend Ihrer gedacht,
mich mit ganzem Herzen in Ihre peinliche Lage hineingefühlt
und bin jetzt ganz froh zu hören, daß mindestens des Königs
Klugheit die Verhältnisse nach außen hin angenehmer ge-
staltet. Sey es Schein oder nicht, jedenfalls ist es so besser.
Daß Sie zu Weihnachten entschieden nicht zu mir
kommen, ist mir jetzt, da ich sehe, daß meine Voraussetzung,
Sie würden unter keiner Bedingung jetzt Urlaub nehmen,
eine falsche war, doppelt traurig. Sie können mir wohl nicht
verdenken, daß ich als alte Freundin gern auch eine Aus-
nahme für Sie gewesen wäre. Übrigens aber sehe ich auch
ein, daß Scholz ein großer Freundschaftsdienst 2) dadurch
geschah, und der Aufenthalt hier Ihnen innerlich kaum
sehr wohl thun würde, da die lieben Freunde^) Ihnen doch
recht fehlen würden.
Wissen Sie wohl, daß wir uns beinah ein Jahr nicht
gesehen! Ihnen mags nicht so lang erschienen sein
in Ihrem bewegten Leben, ich aber habe es recht tief
empfunden und kann nicht ohne Schmerz es denken, wie
die liebsten Freunde durch äußere Verhältnisse Einem so
fern gerückt werden können. Noch betrübter aber ist es,
^) Scheint verloren zu sein.
*) durch J.s Anwesenheit bei der Aufführung des Requiems in Köln,
bei der Frl. Weis das Altsolo sang, vgl. Scholz Verklungene Weisen
S. 164.
') Grimms.
268 Von Clara Schumann
geschieht das durch innere, wie bei Johannes. Seine An-
wesenheit zu Weihnachten hier könnte ich wahrhch nicht
wünschen, denn er hat uns vor'm Jahre hier, sowie im
Sommer in Kreuznach (wohin zu kommen ich Ihn durch-
aus nicht veranlaßt hatte) das Leben mit Ihm fast uner-
träglich gemacht und mich dazu diesen Sommer in ähn-
licher Weise wie Sie, und zwar auch wegen des Quintetts
auf's Tiefste gekränkt. Ich erhielt dasselbe gerade, als ich
eine Reise in's Berner Oberland unternahm ; in der Voraus-
setzung, daß ich auf solcher Reise keine Minute Zeit, auch
kein Ciavier finden würde, um das Quintett spielen zu
können, auch noch dazu ängstlich war, solch werthvolles
Manuscript in der Reisetasche mit herumzuschleppen, ließ
ich es in Luzern mit meinen Sachen; vier Tage darauf
aber kam ich zurück, studierte es gleich auf eifrigste und
schrieb Ihm aufs wärmste darüber, hatte aber von unserer
Tour aus Ihm mitgetheilt (natürlich aus Rücksicht, damit er
nicht vergeblich warte), daß ich es empfangen etc: etc:
Währenddem erhielt ich als Antwort auf diese Zeilen : er
habe nicht geglaubt, daß ich jetzt mit so wenig Gepäck
reise, daß ein paar lumpige Notenblätter mich belästigen
würden, übrigens wisse ich, daß er seine Mannscripte nicht
gern lange aus den Händen gebe etc: Das war mir aber
wie ein Schlag auf's Herz — war je ein Vorwurf ungerecht,
so war es Dieser. Nun, Sie haben es auch empfunden, aber
als Mann, der Solches eher verwindet, mir aber blutet das
Herz, wenn ich nur daran denke — das für Jahre lange
innigste Hingabe für Alles, was er geschaffen! — Das
Quintett ist aber schön — ich habe es augenblicklich hier,
will es Ihnen mitbringen, denn sehen werde ich Sie nun
doch endlich 'mal wieder. Ich habe dem König neulich
schon gesagt, daß ich Anfang Januar wiederkäme — das
wird Ihnen freilich wegen des HofspieFs nicht angenehm
sein? ich will mich nun jedenfalls so einrichten, daß ich
am 3'*" das Concert höre ! können Sie mir keine Symphonie
An Clara Schumann 269
meines Mannes und Sonntag Morgen Fmoll von Beethoven
spielen?
Daß ich den Faust wohl nicht werde hören können, ist
mir sehr hart, aber wahrscheinlich bin ich um diese Zeit
wieder in Paris, Die Reise von dort nach Hannover würde
ich, wenngleich schon anstrengend, doch unternehmen,
aber die Kosten sind gar zu groß.
Jetzt will ich Ihnen aber Lebewohl sagen, früge ich auch
Manches noch so gern. Ich bin so erregt, Ihr Brief heute
hat mich so wehmüthig bewegt, kaum weiß ich, warum,
und doch weiß ich es! es ist eben der alte Herzensschlag,
der für Sie immer derselbe bleiben wird ! Könnte ich Ihnen
doch gleich selbst die Hand zum Willkomm drücken!
Ihre
Gl. Seh.
An Clara Schumann
[Hannover »3. Dez. 1862.]
Liebe, gute Frau Schumann.
Wir haben, wie mich Graf Platen eben versicherte,
am S'*"" Januar wirklich Concert. Wie freue ich
mich, Sie nnn endlich einmal wieder zu sehen! Könnte ich
Ihnen nur eine Schumann'sche Sinfonie in's Programm
flechten; es wird aber kaum zu machen sein. Im ersten
Theil soll nämlich, um die Solo-Bläser auf eine anständige
Art zu beschäftigen, die sich auch einmal wie billig pro-
duciren wollen, das Septett von Beethoven gespielt werden.
So bleibt nur der 2"^ Theil mit Orchester-Musik, und da-
für habe ich (aus freiem Antrieb) Woldemar in Köln ge-
sagt, ich würde in meinem nächsten Concert seine Medea-
Ouverture aufführen, werde also als zu einer kurzen Schluß-
Sinfonie zu einer Haydn-schen greifen müssen. Doch hoffe
270 An Clara Schumann
ich sehr, daß wir Ihnen in der Probe etwas vorspielen
können werden, das Ihnen besonders an's Herz gewachsen
ist. Quartett am Sonntag Morgen sollen Sie nach Herzens-
lust haben! Wenn's nach mir ginge, ließe ich Ihnen
keine Ruhe, auch uns im Concert etwas zu spielen —
aber für den 10*^" Januar (4^^' Concert) ist Frau Bronsart
engagirt, und so muß diesmal ein Concert ohne fremde
Künstler gegeben werden (d. h. eines, bei dem Platen
Geld spart.) Der Mangel an Interesse und Sachkenntniß
bei meinem Intendanten wird mir immer widerlicher; u. es
ist gut, daß meine kurzgefaßte Kündigung abgegangen ist.
Liebe Frau Schumann, eben kömmt Ihre Sendung an
mich an; welch' gütiges, beglückendes Gedenken! Zwei
Iphigenien ! ! Und ich muß Ihnen bloß von hier aus schrift-
lich danken, statt Ihnen durch Wort und Blick meine herz-
liche Freude kund zu thun. Die beiden Alcesten sind über
die Ankunft der Vaterlandsgenossen ganz beglückt, und
ich hoffe nur, daß mich die gute Gesellschaft nicht gar zu
sehr von allen Ereignissen dieser Tage abziehen wird, was
mir meine Freunde hier sehr übel nehmen könnten. Es
ist zu schön, meinen Gluck so nach und nach durch Ihre
Sorgfalt vervollständigt zu sehen.
Wie gern hätte ich Ihnen auch durch einen musika-
lischen Gruß zum Fest eine Freude bereitet. Mir ist aber
gar nichts in den Sinn gekommen, das Ihrer würdig wäre,
und das Sie nicht schon hätten. Das Schwind'sche Mär-
chen ^), das seit lange ein Liebling von mir ist, wird Ihnen
hoffentlich und den Kindern eine willkommene Anregung
sein; ich habe es in München bestellt, und es ist wohl
jetzt bei Ihnen.
Grüßen Sie alle von Herzen von mir und kommen Sie,
verehrte Freundin, bald zu
Ihrem treuergebnen
Joseph Joachim.
*) von den sieben Raben.
An Clara Schumann 271
P. S. Von dem glücklichen Erfolg des Requiems in
Köln mündlich. Es ist ein großer Fortschritt von Scholz
in dem Werk gegen frühere Arbeiten erkennbar, und es
ist mir lieb, daß ich es gehört. — Von Grimms aus Rom
hatte ich gute Nachrichten. Johannes schweigt. — Ein
Oelbild Beethovens 1) , mit dem mich Frau Herstatt über-
rascht, wird Ihnen gefallen. Ich freue mich schon, es Ihnen
zu zeigen.
An Clara Schumann
[Hannover d. 29. Jan. i863.]
Liebe Frau Schumann.
ben habe ich an Ihre Schwester Clementine 2) nach
London geschrieben, um ihr einen Empfehlungsbrief
an Halle zu schicken; das beschwichtigt aber meinen
W^unsch, von Ihnen zu hören, nicht! Und ich bekomme
wohl schwerlich etwas zu wissen, wie's Ihnen auf der Reise
geht, falls ich nicht frage? Graf Platen erzählt mir, daß
Sie vorgestern in Köln, wo er war, gespielt hätten. Da ich
mich aber nie auf den Fuß vertraulicher aesthetischer Mit-
theilung mit ihm gestellt hatte, weiß ich nicht, ob er Sie
gehört habe, was man einem Andern freilich an der bloßen
Erzählung schon angemerkt hätte! Wie war Woldemar's
Psalm? 3) Auch darüber wüßte ich gerne etwas, und ich
hoffe, Sie schreiben mir davon. Wir haben gestern Abend
in der Singakademie die i"^ Chorprobe zum Faust gehalten.
Es wird rechte Mühe kosten ; ich hatte gar keine Idee, wie
sauer man sich das mit den Dilettanten werden lassen muß.
*) von Julius Schrader, jetzt im Beethovenhaus in Bonn.
^) Gl. Bargiel, Stiefschwester Clara Schumanns.
*) 27. Januar spielte Frau Schumann in Köln das Esdur-Konzert von
Beethoven, Bargiel dirigierte seinen XIII. Psalm.
E
272 An Clara Schumann
Wie mit dem Abc muß jede der vier Chorstimmen einzeln
erst buchstabiren lernen, und es schwindelte mir ordent-
lich bei dem Gedanken, daß da in 6 bis 8 Wochen Geist
hinein gebracht werden soll, — Stockhausen hilft uns einst-
weilen in Kolmar einstudiren! Seinem zweiten Ver-
sprechen zu Folge soll er übermorgen eintreffen; wir
wollen sehen, was der Telegraph bringt! Ich freue mich
aber doch, den Faust von ihm zu hören, und wollte, er
wäre da.
Es wird Ihnen, glaube ich, lieb sein, den Beschluß meiner
schwebenden Hannoverischen Frage zu vernehmen. Er
wird Ihnen namentlich befriedigend erscheinen. Der König
hat mir nach einer 2 stündigen Audienz den Vorschlag ge-
macht: bloß 4 Monate in Hannover zu leben, meinen
Aufenthalt gleichsam als einen Abstecher zu betrachten,
um meine Beziehungen zu ihm und dem Orchester nicht
aufzugeben. Außerdem sollten mir in den 8 Concerten
zwei Choraufführungen größerer Werke zugesichert wer-
den, und sonstige Verbesserungen für das Institut etc. etc.
Kurz, ich habe der fast rührenden Vorsorge, mit welcher
der König meinen Absichten zu begegnen wußte, nicht
widerstehen können. Statt mir nach meiner Kündigung zu
grollen, entwaffnete er mich mit dem Ausspruch, daß für
ihn und die Königin die Freude an der Lieblingskunst ver-
schwinden würde, wenn ich ganz gienge. Das ist edel, und
wenn ich auch leider vieles Verkehrte an seinem politi-
schen Charakter sehe, muß ich gestehen, daß der König
sich privatim fast als väterlicher Freund benommen hat.
Er betonte, daß wir einen neuen Contrakt^) abgeschlossen
hätten, daß es mich also nicht als eine bloße Gnade be-
drücken könnte, so lange von Hannover fern sein zu dürfen,
u. meine Freiheit zu genießen. Man wollte lebensläng-
lich abschließen, das habe ich abgelehnt.
Ich wurde in der vorigen Woche durch einen höchst
*) Der neue Kontrakt wurde am i. März unterzeichnet.
An Th. Ave-Lallemant 278
anregenden, liebenswürdigen Besuch erfreut, vom Dichter
Björnsjerne Björnson, einem Norweger, dessen kräftige,
poetische Schriften ganz seiner edlen Persönlichkeit ent-
sprechen. Ich glaube, ich hatte Ihnen und Fräul. Marie
einmal seinen „Arne" zu lesen gegeben. Seien Sie, ich
bitte, erst mir zu lieb freundlich gegen Björnson; bald
werden Sie ihn um seiner selbst willen gern sehen. So
wahren und tiefen Naturen begegnet man selten! Mit
freundlichem Gruß an Fräulein Marie
Ihr
Joseph Joachim.
An Th. Ave-Lallemant
Hannover am 3i. Januar [i863].
Lieber Ave.
Wenn ich warten soll, bis ich Dir sagen kann, ob ich
Ende April zu Euch komme, so dauert das mir zu
lange, um Dir für Deine herzlichen Briefe zu danken. Ich
habe nämlich halb, oder vielmehr ^j^ die Idee, daß ich Ende
März nach Rom gehen werde! Ostern dort zubringen,
dann nach Florenz, und vielleicht später nach Neapel !
Aber entschieden wird erst Ende Februar's darüber. Frei
bin ich Ende März, denn mein neuer Contrakt, den mir
der König persönlich nach meiner Kündigung an die In-
tendanz anbot, verpflichtet mich bloß, 4 Monate jährlich
(mit Beibehaltung des Gehalts) in Hannover zu bleiben.
So menschlich schön hat sich der König persönlich be-
nommen, so besorgt für mein Wohl, und bloß immer be-
tonend, daß weder er noch der Geringste im Orchester
mich entbehren wollte, nachdem man sich einmal 10 Jahre
an den Gedanken gewöhnt, mich hier zu haben, daß ich
wirklich kein Herz im Leibe fühlen müßte, sollte es
nicht Eindruck auf mich machen. Und es ist doch ein
274 An Th. Ave-Lallemant
Segen für mich, daß es so gekommen. Denke an die Un-
abhängigkeit vom alltäghchen Concert- Treiben und an
den Wirkungskreis, der mir für meine besten Kräfte ge-
bheben! Denn ich habe mir auch 2 Choraufführungen,
regehnäßige Orchesterproben und größere Unabhängigkeit
für die Programme im neuen Contrakt bedungen. Nun,
mündhch mehr über all dies; denn Du wirst doch wohl
zur Faustaufführung, etwa Mitte März, kommen? Stock-
hausen wird den Faust singen. Ob er vorher beim Ein-
studiren viel helfen wird, wollen wir dahin gestellt sein
lassen: . . . Einstweilen haben Scholz und ich die
i"^ Probe mit der Singakademie gehalten, auch der Dom-
chor soll dazu genommen werden. Scholz, im Verkehr mit
mir der unegoistischste Freund, hat von vornherein mir
die Freude zugedacht, die Sache schließlich zu dirigiren,
da er weiß, wie nahe ich Schumann's stehe. Die geistige
Arbeit des Einstudirens wollen wir uns theilen, und ich
freue mich darauf, denn Scholz ist ein fixer Musiker und
ein nobler Mensch. Aber Mühe wird die Sache kosten;
der 2'*^ Theil ist sehr schwer, und die Kräfte sind sehr
dilettantisch! — Was soll ich zu Eurem Plan mit Stock-
hausen nun eigentlich nachträglich noch sagen. Du weißt^
ich habe die größte Hochachtung vor Stockh.s Gesangs-
talent, und er ist wohl der beste Musiker unter den
Sängern; aber wie man bei der Wahl zwischen ihm und
Johannes als Leiter eines Concert-Instituts sich für erstem
entscheiden kann, das verstehe ich mit meinem be-
schränkten Musikerverstand nicht! Gerade als Mensch
eben, auf den man bauen kann, steht mir Johannes mit
Begabung und Willen erst recht hoch ! Es gibt nichts, das
er nicht fassen und mit seinem Ernst erobern könnte!
Du weißt das eben so gut wie ich — und wäret Ihr ihm
mit Vertrauen und Liebe alle im Comite und Orchester
entgegengekommen (wie Du als Freund es privatim immer
thatest), statt mit Zweifel und Protektoren-Mienen, es
An Th. Ave-Lallemant 276
hätte seiner Natur die Herbheit genommen, während es
ihn bei seinem Patriotismus für Hamburg (der fast kindhch
rührend ist) immer bittrer macheu muß, Sich (für einen
viel Geringeren an Talent und Charakter) hintangesetzt
zu sehen. Ich darf nicht daran denken, um nicht zu
traurig zu werden, daß seine engern Landsleute sich das
Mittel aus der Hand gegeben haben, ihn befriedigter,
milder und seine genialen Leistungen genießbarer zu
machen. Ich möchte dem Comite moralische Prügel
(und körperliche dazu!) geben, daß es Dich mit Deinen
Absichten im Stich gelassen hat. Die Kränkung Johannes'
wird die Kunstgeschichte nicht a ergessen. Doch „Basta" ^).
In der Bewunderung der Altistin Fräul. Weis treffen
wir wieder einmal recht zusammen, lieber Ave! Ich meine,
man hört es der Stimme schon an, eine wie reine, tiefe
Natur in dem Mädchen wohnt, das seit dem 18'*" Jahr
den Vater verloren hat, und später Mutter und Schwester
am Todtenbett pflegend, unberührt von jeder Spur des
Theatertreibens in der weltlichen Kaiserstadt geblieben ist.
Da ist die warme Kunstliebe einmal wieder recht eine
Wundergabe vom Himmel gewesen, und ich glaube, daß
das edle Mädchen bei der Echtheit ihres Strebens immer
höheres erreichen wird, sich und andern zum Trost. Be-
scheidenheit und Ehrgeiz gehen aber auch hier, wie sie
sollen, Hand in Hand! — Da schreibe ich aber nun schon
den 3'*" Bogen! Nur noch die Frage, wie es Rose ergangen?
Grüße ihn vielmals, und auch die lieben Deinen auf das
Allerherzlichste. Sie mögen mich nicht vergessen.
Treu ergeben
Dein
Joseph J.
*) Brahms hat die Zurücksetzung zeitlebens nicht verwunden, vgl.
seinen Brief an Clara Schumann und deren Antwort bei Litzniann III i3i fF.
18*
276 Von Clara Schumann
Von Clara Schumann
Düsseldorf d. 2 Februar i863.
Lieber Joachim,
Sie vermutheten sehr richtig, daß ich über die nun end-
lich glückliche Lösung Ihrer hannoverschen Ange-
legenheit die herzlichste Freude haben würde. So bleiben
Sie doch wenigstens eine Zeit immer in Deutschland —
oh, wäre es nie mehr in England!
Das Benehmen des König's ist schön, fast könnte man
es großmüthig nennen, wäre nicht zu sehr sein eigner Ge-
winn dabei im Spiele. Ihre Nachricht erweckt bei Allen,
denen ich es erzähle, Freude, gestern auch bei Hiller, der
Sie herzlich grüßen läßt. Daß Sie nicht auf einen lebens-
länglichen Contract eingingen, war sehr recht — ein Mann
von Sa Jahren wird sich solche Fessel doch nicht anlegen.
In Cöln habe ich ein paar angenehme Tage verbracht.
Daß gerade Graf Platen es gewesen sein mußte, der den
Abend das Es dur Goncert gehört, thut mir leid, ein An-
derer als Er hätte Ihnen vielleicht recht gutes davon er-
zählt, denn die Musiker schienen Alle sehr befriedigt, die
Hauptsache aber, ich fühle selbst, wie ich es jetzt besser
denn je spiele. Woldemar's Psalm ist sehr gut ausgefallen,
die ersten Sätze davon sind aber auch wirklich recht schön,
wenn auch nicht originell, leider ist der letzte Chor so lang
und monoton, daß er der Wirkung des Ganzen offenbar
schadet, doch Sie kennen Woldemar, der sieht das nicht
ein, obgleich es ihm Alle gesagt. Einen großen Fortschritt
scheint er mir doch gemacht zu haben, obgleich ich immer
bei meiner Ansicht bleiben muß, daß ein solches Werk
mehr oder weniger in der Welt von gar keinem Gewicht
ist und gewiß bald zu den vergessenen zählt. Sein Com-
ponistenglück war mir aber rührend anzusehen, er war in
einer so freudigen Aufregung, wie ich Ihn nie gesehen. . . .
An Herrn an Grimm 277
Hier ist man jetzt viel mit dem Musikfest beschäftigt.
Denken Sie, man schrieb der Lind, ob sie singen wolle,
und diese antwortete sogleich, sie wolle gratis singen, wenn
man ihren Mann das Fest dirigieren lassen wolle! welch
gränzenlose Ehrsucht! sie muß doch den Mann gar nicht
lieben, daß sie Ihn so der Welt aufdringt, wie so unweiblich
von Ihr, und unmännlich von Ihm! — Aber denken Sie,
an wen man noch denkt, an Wagner! Die Musikfeste
w erden hier in Düsseldorf immer mehr Erwerbszweig, der
eigentliche Kunstzweck wird ganz hintenan gesetzt.
An Herman Grimm
[Hannover Anf, Febr. i863.]
Lieber Herman.
Mir bleibt auf alle so lang unbeantwortet gebliebenen
Liebeszeichen von Dir und Gisel in meiner LTngeduld
nur eine Frage, die so rasch wie möglich zu Euch will,
und die ich Dich und Deine Gisel in aller Einfachheit und
Aufrichtigkeit zu beantworten bitte: W^ollet Ihr mich zum
Ende des nächsten Monats in Rom sehen, sollen wir da
Char- und Osterwoche zusammen erleben, und ich Euch
dann nach Florenz nachkommen? Ich könnte das bequem
so einrichten, wenn Ihr mir gleich Eure Meinung
sagt. Mir wäre es eine unaussprechliche Freude, einen
Wunsch, dessen Erfüllung ich aufgegeben hatte, nun noch
zu thätigem Leben erblühen zu sehen. Äußerlich stehet
nichts im Weg — ich habe, nach meiner officiellen Kün-
digung in aller Form, neue Vorschläge des Königs ange-
nommen, die mich nur zu 4 ^monatlichem Aufenthalt in
Hannover kontraktmäßig verpflichten und mir außer-
dem ein erweitertes Wirken während dieser Zeit (z. B. mit
Chorkräften) zusichern. Die Nachgiebigkeit und Milde des
Königs, der mir sagte, daß er dem Freiheitsbedürfniß des
An Th. Ave-Lalleinant
Künstlers gern entgegen kommen wolle, waren unwider-
stehlich. Ich sollte meinen Aufenthalt in Hannover wie
eine Concertreise betrachten, bei der ich die Freude des
Dirigirens in den Kauf nehme. Mein Gehalt bleibt wie für
das ganze Jahr.
Aber ich habe gar nicht den Muth, mit meinem bösen
Gewissen Eurer liebevollen Art gegenüber mehr zu schreiben.
Antwortet auf meine Frage, zum Zeichen, daß Ihr nicht
böse seid. Die kleine gedruckte Weihnachtsanzeige habe
ich schon lange für Gisel in der Tasche; Du mußt sie
nicht lesen, aber ihr wird's Spaß machen. Mir ist Dein
Michel Angelo ein Buch für's ganze Leben. Ich habe
Photographien und Tüchelchen erhalten.
Adieu für heut!
Euer
J. J.
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover 9. Febr. i863.]
Lieber Ave.
Der junge Auer wird ja wohl zu Dir kommen, und da
ist's sicherer, Dir den inliegenden Brief für ihn an-
zuvertrauen, als poste restante zu schreiben. Wenn Du
etwa für den begabten Jungen was thun könntest, so wäre
das sehr schön. Mich dauert das junge Blut, das so in der
Welt herumziehen muß; und der gute alte Vater versteht
den Concertrummel nicht einmal.
Zu meinen Bemerkungen über Stockhausen von neulich
muß ich denn nun hinzufügen, daß er Chorsachen mit
großem Enthusiasmus einstudirt. Und es hat doch einen
ganz besondern Schick, wenn so ein Dirigent auch gleich
mit der Stimme zeigen kann, wie er's meint. Hat man
Stockhausen aber singen gehört, so gewinnt man ihn immer,
trotz allem was man gegen ihn hatte, wieder lieb! — Über
An Frau Klingemann in Bonn 379
den 20"^" hat ja Stockh. geschrieben, ich brauche es also
nicht. Apropos, meine Bemerkungen über Fräul. Weis
bleiben ja ^vohl ganz unter uns; Du verstehst so was, aber
die meisten Leute könnten meinen, ich wäre was man so
„verliebt" nennt, während ich wirklich ein ganz reines
Interesse walten ließ, als ich schrieb. Zum Faust sollst Du
von Herzen willkommen sein.
Grüße vielmals alle die Deinen!
J. J.
An Frau Klingemann in Bonn
[Hannover 16. Febr. i863.
Liebe Frau Klingemann!
Nur etwas sehr Ungewöhnliches in der That konnte
mich veranlassen, die inliegenden Blätter weniger
gewissenhaft zu behandeln, als Inhalt und Ihre Güte bei
der Übersendung verdienten.
Rathen Sie nichts bei diesem Eingang? Ich will es auf
alle Fälle hinschreiben, weil es mir gar zu herrlich klingt : ich
bin verlobt!
Seit wenig Tagen i), und deßhalb müssen Sie mir auch ver-
zeihen, wenn ich mich sehr kurz fasse: Ihnen meine Braut
und mein Glück beschreiben kann ich nicht. Sie werden
sie, hoffe ich, am Rhein im Sommer kennen lernen. Sie
ist Sängerin, eine Oesterreicherin , die Tochter eines Be-
amten, eine Waise, mit einer wunderbar seelenvollen Alt-
stimme und großem dramatischen Talent, sie will aber
dem häuslichen Glück selbst ihren Beruf, für den sie be-
geistert war, opfern. Schneeweiß ist ihr Name (auf der
Bühne Weis).
Und nun Adieu! Ich werde auch an Miß Sophy^) end-
^) seit dem 1 1 ten Februar.
«) S. Horsley, vgl. I 333.
aSo An Clara Schumann
lieh schreiben; die wird staunen. Hätte ich doch selbst nie
geglaubt, jemals ein Bräutigam zu werden! An Lenchen
herzlich gute Besserung.
Ganz ergeben, verehrte Frau,
Ihr
Joseph Joachim.
An Ave-Laliemant
[Hannover i8. Febr. i863.]
Liebster Ave
Als ich Dir neulich, zwei Tage vor meiner Verlobung
schrieb, wußte ich nicht, daß meine tiefe, tiefe Nei-
gung erwidert würde. Nun weißt Du wohl schon durch
Stockhausen von meinem Glück. Was ich zuerst Dir von
meiner Verlobten schrieb, wird für mich immer wahr
bleiben, auch wenn ich nicht mehr „verliebt" bin, wie
es die Leute nennen. Ich habe dieser Tage viel zu schreiben
gehabt, nimm daher mit diesen Worten fürlieb, die Dir
nur von mir direkt die Verlobung kund thun sollen. Auch
Deiner verehrten Frau. Möget Ihr mir und meiner
künftigen Frau immer die gütigen, treuen Freunde bleiben!
Dein
Joseph Joachim.
An Clara Schumann
[Hannover i8. Februar i863].
Liebe, verehrte Frau Schumann
Es würde meinem Herzen weh thun, wenn Sie eine
Nachricht, die mein ganzes Leben umwandelt, zuerst
von andern erführen; und so muß ich Ihnen, wenn auch
noch so flüchtig, Kunde schicken von dem großen Glück,
xVii Clara Schumann 281
das mich in dieser Zeit erfülh. Mit ganzer Macht! Ich
bin mit Fräulein Weis verlobt. Ihr eigentlicher Name ist
Schneeweiß, und da sie der Bühne entsagt, so sollte ich
Ihnen meine Braut nicht mit dem Bühnennamen vorstellen !
Aber Sie kennen sie ja schon. Und doch auch nicht; denn
Ihnen gegenüber war sie so schüchtern und beklommen,
wie es eben einem durch und durch bescheidenen Mädchen
bei aller herrlichen Begabung gegenüber der vollendeten,
längst verehrten Meisterin ziemt. Noch gestern, als ich
ihr vor ihrer Abreise nach Leipzig die Frage stellte, ob
ich Sie nicht vielmals grüßen sollte, meinte meine Braut
„Ja, darf ich denn das, eine so große Künstlerin?" Ich
beruhigte sie aber darüber, daß Sie bei uns immer zuerst
an die Freunde, und dann an die Künstler dächten, sie
wenigstens nicht trennten. Das dürft ich doch? Und so
schicke ich Ihnen und Fräulein Marie denn unsere wärm-
sten Grüße aus vollem Herzen und bitte, daß Sie beide sie
recht bald erwidern mögen, damit wir uns Ihrer Theil-
nahme freuen können in dieser wunderbaren Zeit, Wir
sind erst wenig Tage verlobt und dachten erst, nichts davon
in Hannover zu sagen — aber es wäre dies, da ich dann
meine liebe Ursi nur hätte bei Scholzens sehen können,
gar zu hartes Versteckensspielen gewesen! Und so soll
denn die Freudenpost in den lieben Frühling hinein, wie
die helle Sonne, die uns seit dem Tag der Verlobung
noch nicht gefehlt hat, Gedenken Sie unser bald, theure
Freundin !
Ihr altergebener
Joseph Joachim.
P. S. Mein Brief kömmt mir beim Durchlesen so anders
vor, als ich Ihnen zujubeln möchte — es ist, als fehlte mir
noch der Athem zum Sprechen! Aber die Hauptsache
steht darin.
282 Von Clara Schumann
An Th. Ave-Lallemant
[Mitte Febr. i863.]
Lieber Freund.
Du kannst so recht aus dem Herzen Briefe schreiben,
daß man denkt, man sähe Dir beim Lesen in's treue,
gütige Gesicht ! Hab' Dank für die Wärme, die auch meine
hebe Braut erquickte, denn wir lasen den Brief zusammen.
Habe ich Dir schon gesagt, daß Weis bloß der Bühnen-
name meiner Ursi ist? Sie heißt Schneeweiß. Ist das nicht
schön? Du kannst Johannes^) das Märchen vom Snee witt-
chen erzählen und ihn mit den altern Geschwistern herz-
lich grüßen. Nach Hamburg komme ich jetzt nicht; ich
könnte, wenn ich mit bei Otten spielte, die Idee nicht los
werden, daß wir auf die Theilnahme des Publikums für
unsern Brautstand spekulirten! Hätte nneine Braut nicht
ein altes Versprechen zu lösen bei Otten, sie reiste jetzt
auch nicht so oft fort von hier.
Addio, und danke Deiner lieben Frau für die freund-
schaftliche Theilnahme.
In alter Ergebenheit
Joseph Joachim.
Von Clara Schumann
Lyon d. 22. Febr: i863.
Mein theuerer Freund,
Was das Herz bei dem Glücke eines geliebten Freundes
bewegen kann, das empfand ich, als ich Ihren Brief
las. Ich habe lange weinen müssen — es giebt ein Glück, das
so viel, so Alles in sich faßt, daß die Freude darüber sich
*) Aves kleinem Sohn.
Von Clara Schumann a83
in Wehmuth auflöst. Könnte ich Ihnen doch sagen, was
ich fühle, für Sie Beide wünsche! möchten Sie ein eben
solches Glück genießen, wie mein Robert und ich es
empfunden — Besseres kann ich Ihnen nicht wünschen.
Und wie freut mich Ihre Wahl! vom ersten Augenblicke
an, wo ich Ihre Braut sah, gefiel sie mir so gut. Ich hoffe,
es wird die Zeit kommen, wo sie in ihres Mannes Freundin
auch die ihrige sieht. Thuen Sie, lieber Joachim, das
Ihrige dazu, lassen Sie mich auch ferner Ihnen nahe stehn,
Sie wissen ja, wie Ihre Freundschaft seit Jahren so ganz
mir zu meinem innersten Leben gehört, und so wird es
immer bleiben. Wann werden Sie denn nun heirathen?
Doch wohl im F'rühjahr, im schönen Monat Mai? und
dann gehen Sie wohl nach Rom? und wenn Sie zurück-
kehren, dann gedenken Sie meiner und besuchen mich
mit Ihrer geliebten Gattin in Baden? ach, ich bin so glück-
lich darüber, daß Ihnen nun doch auch zu Theil wird,
was des Lebens Höchstes ist! —
Sie hätten meine Antwort früher erhalten, aber wie
Sie sehen, bin ich in Lyon und erhielt Ihren Brief erst
gestern Abend vor dem Concerte hier. Es war recht
schlimm für mich, denn ich konnte nichts anderes denken,
als an Sie.
Ich lege einige Zeilen an Ihre liebe Braut bei, die ich
schon ganz lieb habe, durch sie erfahre ich wohl auch
bald wieder von Ihnen? bitte, lassen Sie mich nicht gar
so lange ohne Nachricht jetzt, bedenken Sie, wie viel meine
Gedanken bei Ihnen sind, so Alles wissen möchten! wie
beneide ich Scholzens, die sich Ihnen jetzt thätig als
Freunde zeigen können, w^ährend ich fern stehen muß
und doch ein weit älteres Anrecht hätte! nennen Sie dies
weibliche Schwäche, es ist nun aber einmal so, ich kann
nicht anders.
Daß Mariens innigste Wünsche sich mit den meinen
vereinen, können Sie sich denken.
284 An Jul. O. Grimm nach Münster
Jetzt leben Sie wohl, und gedenken Sie mit Ihrer Braut
zuweilen auch 'mal meiner, die Ihnen für alle Zeit bleibt
Ihre
treueste Freundin
Gl. Seh.
Könnte ich nur einmal Ihr Glück sehen!
An Jul. O. Grimm nach Münster
[Hannover etwa 22. Febr. i863.]
Lieber Ise
Y erzeihe, wenn ich nicht schon früher sagte, wie wohl
mir Eure herzliche Theilnahme für unser junges Glück
thut! Ja, ich hätte selbst nie gedacht, daß ich mit solcher
Gewalt zu der Gründung eines häuslichen Heerdes hin-
gezogen werden sollte. Es ist mir noch immer, als träumte
ich, und selbst die gesellschaftlichen Pflichten, welche das
Sichverloben nach sich führt in Gestalt von Formalitäten,
stören mich kaum auf aus dem seligen Traum; ich bin
unbeschreiblich glücklich mit meiner zukünftigen Frau!
Es freut mich, daß Ihr sie so bald in ihrer Echtheit er-
erfaßt habt. Abgesehen von ihrem Talent bringt mir jede
Stunde neue Kunde ihrer Tiefe, ihrer Geistesfrische. Sage
auch Pine meinen wärmsten Dank für ihren Glückwunsch.
Agathe bewährt sich als liebe, edle Freundin uns gegen-
über. Sie wird Euch geschrieben haben. — Was nun die
Aufforderung zum Concert anlangt, so glaube nur, liebster
Ise, daß ich ganz gut Deine Motive verstehe und billigen
muß. Unglücklicher Weise hat meine Braut schon so
manche vor der Verlobung gegebene Versprechen, zu
singen, abzuthun; und ich kann Dir sagen, daß diese Un-
stätigkeit im Aufenthalt uns beiden schon die unleidlichsten
Tage bereitet hatte. Es kömmt hinzu, daß sie nun von
der Intendanz das Opfer verlangen muß, sie vor Ablauf
Von Herman Grimm 285
ihres Kontrakts frei zu lassen, und darum nicht zu oft
um kleine Gefälligkeiten bitten soll. Wir sind darüber
beide einig, und so glaube ich, [daß] Du und die
Münsteraner mit ihr Nachsicht haben werdet, wenn sie
nicht zusagen kann. Morgen geht sie nach Hamburg;
neulich war sie schon 3 Tage in Leipzig, und noch sind
wir nicht i4 Tage verlobt!!
Liebster Grimm, Deines Namensvetters Buch ') will sich
Dir zu Füssen legen; hebe es warm auf, lasse es nicht
liegen. Den i"'" Theil hast Du ja wohl auch von mir;
nicht wahr? An ßargheer viele Grüße; den Tartini will
ich für ihn (zum ich weiß nicht wievielsten Male) copiren
lassen. Deine Programme sind, wie von Dir sich von selbst
versteht! Du bist ja ein ganzer Virtuos. Viel Herzliches
von allen Freunden. Addio
Dein J. J.
P. S. Was sind das für 2 Klavier Duette von Dir? Ich
kenne sie noch nicht; mußt sie bald mitbringen.
Von Herman Grimm
[Rom] 28. Februar i863.
Piazza Barberina 2.
Liebster Joachim,
Nach meiner telegraphischen Depesche jetzt noch diese
Zeilen, um 13ich zu bewegen, sobald als möglich zu
kommen. Länger als zum i5. April können wir kaum
hier bleiben. Eine Woche davon wird Dir durch die Musik
in der Sistina (zu Ostern) ganz genommen. Außerdem ist
um diese Zeit alles Sehenswerthe geschlossen. In 8 Tagen
aber kannst Du so wenig sehn, daß es kaum der Rede
werth ist. Du mußt mindestens 4 Wochen haben für Rom.
Deshalb komm, so bald Du irgend kannst. Du deutetest
*) Michel Angelo von Herman Grimm.
286 Von Herman Grimm
einmal an, es würde mißverstanden werden, wenn Du
sagtest in Hannover, daß Du unsertwegen nach Rom
gingst: lassen sie Dich daraufhin los, so laß Du es immer
darauf ankommen, mißverstanden zu werden. Ich kann
Dir versichern, es ist nothwendig, daß Du so verfährst.
Wir fahren dann zusammen über Florenz langsam nord-
wärts, gehen durch die Schweiz und treffen zum Sommer-
wetter wieder in Deutschland ein.
Bringe doch, soviel Du kannst, gute Zigarren mit. Du
mußt sie aber in Civitavecchia in kleinen Packeten in Deinen
Taschen haben, sonst werden sie conflscirt.
Die mitgeschickte Recension zeigt mir, daß X. sich den
guten Ruf meines Buches etwas kosten läßt. Ich wollte,
er bezahlte mich lieber. Dem Contrakt nach mußte das
Honorar gleich nach Beendigung des Druckes ausgezahlt
werden, wie dies auch beim ersten Bande geschehn. Nicht
nur aber hat er dies nicht gethan, (ich hatte ihn gebeten,
es an meinen Onkel zu schicken), sondern auch auf wieder-
holte Briefe gar nichts von sich hören lassen. Könntest Du
unter der Hand erfahren, warum? Das Geld wäre mir
nämlich gerade jetzt ein Verlust, da ich darauf einiger-
maßen gerechnet habe.
Giesel grüßt looooomal.
Dein
Herman.
Von Herman Grimm
Rom den 26. Februar i863.
Liebster Joachim,
Du kannst Dir wohl denken, wie uns Dein Briefe)
überrascht und erfreut hat. Welch ein Glück, daß Du
der grausamen Einsamkeit, zu der Du bisher verurtheilt
*) liegt leider nicht vor.
Von Herman Grimm 287
warst, so schön entronnen bist. Ich sage nichts weiter, als
daß wir Dir von ganzem Herzen Glück wünschen. Giesel
würde es Dir nicht bloß duich meine Hand sagen, wenn
das Schreiben nicht für sie noch ein so sehr anstrengendes
Geschäft wäre. Dem Himmel sei Dank, daß es ihr in der
letzten Zeit ein wenig besser geht.
Liebster Joachim, Du schreibst von Kommen, von der
Hoffnung, wirklich zu Ostern hier sein zu können, und
lassest freilich schon den Hinweis auf die Papiere einfließen.
Erstens zweifle ich nun nicht daran, daß ihr statt in 4 ^^^
8 Wochen noch nicht soweit sein werdet, denn diese Dinge
schleppen sich mindestens sehr in die Länge, zweitens aber
geht es wegen Giesel nicht. Bei Dir allein hatten wir dar-
auf gerechnet, daß wir beide, ich und Du, den Tag über
zusammen herumliefen und Du Abends hier und da bei
uns wärest, wenn Deine Frau aber mit Dir ist, so läßt sich
eine solche Zurückhaltung gar nicht durchführen. Giesel
würde sich anstrengen, ohne selbst zu wissen, daß sie es
thäte vielleicht, und es muß, bis daß sie wieder gesund ist,
auch das Geringste vermieden werden, was sie auf dem
guten Wege aufhalten könnte. Laß uns deshalb im Som-
mer in Deutschland irgendwo zusammentreffen; ich glaube,
es ist das vernünftigste.
Nun lebwohl. Gieb uns doch von Zeit zu Zeit Nach-
richt und laß uns wissen, wie die Dinge glücklich weiter
gehn.
Dein Herman.
Hüpeden grüßt und triumphirt im Namen der Stadt
Hannover.
Meine herzlichsten Gratulationen für Dich und Deine
Braut.
Gisela.
An Eduard Möller in Bremen
An Eduard Möller in Bremen
[Hannover] Am 26"=" Febr. [i863].
Verehrter Freund
Herzlichen Dank für Ihre liebenswürdige Einladung,
noch mehr aber für Ihre theilnahmvolle Rücksicht.
So sehr es mich nun freuen würde, dem, ich darf wohl
sagen, befreundeten Musikpublikum in Bremen mit meiner
Braut in einem Concerte vorgestellt zu werden, halte ich
es doch für besser, wenn ich diesmal noch allein komme.
Es würde mich doch ein Gefühl anwandeln (und gerade
Sie werden mir darin nicht Unrecht geben), als appellirte
man nicht rein an das Kunstinteresse des Publikums, und
mir widerstrebt nichts mehr, als das Hineinmengen von
Privatrührungen und Empfindungen in öffentliche Be-
ziehungen! So nehmen Sie denn mit mir allein fürlieb;
Sie sind doch wohl nur durch ein Mißverständnis Hillers
darauf gekommen, dem ich wahrscheinlich gesagt haben
werde, daß ich mir die Passionsmusik in Cöln mit anzu-
hören gedächte. Die verehrte Bremer Concertdirektion aber
möge mir nicht falsch auslegen, wenn ich die Einladung
für meine Braut (die heute in Hamburg ist) dankend ab-
lehne; ich hoffe, daß sie als meine Frau ihre Musik nicht
aufgeben werde, und gewiß wird sie später nirgends lieber
singen als in Bremen, zu dem ich so alte theuere Be-
ziehungen habe. — ... Das Beethoven'sche Concert ist mir
ganz recht; vielleicht Adagio & Rondo von Kreutzer als
2'^^ Stück! Allen Ihren Lieben die herzlichsten Empfeh-
lungen.
In alter Treue und Verehrung
Ihr
Joseph Joachim.
An Clara Schumann 289
An Clara Schumann
[Hannover] Am i3'^" März [i863].
Liebe, verehrte Freundin.
Sie haben mir neuhch durch Ihre und Ihrer heben Marie
Zeilen eine echte, schöne Freude bereitet. Meine Ursi
wird Ihnen recht von Herzen gedankt haben. Daß ich es
noch nicht selbst gethan, liegt an einer Menge Beschäfti-
gungen, die in der letzten Zeit mir zufielen. Ich werde
Ihnen einmal von der Zeit erzählen. Heute ist's mir bloß
darum zu thun, Ihnen noch besonders zu sagen, daß die
Faust-Aufführung am 21'^" definitiv vor sich gehen soll.
Ich will eben in die vorletzte Chorprobe am Klavier. Sonn-
tag wird die letzte sein; Montag morgens dann eine für
Orchester allein, Dienstag, Donnerstag und Freitag En-
semble Proben. Könnten Sie doch zur Hauptaufführung
kommen! Schreiben Sie mir, bitte, ja recht bald eine Zeile,
ob's möglich ist, damit ich mich nicht vergebens, oder
recht tüchtig voraus freuen kann! Stockhausen hat sich
recht tüchtig und als begeisterter Musiker gezeigt; er hat
fast alle Arbeit ganz allein gethan ! Sehr möglich ist's auch,
daß ich am i4"^" April zum Geburtstag der Königin den
Orpheus von Gluck einzustudiren bekomme, und aufzu-
führen. Der König dachte mir diese Freude zu, da Scholz
auf unbestimmte Zeit nach Rom verreist. Aber Platen u.
Fischer rühren einstweilen alle Hände dagegen; obwohl
es die letzte Rolle ist, die meine Braut einstudiren wird,
u. sie also mir das Vergnügen der Direktion gönnen könnten,
schon aus diesem Grund! — Wenn wir uns nicht sehen,
so schreibe ich Ihnen ausführlich über den Faust. Ich
kann gar nicht genug sagen, wie sehr ich mich darauf
freue. Unsere Heirath wird wohl erst im Mai sein. Ursi
grüßt von Herzen, wie ich stets verbleibe
Ihr getreu ergebner j^^^pj^ Joachim.
>9
290 An Herman Grimm
An Herman Grimm
[Hannover] Sonnabend den i4'*" März [i863].
Lieber Herman.
Ich muß Dich um eine GefälHgkeit ersuchen, die Du, wie
ich glaube, leicht ausführen kannst, da Dir wahrschein-
lich der Einfluß der Preußischen Gesandtschaft (oder durch
Hüpeden, der Hannoverschen) zu Gebot stehen wird. Mein
Kollege Scholz, der einzige musikalische Freund, den ich
hier hatte, reist in den nächsten Tagen nach Rom. Natür-
lich ist es ihm wichtig, die Charfreitags- und Oster-Musiken
in der päbstlichen Kapelle zu hören. Er fürchtet aber,
wenn nicht schon vorher Schritte geschehen, um ihm die
nöthigen Eintrittskarten zu verschaffen, die Ceremonien
einzubüßen. Deßhalb eben die Bitte an Dich, auch für
Scholz eine Erlaubniß zu erwirken, die Feierlichkeiten von
einem guten Platz aus mitzumachen, wenn Du dies ohne
zu große Opfer thun kannst. Scholz wird Takt genug be-
sitzen. Euch nicht zu geniren, wenn Ihr allein sein wollt;
möglicherweise aber wird es Dir auch willkommen sein,
die Musik mit einem intelligenten Fachmann anzuhören.
Scholz hat viel ältere italienische Musik studirt, ist über-
haupt einer der besten unter meinen Jüngern Fachgenossen,
und hat neulich ein Requiem von sich aufgeführt, in dem
mir vieles sehr zusagte. — Leider hattest Du nur zu sehr
Recht, als Du prophezeitest, es würde mit den Heiraths-
Anstalten nicht so rasch gehen! Ich will froh sein, wenn
ich Euch im Mai in der Schweiz oder sonst entgegen
fahren kann! Aber etwas Angenehmes ist mir doch ge-
boten : der König hat die Aufmerksamkeit gehabt, mir das
Einstudiren und Dirigiren des Orpheus (für den Geburts-
tag der Königin am i4'^" April) zuzudenken. Es ist die
letzte Rolle meinei^ Braut. Ich verspreche nicht, zu schrei-
ben, wilTs aber thun. Adieu, Dir und der lieben Gisel von
J. J.
Von Bernhard Scholz 291
Von Bernhard Scholz
[Rom] 4. April i863.
Ihr Lieben, wenn Ihr Euch meiner nur halb so oft er-
innert habt, als ich trotz dem Empfang soviel neuer
Eindrücke an Euch gedacht habe, so will ich zufrieden
sein, — doch sei's Euch auch verziehen, wenn's nicht der
Fall war, denn es ist Thorheit, an Brautleutchen auch nur
geringe Anforderungen in dieser Beziehung zu stellen. Da
man sich aber doch nur schwer an den Gedanken gewöhnt,
daß, die man liebt. Einen nur noch so beiläufig im Ge-
müthe tragen, so will ich ein wenig Tyrannei üben und
mir durch üebersendung dieser Zeilen die Freude erzwingen,
daß Ihr Euch wieder einmal, und wär's nur auf ein paar
Minuten, mit Eurem alten Bären befaßt.
Dir, lieber Freund, muß ich vor Allem sagen, daß Deine
Freunde mich aufs Liebevollste aufgenommen haben und
daß wir uns so gut vertragen, daß ich täglich bei ihnen
bin. Ich schätze es als ein großes Glück, sie hier gefunden
zu haben, und wünsche nur, daß ihnen meine häufigen
Besuche nicht lästig fallen. Sie fordern mich zwar immer
dringend dazu auf, und so will ich hoffen, daß das Gefallen
einigermaßen gegenseitig ist. Leider wird mir diese Freude
bald genommen, da Grimms Abreise schon auf den i5""'
fest bestimmt ist.
Wieviel Schönes ich schon gesehen und genossen, ist gar
nicht zu erzählen — eigentlich habe ich bis dahin doch
mehr gesehen als genossen; es ist eine solche Menge Stoff
zu bewältigen, daß der ruhige Genuß erst beginnen kann,
wenn man, im Allgemeinen orientirt, an die Orte, zu den
Bildern, Sculpturen oder Bauwerken, zurückkehrt, die man
lieb gewonnen hat; ich sehe für die Zeit meines Aufent-
halts einem unerschöpflichen Genuß entgegen.
Vor Allem ist der Reichthum Roms an den herrlichsten
292 Von Bernhard Scholz
Antiken groß. Wie oft, liebe Ursi, habe ich, dieselben be-
trachtend, an Dich denken müssen und gewünscht, Du
hättest Dir hier Vorbilder zu Deinem Orpheus holen können.
Ein darstellender Künstler kann nirgend soviel lernen, als
gerade hier, wo ihm die Antike ein ewig gültiges Beispiel
für stylvolle Darstellung der größten Natureinfachheit ist.
Wieviel könntest Du hier lernen! Wenn Du diese Zeilen
zu Gesicht bekommst, ist die Aufführung des Orpheus nahe
bevorstehend ; ich werde an dem Abend viel an Dich denken
und Dir den Daumen einschlagen, wie ich es auch am
Palmsonntag Abend redlich für Dich gethan habe. Daß
ich Deinen Orpheus nicht sehen kann, thut mir recht weh.
Hatte ich mich doch den ganzen Winter über darauf am
meisten gefreut. Du spielst ihn mir später noch einmal
vor — gelt? Gestern habe ich Rienzis Haus gesehen. Du
lagst aber, Gott sei Dank, nicht unter den Trümmern. In
den Palast „Orsinis und seiner Rotte" haben sie mich nicht
hineingelassen; wahrscheinlich hat der Portier Lunte ge-
rochen, daß ich mit Dir befreundet bin. Nun will ich Dich
nächstens bei Colonna aufsuchen.
Ihr habt, wie mir Luise schreibt, den Faust so schön auf-
geführt, und das freut mich von Herzen, denn ich hatte,
ehrlich gestanden, ein wenig Sorge darum, weil Du, lieber
Freund, so gar nicht gewohnt bist, mit Dilettanten zu ar-
beiten. Um so schöner ist das Gelingen der Aufführung.
Ich bin erstaunt, zu finden, daß hier in Rom gute Musik
anfängt, Boden zu gewinnen. Es werden ganz gute Kam-
mermusiksoireen gegeben. Neulich fand ich folgendes Pro-
gramm angeheftet:
i) Quartett v. Mozart
2) do „ Haydn
3) Kreutzersonate v. Beethoven.
Dann wieder in einer andern Soiree: Quartett von Che-
rubini, Quintett von Schumann.
Schumann in Rom! Was sagst Du dazu? Um so mehr
Bernhard Scholz an Amalie Wels 298
war ich diesen Zeichen der Besserung gegenüber vom gänz-
hchen Verfall der päpstlichen Kapelle entsetzt. Das Volk
singt geradezu scheußlich. Sie intoniren unrein, die Stim-
men sind nicht im Geringsten gebildet, sie phrasiren und
interpunctiren ungefähr so, wie der Prolog im Sommer-
nachtstraum — kurz, es ist ein heller Graus, und ich dis-
pensire mich davon, sie je wieder zu hören. Erlauben sie
sich doch sogar Verballhornisirung Palestrinas mit Schnör-
kelchen, Mordentchen u. Trillern — sogar den schänd-
lichsten Bockstrillern, die ein abscheußlicher Castrat mit
größter Süffisance losläßt; es wäre lächerlich, wenn's nicht
empörend wäre.
Und nun lebt wohl für heute und gönnt mir bald ein-
mal ein Lebens- u. Liebeszeichen. Ihr erfreut damit sehr
Euern alten
Bären.
Bernhard Scholz an Amalie Weis
Rom 9. April i863.
Gute Olle, Deine lieben Zeilen, die ich durch abscheu-
liche Nachlässigkeit der Postbeamten erst heute er-
hielt, haben mich recht von Herzen erfreut. Daß Du jetzt
so lieb an mich und von mir denkst, und daß Du mir so
bald geschrieben, rechne ich Dir doppelt hoch an. Für
heute nimm nur meinen warmen Dank für Deine guten
Worte und behalte mich lieb, wie ich Dich lieb habe.
Küsse meine Herzensfrau und gib auch Deinem Joseph
einen Kuß von mir; er möge mich nicht ganz vergessen.
Ich meine übrigens. Du könntest mich in Zukunft mit
meinem Vornamen oder, wie Du sonst willst, anreden, nur
nicht mehr „Lieber Scholz", — von Dir klingt mir das
gar so komisch, od^r soll ich's mit „liebe Weis" erwidern?
In Kurzem beziehe ich eine schöne Wohnung auf dem
294 ^n Clara Schumann
Tarpeischen Felsen; wenn ich dort nicht fleißig bin, stürze
ich mich selbst als Capital- und Capitolverbrecher hinab.
(NB. Der Witz könnte von ihm sein, oder hat er sich's
seit meiner Abreise abgewöhnt?)
Laß bald wieder was von Dir hören und adressire
B. Scholz
casa Tarpea
Roma.
Leb wohl für heute, nächstens mehr! Ich bleibe auch
ferner
Dein treuer Bruder
Bernhard
An Clara Schumann
[Hannover lo April i863.]
