Skip to main content

Full text of "Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens"

See other formats


Bibliothek der 
Unterhaltung 
und des 
Wissens 





ARTt s 



Vt*iTAS 



LIBRARY 






ft-gToUA tw| 3 PENINSULA* **<>£' 



n i im i um ii u imi [ .i ' ;i n 1 1 il I l!l inin 



famui i,i,y gc 

mm i iTnTiinnT) iTi n 



MSB 



| iUi | JUiUU!UUlüUi | i!^| 












J* 







Digitized by Google 



BtbUo 

ber 

^nferl)aliung 

nnb bea 

i^tfTens. 



lötf Briginal-B sit rägcit 

btt 

Ijenjorragenöflen SdjriftfclUr wrt G&eleljrtfn. 



ga^rgang 1889. 
Zwölfter gaiti). 




Stuttgart. 

Deriag von Ermann WnUto» tta^folger. 



Digitized by Google 




Digitized by GooglJ 



JttljttUs-lPe^cidjttig bts zwölften Untres. 



Sette. 

gamili eitel) re. Momart oon Sari 6b. Klopfer (gort* 

fefcung) 5 

Stuf ber golter. ^tooelle oon 9Jlartellu3 ... 97 

ßorfifa’ä greiljeit§ljclb. @j n 2 c & en g&iik 93on 

Sdjmibt*2Beifienfel§ 169 

$odjjeit§gebräud(jc itt Slfien. Sin ©eitrag jur 

©ölferfunbe. Sott 91. ©ertlfolb 184 

$)cr ©olbfifd) unb feine pflege, ©raftifelje 2Bin!e 

oon 3f. .*peimtoaf)( I 198 

3lömifd)e So (baten, .^iftorif^e Sfijje oon 91. ©u* 

binöjtp 207 

5)ie Spradje ber ©auner. Kriminaliftif^e Stubie 

oon ^Ufreb Steljner 218 

9lu§ ben $enf roürbigf eiten einer alten Stabt. 

Sin fftüdblitf. 33 on Sljeobor Söinfter .... 229 

2Jlannigfaltige§: 

Sin 3«ftot§t§ort für 2ef>en§mübe 244 

$ur ©efdjidfjte ber Staljlfeber 249 

SBirfung ber SJhtftf auf Spiere ’ 251 

$arl ber $übne :c 253 

Sin ungefdjicfter 2Jlaler 254 

«fpodfputl) gegen &od)mutf) 255 

gapanifd&e 2ljeater&efudjerinnen 256 

$)eutlidjer £)imoei§ 256 



* ■> /? 



Digitized by Google 




Digitized by Googl 



JFmnilitnelire. 

Vornan 

von 

Carl Cö. Älopfer. 

(Srortftfeung.) 



(Utadjbriuf öerboten.) 

3 6) fann nicht über bie ©igenfd^afteit ber ffinftigen ©räftn 
SBernShaufen urteilen, ba ich ©ie nie gefeiert habe," 
fagte ßimbach !ur§. 

©raf ©oSUnp beobachtete ihn toieber eine Söeite mit 
einem Säbeln, bann fuhr er fort: „2lh, ©ie füllten mir 
hoch reinen Söein einfdjenlen, lieber SBaron ; eS ift toahr= 
haftig nicht hübfdj bon 3hnen, fo beharrlich ben ©eheimnif}* 
holten gu fpielen." 

„3<h fann 3hn ß n auf 6h« berltdjern, befter ^freunb, 
bajj ich Srdulein Brenner, bie gegentoärtige SBraut &er* 
bert’S, nicht im SJiinbeften fenne!" 

„9hm, ich tottt ©ie ja auch nicht toiber Sh Tßn SQßiHen 
3U ©eftänbniffen beranlaffen. Slber Sie miffen, bafj ich 
tiefes 3ntereffe an bem jungen ©rafen nehme, beffen 
Charalter mir Jeljr biel ©bmpathifcheä hat. bebauere 
ihn toirflich, tbenn er, tote man allgemein behauptet, bie 



Digitized by Google 




6 ffamilienefcre. 

,£o<hter beg 5flotarg nur mit SÖßibermilten jum 9lttar 
führt, führen mufj." 

„28ie, man fprid§t baVon?" faßte ber SSaron auf’g 
£>ö<hfte überrafdjt. 

„ 3 a, unb toenn ich mich nic^t täufche, fo hat grau 
V. 2Jtühth°ff befonberg ba$u beigetragen, biefeg ©erficht 
ju Verbreiten. ©g ^ei^t, eg ftecfe ein ©eheimnifj hinter 
biefer £eirath3gef<hichte, gemiffe atoingenbe 9tüdfi<hten — " 

„Unb bag hat bie TOhtlmff Verbreitet? <£>a, bag 
fielet iljr ähnlich! ©ie brütet 9tache, toeil «Herbert — 
o! 2)och toie fonnte fie auf bie 33ermut$ung fomnten, 
bafe - w 

„9hm, eg märe ja immer möglich ! @3 Vertäutet, ber 
alte ©raf hätte ftch in unglüdliche ©pelulationen ge= 
ftür^t — mag meiji ich, unb ffräutein Brenner foU eine 
riefige 9Jtitgift Von ihrem fehr reichen Steter erhalten, 
beffen einzige ©rbin fie überbieg auch noch ift." 

Simbach füllte fic§ burd§ bie SSemerlung feineg S3e s 
gleiterg feljr unangenehm berührt, ©g mar ihm peinlich, 
bafc bie ©efetifchaft in fo boghafter SBeife über feinen 
eblen ffreunb aburtheitte. 

„3<h Vermag fo menig, tvie ©ie, $err ©raf, bie 
©tidjhaltigleit biefer ©erüdfjte ju ermeffen. 3 <h bin über 
bie ©ache nicht mehr im Staren, tvie jeher Slnbere, ja 
fogar noch meit geringer, benn id^ fann ©ie Verjtchern, 
bafj mir 3h* e SJtittheilungen VoUftanbig neu jtnb." 

„91un, fo taffen mir biefen ©egenftanb fallen. — ©ie 
entfchulbigen mich für je^t moht, Steron, ich habe itodb 
einige midfjtige unb unumgängliche 9Ibfchiebgbefu<he 311 



Digitized by Google 




Stontcm oon Sari Sb. Stopfer. 



7 



etlebigen! ©oEte ich nicht mehr ba8 Vergnügen genieffen, 
©ie fo aufäEig toie heute au treffen, fo fage ich Shnen 
gleich jefft ein heralidjeS Sebetoohl!" 

2)er 93aton bxürfte ihm toarm bie -fpanb. „Steifen 
©ie gtüäticb, greunb, unb taffen ©ie halb etrnag bon 
fid^ hören. ©8 mirb mir fehr toiEfommen fein, 9tadj= 
rieten bon Shuen au empfangen, toenn fie ficb auch 
nicht gerabe auf bie Serbaltniffe fceaieljen, benen ©ie in 
unferer ©tobt nabegetreten ftnb. 3fcb merbe SUjnen 3U 
Siebe meine Abneigung gegen ba8 SSrieffd^reiBen belegen 
unb ©ie auf eine umfaffenbe ©rtoieberung nicht au lange 
märten taffen." 

„3<b miE e8 hoffen, benn ich möchte unfere Söerbinbung 
fe^r gerne au einer bauemben merben feljen. 3tb merbe 
getoiff nid^t ermangeln, 3t>uen e^eftenS über SlEertei Stach* 
riebt au geben, toa8 ©ie intereffiren lönntel" — 

9118 ihn ©raf ©o8miff bertaffen butte, fab Simbacb 
ficb erft fo eigentlich auf feinem Eöege um. ©r batte e8 
gar nicht gemertt, baff er ficb tut Saufe be8 3miegefpräcbe8 
mit bem ©rafen aEmäblig bem SJtittelpunlte ber ©tabt 
genähert. Sfefft crblidEte er au feiner nicht gana angenehmen 
Eeberrafdfjung ben Opernptaff bor ftcb, einen SBrennpunft 
be8 hauptftäbtif<ben 93erfehr8, hm er befürchten tonnte, in 
jeher SJUnute auf einen feiner aablreicben 33elannten au 
ftoffen, benen er gefliffenttidh au8autoeicben ftcb bemühte. 

Stafcb fc&tug er eine Heine ©eitenftraffe ein, bie nach 
ben ärmlicheren SSorftäbten führte. 9118 er toenige ©elunben 
fpäter um eine ameite ©efe bog, fah er ficb einem SJtenfcben* 
fnauel gegenüber, ber ficb bor einer ber näcbften £bar* 



Digitized by Google 




8 



ffamilienehre. 



entführten berfammelt hatte unb forttoäh^enb neuen 3u= 
mach! erhielt. Der 33aron toottte auStoeidjen unb Vorüber* 
eilen, als er bi<ht an jtoei 2lrbeiterfrauen ftreifte, toobei 
er einige Söorte bon ihrer laut geführten Unterhaltung 
auffangen ntufjte, bie ihn anhalten liefjen. 

„3ft er benn toirflich tobt über blol ohnmächtig 1 ?" 
hieB e3 bon ber einen ©eite. 

„SEÖaS toeijj ich!" ertönte bie 2lntfoort. „^ebenfalls 
aber ift’8 J ne ©chanbe, ben armen Deufel fo liegen ju laffen. 
2öa3 nüfct e§, bafj ihn ber ©trajjenfeger mit ©chnee labt? 
2ftan foXCte lieber nach einem 9tr«}te laufen." 

ßimbadj fühlte fidj betoogen, näher ju treten unb fidj 
burch ba§ ©etoühl burchaubrängen, toa§ ihm nur mit 
Aufgebot einiger föücffichtllofigfeiten gegen bie Hibben 
ber Umftehenben gelang, ßnblich fonnte er ben SDjeil 
bei ffuffteigel überbliäen, ber an einem fehr ftattlichen 
©ebäube borüberführte. 

<£>ier lehnte ein 3Jtann in halb fthenber Sage an ber 
^flauer, toährenb ein ©trafcenfehrer fich über ihn gebeugt hielt 
unb bemüht toar, ben bottftänbig fftegungllofen burch ©<hbee* 
einreibungen an ben ©djläfen gum S3etou|tfein au bringen. 

„3ft ber arme 2Jtenf<h tobt?" fragte Simbach bie 
3unächftftehenben. 2Jtan anttoortete ihm mit einem 2ldjfel* 
pdfen. 2113 er näher an bie ©ruppe herantrat, toar ber 
Chnmächtige eben aurn 33ettmfjtfein aurüdgelehrt. äßährenb 
ber mübheraige ©trafeenlehrer ihn am 2lrme fafte, um 
ihm beim 2lufftehen behilflich ju fein, lonnte ber SBaton 
einen S3Ucf auf bal bleibe, eingefallene ©eficht bei Un* 
glürflichen toerfen. 



Digitized by Google 




9toman oon Sari 6b. Klopfer. 



9 



„£immel, baä ift ja — 1" rief ßimbadj, rafdj au» 
fprittgenb unb ben bor Sdfjtoöthe aitternben ©reis unter» 
ftfitjenb. „3ßufd£je tdj midj, toenn i<h glaube, Sie fdfjon 
öfter im Sureau beä Slbbofaten Brenner gefeljen au haben 1 ?" 

„3fd& baute 2f^nen, £err Saron! — tc^ bin ber 
Schreiber SSalf er aus ber StotariatSfanatei — " bie Stimme 
be§ Sitten berfagte ^ier; er rnufjte ftdfj neuerbingS an bie 
Stauer lernen, um ni<ht umauftnlen. Sin röcfjetnber, 
trambftjafter duften erfcljütterte babei feine Sruft. Sr 
30g ben fabenf(3jeinigen Ueberrocf, ber i£)m nur toenig 
Sd§uk gegen bie Mte bieten mochte, enger aufammen 
unb büctte fictj nach bem <£>ute, ber auf bem Soben lag. 
2)ie bürftige, bebenbe ©eftalt mit bem burc£)furdjten, bleiben 
©ejicht, um baS fxtbertoeifje -gmarfloifen flatterten, bot einen 
fo augenfcf>eintid£jen Setoeiä bon bem Stenb beS SebauernS» 
ibertljen, bafc fich ßimbadj tief ergriffen füllte. Sr reichte 
ihm ben Strm unb lief} ihn fich feft auf feine Schulter ftüfcen. 