Liebe Frau Schumann.
Sie sind, hoffe ich, wieder wohlbehalten im lieben Deutsch-
land, und ich darf wohl die Frage thun, ob Sie zum
j5ten fQj, jjg Orpheus -Aufführung die Fahrt nach Han-
nover unternehmen mögen. Wie sehr sich meine Braut
und ich von Herzen freuen würden, das wissen Sie; leider
kann ich nicht auch, wie ich Anfangs gehofft hatte, eine
Wiederholung der Faust-Aufführung biethen ! Unter diesen
Umständen ziehen Sie am Ende vor, erst zu einer 2'^" Auf-
führung des Orpheus zu kommen (die im Lauf des Mo-
nats nicht ausbleiben kann), wenn ich Ihnen sage, daß ich
am 17**" in Hamburg spielen muß, also Sie gleich am 16'*"
zu verlassen gezwungen wäre. Bitte, liebe Frau Schumann,
schreiben Sie mir gleich ein paar Zeilen, wie Sie darüber
denken, und überhaupt, zu welcher Zeit (den 20 bis 24'^"
ausgenommen, wo ich in Hamburg Quartett-Soireen gebe)
Sie am liebsten kämen, wenn's nicht gleich sein sollte.
Vielleicht ließe sich der König, wenn Ihr Kommen da-
Bernh. Scholz an Amalie Weis 296
mit verbunden wäre, bestimmen, den Faust für diese Zeit
nochmals zu befehlen. Die Orpheus -Proben, das Früh-
lingswetter, die Einrichtuugssorgen, unsere letzte Quartett-
soiree übermorgen, all das macht mir den Kopf so warm,
daß ich mit einem herzlichen Gruß schon wieder schließen
muß, obwohl es so vieles zu plaudern gäbe. Möchten wir
uns bald mündlich erzählen!
Ihr und der Ihrigen
treuergebner
Joseph Joachim.
Sneewittchen grüßt vielmals Sie und Frl. Marie.
Bernh. Scholz an Amalie Weis
Rom i8 April i863.
Meine liebe, gute Olle! Deine zwar kurzen, aber in-
haltreichen Zeilen fordern eine eingehendere Ant-
wort, als ich Dir sie neulich geben konnte.
Du hast mir zehnmal mehr Liebes und Gutes gesagt, als
ich je verdient habe oder verdienen kann. Was ich Dir an
Freundschaft erwiesen, hast Du mir reichlich vergolten,
und dann habe ich Dir meine Zuneigung nicht einmal als
freiwillige Gabe entgegengebracht, sondern mir ging's wie
allen Andern: ich mußte Dir gut sein und bin nur Dir
Dank schuldig, daß Du mich vor Andern werth gehalten
hast. Wie Du, habe auch ich's schon oft bedacht, was uns
so rasch einander nahe gebracht hat. Zuerst, — ich will
nicht besser scheinen, als andere Männer — war es doch
wohl das hübsche Mädchen mit der schönen Stimme, das
mich anzog. Ich will mich aber auch nicht schlechter
stellen, als ich bin: das hübsche Gesicht allein hätte mich
nicht für Dich eingenommen, aber Dein gutes Gesicht hat
mich vermocht, Dich in mein Haus und meiner lieben Frau
zu bringen, und die treuen Augen, hinter denen kein Falsch
sein konnte, haben mich nicht betrogen. Die Wahrheit
296 Bernh. Scholz an Amalie Weis
in Deinem ganzen Sein und Wesen war's, die mich zu Dir
hinzog. In der Sphäre, in der ich soviel Eitelkeit, selbst
Niedrigkeit begegnet war, warst Du die Erste und Ein-
zige, in der ich echte, schlichte Mädchenhaftigkeit mit
wahrem Kunsteifer, mit großen Gaben und reiner Begeiste-
rung für das Ideale vereint gefunden hatte — und daß ich
dies gefunden habe, und wäre es auch nur das eine Mal,
das danke ich Dir von Herzen und werde es als einen
großen Gewinn achten mein Leben lang, denn es hat meine
Verehrung für das „Ewig Weibliche" um Vieles erhöht
und gekräftigt. Weil ich Dich aber so hoch hielt, drum
konnte ich es nicht vertragen, wenn auch nur ein Hauch
den Spiegel Deiner Seele trüben wollte, und ich habe Dich
oft geplagt mit langweiligen Predigten und Sermonen, wohl
mehr als billig; aber Du hast mir immer geduldig zuge-
hört, und daraus erkannte ich am meisten, daß Du was
auf mich hieltest.
Du hast mich ferner überzeugt, daß schlichte Wahrheit,
und Leistungen, die recht von Herzen kommen, selbst bei
einem verbildeten Publicum die rechte Stelle treffen und
über alle Afifectation und alles Raffinement schließlich
siegen, und Du hast mir in dem Jahre unseres gemein-
schaftlichen Strebens wahre Freude an meinem offiziellen
Beruf, und zuletzt lebhafte Anregung gegeben. Daß ich
das von nun an entbehren soll, fällt mir unsäglich schwer,
und nur der Gedanke an Dein, meiner lieben Schwester
Glück, und dazu an der Seite eines Freundes, wie Joachim,
vermag mir darüber hinwegzuhelfen. Noch bin ich frei-
lich über meine alten Pläne nicht zum Abschluß gekom-
men. Immer wieder zieht's mich zu Medeen, und immer
wieder muß ich mir doch sagen, daß die ürsi, für die ich
eine Oper schreiben wollte, an deren Fortschritten ich mich
tagtäglich erfreute, dahin ist. Darüber, liebe Olle, können
mich auch Deine gewiß aufrichtigen Ermunterungen nicht
beruhigen, denn die Verhältnisse sind stärker als der Mensch,
Bernh. Scholz an Amalie Weis 297
und Du kannst mir nicht versprechen, was Du — ich
weiß es wohl — gern erfülltest und mir zu Liebe thätest.
Jedenfalls sollen Deine Ermahnungen zum Fleiß nicht
fruchtlos verhallen. Der erste Sturm, fast Wirbelbind zu
nennen, der neuen Eindrücke fängt an sich zu legen, und
ich werde bald ein wenig Einkehr bei mir selbst halten
können. Nächsten Montag beziehe ich meine stille Woh-
nung auf dem Capitol mit der herrlichen Aussicht auf das
Forum und seine Umgebung; dazu bekomme ich endlich
einen guten Flügel. Beides wird mich zu Hause halten,
und ich freue mich aufs Arbeiten auf meinem Balcon im
Duft der Citronbäume. In den 2 Monaten, die ich noch
hier bleiben will, wird dann doch vielleicht etwas Ge-
scheides fertig, und sollte es etwa eine Medea werden, —
nun, so mußte es eben sein; dann werde ich sie Dir bringen
und Dir sagen: „Da ist sie, nun mache damit, was Du
willst!" — und das Andere wird sich dann finden, und was
Du thust, wird Recht sein.
Über die Faust-Aufführung habe ich von Luise erfreu-
lichen Bericht; aber ich bin gar begierig, nun etwas über
den Orpheus, und zwar von Dir selbst, zu hören. Du mußt
mir genauen und getreuen Bericht darüber geben. Wie
hast Du den Schluß des ersten Acts dargestellt? Wie ge-
langen Dir die vielen Recit:, wie die Furienscene und dann
wieder die große, lichte Arie im Hain der Seligen? Wie
bist Du mit Caggiati-Eurydice zurecht gekommen? — Und
Dein Joseph soll mir schreiben, wie es ihm am Opernpult
zu Muthe war, wie er mit Begleitg. der Rec. fertig wurde,
wie er mit Rottmayer ^) u. s. w. auskam. Das Alles interes-
sirt mich, der Karnickel von der ganzen Sache war, nicht
wenig. Es wäre so wie so Zeit, daß er mir einmal schriebe;
siehst Du, an dem hab' ich's verdient, daß er was auf
mich hält, aber — — *) Sollte er indeß in Schreibfaulheit
ganz verstockt sein, so laß Du mich deshalb nicht warten.
^) Hoftheaterdirektor.
298 Bernh. Scholz an Amalie Weis
Der Zeitpunct Eurer Hochzeit ist also doch nicht vor-
wärts gerückt worden ; wenigstens schreibt mir Luise, daß
gar nichts darüber verlaute, und daß sie deshalb Ende April
mit den Kindern zur Mutter ziehen werde. So wird also
Niemand von uns an Deinem Ehrentage zugegen sein ! Das
betrübt mich ernstlich; hattest Du uns doch berechtigt,
uns als die Deinen anzusehen. Du mußt mir aber Tag
und Stunde der Trauung und Alles früh genug mittheilen,
damit ich Euch wenigstens im Geiste überallhin begleiten, —
mitfeiern kann. Und dann mußt Du mich immer wissen
lassen, wo Ihr nachher seid, damit wir in Verkehr bleiben
können. Wo werde ich Euch wohl zuerst wiedersehen? —
Sollte es Dich im Laufe des Sommers gar nicht einmal an
den Rhein ziehen, wo Du doch auch manche gute Stunde
verlebt hast? — Ich bin Mitte Juli gewiß wieder zu Hause,
d. h. dort bei den Meinen — und wenn Ihr dann kämet,
könnten wir recht vergnügt sein, und ich verspreche Dir
auch, auf jedem Fels, und wo und wann Du willst, tüchtig
zu juchzen und zu schreien.
Und nun leb' wohl für heute! Von meinem hiesigen
Leben erzählt Dir Luise Alles. Bringe ihr die einliegenden
Zeilen selbst! — Ich wollte Dir heute nur mein Herz aus-
schütten u. Dir sagen, daß auch Du mir „mehr Liebes
u. Gutes erwiesen hast, als Du weißt". Ich werde
die heiligen u. die fröhlichen Stunden nie vergessen, die
wir schon zusammen verlebt haben, und wünsche, daß uns
auch die Zukunft noch manches Schöne u. Gute in Ge-
meinschaft werde genießen lassen. Laß Dir von Deinem
Joseph einen herzlichen Kuß für mich geben und gib ihm
einen von mir.
In alter, brüderlicher Treue
Dein Bernhard.
Meine Adresse ist: B. Scholz, casa Tarpea Rom.
*) Das „aber" ist nicht so schlimm gemeint; es gilt nur
hie und da einmal. Anm. d. Setzers.
An Bernh. Scholz 399
An Bernh. Scholz
Hannover am 27'*" April [i863J.
Mein lieber Bernhard!
Du hast mir schon manchen Gruß gesandt, wenn auch
nicht direkt! Doch habe ich wenigstens Deine Schrift-
züge oft zu sehen gekriegt und schließe daraus, daß Du
in Ermangelung meiner Gesichtszüge auch gern einmal
meine Krakelfüße begrüßen wirst. Und darum schreibe
ich — denn, soll ich nur ehrlich sein, was ich allein jetzt
in ganzen Bogen schreiben möchte, das kann ich doch
nicht als Brief, der auch einen andern Menschen interes-
siren soll, nach Rom schicken. Ich habe, nachdem nun
die Aufführungen (Faust, Orpheus, Schubertconcert) vor-
bei sind, nur die eine Sehnsucht, aus dem Zustand der
Heimathlosigkeit für meine Braut und mich herauszu-
kommen! Es wird aber noch bis Ende Mai nichts aus der
Hochzeit werden — sämmtliche Gastrollenversuche ^) sind
bis jetzt ungünstig ausgefallen, und es widerstrebt mir
nun einmal, Verpflichtungen im Gnadenweg aufheben zu
lassen. Lieber noch muthig die 5 Wochen ertragen! Die
Papiere sind glücklicherweise alle in meiner Seitentasche,
während ich Dir da schreibe, und — was noch schöner
ist, die, welche sie mit angehen, sitzt neben mir und freut
sich, daß ich an den Bär schreibe, für den sie nun einmal
ein besonderes faible hat. Sie blättert im Mozart von Jahn — ,
— und ich will gleich auch die Seite umdrehen. Über-
morgen ist Fidelio; dirigirte ich ihn, oder doch Du! Mit
dem Taktschlagen zur Oper ist's ein eigen Ding; aber ich
habe mich nach den ersten zwei Orchesterproben des
Orpheus doch so drein gefunden, daß ich Dir bei der Auf-
führung als Substitut keine Störung verursacht habe,
worüber hoffentlich Frau Luise schon berichtet haben
*) als Ersatz für seine Braut, die die Bühne verlassen wollte.
3oo An Bernh. Scholz
wird. Die Oper ging wirklich musikalisch gut und hat
mir und den Guten im Publikum eine ächte Freude be-
reitet. Gestört hat mich eigentlich bloß das Arrangement
der Elysiums-Scene, das nicht duftig und belebt genug
war; sie kennen hier nur tanzen oder plump glotzend
ruhen, und unter solchen Umständen muß man als Kapell-
meister die Augen in die Partitur untertauchen und da
Homer und Dante träumen, aber nichts von Rottmayer
und Hoffman verlangen. Überhaupt, wie schleuderisch
wird doch bei so einem Kunstinstitut verfahren — es ist
aber an eine Reform nicht zu denken, denn das Princip
ist eben ein falsches. Von Tag zu Tag für die Unterhaltung
des Parterres sorgen, ist eine Platens würdige Aufgabe.
So lang der König nichts andres fordert, läßt sich nichts
machen.
Denke Dir, daß bei der General-Probe das Gostüme des
Orpheus für meine Ursi nicht fertig war, und daß wir
ohne Dekorationen und ohne Maschinisten probirten: ob-
wohl ich die Vorsicht gehabt hatte, 1 4 Tage vorher Platen
u. Rottmayer die namentlich von letzterem vollkommen
gebilligte Bitte vorzutragen, es möchte bei der letzten
Probe schon alles wie bei der Vorstellung selbst einge-
richtet sein. — Doch wozu Dir den sorgenfreien Aufenthalt
durch Klagen trüben, die du eben zu vergessen nach Rom
gingst. Wir werden im Herbst früh genug Trübsal-Duette
dieser Art blasen. Mir blüht übrigens noch ein Concert
für den Geburtstag des Königs, noch außer den Kata-
komben ^). Da ich ohnedieß hier sein würde, konnte ich's
der Königin nicht abschlagen, dafür zu arbeiten. Könnte
meine Ursi früher fort, so hätte ich auf mein Recht ge-
pocht; denn viel Freude ist in Herrenhausen nicht zu
holen. Voriges Jahr um die Zeit fanden wir das freilich
nicht: Che farö war schön! Dies Jahr werd' ich am 27'^"
ohne Dich und Deine Frau sein. Daß diese uns auch so-
*) Oper von Hiller, die aber erst im September aufgeführt wurde.
An Bernh. Scholz 3oi
bald verläßt, ist gar betrübt für die Brautleute. Da wir
nicht ganz in aller Stille uns auf dem Lande trauen lassen
können, werden wir gerade die liebsten Hannoverschen
Freunde doppelt vermissen, das kannst Du glauben, lieber
Bernhard. — Von Herzen lieb war mir's zu vernehmen,
daß Du mit Grimms oft zusammen gekommen bist; ich
hatt' es gewünscht, aber kaum gehofft, des leidenden Zu-
standes von Gisela wegen. Es war mir wahrhaft tröstlich,
daß sie doch zu einer neuen Bekanntschaft Lust hatte.
Willst Du mir einen rechten Liebesdienst erweisen, so
schreibe mir über Grimms recht ausführlich. Sie wer-
den wohl nun schon auf dem Weg nach Paris sein. Von
nun an, da wir nicht mehr durch Vermittlung Deiner
lieben Luise über einander hören, müssen wir uns regel-
mäßig schreiben, und darum schicke ich auch diese Zeilen
ab, damit ein Anfang gemacht sei. Viel steht leider
nicht darin! Mein Quartett grüßt Dich; die Herrn
sind eben von einer Fahrt nach Hamburg mit mir zurück-
gekehrt. Die Anregung und 90 Thlr:, die uns Jedem zu-
fielen, machten ihnen Spaß. Stockhausen rutscht noch ab
und zu durch Hannover. Frau Schum: u. Jahn waren
zum Orpheus da. Doch basta per oggi, stolzer Kapitol-
bewohner. Dein
J. Joachim.
Ursi schreibt nach dem Fidelio.
Am 28"^".
Lieber Freund
Der Brief ging gestern nicht mehr ab ; nun kann ich,
damit wenigstens etwas der Mühe werthes darin
steht, sagen, daß ich eben aus der Fidelio-Probe komme.
Leonore hat recht Beethovensch gesungen, und es war
eine Herzensfreude für mich. Ich soll ihren eigentlichen
Kapellmeister grüßen; der welcher dirigirte^), ist's wahr-
*) Kapellmeister Fischer.
3o2 Von Bernh. Scholz
lieh nicht. Der Kerl hetzte das Finale nach Noten ! Deine
Louise saß in der ganzen Probe neben mir.
Die dumme Olle grüßt Dich herzlichst. Nicht minder
Dein
Joseph.
Von Bernh. Scholz
Rom 3o. April i863.
Mein lieber Freund! Gib Deiner Ursi am Morgen des
lO'*" beiliegende Zeilen und danke ihr nochmals
herzlich für mich, daß sie mir so lieb und gut geschrieben
hat. Sie möge mir die Freude noch recht oft, soviel es ihre
Zeit erlaubt, machen.
Du Schreibfaullenzer verdienst zwar keine Zeile von
mir; wenn ich Dir selbst aber nicht schreibe, so hat das
doch nicht den Grund darin, daß ich Dir böse wäre, son-
dern weil ich denke, daß die Briefe an die Olle auch für
Dich gelten u. Du außerdem bisher genug durch Luise
erfahren konntest.
Ich bin froh, und Rom ist herrlich. Ich muß Dir noch
besondern Dank für Deine Verlobung sagen, weil ich da-
durch als Dein Substitut zur Reise kam.
Liszt habe ich neulich auf der Straße in Gesellschaft
eines Pfaffen gesehen, in demüthiger Haltung, stets ver-
bindlich, ergebenst, gefällig lächelnd .... Unter seinen
Auspizien wurden diesen Winter 6 Concerte classischer
Vocalmusik hier gegeben, in denen Palestrina, Bach, Händel,
Curschmann, Mendelssohn, Mozart — und Liszt gesungen
wurde. Er verkehrt viel mit clericalen Kreisen . . .
Im üebrigen grüße Brinkmanns, alle Freunde, vorab
den alten Herrn Nicola, bessere Dich und schreibe bald
Deinem
Bh.
Von ßernh. Scholz 3o:
Von demselben
Rom 5. Mai i863.
Du sollst nicht lange auf Antwort warten, mein lieber
Freund. Dein Brief hat mich so angenehm über-
rascht, daß ich sofort die Feder ergriffen habe, um dir da-
für zu danken. Du brauchst bei mir nicht zu fürchten,
daß mich das, was Du allein gern schriebst, langweilte; im
Gegentheil, freuen wird mich Alles, was Du mir von
Deinem Glücke zu sagen weißt. Auch ich habe für Deine
ürsi ein gewaltiges faible, und die Freude beim Erblicken
Deiner Schriftzüge hat mich wieder einmal so recht leb-
haft daran gemahnt, wie gut ich Dir eigentlich bin,
Luise hat mir s. Z. den guten Ausgang des Orpheus
schon berichtet. Fidelio^) wird nun wohl auch glücklich
überstanden sein. Es thut mir sehr leid, diese beiden
Leistungen Deiner Braut versäumt zu haben, denn gerade
diese habe ich doch am sorgfältigsten mit ihr vorbereitet,
und ich hatte mich den ganzen schlimmen Winter über
darauf gefreut und darin einen Ersatz für die viele Quälerei
meines Berufs zu finden gehofft. — Es mag schlecht klingen,
daß ich, der ich hier so Herrliches genieße, darüber
klage — doch hing mein Herz und mein Wunsch daran.
Wenn ich an den nächsten Winter u. seine Berufsfreuden
denke, graut mir wahrhaft. Ich kann mir jetzt nicht vor-
stellen, wie ich's aushalten werde, und ich glaube auch
nicht, daß ich's noch lange aushalten werde. Es kann
schließlich nicht meine Bestimmung sein, wie Du's richtig
bezeichnest, im Complott mit Platen die Lieutenants im
Parquett zu amüsieren. Soll ich darum mir und meinen
Eltern und Geschwistern Trennung auferlegen, mir Sorgen
und Aerger aufbürden, um schließlich mein eigenes Wirken
verächtlich, lächerlich zu finden? — Ich hatte mitunter
') Abscliiedsvorstellung von Joachims Braut.
Von Bernh. Scholz
geträumt, etwas bessern zu können. Die Olle und ich
wollten ja das deutsche Theater reformiren, Sie hat das
bessere Theil erwählt, und ich seufze darnach, auch diese
Last, die mir Muth und Frische zu Boden drückt, abzu-
schütteln.
Aber davon nichts weiter! Bringe die Zukunft, was sie
bringen soll. Die Gegenwart ist eben schön und genuß-
reich.
Wenn der Mensch nicht das Unglück hätte, strebsam
sein zu müssen, käme ich aus lauter Genuß gar nicht
heraus. So aber ist man doch einmal geartet, daß man's
nicht lassen kann, und die Freude, etwas zu vollenden,
wird theuer durch die vorbereitenden Tage des Bildens,
des Ringens mit dem Stoff erkauft. Hoffentlich kann ich
Dir doch was Ordentliches zeigen, wenn ich Dich wieder-
sehe. Ich hoffe, Du wirst auch fleißig sein.
Ich soll Dir viel von Grimms erzählen: Das wird sich
darauf beschränken müssen, welchen Eindruck sie mir ge-
macht haben, denn erlebt, was man so nennt, haben wir
nicht viel miteinander, da sie der Frau wegen ganz still
und zurückgezogen hausten. Anfangs war ich meist Abends
bei ihnen, bis 9^2 Uhr, der regelmäßigen Polizeistunde;
später regten die abendlichen Besuche Frau Grimm zu
viel auf, u. sie sahen ihre Freunde nur noch Vormittags
beim Frühstück. Dann fuhren sie regelmäßig ein wenig
spazieren, nach Tisch schlief Frau Gisela, und diese
Lebensweise führte Herm. Grimm, soweit es das unruhige
Gemüth seiner Gattin gestattete, mit ängstlicher Sorgfalt
durch. Überhaupt habe ich ihn aufrichtig bewundert, mit
welcher Liebe und Schonung, mit welch ausdauernder
Aufmerksamkeit er sie pflegt. Das ist wahrlich nicht leicht ;
denn er muß ihr förmlich jede anregende Unterhaltung
versagen und untersagen, weil sie sonst nicht schlafen
kann; er muß sie doch wieder so zu beschäftigen wissen,
daß sie sich nicht langweilt ; dabei muß er alle die kleinen
Am alle Joacliim
IJüste von Elisiibelli Xey, iSüj
Von Bernh. Scholz 3o5
Liebesdienste im häuslichen Leben, die sonst die Frau dem
Manne erweist, ihr thun; er kocht Thee, Kaffee, Eier, be-
wirthet, kurz ist unermüdlich; er verläßt sie auch höch-
stens einmal auf eine Stunde. — Wie oft habe ich mir ge-
sagt, daß ich, mit ihm verglichen, doch ein wahres Scheusal
an Egoismus und Lieblosigkeit sei. Er ist überhaupt ein
vortrefflicher, und dabei ein geistreicher und liebens-
würdiger Mann, der mir je mehr und mehr gefiel. Er
war auch gegen mich sehr freundlich und hat mir noch
bei der Abreise Goethes italienische Reise auf unbestimmte
Zeit zu Leihe gegeben.
Frau Gisela ist ein merkwürdiges Wesen, erstaunlich
lebendig und vielbegabt, dabei ein ßettinisches Herz, dem
es Bedürfniß ist, zu erfreuen und wohlzuthun; — doch ist
sie nicht frei von einer gewissen Art Eitelkeit — einem
Behagen an ihren Absonderlichkeiten. Es ist ihr Bedürfniß,
wie mir scheint, Leiterin und Lenkerin zarter Männer-
seelen zu sein, die dann durch sie erst zum Genießen und
Würdigen des Schönen erzogen und befähigt werden. Und
wie sie sich etwas darauf zu Gute that, Dich in früherer
Zeit „bemuttert" zu haben, so schien es ihr auch Freude
zu machen, mir erst Rom's Wunder erschließen zu dürfen,
ein Genuß, den ich ihr nicht verkümmern mochte, und der
mir doch auch hie und da nützlich war. Belohnter war
dies ihr Bestreben bei einem jungen Schweizer, Namens
Lutz, einem sehr frischen, empfänglichen Menschen, Ju-
risten, der bis dato sich wenig mit Kunst beschäftigt hatte
und nun ihre feinfühligen Andeutungen mit Avirklich
großem Vortheil nützte.
Außerdem, ich bin Dir volle Offenheit schuldig, ist sie
mir doch für ihr Alter hie und da etwas zu naiv, als daß
ich an völlige Naivetät glauben könnte.
Aber bei alledem sind ihre vortrefflichen Eigenschaften
so überwiegend und setze ich auch manche Sonderbarkeit
auf Rechnung ihres krankhaften Zustands, — daß ich
3o6 Von Bernh. Scholz
doch große Freude habe, sie kennen gelernt zu haben.
Sie ist wirklich sehr zu bedauern, so regsam und theil-
nehmend an allein Idealen, und verurtheilt, sich alle leb-
haft erregenden Genüsse zu versagen. Es ging ihr übrigens
hier, wie es ihr überall gehen wird : sie w ird meistens hart
beurtheilt; die Leute sagen: wenn sie nicht sich zuviel mit
Nerven aufregenden Dingen befaßte und sich mehr um das
kümmerte, was der weiblichen Katur angemessen sei, würde
sie auch nicht so leidend sein. Da bin ich denn natürlich
ihr Advokat und habe oft schweren Stand.
. . . Ich wünsche, daß es ihr in nördlicheren Regionen
besser gehen möge, als hier; denn das römische Klima
sagte ihr gar nicht zu. — Mir convenirt es nun sehr gut,
und ich laufe meine 4 Stunden in der Mittagshitze herum,
ohne daß es mich groß genirt. Gestern war ich z. B. auf
der Via Appia bis Casale Rotondo, 6 Miglien vor dem Thor,
und habe trotz des staubigen Wegs und der glühenden
Sonne die größte Freude an der wunderbar gelegenen
Straße gehabt. Die Campagna ist doch gar zu schön ! Man
versteht durch sie erst die Landschaften auf Rafaels u.
seiner Vorgänger Bildern, wie umgekehrt diese Bilder erst
wieder die Campagna sehen lehren. Eine merkwürdige
Reinlichkeit und Bestimmtheit der Linien, deutlich hervor-
tretende Architectur des Erdreichs, der Formation, un-
gedeckt durch das krause Gewirr üppiger Vegetation, die
hier nur durch einzelne schöne Bäume oder kleinere Baum-
gruppen vertreten ist, geben der Campagna den eigenthüm-
lichen Typus der Einfachheit und Klarheit. Die ruhigen
Linien der Aquäducte, die sie durchziehen, erhöhen den-
selben, und die waldlosen Gebirge im Hintergrunde mit
ihren deutlich begränzten Hügelzügen und Felsrippen
stimmen vollkommen zur Composition des Vorder- und
Mittelgrundes. Das strahlende Sonnenlicht und die durch-
sichtigste Luft lassen denn auch Alles selbst in weiter
Ferne ganz hell und genau erscheinen. Wie anders bei
An Bernh. Scholz 807
uns am Rhein! Nicht, daß die Landschaft nicht ebenso
schön und schöner wäre, aber sie ist so verschieden von
der hiesigen, wie deutsche und itahenische Kunst, und man
erkennt an diesem Vergleich am deutlichsten, wie innig Kunst
und Natur sich durchdringen, d. h. in ächten Kunstwerken.
Einen recht interessanten Ausflug habe ich neulich nach
Prima Porta gemacht, wo neuerdings an einer Villa der
Livia ausgegraben wird. Man hat bereits eine sehr schöne
Statue des Augustus gefunden und hofft noch reiche Aus-
beute. Außerdem ist die Lage des Orts sehr schön und
gewährt prächtigen Ueberblick über die wellige Campagna,
in deren Mittelpunkt man sich so recht befindet.
Wunderlich ist auch das Hirtenleben in der unermeß-
lichen Ebene, wie da diese Nomaden sich in den Trümmern
früherer Herrlichkeit oder zerbrochenen Grabmonumenten
häuslich einrichten und zwischen stolzen Säulen dürftig
Flickwerk von Steinen eingefügt haben, um ein paar Mo-
nate des Jahres drin zu hausen. Rings umher grasen die
Pferde, Rinder u. Schafe; man erlebt ein Stück alten
Testaments. Mit der Sicherheit ist es in und um Rom ganz
gut bestellt; in Neapel soll's dagegen recht schlimm stehen;
natürlich wiid auch übertrieben. Es wird mich nicht ab-
halten hinzureisen, aber es vermindert das Behagen.
Lebt wohl, Ihr Lieben, für heute. Lohnt meine rasche
Antwort durch ein Gleiches. Seid herzlich gegrüßt und
behaltet Beide lieb
Euern
Bernhard.
An Bernh. Scholz
[Hannover] am 7'«° Mai [i863].
Mein lieber Scholz ! Deine Sehnsucht nach dem Grimm-
Danteschen Fegefeuer scheint so italisch glühend,
daß ich den Text nach zweitägigem Suchen zu unum-
3o8 An Bernh. Scholz
schränktem Gebrauch überschicke, voraussetzend, daß eben
Grimms selbst Dir den Text zudenken. Von ihnen habe
ich kein Wort gehört; und auch Du schweigst über meine
Freunde. Die Stille hat mir fast etwas schwüles, — Als
ich den Text vor drei Jahren ungefähr bekam, hatte ich
(der herrlichenDante'schenldee und seines ganzen
Gesanges wegen) die Hoffnung, die Worte würden sich
mir zu Musik gestalten. Die, wie mir beim Wiederlesen
scheint, gänzlich unpraktische Fassung des Textes für mu-
sikalische Gestaltung wird indeß auch Dich kaum zur
Komposition kommen lassen, und ich schicke sie Dir eigent-
lich bloß, damit Du Dich selbst zur Beruhigung davon
überzeugen kannst. Aber Du wirst mir's glauben, wenn
ich Dir sage, daß ich Dir das Opfer gebracht haben würde,
auch wenn ich ihn zur Komposition für passender erachtet
hätte. —
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, für Gesang schreiben
zu lernen. —
Gestern war Orpheus zum 2**^" Male; Ursi sang noch
freier als das i'^ Mal, das Haus war voll, der Erfolg wie-
der wahr. Es gieng gut. Leider muß nun meine Ursi bis
zum 10'^" die lustigen Weiber lernen! Daß sie gerade an
dem Tagi) Nicolai singen muß! Mein Glück ist aber so
groß, daß diese kleinen Dinge verschwinden. — Brahms
war drei Tage lang ein herzlich theilnehmender Gast und
hat sich die Herzen Deiner Kapitelkollegen 2) entschieden
gewonnen. Ich empfehle ihn dem Oberkater dringend.
Lasse uns nicht über Schreiben richten. Dein Ausspruch,
daß Deine Briefe an die Olle auch für mich gelten, läßt
sich eben so gut umdrehen. Ich habe aber doch gern eine
direkte musikalische Anrede, und Dein Vorschlag ist mir
schon ganz lieb z. B. — Schreibe recht viel Noten und
*) ihrem Geburtstag.
*) Über den voi» Scholz gegründeten Orden der schwarzen Katze vgl.
Verklungene Weisen S. 1 69 ff., auch Brahms' Briefwechsel mit J. i . Nov. 1 863.
Von Bernh. Scholz an Amalie Weis Sog
lasse uns Hannover immer erträglicher gestalten. Wir
könnens, wenn wir wollen!
Dein
Joseph J.
Von Bernh. Scholz an Amalie Weis
Rom Zum lo Mai i863.
yor Allem, gute Olle, einen herzlichen, frischen Gruß, —
Glückwunsch nicht mehr als sonst, denn ich wünsche
Dir immer alles Erfreuliche und Gedeihliche und Erfül-
lung aller Deiner liebsten Hoffnungen und Träume. Es ist
nun beiläufig ein Jahr, daß wir uns kennen, und ich freue
mich von Herzen, daß dies Jahr ein Gutes und Segens-
reiches für Dich geworden ist, daß unsre Begegnung in
eine Zeit fällt, die Dir immer theuer sein wird und auf
diese Art mit Deinen schönsten Erinnerungen verknüpft
ist und bleibt. Laß Dir dies glückliche erste Jahr unserer
Freundschaft Vorbedeutung sein für viele Folgende; ver-
bringe den heutigen Tag heiter und froh mit Deinem Lieb-
sten, und vergeßt dabei der Abwesenden nicht ganz, die
sich mit Euch und Eurem Glücke freuen. Wenn Dir heute
die Ohren klingen, so denk', daß ich ein Glas vortrefflichen
Est-Est auf Dein — auf Euer Wohl leere.
Hab' schön Dank für Deinen Brief; ich hoffe, Du er-
zählst mir in Deinem nächsten ein bischen Ausführlicheres
vom Orpheus; das interessirt mich doch gar sehr; ich bin
auch begierig zu erfahren, ob und wann die Oper noch
wiederholt wurde.
Daß Eure Hochzeit sich verzögert, ist recht schade. Es
ist verlorne Zeit, aber es ist Euer Wille; denn von einem
Muß, das Concert zu des Königs Geburtstag zu dirigircn,
kann für Joachim nicht die Rede sein. Nun, Euer Braut-
stand gehört immer noch zu den kurzen, und jedenfalls
3io Von Bernh. Scholz an Amalie Weis
zu den schönsten. Ich muß es als einen Verlust für mein
ganzes Lehen beklagen, daß feindliche Elemente die Zeit
meiner Jugend, die Andern die seligste ist, in eine Zeit der
Trübsal und des Kummers verwandelt haben, und daß ich
das Glück, eine Seele ganz zu eigen gewonnen zu haben, mit
der gänzlichen Entfremdung von allen Denen, die ich bis
dahin treu und aufrichtig geliebt hatte, erkaufen mußte i).
Doch was soll ich Dir das heute, an einem Fest- und
Freudentag erzählen? Das hat sich ja auch Alles wieder
geändert und gebessert, und Du selbst weißt ja, wie herz-
lich das Verhältniß zwischen mir und den Meinigen wie-
der geworden ist.
Glaub mir's, daß ich Deine Sehnsucht nach einer Hei-
math recht wohl verstehe und begreife, und daß es mein
ehrlich Streben war, Dir, ehe Du sie wirklich gefunden
hattest, wenigstens einigen Ersatz dafür zu bieten und Dich
am Heerde der Meinigen die eigene Entbehrung momentan
vergessen zu machen. Wie schön hat sich das geändert, —
und ich freue mich ganz ungemein drauf, Dich in neuer
Würde zu begrüßen. Dich wohl- und festgegründet im
eigenen Haus zu finden. Du erzählst im Voraus so lieb
und hübsch davon, daß ich fast möchte, es wäre schon
wieder Winter, und ich säße an Deiner Feuerecke und es
geschähe all das, was Du mir so lockend vorgeplaudert
hast. Ich fürchte nur, oder vielmehr es ist leider gewiß,
daß es nicht oft der Fall sein wird, denn wir hätten uns
mit Müh und Fleiß nicht weiter, als es geschehen ist, aus-
einander quartieren können. Da verbietet sich all der Ver-
kehr auf kurze Zeit, die nachbarlichen Besuche und die
Freude, sich, wenn das Herz treibt, einmal flüchtig zu sehen
und zu begrüßen, von selbst. Ich weiß wohl, daß Ihr,
junges Paar, das für's Erste nicht vermissen werdet, aber
mir wird es recht sehr abgehen, und deshalb beklage ich
die Wahl dieser Wohnung. Wir werden uns eben dann
1) Vgl. „Verklungene Weisen« S. 88f.
Von Bernh. Scholz an Amalie Weis 3ii
und wann besuchen, wie Leute die an verschiedenen Orten
leben. Mit der Zeit, wenn Ihr wieder geselliger geworden
sein werdet, wird's Euch schon näher zu Scholzen's ziehen —
so hoffe ich, wenn es mir gleich leid thut, daß Ihr schon
bald Wohnung wechseln sollt. — Das und viel Anderes
wird Euch erst in Zukunft klar werden : laßt's ruhig heran-
kommen !
Du fragst, ob ich Dich noch für eitel halte; darauf muß
ich Dir vor Allem erwidern, daß ich Dich niemals so ge-
ring taxirt habe. Dich als Künstlerin für eitel zu halten
und zu glauben, daß Dir am Jubel der Menge etwas liege.
Ich war immer überzeugt, daß Du darin ganz wie ich
empfandest und Deinen Beruf dahin verstanden hast, das
Volk zu erbauen, nicht zu ergötzen im gemeinen Verstand
des Worts; nur deshalb fand ich so großen Genuß darin,
mit Dir zusammen zu wirken. Wenn ich Dich zuweilen
vor Eitelkeit warnte, so meinte ich damit die gewöhnliche,
verzeihliche Mädcheneitelkeit, weil die Gefahr, daß diese
erweckt würde, durch Deine Stellung Deinem Beruf näher
lag, als bei Andern; besinne Dich, bei welcher Gelegen-
heit und vor welcher Art Aufmerksamkeit ich Dich zu
hüten bat. Auch das war vielleicht unnöthig, aber Du
hast's dem Bären, der eben von Zeit zu Zeit einmal brum-
men muß, zu Gute gehalten. Verzeih's ihm auch ferner,
wenn er die schlechte Gewohnheit nicht sollte lassen kön-
nen! Gelt? Du bist übrigens im Irrthum, liebe, gute Olle,
wenn Du meinst, ich komme hier nicht zum Arbeiten.
Meine Wohnung ist so schön, daß ich jetzt gern viel zu
Hause bin, und daß ich auch schon zwei Symphoniesätze
fertig habe. Lobst Du mich? Halte Deinen Jo nur diesen
Sommer an, hübsch fleißig zu sein; er hat lang genug ge-
sammelt und soll nun losschießen. Es wäre sündlich,
wenn er jetzt nicht was Rechtes schaffte; aber bald, bald!
Nicht warten bis zum Winter! Denn in Hannover, selbst
wenn Ihr auf einer Insel statt auf einer Halbinsel wohntet,
3i2 Von Beruh. Scholz an Amalie Weis
kommt die rechte Muße und Ruhe nicht. Auch ist der
Himmel im Winter gar zu löschpapiern ; die Sonne, die
Hitze kocht die Gedanken, wie den Wein!
Ich lebe hier, nach wie vor, froh und glücklich, endlich
das Ziel langjähriger Wünsche erreicht zu haben, in der
ewigen Stadt zu sein. Allemal, wenn ich mir dessen so
recht bewußt werde, lacht mir das Herz. Es ist für mich
ein Glück, das ich nicht auskosten kann. Ich muß auch
sagen, es ist ganz gut, daß Ihr nicht hierher Eure Hoch-
zeitsreise macht. Es wäre zu viel auf einmal. Liebende
genügen sich selbst und verlangen zu ihrem vollen Glück
nur eine harmonisch gestimmte Umgebung, wie sie eine
schöne Landschaft, reiche und friedliche Natur gewähren.
Ihr würdet hier halb im Traum befangen herumwan-
dern — würdet Euch vorkommen wie in einer Märchen-
welt; — auch das wäre wunderschön, aber es wäre doch
Schade um das, was Ihr versäumtet und übersähet. Rom
W'ill ganz genossen sein und vermag aus eigner Kraft zu
beglücken, wie ich es nun empfinde und es Euch einmal
für spätere Zeiten wünsche.
Genießt denn aus, was Euch die Götter geben, und lebt
ein schönes Leben zu Eurem und Anderer Genuß!
Addio, liebe gute Olle! Einen Geburtstagskuß hebst Du
mir auf bis zum Wiedersehen, gelt?
Schreibe mir recht bald wieder. Du machst mir damit
große Freude! Sprich mir ein bischen Muth zu zur Ar-
beit und bitte auch Deinen Jo, daß er mir endlich auch
einmal ein paar Worte gönnt.
In alter Treue
Dein
Bär.
An Clara Schumann 3i3
An Clara Schumann
[Hannover] Am 26"^" Mai [i863].
Verehrte Frau Schumann.
Es ist schon die längste Zeit seit Ihrem lieben Besuch
verflossen, und ich meine, das darf nicht mehr mit
gegenseitigem Stillschweigen so fort gehen! Sind Sie recht
mitten unter Haushalteinrichtungssorgen? Wohnen Sie
schon behaglich in Nr. i4 ünterbeuern? Musiciren und
lesen und spatzieren Sie viel mit den lieben Mädchen und
Knaben? Ich bin zu begierig auf Ihr Haus und wollte, es
gäbe eine Photographie davon. Unseres kennen Sie, aber
leider steht es noch immer leer! Ich warte schon über
10 Tage auf die Erlaubniß des Pesther Magistrats zum
Aufbieten in der Kirche, weil der hiesige sich oesterreichi-
schen Unterthanen gegenüber für unkompetent erklärte.
Hol' der — Schindler i) alle diese langweiligen Zöpfe von
Wichtigthuern und Stowcoatches 2) ! 14 Tage wird's nun
jedenfalls noch dauern, bevor wir mit Kaulbach *s, Brinck-
mann's und Frau Detmold (wenn sie dann noch hier ist)
in die Kirche fahren können. Wahrscheinlich in die
W uns torfer. Johannes meinte, er würde wohl auch
kommen; Sie können Sich denken, wie sehr mich das
freuen würde. Er war 3 Tage hier und sehr lieb und
herzlich in seiner Theilnahme. Den Orpheus hat er mit
angehört, und auch sein Quintett 3) konnte ich ihm vor-
führen. Es ist zu Schade, daß die Total Wirkung dieses
^) der köstliche „ami de Beethoven", der als Kritiker der Nieder-
rheinischen Musikzeitung gelegentlich Joachim als Interpreten Beethoven-
scher Quartette, und zuletzt in der Nummer vom 4» April dessen Un-
garisches Konzert verhöhnt hatte.
*) Londoner Slang, etwa mit „Möbelwagen" zu übersetzen.
') Das F moll-Quintett, das ursprünglich für Streichinstrumente gesetzt
war, dann zu einer 4 händigen Sonate umgegossen wurde, die aber Brahms
auch nicht recht gefallen wollte.
3i4 An Th. Ave-Lallemant
Stückes, trotz so vieler bedeutender Züge keine befriedigende
ist, und es war mir lieb, daß Johannes durch eigenes Hören
zu dem Wunsch kam, es anders zu machen. Ein Mensch
von so bedeutendem Charakter kann nichts auf Hörensagen
annehmen. — Ich werde Ihnen, liebe Frau Schumann,
natürlich den Tag unserer Hochzeit wissen lassen, damit
Sie unser gedenken können, während wir in der Kirche
sind. Wären Sie doch weniger weit! — Wenn Sie Franz
Lachner in diesen Tagen besucht, so sagen Sie ihm doch
auf seine Bitte i) kein „Nein". Ich habe zugesagt und finge
gern die Saison mit dem günstigen Omen an, vereint mit
Ihnen zu musiciren. Meine Braut will selbst schreiben,
und grüßt einstweilen von Herzen, wie
Ihr
J. Joachim.
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover 5. Juni i863.]
Mein lieber Ave.
Eben haben wir nach langer Unsicherheit bestimmt, daß
die Trauung am Mittwoch um 1 1 Uhr sein soll. Wärest
Du nicht durch Weib und Kind so sehr an die Heimath
gekettet, so hätte ich am Ende die Freude, Dich hier zu
sehen; denn daß Du selbstverständlich von mir und meiner
Braut herzlich geladen bist, brauche ich nicht erst zu sagen.
Mir ist's wie einem Menschen, der seit der Kindheit zum
jten ]y[g^} nach langer Irrfahrt das Gefühl der Heimath
wieder kennen lernt! Wir wollen um 5 Uhr Mittwochs
über Nürnberg nach Salzburg, später zu den Eltern und
Geschwistern. So viel vor der Hand! Du hast wohl die
Güte, Johannes dem Altern beiliegende Zeilen zu über-
^) Einladun{j zum Musikfest in München im September, bei dem auch
Joachims mitwirkten.
An seine Schwester Josepha Ronay in Pesth 3i5
mittein. Den jungem grüße vielmals, wie alle die Deinen,
namentlich Deine liebe Frau.
Schneewittchen ruft mich ab und Euch einen schönen
Gruß zu. Also auf Wiedersehen, vielleicht sehr bald!
Dein
herzlich ergebener
Joseph Joachim.
An seine Schwester Josepha Ronay in Pesth
[Hannover] Sonntag y. Juni [i863].
Liebe Peppi
Es ist mir eine große Freude, Dir, wenn auch nur mit
wenigen Worten, schreiben zu können, daß ich am
10"", also Mittwoch, hier in der Schloßkirche mit meiner
lieben Amalie getraut werde. Ich weiß. Du, Dein lieber
Thali u. Deine 1. Kinder werden herzlich Antheil an meinem
Glück nehmen. Wenn ich an die Charaktertiefe, die geistige
Ursprünglichkeit und Anmuth meiner Braut denke, so muß
ich mir sagen, daß ich alle meine Kraft zusammen nehmen
sollte, um ein so reichbegabtes Wesen zu verdienen. Du
wirst selbst ja bald meine Zukünftige kennen lernen und,
ich hoffe es. Deine neue Schwägerin bald lieb gewinnen.
Wir werden jedenfalls im Lauf des Sommers Euch, meine
lieben Geschwister, und die lieben Eltern besuchen, und
so darf ich sagen: Auf baldig Wiedersehen! Theile, ich
bitte darum, auch der lieben Hanni und Aranyi diese Zeilen
freundlichst mit. Ich habe natürlich vor der Hochzeitsreise
noch viel zu thun.
Von unterwegs werde ich noch Nachricht geben und
verbleibe für heute mit vielen Grüßen von mir und Amalien
Dein
treuer Bruder
Joseph.
3i6 Von Clara Schumann
Von Bernhard Scholz an Ursi u. Joachim
zum Hochzeitstag
Rom etwa y. Juni i863.
hr Lieben, so ganz fern von Euch kann ich an Eurem
I
Hochzeitstag doch nicht bleiben.
Ich kann Euch nicht in's Auge sehen, Euch die Hände
drücken, aber diese Zeilen sollen Euch wenigstens Grüße
und eine römische Reliquie bringen, — ein Blatt von der
Eiche Tassos im Garten von S. Onofrio, das ich im Ge-
danken an Euch gepflückt habe.
Du, mein Freund, genieße Fülle des Glücks, wie er Fülle
des Leids gekostet! Dir, meine gute Schwester, weiß ich
nichts Anderes zu wünschen, denn sein Glück ist ja fortan
das Deine — ja. Du selbst sollst sein Glück sein und bleiben.
Habt Euch lieb und behaltet lieb Eure Freunde, vornehm-
lich den, der Euch Beide zusammen doch am liebsten hat.
Erfreut mich bald mit ein Paar Worten; laßt mich
wissen, wo Ihr seid, damit wir in Beziehung bleiben. . . .
Und so lebt wohl für heute ! Lange aufhalten darf man
Euch an solchem Tage nicht. Gebt Euch gegenseitig einen
tüchtigen Kuß für mich!
Aller Segen über Euch!
Euer treuester
Bernhard.
Von Clara Schumann
Baden d. 8 Juni i863. Lichtenthai i^.
Mein guter, lieber Joachim,
So wäre er denn da, der langersehnte Tag, der Ihnen des
Lebens höchstes Glück bringen soll, und ich kann nicht
bei Ihnen sein und Ihnen wenigstens die Hand drücken!
Von Bernh. Scholz 817
Worte giebt es gar wenig für solches Glück, es ist ja auch
genug, daß man es kennt, ganz mitzuempfinden weiß.
Ach, ich wäre gewiß gekommen, die Entfernung hätte
mich nicht geschreckt, aber ein Grund, den ich seiner
Prosa halber jetzt gar nicht aussprechen mag, macht es
mir unmöglich! Sie haben mir die Stunde der Trauung
nicht mitgetheilt, ich will sie mir 1 2 Uhr denken, ich werde
den ganzen Tag nichts anderes denken können als Sie.
Den lieben Brief Ihrer theueren Ursi habe ich erhalten
und danke Ihr sehr dafür, aber erschreckt hat sie mich
durch die Äußerung, daß sie sich unseres Wiedersehens
in — München freue. Sollten Sie nicht mehr daran denken,
mich im Laufe des Sommers hier zu besuchen? das thäte
mir recht weh, denn darauf hoffe ich freudig, wir Alle ! —
W^o Sie Sich nun Ihre Hütte bauen, von da schreiben Sie
mir bald, damit ich weiß, wo Sie meine Gedanken suchen
können.
Sie sollten dieser Tage eine Kleinigkeit in den neuen
Haushalt von mir haben, jedoch hat der Umzug uns so
viel Zeit geraubt, daß wir (ich und meine Kinder) erst jetzt
anfangen konnten, daran zu arbeiten. Einstweilen nehmen
Sie den guten Willen für die That.
Sie haben doch meine letzten Zeilen erhalten?
So denn das Innigste für Sie Beide von uns Allen.
Im Geiste und mit ganzer Seele bei Ihnen,
Ihre
altgetreue
Clara Seh.
Von Bernh. Scholz
Hammermühle den 27 Juli i863.
1% /Tein lieber Freund, ich hatte so lange nichts von Euch
-ITJ- gehört, daß ich mich recht nach Nachricht gesehnt
habe. Gestern kam denn endlich ein Brief von Deiner
3i8 Von Beruh. Scholz
Heben Ursi; nun weiß ich doch wieder, wohin ich zu
denken habe, um Euch im Geiste zu finden. Ich male mir
Euer Häuschen und Garten und Teich im herrhchen Salz-
burgerland gar schön aus und wünsche nur recht von
Herzen, daß Dein gutes Weibchen sich recht bald erholt
und kräftigt, damit Ihr unbesorgt und freudigen Sinnes
alles Schöne genießen könnt, das sich Euch bietet.
Ich bin nun über i4 Tage hier und lasse die Bilder der
vergangenen Tage an mir vorüberziehen. Ich habe Schönes
und Herrliches gesehen, und als ich nach Hause kam, fand
ich Frau und Kind wohlauf und frisch, und das war das
Beste von Allem. Am 20*^" August muß ich wieder in
Hannover sein. Wie mir vor dem dortigen Treiben graut,
kann ich Dir nicht sagen. Ich war nun fast ^/g Jahr diesen
Gemeinheiten fern und fürchte mich wahrhaft vor dem
Anblick der geliebten Gesichter. Wärt Ihr doch wenig-
stens gleich zu Anfang dort, damit ich mich auf etwas
freuen könnte! Ich glaube nicht, daß ich's beim Theater,
oder wenigstens an diesem, mehr lange aushalte; es wird
zu viel Schindluder mit der Kunst dabei getrieben. Ich
denke manchmal, es sei vielleicht besser, mich hier auf Erb
und Eigen zu setzen, meine Aecker zu bauen; dann muß
ich wenigstens die Kunst, die ich liebe, nicht mehr ent-
würdigen helfen; denn ob ihr und mir mein Dienst etwas
frommt — ist ja doch sehr fraglich. Mir ist oft, als sei jede
Note, die ich schreibe, eine Sünde wider den heiligen Geist,
und vom Uebel. Was ich erreichen möchte, ist ja so fern,
so fern, daß ich nie dahin gelangen werde. So quäle ich
mich in ohnmächtigem Ringen — wonach? — Auch die
Abhängigkeit vom Hof und dessen corrupter Umgebung
drückt mich : hier könnte ich Freiherr sein ! — Wie anders,
wie glücklicher stehst Du da ! Wieviel Herzen erfreut Dein
Wirken, wieviel Augen strahlen freudiger, wenn Du ge-
spielt, willkommen bist Du allen Guten, Du siehst täglich
den Segen Deiner Arbeit — das allein ist doch das
Von Beruh. Scholz 819
wahre, das ächte Glück. — Glaube nicht, daß ich etwa an
einer falschen Bescheidenheit laborire oder daß mich Mangel
an äußerer Anerkennung schmerzt. Weit entfernt von
Beidem! Wenn ich mich mit Andern vergleiche, bin ich
gar nicht bescheiden. Es gibt Wenige, kaum Einen, dem
ich mehr zutraue als mir; so wenig mich meine Arbeiten
befriedigen, so wenig würden mich die Leistungen irgend
eines Andern — Dein Concert und manche Brahmssche
Sache nehme ich aus — zufrieden stellen; aber wäre ich
mit mir zufrieden, so läge mir an Anerkennung von Seiten
der Leute blutswenig. Das einzige Stück, das ich nicht be-
reue gemacht zu haben, ist das Requiem — und auch das
hat seine große Schwächen, die ich mir gar nicht ver-
hehle. — Genug davon; es ist nicht recht, daß ich Dir das
Alles sage, und doch, — wem soll ich mich so offen an-
vertrauen, wenn nicht Dir, dem einzigen meiner Freunde,
der mich in dieser Beziehung ganz verstehen kann.
Noch habe ich beinahe 4 Wochen Freiheit; die will ich
genießen; am Rhein ist's doch gar schön! Und das Volk
am Rhein ist auch prächtig! Am vorigen Sonntag, — er-
zähle es der Ollen — Avaren wir auf der Platte, und da
lag mein schönes Vaterland vor mir ausgebreitet. Italia ist
herrlicher, aber die Saiten, die der Anblick der Heimat,
einer geliebten Heimat, mit der uns alle Erinnerungen der
Jugend verknüpft haben, erklingen läßt, klingen stärker
als alle andern. Das einzige, heilige Rom kann daneben
bestehen — weil es ein Kunstwerk ist, das Jahrtausende
geschaffen. Es wirkt wie eine ächte Tragödie, reinigend
und befreiend: geb's Gott, daß ich noch einmal dahin
ziehen kann!
Und nun, mein Lieber; wenn Ihr nicht mehr hierher
kommen könnt, so lange wir da sind, laßt uns nicht lange
in Hannover allein. Ich habe Euch dort zu nöthig.