„kommen Sie, ^err Söalfer, Ijier tömten Sie nicht 
fielen bleiben, ba§ toäre ja 3h* £ob. Sie ftnb fetjr 
Iranf, nicht toaljr 1 ?" 

„Stun — bielteid^t ein toenig," tjüftette ber Schreiber 
mit toel)mütt)igem Säbeln; „ja, ja, baS Sitter. Sll3 ich 
ba eben biefeä $au3 bertajfen tooltte, too ich einige Sitten 
abaugeben hatte, fuhr e§ mir fo plötzlich in bie Seine 
unb toirbette mir burdj ben $obf, ba| ich mich nicht 
mehr aufrecht erhalten tonnte, ich taumelte, fiel — unb 
bann tourbe e8 fd^toara bor meinen Sticfen — " 

Sin neuer heftiger ^uftenanfatt unterbrach ihn. 

„Sie bürfen nicht fpred^en, ba8 ftrengt Sie noch 3« 



Digitized by Google 




10 



$atnütene$re. 



fef)t an, guter Otetmb. kommen ©ie, ftüfcen ©ie fidtj 
nur red^t feft auf midj, i<b bin nic^t bon Surfer. ©o, 
fo! 3d(j milt ©ie einftmeiten in bie Portiergmobnung ba 
nebenan führen, bi§ man einen 2tr§t gerufen bat." 

„©ie finb — p gütig, gnäbigfter |>err 33aron," feuchte 
ber Sitte mübforn, „i<b fann 3b re ^Bemühung nid^t — 
annebmen. Sdj füble mi<b auch fcbon mieber fo meit 
toobt, um ben 2öeg — in ba§ SBureau prürftegen p 
lönnen, too man mi(b — ertimrtet." 

„Sieb ma§, ©ie merben bodj nid^t baran benfen, in 
3b«r Sßerfaffung mieber bie ©djteibjiube aufjufmben, norf; 
bap ohne ^Begleitung?" 

„@§ ift nicht toeit, unb id£j fübte mich bereits ganj 
gelräftigt. UebrigenS rufen mich noch — febr bringenbe 
©efcbäfte — man hrirb mich bermiffen — !" 

„ffiaä lann man f(bon in Orbnung bringen; man mirb 
3b*en ®b e f bon bem Unfall berftänbigen, ber ©ie b«r 
fo blötjlicb betroffen bot. lleberlaffen ©ie ba§ mirl 2öenn 
©ie aber mirflidb nicht bie unmittelbare $itfe eine§ Str^teS 
nötbig haben, fo mirb e§ am beften fein, ich bringe ©ie 
nach «£>aufe p 3>b*en ßeuten. 23on bort au§ fßmten mir 
bann irgenb Sernanb mit 3b rer Stltentafcbe nach ber 
$an$lei fcbirfen. ©eben ©ie ba§ Portefeuille fyx, bamit 
©ie fic# mit ber anberen |>anb auf meinen ©torf ftü|en 
lönnen — ba hoben ©ie ihn ! — Sich, mop bie Sieretei, 
ich erfülle ja nur SJtenfcbenbflicbt." 

S5ann minlte er bem ©trajjenfebrer, ber in ber Stäbe 
fteben geblieben mar, brürftc ihm ein ©etbftürf für feine 
erfte |>itfe in bie $anb unb befahl ihm, bie näcbftbefte 



Digitized by Google 




Vornan oon Sari 6 b. Klopfer. 11 

Stofchfe h^beiauhoten. Södhrenb bieS gefdhah, erlunbigte 
fidfj ber 33aron bei bem Schreiber nach feinet SBoIjmmg 
unb feinet Samitie, au toeicfjer et ihn ^eimfü^ten toottte. 

„Unt’S Himmels toiHen, fagen Sie nur meinet 3?rau 
unb meinem Sottdjen nichts Oon bet — Oon ber lleinen 
Schtoädhe, bie mich ba überfiel — fte toürben ft<h — un= 
nötiger SQßeife ängftigen. Sie toiffen jo, $tn 33aron, toie 
Orrauenaimmer ftnb, bie meinen gleich immer baS 2UXet= 
drgfte; unb — eS ift hoch im ©runbe genommen leine 
Urfadje Oorhanben, fid^ S3efotgniffen fun^ugeben — " 

Ser forttoährenbe duften unb bie unregelmäßige Söe= 
toeguttg feinet 33ruft beim Stthemhoten ftrafte ihn jebodh 
ßügen. Simbach führte ihn be^utfam aur Srofdhte, bie 
gerabe anfuljr, h°b iT^n hinein, tief bem Jhttfdjer bie 
Hausnummer 3 U, toelclje bet 9tübent)of in bet ÄönigSftraße 
trug, unb feßte ftdj bann gleichfalls in ben Söagen, um 
Herrn SBallet nach feinet 23ehaufung au geleiten. 

UntertoegS Inüßfte et mit ihm ein ©efprdch an über 
feine gamilienbethdltniffe, unb fo erfuhr ber SSaron, baß 
ber alte Schreiber einft ein ziemlich toohlhabenber $auf= 
mann in einem Stdbtchen ber 9ih e i n f )i:0 bina geioefen fei unb 
fi<h einer 3 ahlteichett Familie erfreut habe. Sie Äinbev 
toaren int Saufe ber Saßre geftorben, bis auf baS jihtgfte, 
Shotlotte, unb fein Vermögen in einem 33anferott Oerloren 
gegangen, toeldjen ber unrebliche Sheilhaber SBalter’S 
Oeranlaßt hatte. SltS ber Sitte bem SSaron erjä^lte , toie 
mühfarn er fich jeßt fammt $tau unb $inb burch ein 
erbärmliches ßeben ringen mußte, baS taum mehr als 
ein Sßegetiren genannt toerben lonnte, fchüttelte Simbadf) 



Digitized by Google 




12 ftamilienehre. 

bett $obf. SBä^renb er beit ©Treiber an^örte, !eimte ein 
leifer ©ebanle in ihm auf, ber attmä^Iig beftimmtere 
©eftalt annahm. 

„2Bie alt ift 3h l ' e Tochter, $txx Sßalfer 1 ?" 

«3m 3toön3igften — nodj feljr jung, $err 33aron, aber 
meit über iljr Stlter hinoug gereift in ber garten ©djule 
ber lebten je^n $a!jre. 3a, ja — man mirb früh emft 
unb alt im Kampfe mit ben Söitterteiten ber ©orge." 

„Unb bot fich 3bnen benn leine beffere Untertunft, als 
bie in ber ©dhreibfiube beg 9totarg, ber ©ie moht nur 
feljr lärgtidh befahlt?" 

„©edjg 2Jtar! in ber Sßoche," feufjte Söalter auf, „eg 
ift freilid) nicht biet, aber ich fagte Sfönen ja, meine fjrau 
unb mein Mbdhen Reifen rüftig baju, etmag jum tägtidjen 
Unterhalt ju berbienen. ©o flehen mir ung bodj im 
5Jtonat, menn $rau unb £odjter fortmä^renb Näharbeit 
belommen, auf ungefähr ameiunbjtebenaig big fünfunb* 
jtebenjig 5Jtarl, freilich rechne ich fdhon ba§ Heine ßogig= 
gelb bon unferem Stftermietljer ^inju." 

„Herrgott — unb bamit mufc ber Unterhalt bon brei 
$ßerfonen beftritten merben 1 ?" 

„9tun, eg geht fdjon — bei fparfamer ©intheitung. 
©tauben ©ie mir, biefeg £oog ift noch lange nicht bag 
fchtimmfte. Stber mag merben folt, menn idj jum 33eifbiet 
— man mujj ja SlUeS einmal in ©rmägung Riehen — 
menn ich h* u t e °ber morgen bie Slugen pbrüäte . . . 
mag fott aug meinem Iränüichen Sßeibe, mag aug meinem 
^inbe merben 1 ? tiefer ©ebanle macht midj fdhoubern unb . 
berbittert mir ben 9teft meineg Stofeing." 

W • .i 



Digitized by Google 




SRontan ooit Earl (Sb. Klopfer. 



13 



6t lieft ben $opf auf bie Stuft ftnlen, um bie fdjtoete 
2:^täne ju betbergen, bie feine bleiche, gefurzte SCßange 
hinabrollte. ßimbach Betrachtete ihn fchtoeigenb boE beS 
innigfien ^JUtteibeS. ©ein anfänglicher ©ebanle befcfjäftigte 
ihn aufs 9leue. 

„konnten Sie benn leine einträglichere ©teile erhalten 1 ?" 
frug er nach längerer $aufe. „9IIS Kaufmann hätten ©ie 
hoch auf einem Eomptoir Sefdjäftigung fudjen fönnen als 
Suchhalter ober bergleidjen." 

„2öer nimmt benn gerne einen abgelebten ©reis mit 
gamitie, unb noch baju einen, ber banlerott getoorben 
ift, obgleich er bon Utechts toegen freigefprodjen toerben 
muftte? — £), ich hab’S lange berfudjt, bin in meinen 
Slnfptüdjen bon ©tufe au ©tufe Ijetabgefiiegen, bis baS 
teftte ©tücf unferer übrig gebliebenen höbe berlauft ober 
berpfänbet toar, unb ich ©ott S)anl fagen muftte, baft 
ich überhaupt einen Soften erhielt; ich 3 ähle nun fdjon 
beinahe breiunbfiebenaig Sahre unb arbeite ftebenaehn babon 
im Sureau beS SDoltor trennet." 

„Unb auch für 3h* e Tochter fanb ftch nichts SeffereS, 
als ber lätgliche Serbienft mit ber stabet 1 ?" 

„2)u lieber ©ott, eS ift heutgutage 2lEeS berart mit 
©oubernanten , Sonnen unb Sehrerinnen überfchtoemmt, 
baft eS faft unmöglich ift, ohne einfluftreiche Selanntfchaften 
unb Empfehlungen in befferen häufern unteraufommen. 
3ubem lonnte ich meinem ßottdjen nicht mehr bie gute 
Erziehung au S^heil toerben taffen, toie fte noch meine 
. anberen Äinber genoffen, bie mir ber hen gerabe ge* 
^ nommen hot, als fte aumeift an ber ©chtoeEe beS felbft- 



Digitized by Google 




14 



ftamitienefjre. 



ftäitbigen Sebenä ftanben unb ihre ermotbenen Jfenntniffe 
öermerthen fottten. Ehartotte erhielt nebft ihrer ge»öhn= 
litten ©djulbilbung nur beti Unterricht, ben ich unb meine 
3frau ihr allenfalls ert^eiten tonnten, ba§ genügt nun 
alterbingS nicht, um bie Stnfprüdhe ju befriebigen, bie 
man an geprüfte Sehrerinnen ober begleichen fteltt." 

„Sun, »er toeifj, man fudjt hoch oft brabe Stäbchen 
als HauSrcpräfentantinnen in einfache SGßirthf^aften, ober 
Sonnen, bie eigentlich utehr als ©efettfdhafter innen für 
junge Stäbchen fungiren fotten 1 ?" 

„Sia, getoifj, aber — »ie gefagt — ba^u brauchte 
Empfehlungen, Empfehlungen — moher fott ich folcbe 
nehmen*? Unfere Setanntfdjaft in ber Seftbena h^r be= 
fdjräntt ft<h auf einige HauSgenoffen, bie aber nicht mehr 
Serbinbungen haben als mir — fo gut »ie gar leine. 
Sin unferem Heimathftäbtchen aber, too ich mit Stolj 
einen guten Samen aurüdflieb, bürfte ftch taum Einer 
noch finben, ber jtdj unfer annehmen tönnte ober »oltte. 
Söer »eifj, ob man fich überhaupt noch beS unglücflichen 
Slalob Söalfer bort erinnert! 2öir haben bie (Stabt ber= 
taffen, »eil eS uns hoch nicht behagen fonnte, als Herab= 
getommene bebauert ju »erben, unb »eit toir auch bie 
Hoffnung h c 9 teu, h^r tu ber Sefibena unS eine beffere 
3ufunft begrünben au tönnen. — Sich ja, eS ging uns 
mit unferen Hoffnungen toie fo manchen 2tuS»anberern, 
bie über ben Ocean reifen, in ber Steinung, ba brüben» 
in ber neuen SJett ein ©otblanb ju finben. Söenn 
fte 3 ur Erfenntnifj ihrer furchtbaren Enttäufchung tommen, 
haben fie teine Stittel mehr, fich nach ber öerlaffenen 



Digitized by Google 




flionmti uoit Garl Gb. Klopfer. 15 

|>eimatlj äuvüciautoenben , unb müffen nehmen, maS ftd) 
ihnen bietet." 

„$ören ©ie, lieber perr Sßalfer," fagte her SBaron, 
nad)bem er abermals einige ©elunben lang überlegt Ijatte, 
„ich lann ©ie nicht bor Syrern .paufe abfeften, ohne 
in 3h rer 33ehaufung boraufprechen. GS mürbe mich feljr 
intereffiren , $h te 8familie lernten au lernen. Vielleicht 
!ann ich mich 3h nen au f b* e eine ober bie anbere 2lrt 
nützlich ertoeifen, maS mein aufridjtigfter «peraenSmunfdj 
märe." 

SBalfer blidte gerührt au bem jungen Gbelmann auf. 
Gr moEte feine |mnb ergreifen unb ihm feinen heiftcn 
3)an! auSbrüden für feine bereits bemiefene Güte, bodj 
ber Varon, ben nichts peinlicher berührte, als meidjmütfjige 
©eenen, lieft ihn nicht au Sßorte lommen. 3um ©lüd 
für ihn hielt bie S)rof<hle jeftt gerabe bor ber „filbernen 
9tübe", ihrem 3iele. Gr fprang aus bem SBagen. 

„©o, ba mären mir!" Gr reichte SBalfer ben 3lrm 
unb mar ihm beim SluSfteigen behilflich. 

211S fie bie erfte Slreppe beS pintergebäubeS langfam er= 
fliegen, !am ihnen fdjon Gharlotte unb hinter ihr VoEbredjt 
entgegen, bie bom Senfter aus bie Slnfommenben burch ben |>of 
hatten fchreiten fehen. S5aS Vtäbdjen flog feinem Vater um 
ben «palS unb beftürmte ihn mit taufenb ängfttichen fragen; 
baS angegriffene SluSfeljen beS ©reifes lieft SlEeS errathen. 
^ -^S3itte, mein Fräulein," mehrte ber Varon fanft ab, 
„faffen ©ie ftdj, eS ift nicht fo fdjlimm. UeberbieS mirb 
3h* SBnter jeftt bor 2lEem ber 9tuhe bebürfen." 

VoEbredjt, ber ben ©achberhalt im 9tu überblidte, 



Digitized by Google 




IG 



ftamilienehre. 



eilte ^erau unb filmte mit Sintbach gemeinf(haftli<h bett 
©dfjreiber in feine SBo^nung hinauf, an beten ©chmelle 
fte fcljon bon §tau SBaller empfangen mürben. 2)ie atme 
grau fonnte ftdfj laurn aufrecht erhalten, ihre Jhtiee jittetten, 
fte muffte fid§ an ben Xljütpfoften ftüpen. S)ie Spänen, 
bie fte mit ihrer #anb bon ben Söangen au mifdben Bemüht 
mar, liefen fte nicht au Söorte lommen. ®et ©dbriftfteller 
minlte ihr begütigenb ju. 

Gnblidh mar SSallet im erften ©tübdfjen auf baS 
©opha geBettet. Gr «Hätte mieberholt, et Bebötfe gar 
nicht mel)t bet ©orgfalt, ba er fidh fdhou gana Iräftig 
fühle, unb bet S3aron beruhigte ihn mit bet 33erjtdherung, 
bieS gefd£)äl)e nur, um ihm bollenbs Gelegenheit au geben, 
ftcb in lüraefter 3eit au erholen. heimlich berljeljtte et 
jtdh freilich nicht, baff bet guftanb beS Älten ein meit 
fritifd^erer mar, als biefet felBfl glauben mochte. Unb bie 
fdjnteraerfüUten dienen bet beiben grauen fpradben un* 
gefönt benfelben Gebanfen aus, bem man nur bot bem 
Patienten nicht SBorte geben mottte. 

Simbadb a°9 Sottchen unb ben ©djriftfteEer in ein 
fd§einBat unbefangenes Gefprädh übet S)ieS unb 3fcueS, 
aber i^te SSlicfe, bie bon Seit au 3eit nach bem Saget 
beS ©dhreiberS ^inüberfd^toeiften , berftanben fidj. 25et 
SBaron, bet gleich Beim erften Slnblicf burdb bie Xieblid^e 
Grfdheinung beS jungen Stäbchens fehr angenehm berührt 
morben mar, fanb im Saufe bet Unterhaltung immer mehr 
Gelegenheit, Ghartotte fdhäpen au lernen unb auf ben Ge» 
banlen autücfaulommen, ben et auf bem ^etmege in bet 
2)tofth!e im Ümiegefpradhe mit ihrem $ater gefaxt hatte. 



Digitized by Google 




ittoman uou CSarl (Sb. Klopfer. 



17 



9luf baä ängftticbe Verlangen beä ©djreiberä, feilten 
@bef, ben SDottor Brenner, bon bem Stoif^enfaHe, ber itjn 
betroffen, au berftänbigen, moHte £ottcben fogleidj ben 
2Beg nach ber ßanalei antreten, aber 33oltbre<bt, ber fetjr 
toobl toufjte, bafj ihr biefer ©ang fe^r unertoünfebt fein 
mu|te, gab bieS nicht $u. (Sr nahm bie 2lftentafdje an 
ficb nnb erflärte, felbft geben ju tooHen. 

„(Sä ift am beften fo," ftimmte ber S8aron bei, ber 
ben jungen *Utann gerne allein gefptoeben hätte. „<5ie, 
mein Fräulein, unterftütjen Sb« Butter als Äranfen* 
Pflegerin, toäbtenb -£)err SSoltbrecbt unb icb nach bem 
Sureau toanbern, mein 2öeg führt midb gerabe babin. 
2Bir tonnen toöbrenb beffelben gleich ben Slr^t berftänbigen, 
bafj er fid) b^ einftnben foE. — Serubigen ©ie ficb, 
4?etr Spalter, e8 ift bie§ nur eine Slrt Formalität, um 
Sb^en bon faebberftünbiger ©eite beftätigen au taffen, bab 
— bab Sb* 3uftanb toirfticb leinen Slnlab au Seforgniffen 
gibt. — kommen ©ie, $err SSoEbrecbt!" 

(Sr berabfebiebete ficb bon ber Fcumlie unb berlieb 
mit 9tidjarb ba3 3intmer. 

SKIS bie £büt hinter ihnen jugefaHen mar, nahm bie 
SJliene ßimbacb’ä freilich einen toeit ernfteren Sluäbrud an. 

„S)er Strme," fagte er leife, „er ahnt bieEeid)t mirflitb 
nicht, toie eä mit ihm ftebt." 

„'Jtein, 4?err 33aron," entgegnete S3oItbre«bt, mäbrenb 
er mit ihm bie Üreppe btnabftieg, „ich glaube, SBalfer 
gi6t ftd) über feinen 3uftanb leinen Xäufcbungen mehr 
bin; er butt nur feine Familie nicht ba§ 3lergfte fürchten 
laffen. Freilich , ma§ nüfct baS 1 ? <Sr lann eä ihnen 

3a^r0. 1889. Sb. XII. 2 



Digitized by^oogle 




18 



ftantilicttebre. 



bodj nicht berbcrgen, unb id) fürdjte, e£ toirb mit ihm 
fc^nctC au ©nbe gehen." 

ßintbadj nidte mit bem $opfc. „3<h hdbe tä gleich 
erfannt; e§ brauet aud) tüa^rltd^ nicht mebicinifcher tont* 
uiffe, um bent Sitten fein ßeiben bom ©cftdjte abaulefen." 

„SJtein ©ott, ntid^ erfdjüttert nur ber furchtbare ©e= 
baute, toa$ bie armen grauen beginnen foHen, toenn ba§ 
Unausbleibliche eintritt; fte fcheineu fidf auch toirtlidj 
barauf gefaxt ju machen, toenigftenS ßottchen — Srtäulein 
dljarlotte toollte ich fagen." 

„3a, e§ mii|te eigentlich fchon je^t mehr für biefe, 
als für ben tonten SSorforge getroffen toerben. 9tun, 
baS liebe fich bietleicbt machen. 3<h h°fa mir fd^on 
borhin ein ^tünchen auSgebadjt, baS ft<h toohl ber= 
toirttidjen mirb. Söie benten ©ie barüber, toenn man 
bem TObd)en eine angenehme ©teKung berfchaffen toürbe, 
einen Soften aunt SSeifpiet als ©efettfehaftsbame bei einem 
fcljr jungen SJtäbchen, in einem guten Tarife? ©tauben ©ie 
nicht, bafj Fräulein SBatter fich 3 U einer folgen ©tettung 
eignen toürbe ? ©ie fdjeint mir genügenbe ^er^enSbitbung 
unb abgeftärten fittlichen ©rnfi, unb hoch toieber auch 
genug 3ugenbfrifdje p befttjen, um einem h«antoa<hfenbeu 
SJtübdjen nicht nur eine gührerin, fonbern auch eine 
Sfreunbin fein p tönnen." 

,,©ie hätten toirtlich eine fotche SluSftdjt für fte? SUj, 
baS toäre ja h^lich! ©eien ©ie getoib, fftäutein 
aöatfer toäre unter fotchen 23erhältniffeit ganj auf bem 
redeten $ta|e, unb fotoohl fie felbft, als auch ihre ©djub* 
befohlene tönnten nur getoinnen," 



Digitized by Google 



SRomun oon (5arl (Sb. Älopfer. 



19 




' Unb nun erging ftd; 93oHbred)t im begeifterteu ßobe 
beä 2Jtäb<hen3. <5r toufete alles baS, toaS ßimbadj feXbft 
fdjon in ben Jurten Minuten ihrer 33efanntfdjaft an ihr 
erraten hatte, mit ben toärmflen Farben auSauntalen. 
2lbct in feine £ obrebe mifchte fid) auch ein leifer 3ug 
ber äöeljmuttj, toenn er ftdj bie 'Jtothtoenbigfeit bergegen» 
toärtigte, ßottdjen, bie ihm im täglichen SSerfehr immer 
teurer geworben, in 3ufunft entbehren au müffen. 

„(5i, ei, #err SSottbredjt," unterbrad) ihn ber SSaron 
enblidfj lödjelnb, ,,©ie geigen ein fo inniges $ntercffe an 
ber jungen 2)ame, bafe ich tooljl nicht fehl gehe, toenn 
ich bermuthe, bafj a to if<h e u Shuen unb Fräulein äöatfer 
ein aarteS £eraen8bünbnifc Befielt?" 

SRicharb errötete unb bife ftdj in bie Sippen. „9tein, 
$err 33aron, ©ie täufd&en ftdj. Fräulein 3Balfer unb 
id) unterhalten ein rein freunbfd^afttid^eS 23erl)ättnifj au 
einanber. 3<h Wnnte 3huen ben Sctoeis liefern, bafj bou 
innigeren 33eaiehungen aroifc^en unS feine 9tebe fein fann." 

„Wun, nun, ich glaube Sljuen ja, toenn ©ie mich beffen 
berjidjern. 2ßaS h&tteu ©ie auch ffa einen @tunb, bie 
SBahrheit au berleugnen? 3<h toiH auch nidjt inbisfret 
fein. — SlpropoS, ©ie finb ©dfjriftfieKer , toie ich ber» 
nahm?" 

„3ch möchte eS toenigftenS fein ober bilbe mir ein, 
eS au toerben. ^freilich fann ich jefct noch f° Qut toie 
gar feine Chfolge auftoeifen — " 

„S5aS braucht 3cit, natürlich- 9lber, beraeihen ©ie, 
bafj ich 3huen baS fo offen geftehe, ich habe ^eute burch 
ben fo unerwarteten 33efu<h in biefent ^>aufe fDtenfchen 



Digitized by Google 



20 



ftamilieneljre. 



{ennett gelernt, au beuen idj mtc^ freue, toie man fidj 
au einer lofttaren Geltenbeit erfreut, ©erabe betöuS* 
gefagt: Gie gefallen mir, Söerebrtefter, glauben Gie mir, 
itf) mürbe midj glfidlidj fdjü|en, menn ich 3b nc n auf 
ßebenStoege förberlidC; fein fönnte. -fraben Gie 
bielleicbt irgeub eine bebeutenbere Arbeit fertig, unter ber 
fjeber ober erfl in ber 3bee?" 

„3<b boffe in ben nädjften £ageit einen Stoinan ju 
öollenben, in melcbem id) mein befteS Äönncn nicbergelegt 
ju höben glaube." 