Grüße mir die liebe Olle recht von Herzen; es geht mir
nah, daß sie leidend war — denn hoffentlich ist sie's bei
320 Von Bernh. Scholz
Ankunft dieser Zeilen nicht mehr. Sie soll recht brav sein
und Dir in Allem hübsch folgen, und wenn sie das thut
und lieb ist, dann belobe ich sie dafür in einem Extra-
Briefe, gerade so, wie sie mich für meine Symphonie be-
loben — wollte. Ich erwarte also ihre Conduitenliste dem-
nächst von Dir, und das wird Dich veranlassen, mir gleich
zu schreiben.
Adieu, Lieber, laß mich nicht auf Nachricht warten.
Der Deine
B. Scholz.
Von Bernh. Scholz
Hammermühle lo. Aug. i863.
ieber Jo, habe schönsten Dank für Deine gute Nach-
richten über Ursi. Ich freue mich von Herzen, daß
Ihr Beide nun das schöne Salzburg genießen könnt. Ich
kenne es sehr wohl und erinnere mich mit Entzücken an
Maria Piain, den Park von Aigen, den Kapuzinerberg und
vor Allem an Berchtesgaden und den herrlichen Königs-
see. Ich bin dort im Herbst 56 mit Lachner gewesen ; wir
haben damals Mozart gefeiert und genußreiche Tage ver-
lebt. Der Wiener Männergesangverein war mit uns auf
dem Königssee, und es war von unbeschreiblicher Wir-
kung, wie die frischen Burschen von Kahn zu Kahn im
Wechselgesang, rufend und antwortend, das Weber- Kör-
ner'sche Schwertlied und andere Kraftlieder ausführten.
Freut Euch der herrlichen Natur, so lang es geht: es sei
Euch gegönnt, wenn wir Euch auch noch mehrere Wochen
entbehren sollen. Wenn Ihr nach München kommt, grüßt
Lachner freundlichst von mir. Er ist immer von der größten
Liebenswürdigkeit gegen mich gewesen; auch seine Frau
war in München immer gütig gegen mich, und deshalb
bitte ich die gute Olle, diese speziell von mir zu grüßen.
An Clara Schumann 821
Ich wünschte, Du führtest diesen Winter seine erste Or-
chestersuite auf; es ist doch allerorts geschehen und eine
Schuld, die man einem verdienstvollen Musiker abtragen
muß.
Ich grüße Euch Beide aus treuem Herzen und bin und
bleibe
Euer alter Bär.
An Clara Schumann
[Salzburg] am 21. x4ug. [i863].
IJebe, verehrte Freundin.
Brahms hat uns Ihre Grüße gebracht, und ich habe
mich sehr gefreut über die schönen Tage, die er in
Ihrer jetzigen Heimath verbracht hat. Wann wird es mir
so gut werden, sie kennen zu lernen? Auf dem Rückweg
von München? Brahms konnte mir nichts über Ihre Pläne
sagen; ich hoffe Sie darüber zu vernehmen. Er theilte mir
mit, daß Sie an 2 Concerte in München nach dem Musik-
fest dächten. Ich kenne das dortige Publikum gar nicht.
Ist es großstädtisch genug, um nach 3 aufeinander folgen-
den Musikfesttagen noch Lust zu neuen Geldopfern zu
haben? Daß es mir eine Freude ist, so oft als möglich mit
Ihnen zu musiciren (lang über Gebühr war die Pause!), ist
eine alte Sache; schreiben Sie mir also, wie Sie eigentlich
die Münchner Angelegenheit meinen, und ob Sie nicht
(wie es mir passend schiene) unsern Ei'folg im Künstler-
Concert auf alle Fälle abwarten wollen, bevor wir uns zu
etwas entschließen. Warum führt nur der Weg von Baden
nach München nicht über — Salzburg! Sie haben keine
Idee, wie herrlich es hier ist, und nun meine ürsi Gottlob
wieder frisch ist, könnte ich mir nichts lieberes denken, als
einige schönste Punkte Ihnen zu zeigen. Nur Luzern kömmt
von dem, was ich bis jetzt gesehen, der Schönheit Salz-
322 An Clara Schumann
burg's nahe, aber die Berge sind noch mehr zur Hand, die
Spaziergänge mannigfacher, und das einzig fehlende, der
herrliche See, wird durch die weite hügel- und waldreiche
Ebene ersetzt. Die Leute wissen's auch in der Welt: es
vergeht kaum ein Tag ohne Fremdenbesuch bei uns.
Manchmal auch recht lieben, — Brahms war leider nur
einen Tag da; ich hoffe aber, er hält es im steinern heißen
Wien nicht gar lang aus und kömmt noch einmal i4 Tage
her. Überlegen wollt' er's. In seinem neuesten Werk^)
sind ganz tiefe, prächtige Sachen, und ich freue mich dar-
auf, es mehr als flüchtig zu genießen. Wie gefiel es Ihnen?
Musicirt habe ich hier viel, Quartette mit David und dem
vortrefflichen Spieler Conc.-M. Bennewitz ^) vom Mozarteum,
das auch einen brauchbaren Cellisten besitzt. Seit ein paar
Tagen ist Fräulein v. Asten auch hier, die merkwürdige
Fortschritte gemacht hat und im Quintett von Schumann
ihrer Meisterin gestern alle Ehre machte. Könnte ich Ihnen
doch zum Dank für Ihren lieben Geburtstagsbrief von
etwas fertig componirten vom Geburtstagskind berichten!
Es ist aber noch immer nichts Neues seit dem ungarischen
Concert entstanden, und wenn die nächsten Wochen nichts
bringen, werde ich schlecht in München vor Ihnen be-
stehen, liebe Freundin! Ist Kirchner noch bei Ihnen? und
ist Woldemar wirklich ein vollendeter Egoist geworden,
wie ich aus Andeutungen von Brahms schloß?
Ich hoffe recht bald von Ihnen zu hören, möge es recht
viel Gutes sein. Den lieben Ihrigen von uns beiden die
herzlichsten Grüße. Ihnen gegenüber sind wir eins in herz-
licher Ergebenheit
Ihr
Joseph Joachim.
NB; geboren am 28. Juni, seit dem Hochzeits-Geburts-
Schein aus Kittsee entdeckt.
1) Rinaldo.
*) Später Direktor des Prager Konservatoriums.
Von Bernh. Scholz 828
Von Bernh. Scholz
[Hannover 3o. Aug. i863.]
Ihr lieben Guten, Ich hoffe daß Euch die liebe Sonne
mehr begünstigt als uns. Denn trotzdem, daß heute,
3o. Aug. ihr Tag ist, hat sie uns nicht einmal freundlich
angesehen. Ich erinnere mich, daß Salzburg an trüben
Tagen auch sehr trüb ist, und wünsche Euch deshalb
lauter hellen Sonnenschein. Dann ist's freilich paradiesisch,
schon halb italienisch — Ihr seht, Italien steht bei mir
noch überm Paradies — die flachen Dächer und die Über-
reste römischer Baukunst gemahnen bereits an das glück-
liche Land jenseit der Alpen. — Das ist ein herrliches
Land! Wenn ich an den leuchtend hellen Himmel der
Campagna denke, ist mir immer, als sei dort mein Vater-
land und ich hier in der nebelschweren norddeutschen
Ebene im Exil. Neulich ging ich mit Carl Eyertt spazieren
auf den Kronsberg — ein Berg, von dem E. sagte, er sehe
zwar in der Entfernung nach nichts aus, verschwinde da-
gegen in der Nähe vollständig — und da wollte ich mir
einreden, es sei ja auch hier ganz schön: dieselbe Sonne
bescheine mich, wie in Rom, auch hier umgebe mich eine
weite Ebene, in der Ferne begrenzt durch das Gebirge.
Ach ja — aber wie! Statt des welligen, sanft bewegten
Landes der Campagna, — Sand und Haide, von den Fur-
chen des Pflugs in viereckige Aecker eingetheilt! Statt des
lieblichen Hains der Nymphe Egeria — liebliche Kiefern-
schonungen, und statt der herrlichen Aquäducte und dem
stattlichen Denkmal der Caecilia Metella — interessante
Windmühlen und Ziegeleien. In der Entfernung statt des
Sabinergebirges den Deister und statt des Albanergebirges
mit seinen freundlichen Städtchen und dem leuchtend-
weißen Kloster auf Monte Cavo — ein Gewitter, das den
ganzen Harz mitsammt dem Brockenhaus einhüllte. Zu
324 ^^ Clara Schumann
alledem schnitt die liebe Sonne (es war übrigens nord-
deutsch-schönes Wetter) ein so bedauerliches Gesicht und
gab sich so gar keine Mühe, recht glänzend zu scheinen,
als wollte sie sagen: „Für diese Jegend bin ich viel zu
gut!" Damit wandte sie sich vornehm ab und machte sich,
so bald es irgend ging, durch die Lappen. . . .
Das Theater hat nun hier begonnen; das Orchester hat
neue, Pariser Stimmung ^); beim Theater ist die alte Stim-
mung geblieben d. h. wir fangen mit den gewöhnlichen,
beliebten Stücken, Freischütz, Faust u. s. w. an. — Spaß
beiseite, lieber Joachim, die Pariser Stimmung klingt im
Orchester famos. Die Klangfarbe der Bläser hat entschie-
den gewonnen. Sie müssen sich nur erst recht auf den
neuen Instrumenten einspielen. — Ich will mich aber auch
recht auf dem Ciavier einspielen, um würdig vorbereitet
zu sein, wenn Du ankommst.
Denkt, hier hat sich das Gerücht verbreitet, die Olle sei
schwer krank. Wir haben nun, Gott sei dank, erst vor
8 Tagen Nachricht von ihr gehabt und wissen also, daß
es nicht wahr, und was daran ist, aber Ihr thut uns wohl
die Liebe an und antwortet gleich, damit wir wissen,
daß auch seitdem Alles in Ordnung bei Euch ist. Und
somit grüße ich Euch mit katzenhaftem Pfotendruck (mit
ein ganz klein wenig Kralle), mit herzlichem Miau und mit
wohlwollendstem Schnurren als Euer
wohlaffectionirtester Oberkater
Bärenmautz.
An Clara Schumann
[Salzburg d. ii. Septbr. i863.]
Liebe Frau Schumann.
Heute ist der elfte September, und übermorgen ein
schöner Tag für uns, zu dem ich gerne meine herz-
lichen Glückwünsche nach Baden schickte; mögen sie Sie
^) Vgl. Fischer, S. 2o5.
An Clara Schumann SaS
und die lieben Ihrigen recht heiter und vereint im neuen
Hause antreffen ! Ich denke, wie wir vor 2 Jahren an dem
Tag gute Reisegefährten waren, und wünsche, daß es sich
bald wieder so wie damals fügen möchte, wo wir so ver-
gnügt den Rhein hinauffuhren. Wäre das Münchner Fest
nicht, wir würden über Baden nach Haus gereist sein, wie
wir's getreulich vorgehabt hatten, und hätten den Tag mit
Ihnen verlebt, Ihre neue Heimath kennen zu lernen. Nun
wollen wir übermorgen in Ischl zubringen, das wir noch
nicht kennen, und wo wir eine Tante (Fanny) i) zu be-
suchen haben, die meine Frau kennen lernen soll. Dort
ist, wie ich höre, auch Frau Frege, und mit der und Fräu-
lein Asten werden wir Ihr Wohl trinken! Ich habe seit
Ihren lieben Zeilen mit Perfall über Sie korrespondirt, da
ich durchaus nicht ein 3"=^ Mal spielen möchte, wenn Sie
es nicht auch thun wollen. Er vertröstete mich auf meine
Überredungskunst in München; er habe vergebens ver-
sucht, Sie dafür zu stimmen. Sie dürfen mir das durchaus
nicht anthun, mich von den Leuten, denen ich die Corre-
spondenz ja nicht vorlegen kann, für einen zudringlichen
Geiger halten zu lassen, und müssen einige Scarlatti'sche
Stücke mir zu lieb noch einschieben. Ich werde sonst
vor der Chaconne ohnmächtig und will mir's für alle Fälle
von Ursi einstudiren lassen; sie muß dergleichen schon in
einer Rolle zu spielen gehabt haben, hoffe ich! Ich will
heute in einer Probe hier ein paar kleine Mozart'sche
Violinconcerte (Mscrpt.) mit Orchester spielen, die zwar
nicht bedeutend sind, aber doch hübsche Sätze enthalten.
Auch dabei will ich Ihrer gedenken, als Ihr
alter, verehrungsvoller Musikkamerad
Joseph J.
^) Fanny Wittgenstein, Joachims Cousine, vgl. Bd. i S. i, Anm.
326 Von Bernh. Scholz
Von Bernh. Scholz
Hannover 12 Sept. 63.
Ihr hättet uns wohl ein bischen antworten dürfen, schlim-
mes Volk, denn so ruhig ich auch Anfangs die Ge-
rüchte von Ursis Krankheit hinnahm, so wurde ich doch
in den letzten Tagen, als Eure Nachricht ausblieb, etwas
unruhig. Das Gerede wurde immer toller, Lindhult hatte
es schon in Ffurt. vernommen, gestern bekam ich gar eine
Anfrage von Ave Lallemant aus Hamburg, der sich schon
zur Reise nach Gastein rüsten wollte, wo der Sage nach
ürsi am Typhus daniederlag. Gott sei Dank, es ist Alles
nicht wahr — Ihr kommt bald wohl und gesund an, und
ich kann Dir die Hand drücken und der Ursi in ihr gutes
Gesicht sehen — kurzum: ich mag mich stellen wie ich
will, — ich freue mich von Herzen auf Euch Gesindel.
Ich sehne mich wahrhaft nach Deiner Fidel, lieber Jo,
und bereite mich ernstlich und würdig auf ihren Empfang
vor, indem ich täglich übe; es geht auch ganz leidlich,
ich spüre ganz ordentliche Fortschritte in den Fingern.
Eigentlich hast Du mich überhaupt noch nie so spielen
hören, wie ich kann; allein spiele ich manchmal so, daß
ich selbst Plaisir dran habe; und wenn Du dabei bist,
möchte ich's immer besonders gut machen, und da werden
meine Finger so dumm, daß ich sie manchmal ganz zer-
brechen möchte; vielleicht gewöhne ich mich noch mehr
an Dich. Wenn man Dich aber so wohlig und con amore
geigen hört und will einigermaßen daneben bestehen kön-
nen, da thut Einem allemal der Bach, Beethoven oder
Mozart so leid, daß man ihre Klavierstimme nicht ebenso
wiedergeben kann, wie Du die Violinstimme! — Es ist
wirklich abscheußlich!
Wenn Dir nur meine Symphonie ein klein bischen ge-
fällt! Ich habe wieder moralischen Katzenjammer drüber.
Von Bernh. Scholz 827
Ich weiß, daß Manches nicht übel ist, und doch ist's wie-
der so weit hinter dem zurückgeblieben, was sie sollte —
und wenn man gar denkt, wie Herrliches in dieser Gat-
tung geschaffen ist, so kommt Einem so jede Note über-
flüssig vor, und das Bestreben, sich daran zu versuchen, so
absurd und lächerlich! Es ist doch eigentlich allemal
schade, wenn das Orchester versammelt ist und man macht
eine andere Symphonie als von Einem unserer Heroen.
Diesmal aber hat's Deine Olle zu verantworten; die hat
die Symphonie bei mir bestellt, und ich meine auch, der
erste Satz, den ich an ihrem Geburtstage fertig gemacht
habe, sei am gedrungensten gerathen. — Das Alles soll
Dich aber nicht abhalten, mich s. Z. tüchtig dafür her-
unterzuputzen, wenn sie Dir misfällt, damit mir ein- für
allemal die Lust zu ähnlichen Schandthaten vergehe.
Heute in 8 Tagen bin ich Opferlamm, — muß im
Künstlerverein den neuen Flügel einweihen und mit Kaiser
und Prell Trio spielen. Ich betrachte dies als eine Gelegen-
heit, mich wieder ans Publicum und öffentliche Spielen zu
gewöhnen. Ich habe Dir einen Vorschlag zu machen:
„Wir wollen uns gegenseitig förmlich und unwiderruflich
verpflichten, in diesem Winter in keinem Concerte, es
gehe aus, von wem es wolle, von oben oder unten, es sei
für welchen sogenannten Zweck es wolle, mitzuwirken,
das nicht aus rein musicalischen Gründen unternommen
und dessen Programm nicht in allen seinen Theilen
ein vollkommen würdiges ist." Ein Einzelner vermag sich
nicht immer gegen derartige Anmuthungen zu schützen:
haben wir Beide uns aber erst dazu verbunden und ge-
winnen wir zu diesem Bunde noch die Besseren der Mu-
siker, so stehen wir im Verein durch gegenseitige Ver-
pflichtung unanfechtbar da und können getrost jedem Zu-
dringlichen entgegnen, daß wir, im Princip derartigem
Misbrauch der Kunst abhold, einen Bund geschlossen, der
uns ein für allemal die Mitwirkg. in solchen Conzerten ver-
328 An Beruh. Scholz
Avehre. Denn es ist ein Scandal, in Concerten, wie sie im
Thahasaale u. in der Marktkirche im vorigen Winter statt-
fanden, mitzuthun. — Bist Du einverstanden, so gib mir
gleich Nachricht, und ich bespreche mich dann mit Lindner,
Eyertt, und ich bin überzeugt, es finden sich noch Viele,
wenn sie davon hören. Es ließe sich am Ende sogar da-
hin feststellen, daß kein Mitglied dieser Vereinigung in
einem Concerte gratis mitwirken dürfte, ohne daß die
Mehrzahl der Mitglieder damit einverstanden wäre; so
wären auch die Zaghaften geschützt.
Addio, Lieber, spiele recht schön in München; wir wer-
den hier etwa zur selben Zeit Hillers Katakomben haben.
Schreibt uns recht bald wieder! Behaltet lieb
Euren alten Brummbären.
An Bernh. Scholz
Salzburg am 21'^" Sept^"" [i863].
Lieber Freund
Wir hatten auch nicht die leiseste Ahnung, daß Ihr
unruhig wäret, die Ihr doch ausführliche Nach-
richten über die Besserung und Genesung Ursi's hattet.
Neues ist nun, Gott sei Dank, in dieser Beziehung nicht
passirt! Übrigens ist's eigentlich schauerlich, was Gottes
Geschöpfe klatschbedürftig sind, denn an Interesse ist ja
doch bei den wenigsten zu denken, die einen im Mund
führen. Lieb hat sich einmal wieder die Frau Königin ge-
zeigt, die uns noch nachträglich expresse vor dem Münchner
Klima warnen läßt, vor Obst, etc. Ich freue mich wirk-
lich, sie und Frl: v. Gab" wiederzusehen. Daß Du tüchtig
klavierest, ist ja vortrefflich ; Du sollst auch entsetzlich mit
allen möglichen Solo -Sonaten (allerletzten und ersten)
herausrücken müssen, da Dich meine Geige genirt. Nobleße
oblige ! Mit der anti-musikschundlichen Liga bin ich ganz-
All Hans v, Bronsart 829
lieh einverstanden; nur lasse uns vorsichtig in der Wahl
der Aufzufordernden sein; die Kerle glauben sonst am
Ende einem einen Gefallen zu thun, und die Sache wird
als Scholz -Joachim contra Fischer behandelt. Eigentlich
ist's wohl schließlich doch mit allem Guten so, was wir
vorhaben, aber ich thue dem Mann nicht gern die Ehre
an, ihn als einen Gegner gelten zu lassen. Dazu gehörte
doch wenigstens etwas Eleganz in dem Zuschnitt seiner . . .
Aber mit Eyertts u. Lindner kannst Du ja vorläufig schon
leden.
Bei den Katakomben wäre ich gern zugegen. Wünsche
ihnen alles Gute und grüße Hiller. Wir reisen am 26'^"
ab; am 23""° spielen und singen wir noch hier für eine
brave, durch übertriebene Versprechungen von Wien hie-
her gelockte, junge Pianistin. Vide den Zettel, auf dem der
Name meiner ürsi mir Spaß macht, und den ich unter
Kreuzcouvert schicke. In den ersten Oktobertagen also
sehen wir Dich und Deine lieben Gesichter (Dein's inclu-
sive). Ursi schneidert schon mehrere Tage für München
und kann darum gar nichts anderes thun. Fatal das! Sie
grüßt Aon Herzen, und ich verbleibe ebenso
Dein
Joseph Joachim.
An Hans V. Bronsart
Hannover am 10. Okt. [i863J.
Lieber Herr v. Bronsart.
Ihr Schreiben kam leider erst hier in meine Hände, wo
ich, seit ein paar Tagen angekommen, zum ersten Male
die Seligkeit und Sorge der Einrichtung eines e* .en Haus-
standes kennen lerne! Während Sie schrieben, streifte ich
noch in der Salzburger Gegend mit meiner Frau umher,
vom Herbst im Freien dankbaren Abschied nehmend. Nun
33o Von Björnstjerne Björnson
ist's ein großer Contrast hier, statt der Berge Kisten ; aber
es klärt sich schon, und ich denke, es soll Ihnen und Ihrer
verehrten Frau einmal bei uns gefallen. Graf Platen hat
mir für eines der ersten Concerte den Besuch von Frau
V. Bronsart in Aussicht gestellt, und wie schön wär's, wenn
Sie dieselbe dann begleiteten! Ich habe Ihnen noch nicht
einmal gesagt, wie große künstlerische Freude ich an dem
Talent Ihrer Frau in voriger Saison erlebte, und hatte mir's
doch so fest vorgenommen, es Ihnen mitzutheilen! ...
Von Björnstjerne Björnson
Kristiania 2'^ Nov. i863.
Lieber Joachim! Mein Porträt muß ich doch einmal
schicken ! Jetzt wohne ich hier, habe Alles ganz wie
ich will, die Leute tragen mir auf die Hände, aber ich
habe meine Zeit für mich. Ich schreibe soeben „Maria
Stuart", zwei Stücken; das erste „Henrik Dearnley", in trei
große Aufzügen ist fertig, das zweite „Bothwell" anlegte
[anleejde?] ich so eben; es ist 5 Acten. Mein voriges Arbeit
ist noch nicht übersetzt, die Baronesse hat andere Ideen
bekommen, und es ist mir so ganz einerlej. — Was über-
setzt wird, will ich Ihnen immer schicken, aber selbst thue
ich nichts dafür, übersetzt zu werden, so es ist möglich,
das fernerhin nichts verdeutschet wird; denn ich schreibe
ja nur Dramen, und diese sind nicht courante Buch-
handlersachen.
Ich darf nicht lange Briefe schreiben, es ist ein Gelübde.
Sehen Sie mein Papirstuckchen an! ist wie kleine Zimmern,
man ist entschuldigt große Gesellschaften zu halten. —
Die Musik hier steht beinahe still, die ausübende näm-
lich, denn die nationale Kompositionen fangen so eben an
und macht mir eine innige Freude. Unsere Violinisten be-
ginnen (nach Ihnen) Bethoven und Bach zu spielen; es
An Julius 0. Grimm nach Göttingen 33i
scheint mir aber, als sind die vier Saiten ein Bachlein ; wenn
Bethoven und Bach strömmend kommen, qvällen sie auf
beiden Seiten über, das Bachlein hat nicht Platz genug.
Ein junger Norweger, Böhen kommt jetzt zu Ihnen
reisend, um Ihnen zu hören und sprechen. Er will meine
Empfelung mithaben. Ich darf sie nicht geben, erstens
darum, daß Sie wenig Zeit haben, zweitens das er nicht
die genügende Bildung hat (technische wohl) aber die
höhere. Hier aber setzen die Leute sehr viel auf ihm, thuen
Sie darum Ihr Möglichstes, ganz Kristiania wartet etwas
davon! — Grüßen Sie dem Kapellmeister mit Frau! Kann
ich nicht das piquante Gesicht Ihrer Frau in Visitkarte
bekommen und das grof3blickende der Frau Kapell-
meisterinn? — Vergessen Sie Alle meiner nicht, ich bin so
ein Eisbär, mich friert bisweilen, ich habe Sehnsucht nach
wärme Stellen und reidert in Mondscheinsnächte auf Eis-
flächen dortüber! Grüßen Sie die Frau, und Brinckmann
mit Frau! — Ihre
Björnst. Björnson.
Mein Bruder geht auf polytechnischen Schule da in
Hanover! —
An Julius O. Grimm nach Göttingen
[Hannover Anf. Januar i864]
Mein lieber Ise
Wenn ich auch fürchte, daß Du mir recht böse seiest,
und mich kaum traue, mit meinen Zügen vor Deine
Augen zu kommen, so muß ich Dir doch die Mittheilung
machen, daß wir am i6'^" d. M. (Sonnabend) die 9"= Sin-
fonie aufführen. Ich feierte an dem Tage dann gar zu
gerne unsere Versöhnung, denn daß Du mir aus der Ferne
gleich wieder gut sein sollst, wage ich nicht zu verlangen !
Der 1'* Theil des Concertes wird aus der Anacreon-Ouver-
ture, aus Webers Concertstück (Frau Schumann), einer
332 An Clara Schumann
Arie aus Faust v. Spohr (Frau Caggiati) und kleinen Kla-
viersachen von Schumann und Hiller bestehen. Er durfte
nicht zu lang und angreifend sein, aber ist doch auch ganz
duftend. Komme also und steige im Hotel Kaffer, Haar-
straße No. 4 ah , wo es eine recht gute Aussicht auf den
Deister, eine große, große Eisfläche mit tausenden von
Schlittschuhläufern, ungefähr wie bei Euch in Münster
vor dem Thore, und eine (meiner Meinung nach) ganz an-
genehme Hausfrau giebt. Mir gefällt's ganz gut! Bitte
lasse mich wissen, ob Dir ein Zimmer da reservirt werden
soll, und ob ich Dir die Musikalien übergeben oder über-
schicken soll. Scholz hat mir Deinen Musiklosen Zustand
erzählt, und ich meinte darum, es eilte nicht. Wenn doch
wenigstens der Trost für Dich dabei wäre, daß die Truppen-
märsche 1) zu etwas führten, aber der verd Bismarck,
den soll der T^) .... 1 holen. (Ist keine i sondern ein T!)
Meine Frau grüßt Dich und die Deinen; sie liegt vom
Schlittschuhlaufen erkältet zu Bett. Meinem Pathchen und
Gathchen die schönsten Grüße,
Deinem Entschluß entgegen harrend
Joseph J.
An Clara Schumann
[Hannover] Am 7'^" Januar [i864]-
Liebe Frau Schumann.
Es ist hoffentlich kein böses Omen, daß ich das neue
Jahr mit Nichtschreiben anfange, sondern nur ein
Zeichen, daß ich der alte, unverbesserliche, aber treue
Freund bleibe. Als ich Ihre zarte Aufmerksamkeit am
ersten Weihnachtsabend gewahrte, den herrlichen alten
^) Infolge der bevorstehenden Spannung mit Dänemark mußte die
Militärkapelle, die den Grundstock von Grimms Münsterer Orchester
bildete, mitmarschieren.
*'') Das T sieht aus wie „2".
An Clara Schumann 333
Gluck -Band, wollte ich gleich schreiben — mußte aber
doch bei Scholzen's bleiben, wo es übrigens auch ganz ge-
müthlich wurde! Aber Ihre Partitur war doch das Schönste,
und sogar lieber noch als die sieben Raben, die ich dies-
mal von der Königin bekam. Meine Ursi hat mir allerlei
reizende Sachen gestickt und mir Schlosser's Weltge-
schichte aufgebaut, die ich mir lange gewünscht hatte,
und so werde ich allerlei freundliche Weihnachtserlebnisse
erzählen können, wenn Sie kommen, was ja Gott sei Dank
nahe bevorsteht! Aber daß uns die Post solche Possen
spielte! Es that mir zu leid, wie ich's hörte! Auf meine
Beschwerde ist noch nichts erfolgt. Denken Sie, daß auch
ein Packet an meine Frau aus Wien verloren ist, und daß
Johannes ein hier frankirtes Packet mit Brief nochmals
bezahlen mußte. Die Callabs^) scheinen sich zu ver-
mehren ! — Von der 9'*"" Sinfonie habe ich schon eine Or-
chester- und eine Chor-Probe gehalten; sie steht fest, und
es ist eine unbeschreibliche Freude, sie mit diesem Or-
chester einzustudiren, über die man selbst den politischen
Jammer 2) zeitweilig vergißt. Mit Ihrer Wahl bin ich ganz
einverstanden; es ist mir lieb, etwas von Hiller im Pro-
gramm zu haben. Man hat seine Oper hier schmählich
ungerecht behandelt ! Meine Ursi liegt zu Bett ; wir haben
^) Ein Postbeamter in Wien, der Tausende von Briefen vei'untreut
hatte, vgl. Brahms' Brief an J. Dez. 63; Joachims Weihnachtsgeschenk
für Frau Schumann war nicht angekommen.
*) Die laue Hakung der beiden deutschen Großmächte und Hannovers
gegenüber der Annexion Schleswigs und Holsteins durch Dänemark. J. gab
mit Scholz und Bietzacher am 7. März ein Konzert in Göttingen für die
Schleswig-Holsteiner. Über die Aufführung der 9. Symph. schrieb Frau J.
an Julie v. Asten : Zur Aufführung der 9'^^" hatten wir viele Freunde hier
— Kapellmeister aus allen Gegenden — es war recht vergnügt, wie ein
kleines Musikfest. Mein Mann war den ganzen Abend in einer Glück-
seligkeit — die sich manchmal darin Luft machte, daß er mitten in das
Gewoge der Töne hineinjauchzte, was er natürlich nicht wußte — ich
aber beobachten konnte, da ich gerade vor ihm saß — ich sang nämlich
die Altpartie.
334 ^^ Julius Stockhausen
Schlittschuhlaufen 1) gelernt, und sie erkältete sich dabei,
aber ungefährlich. Sie grüßt von Herzen und freut sich
aufs Wiedersehen, wie auch Ihr treuergebner
Joseph J.
An Julius Stockhausen
[Hannover 24. Januar 1864.]
. . . Mit Schleswig -H. wirds einem so bekommen, daß
man gewaltsam den Gedanken daran zurückdämmen muß —
denn die Dinge liegen so unbestimmt, daß man nicht weiß,
ob man Preußen Prügel oder Erfolg wünschen soll; ich
neige aber zum ersteren, dann käme die Zeit zum Han-
deln jedenfalls für uns. — Meine Geige wird erst Montag
Abend fertig; auf einer andern zu spielen geht nicht, wie
ich gestern im Quartett in der Aula erfahren. Obwohl
eine Stradiv:, die ich geborgt hatte, hübsch klang, fehlte
mir die Freiheit, so schwach oder stark aufzutragen, wie 's
nieine hergiebt.
Semper fideliter
Joseph Joachim
An denselben
[Hannover] Am 1 5'^" [Febr. 1864?]
Lieber Stockhausen
Du hast Dir nach Marxens Äußerung wohl die Par-
titur 2) nicht mehr angesehen, u. er selbst mag auch
aus der Erinnerung einer Fermate (aber nicht dieser:
^ j auf den Vorschlag gekommen sein. Es wäre, als
*) Dabei passierte die meist falsch erzählte Geschichte mit dem Schlitt-
schuhanschnaller, der Jo. zuredete: „Hebben Sei't VigfeHnspeelen geleert,
wär'n Sei't Slittschuhloopen ok noch lären".
') Bachs 3. Brandenburgisches Konzert in der Ausgabe von Dehn,
Leipzig, Peters i85o, wo die Vorrede lautet: „Dem gegenwärtigen Ck)n-
An Julius Stockhausen 335
wollte man einen Spaziergang machen, thäte den ersten
Schritt, hüpfte dann etwas herum und liefe auf einem
Umweg wieder zurück, käme man mit einer Kadenz an-
gefahren, die wieder nach dem Gdur zurück modulirte.
In der Wirklichkeit kommen so Zufälligkeiten vor, im
Kunstwerk ist ja das Unlogische komisch, wie Niemand
besser weiß als Du, ganzer Kerl! Was nun die 2 Accorde
anlangt, so muß darauf ein langsamer Satz ursprünglich
gefolgt sein, der jetzt verloren ist^). In andern Concerten
ist's ja immer so. Oder vielleicht war früher einmal bei
einer Aufführung eine Repitition des 2^"^ Theils vom letzten
Achtel des 6'*" Takts auf p"'^ 9??? 2) Dann kämen die
Gedankenstriche <=< J aber schon nach dem vor-
letzten Takt; jedenfalls ist die Vorrede, die über die
auffallende Geschichte mit niederschmetternd lakonischer
Erwähnung des Original-Mscrpts. weggeht, etwas leicht-
fertig. Sollte die einfache Besetzung für den Wörmerschen
Saal ausreichen ? Das feine Gewebe Bach'scher Instrumental-
sätze ist freilich mehr für die Kammer. Jedenfalls bin ich
zum Mitspielen bereit, möchte aber ein vorläufiges An-
hören mit einfacher Besetzung im großen Lokal vorschlagen.
Den C dur Adagio Satz aus dem Violin - Concert ^) einzu-
schalten halte ich unter den hier waltenden Umständen
erlaubt. Ein Ruhepunkt zwischen i'^"* und letztem Satz
ist geboten. — Ich will die Stimmen dazu mitbringen.
Eiligst
Joseph J.
certe kann weiter keine Bemerkung voraus^reschickt werden, als daß wir
zur Herausgabe der Partitur desselben nur die Originalpartitur benutzten
und von einer spätem nirbt ganz correcten Abscbrift keinen Gebraucb
machen konnten."
*) Diese Ansicht wird von vielen Musikern geteilt.
*) in der Ausgabe der Bach-Gesellschaft. Jg. 19, S. 74.
*) in A moU- ; ist geschehen.
336 An Ernst Rudorff nach Hamburg
An Ernst Rudorff nach Hamburg
Hannover am i6'*" [März i864]
Lieber Herr Rudorff,
Yor allen Dingen den aufrichtigsten Dank für Ihre ver-
trauensvollen Zeilen, die überhaupt keiner „Ent-
schuldigung" bedürften, wären sie auch nicht für Rose,
an dessen Weiterschreiten ja auch mir herzlich gelegen
ist! Auch hätte ich, trotz meiner Reise nach Leipzig schon
geantwortet, wäre ich nur selbst zur Klarheit über einen
guten Rath gekommen — aber ich bin wirklich in einiger
Verlegenheit, wie ihm zu dienen sei. Daß es besser für
seine Zukunft sei, sich ab und zu die Anregung einer Reise
nach London zu verschaffen, als Jahr aus Jahr ein in Ham-
burg Stunden zu geben, ist richtig. Hat er aber, bei all
seinem unläugbarem Talent, schon jetzt das Zeug, mit den
bedeutendsten Geigern, die sich alle um Engagements in
London während der Season bewerben, um die Wette zu
spielen? Darauf können Sie und die Hamburger Freunde,
die ihn in der Nähe beobachteten, eigentlich besser ant-
worten als ich, der ihn nun seit anderthalb Jahren, wo er
mir im Zimmer einige abgerissene kurze Sätze spielte, nicht
gehört hat. Daß er neulich recht musikalisch sekondirte,
ist zu dem vorliegenden Zweck nicht genügend. Soll es
wirklich auf meinen Rath ankommen, so müßte ich Freund
Rose auf einige Tage mindestens hier wieder in aller Muße
hören können. Empfehlungen nützen nur dann, wenn es
gilt, andere mit aller Überzeugung auf Leistungen aufmerk-
sam zu machen, die sich dann selbst weiter den Weg zum
Herzen bahnen. Eine Illusion scheint es mir, wenn Rose
meint, einstweilig Bekanntschaften machend, in dem rau-
schenden London der Season weiter arbeiten zu können.
Dazu gehört Concentration und das fördernde Interesse lie-
bender Freunde, wenn Gott solch' seltene Gunst bescheert.
Von H. W. Ernst 887
Ihre Ansicht trifft im Allgemeinen mit meiner Erfahrung
zusammen — wie weit sie auf Rose angewendet werden
muß, werde ich erst entscheiden können, wenn er es der
Mühe werth erachtet, mir vollen Einblick in sein Können
zu gönnen. Er wird mir um seiner selbst willen immer
herzlich willkommen sein!
Daß Sie meines Besuchs in Hamburg i) noch gerne ge-
denken, ist mir eine wahre Freude; ich verdanke ihm den
Glauben an einen echten, warmen Künstler mehr, der sich
dem Höchsten mit voller Kraft zuwendet. Unser lieber
Stockhausen scheint nun an Hamburg mit dem schönsten
Band gefesselt; es wird Ihnen lieb sein. — Für Ihre Sorg-
falt, die mich noch im Eisenbahn-Coupe warm hielt, den
freundlichsten Dank! Das Pelzwerk lauerte eingepackt
schon lange Ihrer Adresse, nun haben Sie mir gar die
Mühe abgenommen, sie zu schreiben. Ist wohl eine Stichelei
auf mein Faulpelzwerk! Mit herzlichem Gruß
Joseph Joachim.
Schönste Grüße an's Quartett : R[ose] M[aszkowski] B[eer]
H[egar].
Von H. W. Ernst
21 Helles St. Cavendish Sq. 20. April [i864J
Theuerster Freund
Lasse mich Dich innigst umarmen für Deinen lieben,
meine Seele erquickenden Brief. Tausend Dank aus
tiefstem Herzensgrunde.
Mit Chappell bin ich wie immer auf freundschaftlichstem
Fuße, und sie übernehmen die ganze Zusammenstellung
meines beabsichtigten Conzertes. Den Tag kann ich Dir
noch nicht bestimmen, aber wahrscheinlich wird er in die
^) J. hatte in Hamburg; am 19. Febr. sein Un^jar. Konzert öffentlich, und
am Abend vorher bei Ave Rudorffs Streichsextett in Adur op. 5 gespielt.
338
Von H. W. Ernst
Hälfte oder 3'^ Woche von Juny [fallen]. Komme nur recht
bald und recht gesund zu uns. —
Ich schreibe heute an Spina. Dies, falls er einen fertigen
Probeabdruck meiner Etüden bereit, denselben direkt nach
Hannover sogleich zu befördern. Zwey oder drey werden Dir,
wie ich glaube, nicht mißfallen — aber sey nur nicht zu
strenge für die letzte — bestehend aus Bravour -Variationen
über the last rose of summer — sie ist Bazzini — der mir schon
vor mehreren Jahren ein Stück zugeeignet — gewidmet; sie
sind radical modern und mit Absicht und Hinblick auf
den genre der Spielart B. so gehalten. Wenn Du sie
mir nicht verzeihen kannst, mache mir wenigstens das
Vergnügen, sie zu vergessen. Dafür hoffe ich, wirst Du mit
der Dir bestimmten zufriedener seyn. Hier ist der Anfang:
Allegro moderato. Terzetto.
^ß-0-
m
^^^m
"^^^^
Und nun sey mir herzlichst gegrüßt auch von meiner
Frau, und von uns beyden die besten Empfehlungen für
Deine liebe Frau.
Dein treuer, dankbarer Freund
H. W. Ernst.
Mit meinem Gesundheitszustand geht es wieder sehr
traurig.
An Clara Schumann 339
An Clara Schumann
[Hannover] Am 20'''" [April i864]
Liebe Frau Schumann.
Neulich wollte ich Ihnen in der ersten, wirklich ganz
unbändigen Freude über Ihren lieben Brief gleich
von Cöln aus schreiben, wo ich den Tag nach Empfang
desselben spielte, kam aber bei Hillers nicht dazu! Später,
hieher zurückgekehrt, war ich ein paar Tage sehr er-
kältet — und so komme ich erst später, als ich wollte und
sollte, zu einem Freudes-Dank. Ja, Sie waren recht weit
und lange weg, und daß Sie ersteres noch sind, habe ich
besonders jetzt auch künstlerisch zu bedauern, wo ich mein
neues Concert^) in nächster Woche mit Orchester hören
will. Sonst pflegten Sie und Johannes bei solchen Ver-
suchen zu sein, und was ich an F^reude und Anregung da-
durch hatte, brauche ich nicht erst zu sagen — also bloß :
wären Sie hier! Ich habe so lange als Componist brach
gelegen, daß ich ordentlich froh bin, etwas fertiges vor mir
zu sehen, und ich fange wieder an, mit Freude, nicht bloß
wehmüthiglich an Schaffen zu denken. Mit dem ersten
Satz bin ich noch nicht zufrieden — da wäre mir denn
Ihr feines ürtheil lieb und werth. Nun, später hoffentlich!
Werde ich Sie denn in Aachen 2) sehen? Es ist zu dumm,
daß Sie nicht auch geladen sind; wahrscheinlich scheuen
sie dort die doppelten Solisten-Kosten, und Geige ist ja das
Instrument für größere Räume, mehr als Klavier! Meine
Ursi war zum Alt-Singen geladen, kann aber leider (oder
vielmehr des Grundes wegen, zum Glück!) nicht mit. Sie
wird sich bis zum Herbst, in den uns eine große, freudige
Veränderung der Häuslichkeit hineinlächelt, recht schonen
müssen. So werde ich denn auch von Aachen aus allein
1) in G-dur.
*) beim Niederrheinischen Musikfest.
34o An Clara Schumann
auf 5 Wochen nach London gehen — ich muß die 2000 Thh*,
die mir durch Engagements dort ziemHch gesichert sind,
in meinen jetzigen Verhähnissen mitnehmen. Im Juh
denken wir dann in den Harz oder nach Thüringen uns
einzumiethen, weit darf's nicht sein. Ich wölke, der ge-
strenge Herr Doctor erlaubte uns eine Fahrt nach ||: Baden :||.
Vederemo. In Köln hatte ich neulich die überraschende
Freude, Bendemanns mit Julien zu sehen. Ich kann mich
nicht entschließen „Fräulein Julie" zu sagen außer zu ihr
selbst. Sie war sehr wohl aussehend und scheint sich be-
haglich mit Bendemanns zu befinden. Die Musik hatte ihr
Freude gemacht, und wird sie's Ihnen wohl mitgetheilt
haben. Von meiner Frau lege ich einige ungelesene Zeilen
bei; sie erlaubt mir nie zu lesen, was sie schreibt. Ist das
nicht grausam? Jetzt werde ich Schelte über die Klage
bekommen ! . . .
In verehrungsvoller Freundschaft und Ergebenheit
Ihr
Joseph J.
An Clara Schumann
Hannover am 24'*" Juli [i864]
Liebe Frau Schumann.
Wie spät kommt mein Dank, und doch, wie große
Freude haben Sie mir während meines Londoner
Sklaven-Lebens bereitet! Sogar meinen neuen i) Geburts-
tag zu erinnern! Ich bin nun schon über l4 Tage hier,
und Sie können denken, wie wohlthätig der eigne Heerd
nach dem Londoner unruhigen Treiben wirkt. Meine Frau
ist Gottlob so wohl, als man es nur wünschen kann, und
so leben wir denn auf der „Wasserburg" das glücklichste,
einsame Leben. Wir werden auch hier bleiben müssen;
und dies thut mir nur insofern leid, als wir die Möglich-
1) Vgl. S. 21, Anm.
An Clara Schumann 34t
kelt, Sie, verehrteste Freundin, zu sehen, dadurch verheren !
Wir haben ernsthch überlegt, ob es sich machen ließe, in
kurzen Tagreisen bis nach Baden hin zu gelangen, ohne
daß ich aber den Muth hätte, den Gedanken zur That wer-
den zu lassen. Ich hätte nie geglaubt, als ich mich so herz-
lich über den Ankauf Ihres kleinen Häuschens in Baden
freute, daß so lange Zeit vergehen sollte, bevor ich Sie
dort besuchte ! . . . Ihnen den Londoner Concert-Trouble,
den Sie ja „schaudernd selbst erlebt haben" schildern, mag
ich nicht. Ich habe diesmal fast nichts gehört, von dem
ich Ihnen erzählen möchte! Die Oratorien -Aufführungen
sind im Winter und Vorfrühling, und so hatte ich nichts
davon, vom besten Englischen ! Bennetts Sinfonie, 3 durch
willkührliche Zwischensätzchen verbundene, zu verschie-
den Zeiten entstandene Stücke, würde Sie nur stellenweise
interessirt haben. Nur im Menuett ist Bennett 'sehe Grazie,
wie man sie aus den Messenstücken kennt. Sonst ist natür-
lich viel Mendelssohn; im letzten Satz aber namentlich
meisterlicher Fluß. Mein eigenes Concert ^) wurde an dem-
selben Abend gespielt, sehr roh begleitet, was gerade diesem
Stück besonders ungünstig ist, dessen i*^' Satz nur durch
Zartheit wirken könnte, während der letzte Satz ziemlich
viel rhythmische Entschiedenheit verlangt, die auch dem
Philharmonischen Orchester bei unbekannten Sachen ab-
geht. Daß mein Stück freundlich aufgenommen worden
ist, schiebe ich mehr auf Rechnung meiner alten Freund-
schaft mit dem Publikum, als auf dessen Freude an dem
Werk. Ich würde Ihnen die Partitur meines Concertes
gleich mitschicken, wenn ich nicht von Tag zu Tag Jo-
hannes erwartete, der mir seinen Besuch von Hamburg
aus in x\ussicht stellte. Jedenfalls sende ich es bald nach
Baden, damit Sie freundschaftliche Nachsicht daran üben.
Ihr aufrichtigst ergebener
Joseph Joachim.
1) in Gdui.
3i2 An Bernh. Scholz
An Beruh. Scholz
[Hannover, Anfan^f August 1 864.]
Lieber Scholz
Wir haben dieser Tage Deiner so oft gedacht, daß es
in Deinen Ohren sehr lebhaft musicirt haben muß.
Brahms war hier, dann kam Grimm dazu (der Münste-
raner), und diese beiden begleitete ich nach Göttingen, wo
wir trotz schlechtesten Wetters zwei hübsche Partien nach
den Gleichen und nach der Plesse machten. Ich war andert-
halb Tage aus, ohne die Ursi, die aber in diesen Tagen
gerade allerlei Wäschereien vorhatte, und an den gegen-
wärtigen Musiker weniger wie an den zukünftigen dachte !
Kaum zurück gekehrt, besuchte mich Dietrich, mit dem
zusammen wir Dich denn auch wieder herzlich vermißten.
D. macht eine Erholungsreise zu seinen Verwandten in
Sachsen; der treue, träumerische Mensch hat sich recht
aus seinem traurigen Zustand heraus gemacht — aber die
Besorgniß ftir einen Rückfall kann man leider nicht ganz
bannen, wenn man sein nervöses, leicht erregtes Wesen
beobachtet — Es thut einem da wohl, an Brahms' gewapp-
nete Natur mit ihrem gesunden Egoismus bei aller Hin-
gabe an das Schöne zu denken. Er hat nun auch seine
Chormeister- Stelle aufgegeben, um ganz seinem Schaffen
zu leben; denn so sehr das Einstudiren und Aufführen mit
den schönen, musik freudigen Kräften ihn anregte, so
wenig behagte ihm, ja störte ihn das Äußerliche der Sorge
um billige Solisten, pikante Nova etc., etc. Ihm thut beim
Aufgeben der Stelle namentlich auch leid, daß er seinen
Wunsch bezüglich Deines Requiems unerfüllt lassen muß,
was er mich Dir zu sagen bat. Du hast in diesen Ferien
ja ordentlich in Kunst- und Natur- Schönheit schwelgen
können! Mir ist in England außer einigen herrlichen Bil-
dern wenig Anregendes geboten worden. Eine ewig schei-
An seine Eltern 343
nende Hetze von Concert zu Concert war mein ganzes Da-
sein. Hier ist's desto stiller; fast alles fort! In meiner
widerlichen Angelegenheit^) werde ich vor der Rückkunft
Platens noch nichts thun; ich bin aber fest entschlossen,
mich durch keine Rücksicht aufhalten zu lassen, wenn
nicht Grün sans phrase angestellt wird.
Nun, bald kehrt Ihr ja auch wieder, und ich freue mich
schon jetzt darauf!
Aufrichtigst
Dein aufrichtiger
Joseph J.
An seine Eitern
[Hannover] am 20*^" Aug*' [i864].
Liebe Eltern
Wir haben schon die längste Zeit keine Silbe von
Ihnen veinommen und kommen mit der herzlich-
sten Bitte um baldige Nachrichten. Es brauchen ja nur
wenige Worte zu sein, und wenn Ihnen selbst das Schreiben
anstrengend wäre, übernähme gewiß gern eine geschwister-
liche Hand die Mühe. Der Sommer-Aufenthalt fährt hoffent-
lich fort, Ihnen gut zu thun. In Nord-Deutschland ist leider
die Witterung so trübe und kalt, daß man denken sollte,
im November statt im August zu leben. So habe ich denn
weniger entbehrt, daß ich mit meiner lieben Amalie dieses
Jahr in keiner schönen Berggegend sein kann. Wir leben
einen Tag wie den andern still fort, nur wenige Freunde
ab und zu empfangend, wie sich das in Erwartung des be-
vorstehenden Familien-Ereignisses (im September, so Gott
will, kommend) von selbst versteht. Allmählig treffen übri-
gens mit dem herannahenden Beginn des Theaters im Sep-
tember die musikalischen Freunde von den Ferienreisen
•) Über diesen Konflikt siehe Moser, II, 124 ff.
344 ^'on Clara Schumann
hier wieder ein, und so nehme ich mir vor, fleißig Quar-
tett zu spielen. Ein sehr lieber Besuch war mir mein
Freund Brahms, der zwei Tage bei uns wohnte. Ich bin
jedesmal von Neuem erstaunt über diese herrliche Musik-
natur, und er bestätiget meine Meinung immer mehr, daß
es seines Gleichen heutzutage nicht giebt. Eine andere an-
genehme Erscheinung bildete ein junger Geiger aus Rom,
Pinelli, den seine Verehrung für deutsche Musik nach
dem Norden trieb, und der bei mir weiter studiren will.
Das ist doch für einen Italiener etwas seltenes! Er bleibt
längere Zeit demgemäß, und ich hoffe dadurch im Italie-
nischen etwas vorwärts zu kommen. — Möchten wir bald
durch gute Nachrichten von Ihnen und den lieben Ge-
schwistern beglückt werden. Mit kindlichem Gruß von
Amalie
Ihr
Joseph
Von Clara Schumann
Rigi-Kaltbad d. 22 Aug. 1864.
. . . Doch nun zu Ihrem Concert, das kennen zu lernen
mich sehr interessirt hat, und das ich so gar gern von Ihnen
und mit Orchester hören möchte. Ich traue mir so nach
bloßem Durchspielen am Ciavier kein rechtes Urtheil zu;
zwar erschien es mir ganz ein Meisterwerk, voll feiner und
geistreicher Züge, doch wollte es mich nicht so fesseln wie
das ungarische, das Einen von Tact zu Tact mit fortreißt,
so bis in's Innerste ergreift ! — Zürnen Sie mir nicht, lieber
Joachim, daß ich dies so offen sage, lassen Sie es mich lieber
recht bald hören, ich glaube sicher, es wird mir beim Hören
lieber werden; die Geige scheint mir wieder so innig mit
dem Orchester verschmolzen, daß es für mich kaum mög-
lich, einen klaren Ueberblick nach dem Ciavier zu ge-
winnen. . . .
An den Grafen Platen 345
An den Grafen Platen
Hannover 23'^" August i864.
luer Hochgeboren Wunsch entsprechend komme ich
E"
schriftlich auf die mit Hochdemselben vor Beginn der
Ferien gepflogene Unterhaltung, Herrn Grün betreffend, zu-
rück. Ich darf die Versicherung geben, daß ich seitdem die
Sache oft und gewissenhaft überdacht habe, wie Ew. Hoch-
geboren mir empfahlen — ohne daß ich indeß vermocht
hätte, sie in anderem Lichte zu sehen.
Unmöglich konnte ich vergessen (und das ist's, worauf
ich besonders aufmerksam zu machen mir erlaube), daß
Herr Grün durch mich im Auftrag der hohen Intendanz
engagirt worden ist, mit der ausdrücklich erwähnten Aus-
sicht, er würde allmählich in die s. Z. durch Herrn Kamnier-
musikusKömpel eingenommene Stellung vorrücken. Könnte
nun Herr Grün, ohngeachtet seiner von allen Vorgesetzten
anerkannten trefflichen Leistungen und Pflichttreue im
Dienst, nach mehreren Jahren geduldigen Wartens, auf
meine erinnernde Bitte nicht befördert werden, weil er
ein Israelit ist, und giengen somit dadurch die von mir
in höherem Auftrage gegebenen Versprechungen nicht in
Erfüllung, dann bliebe mir, nach meiner Auffassung von
Ehre und Pflicht, nichts anderes zu meiner Rechtfertigung
übrig, als eventuell mit Herrn Grün gleichzeitig von meinem
Posten zurückzutreten. Ohnehin würde ich beim Beharren
in meiner jetzigen Stellung, nach Zurückweisung des Herrn
Grün, die rein persönliche Empfindung zeitlebens nicht über-
winden, durch meinen früher hier erfolgten Übertritt zur
Kirche Christi in der Kgl. Hannoverschen Kapelle weltliche
Vortheile zu genießen, während meine Stammesgenossen
in derselben eine demüthigende Stellung einnehmen. , . .
346 An Clara Schumann
An Clara Schumann
[Hannover] Am 24*^^" August [i864]
Liebe Frau Schumann.
Ich schreibe gleich, damit Sie mein Brief noch trifft, be-
vor Sie Ihre Wanderung durch die alten, lieben Punkte
antreten, und nicht hoffnungslos hinterdrein jagen muß.
Schon früher hätte ich wieder hören lassen, wenn mir Ihre
Zeile im letzten Kouvert nicht Nachricht von Ihnen in Aus-
sicht gestellt hätte. Nun glaubte ich Sie mit Johannes auf
einer Schweizertour; Ihre Andeutungen, beider, waren so
eilig, unbestimmt. Es ist mir nun lieb, Sie in der schönen,
lichten Athmosphäre zu wissen, die ich von ganzem Her-
zen vor drei Jahren mitgenoß, während wir hier leider
schon lange nichts als Kälte, Regen und Sturm haben, wie
ich's nie zuvor in der Sommerzeit erlebt. Ganz unerhört und
verstimmend ist's, diesenHannover'schen Himmel anzusehen !
Um nun zunächst Ihre Fragen zu beantworten, fange ich
bei der letzten an. Ich habe nämlich eben einen Brief an
die Intendanz befördert, worin ich sage, daß ich, falls Herr
Grün nicht (wie durch mich im höheren Auftrag beim En-
gagement versprochen war) zum Kammermusikus befördert
wird, mit Grün gleichzeitig ausscheiden würde. Ignoriren
können sie es nicht, denn ich schloß damit, daß ich dem
Kontrakt gemäß vor dem i'^" September diese Absicht
ausgesprochen hätte, um von dieser Seite aus nicht gebun-
den zu sein. Sie sollen es erfahren, sobald ich Nachricht
erhalte. Ich muß gestehen, daß, nachdem ich mich eben
eingerichtet hatte, und bevor ich noch weiß, wohin, das
Aufgeben meiner Stelle mir unangenehm ist — indeß bleibt
es inir ja unbenommen, meine jetzige Wohnung auch für
den Fall meines Fortgehens so lange zu behalten, bis ich
eine liebere Stätte gefunden. — Herr Grove ist mir in Lon-
don bald einer der liebsten englischen Freunde geworden.
An Clara Schumann 347
Er ist Sekretair des Crystal-Palace, aber dies nur um zu
leben. In competenten, gelehrten Kreisen gilt er für die
größte englische Autorität, die Geographie der Alten an-
langend. Er ist also ein ausgezeichneter Gelehrter, und
dabei hat er eine so echte, tiefe Liebe für Kunst, ein so
deutsches Versenken in Musik, daß es einem in seinem ein-
fachen, gastfreien Hause so recht wohl wird. Mir kam er
mit seiner Frau und den Kindern wie ein deutscher Kolonist
in England vor, obwohl bei ihm nicht deutsch gesprochen
wird. So ist er denn auch für Schumann begeistert, und
wird irgendwo etwas von Seh: aufgeführt, so ist er gewiß
mit einem Kreis von Gläubigen dort und klatscht mit ihm
nach, solange die Sehnen aushalten! Haben Sie ihm also
Ihr Bildchen noch nicht geschickt, so dürfen Sie es getrost
nachholen, er verdient es in jeder Weise. Was er übrigens
von der Verbreitung Schumann'scher Musik schreibt, ist
ganz wahr. Quartette von Seh: habe ich nicht öffentlich
spielen können, weil in den Ella'schen Matineen, für die
ich engagirt war, bereits eine Sonate (A moll) und Quintett
vorkam. Für das Populär Concert sind sie noch nicht;
dem ganz großen Publikum Englands gegenüber ist eben
Schum: ein zu ausschließlich deutsch-romantischer Geist.
Erst von den Einzelnen aus wird er in die Massen dringen.
Ich schicke den Grove'schen Brief zurück; für heute kann
ich nicht mehr schreiben, will aber in den nächsten Tagen
über Ihren Plan zur englischen Saison weiter reden. Sie
geben doch wohl Auftrag, Briefe nachzusenden, falls Sie
vorher vom Rigi fortgehen. Mein Concert hEiben Sie freund-
schaftlich liebevoll angesehen; ich hoffe, daß eines, das ich
jetzt vorhabe, wieder besser wird.
Tausend Grüfte von meiner Frau, auch an die lieben
Ihrigen
von
Joseph J.
348 An Clara Schumann
An Clara Schumann
[Hannover Anf. Sept. i864-]
Liebe Frau Schumann.
Sie sind hoffenthch wohlbehalten bei den Ihrigen und
von besserem Wetter begünstigt gewesen als wir! Es
ist mir wirklich eine schwierige Sache, um Ihre Frage
wegen England zu beantworten, und ich will damit an-
fangen, daß ich Ihnen sage, wie's mir ergangen: ich habe
durch 6 Wochen ein wahres Sklavenleben geführt, und
doch war das Resultat bloß etwa 33o^ brutto. Hätte
ich Engagements in Privathäusern angenommen, so hätten
sich vielleicht 400 £ herausgestellt. Und doch ist die
Chance eines Violinspielers immer noch günstiger als die
eines Klavierspielers. Die Leute, welche die Concert-Arran-
gements in Händen haben, müssen sich mit Halle, Pauer,
M""' Davison gut stellen, weil sie sie das ganze Jahr hindurch
brauchen, währenddem die Londoner einheimischen Vio-
linspieler weniger Prätensionen machen. (Die ansässigen
Klavierspieler hängen eben durch Stunden mehr mit der
Gesellschaft zusammen, mit Ladys, die Musikalien brauchen
etc., u. haben dadurch Einfluß auf den allgemeinen Musik-
handel, C'est partout comme chez nous!) Wenn Sie die
Absicht haben, mehrere Saisons nacheinander nach Lon-
don zu gehen, würde ich Ihnen dennoch entschieden dazu
rathen ; ei ner Saison wegen würde es nicht lohnen. Ich kann
Ihnen aber keinen besseren Rath geben, als ernstlich M""
Grove um Rath zu fragen; er steht unabhängig genug da,
um auf die dortigen Klavierspieler keine Rücksicht zu neh-
men, und ist doch durch Neigung und sein Sekretariat
hinlänglich bekannt mit den Verhältnissen. Ob ich selbst
wieder nach London gehe, wird von der Entscheidung des
Königs wegen Grün abhängen. Auf alle Fälle aber würde
ich es nicht wieder so machen wie das vorige Mal; d. h.
An Clara Schumann 349
ich würde mich später nur für bestimmte Concerte enga-
giren lassen und dadurch mein Honorar in den einzelnen
Fällen erhöhen, oder ich will versuchen, eigene Soireen
zu geben, wobei allerdings ein Risico ist. — Ich finde, daß
das Her umspielen in allen Concerten etwas un künstleri-
sches hat. Ich werde Ihnen mittheilen, was der König be-
schließt, sobald ich es selbst weiß; für heute schicke ich
den angeschlossenen Brief Platens.^) — Wie sollte es mich
freuen, wenn wir Aussicht hätten, wieder einmal längere
Zeit in derselben Stadt zu weilen! Theilen Sie mir doch
Ihre Winter- Pläne bald mit. Herr Ullmann hat mir
wiederholt Anerbiethungen gemacht zu Concert-Reisen : ich
sollte die Kontrole der Annoncen und Programme
haben, er würde dann trachten, auch Sie zu gewinnen.
Aber darauf kann man doch nicht eingehen! Gute Mittel
können keinen schlechten Zweck heiligen ! ! Lieber Seh warz-
bi'od aus einem reinen Teller, als Kuchen aus der Geld-
wechslerschüssel ! ! ! So denken Sie gewiß auch. — Bei mir
werden jetzt für die nächste Woche allerlei Veränderungen
vorgenommen, um den jungen Weltbürger gebührend zu
empfangen. Sie erhalten dann Nachricht. Angenehmes aus
Hannover weiß ich sonst nur noch zu berichten, wenn ich
sage, daß ich in den ersten Concerten einen halben Theil
mit Manfred und den andern mit der 9'*^" ausfüllen werde,
wozu ich Sie hier zu sehen hoffe. Ist Johannes noch bei
Ihnen? Ich schicke jedenfalls die 4 händige Sonate-), die
mir als Composition fast durchgehend ausnehmend gefällt.
Nur möchte ich sie von Ihnen beiden hören, um ein Urtheil
über den Klang zu haben. Klingt das immer deutlich
*) nicht vorhanden.
*) Die Umarbeitung des Stieichquintetts in F moll zur 4 händigen
Sonate op. 34'^'% die Brahms gerade in jenen Tagen nach Kalbeck II
i5of. vornahm. Da dieser Brief unmöglich früher als in das Ende des
August gesetzt werden kann, fand die Bearbeitung wohl einige Wochen
später statt, als Kalbeck angibt. Vgl. übrigens Brahms' Briefw. mit J. aus
jener Zeit,
35o Von Clara Schumann
genug, bei der Vollgriffigkeit und reichen Stimmführung
zugleich? Ich verstehe zu wenig von Klavier, um ohne zu
hören mir ein ürtheil zu erlauben.
Ich grüße Sie alle von Herzen und verbleibe wie immer
Ihr freundschaftlich ergebener
Joseph Joachim.
An Clara Schumann
[Hannover] 12. Sept. [i864]
• Liebe Frau Schumann
Heute, am 1 3^^" ist Ihr uns allen roth angestrichener
Geburtstag, zu dem ich uns allen gratulire, heute in
ganz besonders freudiger Stimmung! Denn gestern war
auch ein Geburtstag, und es zeugt für den guten Geschmack
des kleinen Joachim, daß er sich das Preludium eines so
musikreichen, vollstimmigen Tags zu freudigem Eintritt
wählt. Es ist ein kräftiger Junge, dem's wohl in seiner
Haut zu sein scheint, und der seiner Mutter die 1 7 bangen
Stunden (von Mitternacht bis 5 Uhr Nachmittags!) mit
einem Freudenschrei vergessen machte. —
ürsi ist ganz wohl, ich habe sie eben Milch und Zwie-
back frühstücken sehen. Wir grüßen Beide von Herzen!
Ihr
Joachim
Ist Johannes noch in Baden? Dann gilt auch ihm der
Inhalt. Ihren Kindern allen schönste Grüße.
Von derselben
Baden-Baden d. i5 Septbr: i864.
Liebster Joachim,
Welche Überraschung war das! eben hatten wir Jo-
hannes' Quartette gehört und waren in begeisterter
Stimmung, da kommt der Brief — ein rechter Musikanten-
An Clara Schumann 35l
Freuden-Schrei hallte durch unser Zimmer. Herrlich ! und
daß es ein Sohn ist, wie freut es mich für Sie. Nehmen Sie
unser Aller (auch Frl. Leser und Junghes) innigste Glück-
wünsche — mögen alle guten Geister den kleinen Welt-
bürger beschützen. Beifolgende Karten soll ich Ihnen bei-
legen, Johannes schreibt selbst.
Wie freut es mich, daß Ihre liebe Frau Alles glücklich
überstanden — wohl sind es schwere Stunden, und doch
kaum welche leichter vergessen als diese. Bitte lassen Sie
mich (nur mit ein paar Worten) bald wieder wissen, wie
es Ihrer Ursi und dem Kleinen geht? Wann ist es aber
eigentlich geboren? Ihr Brief beginnt „heute am i3'^""^)
darunter aber steht: „d. 12""' Sept." — ich denke aber, es
ist wohl der 12'^ (unser Hochzeittag) sein Geburtstag?
Wir waren am i3"" recht vergnügt mit Johannes bei-
sammen und ließen den lieben Joachim so laut leben, daß
er es wohl hören sollte, es galt ja aber auch für zwei!!!
Johannes hatte mich recht freudig überrascht mit einer
Photographie meines Häuschens, die ich Ihnen schicke, so-
bald ich noch ein Exemplar erhalte.
Der Brief soll noch heute Morgen fort, daher Weiteres,
mich betreffende, nächstens.
Adieu Ihr Lieben! 1000 gute Wünsche
von Ihrer alten
Gl. Schumann.
An dieselbe
D. i3. Oktbr. 1864.
Liebe Frau Schumann
Meine Grün'sche Angelegenheit ist noch immer in der
Schwebe; d. h. der König ignorirt sie vollständig
und glaubt wahrscheinlich, mich durch die ausgesuchteste
*) J. dachte an Frau Schs. Geburtstag, an dem nach seiner Berechnung
die Nachricht in Baden eintreffen würde.
352 An Ferd. David
Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit in andern Dingen
zu kirren. Ich kann aber nicht nachgeben und werde mir
eine Audienz vor der Taufe meines Söhnchens ausbitten
(dem er sich als Pathe angeboten hat), um in's Reine zu
kommen. — Die Saison hat schon allerlei Vorboten geschickt,
Halle, Damckes u. s. w. Die beiden haben bei Hofe gespielt.
Damckes Sachen sind tüchtig gemacht, aber — gar zu
trocken; trotzdem haben sich Majestät die 4 händige Sonate
für Orchester arrangirt erbethen! — Wie reizend ist das
Wiegenlied^) von Johannes, die alte verflochtene Melodie,
wie schön. Wenn Sie kommen, müssen wir es hören; meiner
Frauen Stimme scheint unverändert.
Sie grüßt von Herzen, auch Ihre lieben Kinder, wie
Ihr getreu ergebner
Joseph Joachim.
An Ferd. David
Am 17"° Oktober, Hannover, [i864]
Verehrter Freund
Eben habe ich wieder beim Kopisten wegen des Mo-
zart-Concertes in Adur nachfragen lassen, das ich ihm
vor Monaten gegeben hatte; es ist aber noch nicht fertig,
und wie ich Sie kenne, werden Sie sagen: Sie wundern
sich nicht, daß man so lange an Violin-Goncerten in Han-
nover componirt, wenn das Abschreiben schon so viel Zeit
kostet. Sie sollen aber das Manuscript doch in den näch-
sten Wochen erhalten, trotz dieser schlimmen Bemerkung.
Heute erlaube ich mir zu Gunsten eines Klavierspielers
ein W^ort an Sie zu richten. Er heißt Labor-) und ist
^) Op. 91 Nr. a für Altu. Bratsche, ein Pathengeschenk für J's. ältesten
Sohn.
*) Vortrefflicher Klavier- und namentlich Orgelspieler, lebte zuletzt in
Gründen; er spielte im Februar 1866 im Gewandhaus.
An Clara Schumann 353
blind, spielt aber wirklich (auch seine besondere Beschaffen-
heit beim Urtheilen abgerechnet) sehr schön, namentlich
ist sein Anschlag äußerst wohlthuend. Dieser hat nun an
die Goncertdirection vor längerer Zeit das Anliegen ge-
richtet, in einem der Gewandhaus-Concerte zu spielen, ohne
bis jetzt eine Antwort erhalten zu haben. Er hofft nun,
daß sein Wunsch, von Musikern unterstützt, bessere Ghancen
haben werde, und deßhalb bin ich so frei, auf sein Er-
suchen mich an Sie zu wenden, ob Sie sein Anliegen unter-
stützen wollen. Sie können seine Leistungen mit bestem
Gewissen empfehlen; die Herrn Moscheies und Schleinitz
haben ihn vorigen Winter auch gehört, [Rest des Satzes
weggeschnitten]. Recht von Herzen habe ich beim Bericht
über Klengels Jubiläum bedauert, nicht gegenwärtig ge-
wesen zu sein; ich hatte gemeint, es würde später im
Winter fallen, und ich würde dazu hinüberreisen können ! —
Mein kleines Gegentheil eines Jubilars befindet sich ganz
vortrefflich, und ich wünsche, daß das liebe Ding sich Ihnen
bald einmal vorstellen möge. Mit herzlichen Grüßen von
Haus zu Haus , und an Ihren lieben Wilhelmj ^) (wegge-
schnitten)
An Clara Schumann
[Hannover Okt. i864J
Liebe Frau Schumann.
Ich weiß nicht genau, ob Sie auf eine nochmalige Be-
stätigung des 26'^" Nov. als Concerttag rechnen, schreibe
also jedenfalls, daß von mir aus nichts anderes vorgenom-
men werden wird. In den letzten Tagen aber erschreckten
mich allerlei Gerüchte von üllmann für den November;
ich habe aber Erkundigungen eingezogen — und die Luft
ist rein. Mit unserm Vorhaben rücke ich aber noch nicht
^) August Wilhelmj war bis 1864 Schüler Davids.
a3
354 An Ferd. David
öffentlich heraus, bis Sie mir es bestimmt sagen. Meine
Frau darf dann doch wohl auch zur Abwechselung bei-
tragen? Es würde ihr erstes Auftreten werden. Die Braun-
schweiger wollten mich zu 3 Goncerten haben, da darf ich
doch auch einmal zum eigenen Spaß darunter musiciren!
Ich werde in diesem Winter ein paar ganz hübsche Extra-
Einnahmen haben: 4 Concerte in 4 Tagen in Holland zu
1000 Gulden, das ist ganz nett.
Rubinstein hat mir von Petersburg aus geschrieben und
2000 S. R. Garantie für Soireen in Petersb: und Moskau
geboten. Glauben Sie, daß ich hin soll? d. h. könnte die
Reise für meinen kleinen Jungen etwas Erkleckliches ab-
werfen? Darüber wüßte ich gern Ihre Meinung in ein
paar Worten. Verzeihen Sie den geschäftlichen Charakter
dieser Zeilen Ihrem Ihnen künstlerisch sehr ergebnen
Joachim.
An Ferd. David
[Hannover, Ende Oktober 1864.]
Verehrter Freund
Beifolgend das Goncert in A, das mir bedeutender er-
scheint als das in D, trotz einiger (aber immerhin
Mozart'scher) Zöpferl ! Ich habe auf Ihren Wunsch in aller
Eile die Kadenzen aufgeschrieben, die ich voriges Jahr dazu
spielte, und freue mich auf die nun gewiß nachkommen-
den von Ihnen. Auch im letzten ließe sich eine Haltestelle
vordem Schluß für eine Kadenz finden, nur scheint mir der
(oder die?) Menuett zu anspruchslos in ihrem lieblichen
Fluß, um eine einzuflechten. Jedenfalls würde es eine
schwere Aufgabe sein. Wahrscheinlich finden sich in der
Partitur Fehler, denn ich habe nicht corrigirt, um die Ver-
säumniß des Gopisten nicht durch Aufenthalt noch fühl-
barer zu machen. Bitte, schreiben Sie mir ein paar Zeilen,
An Julius Rietz 355
wie's mit Wilhelmj geht; geigt er wieder? Decke i) einen
schönen Gruß; Ihnen und den lieben Ihrigen von uns bei
den die herzlichsten Empfehlungen.
Stets Ihr
Joseph J.
Von Luise Scholz
Hannover if^. Januar 65,
Strafzettel für die Unterkatze 2) Joachim,
Dieselbe hat wegen Nichterscheinens gegen ihr ge-
gebnes Wort bei Leberklösen, Sauerkraut u. Erbsen-
brei einen Gr.[oschen] Strafe zu bezahlen. Ausreden wegen
Schnupfens werden in Anbetracht der Fiakres nicht an-
genommen, Stellvertreter recht liebenswürdig, aber nicht
ganz ebenbürtig. Das Strafgeld ist zu entrichten bei der
Frau Collegin ürsi.
Luise Scholz
Oberkatze.
Gesehen und approbirt, nebst Androhung härterer Buße
im Wiederholungsfalle.
B. Scholz
Oberkater.
An Julius Rietz
[Hannover, Ende Januar i865.]
Verehrter Freund.
Du wirst es diesem Blatt ansehen, daß mich ein schwerer
Verlust betroffen: mein Vater ist am 17*''" aus diesem
Leben geschieden. Er war 76 Jahre alt und in den letzten
*) Später Schüler von Joachim; igoS als Konzertmeister in Karlsruhe
gestorben.
2) vgl. S. 3o8.
23*
356 An Clara Schumann
Jahren kränkhch; man mußte sich also auf den Tod vor-
bereiten — das Eintreffen will dennoch überwunden wer-
den! Ich hatte gehofft, er sollte sein jüngstes Enkelchen
noch segnen. —
Du erlaubst mir wohl ein paar Worte zu Gunsten eines
Mitglieds der Hannoverschen Kapelle, der sich bei Euch
um eine Cellisten -Stelle bewirbt, und der mich um eine
Empfehlung an Dich bat. Ich gebe sie Herrn Eyertt von
ganzem Herzen, denn er ist mir als Mensch und Künstler
werth. Über sein Solo-Spiel wäre es überflüssig, Dir etwas
zu sagen, da Du ihn bei der Probe hören wirst — ich will
nur wünschen, daß sein Mangel an Übung, vor Hörern zu
spielen, seine trefflichen Eigenschaften nicht beeinträch-
tigen möge! Als Orchester- und Quartett-Spieler kann ich
ihm nach vieljähriger Erfahrung das beste Zeugniß geben:
Sicherheit, Freude am Musiciren und Gewissenhaftigkeit
halten da gleichen Schritt. Blieb ich hier in Hannover,
sein Wunsch, das Glück anderwärts zu versuchen, gienge
mir sehr nahe. — Hoffentlich bringt mir Herr Eyertt gute
Nachrichten von Deinem Befinden. —
Wir grüßen Dich beide, meine Frau leider noch unbe-
kannter Weise!
Dein
Joseph Joachim.
An Clara Schumann
[Hannover, 3. Febr i865.]
Liebe Frau Schumann.
Wohl ist die Trauerkunde wahr! Mein seliger Vater
war 76 Jahre alt. Der Winter pflegte ihn in den
letzten Jahren immer anzugreifen, aber er erholte sich auch
wieder leicht. Sie können denken, wie hart mich die Nach-
richt nach dem letzten Concert traf; meine Frau hatte es
schon den ganzen 21"=" gewußt und mußte mich nun in
An Clara Schumann SSy
dem Zustand in's Concert bringen, spielen und dirigiren
lassen, ohne mir was zu sagen.
Die Ärmste! Seit diesem Schlag sind nun hier auch die
häßlichsten Verleumdungen über mich in den Blättern i)
vorgekommen; ich hatte diesen Schmutz vorher nahen
sehen, aber ich bin empfindlicher und verstimmter dar-
über, als ich geglaubt hätte. Auch war ich anderthalb
lange Stunden beim König, der mir durch allerlei Liebens-
würdigkeit meinen Entschluß ausreden wollte: ich blieb
fest. Über das Gespräch mündlich einmal. — In Hamburg
waren wir nicht; ich telegraphirte ab, da ich mich nicht
entschließen konnte in der Stimmung, die sich meiner be-
mächtigte, zu concertiren.
Der Manfred ist nun wieder, aber diesmal zuletzt! ver-
schoben; und zwar auf den 25'*". Schreiben Sie mir so-
bald als möglich, ob Sie sicher spielen können und wollen.
Am I. März reise ich nach London.
Das Sextett 2) werde ich erst jetzt mit Muße lesen kön-
nen; Sie können denken, wie mich's verlangt, es näher zu
kennen. Das Adagio scheint wunderschön u. echter Jo-
hannes.
Mit unsern herzlichen Grüßen und Wünschen guter
Heilung der Hand
Ihr
J. J.
P. S. Vielleicht interessiren Sie und unsere Freunde die
Notizen eines Blattes, das für mich in der Grün'schen
Sache Partei nimmt. Meine Feinde hatten drucken lassen,
daß ich hier ä tout prix einen Schüler anbringen wollte,
daß ich Talente der hiesigen Kapelle ihm zur Lieb' hint-
angesetzt, und daß die Intendanz, nur um meinem zudring-
lichen Bitten zu wehren, geäußert habe, es gienge aus Re-
ligionsgründen nicht! etc. etc.
*) über die Grünsche Angelegenheit.
') das zweite, in Gdur, von Brahms.
358 Von Clara Schumann
An Ferd. David
[Hannover etwa 5. Febr. 1 865]
Lieber Freund
Es ist Ihnen vielleicht lieb, mein G dur Concert vor der
Probe einmal durchzusehen, darum schicke ich es vor-
aus. Sehr schwer ist es nicht, aber es bedarf ziemlicher
Sorgfalt von Seiten der Holzbläser. Im Nothfall könnten
wir ja wohl das Ganze am Donnerstag noch ein Stündchen
durchgehen. Nicht wahr? Als 2'*^ Stück will ich spielen.
a) Barcarole I ^j ,
b) Scherzo j "
c) Bourree u. Double v. Bach
Sie müssen diesmal, fürchte ich, mit meinem guten Willen
fürlieb nehmen. Die Trauernachricht aus Pesth, Verdrieß-
lichkeiten hier am Ort und die Sorge um die eigenen Abonn.-
Concerte haben mich in letzter Zeit nicht viel zum Üben
kommen lassen. Meine Frau wird zwei Arien (aus Theo-
dora V. Händel und Titus v. Mozart) und Lieder von Schu-
bert singen. Die Stimmen zum Titus sind gewiß aus dem
Leipziger Theater zu bekommen. Wir reisen Dienstag um
1 Uhr Nachmittags ab, Averden bei Dr. Härtel wohnen, und
so hole ich Sie denn am Mittwoch ^2 9 Uhr zur Probe ab.
Mit den herzlichsten Empfehlungen an die lieben Ihrigen
und freundschaftlich erereben _,
" Ihr
Von Clara Schumann
Joseph J.
Cölnd. 81«" Febr. i865.
Lieber Joachim,
Wie leid thut mir alles, was Sie mir in Ihrem letzten
Brief schreiben! Die Gemeinheiten der Menschen
lassen Sie sich aber doch ja nicht anfechten — wer wie Sie
Von Clara Schumann 3Sg
allen Menschen als Charakter so hoch steht, an dem kann
ja nichts haften; und gedenken Sie z. B. Mendelssohns^),
was der alles über sich ergehen lassen mußte! Kein Mensch
weiß es mehr, und überhaupt heute wird's gelesen, morgen
ist es vergessen.
Sind Sie nun wirklich ganz fest entschlossen, Hannover
zu verlassen?
Wie Sie den Verlust Ihres Vaters, so hat Johannes jetzt
den seiner Mutter zu tragen. — Er schrieb es Ihnen wohl,
und daß er jetzt in Hamburg ist. Vor diesem Schmerze
hatte er sich lange gefürchtet, und für die arme Elise 2)
ist der Verlust nun gar traurig! Ich habe keinen Begriff,
wie es mit ihr werden wird, und beschäftigt mich dies viel.
Ob ich am 25'^° bei Ihnen spielen kann, ist mir heute
noch unmöglich zu bestimmen, sobald ich es aber kann,
schreibe ich Ihnen; seit gestern erst darf ich die Hand wie-
der bewegen, nach fast 4 Wochen. Anfang nächster Woche
soll ich wieder anfangen, leise zu spielen — ich fürchte mich
förmlich davor, wie Sie denken können, denn bisher war
mir immer, als könnte ich gar nicht wieder spielen.
Wollen Sie denn den Manfred mit Richard Pohls Bear-
beitung geben? Levi hat ihn neulich aufgeführt und nur
theilweise Pohl's Bearbeitung benutzt und doch noch drei
Schauspieler dazu genommen. Die Aufführung soll herr-
lich gewesen sein! Den Schlußchor hat er hinter dem
Saal in einem Nebenzimmer mit Orgel singen lassen. —
Können Sie das nicht mit einem Harmonium auch so ein-
richten? —
Für heute muß ich Ihnen Adieu sagen. Bitte, grüßen
Sie doch die Ihrigen alle herzlich, wenn Sie nach Pesth
schreiben, und versichern Sie sie meiner warmen Theil-
*) Eine derartige Klatscherei über M. ist jetzt wieder aufgewärmt in
R. Wagner: Mein Leben S. 278 ; es wäre Pflicht des Herausgebers gewesen,
dazu ein Wort zu sagen.
*) Brahms' Schwester.
36o An Th. Ave-Lallemant
nähme. Der lieben Ursi schönste Grüße, wie auch Ihnen
von uns Beiden.
Getreu
Ihre
Gl. Schumann.
An Th. Ave-Lallemant
[Hannover i3. Febr. i865.]
Lieber Freund.
Dank für Deinen guten Brief; wir kommen reichhch
so gern, als Ihr uns aufnehmt, obwohl dies nee plus
ultra ist, muß ich sagen.
Du stehst Dir aber sehr im Licht, daß Du des alten Bach
Violin-Concert nicht magst. Paßte für Sonntag morgen
auch viel besser als der Teufelstriller. Indeß: „des Men-
schen Wille" etc. Nur bitte ich, schreibe zu Tartini („Auf
Wunsch"), sonst schäme ich mich.
Meine Frau will auch gerne die Passions-Arie Dir zu
Gefallen singen. Habt Ihr Stimmen dazu? Als ihre 2'^ Piece
käme dann die Titus-Arie aus A dur. Aus F moll kennen
wir gar keine. Ist wohl ein Versehen von Dir damit? Die
Stimmen kann gewiß das Theater schaffen. Das Programm
der Asten kann so bleiben; ist ja sehr schön. Probiren aber
müssen wir Samstag früh für die Philharmoniker, denn ich
werde wahrscheinlich hier Freitag früh noch für den Man-
fred arbeiten müssen. Über Johannes noch zu hören, sehne
ich mich sehr. Ich hatte gehofft, wir würden ein Stück
Wegs zusammen fahren, leider vergebens. Daß es ein Pracht-
kerl ist, wissen wir lange!
Vom Haus, inclusive Johannes dem Jüngern, herzliche
Grüße, auch warmen Dank von unserm lieben Gast^) für
^) Frl. Julie v. Asten.
Von Ernst Rudorff 36l
Deine Hülfe zur Soiree. An Stockhausen 's alles Schöne,
und nun auf Wiedersehen!
Der Deine
Joseph J.
Von Ernst Rudorff
Berlin d. 25'^" Februar i865.
Lieber verehrter Herr Joachim! —
Sie haben zwar in letzter Zeit so Manches erlebt, was
Sie im Innersten bewegt haben wird, wahrhaft Ernstes
und Schweres, und dann auch wieder Lästiges, Verdrieß-
liches, das Sie von ganz anderer Seite her erregt, daß es
mir fast unpassend scheint, Ihnen jetzt zu schreiben, wo
Ihnen Kopf und Herz so besonders eingenommen ist von
wichtigeren Dingen — Aber es ist mir doch Bedürfniß,
Ihnen mit einem kurzen Wort meine herzliche Theilnahme
auszusprechen, an der Sie wohl nicht zweifeln, und dann
auch Ihnen noch einen Abschiedsgruß zu schicken, ehe Sie
nach England gehen. Sie finden das wohl etwas kindlich,
daß Einem eine Reise nach England wie ein so besonderer
Abschnitt erscheint; es ist aber auch nicht das allein. Ich
hatte ja gehofft — so wie meine Pläne um Weihnachten noch
waren — gar nicht so weit aus Ihrer Nähe verschlagen zu
werden, sondern von Braunschweig aus noch nach Kräften
häufig mir die große Freude zu machen, Sie zu sehen und
Musik bei Ihnen zu hören. — Nun ist es mir, als wäre kein
ehrlicher vSchluß an dem Stück, und ich komme deshalb
noch einmal, Ihnen für Alles Schöne, Unvergeßliche an
musikalischen Eindrücken und für die viele Freundlichkeit
zu danken, mit der Sie mich stets bei sich aufgenommen
haben. Es wird Alles wohl im Andenken bewahrt, die
Eroica, der Wasserträger- Abend ^), der mir zum ersten Male
^) Auch J. stellte die Oper sehr hoch; sein kühles Urteil im Sept. i853
(Bd. I S. 79) war nur vorübergehend.
362 Von Ernst Rudorff
die Freude brachte mit Ihnen zu hören und so herrliche
Musik gemeinschaftlich zu genießen, dann aber freilich vor
Allem die letzten Tage, die Beethovenfeier, und die Quar-
tette am Sonntag Morgen. . . .
Wie es mit Ihnen werden wird, ob Sie Hannover wirk-
lich ganz verlassen oder doch bleiben, darüber bin ich recht
begierig, etwas zu erfahren. Könnten Sie nur die Capelle
in die Tasche stecken , daß man nur an einen anderen
Ort zu reisen brauchte, um die 9'*' Symphonie unter
Ihnen zu hören, so wäre es schon gut; aber daß Sie das
Orchester nicht behalten sollen und es Sie, das ist sehr
traurig !
Heute spielt ja wohl Frau Schumann bei Ihnen, und
hoffentlich wieder mit ganz freier Hand. Sie schrieb auch
neulich davon an Jemand, vielleicht hier zu spielen, und
ich will ihr ein recht dankbares, ihrer würdiges Publikum
wünschen ; ob der Wunsch aber was hilft, das ist mir noch
nicht ganz sicher bei den Berlinern. — Gesang ist doch
etwas so viel populäreres, und außerdem war es schon eine
Art Modesache hier geworden, Stockhausen zu hören —
auch schon deshalb, weil seine Concerte so besonders theuer
sind. — Es ist arg, das zu sagen, aber doch leider wahr. —
Frau Schumann dagegen ist den Leuten nicht neu und
prätensiös genug, so bin ich also nicht ganz ohne Besorgniß
für die Stärke des Besuchs. Vielleicht haben Sie gelegent-
lich durch sie auch erfahren, wie es mit Braunschweig aus-
einandergegangen ist, und so spare ich mir die schriftlich
besonders langweilige Auseinandersetzung. — Ich bin nun
hier ganz zufrieden, habe weniger Geselligkeit als ehedem
und arbeite ziemlich fleißig. — Die F moU Fantasie 1) von
Schubert ist noch nicht ganz fertig; — ich hätte sie Ihnen
so gern geschickt zur Beurtheilung, aber da macht England
schon einen Querstrich. Jetzt ist meine Zeit gründlich in
Anspruch genommen durch ein Concert, das Mitte März
*) op. io3, zu 4 Händen, wurde von R. für Orchester arrangiert.
Von Ernst Rudorff 363
bevorsteht — Frau Jachmann-Wagner singt für den Gustav-
Adolf- Verein den ganzen Orpheus im Concert, den soll ich
einstudiren und dirigiren, und das macht mir neben sehr
großer Freude auch sehr viel Noth. Sie glauben nicht, wie
schwer es ist, einen improvisirten Chor, einen Tag zu den
Proben, einen Raum, der zufällig an diesem Tage frei ist,
eine Stunde herauszufinden, die das Liebigsche Orchester,
und dann alle die übrigen Leute zu den Hauptproben frei
haben; — oder vielmehr, Sie werden es mir sehr glauben,
da Sie so etwas aus Erfahrung besser kennen, als ich. —
Eben ist mir eingefallen, daß Herr Scholz mir vielleicht
noch Chorstimmen vom Theater leihen kann; die unseren
reichen nicht aus, und ich bin sehr zufrieden über den Ein-
fall, denn Gustav- Adolf ist zu geizig, um auch noch Geld
für Notencopirungen auszugeben. — So werde ich ihm gleich
noch ein paar Zeilen schreiben, die ich nicht hier einlege,
da er ja leicht in Hannover ohne weitere Adresse zu finden
sein wird.
Und nun herzliches Lebewohl für heute Ihnen und Ihrer
lieben Frau Gemahlin ! Es thut mir leid, daß ich den kleinen
Namenlosen noch nicht grüßen lassen kann, der Gruß würde
ihm aber wenig Spaß machen! —
In bekannter aufrichtiger Ergebenheit
Ihr
Ernst RudorfP.
Haben Sie wohl das neue Sextett von Brahms probirt? —
Frau Schumann gab es mir ganz kurze Zeit, und ich kam
nur dazu, den ersten Satz anzusehen, der schien mir aber
sehr eigenthümlich und geistvoll. —
364 ^o"^ Bernh. Scholz
Von Bernh. Scholz^)
Hannover -} April 65.
Lieber Jo, Dein Brief an Pinelli wird wohl schon in
dessen Händen sein; ich habe ihn gestern expedirt.
Was hätte ich Dir bis jetzt melden sollen? — Unruhe,
Sorgen, Pläne, Gedanken! Jetzt weiß ich doch allerlei zu
schreiben !
i) ist mit Ursis Hülfe auch meine Hannoversche Soiree
gut abgelaufen; ich habe entschieden an Zuversicht ge-
wonnen und hoffe, es soll immer besser werden
2) habe ich gekündigt und denke ziemlich sicher näch-
sten Winter in Florenz oder Rom zu sein
3) bin ich bei Schorse gewesen und habe einen langen
Zwiesprach mit ihm gehabt. Er hat alle meine Gründe
zum Weggehen eingesehen, die Heiden wirthschaft mit
Platen beklagt: er könne ihn wohl los werden, wenn er
nur wüßte, wen er an dessen Stelle setzen sollte. Schorse
ist übrigens fest der Meinung gewesen, nach beigelegter
Grün'scher Sache müßtest Du wieder kommen. Du habest
ihm beim Weggehen noch gesagt, wenn die Sache auf eine
für Grün ehrenvolle Weise geordnet werden könne, so
würdest Du bleiben. Ich bemerkte ihm, das hätte geschehen
müssen, so lange Du hier gewesen seist; es sei etwas spät
geordnet worden, worauf er: daß er krank gewesen sei;
allerdings sei die Sache Anfangs durch Platen's Schuld
verschleppt worden. Du kennst meine Ansicht über die
Schuldhaftigkeit und folglich -Haftbarkeit beider hoher
Herren; allein in einem Punkte hast Du auch jetzt un-
recht. Du schiebst Deine Differenz mit dem König auf ein
anderes Feld, als hier. Du hast hier gegen mich, gegen
^) J. war Ende Februar nach Paris und England gereist, wohin Frau
und Kind nachkamen, um den Frühling und Sommer in London und
dem Seebad Whitby zu verbringen.
Von Beruh. Scholz 365
Freunde und gegen den König geäußert, daß Du die Sache
als Misbrauch Deines Wortes auffassest, und hast positiv
ausgesprochen, daß wenn Grün sich zufrieden gebe. Du
die Kündigung zurück nehmen würdest.
Du weißt, ich urtheile ziemlich streng, aber ich finde,
Grün hat alle Ursache zufrieden zu sein : Es ist ihm Alles,
ja mehr erfüllt, als Du ihm damals geboten. Er ist wie
Kömpel Kanniiervirtuos, hat dessen Gehalt, lebensläng-
liche Anstellung^) mit Pensionsberechtigung (das
ist der Punct, um den sich Alles gedreht hat), und der König
hat ihm, wie mir, erklärt, daß er sich, wenn auch nicht
juristisch (da Dein Brief an Grün nur sehr vage Ver-
sprechungen enth alten hatte), doch ni o r a 1 i s c h als Christ für
verpflichtet halte, das schreiende Unrecht, das gegen
Grün verübt sei (sie!), wieder gut zu machen. Das ist Alles,
was man von einem König verlangen kann, das Hinterthür-
chen, daß der Titel Kammermusicus umgangen ist, kann man
ihm wohl gönnen, denn an dem Worte liegt jetzt nichts mehr ;
die Sache ist in einer höchst respectablen Weise für Grün
geschlichtet. Was Du sagen kannst, ist: „Zu spät!" Aber
das ist auch Alles, freilich genügend. Du bist Dir's und
der Sache aber schuldig, consequent und correct zu bleiben,
nicht nachträglich den Standpunkt zu verändern. Das ist
meine Meinung. Eines kannst Du auch noch anführen:
daß Dir wider die Ehre dünke, ferner unter einem Chef
zu dienen, der so deutlich gezeigt habe, daß er Dich los
sein wolle. Nur an der Art, wie die Sache geordnet ist,
gibts für Dich nichts zu mäkeln. So scheint es mir wenig-
stens, und ich bitte Dich, laß Dich nicht durch W^unsch
oder Abneigung in der rechtlichen oder richtigen Behand-
lung der Sache irre leiten. . . .
Kommst Du vielleicht zum Musikfest nach Mainz? Wir
*) Ist nicht ganz genau; es wurde Grün nur zugesichert, daß man vom
Recht der Kündigung keinen Gebrauch machen würde, so wenigstens
bei Fischer, S. 270.
366 An Frau Scholz
könnten Dich dort sammt Frau u. Kind beherbergen. Das
Fest ist im Juli; Du müßtest Dich nur bald bei uns an-
melden.
Du kannst Dir denken, wie ich erst mit mir gerungen
habe, ehe ich hier kündigte. Erst wie mir 's förmlich
schlecht, übel dabei zu Muthe wurde, habe ich den Salto
mortale gewagt, unterstützt durch Zuspruch der lieben
„Herrn Eltern".
„Ich hab mein Sach auf nichts gestellt, Juchhe"
Seitdem ist mir's ordentlich leicht ums Herz.
Herzlichen Gruß
Dein
Scholz
An Luise Scholz
[London, i. Hälfte Juni i865.]
Liebe Louise.
Es wäre ein schlimmes Omen, wenn der erste 28'^ Juni ^)
ohne Gruß vorüberginge, nachdem uns das Schicksal
so weit äußerlich auseinander zu reißen droht. Drum
schreibt denn der schreib- und sonst faule Jo diese Zeilen,
Dich durch herzlichste Wünsche zu erinnern, daß er auf
der Welt, also auch geboren ist! Wie geht's Euch nur,
und was habt Ihr vor, in freundlichem Sinn? Wohl vor-
erst das Musikfest, und ich wollte, ich könnte die Ohren
voll Gesang und den Mund voll Mainzer Bier mit Euch
füllen. Der Ursi Befinden verbiethet aber leider derlei, und
wir gehen vorerst in guten 8 Tagen an die See. . . . Nach
Hannover habe ich an Prinzen Georg u. Lex geschrieben,
daß ich nie verhehlt hätte, wie zwei Gründe mich fortge-
trieben, einmal die unerfüllten Bedingungen, u. dann die
Unmöglichkeit, als getaufter Israelit einem Institut vorzu-
^) Frau Scholz's und zugleich Joachims Geburtstag.
An Clara Schumann 867
stehen, in dem meine Stammesgenossen eine demüthigende
Stellung hätten. Darauf läßt sich höchstens erwidern, daß
dies Geschmacksache sei, aber mein Geschmack ist nun
einmal so geartet. Ist wohl Pinelli am Rhein? Bitte den
Bär, an den ja die Zeilen ebenso wie an Dich gerichtet
sind, mir darauf zu antworten. Ich habe jetzt mehr Zeit,
und schriebe gern dem lieben Gesellen ein Wort des Trostes
für das Aufgeben seiner Studien bei mir. Mir ist's zu
Muth wie jenem Sultan (oder Barbier?) der einen Augen-
blick seinen Kopf in's Wasser getaucht zu haben glaubte
und beim Aufschauen merkte, wie viel Jahre währenddeß
verstrichen sein mußten. Wie viel hat sich verändert, wäh-
rend ich im Strudel der Saison verschwunden war!
Lasset, liebe Louise und lieber B, uns nicht den alten
Standpunkt verlieren, und an unveränderter Theilnahme
von Haus zu Haus festhalten!
Euer
Joseph Joachim.
An Clara Schumann
Whitby [Anf. JuH i865]
Liebe Frau Schumann.
Wir sind seit einer Woche hier an der See, und die
kühlere, reinere Luft thut meiner Frau wohl. Auch
der Junge gedeiht, und mir gefällt es hier. Die alte Stadt
Whitby liegt an den beiden Ufern eines in's Meer laufen-
den Flüßchens (Esk), dessen Mündung einen von 2 mäch-
tigen Steinstämmen eingeschlossenen Hafen bildet; der neue
Theil der Stadt ist auf den etwa 200 Fuß hohen Dünen
gebaut, und da wohnen wir. Man kann sehr hübsche Aus-
flüge auch in's Innere machen, wo es schattige Hügel und
Bäche nach Art deutscher Landschaften giebt. So denke
ich, werden wir es 6 bis 8 Wochen hier behaglich finden,
und dann ist gewiß meine Frau kräftig genug, um den
368 An Bernh. Cracroft
Abstecher nach Baden und Hannover zu machen. In Lon-
don war's noch recht unerquickhch heiß, nachdem Sie uns
verlassen; doch wünschte ich Sie zum Händel-Fest herbei!
Es klang im Ganzen überwältigend, wenn man auch über
manches Costa'sche in der Temponahme und Instrumen-
tation ärgerlich werden konnte. Eine große Freude berei-
tete ich mir noch am letzten Tag meines Londoner Aufent-
halts durch das Sextett von Brahms in G. Ich hatte mich
eigentlich ein bischen davor gefürchtet, denn das erste Sex-
tett war mir als besonderer Liebling im Sinn, und wenn
ich das neue darnach maaß, mußte ich mir gestehen, daß
die Gedanken an Kraft nachstehen. Nun klingt aber doch
der erste Satz so anmuthig, das Scherzo oft so originell
und das Adagio enthält so viel harmonisch Tiefes, daß ich
das Ganze lieb gewann und nur wünschte, der letzte Satz
wäre dabei gewesen. Ist Johannes noch bei Ihnen? Bleibt
er bis September? Ich hoffe es von Herzen, denn ich habe
ihn lange entbehren müssen. Wenn ich weiß, daß er in
Baden ist, so schreibe ich ihm ; es ist mir aber unbehaglich,
in's Ungewisse hinein zu schreiben. Lassen Sie uns bald
von Sich und den Ihrigen hören, liebe Frau Schumann ! . . .
Mit den herzlichsten Grüßen und freundschaftlichen
Dank für die lieben Geburtstags-Zeilen
Ihr Joseph Joachim.
An Bernh. Cracroft^)
Whitby 23. JuU [i865]
Mein lieber Cracroft
Seitdem Sie die große Güte hatten, mir den sehr inte-
ressanten „Speech" von Herrn Göschen über die Uni-
versität-Bill 2) zu schicken, habe ich nichts von Ihnen gehört.
*) Politiker, lan{jjahri{(er Freund J's.
'^) in der Parlamentssitzung vom 30. Juni über die Gründung kon-
fessioneller (katholischer) Universitäten für Irland.
An Beruh. Cracroft 369
Leider war ich neben meinen Beschäftigungen in London
auch durch das fortgesetzte Unwohlsein meiner Frau so in
Anspruch genommen, daß ich mich um meine Freunde gar
nicht umsehen konnte, und ich bin, fast wie ein Schuldiger,
heimlich aus London weg geeilt. Seit i4 Tagen nun bin
ich hier in Whitby und habe die Freude, daß sich meine
Frau sehr erholt. Die Luft ist überaus rein und stärkend
und hat auch bei mir die wirklich große Ermüdung von
der Saison weggeweht, so daß ich wieder sehr musiklustig
bin und Ihnen alle möglichen Concerte und Quartette vor-
spielen möchte, wäre es nur nicht gar so weit nach Upper
Davies Street.
Sie stecken wohl ganz in Politics und werden den be-
deutenden Sieg der Liberais in vollen Zügen genießen. Ich
vergesse immer, ob Sie ein Cambridge oder ein Oxfbrdman
sind. Als letzterer würde Ihnen das Aufgeben Gladstones^)
für's Parlament gewiß nahe gehen; aber ich muß sagen,
daß es mir ein beruhigender Gedanke ist, den Genius Glad-
stones ungefesselt arbeitend zu denken. Und das J^and wird
auch mit Scham inne werden, wie weit Intoleranz selbst
die Gebildetsten führen kann ! — Lassen Sie mich doch bald
in einigen Worten hören, wie und wo Sie leben; nament-
lich, ob ich etwa Aussicht habe, Sie Mitte August in Lon-
don zu treffen. Ich werde um diese Zeit mit Frau und Kind
durch London kommen und ein paar Tage dort bleiben,
bevor ich nach Frankreich und Deutschland reise. Wie
würde ich mich freuen, Sie vor der Abreise zu sehen; denn
vor Februar 1866 käme ich nicht nach London zurück.
Meine Frau studirt fleißig in Ihrem Buch und grüßt freund-
lichst. Stets Ihr herzlich ergebener
Josepl
*) Bei den Neuwahlen zum Parlament im Juli war Gl., der bishe
Oxford vertreten hatte, unterlegen.
34
370 An Clara Schumann
An Julius O. Grimm
[Hannover] Sonntag. [34' Sept. i865]
Liebster Ise.
Wir harren Deiner, oder darf ich sagen Eurer? mit
wahrer Freude. Könnten wir Dich nur auch beher-
bergen! Das geht aber leider nicht, weil wir schon eine
englische Freundin (Lady Anabella Noel, eine Enkelin By-
rons, die Dir sehr, ja katzenhaft, gefallen wird) mit Zofe
in unserem kleinen Logis untergebracht haben. Du bist
mir mit Deinem Brief zuvorgekommen, ich wollte mich
nach Deiner Gesundheit erkündigen; Dein Kommen ist die
schönste Antwort. Lasse nicht lange warten. Gestern hörte
ich eine Rede in der Naturforscher- Versammlung, der Mann,
der sprach, rutschte so merkwürdig auf dem Katheder
herum und schrieb mit der rechten Hand so viel Imagi-
naires in der Luft, daß ich ohne zu fragen. Deine drastische
Beschreibung Mädlers^) erkannte; ich mußte sehr lachen.
Grüße sämtliche Ritmüllers von
Deinem
Joseph J.
Apropos, Sonnabend gehen wir nach Hamburg, zum
Elias und zur Missa solemnis; meine Frau singt.
An Clara Schumann
[Hannover 11. Oktober i865]
. . . Von der Hamburger Zeit wird Ihnen Lady Anabella
erzählt haben; es war doch ein Genuß, die große Messe
ganz an sich vorüberziehen zu lassen, mag auch die Auf-
führung manchmal zu wünschen gegeben haben. Die
^) J. H. Mädler, Prof. der Astronomie in Dorpat, der in der ersten Ge-
samtsitzung der Naturforscher- Versammlung über Kalenderreform sprach.
An Clara Schumann 3'ji
Orgel und der trefflich klingende Chor vermischten sich
herrlich in der schönen Kirche.
Der Elias gieng natürlich viel glatter; man konnte es eine
gute Aufführung nennen. Stockhausen war in allen erregten,
in die Handlung eingreifenden Stellen wahrhaft grandios
mit seiner accentreichen Deklamation. Wären die Gebete
inniger, ruhiger getragen gewesen, man könnte seinen Elias
vollendet nennen. Die letzte Seite fehlte für mich, obwohl
natürlich auch in den sanften Stücken vieles war, wie's
kein anderer singen kann. Meine Frau war gut bei Stimme,
und ich wollte, Sie hätten mit zugehört. Sie grüßt herz-
lich, und ich bin immer
getreulich Ihr
Joseph J.
An Clara Schumann
Montag [Cöln d. i6. Okt. i865].
Liebe Frau Schumann
Hier sind die Programme, an denen kaum etwas ge-
ändert ist. Die Frankfurter können mir mit ihren
Umständen gestohlen werden!
400 Gulden, und dann erst noch an den Diener 12 Kr.
per Billetü
Ich finde namentlich letzteres empörend! Preßt denn
der Kerl durch seine Überredung Leute in's Concert? Um
Gottes Willen, liebe Frau Schumann, lassen Sie uns daran
festhalten, keine Listen nirgends herum zu schicken ').
Der Gedanke daran, daß man aus Rücksicht für uns von
Seiten reicher Bekannten statt 2 Billeten 4 etc. etc. nehmen
möchte, macht mich brühwarm und kalt zugleich. Lassen
^) Gegen den Unfug, Listen zum Einzeichnen herumzuschicken, hat
J. oft, namenthch auch in Hamburg, gewettert, leider aber meist ohne
Erfolg.
24*
872 An Clara Schumann
Sie uns im Gegentheil in die Concert- Ankündigungen setzen:
es wei'den keine Listen in Umlauf gesetzt, damit die Leute
nicht darauf warten. Wenn wir uns in allen Dingen den
Konvenienzen fügen müßten wie gewöhnliche Concert-
Reisende, so wäre das schlimm ; dann müßten wir schließ-
lich auch andere Programme machen. Ich hoffe entschieden
auf Ihre Zustimmung, die Listen betreffend. . . .
An Clara Schumann
[Hannover 3o. Decbr. i865.]
Liebe Frau Schumann.
Sie werden Sich mit Recht gewundert haben, daß Sie
von Holland aus nichts von mir gehört haben, weil Sie
eben nicht wissen konnten, wie sehr ich dort angestrengt
war: ich habe nicht weniger als i3 Mal in der kurzen
Zeit dort öffentlich gespielt. Rechnen Sie nun Reisen und
Proben und Correspondenz und Saiten-Aufziehen dazu, so
verdiene ich ein wenig Ihre Nachsicht und bin also kein
treuloser Freund, liebe Freundin! Ich war nebenbei so
heillos erkältet, daß ich schnurstraks nach Hause reisen
wollte, und nur der Umstand, daß gerade drei Gefälligkeits-
Concerte in die Zeit fielen, veranlaßte mich auszuharren,
worüber ich nach gethaner Arbeit froh bin. Ich habe aber
nun, da ich noch etwas an den Folgen leide (Rheumatis-
mus), meine Bieslauer Fahrt aufgegeben; die Ruhewoche
war mir dringend nöthig! Nach Elberfeld werde ich aber
versprochenermaßen kommen, und da hoffe ich Sie dann
am 8""" Morgens aufzusuchen. Ich spiele in Elberfeld am
6'*" mit Orchester und am 7"^" öffentliches Quartett. Sehr
freue ich mich darauf, die schöne neue Reisetasche umzu-
schnallen, die wirklich einem „lang gefühlten Bedürfniß"
abhilft. Wer verräth Ihnen nur immer die Wunschzettel
aller Freunde?
An Clara Schumann 878
[Von Amalie Joachims Hand :]
Liebste Frau Schumann! Jo muß eben fort in's Concert,
freihch nur als Zuhörer — und ich benütze den freien
Raum, um Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihr schönes
Geschenk zu sagen. Sie sind mir natürlich wieder zuvor
gekommen — und schrieben mir zuerst Worte des Dankes,
welche ich wahrlich nicht verdiene. Es machte mir so viel
Freude, eine Kleinigkeit für Sie arbeiten zu können! Das
Fest war bei uns — obwohl wir von allen Freunden fern —
doch recht hübsch; hatte ich doch Jo, u. Putzi war auch
recht lieb. Leider geht die schöne Zeit so rasch hin — und
die ernste steht vor der Thür! Gott weiß, was das neue
Jahr bringt! Für uns wohl viel Veränderung. Daß Jo u.
ich Ihnen ein recht glückliches wünschen, können Sie wohl
denken. Hoffentlich findet sich in demselben wieder eine
Zeit, wo wir Ihnen nahe sein werden! —
. . . Jo sagte mir eben — er hätte Ihnen von Bargiel u.
Brahms zu erzählen. — Daß Brahms wieder nicht kam,
that mir besonders leid. Ich bin fest überzeugt, er kam
meinetwegen nicht; nicht daß ich ihm im Wege stehe, so
eitel bin ich nicht, dies zu glauben — sondern er meint —
er nähme mir etwas vom Jo weg — u. ich ihm leid thäte.