„211), fel)r gut. SOßoÜen Gie fo freunbliib fein, mir 
in baS 2Jtanufcript ©inblid ju gemäbren?" 

„3cb merbe eS mir jjur @b« anretbneit." 

„2BaS trügt 3b* Vornan für eine allgemeine Färbung?" 

„©r befdjäftigt fi(b mit ben moberncn geitfragen. 
3d) höbe bie |>anblung auf ben 9Jtifjftänben unferer fo* 
Rialen 23erbüttniffe aufgebaut." 

„33 ortreff lieb, bann lönnen Gie fdjon im 33orauS 
meinet regften SntereffeS getoifj fein. Gcbenlen Gie mir 
alfo, bitte, recht halb baS 33ergnügen 3b r ^ 33efudjeS 
unb bringen Gie mir 3b* en Vornan mit! — llnb toaS 
Fräulein SBalfer anbelangt, fo hoffe icb 3b nctl gleichfalls 
febon morgen eine befiimmte ©ntfdjcibung geben &u lönnen. 
3d) merbe beute nodj mit -fperrn o. 33lanf Sftüdfpradje 
in biefer 2lngelegenbeit nehmen. 3dj ttage mich näntlidj 
mit ber Sfbee, ffrräutein Skalier $ur ©efellfdjaftSbame 
ber ©omteffe ÄamiHa SöernSbaufen, eines jungen TObcbenS 
bon etma hieran bis fünfzehn fahren, borpfebtagen. 
3dj glaube auberfubtlicb, eS mirb fub machen laffen. 2)er 



Digitized by Google 




SRoman oon (Sari @b. Clopfer. 



21 



3 uftimmung bet Somteffe, bie gerne bie ^enjton berlaffen 
möchte, bin idj {ebenfalls getoifj." 

ioübredjt toar natürlich auf’S $ödjfte erfreut über 
baS 33otl)aben beS 33aronS. 2llS er ftd) bon iljm betab* 
fdjiebete, toar fein ©emütl), baS nodlj bor Current bon 
bangen 93eforgniffen erfüllt getoefen, bon ber fdf)önften 
Hoffnung erhoben unb gefdtjtoetlt. 

Kd^etjntes Kapitel. 

^arneoaf tn glom. 

©raf SuliuS b. ©oStoit} toar mit feinem fdjtoebifdfjen 
greunbe, einem 5ßrofeffor ßorenfen, ftf)on in Verona au= 
fammengetroffen, unb Ijatte mit it)m ben 23orfa£ gefaxt, 
einige Sage in 9tom 311 bertoeilen, too fte — eS toar im 
£$ftül)ialjr 1870 — mitten in baS lu|lige SfafdjingStreiben 
fjineingerietljen, baS fo red^t geeignet toar, ein paar 9Ser= 
gnügungSreifenbe in feinen betäubenben unb boef) toieber 
jerftreuenben Strubel mit fortaureifjen. 

Sie mieteten eines ber teictjtgebauten, atoetfipigen offenen 
Cabriolets, ©oStoip patte bie bunte Sracpt eines beutfcpen 
ßanbStnedjtS aus bem 16. ^aprpunbert getodplt, toöprenb 
fiep ber toütbeboHe ^rofeffor mit einem eleganten perl* 
grauen S)omino begnügte, unb liefen fiep mitten in baS 
©etümmet ber raufepenben CarnebalStporpeit fahren, bie 
ipnen biel beS bleuen bot. 

2)aS ©etoüpt ber 2JtaS!en unb ber SQßagen auf bem 
Cotfo bot ein pöcpft anaiepenbeS 93itb, um jie perum jaulte 
unb jubelte eS, boep bitbeten ber ©raf unb fein Begleiter 




22 



ifamifiene’fjre. 



nur paffiöe Söeobad^tev biefeä luftigen Treibens. ©oStoip’ 
Pornehme ßtl<heinung in bern glönaenben Äoftüut betoog 
manche toeibliche Vtasle, ftch ihm an nähern unb auf it)n 
allerlei Slufmerlfamfeiten, Vlumenfpenben ober Konfetti* 
toürfe p richten. 

Vei einer ber Störungen, toie fte alle Slugenblicfe im 
©ebränge ber Ijitt unb her fahrenben Söagen entftanben, 
fireifte ihr gahraeug bidjt an eine prunfoolle ©quipage. 
©oStoip fah auf unb toarf einen untoittfürlid) betounbern= 
ben VlidE auf bie Snfaffin in einem hellblauen Sammet= 
bomino, bie iT^n einen Moment mufierte, fich bann aber 
abtoanbte unb ihrem $utfdjer aurief, in eine Seitenftrajje 
abaulenfen. 2)er ©raf hotte ben S)omino fdjon früher in 
ber 3?erne bemerft unb toegen feine? fehr gefchmadfoollen 
ßoftümS betounbert. S5ie Stimme, bie er jefct hinter ber 
hellblauen SeibenmaSle Ijerbortönen hörte, machte ihn 
fluten, ©r fuhr empor. 

,,©i ber Saufenb," fagte er nachbenüich , „biefen $on 
füllte ich ja lennen! 9tur führt mich öaS italienifche 3biom 
irre. Slber ich hin gettnfs, ich hübe biefe helle, metallene 
Stimme fchon beutfdj fpiedijen gehört, £nt, too benn nur?" 

„Vielleicht eine interejfante Velanntfchaft aus ber 3cit 
Shrcr Sugenbliebeleien, ,£>err ©raf," meinte ber 5ßrofeffor 
lächelnb. 

„'Rein, nein," lachte ©osnnfc, „eS finb beren nicht fo 
biele getoefen, um mich nicht fofort an bie Vetreffenbe 
erinnern au tönnen!" 

„9hm gleichbiel, ba hätten Sie ja gleich einen 2ln* 
InüpfungSpunlt a« einem Abenteuer. Vor einigen Stunben 



* 

Digitized by Google 




Vornan oon ßarl (?b. .(Tlopfer. 



23 



noch bebauerten ©ie, bafj mir hiet Seine SDamenbelannt» 
fdjaften befäfjen, um einen $arnebalgfcher«j in ©eene p 
fe^en. 2)iefer blaue ©ammetbontino fte^t mir inbeffen 
ganj barnadj aug, alg Wäre mit ihm eine recht anjiehenbe * 
Ntagfenintrigue anplnüpfen. SJiefe bunlten Augen fprütjen 
entfliehen ©eift unb ßeibenfehaft." 

„Ntag fein, aber fotche Abenteuer finb tpr p Sanbe 
fetten ohne ©efaljr p befielen. Söenn auch ber Nömer 
nicht fo raefjeburfüg unb ^i|ig ift, toie etwa ber 23enetia= 
ner ober ber Neapolitaner, fo lomrnt eg bem ober jenem 
ßiebljaber, ber ftch in feinen Netten berfürjt glaubt, auch 
nicht auf einen 2)otc§ftidj aug bem Hinterhalte an." 

Sorenfen fah feinen Nachbar ettoag jtoeifelnb an unb 
lächelte. „Sfdj Iptt berlei nur noch in btx ^ß^antafie 
ber Nomanfchreiber für möglich." 

„S)a täufchen ©ie fi<h, Herr 5ßrofeffor," ertoieberte 
©ogtoih ernft. „3$ felbft hotte fßfi ©etegenheit, bei 
meinem erfien Aufenthalte in SJenebig — bor ettoa fedfjg 
fahren — biefe traurige Söahrheit an mir p erproben. 

3ch h Q tt c eine fleine ßiaifon angelnüpft, bie, fo tjotmlog 
fte toar, hoch b ß 3 ©emütlj eines jungen Beamten berart 
erregte, bafi er — ich glaube atg ber (Souftn ber be* 
treffenben ©chönen — mir bei hellem Xage unb auf offener 
©trajje auflauerte. 3(ih tourbe gewarnt unb ging nicht 
mehr ohne Söaffe aug. SBirltich lam eg an einem 
Abenb p einem 3ufammentreffen , toobei fich ber junge 
Heififpom in feiner eiferfüchtigen 2öuth, pm @tüd£ für 
mich unb ihn, fo ungefchiett benahm, bafj ich ihn mit ber 
erfien Bewegung entwaffnen lonnte. begnügte mich 



Digitized by Google 




24 ftamtttenefjre. 

bamit, feinen feblgegangenen *Dtefferftofj mit einer gut 
germanifdben SJtaulfcbetle au ertoiebem unb liefe ibn 
laufen. 2ßag glauben ©ie, ber racfjfüdjtige ©efell, bem 
bev ,XebeSlo‘ entwifdjt mar — idfj Ijielt eg nämlicb für gut, 
meine Slbreife au befcbleunigen — füllte fein SJlüt^d^en 
ohne SBeitereg an bem nädbftbeften ßanbgmann Pon mir, 
ber il)m aufäÜig in bie $änbe lief, tro^bem biefer ganj 
unfd^ulbig toar. 3cb crfunbigte mi<b auf meiner bieg* 
maligen SDurdjreife nadb bem SÜenetianer, er fitst nodj im 
©efängniffe, mag inbeffen feine Kollegen leinegtoegg ab« 
galten bürfte, eg ibm bei paffenber ©etegenbeit gleicbau* 
tbun. @g ift inbeffen auch f<3jon Porgefommen, bafj ein 
b5Hig f^ernftebenber einem Srrtljum unb einem falfdb 
abreffirten ©titetftofe aum Opfer fiel. Ueberbieg fommt 
eg befonberg ^Blutgierigen auch nicht barauf an, einen 
gtemben, auf ben fie nur ben leifeften Sßerbad&t gelenÜ 
haben, gleid&fam aug ©pieterei mit einigen SoÄ ©ifen 
atüifcben ben 9Uppen au Übeln." 

* „9ta, id§ banfe feljr ! $($ toünfdbte mir einen fd&öneren 
2ob, alg ben Pon ber $anb eineg fcbmupigen Saaaarone 
in irgenb einem finfteren ©trafjentoinlel." 

SBieber toar ber SOßagen beg ©rafen geatoungen, in 
ber allgemeinen ©tauung im langfamften ©d^ritt au fahren, 
©ogtoifc unb ber Sßrofeffor Hielten über bie ^in unb 
ber toogenbe ÜJlenge unb taufdjten ihre Semerfungen bar* 
über aug, alg fie toieber Pon ber ©quipage geftreift tour* 
ben, in toelcber ber blaue 2)omino Pon Pombin — biegmal 
aber nicht mehr allein — fafe; eine 3 toeite ÜJlagfe , im 
$oftüm eineg egpptifcben SBabtfagerg, butü neben ihm 



Digitized by Google 




Vornan oon ©ar( ©b. Ätopfer. 



25 



Iplafc genommen. SSeite, faltige Slermel gingen bon bem 
fcBtoarafeibenen ü£alar ^eraB, eine rieftge fpifce OTfce, mit 
alXertei faBBalifiifcBen 3ei<Ben Bemalt, Bebedfte eine toeifje 
Socfenperrüdfe, bie ficB unter ber fcBtoar^en ©ammetljalB* 
larbe mit einem langen ÄinnBarte berfdjmola. 

„SIBf feB*n <Sie, !profeffor, ba B<röen toir ja toieber 
ben BimmelBlauen S)omino, unb biefer SöaBrfager ober 
©ternbeuter mit bem 3utferBut auf bem Äopfe, baS ift 
tooBl bie neuefte ©roBerung ber Blauen ÜJlaSfe !" 

S)er Blaue SDomino fcBien biefe SBorte beS ©rafen 
gehört ju l)aBen, benn er toanbte ficB plöfctidj nacB ber 
©eite. ©oStoip faB ein bunfleS, grofjeS, BlifeenbeS 9lugen= 
paar auf fidj gerietet, einen fdjarfen, funfelnben 93licf, 
auS bem eine toilbe SeibenfcBaft leuchtete — bann rollte 
bie ©quipage PoriiBer. 

„-£ja!" rief ber ^rofeffor, als Mjr Sßagen nun toieber 
flott getoorben toar unb mit ben anberen ben Äorfo 
Binunterrottte, „IjaBen ©ie ben glüBenben Vlicf gefeBen, 
ben 3B^en biefeS 2BeiB jutoarf? ©ie ftBeint au<B in 
3B*« ©timme tooBl ettoaS VelannteS geBört 3 U BaBen." 