Wenn Brahms wüßte, wie geine ich Jo seinen Freunden
gönne — und wie lieb es mir ist, wenn er Ihnen u. Ihren
gemeinsamen Freunden nahe bleibt — u. Sie oft sieht!
Jo thut mir so leid, wenn er hier vergraben ist im lang-
weiligen Hannover, an der Seite einer ungeschickten Haus-
frau, welche ihm nur zu oft zeigt, wie unpraktisch u. schlecht
sie eine Häuslichkeit zu verwalten versteht und auf and'rer
Seite ihm als Künstlerin doch nicht genügen — viel weniger
also anregen u. erheben kann! Daß ich wirklich dankbar
bin, wenn Sie u. seine alten, ächten Freunde ihm immer
nahe bleiben, u. mich als gar nicht vorhanden betrachten
— mögen Sie glauben, liebste Frau Schumann! Und es
wäre hübsch u. lieb gewesen, wenn Brahms sein Ver-
374 An Clara Schumann
sprechen gehalten hätte, und ich hätte ihm, für jede
Stunde, in der er mir meinen Jo genommen hätte, noch
Dank gesagt! —
Jo^) geht heute zum ersten Male in's Abonnements-
Concert. Die Athalia u. eine Haydn'sche Sinfonie wird
gemacht — auch — denken Sie, liebste Frau Schumann,
wer mich eben beim Schreiben unterbricht ! ? Brahms kam
eben! Ist das nicht köstlich! Ich freue mich sehr — ob-
wohl er morgen schon fort will ! Nun Adieu — u. behalten
Sie auch im neuen Jahr ein wenig lieb
Ihre treu ergebne
Ursi.
An Clara Schumann
Hannover den 27. Jan. [1866]
Liebe, verehrte Frau Schumann!
Sie werden vielleicht schon Kunde von dem erfreulichen
Erscheinen eines zweiten Knäbleins^) haben; aber je-
denfalls will ich selbst ein paar Worte schreiben und hin-
zufügen, daß es auch Ursi wieder gut geht, nachdem sie
mir gestern Abend recht Sorge gemacht hatte. Sie fieng
nämlich gegen Abend heftig zu phantasiren an und äng-
stigte sich im Fieber, ob auch Ihrem Klavier auf dem Trans-
port durch die Pusta nichts geschehen wäre etc. etc. Ich
lief gleich zum Arzte, der mich aber beruhigte, und heute
ist sie Gottlob viel wohler. Sie hat mehr als das erste Mal
gelitten, die Ärmste. Der kleine Junge ist aber recht kräftig,
und mir däucht, sogar hübscher als das Brüderchen. Ich
habe meine Freude über die glückliche Geburt gleich am
Tag darauf, 26'*" Abends in der Marktkirche recht aus-
^) der damals ohne Anstellung war.
^) geb. 24. Januar.
An seinen Bruder Heinrich in London SyS
musiciren können, und Brahms war dabei, und so herzlich
und theihiehmend, wie er's selten zeigt, (nicht ist, meine
ich). Ich spielte mit Orgel die Beethoven'sche Cavatina
aus Op. i3o, das Abendlied, das Adagio aus dem Bach'-
schen Violin-Concert und den ersten Satz aus der E dur
Sonate (Klv. und Viol.) von Bach. Es soll in der Kirche
prächtig klingen; man müßte eigentlich mehr für Orgel
u. Geige haben, u. hoffe ich, Johannes hat sich dazu an-
regen lassen, dafür zu schreiben. Außerdem sang der Kir-
chenchor herrliche alte Sachen von Mich' Bach, Hasler,
Praetorius etc. etc. . . .
Von Herzen ergeben
Ihr
Joseph J.
An seinen Bruder Heinrich in London
[Hannover etwa i5. Apr. 1866]
Lieber Heinrich
Schon längst hätte ich wieder schreiben sollen; leider
findet man immer leichter Ausreden, nicht am Schreib-
tisch zu sitzen! . . . Die beiden Buben sind sehr wohlauf.
Der Jüngere ist vorigen Samstag getauft worden und heißt
Giselher Bernhard Herman, nach Scholz und Grimms in
Berlin. . . . Ich war schon zweimal des Abends bei Hof, um
dort zu spielen. Der König thut so, als ob alles schon beim
Alten wäre, und mir ist das peinlich, denn ich bin weit
von entschlossen, hier zu bleiben! — Neulich habe ich in
Bückeburg (eine Stunde mit Eisenbahn) mit Orchester bei
Hof gespielt (wo der Fürst sehr liebenswürdig die Honneurs
machte) und auch hier diese Woche mit dem Klavierspieler
Tausig ein Concert zusammen gegeben, so daß ich 4o Louis-
d'or reicher bin. (Dabei fällt mir ein, daß ich noch immer
376 An Theod. A ve-Lallemant
das Affidavit wegen der Egyptians nicht überschickt habe.
Da ist es!) Tausig hatte hier ein leeres Concert allein ge-
geben, in dem ich ihn hörte. Ich war so frappirt und ent-
zückt von seinem wunderbaren Spiel, daß ich ihn bat, hier
noch ein Concert zu geben, und meine Mitwirkung zur
Disposition stellte. Er ist aber so stolz, daß er das nur
unter der Bedingung annahm, daß wir das Concert zu-
sammen gäben. Er hat ein Recht, stolz im guten Sinn zu
sein — er ist jedenfalls der größte Klavierspieler, der jetzt
öffentlich spielt. Eine Fülle und ein Reiz des Anschlags,
eine Vielseitigkeit des Programms, eine Abwesenheit aller
Charlatanerie — kurz eine fast unheimliche Vollendung
für einen 24jährigen Menschen, Ich bin noch ganz „paff" !
Davison wird die Augen aufreißen und froh sein, daß ein
Mann nach London kömmt (denn dahin reist er jetzt), der
Halle und Pauer etwas zeigt. Ihr müßt Tausig hören!
[abgebrochen].
An Theod. Ave-Lallemant
[Hannover April 1866.]
Lieber Ave.
Es freut mich, daß Du so enthusiastisch vom Klavierspiel
Tausigs anfängst; auch ich, der ich ja kein Klavierist
bin, war ganz erstaunt über dies freie Schalten mit allen
Mitteln des Instrumentes! Und was für Musiker ist der
junge Mann! Dabei finde ich, daß Tausig nach einer so
bewegten Wechsel vollen Jugend sich einen großen Fond
von Unverdorbenheit und Bescheidenheit bewahrt hat, der
mich auf seine Zukunft gespannt macht. Ich spiele heute
in Göttingen mit ihm; fahre um la^g h^" ^^'^^ Nachts zu-
rück. Auf längere Zeit trenne ich mich jetzt zu ungern
von Haus, sonst wäre ich vielleicht zu Euch hinüber ge-
An Theod. Ave-Lallemant 877
kommen. Auch das Musikfest muß ich aufjgeben; denn ich
kann Euch nicht so lang in der Ungewißheit lassen. Es
geht ja, Gott sei Lob, meiner Frau anhaltend besser; aber
gerade darum ist wahrscheinlich, daß sie Mitte oder Ende
nächsten Monats in's Bad wird reisen können, und aus
irgend welchen Rücksichten dann gehemmt zu sein, vor
allen andern Dingen für ihre Gesundheit zu sorgen, wäre
mir schmerzlich. Ich sage also lieber mit Eins (das ist ja
eine Hamburger Redensart, die mir da in die Feder kam !)
ab und überlasse es dem Zufall, ob ich vielleicht als Hörer
mich einstellen kann, denn schön wird es gewiß bei Eurem
Musikfest. Mir fällt immer bei dem Namen Lind der ganze
Duft der Mendelssohn-Schumann'schen Blüthezeit in Leip-
zig ein, s'ist doch eine prächtige Frau; mag einen auch
manchmal ein Hauch nordischer Kälte in ihrem Wesen
irren, lange dauert's nicht! — Deine Bestrebungen für die
Hamburger Musiker haben natürlich meine volle Sympa-
thie. Wenn X^) mir einmal die Summe zurückgeben sollte,
so stehet sie Dir zur Disposition; aber mahnen kann ich
den alten Knauser nicht mehr. Ich habe ja nur insofern
ein Recht auf die Summe, als er '' '')st die Schulden an-
erkennen will; thut er's thatsächlich dennoch nicht, so muß
ich schweigen. Wer weiß, ob's ihm selbst gut geht! Ich
wollte, ich wäre ein reicher Mann, dann schickte ich Dir
auch ohne X was mit; so muß ich aber an meine zwei
kleinen Kerle denken, denen's übrigens prächtig geht. Mit
herzlichen Grüßen von Frau und mir an Dich und die
Deinen
J. J.
^) Vater eines jungen Musikers, dessen Schulden J. bezahlt hatte.
378
Von Herman Levi
Von Herman Levi
Andante.
[Carlsruhe 23. April 1866.
i^
^^^^^^^^^m^ä
_ 7
r
Ei
3*
t — ;
denn die letzte Woche hat mir von allen Seiten Straf-
predigten zugezogen; sie war an äußeren und inneren Er-
eignissen überreich ; Brahms' Abreise, nothwendige Ausflüge
nach Baden und Mannheim, Theaterdienst, Unwohlsein —
eine Legion wohlbegründeter Entschuldigungen steht zu
meiner Vertheidigung kampfbereit. Allmählig fange ich
an, mich von einem gewissen Dusel zu erholen, und da
erschrecke ich denn über die angehäufte Sünden- und
Schuldenlast. — Dein erster Brief setzt mich in einige Ver-
legenheit. Vor Allem hat er mich zu einer Einkehr in mich
selbst veranlaßt; ich habe mich bemüht, mit unpartheiischer
Wage mein Talent und Wissen, mein Wollen und Können
zu wägen; ich habe mich gefragt, wie wohl ein Mann wie
Du, der den allerhöchsten Maßstab an Kunst und Künstler
zu legen gewohnt ist, darauf verfallen konnte, in mir einen
empfehlenswerthen Lehrer der Gomposition und des Contra-
punkts zu erblicken. Meinst Du: Wem Gott ein Amt giebt,
dem giebt er auch Verstand? Nein, liebster Freund, Du
hast unsre Carlsruher Musikzustände und meine Befähigung
mit rosig gefärbter Brille betrachtet. Ich fühle nicht die
Kraft in mir, einem Jünger die Pforten des Isistempels zu
^) Der Graf in Figaros Hochzeit, Finale des 2. Aktes: „O Engel, ver-
zeih' mir!"
Von Herman Levi 879
erschließen; stehe ich doch selbst davor mit verbundenen
Augen und tappe an den Mauern herum, um den Eingang
zu finden, der sich nur Berufenen aufthut. Die Freund-
schaft, die mir die Besten unsrer Zeit entgegenbringen,
nehme ich als ein Geschenk dankbar hin, ohne zu fragen,
woher, warum? Was ich ihr entgegenzustellen habe, ist
nicht viel mehr, als ehrlicher Wille und ein gewisses
instinctives Verständniß für das Gute und Rechte. Somit
bin ich überall der empfangende Theil; zu geben habe ich
Nichts, und ich halte es für meine Pflicht, die Freunde,
die sich noch nicht durch längeren Verkehr von der Richtig-
keit dieser meiner Selbst-Charakteristik überzeugen konnten,
vor einer Überschätzung meiner Anlagen und Leistungen
zu warnen, besonders wenn (wie in dem vorliegenden Falle)
das Interesse eines Dritten dabei im Spiele ist. Ich
hoffe, Du kennst mich ganz, um zu wissen, daß mir nichts
ferner liegt, als affectirte Bescheidenheit; ich glaube die
Grenzen meiner Natur genau zu kennen und hüte mich,
sie zu überschreiten. — Glaube mir, daß mich kein anderes
Gefühl als die Pflicht der Wahrheit leitet, wenn ich Dir
mit bestem Gewissen und nachdrücklich abrathe, Deinen
Empfohlenen zu einem längeren Aufenthalte hier zu ver-
anlassen. Will er es aber trotzdem versuchen, so darfst
Du sicher sein, daß ich mich schon Dir zu Liebe mit
ganzem Herzen seiner annehmen werde; will er sich in
das Opern -Wesen einschaffen, so kann ich ihm allerdings
mit meiner Praxis an die Hand gehen, ist er ein ordent-
licher Klavierlehrer, so kann er sich hier ein Vermögen
erwerben; ist es ihm darum zu thun, gute Musik zu hören,
so hat er dazu hier reiche Gelegenheit; will er mir seine
Arbeiten zeigen, so findet er mich jederzeit bereit. Aber
mein caeterum censeo ist — Ich würde eine größere Stadt
und einen wirklich bedeutenden Lehrer vorziehen.
Das ist ja prächtig, daß Ihr im Sommer in unsere Nähe
kommen wollt. Von ganzem Herzen hoffe ich, daß sich
38o Von Herman Levi
Deine Frau bald vollständig erholen wird. In der nächsten
Zeit kommt die Frage, ob die Sjiielpacht auf 3 Jahre er-
neuert werden soll, zur Erledigung. Kammer und Mini-
sterium werden voraussichtlich nicht darauf eingehen.
Da giebt es in Baden billige Häuser, und die ganze Stadt
bekommt ein anderes Gesicht; wie wäre es, wenn ich mich
einstweilen nach einer Campagne für Dich umsähe? —
Ich werde meine Ferien (Juni und Juli) vermuthlich auf
einem hohen Schweizerberge zubringen müssen, um meinen
Nerven aufzuhelfen. —
Anbei erhältst Du Partitur des Sextettes und ein neues
Lied von Brahms, das über alle Maaßen schön ist; aber
man kommt erst dahinter, wenn man es auswendig kann.
Sonderbar, gerade die einfachsten Sachen muthen uns zu-
erst fremd an. Frau Gervinus sagte mir einmal von einer
Händel'schen Arie: Sie müssen die Melodie erst erleben.
Damals lachte ich über den Ausdruck, jetzt finde ich, daß
er, wenn auch in anderer Anwendung, etwas richtiges
hat. —
Brahms ist vor einigen Tagen abgereist, vorerst nach
Basel; von da geht er mit Riggenbachs auf deren Gut im
Jura. Im Sommer kommt er wieder nach Baden. Seine
Walzer sind im Druck. Was er hier gearbeitet, hat er
sorgfältig allen sterblichen Augen verborgen; nur Frag-
mente aus seinem „Deutschen Bequiem" hat er mir gezeigt.
Außerdem wittre ich ein Klavierquartett. Mit jedem neuen
Werke sagt er uns doch etwas Neues. Überhaupt — welch
ein Mensch!
Er schickt Dir mit dem Sextett herzliche Grüße. —
Stockhausen hat uns nichts von Dir erzählt. Von anderer
Seite drang die Kunde zu uns, Du seist wieder mit Königes
auf gutem Fuße. Die Berufung Devrients ließ mich dem
Gerüchte einigen Glauben schenken. — Überlege Dir die
Sache mit Lammers nochmals. Was ich Dir schrieb, ist
mir heiliger Ernst; theile ihm von Obigem mit, soviel Du
An Clara Schumann 38i
für gut hältst. Sage Deiner Frau und Scholzens herzliche
Grüße. Jedenfalls suche ich Euch während meiner Ferien
einmal auf.
Dein
getreuer
Hermann Levi.
An Clara Schumann
[Hannover] Sonnabend d. 19. [Mai 1866]
. . . Der unfreiwillige Aufenthalt in Hannover ist nun
auch Schuld, daß wir wieder ganz bleiben! Stockhausen
wird es Ihnen schon berichtet haben. Da ich vor meiner
Abreise dem König als Grund meines Weigerns geltend
gemacht hatte, daß ich nie wieder unter Graf Platen dienen
würde, und er mir jetzt sagte „dieser wäre ja nicht mehr
Intendant und ich könnte zur Vermeidung der Wieder-
holung von Mißhelligkeiten alles mit ihm direkt ordnen",
da er mir ferner vorschlug, die Hannover'sche Goncert-
Saison in die Monate Oktober, November, Decbr. und
Januar zu verlegen, und überhaupt alle Einwände mit
gutem Willen seinerseits niederschlug, so mußte ich zu-
letzt nachgeben. Wer weiß, ob der Krieg nicht überhaupt
jeden Umzug nach andern Städten im Herbst unmöglich
macht — und so will ich denn an das herrliche Orchester
und an den wundervollen Garten denken, den wir im
Oktober beziehen, und auch daran, daß ein paar reizende
Garten-Zimmer (heizbar !) für Sie und Marie immer bereit
stehen, und will mich freuen statt zu grübeln, wies anders
sein könnte in Berlin oder W^ien. Noch will ich aber ge-
stehen, daß mir's den vorigen W^inter, als ich einmal im
Concert hier zuhörte, doch ganz weh war, die schönen
Kräfte andern Händen und Gesinnungen anheim fallen zu
sehen. — Wie große Freude haben Sie mir durch die
382 An Bernh. Scholz
Briefe i) wieder bereitet. Ich glaubte sie eigentlich verloren,
da ich sie seitdem vergebens gesucht, was ich Ihnen aber
gar nicht gestehen mochte; Sie waren mir stets so eine
unantastbare Autorität in Ordnungssachen. Jetzt beweist
ja freilich die Ausnahme nur die Regel! . . .
An Bernh. Scholz
[Hannover] Am 5'*" [Juni 1866].
Lieber Scholz
Du bist wohl eben im Begriff, über meine Unzuverlässig-
keit im Correspondiren gehörig loszuziehen, und
schleunige Abwehr ist vor Ausbruch der unparlamen-
tarischen Redensarten nöthig! Leider weiß ich nichts von
einer Haydn'schen Serenade; eine Geigen-Melodie von ihm
mit pizzicato muß jedenfalls reizend klingen, und bitte ich
Dich also, falls Du was davon erfahren solltest, an mich
zu denken 2), Meine Abendlied-Instrumentation ist in einem
2 Seiten langen Partitürchen bei Schuberth & C" in Leipzig
gedruckt, und ich würde mein Exemplar mitschicken,
wäre es nicht gebunden, also nicht leicht genug trans-
portabel für Florenz. Wir denken nun schon ernstlich an
Reisebereitschaft, um nach Kreuznach; ich muß nur noch
den Besuch von Goldschmidt's vom 7"^" bis 9'^" abwarten,
da ich die Einladung derselben vom König aus über-
nommen hatte. Vom Hamburger Musikfest 2) ausführlich
zu sprechen, kann ich Dir ersparen, da ich Dir nur Deine
Eindrücke vom Düsseldorfer Fest zu wiederholen hätte.
Es war ja fast dasselbe Programm. Nur von Stockhausen's
*) Robert Schs. an Joachim, die dieser vor längerer Zeit an Frau Clara
gegeben hatte.
*) Gemeint ist wohl das mittlerweile so populär gewordene Andante
aus Haydn's F dur-Quartett, op. 3, Nr. 5.
^) Ende Mai, von Stockhausen und Goldschmidt geleitet.
An Clara Schumann 383
Thätigkeit als Chor-Meister muß ich ein Wort herzlicher
Anerkennung sagen : ich habe weder den Messias noch die
9'^ Sinfonie so tadellos schön singen hören, wenngleich die
Rheinischen Stimmen im Ganzen frischer klingen. Die
Frische ist überhaupt eine Spezialität auch der Geselligkeit
am Rhein! Es war noch kein echt festlicher Ton beim
Zusammensein, wozu auch viel die Ungemüthlichkeit der
Goldschmidt'schen Direktion beitragen mochte. Er machte
sich bei allen Musikern gründlich verhaßt durch bom-
bastisches Herausstoßen von Gemeinplätzen, und durch
herrische Dilettantenhaftigkeit. Sie war stellenweise immer
noch entzückend. Daß hier das Musikfest der Zeitumstände
wegen unterbleibt, weißt Du wohl schon. Man hätte es
früher unpassend finden sollen — da's aber Fischer ist,
gönne ich ihm die Enttäuschung und denke an die Fabel
vom Hund und dem Fleisch im Wasserspiegel. — Mein
nächster Brief wird wohl schon aus Kreuznach kommen,
und hoffentlich eine Zusammenkunft zur Fußreise aus-
machen. Wie schön, daß wir zu- statt auseinander reisen !
Grüße von Herzen Deine liebe Frau und die Kinderchen
alle von uns beiden.
Dein
Jo.
An Clara Schumann
[Hannovei'] Am i5'^" [Juni 1866].
Liebe Frau Schumann.
Wir sind noch immer in Hannover, und zwar nicht
aus politischen Gründen, sondern leider durch den
heftigsten Rheumatismus, welcher sich meiner armen Frau
bemächtigt hat, zurückgehalten. Sie kann nur auf einen
Stock gestützt unter starken Schmerzen sich fortschleppen.
Ist das, nach der Krankheit, die sie eben durchgemacht.
384 An Clara Schumann
nicht doppek traurig ? ! Ich habe gar keine Worte dafür,
und selbst die Deutschland zerreißenden Nachrichten ver-
mögen kaum, mich von den Gedanken um das Wohl meiner
Ursi abzuziehen. Gefahr ist wohl nicht vorhanden, aber
das Leiden kann sich noch Wochen hinschleppen, und wie
muthlos macht es sie! Wenn die Verhältnisse es zulassen,
wollen wir immer noch nach Creuznach, sobald eben meine
Frau reisen kann. Ungemüthlich ist am Ende jetzt jeder
Aufenthalt! Man spricht hier, daß die Truppen Preußens
einrücken, Hannover besetzen wollen; so kommen kann
es jedenfalls bald, und das Entsetzliche ist, daß man weder
Preußen noch Oesterreich sich unbedingt in die Arme
werfen will! Es kömmt gewiß ein ganz abscheuliches
Chaos über Deutschland! Der Hof ist noch hier, und
gestern um 8 Uhr Abends war ich mit Goldschmidt's in
Herrenhausen, um vor den Herrschaften en petit comite
zu musiciren^). Ich hatte eigentlich erwartet, daß wir
wieder abbestellt werden sollten nach Eintreffen der Frank-
furter Nachrichten — aber vielleicht ist wirklich dem König
die Erholung Herzensbedürfniß gewesen. Wer weiß, ob's
nicht überhaupt das letzte Mal war, daß wir in den Räumen
musicirten, mußte ich mir wehmüthig gestehen. Ich bin
auf Alles gefaßt! Die Lind war verhältnißmäßig gut bei
Stimme, und ihre helle, innerliche Erregtheit übt immer
noch ihren Zauber auf mich aus. Daß manches gewalt-
samer, effektsuchender jetzt bei ihr auftritt, darüber sind
wir uns ja leider lange einig ! Sie hat übrigens 8 Tage hier
erkältet im Hotel zugebracht, bevor sie ihr Versprechen,
bei Hof zu singen, halten konnte. Heute ist sie Mittags
fortgereist. Natürlich war sie sofort bereit, Ihren Wunsch 2)
für die liebenswürdige Prinzessin zu erfüllen, und selbst
unangenehmere Dinge würde sie für Sie mit Freuden
unternehmen! Von Düßeldorf her war sie noch ganz
*) Vgl. Moser, II, 1 34- v. Hassel, Gesch. d. Königreichs Hann. II, 2 S. 874 f.
^) um ein Aiitograph.
An Bernhard Scholz 385
durchwärmt von Ihrem Spiel, überhaupt auch sonst „nett",
und ich trennte mich ungern von ihr. Trösten Sie mich
bald mit einigen Zeilen, ich schreibe, sobald ich bestimnites
mittheilen kann. Von Frau und Puzzi die herzlichsten
Grüße, auch von uns aus an die lieben Kinder. Wie geht's
Johannes ?
Immer Ihr treuergebener
Joachim.
An Berill lard Scholz
Hannover d. 22"^" Juni 1866.
Liebe Scholzens!
Wir sind zuerst durch Warten auf Goldschmidt's,
nachher durch einen noch immer nicht ganz be-
seitigten Rheumatismus, der sich Ursi's bemächtigte, hier
zurückgehalten, bis am i5'^" der verhängnißvoUe Wirrwarr
ausbrach. Nun sitzen wir hier und können nicht über die
FVage „Wohin"? zum Entschluß kommen. Man will doch
auch wegen etwaiger Einquartirung etc. nicht zu weit
weg vom Hause. Edel ^) schlug heute Harzburg, auch ein
Soolbad, vor, das auf neutralem (i. e. braunschweigischem)
Boden liegt. Über die innere und äußere Bewegung dieser
Tage können wir hoffentlich bald ausführlich sprechen.
Wir erwarten fast stündlich die Nachricht von der Über-
gabe oder Aufreibung der Hannover'schen Armee; die
Vorsehung gebe das Erstere! Daß der König bei seinen
Truppen in Göttingen — wißt Ihr; die Königin mit den
beiden Prinzessinnen ist hier. Ich sprach sie vorgestern in
der Herrenhäuser Allee; sie ist gefaßt u. soll sich über-
haupt in ihrem Unglück würdevoll benehmen. Sonst ist
Euch aus Zeitungen gewiß eben so viel bekannt wie uns
auch, das heißt: blutwenig. . . . Eure
Ursi und Jo Jo.
^) Freund und Hausarzt Joachims.
25
386 An Clara Schumann
An Clara Schumann
Hannover am 26''^" Juni [1866]
Liebe Frau Schumann.
Yielen Dank für Ihren Brief voll herzlicher Theilnahme,
dessen warmer Ton mir und meiner Frau sehr wohl
ihat. Er ist aber beinahe eine Woche unterwegs gewesen!
Der Krieg wird auch Ihrem sonst so friedlichen Lichten-
thal nahe gerückt sein; wenigstens muß die Aufregung in
dem von preußischen Sym- und Antipathien zerklüfteten
Ländchen groß genug sein. Bei mir steht gegen das häus-
liche Leiden jetzt alles andere zurück. Denken Sie, daß
der Zustand meiner Frau immer nicht besser ist; die
Ärmste steht die ärgsten Schmerzen aus, kann nur von
zwei Menschen gestützt von einer Stube in die andere
gehen, die rechte Hand nur unter den ärgsten Schmerzen
rühren — es ist ein wahrer Jammer, ihr Leiden zu sehen.
An eine Luftvei'änderung ist gar nicht zu denken vor der
Hand, die Wohnung ist auch wenigstens nicht Schuld,
der Rheumatismus in heftigster Form soll in den letzten
Wochen hier überhaupt häufig vorgekommen sein. Da es
bei meiner Frau die sogenannte ,, fliegende" Gicht ist, so
kann es sich, meint der Arzt, auch recht rasch zum Guten
wenden, und dann sollen wir sogleich fortreisen; aber nicht
nach Kreuznach, sondern nach Harzburg, das auch ein
Soolbad (freilich nicht Jodhaltig und so gut wie Kreuznach !)
hat. Wir fürchten uns, in dieser Zeit gar zu weit weg
vom Haus zu sein; zumal Hegt Kreuznach so schlimm an
der Ecke von Preußen und Bayern! Von Harzburg ist
Hannover immer in 3 Stunden für mich zu erreichen, und
die Lage ist hübsch. Pläne lassen sich jetzt gar nicht
machen, aber ich hoffe, Sie, wenn es in ein'gen Monaten
ruhiger ist, jedenfalls zu sehen. Ach, wäre nur der quäl-
An Bernh. Scholz 887
volle Zustand meiner Frau, meiner ärmsten, geprüften,
etwas besser. Ich habe für gar nichts mehr Sinn! —
Gestern war Stockhausen hier, traf mit seinem Bruder aus
Leipzig zusammen und geht nun nach Kreuznach. Ein
Einzelner kann das eher wagen; gewiß sucht er Sie auch
auf, wenn er durchkommen kann. Grüßen Sie Ihre lieben
Kinder von uns, und seien Sie selbst auf's Innigste gegrüßt
von meiner Ursi und
Ihrem
freundschaftlich ergebenen
Joseph Joachim.
P. S. Politica werden Sie aus den Zeitungen genug haben.
Die Königin ist als Privat-Dame mit den beiden Prin-
zessinnen noch hier in dem von Preußen ganz besetzten
Land ; dem König soll's gelungen sein, sich mit einem Theil
des Hannover'schen Heeres nach Bayern zu schlängeln,
über Thüringen ^).
An Bernh. Scholz
[Hannover] Am 28"^" Juni 1866.
Mein lieber Scholz
. . . Ich habe einen so schlimmen Frühling nicht geahnt,
als wir uns verließen! Dies ewige Lauern und umändern
von Plänen — ich habe nicht einmal für Musik Sinn!
Edel meinte heute, daß wir in einer Woche vermuthlich
abreisen können würden. Ich denke, dann wähle ich auf
einer Fußtour selbst das Soolbad, das mir am besten ge-
fällt. Ach, unsre schönen Rheinthäler-Excursionen ! Wirst
Du sie nun mit Stockhausen machen? Er reiste vorvor-
gestern nach Creuznach durch; in aller Schnelle erquickte
') was bekanntlich nicht gelang; der Brief ist am Tage von Langen-
salza geschrieben.
25*
388 An Bernh. Scholz
er uns mit einigen selten gesungenen Schubert-Liedern.
Lasset Euch „Widerschein" vorsingen — von Tom auf
der Brücke handelt es. . . .
Von unsern Truppen bist Du eben so gut unterrichtet,
als wir, wie's scheint. Anfangs iniponirte mir's, daß sie
sich so geschickt und muthig durch die Preußen und Thü-
ringen gewunden, und freute ich mich, daß die sonstige
Blamage in militair'schen Dingen dadurch aufgewogen
wäre — aber wenn sich's bestätigt, daß der König auch
ohne Aussicht, sich zu den Bayern durchzuschlagen, keine
ehrenvolle Capitulation abschließen will und seine Truppen
seiner Halsstarrigkeit aufopfert, dann habe ich keine Worte
für so verbrecherischen Hochmuth. Noch will ich's nicht
glauben. Tschirschnitz ^) ist nicht erschossen, sondern in
„Gnaden" entlassen! In Hannover ist übrigens viel Parti-
kularismus und Preußenhaß, wenn auch die Kammer-
beschlüsse zeigen, daß die gebildete Majorität Preußens
Beruf nicht verkennt. Freuen kann ich mich aber auch
nicht, daß man die Schmach erlebt, sich erst mit dem
Schwert in der Hand demüthigen läßt, um dann als
„Gnadengeschenk" hinnehmen zu müssen, was die Nation,
wäre ein Bedürfniß des Herzens im Spiel, längst als Recht
hätte fordern sollen. Es sind eben heillose Zeiten; hoffent-
lich werden sie zu männlichen Thaten stählen ! Louise
fragt, wie die Preußen meine lebenslängliche Stellung
auffassen. Ei, ich hatte mich ja eigens gegen eine solche
gewehrt. Wie's nun wird, muß man abwarten; ich glaube
persönlich nicht an einen Fortbestand der hiesigen Königl:
Institute und werde wahrscheinlich nächsten Winter viel
in London sein, unser Haus beziehen wir Michaelis. Es
liegt alte Hildesheimer- Straße. Die Kinder sind munter
^) der völlig gebrochene und fassungslose, altersschwache General-
adjutant, gegen den schwere Anschuldigungen, die von vielen geglaubt
wurden, gerichtet waren; über die Ereignisse unterrichtet am besten
W. V. Hassel), Gesch. d. Königreichs Hannover, T. i Abt. 2. Leipzig 1901.
An Otto Goldschmidt 889
und lieb. Macht, daß die Euren nicht vergessen Tante
Uzzi und Euren
Jo.
Grüßet das treffliche Quartett ^), namentlich Karl Müller;
auch Hiller herzlichst.
Adresse sempre Tistessa.
An Otto Goldschmidt
Hannover, am 5'*" Juli [1866]
Lieber Goldschmidt!
Das waren aufregende Zeiten, die seit jenem denk-
würdigen 1 4'^" Juni in Herrenhausen über uns herein-
brachen ! Wie rasch hat sich viel entschieden ! Habe von
Herzen Dank, lieber Otto, daß Du so liebevoll für uns
sorgtest, und auch, daß Du uns in London Deine Treue
bewähren willst. Ich kann natürlich für's Erste gar keine
Pläne machen; mein Kontrakt verpflichtet mich auszu-
harren, solange noch überhaupt die Möglichkeit vorhanden
ist, daß der König einmal meine Dienste fordert. Wie ich
über Hannover denke, weißt Du aus manchem Gespräch
— um meinetwillen werde ich nie bedauern, meine
Stellung aufgeben zu müssen; aber ich will auch nicht das
Unglück des Königshauses benützen, um mich frei zu
machen. W^ie's hier werden soll, kann Niemand voraus-
sagen. Die Königin ist mit den beiden Töchtern hier; neu-
lich begegnete ich den hohen Damen in der Allee und
sprach mit ihnen. Sie schienen gefaßt, aber hoffen immer
auf den Sieg der guten Sache. Das würdevolle Benehmen
der Königin wird von Allen, auch den Preußen anerkannt;
sie will hier bleiben, wenn nicht Gewalt sie von Hannover
vertreibt. Über die Schlacht bei Langensalza und die
') das Braunschweiger Quartett der Gebr. Müller.
Sgo An Max Bruch
Tapferkeit der Hannoverschen Soldaten wirst Du aus den
englischen Zeitungen gewiß ebenso viel wie wir erfahren.
Wie erfolglos ist aber so viel Heldenblut vergeudet — wie
verblendet war der König, oder wie treulos die Bundes-
genossen; die Zeit wird's lehren! Hoffentlich führen die
glänzenden Siege der Preußen in Böhmen bald zum
Frieden. . . .
An Max Bruch
[Hannover] 9. Juli i 866.
Lieber, verehrter Herr Bruch
Wirklich ist es mir schwer geworden, in den letzten
Wochen zu der von Ihnen gewünschten genauen
Durchsicht Ihres mir so interessanten Werkes ^) zu kommen.
Zu der politischen Aufregung kam häusliche Sorge, da
meine Frau fast ununterbrochen seit 4 Wochen durch einen
Rheumatismus die gräßlichsten Schmerzen auszuhalten
hatte. Es geht. Gottlob!, seit ein paar Tagen besser, ich
athme wieder auf, und ich habe denn auch wieder zu
musiciren Lust. So sollen Sie denn nicht mehr lange auf
Ihr Concert zu warten haben, das ich mit altem Antheil
durchgehen will; eine Arbeit (wenn man das so nennen
darf, was Vergnügen gewährt), die mir selbst hoffentlich
zu Gute kömmt. Wir wollen in den nächsten Tagen nach
dem Harz, wahrscheinlich Harzburg oder Thale, um den
Sommer über dort zu bleiben. Vorher schon, oder von
dort aus in den ersten Tagen erhalten Sie Ihr Mscrpt.
zurück. . . . Im September (gegen medio des M'^) denke
ich wieder in Hannover zu sein; wie es aber mit den
Concerten werden soll, wissen die Götter, Bismarck und
Napoleon!
^) Das G moll-Konzert op. 26.
An Max Bruch Spi
Mir thut es leid, Sie nicht am Rhein in diesem Sommer
wieder zu sehen; jedenfalls aber auf baldigstes Wieder-
schreiben.
Herzlich ergeben
Ihr
Joseph Joachim.
An denselben
Harzburg den i 7'*" [bis 1 8.] August [ 1 866].
Verehrter Freund
Endlich schicke ich Ihr Concert wieder. Ich wollte, ich
könnte statt eines Begleitschreibens selbst kommen,
nicht weil ich in der That ein fauler Correspondent bin,
sondern weil ich wirklich glaube, ein paar Stunden des
Zusammenseins würden alle zweifelhaften Violinstellen
leicht endgültig feststellen lassen. Im Ganzen ist Ihr Stück
sehr violinmäßig, und es wird auch von dieser Seite, glaube
ich, trefflich wirken. Ich thue nun wohl am besten, wenn
ich der Reihe nach Ihre Fragen beantworte: Das Seite 20
beginnende Tutti wünschte auch ich entschieden länger;
nach dem breiten Orgelpunkt erwartet man es, und zum
Glück ist Stoff genug dazu da. Die prägnante Figur
fe^
Se=3
t
und das breite 2'*^ Thema werden Ihnen schon das Richtige
eingeben! Eine Kadenz habe ich Seite 25 mit Bleistift
hingeschrieben; sie kann also gleich (wie alle spätem Noten
von meiner Hand) mit einem Stück Gummi gerichtet
werden und harrt Ihres Urtheilspruchs. — Soll das letzte
Bdur [der] 1^*=" Geigen auf Seite 29 nicht in's Andante
hinein gebunden werden? Doch wohl! Die 2'* Violine
müßte dann natürlich demgemäß im i'^" Takt verändert
392 An Max Bruch
werden. S. 38 fehlt auch mir ein Takt, und doch hat kein
Versuch, ihn hinzuzuthun, mir genügt;
ist am Ende nur ein ausgeschriebenes rit: und gefällt mir
darum am besten. Ich freue mich übrigens darauf, das
Andante zu hören, daß kann ich aufrichtigst sagen! Im
letzten Satz muß ich Levi entschieden, S. 61 anlangend,
beistimmen. So wie die Strecke vom 2"^" Hauptmotiv bis
zur Violinpassage jetzt dasteht, wird mir der Fluß des
energisch vorwärts drängenden Satzes zu sehr aufgehalten.
Mit dem von Ihnen selbst angedeuteten Sprung wäre viel-
leicht am besten geholfen; nur gienge dann die hübsche.
kecke Stelle
!^^S=^S
:£:
etc.
verloren, (die, nebenbei gesagt, sich auch recht geigenhaft
nett spielen läßt). Zu breite melodische Führung an diesem
Fleck würde auch dem spätem schönen Mittelsatz in C moll
schaden ! Andeutungsweise habe ich auf einem Stückchen
Papier einen Ausweg hingeschrieben, der natürlich nur
ungefähr erklären soll, was ich meine, u. nicht etwa bean-
sprucht, wirklich aufgenommen zu werden. Dazu ist er zu
flüchtig hingeworfen ! — Für die ersten 3 Takte auf S. 69
aber wünsche ich mir, offen gestanden, ein paar schönere.
Sind sie nicht ein etwas äußerlicher Kitt? Auch die quasi
Parallel-Steile auf S. 10 1 genügt mir noch nicht, und ich
hoffe, darin nicht Unrecht zu behalten. Die Passage hin-
gegen finde ich ganz anmuthig, und habe ich mir nur
erlaubt, hie und da etwas der Finger und des Bogens wegen
anders hinzuschreiben. Den Solo-Schluß änderte ich,
weil die gestoßene, in's Tutti hineinlaufende Skala ein
wenig an's Mendelssohn'sche Concert gemahnen dürfte.
An Max Bruch SpS
Finden Sie das zu äußerlich von mir? Auch die bisweilen
vorkommende Passage (w> T P-|
:^
etc. etc. ermnert
an das erwähnte Stück, und habe ich theilweise Ände-
rungen dafür vorgeschlagen, da sie dem Spieler mehr zur
Unruhe als zur Beweglichkeit Anregung biethet. Auch zu
einer Schlußpassage habe ich einen Anfang hinzuschreiben
riskirt. Übrigens ließe sich daraus:
auch noch etwas recht violinmäßiges erfinden, und mir
ist gar nicht bange, daß Ihnen nicht auch ein schöner,
wirkungsvoller Schluß einfallen werde.
Beendigen Sie es recht bald und lassen Sie mir dann,
wenn der Wunsch Ihnen nicht unbescheiden vorkommt,
eine Principal-Stimme schreiben, damit ich das Concert bei
unserm hoffentlich baldigen Zusammentreffen mir recht zu
eigen gemacht haben kann. Auf Ihre „Zweifel" freue ich
mich Ihnen schließlich zu sagen, daß ich den Titel Concert
jedenfalls gerechtfertigt finde — für den Namen „Phan-
tasie" sind namentlich die beiden letzten Sätze zu sehr und
regelmäßig ausgebaut. Die einzelnen Bestandtheile sind in
ihrem Verhältnisse zu einander sehr schön und doch con-
trastirend genug; das ist die Hauptsache. Spohr nennt
übrigens auch seine Gesangs-Scene „Concert" ! — Und nun
nehmen Sie mir's, das bitte ich nochmals, nicht übel, daß
das Mscrpt. so lange bei mir geblieben, und daß ich Sie
nun gar mit so großer Ausführlichkeit vielleicht gelang-
weilt habe! Ich wünschte sehr, bald wieder von Ihnen zu
hören. Wäre in diesem Winter an Concerte in Hannover
zu denken, so bäte ich mir eine Ihrer neuen Sachen aus,
auf die ich sehr gespannt bin. Als Privatmann kann ich
das nicht thun.
394 An Bernh. Scholz
Seit gestern bin ich nicht mehr K. Hannover'scher
Concertdirector (laut Bericht aus dem Abgeordnetenhaus) i) ;
aber immer bleibe ich, was mir Niemand nehmen kann,
Ihr
herzlich ergebener
Joseph Joachim.
An Bernh. Scholz
Harzburg 28. Aug. 1866.
Mein lieber Scholz.
Das ist ja ein sehr guter Brief; Du bist voll Hoffnung
und ziehst nach Berlin, und wir werden jedenfalls
uns Ende Septembers sehen, denn, etwa am ■20"'" des näch-
sten Monats, gehen auch wir nach Hannover zurück. Es
fängt an, meiner Ursi recht gut zu gehen; seit vorgestern
badet sie, da Rheumatismus und Kälte ziemlich zugleich
Abschied genommen haben. Die Kinder könnten nicht
besser gedeihen, als es in der kräftigen Bergluft der Fall
ist. . . . Über unsern künftigen Aufenthalt habe ich bis jetzt
nur soviel festgesetzt, daß wir diesen Winter in Hannover
wohnen bleiben, da meiner Frau nach dem langen schmerz-
haft wechselvollen Befinden die Winterruhe in der neuen
behaglichen Wohnung eine Nothwendigkeit ist. Von dem
Rechte, meine Anstellung als erloschen zu betrachten (da
ich ausdrücklich in den erneuten Kontrakt hatte setzen
lassen „vorbehaltlich der weitern mit S"^ Maj. zu verein-
barenden Änderungen"), werde ich Gebrauch machen.
Ich habe Anerbietungen bekommen, in Paris in einem
Wintermonat (den ich selbst bestimmen kann, ich will
November nehmen) 6 Mal zu spielen, außerdem in England
meine 6 — 8 Wochen von Mitte Januar an zu verbringen,
und zu beidem habe ich Lust. Wer weiß, wie sich die
^) In der Sitzuny vom 17. August verkündete Bismarck die Königl.
Botschaft der Einverleibung Hannovers usw.
An Clara Schumann 896
Kunst-Zustände in Hannover entwickeln, und ob nicht eine
Art Luxus -Anstellung, wie die meinige es war, von den
Leuten als eine Fessel empfunden würde, wollte ich darauf
bestehen! Könnte ich den ganzen Winter dort bleiben,
zur Kapelle noch die Sing-Akademie übernehmen, es wäre
etwas anderes! Eine solche bindende Anstellung aber kann
ich jetzt nicht annehmen, hoffentlich in etwa 4 — 5 Jahren,
und dann wär's schön, wenn's an einem Ort, der einen
recht regen musikalischen Verkehr mit Dir erlaubte! Ich
denke übrigens, es wird schließlich doch Berlin sein, das
ich als Centralpunkt und Aufenthalt für die Meinigen wähle,
sobald mein neuer Wohnungscontrakt erloschen ist. . . .
An Clara Schumann
[Harzburg] 12. Sept. [1866J
Liebe Frau Schumann
Wie gerne wären wir morgen bei Ihnen, wo Sie hoffent-
lich von denen, die Ihnen die liebsten, umgeben
sein werden! Hatte ich ja auch ursprünglich gedacht, daß
wir den Herbstanfang in Baden sein könnten; nun haben
Krieg und Krankheit anders verfügt ! Wir bleiben bis Ende
Septemb. hier, da meine Frau die Soolbäder, von denen
sie erst 16 genommen, fortsetzen soll; sie thun ihr sehr gut.
Anfangs Oktober ist dann unser Umzug in Hannover, und
dann fängt bald meine bewegte Winter-Saison an, denn
ich soll schon am 21""" Oktober in Basel spielen. Das hat
das Gute, daß ich hoffen kann, Sie noch auf dem Weg
einige Tage in Baden zu besuchen. Sonst graut mir's schon
vor allen Reisen, die ich diesen Winter machen muß. Es
kommen fast täglich Anfragen, und es ist so schwer, sich
zu bestimmen! Wie oft muß ich da an Sie denken, ver-
ehrte Freundin, die so tapfer und gewissenhaft in ähnlicher
Lage sich durchgekämpft ! Ich darf Ihnen überhaupt heute
sagen, daß Sie in guten wie in ernsten Zeiten uns immer
396 An Clara Schumann
nahe sind, und ich wollte, es wäre äußerlich öfter und
ruhiger der Fall, als leider bis jetzt geschah, wo es meist
nur im Concert-Trouble zutraf, daß wir längere Zeit neben
einander existirten. Wie ist es denn mit England geworden ;
ich habe weder von Ghappell noch von Ihnen wieder
gehört. Überhaupt wünsche ich mir so sehr, über Ihre
Winterpläne etwas zu erfahren. Meine Wege werden mich
im November nach Paris, wo mir Pasdeloup 6 Goncerte
angeboten hat, und im halben Januar auf 6 — 8 Wochen
nach London führen. Daraus sehen Sie, daß ich meine
Hannoverische Anstellung als erloschen betrachte, obwohl
weder von Hannoverischer noch von Preußischer Seite ein
Wort darüber bis jetzt verlautete. Ich wünschte mir ja
immer, frei zu sein. Mein Plan ist, einige Winter hindurch
wirklich ernsthaft für die Meinigen durch Goncertgeben
zu arbeiten, um nachher einen Wirkungskreis wählen zu
können, dem ich mich con amore bleibend widme, und
darum ist's für mich «persönlich ein Glück, daß es mit
Hannover so gekommen. Wie mögen Sie nur über alle
die Veränderungen denken ! Ich habe so lange wieder nichts
von Ihnen gehört und bitte recht herzlich um ein paar
Worte. Johannes wird wohl bei Ihnen sein; dann grüßen
Sie ihn freundschaftlichst. Seine beiden ungedruckten Lieder
<in Es und Hmoll)^) haben mich aus dem Mund meiner
Frau oft in letzter Zeit erquickt. Sie gehören zu unsern
liebsten Liedern, die Schubert'schen und Schumann'schen
nicht ausgenommen. Sonst habe ich, ach wie wenig, mu-
sicirt mit andern! Nach Orchesterklang habe ich eine
wahre Sehnsucht! Aber es ist doch ein großes Glück, daß
ich meine liebe Ursi wieder außer aller Gefahr sehe, und
das verdanke ich der guten, schönen Lage Harzburgs. Ich
darf also nicht klagen !
Ihr herzlich ergebner
Joseph Joachim.
^) „Von ewiger Liebe" und „Mainacht" op, 43 Nr. i, 2.
An seine Frau 897
An Julius Stockliausen
Harzburg i\. Sept. [1866].
Lieber Stockhausen
. . . Prinzipielle Abneigung gegen Volks-Concerte haben
wir beide keineswegs; im Gegentheil habe ich oft sogar
die frischeste Empfänglichkeit bei den Unverdorbnen,
Unblasirten gefunden. Das „Erhabene" begreift das Volk
leicht, wenn es mit Überzeugung geboten wird. Ich bin
also auch gern dabei, in Euer Volksprogramm mit dem
Beethoven'schen Concert mich aufnehmen zu lassen. Doch
muß ich erwähnen, daß ich am 21'^" Oktober schon in
Basel spiele. (In Paranthese könntest Du mir eigentlich
einen rechten Gefallen thun, wenn Du Zeit hättest, um-
gehend mir ein Wort darüber zu schreiben, ob die
Schwyzer Concert -Vereine „well off" sind, und welches
Honorar pr. Concert man wohl beanspruchen mag. Ich
muß die Honorar-Frage noch beantworten.) . . .
Herzlich ergeben
Joseph J.
An seine Frau
Zürich am 29""Okt'''. [1866J
. . . Ach wäre ich doch ein Vogel, oder ein elektrischer
Funke noch lieber; trotz Brahms, ich säße wahrhaftig
lieber bei Euch. So muß ich aber jetzt gleich nach Winter-
thur, wo wir heute Abend Concert geben. Brahms ist
einen Zug voraus, will üben, wer 's glaubt! Er nimmt
sich's jeden Tag von Neuem vor. Ich bin neugierig, wie
er sich diese Woche in den 4 Concerten machen wird;
neulich in Schaff hausen wurde es mit jedem Stück freier
und schöner, aber doch ist er nicht der, den wir im Zimmer
398 Von Herman Grimm
kennen. Adieu, ich muß nun noch meinen wüthenden
Hunger an der Table d'hote stillen; hier ißt man immer
^/„i, nachher bis Winterthur eine Stunde Fahrt, morgen
Vormittag zurück. Ich denke, ich finde Deine lieben Züge
in Winterthur. Von jetzt an adressire nur nach Basel, wo
wir am 3"^" eintreffen werden; dort u. wahrscheinlich in
Mühlhausen (auf dem Weg nach Paris) noch Concerte.
Ich bin erst am Anfang mit dem, was ich erzählen will,
muß aber aufhören. . . .
Von Herman Grimm
Berlin 3o. 10. 66.
Lieber Joachim
. . . Wir haben uns hier nach langwierigem Umzüge ein
wenig eingewohnt endlich in der neuen Wohnung und be-
finden uns besser als in der alten. Scholzens sind hier und
wohnen nicht weit von uns, einige Häuser von der Schu-
mann ehemaliger Wohnung. Er hat neulich eine Antritts-
matinee gegeben. Ich ging nicht hin, da ich die dort ver-
sammelten Radamanthusse nicht kennen zu lernen wünschte.
Es gefällt ihnen beiden recht gut hier. Möge er den ge-
wünschten Erfolg und Wirkungskreis finden.
Von ihm auch höre ich, daß Du in Paris bist und will
jetzt ein paar Worte schreiben, um Deine Wohnung zu
erfragen. Sei doch so gut und sieh Dir im Louvre Hol-
bein's Portrait des Erasmus von Rotterdam an, ob die
Jahreszahl MDXXVI daraufsteht oder MDXXIII, es kommt
mir darauf an i). Vielleicht komme ich Dir später mit noch
ein paar dergleichen Fragen. . . .
^) Das iSaS gemalte Bild ist undatiert.
Von Ernst Rudorff 899
An seine Frau
Zürich am 3i"=" [Okt. 66]
Beifolgend das Programm von gestern Abend, das Dir
gewiß auch Freude macht. Jetzt fängt das Concer-
tiren an, mir Spaß zu machen, Brahms kömmt immer mehr
in Zug mit Spielen; es war alles schön gestern Abend, das
Publikum warm, der Saal gefüllt bis auf den letzten Platz,
und nun hat jeder noch über 5oo Frs. übrig. Apropos,
ich schicke Dir von Basel aus 2000 Franken, Sonntag
spätestens; leihe einstweilen von Frl. Unruh. Hier kann
ich das Umcassiren in Thaler und Aufgeben nicht so gut
besorgen. Heute w^ar übrigens auch ein Tag (jetzt ist's
6 Uhr Abend), der unbeschreiblich schön genannt werden
kann. Die ganze Alpenkette wurde noch über die nächsten
Berge am grün und bläulichen See sichtbar; zum Theil
lOOOOfüßige Schneeflächen, das glänzte wunderbar ma-
jestätisch; . . . wie oft dachte ich da an Dich! Das mußt
Du sehen! . . .
Das Concert in Winterthur, vorgestern, ist auch ganz
gut ausgefallen; blieb für jeden 270 Frcs. ungefähr. Mich
freut's, daß Brahins einmal zum öffentlichen Spielen ge-
zwungen ist, um die Publikumscheu los zu werden.
Ich freue mich, daß Du auch Orpheus in Hamburg
singst; wäre ich nur auch dort. Hier müssen wir noch
einmal zusammen concertiren. Gelt?
Von Ernst Rudorff
Cöln Neumarkt N" 17 d. i"'" November 1866.
Lieber verehrter Herr Joachim!
Der Auftrag eines Anderen gibt mir den Anlaß, Sie
einmal wieder schriftlich aufzusuchen, und ich nehme
ihn natürlich gern wahr. Gestern erhielt ich nämlich von
4oo Von Ernst Rudorff
einem jungen Musiker Wolff ^) einen Brief aus Brüssel, der
mir den Wunsch ausspricht, ich möchte bei Ihnen anfragen,
ob Sie während des Winters irgendwo einen dauernden
Aufenthalt nehmen und dann vielleicht gestatten würden,
daß er etwas bei Ihnen studierte. — Der junge WolfF
war während des verflossenen Jahres hier in Cöln, ist im
Violinspiel Schüler von Königslöw gewesen, in der Com-
position Privatschüler von Hiller, hat mit einem Streich-
quartett sich den Preis in der Mozartstiftung erobert und
ist vor Allem eine frische, liebenswürdige, bescheidene
Natur, der ich das Glück gönnen möchte, in Ihrer Nähe,
unter Ihrem Einfluß eine Zeit lang zu leben und von
Ihnen zu lernen. Über seine Leistungen auf der Geige
habe ich wenig Urtheil, daß er aber tüchtig musikalisch
begabt ist und für sein Alter — i8 Jahr — eine sehr
hübsche Beherrschung der Mittel und Formen in eigenen
Arbeiten erreicht hat, darf man ihm nachsagen. — Viel-
leicht hat Ihnen auch Hiller schon von ihm erzählt, denn
er war sehr erbaut von seinem Talent. —
Ursprünglich sollte er nun für diesen Winter nach Leipzig
gehen, besonders um bei Hauptmann zu ai^beiten und ein
anderes Musikleben kennen zu lernen ; Hiller hat ihn schließ-
lich bewogen, davon abzustehen, weil er Davids Schule
nicht empfehlenswert findet und die Fortsetzung der Violin-
studien für mindestens ebenso wesentlich hält, als die fernere
Ausbildung in der Composition — daß er ihn aber zum
Ersatz mit seinem Rath nach Brüssel befördert hat, ist frei-
lich etwas unglaublich, und es ist wohl ein gutes Zeichen,
wenn Einer sich dort nicht sehr wohl befindet und mit
Sehnsucht daran denkt, die ungesunde Luft mit besserer
zu vertauschen. Leonard, an den er empfohlen war, geht
in nächster Zeit nach Paris, und diese Gelegenheit möchte
er benutzen, dort abzubi'echen und zu Ihnen überzusiedeln,
sobald dazu die Erlaubniß seines Vaters eingetroffen ist. —
*) L(!onh. Wolff, später Univei.sitäts- u. städtischer Musikdirektor in Bonn.
Von Ernst Rudorff 4oi
Nun handelt es sich aber in erster Linie um Ihr Ja oder
Nein, und ich darf Sie wohl im Interresse des jungen
Mannes bitten, mir bald mit ein paar Zeilen Bescheid
darüber zu sagen. —
Die Signale melden, daß Sie Ihre Häuslichkeit nach
Berlin verlegen wollen, ich glaube es aber nicht, ehe ich
es nicht von Ihnen selbst weiß. — Das Letzte, was ich aus
besserer Quelle von Ihnen erfuhr, brachte theils ein Brief
von Frau Schumann, theils die Beschreibung eines Abends
bei Hausmanns in Braunschweig von der Hand einer recht
feinen liebenswürdigen Frau, die Sie beide dort gesehen
und gehört hat, Frau v. Pawel. — Sie machte meiner Tante
M. Hoffmeister zugleich Hoffnung auf einen Besuch Ihrer-
seits von Harzburg aus; doch sind Sie wohl durch das
schlechte Wetter an weiteren Ausflügen gehindert worden. —
Mir ist es nicht gerade gut gegangen; ich habe seit
Februar um eines rheumatisch-nervösen Leidens willen im
linken Arm so ziemlich auf alles Glavierspielen verzichten
müssen, und Kreuznach, das ich zuletzt brauchte, hat mir
zwar gut gethan, jedoch noch nicht Alles wieder in Ord-
nung gebracht. Aber dieser Sommer war freilich der Art,
daß man eine Zeit lang die Musik überhaupt vergaß und
recht zufrieden sein muß, wenn man nach der Sündfluth
das alte Leben verhältnißmäßig so bald und so unversehrt
wiederfindet. Bei Ihnen in Hannover ist nicht Alles unver-
sehrt, ich denke mir aber, daß Sie persönlich kaum sehr
unzufrieden mit der Lösung der Bande sein werden, die
Sie an König Georg fesselten.
Kommen Sie denn einmal nach Cöln während der näch-
sten Monate? Ich hoffe sehr darauf und wünschte, es
würde mehr daraus, als der gewöhnliche flüchtige Besuch zu
einem Gürzenichconcert. — Ihrer Frau Gemahlin empfehlen
Sie mich herzlich ; ich hörte, daß sie im Sommer viel leidend
gewesen wäre, so wünsche ich sehr, daß es damit besser
sein möchte und daß auch die beiden kleinen Joachims
26
4o2 An Clara Schumann
Ihnen möghchst viel Freude und möglichst wenig Sorge
durch Krankheit machen mögen. — Einer hoffentlich gün-
stigen Antwort entgegensehend, bin ich Ihr wie stets in
warmer Verehrung
ergebener
An Clara Schumann
Ernst Rudorff.
Basel 4 Nov. [1866]
Liebe Frau Schumann
Mir scheint's unglaublich, daß es schon i4 Tage sind,
daß wir von Ihnen schieden, unbegreiflicher noch
fast, daß wir seitdem nicht an Sie geschrieben ! Zu meiner
Entschuldigung (vor mir selber, nicht Ihnen gegenüber,
die Sie ja so nachsichtig gegen wirkliche Freunde sind!)
kann ich sagen, daß ich 8 Mal in 7 verschiedenen Städten
öffentlich gespielt und dabei noch eine Menge Correspon-
denz etc. zu besorgen hatte. Im Ganzen hat mir die Fahrt
viel Freude bereitet, und wär's nur, daß ich wirklich finde,
wie Johannes mit jedem Mal freier und schöner spielt,
sodaß sein geniales Wesen allmählig auch beim Spieler zum
Durchbruch kömmt. Auch scheint er selbst Spaß am con-
certiren zu haben, und so hoffe ich, daß er die Leute all-
mählig auch in Deutschland zwingen soll, ihm freudig zu
lauschen, statt zu bekritteln.
Die beiden Quartette von ihm haben mich in Zürich und
Aarau wieder recht erwärmt; namentlich hat das A-Dur
so viel Zartheit und Verklärung an vielen Stellen, daß man
nur daran zu denken braucht, will man über einzelne
Rücksichtslosigkeiten des Freundes hinweg kommen. Wer
so schreibt, ist edel und gut!
Wie schön muß es am Züricher-See im Sommer sein!
Nur einen Tag lang kam die Sonne dort zum Durchbruch,
und da genoß ich auf der Villa Wesendonck in fast sommer-
An seine Frau nach Hamburg 408
lieber Wärme den ganz südlicben Cbarakter dieser wunder-
baren Landschaft. In Bern war's nicht so schön wie vor
5 Jahren. Ich hoffe, wir treffen einmal alle noch auf dem
Rigi in einem schönen Herbst zusammen. Von Haus habe
ich gute Nachrichten. — Wir spielen die Woche noch hier,
am 10'*" in Mühlhausen, am 11. gehts nach Paris; herz-
lich ergeben
Ihr Joachim.
An seine Frau nach Hamburg
Basel am G""» [Nov. 66]
Ich bin eben in der Fähre über den Rhein gefahren und
auf den Bergen ein wenig geklettert. Es war ein wunder-
schöner Nachmittag; nur die Ferne etwas dunstig, so daß
die Alpen nicht zu sehen waren. Dafür die Schwarzwälder
Berge und die Vogesen. In Deutschland würde man das
schon eine selten schöne Gegend nennen. Die Beleuchtung
ist wahrhaft zauberisch hier immer; auch der Rhein im
raschen Lauf und mit seiner unentweihten Bläue. Brahms,
Riggenbachs, Bargheer der Jüngere, Bernoulli etc. waren
mit, lauter liebe Leute, die ganz gut zu Dir gepaßt hätten.
Wir geben hier doch kein Concert; es ist gar zu viel los
in dieser Woche, noch dazu tobt die Messe mit ihren Buden
vor dem Concert-Lokal, von dem einige Zimmer an Affen-
theater, an eine Riesin und derlei vermiethet sind, so daß ich
Sonntag im Abonnements -Concert während der piano
Stellen ganz gut Contrabässe und große Trommel mit Tanz-
rhythmen von unten herauf hörte. Zudem sagten einige
Freunde, es würde ihnen für den Ruf der Bas'ler so leid
thun, wenn es am Ende nicht so voll würde, wie wir's ge-
wohnt — und diesen Wink haben wir verstanden! Nun
sagen doch alle, es wäre Schade, daß wir nicht spielen,
wir lassen uns aber nicht irre machen. Man muß nur
Concert geben, wenn man dazu gedrängt wird. Bei Mühl-
26*
4o4 An seine Frau
hausen bleibt's aber, am lO"""; von dort gehe ich dann
nach Paris. Wegen Brüssel hat's noch viel Telegraphiren
gegeben; sie wollten dort jedes Opfer bringen, um mich
zu veranlassen, statt in Paris, bei ihnen am 1 7'^" zu sein.
Pasdeloup kann mich aber für den 18'*" (seine Goncerts
populaires) nicht entbehren. Mir thut's leid, denn die
Feierlichkeiten werden gewiß lustig in Brüssel^). Du hast
jetzt die Peri- Probe schon gemacht; wenn nur das Ganze
so schön geht, daß Du Genuß davon hast; Du mußt mir
ausführlich darüber berichten. Ich will jetzt zu Bülow's
Kammermusik -Soiree, bin gespannt, wie er sich in den
langen Jahren als Spieler entwickelt hat. Denke, daß er
zu den 3 Soireen bis gestern kaum 20 Abonnenten gefunden
haben soll. Er ist hier, außer bei Merian-Genasts, die ihm
huldigen und räuchern, wenig beliebt; scheint auch noch
der alte freche Parteigänger wie früher. Es hat etwas
Rührendes, wie er sich Liszt und Wagnern aufopfert; schade,
daß seine guten Eigenschaften keinen andern Begeisterungs-
Ranal gefunden. Wir fahren fort, uns zu meiden. Von
Brahms soll ich Dich grüßen; auch Ottens grüße [von] uns
beiden. . . .
An seine Frau
Mühlhausen [11. Nov. 66]
Wie geht's Dir? Ich verlange so sehr nach Deinen
Zügen; nun Avenue Montagne, 29.2) Eben will
ich dahin abfahren; Bülow sitzt im Cafe des Hotels bei
mir. — Er war mit seinen Schülern hierher nachgefahren,
und als wir uns in einem schmalen Gang begegneten und
erst aneinander vorbeigegangen waren (wie in Basel), drehte
er plötzlich um und fiel mir um den Hals. Das klingt
*) bei der Krönung Leopolds II.
*) Die Wohnung von Js. Onkel Bernhard Figdor.
An Bernh. Scholz 4^5
komisch — aber die Wärme von dem kleinen, polemischen
politischen, Gott weiß was alles, Kerl that mir doch wohl.
Wenn man Jugendzeit frisch mit einander verlebt, bleibt
doch immer was davon im Herzen sitzen, und das ist gut.
Das Goncert war hier sehr voll; die Aufnahme enthusiastisch.
Aber nun von Hamburg! Erzähle recht bald. Brahms
und Bülow grüßen. Ich werde erst morgen früh zu Onkel
Bernhard, komme zu spät an, und habe mich nicht ge-
meldet. . . .
Dein
An Bernh. Scholz
Je.
[Paris 12. Nov. 1866]
92, Grand Hotel.
Lieber Scholz
Erst heute Morgen ^/g 6 bin ich hier angekommen und
erhalte eben Nachmittags von Szarvady's, die ich auf-
suchte. Deine Zeilen, auch Herman Grimms Brief. Die
Eröffnung des Athenee, so heißt die Gesellschaft, für die
ich spiele, ist um 1 4 Tage verschoben worden, daher meine
verspätete Ankunft. Ich gab in der Zwischenwoche mit
Brahms in Zürich etc. Concerte. Mir thut es von Herzen
leid, daß Du so lange auf Antwort zu warten gehabt; noch
mehr, daß sie nun eine Deine Pläne nicht bestätigende sein
muß. Meine ganze Zeit bis Ende April ist voraus durch
Concerte in Beschlag genommen. Ich werde kurz vor
Weihnachten erst nach Hause kommen; habe Neujahr mit
Ursi in Leipzig zu musiciren versprochen, am 4"^" i"^
FrankP a/M! Am i4'^" J. ist schon in London das erste
Pop; von dort habe ich ein Versprechen an den Kopen-
hagener Verein zu erfüllen. Es ist absolut keine Möglich-
keit für mich, Berlin vor dem Frühjahr aufzusuchen.
Übrigens ist's nun einmal meine Privatmeinung, daß ich
4o6 An seine Frau
dem König und der Königin nicht das creve-coeur bereiten
darf, mich nun sofort nach Berhn zu wenden; ich habe ein
Rachegefühl zu nähren gesucht und will für Satter i) keine
revanche nehmen, auch Schorsen gegenüber.
Nimm, lieber Freund, mit diesen eiligen Zeilen fürlieb.
Dein
Joseph J.
An seine Frau
Paris [i3. Nov. 66]
Seit gestern früh sitze ich denn hier im großen Babel,
und wie Du siehst, nicht bei Bernhards, weil sie noch
in Soisy^) sind. Ich hatte mich vorgestern von Brahms und
Bülow verleiten lassen, den 1 1'^" noch mit ihnen zuzubringen
und mit dem Nachtzug zu reisen, so daß ich denn erst gestern,
d. 12'^" S%^^ Morgen um 1/36 hier anlangte. Ich schlief
gut aus und fuhr dann nach der Avenue Montagne, aber
vergebens! Da ich nun alle Briefe dahin zu adressiren be-
auftragt hatte, ist das recht fatal! Eben bevor ich diesen
Satz anfing, erhielt ich ein Telegramm aus Soisy, daß ein
Brief von Dir und ein recommandirter anderer da draußen
bei ihnen angekommen ist ! Ich hatte mich so auf Deinen
Brief gefreut, nun muß ich noch bis morgen warten! —
Eben war ich beim Telegraphen (hier im Hotel ist Alles
bei der Hand) und habe meine Ungeduld dadurch be-
schwichtigt, daß ich um Deinen Brief telegraphirte; auch
habe ich Bernhard Figdor hier für morgen ein Rendez-
vous gegeben. Gestern sah ich Szarvady's, Pasdeloup, und
wohnte Abends einer Orchester- Probe für das Atheneum^)
*) vgl. Fischer S. 282 fu. 285 f.
^) Dort besaß der Onkel ein schönes Landhaus.
^) Über die Gründung des Athenee durch das Bankhaus Bischoffsheim
u. Co. s. Ludw. Bamberger, Erinnerungen 1899, S. 368.
An seine Frau 4^7
bei. Der Saal ist noch immer nicht fertig! Sie hämmern,
malen und mauern sogar noch hie und da herum, und ich
begreife nicht, wie sie's anfangen wollen, Freitag schon
vor einem geladenen Publikum den Saal zu inauguriren,
(wozu ich die Gesangs -Scene spielen soll). Die eigentliche
Eröffnung für das zahlende Publikum soll nächste Woche
stattfinden, und ich spiele deßhalb auch Sonntag noch
nicht bei Pasdeloup im „Populaire". Alle diese Änderungen
haben was Ungemüthliches; auch ist's dumm, daß wir nun
das Concert in Basel nicht mehr gegeben haben, es wäre
recht gut Zeit gewesen? Und auch Brüssel! Übrigens
geht mein Engagement hier am i5'^" an, dabei bleibt's.
Einstweilen ist's mir vom Pariser Lärm noch ziemlich dumm
im Kopf; ich ruhte gestern zum Mittag, d. h. ^/g 7 im Cafe
Foy aus, und dachte, wie schön es war, als Du vor
1 1/2 Jahren an demselben Platz neben mir saßest und wir's
uns gut schmecken ließen. Ich laufe immer zu Fuß und
habe mir's zum Prinzip gemacht, das soviel wie thunlich
fortzusetzen. . . .
Adieu bis morgen.
Dein
Je.
An dieselbe
[Paris] Am 1 5'«" [Nov. 66]
Endlich gestern Deine lieben Schriftzüge ! Bernhard war
in der Stadt und wohnte Abends der Probe für's
Athenee bei — die Leute waren sehr lebhaft, sie hören
wirklich mit Genuß zu, und das macht einem Spaß. Aber
denke, die Eröffnung ist nun erst nächsten Mittwoch; es
ist etwas in der Beleuchtung vernachlässigt! Ich will eben
aus dem Hotel zu Szarvady's ziehen, denn Figdor's kommen
erst nächste Woche in die Stadt, und mir ist's zu un-
behaglich, im Hotel zu üben, auch habe ich ein ganz
4o8 An seine Frau nach Hainburg
dunkles Zimmer, für das ich doch lO Frcs täghch exclusive
Bedienung zahlen muß! Szarv.'s haben so sehr gebeten,
daß ich nicht umhin konnte anzunehmen. Sie sind sehr
theilnehmend. Nun aber zur Hauptsache, weßhalb ich
eigentlich noch in aller Eile von hier aus ein Wort schicke:
Es steht Dir natürlich frei, so lange in Hamburg zu bleiben,
als Du für nützlich findest. . . . Wir haben ja immer ge-
funden, daß Dir Stockh. noch nützen kann; lasse Dir nur
meine liebe Stimme nicht überanstrengen.
An seine Frau nach Hamburjj
Soisy [-Paris] Sonntag [i8. Nov. 66]
ch bin gestern hier heraus gekommen, habe Corneliens ^)
I
Geburtstag mitgefeiert und will jetzt wieder zur Stadt,
wo ich Pasdeloup's Concert hören muß, weil es mir wichtig
ist, das Lokal zu kennen, bevor ich nächsten Sonntag selbst
dort spiele. Hier denke ich bei jedem Schritt, Du müßtest
mir begegnen; so heiligt Dein liebes Wesen auch diese
Stätte, die ja sonst nicht viel von Dir an sich hat. Es ist
das alte Leben hier, so nett und erfreulich die einzelnen
sind, Mimi (die sich recht lieb entwickelt und viel ruhiger
geworden ist), die Tante mit ihrem Talent, eine reizende
Hausfrau zu sein, die Fumagalli, anziehend wie immer, ich
könnte es hier nicht lange aushalten. Es fehlt ein gemein-
sames Band, das Vergnügen und der echte Ton geistiger
Befriedigung stellen sich nicht ein. Ich begleitete gestern
der Fumagalli ein paar Sachen, die sie zum Theil recht
hübsch sang. Der Oncle hatte den Takt, mich Abends (wo
ein großes Diner mit den Sommitäten der Nachbarschaft
und einigen Attaches war) nicht aufzufordern zu spielen,
was hübsch von ihm ist. Szarvady's waren nicht mitge-
kommen, es wäre zum Accompagnement Niemand da ge-
^) Figdors Frau.
An seine Frau nach Hamburg 4^9
wesen. . . . Ich habe bis jetzt noch ein recht zerstreutes
Leben geführt, war 3 Abende hinter einander iin Theater.
Es wird so vollendet in den kleinsten Theatern gespielt,
daß es wirklich eine große Versuchung ist; mir thut's zu
leid, daß Du das nicht mit genießest. Vorgestern Abend
hörte ich die Alceste in der großen Oper. Man merkte
es dem Ganzen, namentlich den Leistungen der sonst nicht
gerade hervorragenden Solo-Sänger an, daß Berlioz die
Sache einstudirt hatte — einzelne Accente in der Decla-
mation, Steigerungen in den Scenen waren ergreifend, ob-
wohl Berlioz nicht selbst in der Oper dirigirt. Mit den
Chor- und Orchester-Mitteln hätte sich unübertrefflich
Hohes leisten lassen; da kommt aber mein flaches franzö-
sisches Völkchen — das Orchester spielte ohne Freude an
der Sache, der Chor amusirte sich mit Schwatzen und
Scherzen und Gaffen bei den ernstesten Scenen, weil ein-
mal im Publikum auch keine Theilnahme bemerkbar ist:
das Haus war ^j^leer, und das steckt die Spielleute (Mu-
siker mag ich sie nicht nennen) mit Flauheit an. — Ich
hätte sie durch Prügel anfeuern mögen, die verdammten
Kerle, die jedes kleinste Solo so schön wiederzugeben
wußten, und im Ganzen Schlafhauben darstellten. Erst
als es zum Ballet näher rückte, füllten sich allmälig die
Bänke mit störenden Kommenden, und als die Alcesten-
Akte (den letzten gaben sie garnicht!) zu Ende
waren, sah das Haus brillant und voll aus. Da hättest Du
hören sollen, mit welchem Feuer und Gusto die Kerls die
pikanten Ballet-Klänge wiedergaben; ich blieb aber nicht
zum Schluß, obwohl ich sagen muß, daß es einen gewissen
sinnlich erregenden Eindruck auf mich machte, . . .
4iO An seine Frau nach Hamburg
An seine Frau nach Hamburg
[Paris] Mittwoch [21. Nov. 66,]
Du wirst jetzt schon längst meine EinwilHgung^) und
einen spätem Brief in Händen haben. Ich freue mich,
daß Du Deinen Wunsch endhch ausführen kannst, und
bin auf die Resultate gespannt. Lasse Dir nur Deine Brust
nicht zu sehr anstrengen; man sagte mir manchmal, daß
Garcia und Stockh. dazu neigten, die Stimme anzugreifen.
Ich verstehe nichts davon, will aber doch den Wink nicht
unterlassen. Was mir bei Deinem Gesang manchmal fehlte,
ist : daß er nicht rhythmische Präcision genug besaß — daß
Du nicht aus Wahl, sondern aus Unbeholfenheit oft
länger als gut auf einem Ton, einer Silbe verweiltest.
Es geht beim Spielen den meisten Geigern mit dem
Bogen so, daß sie nicht durch die geistige Conception, son-
dern durch das Maaß ihrer technischen Gewandtheit den
Vortrag der Phrasen bestimmen lassen müssen. Ich denke
mir, daß der Tadel Deiner Aussprache mit daher rührt;
denn Niemand hat mehr Sinn für schöne, charakteristi-
sche Deklamation sonst, als gerade Du. Darin wird Dir
Stockhausen gewiß nützen, auch die richtigen Mittel
anzuwenden, Dein richtiges Gefühl zu vollem Ausdruck
zu bringen. Übrigens haben mich die Recensionen als
Zeugen des Eindrucks, den Du hervorgebracht, sehr gefreut.
Mir ist aber selten soviel Dummheit und ohnmächtige Ge-
meinheit vorgekommen, wie in den eingesandten Angriffen
gegen Stockhausen. Möchte er sich vor seinen Freunden
ebenso gut schützen können, wie er vor dem ihm von den
Angreifern zugedachten Schaden bewahrt ist. Übrigens
leistet Böie^) offenbar an Blödsinn und Ungeschick noch
mehr denn als Musiker; Herr Jemine! was ein Concept!
') bei Stockhausen in Hamburg einige Wochen zu studieren.
^) Violinist in Hamburg.
An seine Frau nach Hamburg 4i'
Der Kerl verwundet sich bei jedem Ausfall selbst und
glaubt noch dazu seines Gegners Blut zu sehen,. wenn er
sich geschrammt hat! — Heute schieße ich hier endlich
los; die Inauguration de la Salle findet statt. Freitag spiele
ich wieder, und Sonntag bei Pasdeloup im großen Cirkus.
Du hast keine Idee von der Herzlichkeit des Orchesters
für meine Leistungen: als ich gestern mit den Musikern
schon für nächsten Sonntag das Mendelssohn'sche Concert
vorläufig durchnahm (circa lOO Musici im Conservatoriums-
Saal, wo sie die Proben halten), dauerte ihr Zuruf nach
jedem Satz Minuten lang, und das sind dieselben Kerle,
die bei dem kleinsten Aufenthalt gleich mit den Füßen
stampfen vor Ungeduld, fertig zu sein. Wenn ich nur auch
ihren Erwartungen entsprechend öffentlich spiele! Ich
hoffe, daß ich nicht wieder so eine Dummheit mache, wie
im Conservatoire seiner Zeit beim Anfang. Der Anblick
der Concerts populaires im Cirque hat etwas wahrhaft Im-
posantes. Wie da gegen 5ooo Menschen, vom Akademiker
bis zum Ouvrier, gedrängt lauschend, urtheilend, gläubig,
genießend sitzen. Und welch' ein Ausbruch von Sympathie
nach einem Haydn'schen oder Mendelssohn'schen Satz, den
sie wie vorigen Sonntag zweimal hören müssen, denn eher
ruhen sie nicht! Das würde Dir auch gefallen, und ich
brenne eigentlich, dort zu spielen, und, weiß Gott, nicht aus
Ehrsucht, sondern weil ich's schön finde, Menschen das
Schöne lieben zu machen. Der Klang ist für die Größe
des Lokals gar nicht schlecht; wenigstens sehr klar und
deutlich, wenn auch natürlich das Forte nicht imposant.
Mein Arm mahnt aufzuhören ; ich habe eine gute Saite auf
der Geige. Szarvady's grüßen, ich fühle mich sehr wohl
bei ihnen u. bleibe bis Montag gewiß da. Figdor's ziehen
heute oder morgen in die Stadt. — Die Adresse heißt
nicht A V. Montag ne sondern Montaigne nach dem großen
Essayisten, nebst Moliere meinem französischen Lieblings-
schriftsteller. . . .
4i2 An seine Frau nach Hamburg
An seine Frau nach Hamburg
[Paris] Sonntag, 1 1 Uhr [aS. Nov. 66.]
Nur ein paar Worte, denn da ich um i Uhr im Cirque
Napoleon spiele (worauf ich mich übrigens freue), so
darf ich meine Hand nicht ermüden. Morgen erfährst
Du dann, wie's gegangen hat, und schicke ich Dir dann
das Programm, wie heute das vom vorigen Sonntag (wo
ich nicht spielte) und vom Athenee, vorgestern. Dieses
ist sehr langweilig — die Leute, welche es unternehmen,
verstehen gar nichts von Kunst und haben nicht einmal
savoir faire, die Annoncen sind ungenügend, sie stoßen die
Leute aus Dummheit vor den Kopf, die sie gewinnen soll-
ten — kurzum sie benehmen sich wie reiche, nach Jeru-
salem zuständige Geldprotzen. Ich habe Herrn Bischofs-
heim & Co. keinen Besuch gemacht, u. werde es auch
nicht. Ein Glück, daß ich mich in die Sache nicht einließ,
die Geschichte zu dirigiren. Montag führen sie die Jahres-
zeiten auf. . . .
An dieselbe
[Paris] Montag. [26. Nov. 66.]
Liebes Kind
Ich habe Szarvady versprechen müssen, daß ich Dir von
ihm sagen werde, ich hätte gestern den schönsten Erfolg
gehabt, der bis jetzt im Cirque bei Pasdeloup's Concerten
vorgekommen ist. Es war wirklich prächtig zu erleben,
und Du hättest Dich gefreut dabei zu sein, denn die Auf-
nahme war noch herzlicher als im Conservatoire. Das Eis
ist also auch dem Pubhkum gegenüber gebrochen, das
5ooo Köpfe stark vertreten war. Wie eine Art Erdbeben
kömmt die leiseste Zustimmung zum Spieler herauf, man
An Herman Grimm ^i3
erschrickt fast. Ich habe glückUch gespielt; es ist aber eine
große physische Anstrengung in dem außerordentUchen
Raum, Am Schluß des Goncerts (nach der Ouvertüre)
riefen mich viele Stimmen nochmal — Joaschehng, und
ich mußte neuerdings Buckerl machen. So, nun hab' ich's
erzählt. Ich werde wohl noch öfter spielen, als ausgemacht
war. Jetzt muß ich zu Oncle umziehen; es ist Schade,
denn ich fühlte mich schon sehr behaglich bei Szarvady's;
die haben ein wahres Juwel von einer alten Miß Black ^).
Heute sind im Athenee Haydn's Jahreszeiten (auf fran-
zösisch), die muß ich hören.
An Herman Grimm
[Paris Ende Nov. 1866.]
Lieber Herman
Das gewünschte Klavier von Pleyel habe ich vor einigen
Tagen schon mit Frau Szarvady ausgewählt; es
sollte revidirt werden und geht dann mit „petite vitesse"
nach Berlin, so daß es jedenfalls vor Weihnachten bei
Euch eintreffen wird. Ich habe es an Dich adressiren
lassen für alle Fälle. Wir haben unter drei guten Instru-
menten dasjenige gewählt, welches Deiner Specialität
sanfter Gedämpftheit am meisten entspricht. Ich denke, es
wird Euch allen gefallen, und freue mich darauf, dem-
nächst einmal dazu zu musiciren.
Das Bild des Erasmus von Holbein (ist das in Basel ein
Duplikat?) habe ich einmal bei trübem, darauf bei hellem
Wetter untersucht, ohne eine Spur von Datum entdecken
zu können; auch ein copirender Franzose, den ich um
Aufklärung bat, konnte nicht helfen. Ich habe nun einen
Bekannten (der zum Intendanten des Louvre's, Comte de
Nieuwkerk in Beziehung steht) ersucht, mir officielle Be-
*) so hieß das Kinderfräulein bei Js.
4i4 An seine Frau nach Hamburg
lehrung zu verschaffen, und werde Dir hoffenthch dem-
nächst etwas darüber sagen können.
In Aarau habe ich Deine schöne Itahenerin bei Herrn
Rothpelz mit großem Genuß gesehen; er war leider krän-
kelnd und unsichtbar, hingegen leuchtete eine Art alter
Sänne ^), welche mir die Zimmer aufschloß, ordentlich auf,
als ich Deinen und Gisels Namen nannte und frug, ob Ihr
dagewesen seid. . . . Lebe für heute wohl; grüße die Deine
und die Deinen von Herzen
von Deinem
Joseph J.
An seine Frau nach Hamburg
[Paris] 29, Avenue Montaigne.
Donnerstag. [29. Nov. 66]
Es ist hier nicht so gemüthlich wie bei Szarvady's, wo's
Kinder (2 Buberl von 9 — 10 und ein Mädi von
4 Jahren) giebt! Auch wird hier mittelmäßige, italienische
Musik gemacht, wie Du weißt, u. bei aller Liebe und
Theilnahme fehlt's an dem Henkel, mich recht zu fassen.
Heute werden wir mir zu Lieb in's Theatre francais
gehen, das Burgtheater für Paris, das wäre was für
Dich! Ich war doch seit der Alceste nicht wieder. Hast
Du Dich denn über den Erfolg gefreut? Ich habe
doch eine Art Gefühl, als hätte ich für deutsche Art eine
Lanze gebrochen, und bin meines Siegs froh. Wenn ich
nur gut weiter kämpfe! Nächsten Sonntag spiele ich
Viotti's A moll-Concert bei Pasdeloup^) (Brahms' Lieblings-
stück), morgen Mendelssohn's und die F dur Romanze von
Beeth. und das Abendlied im Athenee. Die Direktion
dieser Concerte hat geglaubt, ich müßte so oft spielen,
*) das alte Mädchen bei Wilh. Grimm.
') Vgl. A. Pougins „Viotti et l'ecole moderne de violon", pag. laa.
An seine Frau nach Hamburg 4'^
wie sie wollte, und da sich zum Glück mein Brief vorfand,
worin 6 Mal genau angegeben ist, so wollten sie erbetteln,
daß die Inauguration nicht mitgezählt wird — ich war so
empört, daß ich auf nichts einging. Es ist schofles Geld-
pack! . . .
An dieselbe
[Paris I. Dez. 66] Samstag.
Ich komme hier schön in's Arbeiten hinein, leider nur
in's Spielen heißt das ; morgen also bei Pasdeloup, über-
morgen im Athenee,^ Freitag wieder daselbst. Es war
gestern Abend ganz voll (obwohl die Plätze furchtbar
theuer sind: y^/g, 6 u. 4 Frcs. und die Leute das Annon-
ciren sehr vernachlässigen). Mir ist das sehr lieb, da sie
mit mir „handeln" wollten. Jetzt hat Pasdeloup die 2 Male,
die ich bei ihm spielen sollte, den Athenee-Leuten abge-
treten, u. wird sich mit mir für seine Concerte besonders
abfinden. Es waren eine Masse Geiger gestern Abend ver-
treten, u. A. Beriot u. Leonard. Ersterer ist ganz erblindet,
der Ärmste! Ich habe eben schon im Cirque probirt und
muß nun gleich wieder in's Athenee, um Beethovens Con-
cert mit dem Orchester zu spielen. . . .
An dieselbe
[Paris] 29 Avenue Montaigne. Montag. [3. Dez. 66.]
Gestern war's bei Pasdeloup noch glänzender wie das
erste Mal; Viotti ging auch recht gut. Ich lege das
Programm bei. Es sollen zwischen lOOO — 2000 Menschen
abgewiesen worden sein, und man bot 3o — 5o Frcs. für
Sitze. Wärst Du doch dabei gewesen. . . . Heute in 14 Tagen
trete ich den Rückweg an, werde aber in Roubaix (auf der
Eisenbahnlinie) wahrscheinlich aufhalten, um lOOO Frcs.
4i6 An seine Frau nach Hamburg
mitzunehmen. Heinrich hat mich obendrein darum ge-
beten, da Geschäftsfreunde von ihm darum durch ihn an-
halten. Ich bin so mit Anfragen von allen Seiten zu Con-
certen überhäuft, daß ich Ende April auf 1 4 Tage wieder
zu kommen vor habe; es ist Schade, daß ich nach Eng-
land muß, ich könnte hier noch mehr verdienen. Du mußt
aber im Frühjahr mit hieher und die Ausstellung ansehen,
nicht wahr? . . . Gestern ging ich an einer Bettelfrau vor-
über, die einen kleinen Jungen auf dem Arm hatte, u.
Oncle B. sagte, das wäre ein Miethkind, um die Leute zu
erweichen. Der Bub' fing aber zu schreien an, und genau
so wie unser Hermani, daß mir's ganz schwer vor Sehn-
sucht wurde. . . .
An seine Frau nach Hamburg
[Paris 6. Dez. 66.J
Du hast mich vorgestern aus großer Angst erlöst —
ich wollte gerade telegraphiren. Gottlob, daß Ihr
alle wohl seid. Ich freue mich über Dein eifriges Studiren ;
über die Art, Dich gegen Deinen Lehrer erkenntlich zu
zeigen, können wir mündlich sprechen. Siehst Du vielleicht
einen Kupferstich, „der nicht bei Stockhausen's ist", so
merke Dir ihn. Wann gehst Du nach Hannover? Du hast
mehrere Fragen nicht beantwortet, thu's doch bald. Mein
Erfolg ist hier wirklich groß gewesen — die große Oper
hat mir den Antrag machen lassen (Monsieur Perrin),
6 Mal dort zu spielen, das soll seit Paganini nicht passirt
sein. Erzähle es Stockhausen. Ich habe nicht an-
genommen, denn ich mag die paar ruhigen Feiertage bei
Euch nicht aufgeben. Wie freue ich mich auf diesen inner-
lichen und äußern Frieden, mein Kind und meine Kinder!
Ich spiele morgen noch hier im Athenee, Sonntag bei Pasde-
loup, nächste Woche wieder im Ath., am i5. in Bordeaux,
An seine Frau 4^7
am i8'*" auf dem Heimweg in Roubaix und am 20. in
der Hölty-Straße mit Putz und Hermänni. In pekuniärer
Hinsicht ist die Sache hier so dumm wie mögUch an-
gefangen worden — aber ich habe doch von der ganzen
Reise etwa ,10000 bis 1 1 000 Frcs. Vielleicht läßt es sich
ein ander Mal nachholen! Willst Du Mitte April mit mir
herkommen?
Rossini läßt Dich grüßen; sie kam selbst, um mich zu
Sonnabend zum Essen zu laden. Er hatte ihr gesagt
„ammene-moi Joachim", da ich nur einmal eine Karte
dort gelassen. Der Kerl hat ein so schönes Fuchsgesicht!
Ich sagte ihm. Du studirst fleißig, um ihm was vorzusingen.
An dieselbe
[Paris] Donnerstag. [i3. Dez. 66]
Ich bin eigentlich so froh, daß Du nicht „Ja" gesagt
hast, und daß Dir unsre deutsche Häuslichkeit so viel
ist! Natürlich bleibe ich nun hier und lasse Euch zu
Weihnachten allein, und Du kannst auch ohne mich nach
Leipzig und Frankfurt, und ich habe Euch doch nebenbei
ein wenig lieb, und Succes und Geld ist aber die Haupt-
sache! Gelt!!!
... Ist das Programm nicht schön? Wenn's nur für
einen Deutschen nicht so viel zu ärgern gäbe, in jedem
Concert, dem besten auch! Gestern Abend freue ich mich,
als die „Gavotte "für Orchester losgehen soll, auf meinen
alten Sebastian mit Trompeten aus der Orchester -Suite —
fangen Dir ein paar Oboen einen Trauermarsch an — eine
arrangirte Klavier-Bourre, nur zweimal gut zu langsam,
und ich wachse vor Ungeduld und Arger aus. Na; aber
Haydn war sehr schön, und manche Logen waren in der
Zerstreuung doppelt verkauft, und es war sehr belebt, in
dem Lokal, wo vor kurzem kaum 200 Menschen ver-
krümelt saßen. . . .
37
4i8 An Theodor Ave-Lallemant
An seine Frau
[Pau] Montag, d. 17. [Dez. 1866]
Wie weit sind wir von einander! Gestern habe ich
im Herkommen ganz wunderschön die Pyrenäen
mit weißen Häuptern gesehen; Spanien ganz nahe — und
doch! ich wollt' es wäre der Deister. Nun, morgen geht's
mit Riesenschritten heimwärts, und heute über 8 Tagen
werde ich Putz mit seinen neuen Spielsachen um die Zeit
beschäftigt sehen — „nein, reizend!" „sieh' mal"! Ich
thu's für ihn und sein Brüderl, daß ich nun noch so weit
hcrumkutschire — es kann auch heute eine Einnahme
von 2000 Frs geben, die mußte ich doch mitnehmen von
Bordeaux aus. Leider regnete es die ganzen Tage er-
schrecklich, sonst muß die Garonne und der Hafen prächtig
sein. Und so milde Luft, daß ich ohne Überzieher gehe
und bei offenem Fenster schreibe. Ich wohne hier bei
einem Deutsch -Engländer, der mir seine Wohnung so nett
in einem Brief au^ebotcu, daß ich zusagte und nicht be-
reue. Ein Vierziger, der sich als Dilettant ganz der Musik
widmet, bei Bargiel studirt hat, sein Geschäft aufgab, um
der Musik zu leben. Berens i) heißt er und ist unverheirathet,
nach Jerusalem zuständig, von der guten Sorte aber. . . .
x\n Theodor Ave-Lalleinant
45, Leinst er Sq. Bays water
London d. i8"="2. [1867]
Lieber Ave.
Mir hat es sehr leid gethan, daß ich Euch für dies
Jahr ausnahmsweise abschreiben mußte. Indeß ist's
vielleicht gut, wenn das Hamburger Publikum einmal
*) Über Ad. Behrens -|- 1896 vgl. den Brief an Brahms vom April 1896.
An Theodor Ave-Lallemant 4^9
statt „Toujours perdrix" Auer als Auerhahn verspeiset! Ich
habe Dich um Weihnachten herum in Hannover erwartet,
Du kamst aber nicht ! Nun werde ich so lange im Westen
bleiben, daß es zweifelhaft ist, wann wir uns sehen. Bis
Ende März habe ich in England zu thun, arbeite viel, habe
aber wenigstens die Genugthuung, daß ich wirklich für die
Meinigen etwas Erkleckliches ausrichte. Wäre nur die
lange Trennung nicht! Den April und halben Mai
werde ich in Paris und den französischen Provinzen zu-
bringen. Ich will vier Quartette in Paris geben, auf die
ich mich freue; der Sinn für deutsche Musik ist allent-
halben im Zunehmen, eine erfreuliche Wahrnehmung.
Deine Sorge wegen Stockhausens Abgang verstehe ich. Es
ist Schade, daß er so bald die Geduld verliert; manches
Schöne hat er schnell erreichen können, viel hätte die Zu-
kunft gebracht, aber ich kann nicht urtheilen, ohne seine
Gründe zu kennen. Daß Ihr Euch nun aufrafft und dem
größten Musiker unserer Tage, ich weiß, was ich
schreibe, dem Johannes Brahms aus Hamburg die ge-
bührende Stellung anweiset, ist nach den Philharmonischen
Antecedentien nicht wohl anzunehmen. Ein Stück Misere
und Verkennung scheint zur Entwickelung großer Geister
immer zu gehören, und vielleicht hält das Comite der
Philharmonischen Gesellschaft es sogar für landesväter-
liche Verpflichtung (wir haben noch immer regirende
Häupter genug zum nachahmenswerthen Beispiel!), der Zu-
kunft von Brahms durch Entsagung ein patriotisches Opfer
zu bringen. — —
Halte es nun nicht für Neugierde, wenn ich Dich bitte
mir zu sagen, in welcher Weise Ihr die Stelle wohl zu be-
setzen beabsichtigt. Ich selbst reflektire nicht darauf;
wohl aber wünscht sich ein ausgezeichneter, mir befreundeter
Musiker^) die Anstellung, und ich möchte wissen, ob die
Bewerbung irgend welche Chance läßt. Auf meine gewissen-
*) Alb. Dietrich, vgl. den folgenden Brief.
^7*
420 An seine Frau
hafieste Verschwiegenheit kannst Du zählen. Wenn Du,
wie ich Dich bitte, bald schreibst, fügst Du hoffentlich bei,
wie es Dir und den lieben Deinigen geht, die ich herzlich
zu grüßen bitte.
In aller Eile, aber
dauernd ergeben.
Dein
Joseph J.
An seine Frau
[London] Samstag. [aS. Febr. 67.]
Ich habe an Ave geschrieben u. erwarte nächstens Ant-
wort; aber ich habe Dietrichs Namen nicht genannt,
bloß allgemeine Auskunft verlangt „weil ich Jemand vor-
zuschlagen habe". Dietrichs Namen darf nicht ohne einige
Aussicht auf Erfolg genannt werden, weil es ihm in Olden-
burg schaden würde, wenn es heißt: er hat fort wollen, ist
aber nicht genommen worden. Ich habe übrigens an Ave
über Brahms ernstlich geschrieben, da nicht anzunehmen
sei, daß sich das Comite zu dem Entschluß aufraffte, den
größten Musiker unserer Zeit zu berufen, der ein ge-
borener Hamburger sei etc., so wünschte ich einen andern
zu empfehlen. Ich möchte Dir aber die Sache mit Dietrich
noch ernstlich zu bedenken geben! Er ist nicht energisch
genug, um mit dem rüden Hamburger Musikervolk viel
auszurichten — für seine Art zu sein, ist die Oldenburger
Welt viel besser. Er sehnt sich fort, wird sich aber
schließlich, wenn er sich mit dem Comite herumzubalgen
hat und für jede Probe vorgerechnet bekommt, wie viel
sie kostet (während ihm zwei Mal wöchentlich Winter
u. Sommer in Old, die Kapelle zur Disposition steht),
noch mehr nach den Fleischtöpfen Dalwigks^) zurück-
^) Intendant in Oldenburg.
An seine Frau 4^-'
wünschen. . . . Ich bin noch gar nicht einig, ob ich ihrx
schließlich empfehlen werde, trotz meinem großen Respekt
vor seinem musikalischen Können. Glaube mir, er könnte
nirgends besser am Fleck sein, als gerade wo er ist. Über-
lege das doch und schreibe es an Frau Dietrich, wenn
Du meiner Meinung bist, daß ich glaube, er würde sich
lange nicht so behaglich in Hamburg fühlen. Auch als
Dirigent, unter uns, hat er nicht Kraft u. Ruhe genug, um
zu imponiren; die exquisite Feinheit seines Wesens wirkt
in kleinerem Kreis, würde aber (da er weder als Kom-
ponist noch als Virtuose Ausgezeichnetes leistet) gerade
von den Hamburgern nicht genug gewürdigt. — Scholz
wäre besser am Platze u. könnte mit seiner derben Faust
am Ende gut thun. Ich bin neugierig auf Aves Antwort.
Adieu für heute!
An dieselbe
[London] Montag fi-üh. [25. Febr. 6y]
. , . Die Pop. Concerte machen mir immer viel Freude.
Es ist stets gedrängt voll, und ich muß immer was zu-
geben; das Londoner Publikum bewährt sich in seiner
Treue. Wir wechseln jedes Mal mit dem Programm, vor-
gestern war es das Cdur Quintett von Beethoven und
Schuberts Bdur Trio; heute Mendelssohn's A moll Quartett
u. das Forellen Quintett vom Schubertel, das ich nur ein-
mal im Leben gespielt. Ich denke, mein Spiel finden die
Leute warm, weil ich so viel an Dich dabei denke, mein
Liebes. Bei allen besonders schönen Stellen! Nächstens
will ich das Sextett von Brahms einmal bringen, auch
Frau Schumann sein Adur4tett. . . . Die Goldschmidts
sind nach Cannes; sie hatte mir vorgeschlagen, sie vor
ihrer Abreise hier in einem Hotel zum Mittag zu treffen,
ich war aber leider unterwegs. Mir that's Deinetwegen
422 An seine Frau
leid, ich weiß, Du hättest gern was direkt von der Lind
gehört. Ich habe außer Deutsch^), Straus^) u. Ellys^)
Eltern, die ich besuchte, kaum irgend welche Bekannte
zu sehen gekriegt. Bin doch meist unterwegs! Morgen
geht's wieder nach Bath, Clifton u. Torquay, und erst
Freitag Abend komme ich zurück. Rutsche mit dem Finger
auf der Karte nach. Diesmal geht's in lauter schöne
Gegenden. Es ist ja freilich entsetzlich, daß wir so von ein-
ander auf Wochen, Monate getrennt sein müssen. Aber ich
habe den Trost dabei, daß ich für Euch dies Opfer bringe, und
nicht umsonst. Die 7000 Thaler, die ich hier gewinne,
werden es mir möglich machen, desto eher in Deutschland
eine mir und Euch zusagende Stellung einzunehmen und
mich immer weniger lange von Euch zu trennen. Lasse
uns darum für die zwei, drei Jahre, in denen wir uns noch
vielleicht auf Monate zu trennen haben, Muth fassen.
Denke, wie entsetzlich es wäre, müßten wir uns ä tout
prix an eine Anstellung klammern! In Verhältnissen
dauernd leben, in denen man sich nicht wohl fühlt, für's
Leben vielleicht kriechen (um ein hartes Wort zu brauchen),
das wäre entsetzlich! Ich habe heute einen Antrag aus
Petersburg, mich dort am Konservatorium als Professor zu
fixiren, und als Concertmeister bei den Concerten. Von
September bis Juni müßte ich dort sein, 3 Monate Ferien.
Man fragt um meine Bedingungen. Wir denken doch
nicht dran, gelt? Unsere Jungen sollen keine Slaven
werden. Ich weiß nicht, mir graut schon bei dem bloßen
Gedanken !
Nächsten Sonntag muß ich aufs Land zu Sir Anthony
Rothschild. Ich habe Jahre lang vermieden, die Bekannt-
schaft zu machen; neulich Freitag aber traf ich den alten
^) Über Einanuel D., Bibliothekar am British Museum, vgl. Jul. Roden-
bcrg, Erinnerungen a. d. Jugendzeit II, S. 5 — i3i : „Ein Frühvollendeter".
*) Ludwig St., Mitglied des Joachim -Quartetts in London.
*) Gattin seines Bruders Heinrich, Tochter des Componisten Henry Smart.
An seine Frau 4^3
Herrn bei Sir Alex. Cockburn^), und er gefiel mir (merk-
würdiger Weise!) so gut, daß ich zusagte. Seine Tochter
hatte mir schon vorher geschrieben. Also warte nur jeden-
falls auf Heinrichs Brief mit der Nachricht auf meine Ver-
lobung u. halte Johanne mit den beiden Knaben (oder
vielmehr Söhnchens) parat, vom Schloß bis an die See^) ! . . .
An seine Frau
Manchester, Mittwoch. [6. März 67]
. . . Ich spiele morgen hier das Mendelssohn'sche Concert,
eine Bach'sche Sonate (die mit dem herrlichen Kanon) mit
Halle und die Gdur Romanze von Beethoven; vielleicht diri-
gire ich auch für Halle das Es dur Concert von Beethoven. Er
hat mich neulich drum gebethen, das Orchester ist gut. Wie
wird das nur mitBronsart als Intendant in Hannover werden?
Der freut sich gewiß aufs Dirigiren nicht übel, hat schon
drei erfolglose Gesellschaften geleitet. Nun bricht eine
schöne Wagner, Liszt'sche Plackerei für den armen Lindner
etc. an! Nun, mit dem wird er wohl Trio-Soireen geben
und wenigstens seinen Werthauch pekuinär besser würdigen
wie Platen. Ehrlich meint Bronsart es mit der Kunst, das
muß ich als musikalischer Gegner ihm nachsagen 3), Fischern
gönne ich den neuen Chef; er wird sich aber gewiß auch
bei diesem durch Einholen von Ratschlägen für die Di-
rektion Wagner'scher Opern im Fahrwasser zu halten
suchen. Das gibt ein Amüsement für's Frühjahr, und lieb
ist mir's, einen leidlichen Spieler in Hannover zu haben.
Und Platen ist Chef in Dresden. Der ehrliche Johann
*) Lord Oberrichter ; über dessen Verb, zur Musik u. zu J. siehe Edm.
Yates, recollections . . . Vol. 2 ed. 2 i884i S. i36.
-) Anspielung auf die deutsche Ballade vom Wassermann.
') Durch die Übersiedlung Bs. nach Hannover knüpfte sich in der
Folgezeit eine herzliche Freundschaft an, die bis zu Js. Tode gedauert
hat. Die Gegnerschaft war übrigens nicht so groß, wie J. vermutete.
424 An seine Frau
sucht sich so einen Intriguanten, wenn's nicht ein Namens-
vetter ist. Na, Gott gebe, daß ich nie wieder mit solchen
Hof- Stellungen mich einlassen muß! Lieber wollen wir
uns ein paar Monate im Jahre für eine Weile das Reisen
gefallen lassen. Weißt Du denn, daß wir, wenn alles gut
geht, von Ostern ab looo Thaler Interessen haben können.
Wie wenig Musiker haben Anstellungen, die ihnen so viel
bringen ! . . .
An seine Frau
London Mittwoch. [Frühjahr] 1867.
. . . Ich habe eben wieder mehrere Stunden für den Maler
Watts gesessen, zum 3"^" Mal, und muß noch zweimal
dran; aber ich habe den Trost zu glauben, daß es ein
wirkliches Kunstwerk wird. Wenigstens sind die Portraits
von Tennyson und andern, die ich von ihm gesehen, in
Bezug auf Auffassung und Farbe trefflich. Er malt
mich Violine spielend. Watts gehört zu den in England
besonders seltenen Künstlern, die nur ihrem Fortschreiten
leben, für die das Publikum (im Sinne momentaner Ab-
hängigkeit) gar nicht existirt. So hat er unter vielen
großartigen Entwürfen, von denen sein Atelier wimmelt,
und die er con amore ausarbeitet, wie die Inspiration ihn
eben antreibt, auch sich eine Gallerie ihm sympathischer
Köpfe angelegt, und mich freut es, daß er mich wiedeiholt
gebeten hat, ihm zu sitzen. Ich glaube, er wird mich in
die Ausstellung geben. Er hat mir auch Deinen Kopf zu
malen versprochen. Wenn Du wüßtest, wie oft Dich aller-
lei gute, gescheute Menschen herbeiwünschen, wie ich
immer von Dir erzählen muß, ich glaube. Du hättest
England lieb. Und nächstes Jahr mußt Du mit herüber
kommen und den Leuten zeigen, was Oratorium singen
(auch ohne „Tradition") heißt. Wenn Du schon Dein
An seine Frau ^26
Schärflein zu unserer Unabhängigkeit beitragen willst, so
sehe ich nicht ein, warum wir getrennte Reisen machen.
Es ist qualvoll! Gelt? Manchmal denke ich, wir sollten
hier auf ein paar Jahre ein möblirtes Haus mit Garten
nehmen, statt in Hannover zu sein, Du könntest in Eng-
land so viel Oratorien singen wie nirgend anders. Jephta ')
soll so eine herrliche Alt -Partie enthalten; ich meine nicht
den Bremer. Lord Dudley hat mir neulich das Versprechen
abgenommen, ihm eine Bitte zu erfüllen, und dann kam's
heraus, ich müßte ihm einen rechten Wunsch von Dir
mittheilen, damit er Dir eine Freude machen kann. —
Nun muß ich es thun, weiß aber nicht, was. Wie wär's,
wenn ich ihm sagte, daß wir beide große Freude an
Photographien nach Kunstwerken haben, oder Kupfer-
stichen, vind dann hat er ein für allemal ein großes Feld,
und kann drauf los schenken, und mir wäre das weniger
peinlich als Schmuck und ähnliches. Ich spiele morgen
zum 3""" Mal bei ihm; er traut sich aber gar nicht mehr,
mich aufzufordern, und Halle mußte erst gesprächsweis
horchen, ob ich keine abschlägige Antwort geben wollte.
Denke einmal, der arme Mann hat nur 5ooooo £ jähr-
liches Einkommen, also etwa 3 Millionen Thaler! Da
kann er schon für unsere Mappen und Wände mit Photo-
graphien sorgen. Mich freut's, daß Du mein Wort an die
Warteschulen einlösest. Natürlich mußt Du das Concert
in Deinem Namen geben, der andern wegen ginge doch
kein Mensch hin. Das Programm ist sehr schön, einer
Conzertdirektorsgattin und Strohwitwe würdig. — Frau
Schumann habe ich die ganzen i Y2 Wochen nicht gesehen;
sie war in Edinburg, immer anderswo wie ich beschäftigt.
Heute sind wir Abends bei Frau Sartoris zusammen. Frau
Seh. bleibt bis Anfangs April, vielleicht wird sie in Paris
engagirt vom Athenee. . . .
*) von Händel; auch Js. Freund, der Bremer Kapellm. Reinthaler hat
ein Oratorium Jephta geschrieben.
426 An seine Frau
An seine Frau
[London] Sonnabend. [Frühj. 67.]
Es ist heute so warm in der Luft, daß einem das Kamin-
l'euer zu viel wird, ordentliche Frühlingsgedanken
kommen einem im Nebelland, und im ersten Stück, das
ich spielen werde, kömmt
^^^^lÜEEÜ^^
k
vor, was Du gewiß ganz wunderschön trällern könntest!
Wie hübsch muß es in unserm Garten sein! Kommen
schon allerlei grüne Spitzen? Oder ist bei Euch noch tiefer
Winter gar? Ich hoffe „nein". Aber näher rückt nun
auch Gottlob immer die Zeit, wo wir ungestört neben
einander existiren werden. Da kommen nun die Fragen
wegen der Wiener Reise. Sollen wir uns wirklich gleich
im Frühling wieder auf die Sohlen machen? Ich denke,
Mitte Mai mit Frankreich fertig zu werden; dann wird's
bei uns im Garten am allerschönsten. ungern entsage ich
der Zeit mit Dir und den Kindern, und Quartetten und
schottischen Liedern etc. bei uns zu Haus. Wie wollen
wir's nur einrichten, wie denkst Du über alle das? Willst
Du Ende April, Anfang Mai mit den Kindern allein nach
Wien, und ich hole Euch dann ab? Sollen wir das Ganze
auf den August oder September verschieben?, die Kinder
bei Omama lassen, und wir auf 8 — 14 Tage nach Mark
Steyer, Marburg gehen? . . .