„VtöglicB- 3lBer icB Bin je^t toaBrBaftig au nicBtS 
toeniger als au einer Verfolgung biefer VtaSfe geneigt. 
2öaS toirb baBinter fietfen? V°B, i<B benle, toir träten 
am Beften, unfern ertoacBenben Appetit ju Beliebigen." 

„3<B Bin baBei," ftimmte SPxofeffor ßorenfen lacBenb 
ein. „ßaffen ©ie uns ein gutes föeftaurant auffmBen unb 
unS Bei einem auSgieBigen SDiner erBolen. SDiefe QraBxt 
in ber froftigen Suft maiBt toirllitB meinen ganzen nor* 
biftBen junger ertoacBen." 



Digitized by Google 




26 



ftamütenefjre. 



„kommen Sie, ich tuitt Sie in eine Keine Dfieria 
führen, bie ich bei meinem testen Slufent^alt ^ierfelbfl, 
bor biet Sfa^ren, entbedEt habe, hm man bie befie Polenta 
unb bie berrlicbfien 2ftaccatoni in gana Italien finbet. 
2luch einen echten Sactimae ßljtifti führt bort ber SOßirth- 
Sßit fönnen fetbft in ©orten! feinen bejferen trinfen." 

Damit rief ©oSmitj bem Äutfcher ben Flamen einer 
Heineren Strafte au, nach meiner fich ber Söagen fofort 
in 33emegung fefcte. 



9lm Spätnachmittage erft berlieft bie ©quipage, in 
meldjer ber SBahrfager neben bem blauen Domino faft, 
ben großen Äorfo unb toanbte ft<h einem ber erften rö= 
mifdjen Rotels au, bor toelchem bie Snfaffen abftiegen. 
Der Domino fprang auerft bie ©tufen aunt SSeftibüte 
empor, tote eS festen bott Unmuts, ohne fi<h nach bem 
Begleiter umautoenben, ber langfam nachfolgte. 

2fn einem Keinen, aber fehr elegant eingerichteten 
Salon ber SSeletage mürbe ber borauSeilenbe Domino 
bon einer älteren Dame empfangen. 

„9lh, enblicfj!" rief biefe ftdjtlich erfreut. „3c& toarte 
nun fdtjon feit hier Stunben auf Sie, Q-rau 33atonin!" 

„2öe§halb?" fagte bie Slngefprodjene Iura unb tift bie 
©efuhtalarbe ab, fte mit einer ^efttgen töetoegung a u 
S3oben fchleubetnb. „^aben Sie ettoa noch nicht binirt?" 

„9tein, ich habe feit bem Dejeuner noch nichts in mit 
genommen, ba ich ©ie ja mit jeber Minute ermatten au 
fönnen glaubte — " Die alte Dame hielt plöfclich inne, 
als fie in baS ©eficht ber Slngefomntenen blicfte, baS mit 



Digitized by Google 




Vornan von Kort (5b. JUopfer. 



27 



aorntger tftötfje bebedt toar. „Slfja," badete fie ; „ba fytt 
eS toieber ettoaS gegeben — nun, tote alle £age, tote alle 
Sage." 

S)ie Slnbere ftampfte äornig auf ben Steppidj. „2öie 
oft ntufj idfj eS 3ljnen benn nod£> fagen, grau 0. ©poljr, 
bafc toir uns auf Reifen beftnben unb bafj idj butdfjauS 
bon allen Sförmiid^feiten abfeljen toiK. SSetradjten ©ie 
fidj als ganj unb gar felbftftänbig ; midfj peinigen 3l)re 
pebantifdjen Zeremonien. Unb jejjt bereiten ©ie ftdj unten 
ein S)iner!" 

„Unb ©ie, grau S3aronin?" frug bic gute $uenna 
berfdfjfldjtert. 

„3d(j effe überhaupt nidfjtS tneljr — laffen ©ie miclj — 
geljen ©ie — ©ie bringen midfj um mit 3fj«tt etoigen 
peinlichen fragen! — 3a, noch eins, grau b. ©poljr, 
©te lönnen nadjljer unfere Koffer padfen; toir reifen morgen 
toieber ab bon hier." 

„SSo^m?" erlaubte fidj bie gute 3llte fdjftdjtern $u 
fragen. 

„$)aS toei| idfj nodfj nicht beftimmt," ertoieberte bie 
Slnbere ungebulbig; „biefleid&t nadfj SSenebig, bieUeid^t 
nadfj ^aufe jurütf. ©eljen ©ie, ©ie Ijaben midfj bemtodj 
falfch berichtet, ©raf Herbert äöernSljaufen ift in feiner 
grembenlifte ber itatienifdjen ©täbte au ftnben. 3dj glaube 
nun felbft, bafj er bie Otefibenj gar nicht berlaffen Ijat." 

„Silber eS Ijiefj bodfj — " 

„@S Ijiefj, eS Ijiefj! 9htn, feineStoegS taffe idfj ntidf) 
burdfj bie Ijäntifdfjen Sticheleien , bie midfj treffen mögen, 
obwalten, in bie IHefibena aurüdaufeljren, toenn ber ©raf 



Digitized by" Google 




28 



Familien ehre. 



feine ^oc^äcit hält. 3fch mufj mich baPon übersüßen, 
tt)a§ hinter biefev fonberbaren ^eirat^ägeftbiebte ftaft- 
SBüre er tüirHic^ abgereist, fo mürbe ich baran geglaubt 
haben, bafj lein #eraen§intereffe babei im Spiele ift, unb 
e8 märe mir ohne Smeifel gelungen, ben abermipigen 
Darren mieber . . . 2lber," unterbrach fie fich plö^lic^, 
al$ bepnne fie ft<b, bafi ihr Sel6ftgefprä(h nicht ohne 
Sengen fei, „jeijt gehen Sie hoch enblich einmal hinab! 
2öir lommen gleich nach!" 

SDie ©efettfdbaft§bame, bie ihre ^ertin toohl fehr gut 
tennen mochte, Perfchmanb bur<h bie Seiienthür, mäbrenb 
ftch Sene, ohne fleh erft Seit au nehmen, ihr Äoftüm ab= 
autoefren, in ben nüdjften Sehnftuhl fallen liefj. Sm felben 
Slugenblid trat ihr ^Begleiter in ber 9Jtaäfe be§ SBabr* 
fagerä ein. @r mollte fich ber 2)ame nähern, aber biefe 
manbte untoirfih ben $opf aur Seite. So trat er an 
einen 2ifch, legte bie fpifce fDlüpe, S3art unb ^errüde 
fammt ber ©eftdjtämaäfe ab unb blieb einen Slugenblicf 
unentfchloffen flehen, um fich bann toieber umaubrehen. 
@r fd^ien au a ö Qetn, ob et fte anfpredjen foKte. @nb= 
lieh fd^ritt er auf fie an unb fab ib* in ba8 erregte 
©eftcht. 

„Sürnft S)u mir, Srene?" 

25ie Slntmort mar ein geamungeneS luraeS Aachen, bal 
fo Verächtlich Hang, alä foHe e§ überhaupt bie Unmög= 
lichleit auäbtüdfen, fich über ben SragefteHer au eraürnen. 
3)iefer trat jept noch näher heran. 

„2)u ameifelft hoch nicht an meiner Siebe?" 

„£) feineämegS," fpottete bie $)ame, ihren Stuhl mit 



Digitized by Google 




Sfotium üoh 6atl (*b. Klopfer. , 29 

einer zornigen Setoegung nach iflcftoärtä ftofjenb, um ben 
Stötfdjenraum atoifcben ihr unb bern Staune au bergröfjern. 
„Slber ich Ijabe eS fatt, mich täglich mit ©ir au ganten. 
Steinft ©u, ich liefje mich bon ©ir tprannifiren ? Sodj 
bin ich nid^t ©ein 2öeib!" 

@r feufate fcbmeralicb unb müblte nerböä in feinen 
paaren, „freilich," fuhr er erbittert auf, „noch bift ©u 
nicht mein Söeib — toittft S5u eS benn aber überhaupt 
jemals ioerben? ©u qualft mich, ©u treibft mich jum 
Sßa^ntoib burch ©eine Faunen!" 

,,2lb» 2> u brebft ben ©Piefj um, madbft mir ben Sor* 
ttmtf, ben ich mit größtem fRed^te ©ir entgegen fdhleubern 
fönnte, boeb baS ift ia ©eine gelohnte '3lrt unb Söeife! 
Slber ich toiebertjole ©ir, ich bube nicht länger ßuft, ©eine 
forthübrenben 3°*ueSauSbrüdhe au ertragen." 

6r aitterte bor Erregung, als er ben ©alar betabrife 
unb ihn mit $ü&en trat. 

„©u b a fi eS barauf abgefeben, mich fqftematifdj au 
©runbe au richten bureb ©ein Setragen, Brene," feud^te 
er; fein ©ejtcbt butte ficb bunlelrotb gefärbt. „Ober 
meinfi ©u, teb foßte mich noch freuen bariiber, eine fRode 
au fpielen, bie mir febr beraehtlich erfebeint“? ©oppelt 
beräcbtlicb, toeil idj mich baau bergeben mufj, mir noch 
felbft ben Stachel in’S 3fleifcb au brfiefen." 

,,©obe nur aus, Stephan, tobe, fo biel ©u miUft. 
Söenn ©u eS tofinfebeft, fo laffe ich burdj baS Stuben» 
ntäbtben baS ganae |>otetperfonal fammt ben ©äften her* 
beirufen, um fie 5lEe au Beugen ©einer SButbauSbriicbe 
au machen." 



Digitized by Google 




30 



3umilieitet)re. 



„$öh ne nur, eS fteht S5it toohl an! HJleinethalbeit 
mag eS aber auch toirllich Sebermann ^5ren, mtd^ ffim» 
ntert’S nicht. 2)ir toitt ich iebodj fagen, bafj ich nid^t 
länger mit mir fpielen Xaffen !ann. 3a, toenbe 2)idj nur 
toeg. ,£>abe ich ettoa nicht SRec^t? Verlange, bafj ich mich 
bem ©rafen ttöernShaufen mit ber ttttaffe entgegenftette, 
bafj ich i^it töbte, ich toitt eS t^un, toenn eS fein mufj, 

aber ich toitt mich nicht bon 2)ir narren taffen, 3dj habe 

3)ir freilich fdfjon mein beffereö 6el6ft geopfert, meine 

föulje, atte meine frönen ^offnungSträutne — " 

„Unb fo toeiter, unb fo toeiter. Sitte, bemühe 2>id(j 
nicht, ich tenne biefeS Älagelieb feijon aur ©enüge, toenn 
2)u toittft, fage ich eS 2)ir auStoenbig ^er. ©ut benn, 
fo raffe $)id> auf ju bem männlichen ©ntfchluffe, ben 2>n 
am ©nbe biefer Hieben immer in’S Treffen führft. ,3<h 
felje ein, bafj ich meine HDlanneStofirbe nicht länger fo 

milhnnbetn taffen fann‘ — fo h«&t *3 in immer ant 
(Schluffe, nicht toahr? 9tun, fo rette 3)eine HttanneStoürbe, 
führe ben ©ntfdjlufj aus! 3<h toitt S)idh toahrlich nicht 
halten. HOleinethalben magft 2)u morgen — ja fofort bon 
mir gehen. 3<h ftreefe leinen Qfinger aus, SDidj au 
halten!" 

2)er HJlaler bifj fich auf bie Sippen unb rannte atoifchen 
Ihür unb dufter hin unb h* r > als f ut h e « fi<h gemalt* 
fam au beatoingen. 2)ieS fdjien ihm enblich gelungen, 
benn als er nach einer SBeile toieber bor ber Saronin 
flehen blieb, toar feine ©timrne fehr ruhig getoorben, nur 
bem leifen Seben beS XoneS merfte man bie hinburch» 
llingenbe ©rregung an. 



Digitized by Google 




Vornan oon Garl Gb. Klopfer. 



31 



„3rene, e§ mu^ Sir felbft Har getoorbett fein, bajj 
unfct 33er!ebr in biefer SQBeifc nicht länger fortbeftebm 
lann. 3<b Bin Sir fytxfyx gefolgt, fungire als Sein 
fReifemarfdhall, eine 2lrt b ö b cter Wiener; gut, idh toill 
bogegen nichts fagen, aber Su felbft nannteft mich fd^on 
Seinen ^Bräutigam, unb idh fü^te bodh, bajj ich ber= 
geblic^ midh Sir aufopfere. Su ^öUft mi<b bon Sag au 
Sag bi«, Su toirfft mir je^t einen SBrofamen Seiner 
©unft, ein gnäbigeä Sädjeln au, um mir immer toieber 
au fügen, Su müfjteft unfere SBetbinbung toieber unb 
toieber auffdhieben." 