Ich war vorgestern im Museum, habe viele Wunder
aller Kulturvölker bis zum heutigen Tag, und vorkultur-
liches gesehen. Man bekömmt auf so einem Gang doch
mehr von Geschichte und Menschenberuf in den Kopf, in
*) Trio des Menuetts aus dem Esdur-Quintett von Mozart.
An seine Frau 4^7
die Phantasie, als durch Jahre langes Studium in der Kinder-
stube, ja auf Schulbänken, und unsre Kinder müssen in
solcher Umgebung aufwachsen. Das Bleibende, Großartige,
kleinlichen Zwecken Entrückende tritt ihnen schützend in
den Weg, wenn sie's recht verstehen lernen, und wir
wollen uns auch recht zusammen sammeln, sie darauf vor-
zubereiten. Welch' schönes, herrliches Leben kann uns
noch werden. . . .
Ich habe Piatti als Gellist für 2 Pariser Quartette engagirt,
für 200 Frcs für den Abend. Das ist blutwenig, aber da
Ghappell ihn für mehrere Jahre ganz engagirt hat, so habe
ich's mit letzterem zu thun, u. keine Skrupel. Ghappell
denkt, er kriegt noch andere Engagements in Paris, u. thut
mir's zu lieb. Da kannst Du schön schottische Lieder
singen! Nicht? Gestern Abend war ich von 5 bis 9 im
Parlament, bei den Gemeinen und Lords; 2 M. P's machten
sehr liebenswürdig meine Giceroni. Es war mir ganz
feierlich zu Muth, die Gebäude haben etwas Großartiges,
recht als ob viel Weltbewegendes darin ausgemacht würde!
Gladstone, Stanley u. A. sprachen über Griechenland, eigent-
lich zu Gunsten der Türkei, die Ghristen verüben eben
so viel Grausamkeiten wie die Muhamedaner. — ...
An dieselbe
[London] Dienstag. [aS. März 6y.]
Gestern Abend war Herr Joachim's „last appearance
but three". Weißt Du, was das heißt? Ich wohl, und
es begleitet mich wie eine Schubert'sche Melodie, die man
nicht aus dem Kopf kriegen kann, aber ohne mich zu
quälen. Gestern spielten wir das große A moll Qartett (mit
dem Dankgebet eines Genesenen), das sehr gut gieng; ich
hatte Holmes als Bratschisten vorgeschlagen, und das ist
sehr gut ausgefallen. Hoffentlich hilft es ihm vorwärts,
428 An Bernhard Cracroft
in den Kreis der Pop:'s gekommen zu sein. Jetzt muß ich
gleich nach Derby, wo ich heut' Abend mit Piatti u. Halle
2 Trios und ein Solo spielen werde. Das Wetter ist Gott
Lob zum Frühling umgeschlagen. Ich habe bis ^1-2^0 ge-
schlafen; der Schlaf erfrischt mich immer so sehr, daß
ich glaube, meine Natur hat sich ganz nach der Deinen
eingerichtet. Aber das ist doch bös, daß ich Dir darum
jetzt nur ein paar Zeilen schreiben kann! Nun, bald
werden wir das alles nachplauschen. Ich spiele am S'*"" in
Brüssel bei Hof; ein Herr von der Gesandschaft war hier
und hat viel Schreiberei darum gehabt, weil ich nur den
einen Tag geben konnte. Am 4""" ! Hotel de Flandry. Küsse
die Buben! Ob die einmal für Deutschland zu schlagen
haben werden? Oder am Ende noch der Papa für sie vorher!
Aber die Antwort von Bismarck hat mir auch großen Jubel
verursacht ^). Der fragt nicht um Erlaubniß bei den andern
Mächten. Ich lese nur englische Zeitungen, die sich aber
brav aufführen, gerade jetzt.
An Bernhard Cracroft
[London] [April 1867?]
Friday at back I shall be in the country.
You teil me you have been practising a little with Wil-
helmj, and you say, „with my pupil". I wish he were; but
I have even only heard him once in Leipsic, when bis
master David made him play to me, to show me bis won-
derfull ability for everything connected with the me-
canisme of violin playing. I long to meet him again and
to see how bis talent has grown. His tone was süperb than.
I dont know how to thank you for the brotherly manner
in which you look upon what I have been doing in my art.
I know that we sympathise in the love for it thoroughly —
*) an Napoleon in der Streitsache mit Frankreich wegen Luxemburg.
Von Bernhard Scholz 4^9
and you confide in me, my dear Cracroft, that at least
I shall not Step back ward instead of „vorwärts". That
is the principal thing; bat I wish my travels were over
and I could work, I do it for my two boys, who are in
Hannover, eise the would send all kind messages for you
with my best love. Write again to yours affect'y
Joseph Joachim.
Von Bernhard Scholz
Berlin 8. April 1867.
Lieber Jo, Du hast vielleicht aus den Blättern ersehen,
daß ich in diesem Winter ein Unternehmen in's Leben
gesetzt habe, welches in Berlin ein Seitenstück zu den
Abonnements-Concerten in Hannover, den Concerten in
Köln, Leipzig u. s. w. geben soll, ein Unternehmen zur
Vorfuhrg. classischer u. moderner Orchester- und Chor-
musik, sowie vorzüglicher Sololeistungen. Die drei Orchester-
Abende, die ich veranstaltet habe, haben sich eines solchen
Beifalls zu erfreuen gehabt, daß ein Comite im Begriff ist,
sich zu bilden, um mich bei Fortführung des Unterneh-
mens im nächsten Winter zu unterstützen. Es sollen als-
dann auch Kammermusikabende mit den Orchesterabenden
combinirt werden; es soll dem Publicum von Berlin das
Beste zu mäßigen Preisen geboten werden (unser end-
liches Ziel ist die Organisation von Concerts populaires),
und wir möchten gern nächsten Herbst recht brillant
beginnen.
Deshalb frage ich bei Dir an, ob Du in unserm ersten
Orchester-, und im ersten Kammermusikconcert mitwirken
willst. Die Concerte finden, soviel jetzt bestimmt ist, alle
14 Tage Sonnabends statt. Wir würden in der zweiten
Hälfte Oktober beginnen. ...
43o An Bernhard Scholz
Ich hoffe, Du hast für künftigen Winter das Interdict
über Berhn aufgehoben. Auf alle Fälle bitte ich um
umgehende Antwort. Den besten Grüßen von Luise
füge ich die meinigen bei.
Dein
Bernh. Scholz.
An Bernhard Scholz
Hannover am 24"" [April 1867].
Mein lieber Scholz.
Es versteht sich von selbst, daß ich einer Unternehmung
wie die Deinige in Berlin meine volle Sympathie zu-
wende, ganz abgesehen von unsern persönlichen Beziehungen.
Das hätte ich Dir eigentlich schon viel früher schreiben
sollen und können — ich wollte aber bestimmteres hinzu-
fügen, und das war bei meinem unstäten Wanderleben
nicht möglich. Leider bin ich aber auch jetzt nicht weiter,
wenn ich, wie Du verlangst, Details bestimmen soll; es wird
hierzu erforderlich sein, daß wir uns sprechen, und das
kann ja diesen Sommer nicht ausbleiben ! Also nur soviel
über Deine Concerte, daß ich keinen Grund habe, Berlin
im kommenden Winter zu meiden, und daß ich Dir folg-
lich gerne meine Mitwirkung im Allgemeinen zusage. Ich
denke sogar, es wird sich für Dein erstes Concert ein-
richten lassen, aber es darf dies noch nicht unabänderlich
festgestellt werden. Deine Programme sind ja prächtig!
Ihr zieht nun bald nach der Hammermühle, wie ich durch
Kaulbach und Lazar weiß. Wir werden den größten Theil
des Sommers in unserm wirklich reizenden Garten bleiben.
Einen Abstecher haben wir nach der Schweiz vor, da wir
unsere Mitwirkung zum Schweizer Musikfest zugesagt haben,
das am i3'^" Juli in Zürich anfängt. Da treffen wir denn
jedenfalls auf der Hammermühle oder sonst zusammen;
Von Bernh. Scholz 4^*
denn daß Ihr schlechtes Volk über Halle und nicht über
Hannover nach Cassel fahren wollt, soll nicht gerächt
werden, wenn ich's auch empfinde. Ist's denn wirklich
so? Grüße die Deinen, denen es hoffentlich so gut geht
wie den beiden Pützen und Ursi hier. Lasse wenigstens von
Dir hören und sei der herzlichsten Empfänglichkeit gewiß
von Deinem
Jo.
Von demselben
Hammermühle bei Wiesbaden 7 Mai 1 867.
Lieber Jo, ich danke Dir herzlich für Deine Zusage in
Betreff meiner Berliner Concerte. Am Liebsten wäre
mir natürlich. Du trätest in dem ersten auf; nun, darüber
verhandeln wir später, wenn wir Dich und die Ursi auf
Eurer Schweizerreise hier sehen; wir erwarten bestimmt,
daß Ihr Euch bei uns ein bischen Zeit gönnt! — Ich selbst
kann für den Augenblick die Data der Conzertabende noch
gar nicht so unbedingt festsetzen, da die Organisation
meiner Concerte noch in der Schwebe ist.
Ganz im Vertrauen und unter dem Siegel der Ver-
schwiegenheit will ich Dir nämlich mittheilen, daß auf
den künstlerisch guten Erfolg meiner Orchester-Abende
hin eine Conzertgesellschaft, deren Dirigent ich sein soll,
sich zu bilden im Begriff steht. Lienau (der Inhaber der
Schlesinger'schen Musikhdlg.) verhandelt darüber mit hie-
sigen Crösussen und Mäcenen. Bleichröder und der eine
Mendelssohn haben schon fest zugesagt, von mehreren
Andern, darunter Namen aus der Aristocratie, — in Summa
lauter Leute aus der ersten Gesellschaft — haben wir
halbe Zusagen. Die Sache ruht eben, bis Lienau in ca.
3 Wochen aus Carlsbad zurückkommt. Übernimmt eine
solche Gesellschaft das Risiko, so geben wir 10 — 12 Or-
432 An seine Frau
chesterconzerte. Kommt sie nicht zu Stande, so führe ich
die Sache allein aus, aber nur mit 6 Orchester- und
4 Kammermusik-Abenden. In jedem Falle muß ich gut
anfangen, — drum, wenn Du willst, mit Dir! . . .
Meine Mutter trägt besondere Grüße an die Olle auf und
bittet sie und Dich, in Erinnerung alter Zeiten bescheidenes
Quartier auf der Hammermühle nicht zu verschmähen;
die Ursi kennt ja unsere Räume: brillant sind sie nicht,
aber wohnlich, und sie wird sich vielleicht dabei mancher
guten Stunde erinnern.
Antwortet recht bald und mit Ja
Eurem
B. Scholz.
An seine Frau
Wien, d. 20'^" [Juni 1867]
Heute ist Frohnleichnamstag.
Ich bin nach ununterbrochener Fahrt gestern Abend
^2 9 hier angekommen. . . . Ich sah die Mutter noch
schlafend, wir weckten sie natürlich nicht; doch behaup-
tet die eine der drei abwechselnd am Bett beschäftigten
Dienerinnen, sie habe beim Rollen des Wagens gesagt:
da kommt mein Joseph. Heute früh um 1/39 trat ich
denn an's Bett; sie war sehr ruhig, aber ich glaube,
es that ihr wohl, obgleich sie kaum je Zufriedenheit äußert.
Doch ist sie heute vollkommen bewußt; sie ist sehr einge-
fallen, aber im Gesicht geröthet. Sie frug nach Dir und
den Kindern, und warum ich nicht früher von Paris aus
gekommen sei. Sonst hört man kaum etwas, als bisweilen
Stöhnen vor Schmerz, und alle drei bis fünf Minuten ver-
langt sie einen Schluck Wasser. Essen mag sie gar nicht,
man zwingt ihr hie und da einige Tropfen Bouillon, ein
halbes in Tokayer getränktes Bisquit auf. Sie ist wohl sehr
An Clara Schumann 4^3
apathisch — doch kann das Ende doch noch ein paar
Wochen dauern. Ach Gott, Uebes Rind, wozu muß diese
arme Seele sich und andern zur Pein schmerzhaft fort-
vegetiren. Es Hegt etwas so Grausames darin, so dazu-
sitzen und sich gewissermaßen Gesundheit und Kraft zum
Vorwurf zu machen. Ich gebe ihr zu trinken und wehe
wohl mit ein paar grünen, frischen Zweigen die Fliegen
weg — aber was empfindet die arme liebe Mutter wohl
noch von Liebe; sie ist zu schwach dazu^). Ich danke
immer dem Himmel, daß Du nicht hier bist, um es mit
anzusehen.
Dein
Joseph.
An Clara Schumann
[Hannover, 17. Juli 1867J
Liebe Frau Schumann
Mir scheint denn doch zuweilen das bloße Ohren-
klingen nicht ausreichend, und ein paar noch so
unmusikalisch aussehende Linien sind unentbehrliche Binde-
mittel für Freunde, die weit von einander leben ! Sie haben
an meine Ursi Ihr Bedauern ausgesprochen, daß ich nicht
meine Rückreise von Wien über Baden machte — aber
wie kurze Zeit hätte ich bleiben können, und in welcher
trüben Stimmung war ich, da ich noch dazu meine Frau
in leidendem Zustande wußte! Hatte ich ja auch das
Züricher Musikfest aus letzterem Grund aufgegeben, noch
bevor ich wußte, wie gefährlich es mit meiner .armen
Mutter stand. Die Gute hat furchtbar vor ihrem Ende ge-
litten — und hülflos zusehen, wenn geliebte Menschen
Qualen leiden, ist wohl das traurigste im Menschenleben ! —
^) Sie starb nach wenigen Tagen und wurde am 38. auf den Waehringer
Friedhof beerdigt.
28
434 An Clara Schumann
Brahms war mir ein großer Trost; er war so gut und theil-
nehmend, weihte mir alle Zeit in den Tagen, die ich in
Wien zubrachte. Musicirt hat er aber nur einmal, und
leider nichts von sich bei der Gelegenheit; doch versprach
er mir die Einsendung von Streichquartetten, die aber
bis jetzt noch nicht gekommen sind. Kennen Sie sie? Ich
denke, Sie werden Brahms sehr entbehren; einen so reich
schaffenden musikalischen Geist nahe zu haben, wäre auch
mir eine Labung. Wir musiciren in Ermangelung dessen
wenigstens recht viel für uns; so hatten wir neulich zu
vieren eine recht schöne Schumann -Feier in aller Stille,
deren Programm ich aufschreibe:
1. Amoll Sonate <Frau v. Bronsart u. ich)
2. Frauenliebe u. Leben <meine Frau u. H. v. Bronsart)
3. Etudes symph: <Frau v. B.)
4. Die Märchenbilder <H. v. B. u. ich)
5. 3 Duette für Sopr. u. Alt <Frau v. B. u. Ursi)
6. Carnaval <H. v. B.)
Sie sehen, daß die Preußen einen bedeutend musikalischeren
Intendanten als die Hannoveraner hergesetzt haben. Ernst
genug meint er es, und auch gesellschaftlich mag ich das
Künstlerpaar gern, so daß wir uns oft sehen. Bronsarts
bleiben wie wir den ganzen Sommer hier. Unser reizen-
der Garten macht den Aufenthalt erträglich; ich wollte,
Sie sähen die beiden Schlingelchen drin herumwirtschaften . —
Vor einigen Tagen war ich bei der Königin Marie auf der
Marienburg; da ich leider allemal, wenn sie mich bisher
einladen ließ, verhindert gewesen war, hatte ich bei den
Gerüchten von ihrer bevorstehenden Abreise jetzt angefragt,
ob ich kommen dürfte. Sie freut sich jedes Zeichens von
Theilnahme und v^ar namentlich auch darüber ganz ge-
rührt, daß ich Ihre Romanzen unter andern ihr lieben
Stücken mitgebracht hatte. Ich mußte von Ihnen und
allen Kindern viel und öfter erzählen. Die gütige, darin
wirklich von Herzen edle Frau findet sich ohne Rache-
Von Herman Grimm 4^5
gedanken in ihr Geschick und beweint nur, aus dem
Land zu müssen und das Plätzchen aufzugeben, das sie
mit aller Liebe bis in's Kleinste ausschmücken ließ. Die
Burg ist wirklich reizend und sogar die Lage, ohne groß-
artig zu sein, voll Schönheit. Sie würde Ihnen gefallen.
Es ist noch immer unbestimmt, wann sie fort muß — aber
da der König so thöricht in seiner Politik und seinem
Hochmuth ist, wird's wohl bald auf immer sein müssen.
Man hört traurige Dinge über sein Schalten in Wien. — ...
Von Herman Grinini
Eisenach 25. August 1867.
Liebster Joachim,
Ich habe Dir die traurige Nachricht vom Tode der guten
Mama^) mitzutheilen, die am 22sten hier an einer
rasch verlaufenden Lungenentzündung gestorben ist, in
Arnswald's kleinem Häuschen, auf halber Höhe zur Wart-
burg gelegen; man sieht es so deutlich vorspringen, wenn
man unten aus dem Rautenkranz in die Höhe blickt.
6 Wochen hatte sie da mit Gustchen gelebt und sich aus-
nahmsweise glücklich und wohl gefühlt. Die Krankheit
kam wie ein Schlag aus heitrer Luft und führte rasch an's
Ende. Gerade eine Woche dauerte es. Ihre geistige Kraft
und ihre Sinne behielt sie bis in die letzten Momente
beinahe.
Giesel und ich waren in Heiden, Rudolf in Ostende, wir
kamen vier Tage vor ihrem Tode an und waren Tag und
nacht an ihrem Bette. Gestern haben wir sie hier begraben.
Sie konnte das Verpacken und Versenden irdischer Über-
bleibsel niemals leiden und liegt nun an einem reizenden
Plätzchen, von wo aus man die Stadt übersieht, und wo
eine ungeheure Buchenwaldwand den Hintergrund bildet.
^) Vgl. über die herrliche Frau Ad. Stoll in „Erinnerungen aus meinem
Leben von Ludw. Emil Grimm", S. 576 ff.
?8*
436 Von Bernhard Scholz
So ist nun von den Dreien *), die Du kanntest, Niemand
mehr übrig. Gustchen wird wohl zum Rudolf nach Pots-
dam ziehn. Einstweilen haben wir die Absicht, nach Ostende
zu gehn, eine Reise, deren ich dringend bedürfte, und die
nun eine Art Beschäftigung bildet. Wir reisen morgen ab,
während auf der Wartburg der arme Arnswald, dessen
wahnsinnig gewordener einer Bruder vorgestern forttrans-
portirt worden ist, die Vorbereitungen zu einem musika-
lischen Feste trifft, an dem Du auch vielleicht theilzuneh-
men hast? Wie schal und unerquicklich, sagt Hamlet. Ich
danke Gott, daß ich nicht noch eine Mutter zu verlieren
habe. Was blieb zuletzt noch übrig von Menschen? Ich
hatte mir so schöne Arbeit zurechtgelegt für den nächsten
Winter. Es gehört Glück zum Leben : Goethe war 55 Jahre
alt, als er den ersten wirklich erschütternden Verlust erlitt.
Wie geht es Dir und Deiner Frau und den Kindern?
Ich erkundigte mich in der Schweiz vergeblich nach Euch.
Auf dem Zürcher Fest mußt Du nicht gewesen sein.
Giesel und ich grüßen Euch auf das herzlichste.
Dein
Herman.
Von Bernhard Scholz
Berlin am i i. Sept. 1867.
Lieber Jo
Vor einigen Tagen bin ich, und zwar vorläufig als
Stroh witt wer — denn Luise und die Kinder bleiben
noch bis Ende des Monats auf der Hammermühle — hier
wieder eingezogen und beschäftige mich nun mit den An-
gelegenheiten dieses Winters. Das erste Orchesterconzert
der philharmonischen Gesellschaft — so werden wir den
jungen Conzertverein taufen — wird gemäß unserer Ver-
*) Jacob, Wilhelm und Dortchen Grimm.
Von Bernhard Scholz 4^7
abredung am 19. Oct. stattfinden. Die Gesellschaft wird im
Laufe des Winters lO Conzerte und zwar nur O r eheste r-
conzerte geben (im dritten hoffen wir Frau Schumann zu
hören); die Kammermusik wird mir privatim überlassen;
aus künstlerischen Gründen sowohl wie aus pecuniären
wäre es mir nun sehr erwünscht, einen gut besuchten
Cyclus von Soireen zusammen zu bringen, und da bin ich
so unbescheiden zu fragen, ob Du mir bei der ersten Soiree,
die ich unmittelbar nach dem Concert vom 19'*", also etwa
am 22'^", ja selbst am 21'*" geben würde, behülflich sein
willst. Ich habe mich lang besonnen, ob ich Dich darum
bitten sollte, denn es ist immer gewissermaßen ein Opfer,
das Du mir bringen sollst, eine Ausbeutung Deiner Kraft
zu meinen Gunsten, Aber sieh, ich denke so:
1) schadet es der Rentabilität Deiner für Januar pro-
jectirten Conzerte gewiß nichts, wenn Du mir im October
einmal mehr spielst,
2) ist es Dir immerhin doch nicht ganz gleichgültig, ob
Du in ein Paar Tagen, die Du, so hoffe ich, doch bei mir
zubringen würdest, 20 Fr'dor mehr (welche ich so frei
bin. Dir anzubieten) mitnimmst oder nicht,
3) stelle ich Dir die Sache ganz ehrlich und aufrichtig
dar, wie sie ist, und sage Dir, ich sehe es als eine große
Freundlichkeit Deinerseits an, wenn Du mir zusagst. Durch
Deine Mitwirkung wäre erstens die Rentabilität meines
Unternehmens (woran ich in diesem Winter doppelt denken
muß) gesichert, und zweitens würde mein Unternehmen
ein ganz besonders Relief in künstl. Beziehg. bekommen.
Ich würde mit Deiner Zustimmung noch Lindner dazu
engagiren, dem ich dadurch gewiß einen großen Dienst
erwiese, und wir würden so einmal den Berlinern das alte
hannoversche Trio hören lassen.
Es versteht sich ganz von selbst, daß ich Dir en revanche
für Deine Conzerte auf jede Weise dienen will, wenn Du
mich brauchst. . . .
438 An Bernhard Scholz
Der guten Ursi, die wir in Mägde -Angelegenheiten
wahrhaft mishraucht haben, sage Dank und herzlichen
Gruß; wir haben dann schließlich das Mädchen engagirt,
das ihrer Schilderung nach der Bettelheim so ähnlich sieht;
sowie sie ankommt, werde ich sie examiniren, ob sie viel-
leicht auch eine ebensolche Stimme hat. . . .
An Bernhard Scholz
H. d. 1 1'"=" [vielm. 12.] Sept. 1867
Lieber Freund
Es würde mir natürlich Freude machen, Deinem Wunsch
hinsichtlich der Soiree nachzukommen, wenn ich
nicht bereits Schritte gethan hätte, selbst unmittelbar nach
dem Philhannonischen Concert in Berlin zu concertiren.
Mein Bruder schrieb mir nämlich aus Wien, daß ich vor
dem i5'^" Nov""^ doch nicht gut auftreten könnte, und so
wandte ich mich bereits am 3o"=" Aug. an Schaeff in Berlin,
um meine Zeit dort zu benützen. Es ist mir selbst arg
genug, daß ich so sehr auf den Erwerb bedacht sein muß;
aber ich möchte den Jan. und Februar fast ausschließlich
bei der Frau in Hannover zubringen, und da kann ich
nicht anders, als die Monate vorher möglichst ersprießlich
für die Meinen verwerthen. Wie wäre es aber, wenn Du
Deine Soiree, für welche Du auf mich rechnest, Anfangs
des kommenden Jahres gäbest? Ich würde gerne für Dich,
wenn es Dir lieb ist, die Reise von hier aus machen, und
es versteht sich von selbst, daß von einem Honorar bei
Deinen eigenen Soireen nicht die Rede sein kann, das
Reisebillet abgerechnet, wenn das Dich drückt! . . .
P. S. Ich las neulich in irgend einer Zeitung einen Auf-
satz Julian Schmidt's über Grimm's Roman ^) angekündigt.
•) Unüberwindliche Mächte,
An Julius Stockhausen 4^9
Weißt Du, wo er steht, und kannst Du mir den Aufsatz
einsenden lassen, durch irgend welche Buchhandlung?
Mich interessirt's.
Von demselben
Berlin i3. Sept. 1867.
Mein Lieber
Ich danke Dir recht herzlich für Deinen Brief und Deine
freundliche Zusage für Januar; die Honorarfrage er-
ledigen wir mündlich; jedenfalls ist mir Deine Gesinnung
gegen mich sehr erfreulich.
Ich finde es ganz natürlich, daß Du unter den ange-
führten Umständen Deine Zeit hier ausnützest, und freue
mich, daß wir Dich auf diese Art länger genießen sollen;
wie sehne ich mich danach, wieder ein Paar Mal mit Dir
musiziren zu können! . . . Julian Schmidts Rezension über
die Unüberwindlichen steht in den Preuß. Jahrbüchern,
die Du gewiß in Hannover vorfindest. Wenn nicht, so
will ich Dir sie gern schicken; sie ist sehr ruhig und maß-
voll gehalten. Ich finde sie nicht in Allem zutreffend,
hie und da selbst nicht scharf genug, schneidet nicht bis
auf die Knochen, u. das soll der Anatom, auch der geistige.
Grüße mir herzlich die Ursi und die Jungens.
Addio
Dein
B. Scholz.
An Julius Stockhausen
[Hannover] 26. [Sept. 1867]
Lieber Stockhausen ! Man schlägt Orchestern, wenn sie
kollegialisch zutraulich bitten, nie etwas ab ! Zudem, wie
oft habe ich schon erfreulich mit dem Hamburger Körper
gewirkt und, last not least, bist Du der Vermittler. Also 3
44o An Jul. Otto Grimm in Münster
Gründe, um nichts halb zu thun, d. h. den Herrn meine
Mitwirkung ohne Honorar zur Verfügung zu stellen.
Nur möchte ich bitten, den Tag nicht eher zu fixiren, als
bis meine anderen Pläne (Schwerin) festgestellt sind, auch
nicht vor dem 12"=" zu annonciren. Kiel am 12'*" 6^^'
ganz gut, ich freue mich darauf; nach Schwerin will ich
heute schreiben. Eure Gastfreundschaft nehme ich dankend
gerne an. Die Frau grüßt
D.
J. J.
An Stockhausen
[Hannover] Mittwoch [2. Okt, 1867.J
Lieber St! Du bist mir doch nicht böse, daß ich neu-
lich vergaß, des Schubertschen Duo zu erwähnen. Ich
glaube indeß wirklich, daß dieses Stück sich für ein Volks-
Concert als Novität nicht eignet, rathe also entschieden ab.
Es ist für ein Publikum, das eine gewisse Vertrautheit mit
den göttlichen Längen des Instrumental-Schubert mit-
bringt. Dem Volk muß man vor allem Haydn, Mozart,
Beethoven lehren. — Mit Mend.-Viol.-Concert einverstanden.
2'^ Nummer: Adagio v. Spohr.
Stets getreulichst
Joseph J.
An Jul. Otto Grimm in Münster
[Hannover,] Sonntag. [Herbst 1867.]
Liebster Ise
Mama Barth ist hier und sehr vernünftig. Sie denkt
nicht daran, daß der Junge ^) schon was verdienen
müßte, findet es auch erklärlich, daß seine Kleinheit ihm
*) Richard Barth, damals eben 17 Jahre ah; über sein nahes Verhältnis
zu Grimm vgl. sein Vorwort zu dessen Briefw. mit Brahms.
An seine Frau 44^
einigermaßen für eine officielle Concertmeisterschaft im
Wege steht. Da ich nun positiv glaube, itens, daß Du
positive Freude an dem Jungen haben würdest, und daß
dem Jungen atens eine praktische Orchester-Thätig-
keit, verbunden mit der Gelegenheit, öfter öffentlich zu
spielen, heilsam sein müßte, so gehe ich aus meiner Defen-
sive heraus und frage Dich agressive: kannst und willst
Du ihn verwenden? Es erleichtert vielleicht auch Deecke's ^)
Angelegenheit. Bist Du nach reiflicher Überlegung mit
Pinchen der Meinung, daß Euch Barth (eine nicht genug
zu empfehlende liebenswürdige, echte Natur) in Eurem
Hause nicht geniren würde? Würde es Deiner Frau nicht
zuviel, das mehr der Ausgaben aufzuschreiben und Frau
Barth zur Wiedererstattung zu behändigen? (Ich weiß,
daß dies ein Opfer wäre, mit solchen Plackereien behelligt
zu werden!) Würdest Du für die musikalischen Leistungen
Barth's diesem Klavier- und Kompositionsstunden (i. e. Kon-
trapunkt) zu Theil werden lassen? Ich hielte es für ein
Glück für den jungen, mir sehr lieben Kerl so einen
Winter in Deiner Umgebung zuzubringen. Überlege es und
gieb mir sofort Bescheid, ob ich Mutter Barth zu Dir
(eventuell mit Sohn) schicken soll. Ich reise Mittwoch
Nacht, müßte also vorher Antwort haben. Wir grüßen
von Herzen, und ich bin
Dein
treu ergebener
J. J.
An seine Frau
[Berlin] Sonntag Nachmittag [20. Okt. 1867.]
Ist das nicht arg, daß ich Dir noch nicht geschrieben?
Aber wie war ich in Anspruch genommen ! Scholz war
an der Bahn, wir gingen in's Hotel Wales; da ist's aber
^) Der einem Ruf Levis als Konzertmeister nach Karlsruhe {jefolgt war.
44^ An seine Frau
nicht besonders, und da Herman und Gisel wiederholt
mündlich und schriftlich auseinandersetzten, ich könnte
so schön bei ihnen sein (sie haben auch viel Platz), so
werde ich wohl morgen hinziehn. Sie sagt, sie wünsche
sich es seinetwegen, damit er nicht schon wieder arbeite
und sich anstrenge, und er: er glaubt, daß es ihr soviel
Plaisir machen würde, daß ich kommen müßte. Kurz, ich
denke recht zu thun, wenn ich hinziehe. Gelt? Das Con-
cert^) ist im Ganzen gut ausgefallen, nur die Höhe der
Stimmung war unerträglich, und auch die Hitze. Es war
voll, und nach der Chaconne überreichte mir ein Mädchen
aus dem Chor einen Lorbeerkranz, wovon ein Blatt hier
liegt. Scholz dirigirte mit viel Frische und hat das Orchester
(das im Klang viel zu wünschen übrig läßt, auch unrein
stimmt) gut in Disciplin gebracht. Wir waren noch nach
dem Konzert kneipen : Scholzens, Maler Menzel ^) mit Frau,
Dilthey, Julian Schmidt und Frau, Hey etc. Ich habe
gestern und heute bei Scholz gegessen, sie haben einen
ganz netten Kreis junger Gelehrten und wohnen sehr
behaglich. Wir können für 6oo Thlr. gewiß eine ganz
schöne Wohnung kriegen; sie sind alle praktisch auf Be-
quemlichkeit eingerichtet. Alles freut sich auf unser Her-
ziehen . . .
An seine Frau
[Berlin] Dienstag, 5 Uhr Nachmittag [22. Okt. 186-.]
Ich schreibe Dir einen Gruß von Radeckes aus, wo ich
eben mit Scholzens dinirt habe, und wo ich gleich
Scholzens Trio zu hören bekommen soll. Es war eine aller-
liebste Partie. Radeckes werden Dir gewiß auch gefallen ;
^) Das I. Philh. Konzert am 19. d. M. unter Bernh. Scholz.
*) Menzel war nicht verheiratet, vieUeiclit ist die Schwester Frau Krigar
gemeint.
An seine Frau 44^
ich treue mich so sehr darauf, im Frühjahr mit Dir hier
eine Wohnung zu suchen! Radeckes wohnen im Gentrum
der Stadt, haben einen prächtigen Garten am Haus, der
noch dazu an einen prinzhchen Park stößt, also die frischeste
Luft, und zahlen 35o Thlr. für 7 Räume! Es ist gar nicht
so arg mit der Theuerung . . . ! Der arme Bär hat Pech; er
hat sich durch Sparsamkeit mit Billets die Presse verfeindet.
Es ist nicht seine Schuld, da er nichts mit den Arrange-
ments des praktischen Theils zu thun hat — aber alle
Recensenten (auch Gumprecht) schweigen die Concerte
todt. X, der eigentlich das Coinite der Philh. Concerte ver-
tritt, hat einem wichtigen Kritiker (der verheirathet ist) nur
eine Karte geschickt, dieser sandte sie zurück, und nun
schrieb man ihm zur Entschuldigung, wenn Gumprecht
(der blind ist) u. Kossak (der lahm ist) nicht 2 Billete haben
müßten, um auszugehen, so hätte man ihnen auch nur
eines gegeben ! Davon hat nun natürlich der Beleidigte den
indiskretesten Gebrauch gemacht und alle aufgehetzt! Der
arme Scholz nimmt sich die Sache sehr zu Herzen. Ich
freue mich auf den guten Bletz ^), will ihn morgen an der
Bahn empfangen. Du hast doch das Ungarische Goncert
gefunden und geschickt?
An dieselbe
[Wien, etwa i5. Nov. 1867]
. . . Das war wohl ein echter Schwabenstreich, daß ich
mich so anstrengte und nach Klagenfurt fuhr — es war
aber doch gut! Auch Brück an der Mur, wo ich im
Mondschein sehen konnte, wie schön es liegt, und auch
an Deinen guten Vatter dachte, der wohl nicht weit weg
von der Eisenbahnstation auf dem schönen Fleck Erde
*) Der Baritonist Bietzacher aus Hannover.
444 ^^ seine Frau
ruht. Wie sehr wünschte ich Dich zu mir, wie wollte ich
überhaupt, daß Du hier wärest! Gestern der Redouten-
Saal hätte Dich auch gefreut — allerdings waren viel Frei-
billette (z. B. an die Orchester -Mitglieder) vertheilt — es
war aber auch ganz voll, und es werden wohl an lOOO Fl,
übrig bleiben, denke ich. An der Kasse wurde noch für
etwas über 3oo Fl. verkauft. Ich schreibe die Zahlen,
weil sie für die Theilnahme sprechen. Frl. Enequist sang
ganz hübsch, mit dem schwedischen Sinn für Wohlklang,
aber auch kühl. Sie schlägt einen süperben Triller. Mein
ungarisches Concert hätte vom Orchester aus besser
gehen können — eine Probe, mit andern Sachen dabei,
langt für das W^erk bei den besten Kräften nicht aus. Sie
schleppten, und die Bläser waren nicht zart genug im All-
gemeinen, wie das Quartett nicht schwunghaft genug.
Ich wollte 2 Proben, DessofF meinte aber, sie hätten es ja
mit mir u. seitdem mit Laub gespielt. Nachher mußte er
mir recht geben; da war's zu spät. Na, das Concert war
doch gelungen im Ganzen, und ich habe recht con amore
gegeigt. Sonnabend ist nun wieder mit Brahms Concert
im kleinen Saal ; wir können mit dem Programm nicht zu
Stande kommen; Brahms ist so launenhaft und unbestimmt
dabei. Wenn er nur öffentlich so spielte wie zu Haus —
er ist aber durch die Grazer Reise etwas in Zug gekommen.
Mit Rubinstein ist's nicht so brillant hier, wie die Zei-
tungen schildern. Sein 3'*'' Concert war gar nicht voll; er
spielt aber manches wundervoll, nur so liederlich ungleich,
gerade wie er componirt. Ich sage Dir, Händersche
Variationen spielte [er] gerade so gemein wie Jaell — aber
leider schlug das am meisten durch. Das Publikum bleibt
nicht reinlich — auch's Beste! — Heute hatte ich schon
Quartett -Probe. Schließlich habe ich Rover, Hellmes-
berger's Cellisten, den dieser cedirte, nachdem der arme
Schlesinger am Bluthusten erkrankte, alle andern zu
ängstlich waren und ich schon Müller telegraphiren
An seine Frau 44^^
wollte. — Morgen früh gehe ich mit Standhartner zu
Hebrai).
Ich schreibe nicht weiter, mein Arm ist etwas müde. . . .
An seine Frau
[Wien] Freitag. [22. Nov. 67]
ch habe wirklich so fortwährend zu thun (jetzt auch
I
fast täglich Quartettprobe), daß Du Nachsicht üben mußt;
aber meinen längeren Brief mußt Du nun auch unmittel-
bar nach Absendung des Deinen bekommen haben. Denke,
daß morgen mein 6'"' Concert (mit Programm machen,
was sehr schwer ist. Reisen, Proben etc.) stattfindet. Sonn-
tag gehe ich mit Brahms nach Brunn, ein bischen näher
zu Dir. Es nimmt nur einen Tag in Anspruch und bringt
wohl jedem 200 Fl. Im Redoutensaal sind bloß 880 Fl.
netto geblieben, über 700 Fl. Kosten! Man meint aber,
das am 22'^" Dezbr. wird noch besser ausfallen; der Saal
war nicht früher frei.
Große musikalische Freude habe ich an den Quartetten;
Käßmeyer ist viel besser wie der 2'" Geiger Eyertt, Hilpert
wenigstens sehr gut, u. Rover hat zwar weniger Ton wie
Lindner, ist aber schmiegsamer und zarter; ich denke, es
wird gut gehen. Die Programme schicke ich später. —
Bei der Königin war es neulich recht behaglich, nur der
König 2), die Kinder, eine alte Fürstin Eszterhäzy (die
Schwiegertochter des Haydn'schen) Herr v. Stock. [hausen] '^)
u. die Grfin Bremer. Wir waren von 7 — 1 1 dort. Die
Königin läfk Dich herzlich grüßen, es gieiige ihr gut
^) um den berühmten Arzt weffcn eines schmerzhaften Finjjers zu kon-
sultieren.
*) Köni^y Georg von Hannover, der nach der Katastrophe von i86G
seinen Hothalt in Hietzing bei Wien aufgeschlagen hatte.
') Früher Hannov. Gesandter in Wien, Vater der Frau v. Herzogenberg.
446 An seine Frau
bis auf großes Heimweh. Ich merkte es der guten Dame
an. Der König weiß nicht, daß wir nach BerHn ziehen;
Stockh. sagte mir, es fehlt ihm der Muth, es ihm mit-
zutheilen. Er ist sehr gealtert, war aber wirklich liebens-
würdig und sprach mit Ernst aber ohne Heftigkeit davon,
daß er zwar seine Nachbarn (da er in Berlin erzogen) ge-
nügend kannte, um ihnen nichts Gutes zuzutrauen, daß er
aber von dem jetzigen König von Preußen, den er immer
für einen redlichen, wohlgesinnten Herrn gehalten, sich
diesen Überfall nicht erwartet habe. Indeß könnte Gott
nicht zulassen, daß es auf die Länge so ungerecht höre [so!],
und er wolle mit Stärke die kurze Trennung von seinem
geliebten Hannover ertragen. Es war für mich ein er-
greifender, peinlicher Moment, u. ich antwortete, da er
schwieg: Gott erkennt seine treuen Diener daran, daß sie
im Unglück am festesten auf ihn bauen. Was konnte ich
anders sagen?! Die armen Leute! Vergiß nicht, lieb Kind,
mir den Guelphen- Orden mit der Schachtel zu schicken;
der König fühlte neulich nach der Stelle, wo er sitzen
sollte, ich habe mir vorschriftswidrig nur ein blaues Band
in aller Eile einknüpfen können. Ich dachte wohl daran,
daß ich nicht „Mangel an Nichtachtung" i) beweisen durfte.—
Gestern war ich in der Vorstellung der Concordia an der
Wieden: ein neues MosenthaFsches Stück, von den Burg-
theater-Mitgliedern gespielt. Ich war von der Darstellung
buchstäblich hingerissen: Löwe und Laroche, der eine als
westfälischer Dorfschulz (Zimmermann'sch), der andere als
Gutsbesitzer (eine Art Willisen), von einer Feinheit, Sicher-
heit, Maaß haltend und doch so kräftig, es war zum Dich
herbei wünschen. Auch die alte Haitzinger, Levinsky in
einer Nebenrolle unübertrefflich. Das Stück war stellen-
weis effektvoll, aber im Ganzen ungenügend, gegen den
Schluß ermattend. . . .
*) Ein bei J. geflügeltes Wort, das aus einer Anekdote stammt, in der
sich Jemand „solchen Mangel an Nichtachtung" verbittet.
An seine Frau 44?
Über Brahms bald mehr; da hast Du ihn und mich^).
Er ist besser als sein Ruf; wird allmählig viel lieber! Daß
Du in Bremen warst, freut mich. Hebra will, daß ich
nichts thue, als zum Schutz einen Finger trage, wenn
ich nicht spiele. Hat nichts auf sich.
Grüße alle, die Du willst.
An seine Frau
[Wien, Dienstag 2/). Nov. 67]
... In Brunn gieng's gut; jeder hat doch 25o Fl.
übrig. Concert hier am Sonnabend war brillant; auch
Brahms spielte gut disponirt. Eben erwarte ich Mrs. Sartoris
u. Lady Bloomfield, die englische Gesandtin, die Brahms
gern einmal a la camera hören wollten, weil ich gesagt,
daß er dann viel schöner spielt. Auch Schwind kömmt,
der Dich herzlich grüßt. Die Katzen -Sonate 2) ist ganz
*) Eine Photographie beider.
*) Die „Katzen -Symphonie" Schwind's ist wiederhoU reproduziert;
die Idee kam Schw. als Ritter des Katzenordens, vgl. Bh. Scholz, Ver-
klungene Weisen S. 169. Daß die Überschrift „Zukunftsmusik" keine
Satire auf Wagner sein soll, wie man öfter angenommen, ist aus den
beiden nachstehenden Briefen ersichtlich.
Hrn. Fr. Senff in Leipzig.
Euer Hochvvohlgeboren
beehren meine Herrn Joachim gewidmeten Violin Variatzionen mit einer
sehr auszeichnenden Ankündigung. Als jungem Compositeur — es handelt
sich um meinen ersten Versuch auf musikalischem Boden — muß dessen
Erscheinen in Ihrer bekannten Verlagshandlung nur aufmunternd
und erfreulich erscheinen — Ich sehe, Sie halten es wenigstens für mög-
lich, daß dieser kühne Versuch, ein ausdrucksvolleres, durchgeistigteres
Notensystem an die Stelle des veralterten, einem überwundenen Stand-
punkt angehöriges [!] pedantisches und zopligen [aus s. korrig.] Schreiber-
wesen zu setzen, vor dem Publicum Gnade finden könnte. Seien sie ver-
sichert, Sie haben Sich einer Sache angenommen, die eine Zukvmft hat.
Da die Sache aber auch eine malerische Seite, und ich als solcher als
alte Firma gelte, von der viele Freunde Freiexemplare geschenkt zu erhalten
448 An seine Frau
genialisch, aber nur auf ein Notenblatt, ein gewöhn-
liches hingeworfen, nichts größeres, wird Dir aber Spaß
machen. Grüße die liebe Frau Schumann und küsse die
Kinder lOOO Mal.
Immer Dein
Jo.
{jewohnt sind, möchte ich E. Hochvvohlgeb. unbeschadet des Danks, den
ich Ihnen als angehender Musiker schulde, von der malerischen Seite die
freundliche Zumuthung ansinnen, mich durch Zusendung einer hübschen
Parthie Exemplare zu überraschen — aber keine Visiten -Karten -Größe,
die ist abscheulich. Wollen wir auf diese freundliche Weise, dem nicht
mehr zu beschwichtigenden Ruf nach Autors Rechten, wie man sagt,
Rechnung tragen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebenster
München, 4'*" Jan. 1869 M. v. Schwind.
Euer Hochwohlgeboren
verehrliches Schreiben unterrichtet mich, daß ich mich mit der Annahme,
Sie seien der Verleger der berühmten Variationen, gänzlich im Irrthnm
befunden. Von Herrn Wawra werde ich nichts bekommen, denn ich habe
ihm in Wien schon ein Paar Dutzend abgenommen. Das ganze ist eine
Kinderei und eine Unvorsichtigkeit von Seite Joachims, also niclit davon
zu reden. Da ich aber dem ohngeachtet Abdrücke brauche, will ich
wenigstens jenem Heiden in Wien nichts zu verdienen geben, und er-
suche Sie, Verehrtester Herr, mir ein Dutzend von der größern Auflage
— die visitenkartenmäßige finde ich niederträchtig, gegen Postnachnahme,
an mich gelangen zu lassen.
Eine große Fantasie für Ciavier — Frau Clara Schumann gewiedmet —
möchte ich schon lange schreiben. Die Aussictit auf ein Honorar in Beeth.
Simfonien u. dgl. würde mich ermuntern — es nur ein bescheidener Wink.
Hier kommt das Ding gar nicht zum Vorschein. Ich glaube, man
fürchtet sich, es auf R. Wagner bezogen zu sehen, während an nichts
weiters gedacht ist, als an den Orden von der schwarzen Katze, der sein
Capitl in Hannover hat und dem Joachim und ich anzugehören die Ehre
haben.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebenster
München 17. 1.69. M.v. Schwind
Sonnenstr. 23.
An seine Frau 449
An seine Frau
[Wien] Sonntag. [i.Dez. 1867]
. . . Mein Handgelenk ist trotz des Spielens besser; ich
hatte wirkhch Angst, es könnte mir einen Strich durch
die Rechnung machen. Nun bleibe ich diese Woche ganz
ruhig hier, jedenfalls bis Freitag; dann geht's wahrschein-
lich nach Pesth. Ich habe Donnerstag zweites Quartett,
also jeden Tag daran zu probiren. Das erste am Donners-
tag gieng ganz gut; aber natürlich finden die weisen Leute,
daß das Hellmesberger'sche Quartett, da sie Jahraus Jahr-
ein zusammenspielen, schöner und vollendeter geht. Na,
auch recht! Übrigens habe ich viel Last, und für die vielen,
vielen Stunden, die ich daran wende, werden die lOOO Fl.
Reinertrag für die 3 Abende kein reicher pekuniärer
Gewinn sein; gedrängt voll war's nicht, aber man meint,
die nächsten werden besser sein. Ob ich am 22'*" Decbr,
Erlaubniß bekomme, mein Concert im großen Redouten-
saal zu geben, ist noch ungewiß. Die Polizei hat es einst-
weilen (der Feiertage wegen) untersagt! aber ich habe an's
Consistorium apellirt, und der Rath Kornhäusel, den ich
sprach, hofft es durchzusetzen. Es ist dies der vortragende
Rath des Erzbischofs, ein sehr feiner, liebenswürdiger Welt-
mann im PfafTenrock, der mir sagte, daß man bei meinen
Concerten im Voraus wüßte, es könnte nichts vorfallen,
was nicht zur Feier eines Festtages beitrüge; meine Rich-
tung spräche dafür; vederemo! — Gestern war ich wieder
beim König . . , Ich fuhr beidemal um 7 Uhr mit Rrahms
hinaus, man bleibt dann im engsten Kreis bis 11V2 Uhr
und muß dann „ungespeist" noch hier in ein Wirthshaus,
hat auch den Wagen mit 7 Gulden zu bezahlen. ^) Ich
würde es für gemein halten, das zu sagen, wenn nicht be-
kanntlich 6 o Pferde im Marstall hier ständen. Die Röni-
*) Natürlich ahnten die Herrschaften davon nichts.
45o An seine Frau
gin und die Prinzessin Marie lassen Dich herzlich grüßen,
sie trugen es mehrmals auf und sahen so lieb dabei aus,
daß sie es werth sind. Dein Ordenspacketchen kam erst
heute an, also zu spät. Und keine Zeile dabei — Du böses
Kind ! Wir sind doch recht unglücklich daran, so getrennt
von einander vegetiren zu müssen — statt uns des Lebens
und der rechten Arbeit gemeinsam zu freuen. Ach, wäret
Ihr hier! — Die einzige volle Freude habe ich eben gehabt,
wo die 3 ersten Sätze von Brahms' Requiem im Gesellschafts-
Concert, wenn auch unvollkommen ausgeführt, gemacht
wurden. Die Musik ist auf gleicher Höhe mit der Idee des
Ganzen, von einer Tiefe der Empfindung, einem Schwung
der Auffassung, einer Originalität der Conzeption, die
Brahms für mich zu einem erhabenen Menschen stempelt,
dem gegenüber ich nie an Kleinigkeiten, die mir an ihm
nicht recht sind, mäkeln werde. O Uzzi, könnte ich das
Werk einmal so einstudiren, wie ich's fühle, und Du zu-
hören! Wo, wann wird das sein?! Ich wollte, Bronsart
lernte das Stück kennen und begeisterte sich dafür, wie
ich! Vielleicht ließe er's dann mit Muße in den Sommer-
monaten schön einstudiren und brächte es dann nächsten
Herbst. Wer weiß, wie lange Brahms noch wird schmachten
müssen, ehe er's hört, wie sich's gebührte. — Das Publi-
kum hörte mit Theilnahme zu — eine kompakte kleine
Partei mit Weihe und Enthusiasmus; einiges zischendes
Gesindel konnte doch den Sieg nicht erringen, Brahms
wurde laut gerufen, und der Beifall hielt an, obwohl er
5 Minuten lang brauchte, um vom Saal über die Treppe
in's Orchester zu kommen. — Von Schuberts Musik ^) ist
einzelnes entzückend schön und graziös populär. Die Aus-
führung war ausgezeichnet; Herbeck kann fein und schwung-
voll einstudiren. Ein ausgezeichneter Dirigent, der nur auf
Schubert allein Mühe verwandte. Es fehlt an Proben wie
überall.
^) Musik zu Rosamunde; vgl. über die Aufführung auch Kalbeck II 23 1 f.
An seine Frau 4^*
Über eine sehr gelungene Soiree bei Julie [v. Asten]
(mit der Bettelh., Lewinsky, Hanslick, etc.) ein ander Mal
Frau Schumann ist wohl wieder abgereist. Schreibe mir,
wohin, und willst Du sehr lieb sein, so schreibe ihr, daß
das Requiem herrlich war und mich begeisterte . . ,
An seine Frau
[Wien ca. 2. Dez. 1867]
Mein Arm ist wieder ganz gut; ich sage dies nicht,
um Dich zu beruhigen, sondern: auf Ehre, es ist
vorbei. Ich habe ihn mit Zwiebelsaft eingerieben und im
Quartett u, bei Königs auf den Ärmel einen Zettel gepickt,
worauf stand : nur äußerlich ! Denn da Zwiebel der Juden
Speise ist (ich aß Samstag in einer jüdischen Restauration
mit Brahms, Wittelshöfer i) u. Fritz köstlich), so war das
wohl nöthig . . . Freitag gehe ich nach Pesth, gebe Sams-
tag u. Dienstag dort mit Brahms Concert. Gestern hat
Rubinstein zu Zeiten entzückend schön in seinem Ab-
schieds-Concert gespielt. Er hat den schönsten Anschlag
von allen. Nachher kneipte ich mit ihm u. ßr. bis i Öhr,
es war recht gemüthlich u. freute ihn. Wo hat er Dich
singen gehört, daß er so entzückt von Deinem Lieder-
gesang ist? . . .
An dieselbe
[Wien] Freitag. [i3./i4- Dez. 67]
Von mir kriegst Du keine Beschreibung der Soiree mehr,
das geht ja alles mündlich bald. Ich habe so viel zu
thun! Heute z. B. zwei Proben für's Quartett am Sams-
tag; Vormittags und Abends. Gestern lief mitfolgendes
^) Prof. der Medizin, Verwandter Js.
^9'
452 An seine Frau
Programm von Stapel, und zwar sehr gut, ich war ordent-
lich disponirt und gab ein Bach'sches Andante zu. Das
Orchester, die Streicher nur aus Dilettanten bestehend,
spielte sehr brav. Die Mozart'sche Sinfonie, eine ganz kleine,
mir nicht bekannte, hat reizende Sachen; auch Labor
spielte stellenweise sogar sehr schön. Er giebt Montag sein
2'*^ Concert und bath natürlich mich — aber ich kann
doch schließlich nicht jeden Tag öffentlich spielen. Sonn-
tag Concordia, Mittags im Karltheater; die Kreutzer-Sonate
(mit Brahms, auswendig) und Tartini . . . Vielleicht kann
ich endlich in's Burgtheater. Heute ist das Wintermähr-
chen mit der Wolter — aber ich habe Probe. — Ich kriege
täglich von Schwester und Cousinen Vorwürfe, daß ich
nicht zum Essen komme, aber ich bin froh, wenn ich
das im Beisel in 1/3 Stunde abmache und nicht noch bei
Tisch Rede u. Antwort zu stehen brauche . . . Die Woche
will ich nun hier so viel wie möglich genießen und Besor-
gungen machen. Es ist Schade, daß ich nicht noch mit
den Quartetten fortfahren kann ; die Spieler kommen immer
mehr in Zug und möchtens auch gern. Ein andermal,
da müssen wir zusammen auf ein paar Monate her-
kommen . . .
An seine Frau
[Wien] Am 18'^" [Dez. 67.]
Am 23'*" in aller Früh reise ich fort und esse, so
Gott will, am 24"^" mit Euch zu Mittag; aber
vielleicht wäre es doch besser, die Bescheerung auf den
25'*° zu verschieben, wir putzen dann am 24'^" den Baum
zusammen. Ach, wie ich mich darauf freue! Das mache,
ganz wie Du Lust hast. Es ist ein Elend, daß der 22'* der
einzige Tag ist, der zur Wahl stand! Neulich Sonntag
nach dem Concordia-Concert war ich so müde, daß ich
An seine Frau ^53
nur fähig war, in der Wieden mich in der Zauberposse der
Diamant und Geisterkönig von Raimund auszusimpeln.