„So, unb baft Sn benn nidbt felbft berfprodhen, Sieb 
meinem Sienft au toettjen, mir au meinem 23orbaben be* 
bilflidj au fein, etje Su meine #anb begebrft?" 

„So laffe Seine $piäne enblidh aur Steife fontmen, 
fteHe mich auf einen Sofien, too ich mir mit einem Silage 
ben 5fJrei§ Seines S3efi^e8 erringen lann, aber lajj mich 
nid£)t aunt Starren b ß *abfinten, unb ein foldfjer müfjte id(j 
fein, toenn ich nid^t mer!en füllte, bajj Sir ©raf SöernS* 
tjaufen nodj immer mehr gilt, als Su glauben laffen 
toittft. 2fdh fomme nach unb nadb a u ber Sfemtutbung, 
Seine ganjen plänteleien batten nur ben 3u>edE, i^n ge= 
toaltfam toieber au Sir aurütfaufiibren." 

Sie ©leicbgiltigfeit, toelcbe bie SBaronin MS je^t ge= 
beudbelt batte, tourbe jefct plöfclidh burdb einen 3°m3= 
auSbtucb unterbrochen. Sie fprang bon ihrem Stuhle empor 
unb trat auf ibn au. Gr brach ab, auch feine Stimme batte 
jtcb mit feinen lefcten Söorten toieber gefieigert. Sirene 
ftanb hart bor ibm. Sb* ß b°b ß Grfcbeinung fdhien ibn 



Digilized by Google 




32 $amiliencbre. 

fafi au iiöerragen ; er füllte ihren beifjeu Sltfjent in feinem 
©eficht. 

„|)üte SDidj!" aifd§te fie ^tnift^en ben fnitfdjenben 
3äbnen berbor, „hüte 2)i<h, bafj ich 2)ir nid^t S)inge fage, 
bie — bie mich felbft gereuen fönnten. Sch taffe mit feine 
33orfdjriften bon 2>ir machen, baS merfe! Söenn eS $)ir 
niöfjt gefällt, mich burch eine männliche, auSbauembe S3c= 
barrlichfeit ju gewinnen — fo gebe!" 

„Sa. ich gebe, ba 3)u eS benn fo haben toiHft, aber 
efje ich 2)ich berlaffe, toieberple ich 2)ir, bafj ich über- 
aeugt bin, 2)u pbeft ein innigeres Sntereffe an bent 
©rafen." 

„2!pr! Sch feilt mich an iljm rächen, aber ich liebe 
ip ebenfo toenig als S)id). w 

SSranbt breite ihr tro^ig ben dürfen au uitb toanbte 
fttf) gegen bie 3p*. burch n>el<he fie SBeibe eingetreten 
toaren. 9tn ber Sdpelte blieb er nochmals fielen unb 
fab autücf auf Stene, bie ft<b in einen ©djaulelfiuljl ge= 
toorfen ptte. 

„Srene, tafj mich nicht mirflidtj bon 2)ir geben — " 

Sie erhob ben flopf. M, $u bift noch ba? 3d& 
glaubte £)id§ fcbon untertoegS nach 2>eutfchtanb." 

Gr ladfjte ärgerlich auf unb trat einen Schritt bor. 
„2)u liebft eS, mich mit fpöttifd^en S3emerlungen au quä- 
len, 3)u fprichft im 3otne SBorte, beren £ragtoeite 2>u 
gar nicht au ermeffen bermagft, toeil fie $)it nicht aus 
bem £>eraen fommen, ober 2)u mittft mich abfichtlich bon 
SDit entfernen, um bamach eine um fo füjjere Serföhnung 
au ermöglichen; ich lenne 2>i<h, baS gehört fo au deinen 



Digitized by Google 




SRotnan non ßatl @b. Stopfer. 



33 



SieBljaBereien, aber icß fann mid^ nicßt länger Seinen 
Saunen fügen, baS muß anberS toerben." 

Sie trällerte leife eine Btelobie bor ftdtj ßin unb 
fcßaufelte fid§ talhnäßig toeiter, toobei fte auf iljte Stiefel* 
dßen ßeraBfädfjelte, beren Spieen mit regelmäßigem 2luf* 
fdjlag ben Seppicß Berührten. Sie Söorte Branbt’8 fdf>ien 
fie gänalidtj üBertjört au ßaBen. 

„|)aft Su midj berftanben?" rief er mit fiärfer er* 
Ijobener Stimme. 

„ßi, ber Saufenb, Su Bift nodf) immer nidjt fort? 
Su ßörft bodß, baß id§ Siel) nid&t ßalte, Sir nidjt ein* 
mal Bebe fteße. 2öa8 toillft Su nodfj ßier?" 

„Bringe midj nidjt pm Sleußerften! Su Bauft auf 
meine Sir oft Betoiefene Bacljftdfjt, auf meine SieBe au 
Sir, bie Biäljer immer nodj ftart genug toar, midj Bei 
Sir autficfyu^alten. SIBer Su fpanrtft ben Bogen au 
ftarE — giB Sldfjt, baß er nidjt Breche ! ÜJleine ©ebulb ift 
ju ßnbe. 2Benn idj jeßt toirllidfj geße, fo !eßre id§ nidjt 
nadj einigen Stunben mieber aurüdE, toie neulidEj, um midß 
toieber au§aufößnen — bieSmal fdjeiben mir für immer, 
toenn Su e3 toittfi. Bterle e8 moßl! Btein ßntfdjluß 
fießt feft, idß fcßtoöre e8 Sir au!" 

„$aljaßa! ©eße bo(ß mit Seinen Scßtofiren, Su 
glauBfi ja felbft nießt meßr baran. Su Bift ein energie* 
lofer Feigling, ein ßgoijt unb Bßeicßling, ber nur mit 
SBorten praßlt, aber niemals aum frifeßen Raubein Eomrnt." 

ßr fenlte baä |>aupt. BterEtoürbig, biefe Beleibigenben 
Söorte erregten nießt meßr feinen 3otn. ßr nagte an 
feinem SdfjnurrBart unb fdjielte aur Baronin ßinüber, 

SBibtiot^cf. 3alU8- 1889. Sb. XII. 3 



Digitized by Google 




34 ffamiltenefjre. 

aber biefe fdjtett feine 2Intoefenbeit fc^on toieber bergeffen 
ju buben. 

„2öenn ©u Siedet ijätteft mit biefer 9lnttage," fagte er 
nun leife, toieber einen Stritt näher an fte berantretenb, 
„burdj toen toäre ich benn bann jum Feigling getoorben, 
toenn nicht burch ©i<h? — ©u tjaft mich getoaltfam baau 
gemalt, unb ich fann bie ungeheure SJtacht, bie ©u auf 
mich auäübft, felbft nicht begreifen. 33in ich ©ir ferne, 
fo rafft ftch ber 9teft bon Gmtfchloffenbeit in mir auf unb 
treibt mich baau, meine untoürbigen Q-effetn au aerfprengen, 
aber ich fe^e ©ich, ein SädEjeln bon ©tr, ja nur ein 33ticf, 
unb ich fitje toieber im Siebe!" 6r feufate tief unb fchmera» 
lieh auf. „3fe|t, ba§ fe^e ich ein, mufj ich ©ich berlaffen, 
ba3 fieljt feft. Siber ©u Jönnteft mir hoch aum Slbfdjieb 
bie |janb reifen, ober nur ein Söort, ein gana !leine§, 
toinaigeä Sööttchen fagen. SBiKft ©u nicht?" 

„Sibieu !" tackte fie unb fefcte il^ren ©dbaufelftubt auf’S 
Sleue in Setoegung. ,,©a I>aft ©u ba§ erbetene lebte 
Söort." 

„Slein bodfj, Sirene, fpiete nicht länger mit mir Äo= 
möbie, ©u toeifjt ja, toie toeb ©u mir t^uft, toie febmera* 
lieh mich ©ein ©pott bertounbet, unb ©u toittft mi(b ja 
boeb nicht bon ©ir ftofjen — nicht toabr, Sirene, nein?" 
(£r ftanb bor ihr toie ein 33ittenber, feine $änbe toaren 
toie flebenb ineinanber gefchlungen, feine bleichen Söangen 
aitterten unb in feinen Slugen gfänaten tyUt ©frönen. 
„Sftene, liebfi ©u mich toirflicb nicht?" 

©ie bog ihren ©dfjaufelflubl toeit auräc! unb betrachtete 
bn unter ihren langen gefenlten SBimpern berbor, toäbrenb 



Digitized by Google 




Vornan oon Karl @b. Töpfer. 



35 



ein triumpbirenbeg Säbeln i(jre Sippen träufelte; itjre 
£>anb totnfte mie fpietenb fortmäbrenb nad£) ber Xt)ür. 

„Siebft ©u mid? toirtlicb nicht, Sirene?" toieberbolte er. 

©ie lächelte ftärfer unb fd^üttette ben «ßbpf, baju 
toieber mit bem ©tuble auf unb nieber fctjaufetnb, alg 
trolle fte auch baburdfj eine Verneinung augbrüdfen. 3b r 
Vlidf haftete babei an ber ©ecfe, alg betraute jie bie 
©tuffatur ba oben. - 

„Sftene, ©u mein ©ämon, ©u mein @ott — mein 
2Meg!" rief er unb führte bor ihr auf bie Jhtiee, ihre ^anb 
getoaltfam an ftdj jie^enb unb fie mit feinen ßiiffen be= 
betfenb. „3d£j min ja auch fernerhin ©ein ©Habe, ©ein 
trillenlofeg ©pielaeug fein, ja benn — aber ftofje mich 
nicht 3 urüdf! ^abe VHtteib mit mir unb gib ©ir 
toenigftenS ben Slnfcbein, alg liebteft ©u mich, trenn ©u 
eg fdjon itid^t toirtlicb fannft. ©ieb, hier bettte ich a u 
deinen grüben, nicht um ©eine Siebe, ©eine #anb, nein, 
um bie 6rlaubnif$, ©ein Äned^t fein $u bürfen. $cb — 
ich fann ja nicht bon ©ir laffen. Vtein näcfjfier ®ang 
bon Ijicr mii|te bireft aum ©iber führen, um mein toertlj- 
lofeg Seben a« cnbigen, trenn ich eg ©ir nicht treiben 
barf. ©’rum, lab ntidt) bei ©ir bleiben, Sirene!" 

„Äinbgfopf," lachte jte leife unb toüblte i^m mit ber 
freien Sinfen im $aar. „2öann toirft ©u benn enblich 
bernünftig trerben?" 

6r fprang auf unb fab jte mit ftrablenbem Viidf an, 
alg bnbe fte ibm bie töftlicbften ©ttter gefchenft. 

„9ticbt trabr, ©lt Xiebft mi<b bocb, Sirene?" bat er. 
©ie reichte ibm lädjelnb bie ©pipe ibreg fleinen fjfingerg 



Digitized I 




36 



tfamilienetjre. 



jum ßuffe, bann erhob fte fidC; langfant bom (Stufte unb 
toarf je^t erft ben blauen Sammetbomino bon ben Schultern. 

„Unb Su toiEft mein SBeib toerben? 3t barf Sieb 
burdb ’8 Seben führen?" 

„SSorerft führen Sie mich in ben Speifefaal hinab, 
-fperr Stephan SBranbt, ich ha&e einen fe^r profaifchen, 
aber natürlichen junger." 

Somit nahm fie feinen 2ltm unb 30 g ihn mit ftcfj 
hinaus auf bie Sreppe, auf feine jürttichen 33tide unb 
Sßorte nur mit Sachen anttoortenb. 



©raf ©oStotfc unb 5ßtofeffor Sorenfen blieben lange 
beifammen in bem gemütlichen ©afthofe, in toelchem fte 
eingelehrt toaten, unb eS toar aiemlich fpät getoorben, als 
fte enbiieh aufbrachen unb toieber auf bie Strafje hinaus» 
traten. Sie befdbloffen, noch einen Spaaiergang in ben 
9lbenbftunben burch bie beE erleuchteten ^auptftrafjen au 
machen, bie im ©aStichte mit ihrem buntfarbigen SJtaSlen« 
gemühl einen noch toeit anaiehenberen Slnblid gemähten 
mußten, als bei Sage. Sa fie aber nicht länger Suft 
hatten, burch ih*e ßopntirung felbft aur SJtaSlerabe bei» 
autragen, liefen fte fich borerft in ihr -£>otel fahren, too 
fie ihre ÄarnebalSanaüge mit Strafjentleibern bertaufdjten. 