Gestern war ich in der Burg, wo die Gönnerschaften von
Scribe kösthch gespielt wurden. Das und ein Stück, in dem
die Gallmeyer spielte (die jedenfalls das größte Bühnen-
talent ist, das Wien aufzuweisen hat), ist alles, was ich hier
im Theater zu sehen bekam. Die Iphigenia von Gluck
versäumte ich durch eine Einladung, und Richard d. Illte
war während eines meiner Concerte ! Wir müssen wirklich
einmal zusammen einige ruhige Monate hier verleben, alles
Schöne genießen. Für meine musikalischen Erfolge ist's
Schade, daß ich schon fort muß; Du hast keine Idee, wie
sichtlich die Quartette in die Gunst der Hörer hinein-
wuchsen. Ich könnte jetzt noch 6 ankündigen, und die
Billette wären gleich vergriffen. — Man macht hier An-
strengungen, um den Vorstand des Conservatoriums neu
zu organisiien und es dahin zu bringen, daß sie mir eine
ordentliche Besoldung als Director bieten können. Die
Stelle würde dann mit genügender Vollmacht ausgerüstet
werden, um mir ein ersprießliches Wirken zu sichern.
Ich glaube nicht daran, daß es zu Stande kömmt, und
habe das den unter der Hand fragenden mitgetheilt, aber
zugleich gesagt, daß ich natürlich für meine Pflicht halten
würde, eine gesicherte Stellung, die mir ein schönes
musikalisches Wirken hier ermöglichte, anzunehmen. Sams-
tag sind die Neuwahlen, die Schelle, Dumba u. A. in dem
Sinn bearbeiten wollen. Aber, wie gesagt, wir können ge-
trost nach Berlin ziehn. — Mit den hiesigen Kräften und
dem Publikum wäre wohl etwas anzufangen; aber dann
bin ich wieder so entschieden norddeutsch geworden und
hasse diese Kriecherei und ewige Höflichkeit der Menschen,
von denen selten einer den Muth hat, seiner Überzeugung
zu leben. Die Norddeutschen sind einfacher und tüchtiger,
wenn auch weniger erregbar und lebenslustig. Sie finden
den Kern der Dinge eher heraus. Na, mündlich bald über
454 An Clara Schumann
dies und so vieles andere . . . An Frau Schumann weiß ich
nichts zu schicken, aber wenn Du kannst, so suche doch
mit Hülfe von Riechers ^) die Guarneri aus meinen Violinen
hervor, lasse sie gut verpacken, versichern und schicke sie
an den Felix Schumann durch Grimms. Ich hatte sie ja
immer diesem meinem ideellen Pathchen zugedacht. Das
kannst Du dabei schreiben, wenn Dir das Ganze recht ist.
Wie lieb ist, was Du von den Buben schreibst — wie mir
manchmal das Herz nach Euch schwer ist! — Nun bald
schlägt Erlösung. Bald heißt es auf Wiedersehen !
Dein
Jo.
An Clara Schumann
[Hannover] Am 3i*«" Dec^' [1867]
Liebe Frau Schumann
Wenn ich auch nur wenige Minuten heute erübrige,
so will ich Sie morgen nicht ohne herzlichen Gruß
von uns wissen. Sie haben hoffentlich fortwährend gute
Berichte von Julchen und können sich des Zusammenseins
mit den andern lieben Kindern ungetrübt freuen, die ich
herzlich zu grüßen bitte; es sind wohl Marie, Elise, Fer-
dinand? Der letzte ist ein so stattlicher, prächtiger, lebens-
frischer Junge geworden, daß ich mich in Berlin seiner
recht freute. Dabei fällt es mir aufs Herz, daß ich Ihnen
von Felixchens Spiel noch gar nichts geschrieben ! Der liebe
Junge spielte mir die Fdur Romanze von Beethoven vor,
und recht rein und ordentlich. Mehr kann ich freilich
nicht sagen ; aber es ist bei der wirklich sehr geringen Zeit,
die er aufs Violinspiel verwenden kann, gar nicht möglich,
viel zu leisten. Um mir ein ürtheil über seine Befähigung
zum Künstler zu erlauben, müßte ich ihm entweder selbst
*) Tüchtiger Geigenmacher, später in Berhn.
An Bernh. Scholz 4^^
eine Zeitlang Unterricht geben können oder ihn hören,
nachdem er mehr und anhaltend Mühe aufs Geigen ver-
wendet hat. Wenn ich, so Gott will, im Herbst nach Berlin
übersiedle, werde ich mich ja mit dem guten Lix mehr
befassen können; aber es wäre gut (da Sie überhaupt die
Möglichkeit, ihn zum Musiker zu bestimmen, in's Auge
fassen), wenn er vorläufig mindestens 1^/2 Stunden aufs
Üben verwendete. Sollte sich das nicht einrichten lassen?
Er läßt sich ganz geschickt zum Violinspielen an, und es
wäre ein Unrecht, geradezu abzurathen, bevor man ihm die
Möglichkeit zur Entwicklung einige Monate wenigstens
gegönnt hat.
Mehr kann ich nicht sagen; leider wohl nicht mehr, als
Sie ohnehin gewußt! —
Wie schön fängt das Jahr durch die Genoveva ^) für Sie
an; könnte ich sie mithören! Überhaupt wäre ich gern
nach Karlsruhe, 's ist nur gar so weit, und da ich im
Februar (zum 17'*") wieder nach London muß, mag ich
mir von der Zeit bei den Meinigen nicht mehr als nöthig
abschneiden. In Brüssel zu spielen möchte ich Ihnen unter
allen Umständen rathen, die Akustik ist im Theater nicht
schlecht und das Publikum sehr empfänglich, auch ist der
Dirigent ein seelenguter Mensch, dem ich Ihr Spiel gönnte,
obwohl es für Sie gefährlich ! Mich hat er vor dem Publi-
kum umarmt! . . .
An Bernh. Scholz
[Hannover, 23. Januar 1868.]
Lieber Scholz
Es versteht sich von selbst, daß ich gerne Jedermann,
der's zu wissen nöthig hat, viel Gutes über Dich mit-
theilen möchte — nur weiß ich wirklich nicht recht, wie
^) die H. Levi in Karlsruhe zur Aufführung brachte.
456 An Bernh. Scholz
ich in vorhegendem Falle formell zu Werke gehen soll,
und wünsche oder hoffe, von Dir einen Modus zu erfahren.
Haben denn die Leipziger Ratsherrn eine allgemeine Be-
werbung für die Cantor-Stelle durch ein officielles Doku-
ment hervorgerufen? Mir ist nichts dergleichen bekannt
geworden. Von Stadträthen ist mir nur Härtel befreundet;
kann ich ihm sagen, Du hättest gewünscht, daß ich in
Deiner Angelegenheit an ihn schreibe? Ich fürchte, die
Leipziger Herrn würden (bei der hohen Meinung, die sie
von ihren eignen Mitbürgern haben) es mir geradezu übel
nehmen, wenn ich ungefragt einen Rath ertheilte, wie die
Stelle ihres Cantors zu besetzen sei, und es könnte eher
schaden als nützen. Ich bitte Dich, lieber Freund, nimm
das nicht für Umständlichkeit; mich soll nichts verdrießen,
womit wirklich Deine Angelegenheit gefördert werden
könnte. So viel ich weiß, kennt Dr. Julian Schmidt die
Leipziger Verhältnisse ziemlich genau; sprich doch mit
ihm über die Sache. Als Freund aber, der nicht gerne hätte,
daß Du bei einer Anstellungsbewerbung vergebliche Ver-
suche machtest, möchte ich Dir aussprechen, daß ich die
Chancen gerade in Leipzig für Dich nicht günstig beurtheile.
Die Leute werden entweder einen lange gekannten „Alt-
meister" wie Rietz berufen oder eine Kraft berücksichtigen,
die, wie Richter z. B. sich bereits um die städtischen Musik-
institute verdient gemacht hat. Du bist gerade in Leipzig
nicht oft genug gewesen, hast sogar ein paar Mal wenig
angenehm schriftliche Erörterungen mit maßgebenden In-
stituten gehabt. Diese subjektive Vorempfindung über
Deine etwaige Bewerbung, lieber Freund, wird aber nicht
hindern, daß ich thue und lasse, was Du von meiner Seite
als nützlich Deinen Zwecken erachtest. Ich freue mich, als
Nachsatz meine, wie ich glaube, objektive Ansicht Dir in's
Gesicht zu sagen, daß Deine Wirksamkeit dem Thomaner-
Chor und dem Conservatorium zu größtem Nutzen aus-
fallen würde, wenn sie Dich anstellten . . .
Von Carl Ferdinand Pohl 4^7
An Bernhard Scholz
[Hannover, Ende Januar 1868.]
Lieber Bär, die Stimmen vom Schubert'schen Duo habe
ich nicht; ich muß sie dieser Tage für das Frankfurter
Museum aus Halle verschaffen, d. h. sagen, daß ich dem
dortigen Musikdirektor das Verleihen erlaube. Vielleicht
geht's auch später so für Dich. Für das zu genaue Bezeich-
nen der Stimmen (fast militärisches Auf- und Abstreichen)
bin ich nicht. Die Geiger sind doch auch meist ungleich-
mäßig technisch gebildet, der Eine wird mehr Kraft in
der Mitte, der andere am Frosch entwickeln können, und
was an Gleichmäßigkeit erreicht wird, könnte an Schwung
verloren gehen. Ich habe bei dem Müller'schen Quartett,
auch bei Pariser Aufführungen, so etwas empfunden; gehe
nicht zu weit darin. Denke wenigstens darüber nach . . .
Von Carl Ferdinand Pohl^)
Wien i5. Feb. 68.
Hochgeehrter Herr!
Mit aufrichtiger Herzensfreude las ich in der Times,
daß Sie wieder in London sind. Erschrecken Sie
nicht, wenn ich ohne viel Worte zu machen, einen Sturm
auf Ihre Güte wage. Ich will meine Bitten kurz zusammen-
fassen. Als ich an jenem Morgen von Ihnen Abschied ge-
nommen, war mir sehr weh um's Herz. Ihre Worte „wenn
ich etwas für Papa Haydn thun kann" werden mir immer
nachtönen. So will ich denn auch gleich zum „Geschäft"
übergehen.
^) Der verdienstvolle Archivar d. Gesellch. d. Musikfreunde, geb. 6. Sept.
1819. Sein „Mozart u. Haydn in London" war 1867 erschienen. Er starb
1890, ohne seine Haydn-Biographie, deren erster Band 1875 erschien, zu
vollenden.
458 Von Carl Ferdinand Pohl
1 . Es befinden sich in England ganz gewiß Autografe aller
Art von Haydn in Privatbesitz, und auch Briefe dürtten noch
der Erlösung harren. Bitte: regen Sie doch die Haydn-
Frage recht oft an, besonders auch in den Provinz -Haupt-
städten, und sollten Sie Musicalien in Haydn's Handschrift
finden, so notiren Sie den ersten Tact und das Datum,
welches selten fehlt. Will Jemand direct mit mir ver-
kehren, so ist meine Adresse:
F. Pohl — Musik -Verein — Wien (Austria).
2. Wenn es die Gelegenheit erlaubt, erwähnen Sie doch
manchmal meines „Mozart und Haydn in London" (nament-
lich in Schottland, in Liverpool u. Manchester). Pauer
schrieb mir, daß ihm bei dem Buchhändler Williams
& Norgate gesagt wurde, daß das Buch ziemlich gekauft
werde. An eine engl. Übersetzung ist vorderhand nicht
zu denken. Angesichts des fast unglaublichen Factums,
daß eine Übersetzung von Jahn's „Mozart" (2'^ Auflage)
abgelehnt wurde, habe ich keine Ursache, jetzt schon zu
murren, wenn auch das Buch gerade für England mehr
Interesse haben muß und der Engländer gar nirgends die
Geschichte seiner verschiedenen Vereine und berühmten
mus. Personen beisammen findet, von Mozart u. Haydn
ganz abgesehen, die, wie das ganze Buch, nach authentischen
Quellen bearbeitet sind.
3. Regen Sie doch Chappell oder sonst einen Crösus an,
daß er endlich ein etwa zweibändiges musikalisches Uni-
versal-Lexicon ^) unternimmt. Das letzterschienene Werk
der Art stammt aus dem Jahre 1824!!, ein miserables
Machwerk. Ich habe diesen Punkt in der Vorrede meines
Buches berührt, denn es ist ein Skandal, daß Engländer
sich über Alles, was seit fast einem halben Jahrhundert
in Musik geschehen ist, Raths erholen müssen aus fremden
^) G. Grove's Dictionnary of Music fing erst 1879 an zu erscheinen,
wohl mit durch Pohls Vorrede zu s. „Mozart u. Haydn" veranlaßt. Pohl
hat darin den Artikel „Haydn" bearbeitet.
Von Carl Ferdinand Pohl 4^9
Büchern. Felis hat obiges Werk fleißig benutzt und sind
natürlich diese Auszüge erbärmlich. Nach dem heutigen
Stand der Musik in England dürfte ein solches ja nicht
zu umfangreiches Werk in keiner honetten Familie fehlen,
und ich kann mir dabei kein Risico denken.
4. Sie hatten jene Violine in Pest probirt, die Frau
Polzelli^) verkaufen will. Ein Freund von mir, Sohn des
Hofkapellmitgliedes Benesch, wäre geneigt sie zu kaufen.
Die Frau verlangt lOOO F. Viel schüchterner als über die
früheren Bitten wage ich nun den Versuch, Ihrer kost-
baren Zeit einige Minuten zu rauben u. mir in wenig
Zeilen zu schreiben, ob Sie zum Ankauf der Violine
rathen.
Mit dieser Frau bin ich in Correspondenz gerathen. Sie
zeigte sich Anfangs sehr hart; aber ich appellierte an ihr
Witwenherz und schrieb sie richtig weich. Sie schickte
mir in Abschrift 7 Briefe von Haydn u. das Porträt ihres
Seligen. Haydns Zärtlichkeit zu seiner Gattin war bekannt-
lich wenig heftig; auch diese Briefe sprechen dafür. „La
mia moglie, questa bestia infernale" sind die wenig
schmeichelhaften Beinamen, mit denen er von ihr spricht.
Die Witwe hat aber noch viele weitere Briefe, die jedoch „de-
likater" Natur sind, daß sie dieselben nicht aus den Händen
giebt. Sie gestattete mir jedoch großmüthig, Einblick
nehmen zu können in diese zarten Ergüsse unsers guten
Papa's — Dr. Härtel in Leipzig hat mir alles auf Haydn
Bezügliche zur Benutzung geschickt (Notizen, Cataloge,
Anmerkungen voll Werth). Auch die letzte Messe Haydns,
comp. 1801, Autograf, in Paris gekauft, schickte er zur
Ansicht.
Ich wate förmlich in Arbeit; aber viel Brodarbeit unter-
bricht Haydn, an dem doch schon im Herbst gedruckt
werden soll.
*) Ihr Mann war ein Schüler Haydns und seine Mutter dessen GeHebte
gewesen.
46o An seine Frau
Bitte Pauer, Grove, Manns, Sullivan, das britt. Museum,
Cryst. Palast, ganz London herzlich zu grüßen.
Unser Conservatorium windet sich in Reorganisations-
Plänen. Ich habe wenig Hoffnung auf Erfolg. Viel Köpfe
aber kein Kopf; es fehlt das Oberhaupt. Als solches giebt
es nur Einen, u. der ist weit weg von hier „überm Canal".
Gott sei mit Ihnen! Ihr treu ergebener
F. Pohl.
An seine Frau
[London] Sonntag Abend [i? März 68.]
. . . Ich sollte gestern Abend nach dem Concert bei Sar-
toris sein und heute zu den Rothschilds aufs Land, habe
aber beides abgesagt. Die letzteren hatten, glaube ich, man-
cherlei Leute auf mich geladen, unter andern Mrs. Glad-
stone, wie mir Benedict sagte. Letzteres thut mir leid,
weil ich dadurch vielleicht auch ihn hätte kennen gelernt;
aber den R.'s schadet's nicht. Was sagst Du dazu, daß
ein getaufter Jude und ein Schriftsteller Premier-Minister
von England ist? Ist doch gut, daß so etwas möglich
ist. Edel hat gewiß sein Plaisir daran. Da kann ich ja
auch noch was werden. Und König Georg soll's nun an
den Geldbeutel? Kann's den Preußen nicht verdenken.
An sich sind ja die Reden harmlos, werden den preußi-
schen Staat nicht erschüttern — aber eine Menge armer
Leute führt es irre, die außer der Faselei materiellen
Schaden davon haben. — Also Du sollst wieder aufs
Theater? 2) Ach Gott, so ist's mit allem guten Willen
Bronsarts auf den Hannover'schen Brettern nicht beschaffen,
daß ich Dich gerne darauf sähe! Wo ist ein Publikum,
dem ich Dich gönnte, ganz! Nein, die 3 Mivi's, die kleinen,
brauchen Dich doch zu nothwendig, wenn ich auch an
mich nicht denke. Is nicht ! ! Gelt ! ! ! ! . . .
*) Es war Frau J. von befreundeter Seite nahegelegt worden, wieder
in einigen klassischen Opern aufzutreten.
An Theodor Ave-Lallemant 4^i
An dieselbe
Taunton. Donnerstag, [y. März 68.]
. . . ich muß so weit von Euch fortsein! Das ist der un-
natürlichste Zustand von der Weh, und ich denke jetzt
manchmal, daß eine Anstellung, die mir auch die Zukunft
für Euch sicherte, das Vernünftigste wäre. Wie oft habe
ich das gedacht, wenn ich mich nach Euch sehnte, und
Du vielleicht auch! Unser Glück ist doch im, und nicht
außer dem Haus; ich glauhe, ich hielte es auch in Berchtes-
gaden mit dir und den Mivis aus und kriegte wieder Lust
zu schreiben. Das ist ja doch eigentlich kein Leben, weder
geistig, körperlich, am wenigsten künstlerich, denn daß
man für die Verbreitung der großen Kunstwerke wirkt,
ist doch nur eine Beschönigung oder Ausrede. Der billige
Druck und die Schönheit thun's von selbst heut zu Tage.
An einem Orte gründlich für das Gedeihen der Musik zu
sorgen, ist mehr werth als flüchtiges Erscheinen vor loo
halbkultivierten Concertpublikum. In London glaube
ich allerdings etwas gewirkt zu haben, aber auf dem Land
ist's manchmal trostlos mit diesem Concertiren. Du siehst,
ich habe auch mein Theil Katzenjammer, wenn ich ohne
Dich bin ! Besser, wir sind zusammen und haben bisweilen
unsern gesunden Zank. . . .
An Theodor Ave-Lallemant
45, Leinster-Square Bayswater
London 11. März [1868]
Lieber Ave.
Wie viel Sorge und Glück liegt zwischen dem Empfang
Deines Schreibens und jetzt! Wir sind von der Vor-
sehung wunderbar gnädig behütet worden! Du wirst die
Anzeige von dem gesunden Mädi erhalten haben; alles ist
402 An seine Frau nach Berlin
seitdem so gut gegangen wie nie zuvor, ich habe schon 5
Briefe von meiner Frau. Habe von Herzen Dank für Deine
treuen Gedanken an uns; gewiß Hegt ein Segen in dem
Behütetsein von warmen Freunden, und wenn ich auch
(verzeihe!) nicht an die Erhörung individueller Bitten da
droben glaube, fühle ich doch den milden Hauch wahrer
Sympathie als einen Schutz in all dem geschäftigen Con-
certtreiben. Man hat gleich einen Anker, sich ruhig zu
vertiefen, denkt man an einen echten Freund.
Du willst, daß ich am 9**" April zu Euch komme, sauer
genug wird mir's werden, wieder von Haus zu gehen; aber
ich muß wohl ! Dann würde ich vorschlagen, das A moll
Concert von Bach und Bruches Concert zu spielen. Ersteres
dauert etwa 12, das letztere 20 Minuten. Leider muß ich
aber noch eins erwähnen, was mir sauer genug wird. Ich
finde nämlich, da ich eigentlich nie eigene Concerte in
Hamburg gebe, und das eben, weil ich immer im Philhar-
monie spiele, die Gesellschaft ein höheres Honorar auftreiben
könnte. Würdest Du es peinlich finden, dem Comite mit-
zutheilen, daß ich 3o Friedr'sdor beanspruche? Du weißt,
daß ich nicht geldsüchtig bin, daß ich aber nicht für mich,
sondern für die Zukunft der Meinen die Öffentlichkeit
statt des Privatstudiums erwähle, nicht das bessere Theil !
Sage mir Deine aufrichtige Meinung. — Ich freue mich,
daß bei Euch alles wohl geht, und grüße von Herzen.
Dein
Joseph Joachim.
An seine Frau nach Berlin
Dienstag. [London? März? 1868]
Liebe Frau
Du willst ein Machtwort, und wenn ich es gegeben, so
viel Meilen fort von den Wohnungen, wirst Du damit
am Ende unzufrieden sein ! Mittlerweile hast Du vielleicht
An seine Frau nach Berlin ^63
schon Lichterfelde gesehen und kannst wissen, ob wir's da
künftigen Winter versuchen können. Meine Meinung ist die,
keinesfalls wieder in Hannover abzuwarten — wir sind uns
längst einig, daß dies weder in Bezug auf Gegend, noch
Gesellschaft oder Kunst unserer Idee entspricht, und da
endlich fort! Aber ich möchte Dich um ein wenig Rück-
sicht oder vielmehr Ergebung für die i** Berliner Zeit bitten,
dann findet sich auch etwas. — ich will mit dem kleinsten
ifenstrigen Stübchen (eine Treppe höher als die eigentliche
Wohnung sogar) fürlieb nehmen. Es ist nicht Geiz, wenn
ich sage, daß ich nicht über 660 Thlr, unsren jetzigen
Miethpreis, gehen mag — Du hast aber die Erfahrung ge-
macht, mein Kind : eine theurere Wohnung ist für die übri-
gen Ausgaben maßgebend! Die Leute bemessen auch die
Ansprüche, die sie an den Hausvater machen, darnach.
Eine gesunde Lage, eine große Kinderstube, eine behagliche
Stube für Dich in der Nähe, alles Übrige muß sich vorerst
nach diesen Hauptsachen richten, nächstes Jahr finden wir
wahrscheinlich, was wir brauchen, um ganz befriedigt zu
sein. Blieben wir in Hannover, so müßten wir auch einen
Umzug halten, ersparten also kein Mühe. Es bleibt ja doch
dabei, daß wir im Januar auf einige Monate nach London
gehen (bis Ostern), wo wir dann gewiß schon was ge-
funden haben oder mit Lichterfelde im Reinen sind. —
Es müßte denn sein, daß Du sonst gegründete Bedenken,
oder entschiedene Abneigung vor den Berliner Ver-
hältnissen im Ganzen und Großen bekommen hättest, dann
natürlich überlasse ich Dir zu thun, was Du willst, gebe
Dir carte blanche; denn vor allen Dingen sollst Du Dich
glücklich fühlen, das ist die erste Bedingung für mein
Wohlbefinden. Und nun fasse Dich zusammen, sei nach-
sichtig mit meinem Geldbeutel, der ja nur um Euretwillen
seine Schnüre zusammenzieht. Es thut mir zu leid, zu leid,
daß ich nicht mit Dir all die Wohnungssorgen theilen
kann, in der Nähe. Das Requiem ist eigentlich Schuld,
464 An seine Frau
aber das Werk verdient ein Opfer, wenn ich auch mit
meiner persönlichen Theilnahme für den Gompositeur
desselben, oder vielmehr mit meinen freundschaftlichen
Ansprüchen an ihn immer weiter zurückweiche. Darüber
mündlich, — Und nun verzeihe die farblose Schrift; ich
muß mein Handgelenk schonen, die verdammten kraftlosen
Bogenhaare, die dann um so größere Ansprüche an die
Energie der Muskeln machen, denn heraus muß der Ton.
Ich gehe keinesfalls nach Schweden; also sehen wir uns
bald.
Dein
J. J.
An seine Frau
[London, ca. Ende März 1868.]
Man kann nicht besseres Glück haben, als ich mit der
Ueberfahrti). Das Meer war so freundlich, kräuselte
nur eben die Köpfchen der Wellen und sah prachtvoll
aus in seiner Weite. Möven flogen ab und zu, einmal
umkreisten eine größere schneeweiße und drei kleinere
das Schiff, als wären es die Mivis, die mich schützten. Ich
lunchte ganz vergnügt ein Mutton chop und trank Bordeaux
dazu auf Euere Gesundheit; es war schön, wohl zum Lohn,
daß ich so muthig sein wollte für Euch, liebes Volk.
Ich kam in Dublin nicht zum Schreiben, die Concerte
brauchten viel Probirens, mit zwei Irländern! und einem
deutschen Cellisten, der ein Frankfurter und recht gut
ist. Eisner. Er lebt seit Jahren mit Weib und Kind in
Dublin. Das ist eine schöne Stadt, nur Schade, daß man
so viel Armuth, Trunkenheit und nackten Schmutz im
Volk sieht. England hat da viel auf dem Gewissen und
fängt an, das zu empfinden. Der republikanische Fenianis-
*) von Dublin nach En(jlancl.
An Karl Reinthaler 4^^
mus ist aber von America importirt, hat keine Zukunft
in der grünen Insel, die eigentlich ziemlich feudal scheint,
gern Pomp bewundert, und seine Aristocratie gern ver-
hätscheln würde, wenn man seine Eigenliebe pflegte und
dem Volk auch Aufmerksamkeit und Liebe zeigte. Von
Aufgeregtheit und Rebellion merkte ich keine Spur; es
lautet so was in der Regel in der Ferne schlimmer, als
man nahbei findet. Deine Idee mit Potsdam leuchtet mir
eigentlich sehr ein, nur scheint mir das Haus (das man
erst sehen müßte) zu klein. 6 Zimmer und 2 Kammern
reichen doch für uns nicht aus ! Wir könnten uns ein paar
Zimmer nebenbei in Berlin miethen, wenn wir einmal ein
paar Tage ganz dorthin von Potsdam wollten, und hätten
auch nicht absolut nöthig, jeden Sommer eine Reise von
3 Monaten zu machen. . . .
An Karl Reinthaler
[Hannover Anfang Apr. 68]
Lieber Reinthaler!
Zunächst: wir freuenuns sehr auf das Gonzert^), wir sind
zu dreien; es ist also wohl gut, bei Hillman ein Zimmer
mit zwei Betten und ein einschläfriges zu bestellen, wenn
Du vorbeikömmst. Wir kommen natürlich um 5 ^/g an.
Meine Frau hat keine D dur Stimmen, das wird ja aber
kaum Transpositions-Schwierigkeiten haben. Brahms' Idee,
zwischen den Requiem-Theilen ein Violin-Solo zum
Ausruhen zu haben, ist vielleicht gut, wenn nicht eine
Orgelfuge vorzuziehen wäre. Ich überlasse das Euch. Die
A dur Sonate von Händel ist ein schönes Stück, das gut mit
Orgel geht. Wie denkt Ihr vom AmollGoncert mit Streich-
orchester von J. Bach? Ich habe allerdings nur afache
Quartettbegleitung dazu; aber die Stimmen sind gewiß in
Bremen aufzutreiben. Vielleicht auch nur den 2'*" Satz
*) Das Requiem von Brahms im Bremer Dom am Charfreitag.
3o
466 An seine Frau
daraus mit Streichinstrumenten, und dann hinterdrein das
kleine F dur Andante v. Tartini und Abendhed ^) mit Orgel.
Die Orgehegister können wir am Vormittag mit Muße
ausprobiren. Nach der Passionsarie das Abendhed will
mir nicht scheinen. Bitte überlegt meine Vorschläge. Nun
auf musikalischstes Wiedersehen! Grüße Familie und
Fl eunde von
Deinem
Joseph J.
An seine Frau
[Kopenhagen] Dienstag [19. Apr. 1868]
Freilich kaufen wir das Grundstück jetzt, und im Herbst,
wenn der Wald gefärbt ist und die schönen, langen
Schatten kommen, dann fahren wir einmal nach dem Feld
und besehen uns die Sache bei Lichte. Da können wir
uns immer noch für den Bau oder Verkauf entscheiden;
die Grundstücke scheinen ja in Lichtenfeld 2) im Steigen.
Heute über 8 Tagen denke ich, können wir über all dies
sprechen; o wie freue ich mich! Ich reise über Corsör
direkt nach Kiel, denn die Ostsee ist viel gutmüthiger als
die Nordsee. Ich wollte nur, Berlin läge an einem großen
Hafen, das schickte sich eigentlich für die Hauptstadt
Deutschlands. Es war so wundervoll neulich am Sonntag,
vind nur Schade, daß ich es ohne Dich genießen mußte,
auch die Hummern, die ihre Arme nach Dir ausstreckten.
Frau Ruhen (Goppels Tochter) und ihr Mann sind gar
freundliche, gastfreie Menschen, deren Manieren nicht an
5o,ooo Thlr. „Procente" erinnern, nur tischen sie zu viel
auf; so mußten wir Sonntag um 1 Uhr „frühstücken" und
um 6 in der Stadt wieder bei ihnen diniren mit allen mög-
') von Schumann.
*) Lichterfelde, wo J. damals ein Grundstück kaufte; es wurde aber
nicht bebaut.
An seine Frau 4^7
liehen Austern, Auerhähnen, Putern etc. Hol's der Guck-
guck ! Gade und ich haben uns auch um ein andres ähn-
liches Diner . . . herumgedrückt, immer hingehalten
und gehen bloß Abends hin, da wir bei Gades erstem
Schwiegerpapa, dem Musiker Hartraann, ganz bürgerlich
tafeln wollen. Die Musikerclique ist hier sehr nett, und
müssen wir einmal hier zusammen Concerte geben, das
soll Dir gefallen, auch einträglich werden, gelt? — Das
Quartett fiel gestern ganz gut aus, obwohl mein Schüler
Tofte etwas ängstlich spielte. — Neulich sah ich wieder
ein Ballet, in dem das Leben der Berggeister und Elfen
zur Anschauung kömmt, ganz reizende Musik dazu von
Gade und Hartmann. Die Hutzelmänner stehlen ein Kind
und legen einen Wechselbalg dafür in die Wiege, während
die Amme schläft, gieb nur auf unser Mivi Acht ! — Apro-
pos, Du wirst Dich gewundert haben, wer „Lauritz Eck-
hardt " ist, auf dessen Briefpapier ich gestern schrieb : der
Schauspieler, von dem ich Dir neulich sagte, daß er mit
Lewinsky befreundet ist. Er ist so fabelhaft gutmüthig
und dienstfertig, bringt mir Theaterbillets und Zeitungen,
zeigt mir Wege, und so habe ich ihn denn gestern einmal
zum Essen besucht. Seine Theaterwirksamkeit besteht
in 3'^" und 4*^° Rollen, dabei ist er im Gesang Schüler
von Garcia u. Stockhausen und reist alljährlich auf
einen Monat nach Wien, um Burgtheater zu studiren ! ! !
Er hat Vermögen und einen Gehalt von 4^0 Thlrn.
Überhaupt ist der Ton musterhaft am hiesigen Theater
und der Schauspielerstand bürgerlich hochgehalten, i) So
viel vom Guten hier; aber die lächerliche, krampfhafte Ab-
wehr gegen alles Deutsche, während sie doch ohne Deutsch-
land noch rohe Fischer wären, ist zu albern, um sich zu
erzürnen. Doch lasse ich mich natürlich nicht auf Politik
ein. . . .
*) Es gab seit Holberg ein Gesetz, daß nur solche zur Kgl. Bühn« zu-
gelassen wurden, die die Universität besucht hatten.
3o'
468 An seine Frau
An seine Frau
[Kopenhagen] Donnerstag [23. April 1868.]
Du bist wohl wieder in Hannover, wo ich Dich eigent-
lich schon früher zurück vermuthete. Ich sehne
mich stark nach Brief und bin auch neugierig, was Du
ausgerichtet hast. Überhaupt habe ich schon so ein Ver-
langen, nach Haus zu kommen; es könnte ja hier ganz nett
sein — aber ich war zu lange von Euch getrennt, mir ist
fast schon Alles gleichgültig, ausgenommen, wenn ich mich
in einen Band Goethe vertiefe (Ich habe mir die 2 bändige
Ausgabe von Gade geholt). Höre, wir dürfen nicht so
lange auseinander, das ist immer der Refrain — ich bin
zum Glück kein Geschäftsreisender, der sich mit andern
als den Seinen gleich behaglich fühlt. Gade ist übrigens
ein reizender Kerl, ein so feinfühliger Künstler, wie ich
nur 2 bis 3 im Leben habe kennen lernen, und ein so
guter tüchtiger Musikus, studirt so schön ein. Das ganze
Programm gieng gestern prächtig, die Haydn'sche Sinfonie
hättest Du hören sollen! Es waren im Casino (ein Theater)
über 1400 Menschen, und mein Erfolg war, wie Gade
sagt, glänzend; die Leute klatschen wenig, aber man
brachte mir einen Tusch, und ich habe Frau Gade 2 große
Waschbecken voll Blumen, mit denen beinahe Geige und
Bogen beim Werfen zu Schaden gekommen wäre, abliefern
können; man glaubt, daß mein eignes Concert am Don-
nerstag (da leider das Orchester nicht vor einer Woche
zu haben ist) ganz voll wird, was dann eine sehr schöne
Einnahme werden kann. In der Zwischenzeit spiele ich
nun noch einmal Quartett für den Musikverein. Viel-
leicht gebe ich nachher auch noch ein Quartett für meine
Gasse, aber jedenfalls komme ich in der i"^" Maiwoche
heim. Meine Hand ist wieder besser, das Jod hilft zum
Glück immer bald, trotz des Violinspiels.
An seine Frau 4^9
An dieselbe
[Kopenhagen] Montag [27. Apr. 1868]
Ich war gestern den ganzen Tag auf dem Land, an der
See^ es ist reizend: Buchenwald bis dicht an's Meer.
Aber grün ist's hier noch nicht, wohl bei Euch im Garten!
Nun, warte nur, balde komme ich auch! — Ich spiele
heute das 3'^ Mal für den Musikverein, Esdur Quartett
von Mendelss., E moll v. Beethoven und Chaconne. Ich
habe 4 Proben dazu gehalten. Nun ist auch mein Concert
schon annoncirt, und es verspricht voll zu werden; Don-
nerstag ist es. Wie schön, daß wir nun eine Wohnung
haben und Deine Beharrlichkeit belohnt ist. Es kommt
mir wie eine Erlösung vor, von Hannover los zu kommen;
ich war viel zu lange dort für das, was es mir in künst-
lerischer Beziehung bot. Gade wünscht, daß wir hierher
ziehen; er würde dieDirection derConcerte mit mir theilen
etc. etc. Wär's in Hamburg oder sonst in Deutschland!
Neulich, d. h. vorgestern war ich bei Hof, des Vormittags;
wohldenkende liebenswürdige Leute, aber nicht königlich.
Ich spielte ein paar Kleinigkeiten mit Gade. Nun muß
ich auf die Post, und dann an's Concert denken ; also Adieu
bis morgen ....
An dieselbe
[Kopenhagen] Freitag [i. Mai 1868]
Das Concert ist gestern gut ausgefallen, es mögen wohl
1000 bis iioo Menschen dagewesen sein, also wird
die Einnahme ja auch netto gegen 700 Thlr. dänisch ab-
werfen. Die Leute waren sehr animirt, auch der König
war da, der sonst nie in Concerte geht, weil er nur italienische
Musik (namentlich Verdi) liebt, und Gade ihm das nie zu
470 An Ferd. David
Gefallen thut; also eigentlich eine Schande für mich! Anbei
das Programm, dessen Gesangsnummern reizend vom Chor
ausgeführt wurden; hättest Du nur statt des Fräulein
Lehmann das Solo singen können. Ich wünschte mir schon
lange das Ständchen von Schubert (Grillparzer's) zu hören;
es war hübsch instrumentirt ^) . . . Wie ich mich auf Euch
freue, Ihr lieben Grundstücksbesitzer. Lebe wohl, ich muß
noch Kopenhagen besehen, bin in der letzten Zeit vor
lauter Proben nicht dazu gekommen.
An Ferd. David
Hannover 22. Mai 1868.
Lieber, verehrter Concertmeister
Wie leid thut es mir, daß wir uns in Leipzig nicht
gesprochen ! Manches hätte sich verabreden lassen,
das durch die Anregung des Mendelssohn-Denkmals sich
leicht ergeben hätte. Mir scheint ein gewöhnliches Vir-
tuosen-Concert fast zu dürftig für den schönen Zweck ! In-
deß, da Sie beschlossen, auf die praktische Geldfrage zuerst
mit einem Theater Concert los zu gehen, wird sich das
Bedeutendere später vielleicht nachholen lassen und der
Anfang zu Geldsammlungen wenigstens gemacht sein,
hoffentlich mit Erfolg! Es versteht sich von selbst, daß
ich mich den Vorschlägen des Leipziger Comite füge und
bereit bin, das Mendelssohn'sche Concert zu spielen, wie
ich mich denn auch auf Tausig's wunderbar vollendetes
Klavierspiel freue. Meine Frau kann ja eine Arie (von
Händel vielleicht) und Lieder von Mendelssohn singen.
Wollen Sie persönlich gar nichts bringen ? Wie wäre es
mit dem 2""" und i'^" Satz der Mozartschen Concertante,
die wir ja leider nur einmal gespielt? Ich finde, es geht
gar nicht, daß Sie Sich nur im Orchester betheiligen.
*) von Gade.
Von Herman Grimm 4?^
Denken Sie drüber nach und schreiben Sie mir ein Wort
nach Cöln, wohin wir nächsten Donnerstag abreisen. Wir
haben noch herzlich zu danken, daß Sie auf eine Vergnü-
gungsfahrt an den Rhein hebenswürdige Rücksicht ge-
nommen, und grüßen Sie und die Heben Ihrigen freund-
schafthchst,
stets Ihr getreuer
Joseph Joachim.
Von Herman Grimm
Donnerstag [Berhn Ende Mai 1868]
Lieber Joachim.
Dein Dänenblut ist heute angelangt und von mir und
Giesel eine kleine Anschnapsung vorgenommen
worden, deren Resultat ein höchst zufriedenstellendes war.
Wenn Du kommen willst, so komm ja vor dem Concerte,
da von der Hude^) um den 26. verreist; im übrigen bist
Du uns immer recht, wie Du weißt. Hoffentlich sind auch
Scholzens dann glücklich ausgemasert, ich habe sie seit
der Anwesenheit Deiner Frau nicht gesehn.
Weiter ist nichts zu bemerken, ausgenommen, daß ich
neulich mit Giesel in Lichterfelde ein gemüthliches Sonn-
tagsmittagsessen gefeiert habe, nachdem wir vorher auf
Eurem Grundstücke auf dem warmen Mooßboden gelegen,
in der Sonne, und uns Deine Bäume angesehn : Echtes deut-
sches Kieferngewächs von ein wenig vermickerter Gattung.
Grüße Deine Frau und Kinder bestens.
Der Deinige
Herman Gr.
Wir waren neulich in Laube's bösen Zungen. Wenn
Ihr erst hier seid, müssen wir dergleichen Partien ä quatre
machen, um etwas Trost aneinander zu haben.
') Architekt, der die Pläne fiir Js. Lichterfelder Haus zeichnete.
472 An Clara Schumann
Ich freue mich sehr auf ürsi's Johanna. Sie wird auch
Dir zu Gute kommen. Bei uns kocht jezt Carolina. Ein
Glück ist, daß wir uns fast nur von Spargeln nähren. An
denen ist wenig zu verderben.
Diese Haushaltungsbemerkungen für ürsi.
An Clara Schumann
[Hannover 26 Mai 1868]
Liebe Frau Schumann
. . . Ich mußte in Berlin mir mein Grundstückchen (ein klei-
ner Kieferhain, 10 Minuten Eisenbahnfahrt, in Lichterfelde)
besehen, bevor ich mich zum bauen entschloß. Meine
Freunde haben mir schon allerlei dagegen gesagt, aber ich
finde nichts stichhaltiges, denn da ich nun einmal in Berlin
residiren will, möchte ich nicht gezwungen sein, jedes Jahr
mit dem ganzen Kindergesindel eine große Reise zu machen.
In Lichterfelde ist aber die Luft so gut, daß man es
schon Sommers aushalten kann, und mir, der ich an
Londoner Verhältnisse gewohnt bin, kommt die Eisenbahn-
fahrt zur Stadt nicht so ungeheuerlich vor. Zudem kann
ich gewiß das Ganze ohne Schaden jederzeit los werden.
Kritisiren ist immer leichter, als etwas besseres vorschlagen.
In Kopenhagen hat es mir sehr gefallen; wie intelligent
und fein ist doch Gade. Außer Brahms wüßte ich doch
keinen Musiker, der ein so subtiles, musikalisches Vers tändniß
für alles Schöne hätte. Wie trefflich und gewissenhaft
studirt er auch ein!
Mir graut eigentllich vor dem Concert in Leipzig in der
ärgsten Hitze; aber der Zweck läßt keine Absagegedanken
aufkommen. Mir ist's unbegreiflich, daß die Herrn nicht
lieber ein ordentliches Musikfest vor Anfang der Gewand-
haus-Concerte mit schönen Choraufführungen von Bach-
schen Sachen und Betheiligung desConservatoriums, kurzum
An Bernh. Scholz 47^
etwas ganz Würdevolles unternommen haben. So ein Vir-
tuosen-Concert im Theater als Anfang für ein Mendels-
sohn-Denkmal gefällt mir nicht ! Sie denken gewiß ebenso . . .
Gestern kam Brahms hier durch, ii,35 Abends, ging
noch weiter an den Rhein, wo ich ihn wiedertreffe.
An Bernh. Scholz
[Hannover, etwa 26. Juni 1868]
Lieber Freund und Onkel Bär!
Du bist wohl von Deiner Münchner Tour eben zurück,
wie wir seit gestern in Hannover. Leider ist in Leipzig
eingetoffen, was voraus zu sehen war: sie haben Richter
gewählt. Ich habe mir eben eine Liste derjenigen Stadt-
räthe gemacht, die ich allenfalls aufsuchen durfte, als mir
das Resultat mitgetheilt ward. Die lokalen Rücksichten
gegen einen alten verdienten Lehrer (der sogar schon oft
Hauptmann als Dirigent vertreten) sind begreiflich ; ohne
diese wäre Dir der Posten kaum entgangen. Es versteht
sich von selbst, daß ich Dir meine Mitwirkung für die Con-
certe in Berlin zusage, wenn Du sie für den Erfolg Deines
neuen Unternehmens nützlich erachtest, obgleich ein Lieb-
lings wünsch von mir, recht still und unbeachtet in
unsern neuen Wohnort einzuziehen, gleich Anfangs aufs
gründlichste dadurch ruinirt wird. Ich würde letzteres
nicht erwähnen, wenn Du nicht in Deinem Brief eine Pa-
rallele zwischen dem zögest, was ich an andern Orten um's
liebe Geld thue. Ich will mich wirklich nicht preciös
machen, und wollte es am allerwenigsten Dir gegenüber,
lieber Freund , als wir auf dem Weg nach Wiesbaden so
nett und warm zusammen auf ein Ziel lossteuerten. Es
ist ein Opfer, aber ich bringe es mit Freuden, wie ich fest
überzeugt bin, daß Du es auch mir brächtest, wäre eben
die Gelegenheit dazu vor der Thür, und ich hoffe, das
474 ^on Bernhard Scholz
Beethoven'sche Concert macht Dir nun erst recht Freude,
da Du weißt, daß ich für sonst Niemanden in Berhn ein
gleiches thäte. — Lieb wäre es mir nur, wenn du es so
einrichten könntest, daß meine liebe Frau, die natürlich
gleichfalls zusagt, in einem der spätem Concerte mitwirkt,
nicht gleich im i'*" mit mir. . . .
Lasse nun recht bald etwas über die Daten vernehmen;
am 28'*^" Oktober müssen wir in Frankfurt bei der H-moll
Messe sein. Sehr nett wäre es, wenn Du ein paar Zeilen
über Hans Sachsen i) beifügtest! Wie war's? Ich habe
enthusiastisch darüber sprechen hören, freilich nur Leute
wie Pasdeloup, Pohl! Wie könnte man sich über den Er-
folg freuen, wenn ein Joseph d. II. u. Mozart, u. nicht ein
paar Komödianten dabei im Spiel wären!
Leb' wohl und grüße die lieben Deinen im engern und
weitern Kreis herzlichst.
Jo. Jo.
Von Bernhard Scholz
H[ammer]mühle b. Wiesbaden 29. Juni 1868.
. . . Betr. der Leipziger Stelle war ich ziemlich resignirt;
doch hätte es mich sehr gefreut, sie zu bekommen. Wäre
ich doch damit von aller Concertplage und vieler, schwerer
Sorge erlöst gewesen, anderer Vortheile nicht zu gedenken !
Nun heißt's wieder: Kopf hoch, Ohren steif, vorwärts
schauen, sich durchzuschlagen suchen, bis man irgendwo
ein Plätzchen zum Stehn erobert.
Die Meistersinger haben mir im Ganzen einen sehr großen
Eindruck gemacht, namentlich in der ersten Probe. Die
Aufführung als solche war aber auch herrlich, geradezu
berauschend. Ich wollte, Ihr wäret dabei gewesen; ich
habe von der Leistungsfähigkeit der Bühne eine ganz neue
^) die Aufführung der „Meistersinger" in München.
Von Bernhard Scholz 4?^
Anschauung gewonnen. Das treffliche Ensemble, bis in
die geringste Bewegung der Solosänger von Wagner selbst
einstudirt, half mir in der Probe auch über alle Mängel
des Werks hinweg. Bei der i. Aufführung, für mich die
2'*", da mir die Generalprobe als i"' galt, sah ich viel klarer.
Da wurden in Text u. Musik viele Längen empfindlich;
leider wird Wagner Kürzungen, die sich sehr wohl vor-
nehmen ließen, nicht sanctioniren u. dadurch seinem
Vs'^erke selbst schaden. Dasselbe dauert 5 Stunden bei
kurzen Zwischenacten, müßte aber auf 4 reducirt werden.
Musikalisch am bedeutendsten wirken das Quintett, Wal-
thers Lied u. einiges andere im 3"^" Act — diese No. hatten
denn auch wie billig den größten Erfolg zu W.'s ausge-
sprochenem Ärger, — scenisch wundervoll wirkt der 2'^ Act
mit dem reizenden Dialog des Hans Sachs und der Eva
Pogner an Sachsens Hausthür, Bekmessers possirlichem
Ständchen, der Prügelei — und dem höchst wundervollen
Auftreten des Nachtwächters nach derselben. Man darf
die Musik nicht auf sich allein untersuchen, denn man
würde außer vielem sehr Schönen noch mehr abscheulich
Häßliches finden. Diese Musik soll aber auch stellenweis
sich zum Ganzen nicht anders verhalten, als etwa die grob
gemalten Decorationen, die bei Lampenlicht u. zur Action
doch gute Wirkung thun. Damit will ich nicht sagen,
daß sie nicht schöner sein dürfte, so recht sei, bewahre
Gott, gerade der Erfolg hat bewiesen, daß die meiste
Wirkung doch wieder den guten Musikstücken zu ver-
danken ist, welche das Werk enthält — ich will nur con-
statiren, daß das Werk so aus einem Guß, so als Ganzes
concipirt ist, daß es trotz sehr bedenklicher Einzelheiten
in seiner Totalität intensiv poetisch wirkt. Wo es mittel-
mäßig aufgeführt wird, muß es entschieden misfallen; aber
Wagners Inscenirung gehört nun einmal zu seiner Schöp-
funff. Dixi! ... ^^
■="'"■ B: Schob..
476 Von Max Bruch
Von Max Bruch
Sondershausen 2y. JuH 1868.
Lieber hochverehrter Freund,
Als wir uns in Coblenz trennten, versprachen Sie mir,
wenn irgend möghch, im Laufe des Sommers einmal
in unser Thüringisches Waldnest herüberzukommen und
meine Sinfonie zu hören. Darf ich Sie heute an dies schöne
Versprechen erinnern? Die Sinfonie ist fertig — gestern
haben wir sie mit allem Glanz zum ersten Mal öffentlich
aufgeführt — nach unendlichen Änderungen im Einzelnen
klingt sie nun so, wie ich wollte. Es wäre nun prächtig,
wenn Sie es möglich machen könnten, bald hierher zu
kommen und zu hören. Erst wenn ich Ihr aufrichtiges
Ürtheil über das Ganze und das Einzelne weiß, bin ich
ganz beruhigt. Ich möchte Ihnen niui vorschlagen, uns
im Laufe der nächsten Woche (zwischen Sonntag d. 2. und
Sonntag dem 9. August) mit Ihrem hochwillkommenen
Besuch zu erfreuen. Ich würde dann, wenn Sie wollen,
Mittwoch, Donnerstag etc. eine Extra-Probe Morgens an-
setzen. Die Capelle würde es sich zu einer ganz besonderen
Ehre anrechnen, Ihnen meine Sinfonie vorzuspielen, und
auch vielleicht das Schubert'sche, von Ihnen so schön in-
strumentirte Duo. Wir haben das treffliche Stück kürzlich
wieder aufgeführt, und die allergrößte Freude daran ge-
habt. Spinas Verhalten ist unbegreiflich, — selbst vom
rein geschäftlichen Standpunkt aus müßte er darauf be-
dacht sein, die Partitur bald zu veröffentlichen. Alle Con-
certinstitute würden darüber herfallen. Cranz dachte
daran, das Stück (Ihre Orchestration) von Spina zu er-
werben und zu drucken; glauben Sie, daß ein solches
Arrangement mit Spina überhaupt möglich wäre? — W^ir
sprechen mehr darüber. Noch eins! — Sie würden der
ganzen Capelle eine unbeschreibliche Freude machen, wenn
An Theod. Ave-Lallemant 477
Sie (verzeihen Sie meine Unbescheidenheit) den Morgen
in der Extra-Probe mein Concert spielen wollten! — Es
wäre zu schön, — aber ich bereue fast, die Gedanken aus-
gesprochen zu haben, denn ich möchte Sie nicht gerne
plagen, am allerwenigsten in dieser Sommerhitze. — Schließ-
lich habe ich Ihnen von meinem Freunde Dr. Spitta^) die
allerbesten Grüße auszurichten. Er freut sich, wie wir
Alle, außerordentlich über Ihr Kommen und ladet Sie
freundlichst ein, bei ihm zu wohnen. Ich glaube, daß Sie
bei ihm sich ganz ungenirt und sehr behaglich fühlen
werden. ... — Spitta wird sich erlauben, Ihnen gleich-
zeitig mit diesem selbst zu schreiben. Er ist ein prächtig
musikalischer Mensch, den ich außerordentlich schätze. —
Nun hoffe ich recht bald gute Nachrichten von Ihnen zu
erhalten. Seien Sie mit Ihrer 1. Frau herzlichst und freund-
schaftlichst gegrüßt von Ihrem
Max Bruch.
An Th. Ave-Lallemant
Hannover d. ii^*" Aug. [1868]
. . . Fräulein Agnes Zimmermann ist eine ganz vorzüg-
lich Pianistin, ja Künstlerin, und ich würde ihr, die in
dem riesigen London so schwer aufkommt, in Deutschland
den verdienten Erfolg von Herzen wünschen. Ich habe
schon in London mit ihr die Kreutzer-Sonate öffentlich
gespielt und mich sehr über ihre Leistung gefreut, noch
mehr aber, wie sie alles Alte kennt und auch Neues von
Bedeutung aufsucht. Zudem hat sie sehr hübsche Sachen
componirt, und nächstens erscheint eine mir gewidmete
Klavier- und Violin-Sonate, die wenigstens manches Gute
enthält. Wäre ich Concert-Direktor, ich gäbe ihr meine
*) Philipp Spitta, damals Gymnasiallehrer in Sondershausen.
4/'
An Theod, Ave-Lallemant
Stimme, ... Es ist die richtige Sorte. Madame Y. kenne
ich nicht, habe bloß einmal ein paar empfehlende Worte
von Fetis über sie gelesen. Sie scheint mehr im großartigen
Styl mit Sekretär und Reklame zu arbeiten ....
An Theod. Ave-Lalleniant
Hannover, d. 26'"=" Aug. [1868]
Lieber Ave.
Du kennst meine Bereitwilligkeit, wenn ich Dir in mu-
sikalischen Dingen was zu lieb thun kann: s'ist aber
absolute Unmöglichkeit für meine Frau und mich, in der
Zeit des Umzuges, gerade in den ersten Oktobertagen, zu
concertiren. Es ist nicht allein um der 2 Tage willen, aber
schon viel vorher geht ja der Trouble los: an Sammlung,
Stimmung, ja nur Übung ist dabei nicht zu denken. Dann
die Kinder unter ganz neuen Verhältnissen in den i"'" Tagen
allein lassen, es geht eben nicht ! ! . . .
. . . NB. Die beste Feier für Euer 4ojähriges Bestehen i)
wäre eine recht schöne Aufführung eines der Werke Eures
großen musikalischen Landsmann's Johannes Brahms.
^) am 26. Nov.; der 78jährige verdienstvolle Begründer der Philh.
Konzerte Fr. W. Grund dirigierte, Brahms kam im Programm nicht vor.
Berichtigungen zu Bd. I.
S. 97 Anm. 3 lies: Adolphe Sax (i8i4 — 1894)'
Der Brief an Th. Ave-Lallemant auf S. 44^ gehört in den Herbst 1 858,
ist also im i. Band einzuschalten (vgl, die Anmerkung II S. 28).
Das Daguerrotyp des jungen Joachim (nach S. 32o) gehört nicht Herrn
Edvv. Speyer, dem wir die danach angefertigte Photographie ver-
danken, sondern Fräulein Marie Schumann in Interlaken.
Der Quartettabend bei Bettina von Arnim (nach S. 368) ist kein Pastell,
sondern ein auf Pappe gemaltes Aquarell.
3 TQT7 DD1371b1 5
<^oaohi„, Joseph ^^^^^^
' '^ "^^-"^e 1858-1866.
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