9ltS fte 5lint in Slmt ben ©aPof toieber berliefjen, 
toanbien fie ft<h ber Sßiaaaa au, bie fte heute Mittag mit 
ihrem Cabriolet burdjlreuat hatten. 

„f^ürroahr, ein herrlich^ 33üb!" rief ber 5profeffor, 
feine 33lide nach aEen Seiten hin ftreifen laffenb. „2öer 
baS mit bem $ßinfel fefthalten fönnte!" 



Digitized by Google 




Vornan oon Satt Sb. Älopfer. 



37 



„9Bobt SRiemanb, benn b er #uuptreia biefer ©eene: 
bie quedftlbetne S3etoeQtic^feit , ba8 SDurdjeinanberflutben 
bet Waffen ifi bod^ auf bet Seintoanb nicht toieberau» 
geben." 

*9Iber idj bemetfe au meinem Srftaunen nur febt 
toenige bon ben 9Jta8fen, bie mir am 2age gefeiten, ober 
täufebe idj mich?" 

„$eine8meg8. ©ie feben je^t aud) nur noch menig 
Squipagen unb faft burdjmeg nur 2Jtictb§fubtmert ; ma8 
ftdj ju biefer ©tunbe bireft am 5Jta8fentreiben beteiligt, 
ifi eben ba8 eigenttiibe 93otf, barum aber erfebeint ba8 
93ilb auch noch einmal fo betoeglitb- ©ie tuerben alfo 
toobl bergebenS na(b unferent febmaraen SBabtfaget unb 
feiner ^Begleiterin im blauen ©ammetbomino au8fdjauen. 
2)ie SSeiben febeinen ben beften Greifen anjugebören, ftbon 
nach bem fofibaren Äofiünt unb ber eleganten Squipage 
au fdjliefjen. 68 ift eigentlich fdjabe, bafc mir ben Söqgen 
nicht berfolgt haben. 2öir hätten bieHeidht bodj baS -£>otet 
ober ba8 5ßribatbau§ erforfeben fönnen, ba8 fte bemobtten, 
unb bann toäre e8 toobl ein ßeicbteS gemefen, 9täbere8 
über ba8 Sßaar au erlunben." 

„3dh glaube faum, benn menn fte ©runb batten, ftdj 
bor un8 au berbergen, toa8 ich ü6rigen8 beftimmt glaube, fo 
hätten fte mobt Gelegenheit gefunben, un§ bon ihrer ©pur 
abaubringen, inbem fte gana einfach im näcbftbeften ^otel 
ihre $oftüme abtegten ober toecbfelten." 

9118 bie aebute 9lbenbftunbe borüber mar, manbten 
fidj bie SSeiben nach ber Dichtung, in ber ihr 9lbfteige= 
quartier tag. 



Digitized by Google 




38 



tfamUienefjre. 



„2ldC; , mag mir ba einfällt," Begann ©ogtoip unter» 
tocgg. „@fje mir bie emige ©tabt berlaffen, toill id§ 3$nen 
nodj eine ©etjengtoiirbigteit geigen, bie Sonett toalfrfdjein» 
Eid) nodj unBetannt fein bilrfte: eine fogenannte noBIe 
©piell)ölle. kommen ©ie, idj treffe fdjon einen S3ctannten 
bort, burdj ben idj Eingang finbe." 

Sorenfen intereffirte fidj ttjatfäcfjtic§ für bie in Slug» 
fidjt gefteUte „©etjengtoiirbigteit". 

„2öir toerben atfo ein ©tüd StadjtteBen 9tom§ meljr 
tenncn lernen? Sßoljt ein ettoag bunfel gefärBteS ©emätbe?" 

„Stein, benn bag Sotat, in toetdfjeg idj ©ie ju führen 
gebente, toirb meift nur bon ben ©pitjen ber römifcfjen 
©efeUfd^aft Befugt unb bon ben Sremben, bie fidj ber 
SSetanntfdjaft berfelBen erfreuen. Gg ift Eeinegtoegg ein 
berftedter SBintel, ber bie Singen ber ^Poliaei $u fdjeuen 
l)ätte, nein, eine Slrt Slbetgtafino, too eBen nur in aB= 
gejonberten Stäumen Ija^arbirt mirb. SDag tönnten ©ie 
alterbingg audj in beutfdjen ©täbten finben, benn bag 
4?a«jarbfpiet florirt in jebem folgen GluBljaufe unb toirb 
bon ber tooljtunterridjteten !Poliaei gebulbet, bie iljr 
Sluge nur auf bie niebrigeren ©pielljölten rietet. 2öag 
aBer ben ßtuB, ben idj im Sluge IjaBe, bon aßen 
berartigen unterfdfjeibet, bag ift ber gufammenflufj bon 
borneljmen fjremben aller Nationalitäten # ber Befonberg 
jept äur 3eit beg Äarnebalg ein aufjergetoöljntidj ftarfer 
fein bürfte. Stun, ©ie toerben felBft Bei flüdjtigfter S3e= 
oBadjtung ben f^remben bom (Sinljeimifdjen unterfdjeiben 
tonnen, benn nirgenbg tritt too^l bie Eigenart beg 3fta» 
lienerg meljr p £age, alg Beim ©lüdgfpiet. ©ie IjaBen 



Digitized by Google 




JKoman DO» Carl 6b. Klopfer. 



39 



. tooljl fdhon Slxbeitex unb Saaaaxoni bei jenem gingexfpiel 
gefehen, baä fic SJtoxa nennen? 9lun, Pexgegentoäxtigen 
©ie fidh bie SJUenen, bie ©xxegung biefex fieute, unb Sie 
fönnen baffelbe SBilb getxoft auch auf bie ©pielex in ben 
tooxnehmfien klaffen bex italienifdjen ©efeEfchaft antoenben; 
c8 liegt ein nationalex 6^axa!texjug baxin, bex ftdj nicht 
bexleugnen läfjt." 

©ie betxaten jef|t ein boxnehm auäfehenbeä ©ebäube 
in etnex toenigex belebten ©eitenftxafje. 2luf bex mit 
einem meinen üeppich belegten, ^eE exleudjteten Stxeppe 
begegneten fie 9tiemanb. ©xft im exften ©tocftoexle txat 
ihnen ein gaEonixtex S)ien ex entgegen. 

»3fi ©xaf Spximabefi antoefenb obex SJtaxdfjefe fjxibri» 
gotti?" fxug ©oämib. 

„2)ex ÜJlaxd^efe ift tyrn, ich toexbe ihn hexau§xufen, w 
entgegnete bex fialai, bex fofoxt exxietl), au toelthem 33e» 
hufe bex ©xaf biefe tarnen bex beiben ihm befannten 
xömifchen Äabaliexe nannte. Söenige Minuten fpätex 
betxat au<h ein lleinex, fehx gegierter £exx, mit pech* 
fchtoaxaem ^enxiquatxe im bxonaefaxbigen ©ejichte, ben 
glux unb empfing ©xaf ©oätoib mit echt fiiblithex Uebex= 
fchtoenglidhleit. ftadjbem bex SJtaxchefe mit bem $ßxofeffox 
befannt gemacht tooxben toax, txaten bie bxei ^exxen ge= 
meinfthaftlidh in bie feenhaft exteudfjteten Äafinoxäume, 
bie ungemein xegeä £ebeu geigten. 

2im exften unb atoeiten ©aale touxbe gefpeiät, gelefen, 
gexaucht, geplaubext, unb atoax in ben atoanglofeften ©xup= 
pen; biex lleinexe 9tebenxäume toaxen bon faxten» unb 
SSxettfpielexn befefct. ßxft baä lefcte, ai«nli<h gexäumige 



Digitized by Google 




40 



Samilieiieljre. 



3imnter biente ben ©lüdsf pieten. SllS |>auptaltar mar 
in ber 2 Jtitte eine riejtge Roulette aufgeftellt, bet fiel) im 
großen Greife einige Xifd^e mit Xrente et Duarante unb 
ben anberen ^a^arbfpieten anf Stoffen, Bei toelcben taten 
3 ur SSertoenbung gelangen. 

S5er ©aal toar trofc ber toabrbaft erbrfiefenben ^i^e, 
bie ^ier ^errfd^te, berart gefüllt, bafj ber Stacbefe feinen 
©aften nur mit fütübe ©ingang berfdjaffen fonnte. ßorenfen 
unb ©oStoib brängten fid^ langfam buräj bie 9Reiljen ber 
Spieler, toelcbe bie Perfcbiebenen 2if(be umftanben. SDie 
furchtbare Scbtoüle unb mehr noch bie ßeibenfebaft, toelcbe 
bie ©emütber ber l)ier Söerfammelten burd^toü^lte, liefjen 
bie Perfchiebenen ©efichter meift toie in Purpur getauft 
erfd^einen. 

S)ie 9teuangefommenen Ratten aber noch nicht aeljn 
3JUnnten in bem Spielfaale Pertoeilt, ©raf @oStt)ib fonnte 
feinen Begleiter faum auf biefe ober jene befonberS inter* 
effante ©roppe aufmerffam machen, als baS allgemeine 
©emurmel, baS ^ier unaufhörlich öon 9Jtunb au 2Jiunb 
ging unb fidj bem einförmigen 9taufd§en eines Söaffer* 
faHeS ähnlich anbörte, bureb einen lauter geführten 2 ßort= 
toecbfel aus einer entfernten ©dfe ^er übertönt tourbe, ber 
im 9tu $u einem förmlichen Tumult anfdjtooK. 2 ftan 
brängte h er 3 u » nach ber Urfacbe beS SärmenS 3 U forfeben. 
2lu<b ©oStoib unb ber Üßrofeffor näherten ficb jenem ent= 
fernteren £if<be, ben eine biebte Schaar umringte. 

„©in 33etrüger, fage icb, ein ©eburfe ftnb Sie, benn 
Sie fpielen falfctj!" feierte eine Stimme in franjöfifcber 
Sprache. 



Digitized by Google 




SRoman uoit 6arl 6b. 5ttopfcr. 



41 



2Jle$t tonnte man nidht bernehmen, bcnn baS ©freien, 
baS bon bem betreffenben ^artentifefje auSging, bermifdhtc 
fic^ im 9tu mit bem S)urcheinanberrufen, ben fragen unb 
©rfunbigungen ber übrigen Slntoefenben. SttteS brängte 
heran. ©oStoih mürbe im ©etoüljt bon bem ^tofeffor 
unb bem SJtardjefc getrennt unb gegen einen ^flauer* 
borfprung gebrängt, neben toeldhem eine niebrige SUjür 
birelt auf ben Äorribor hinausführte. 33on bem Ütifdje 
her, bon meinem bie furchtbaren Söorte, bie toie eine 
33ombe in bie ©efellfdhaft gefahren, ertönt toaren, madhte 
ftdh jetjt eine auffällige ©egenftrömung bemerf6ar. 9Jtül)= 
fam bahnten ftdh einige Männer ben 2Öeg burdh baS ©e* 
bränge unb ftrebten gerabe ber Ühür a u , neben toeldfjer 
©raf ©oStoiB ftanb. S)er ohrenaerreiBenbe 2ärm rings 
umher lärmte ihm beinahe bie Sinne, ©r fat) faft nur 
toie im Xraume, ba§ ber erfte ber jener STIjttr guftreben* 
ben, toeldher im ©egenfatje ju ben Uebrigen eine fahle 
SBläffe auf ben fdhtoeiBtriefenben SBangen trug, heftig mit 
ben .fpänben gefiihilirte unb in bie Stenge ^ineinfd^rie. 

„3dh fah eS felbft — hier ift ja noch bie atoeite ßarte, 
bie er auf ber SBrufl berborgen hatte, ber ©tenbe!" Ireifchte 
ein Slnberer, berfelbe ^franaofe bon borhin, fdhleuberte ein 
$artenblatt über bie -ßöpfe ber -jperumftehenben unb ber* 
fejjte bem Heiden 9Jtanne, ber mit ben 2trmen in ber 
£uft herumfodht, einen fräftigen ©toB bor bie 33ruft, ber 
biefen prücftaumeln lieB unb ihn unfehlbar ju Söoben 
getoorfen hätte* toenn bieS in bem herrfdhenben ©ebränge 
überhaupt möglidh getoefen toäre. SDann tourbe ber 9ln= 
gegriffene au ber Heinen, rafch geöffneten Xhür hinaus* 




42 



ftamiliencljre. 



gebräugt. 2llS ber Uitglücffelige fo unmittelbar an ®o$= 
toifc borüberfam, ^ob biefer mit einem Stuf beS ©rflaunenS 
ben Äopf. 2)iefeS ©efidjt mar ihm plöplich fehr betannt 
borgetommen. 2öo ^atte er jene fcharfgefchnittenen 3üge 
nur gefeljen? ©r burdjflog im ©eifte, fo rafch er tonnte, 
bie aaljtreidjen Vefanntfchaften, bie er auf feinen Steifen 
gefammelt ^atte, ehe er jeboch noch ju einem ©rgebnijj 
gelangen tonnte, toutbe er toon ber ©trömung ergriffen, 
bie fidj burch bie tleine ^intert^üre in ben tilgten Äorribor 
hinauStoätjte. £>ier atmete ©oStoip erleichtert auf unb 
fammelte feine ©ebanten, bie burdh ben Särm gan^ betäubt 
toorben mären. 

3mmer meljt ©äfte fammelten fid? auf bem Stur an, 
bitbeten @r uppen, unterhielten fidj eifrig in einem Gunter* 
bunt aller lebenben ©brachen unb beuteten bie Xreppe 
hinab, bie bor menigen SJtinutcn ber entlarbte Sfalfdj* 
fpieler hi^aBseeitt fein mochte. Unter ben aute|t heraus* 
brängenben befanben ftch auch SJtarchefe ^ribrigotti unb 
Sßrofeffor Sorenfen, bie fofort auf ©oSmip ptraten, ber 
ihnen fdjon bon Söeitem entgegenmintte , um jte auf ftch 
aufmertfam ju machen. 

„kennen ©ie biefen SJtann, ber ba eben beim ,Äor= 
rigiren feines ©lücfeS‘ ertappt tourbe, ^err SJtarchefe'?" 
rief er bem Italiener JU. 

„Stein, mahrhaftig nicht," ftotterte biefer in h ö <hft« 
Verlegenheit, „©ie fef>en mich überaus peinlich berührt 
bon biefem 3toifchenfaKe, meiner — mein ©ott, ber 
©fanbal bor ben ftremben — ich berrnag mich taum $u 
faffen, unfer Äafino ift für immer befdjimpft! 2öer 



Digitized by Google 




'«Roman t>on Gar! ©b. ttopfcr. 



43 



«tag bett 6cbuft nur cingeffibrt haben? $on att’ beit 
^errett, bic ich barnadj fragte, tooKte Siiemanb auch nur 
ben tarnen miffen." 

Söä^renb fid^ ber 2Jtardjefe noch in unterfdjieblicben 
Klagen erging, toanbte ficb ©raf ©oätoib mit blifcenbcn 
Singen an ben ©elebrten: ,,.£>aben ©ie ihn gefeben, ben 
Ungtfidflidjen?" 

„Stein, ich ftanb au entfernt, um fein ©efiebt au feljen. 
3cb ^öxte nur, bafe er beim fp^arao betrogen haben foH." 

„Stun, i<b fab ihn unb habe in ibm munberbarer äßeife 
einen SJiann erlannt, bem i(b erft bor ßuraem in unferer 
Stefibenj begegnete." 

„3öa3?" lachte ber 5)3rofeffor, „febon toieber eine alte 
SBefanntfcbaft ? 2)a8 ift fomifcb!" 

„3fa, je^t llärt jtcb mein ©ebäcbtnifj. ©3 ift ein 
SJtann, ber ficb für eine fpanifcb=atabifcbe ober inbifebe 
Roheit auägibt, ber in ber Stefibena berfebrte unb bem 
i<b etliche SJtale in ber ©efeHfcbaft begegnete, ©r nennt 
fub $rina Otbenio SDamiHarej." 

„©in ftolaer Xitel, toabrbaftig, ber mit feinem fauberen 
©etoerbe in feinem ©inllange ftünbe, toare eä nicht be= 
fannt, bafj eben gerabe ein folcber Xitel einen t>ortreff= 
lieben Xedtmantet au ben bfumpeften S3eutelfcbneibereien 
abgibt." 

„2öa8 treibt benn aber biefen «£jerrn baau, b«r in 
Storn aufautreten ; bei unä au 4?aufe fdljeint er bod) min= 
beftenS mit bemfelben ftingenben Grfolge fein SRetier be* 
trieben au haben. Xaau bitbete bort eine getoiffe 33aronin 
SJtübtboff ben SJtagnet, ber ihn, gleich manchen Slnberen, 



Digitized by Google 




44 tftuuiliencbre. 

feftaubalten festen. Cber füllte auch biefe S)ante ^ter 
antoefenb fern?" 

ÜJlarc^cfe ftribrigotti toar gana beftür^t über ben 
©lanbal unb erfchöpfte fidj in leibenfchaftlichen 93er» 
toünfchungen beS eleganten ©aunetS. 

„3<h bebaute nur S^re ©efeftfdjaft," fagte ©oSUnp, 
„bie burdj biefen Abenteurer fo peinlich fompromittirt 
tüurbe. fütan toirb aber bie ©aihe bod) toenigftenS nach 
aufjm bin bertufcfjen fönnen?" 

„3$ boffc eS," feufate ber 2Jlar<hefe. „Söenn nur 
nic^t fdjon irgenb fo einer bon ben berteufelten $eitungS= 
fdjreibern, bie überalt ihre ©pütnafen bnfcen, babon 2ßit= 
terung erhielt, ©S ifi entfeijlidj!" 

„Amt, beruhigen Sie ftdj, $err 9Aard)efe, b°ff e n toir 
baS 33efte!" 2)amit reichte ihm ©oStoip bie ^»anb unb 
berabfehiebete fidj, ba eS mittlertoeile fchon febr fpät ge* 
toorben toar. SDann liefen er unb 2orenfen ftcb ihre 
UeberrBde unb .fpüte burdj ben SDiener bringen unb ber= 
liefen baS Äafino, in bent jtcb gerabe beute eine fo un= 
angenehme @ef(bi(bte ereignen mufjte, toie SJtardjefe 3rribri= 
gotti, ber fie bie kreppe binabgeleitete, unter forttoäbren* 
ben ©eufaern bebauerte, als gälte eS, ftcb bor ben ©äften 
au entfdjulbigen. 

AIS ©oStoip mit feinem SBegleiter in baS ^>otel au= 
rüdtlebrte, bilbete natürlich noch immer bie eben erlebte 
©eene im ©pielbaufe ben ©egenftanb ihres ©efprädjeS. 

„©S ift eigentlich fdjabe, um nicht an fagen bertoetf* 
lieh/' bemerfte ber ©chtoebe, „bafj man auS Aüdfnbten 
für baS bomehme Äafino folche ©achen allentbatben tobt* 



Digitized by Google 




Vornan oon Sart 6b. .ftlopfer. 



45 



V 9 



fcBtoeigt, bernt nur babur<B toirb eS fotd£)em ©dichter, 
bem jener farnofe 5J3rin3 angeBört, mcglidfj, feine fauBere 
JBätigteit an anberen Orten fortjufe^en." 

„SfretUd^, fo bauert eS oft 3aBre, Bis einen folgen 
©cBtoinbler fein ©cBicffal enbtidj erreicht. 5tBer baS toirb 
teiber überall fo geBatten." 

Zleun3etjntes Kapitel, 
itarneoaf tu ber gUfibcnj. 

3m Samilienfalon beS Calais aQÖemS^aufen fafe ber 
Bertoitttoete fffreiBerr B. S3tanl mit S3aron £imBa<B Bor 
bem ©dfjacBBrette. ©omteffe Äamißa fpielte mit iBrern 
SJologneferBünbcBen , beffen btoUige Söetüeglidjfeit iBre 
Weiterleit erregte. 

„9tcB, SBartotte, f c ^ en ©fe ko<B, toie gut Weftor fcBon 
©<BitbtoadE)e fteBen !ann! — ©tittgefianben, bu Heine 
Jfrötel SIB» bu toillfi fcBon toieber faul toerben?" 2>amit 
fteltte baS üBermütBige TObdijen ben niebtid^en Wunb auf’8 
9teue in bie ©obBaecfe. „@ib Stdtjt, mein fiiebling, toenn 
bu geleBrtg Bifi, bann Betommjt bu ein ©tüdf 3ucfer." 

(IBarlotte Blicfte Bon iBrern ©tidfraBmen emfior auf 
baS reijenbe S3itb. 3B re £rauerfteiber liefen erlennen, 
bafe fie ben Job eines lieben StngeBörigen Bettagte. Unb 
fo toar eS aucB. ©ie Batte eine trübe SBeiBnacBtSjeit Ber» 
lebt, ©erabe am ©tebBanuStage Batte man W^rrn SÖaller, 
ben alten ©cBreiBer, auf ben 3?tiebBof getragen. 6r Batte 
ftcB Bon feinem Ärantentager nidfjt meBr erBoBen; baS 
fiungenteiben toar fcBon fo toeit BorgefcBritten getoefen, 
ba| ber Job nicBt meBr lange auf ficB toarten liefe. ©od§ 



Digitized by Google 



4 G 



^amifienefjre. 



bcr Sitte toar mit erleidjtertem fersen aus bem SeBen 
gerieben, baS iBm in beit lebten Sagten fo OerBittert 
toarb; er faB ja bte gufunft feiner Familie geftdjert. 

©Barlotte m ar bann m it bem SteujaBrStage in ben 
$ataft SöernSBaufen eingejogen als ©efellfcBafterin ber 
(Sümteffe, bie natürlich mit ßntBufiaSmuS ben SJorfdjtag 
beS $auSfreunbeS, beS SSaron SimBadj, annaBnt, unb 
tßren 33ormunb, ben ^reißerm b. 33tanf, fo lange mit 
SSitten Beftürmte, Bis biefer bon ©raf SBtabimir bie (£r= 
lauBniß einBotte, bie junge ©ante aus ber iBr befaßten 
Sßenfion ju neBmen. ©Botlotte tonnte atfo fdjon im Vor- 
aus barauf recßnen, bon iBrer ScBußBefoBtenen als Retterin 
Begrübt au toerben, unb fo Botte ficB autB baS SßerBöltniß 
jtoifcBen ben SBeiben Balb 3 U einem feBr freunbf c^af tlid^en 
geftaltet. Äamilta’S offenes, bertrauli<BeS ÄinbergemütB, 
iBre üBermütBige Saune tonnten nur bagu Beitragen, ben 
ScBmera ©BarlottenS öBer ben Sßerluft beS geliebten S3aterS 
3 U mitbern. 3BaS ferner geeignet toar, ©Botlotte mit 
bem unbermeibtiäjen ©(ßicffat einigermaßen 3 U berfößnen, 
baS toar iBr angeneBmeS Setoußtfein, baß fie bie tßeure 
UJtutter ber BiSBerigen brücfenben Sorgen entBoBen mußte. 
©Barlotte faß ßcß in Stanb gefeßt, grau SGBalfer bon 
iBrer aufreiBenben ©Bätigfeit als ^anbarBeiterin 3 U Be= 
freien unb iBr ben lange geBegten J&erjenSmunfcB au Be= 
friebigen, fidß aus ber befaßten ^auptftabt in baS traute 
rßeinifcBe SßrobinaftäbtcBen jurüctju^ieBen, mo fte bie glü<f= 
licBften SoBte ißreS SeBenS berleBt Batte, um bort in 
forglofer, BeBaglidßer S3efc^aulid§feit iBren SeBenSaBenb 3 U 
Befdjließen. 



Digitized by Google 




Aptttan oon Sari 6b. ßlepfer. 



47 



®ie AEeS ^eitenbe Beit Ijatte auch auf ben Siebes» 
lummer S^artottenä ihren toohtthätigen Einfluft geäußert. 
ES erging ihr bamit, tote fpäter mit ber Erinnerung an 
ben beworbenen Später, fte gebaute ihrer fo fchtoer ge» 
Irftnlten Siebe nur noch, toie man eines Stabten gebenlt, 
ben man fdjon bor langer, tanger Beit eingefargt ^at. 

S)er innige SSerleljr mit ÄantiEa, ber etoig Weiteren, 
ftetS 3 U linbifdh übermütigen Äraftftreidjeu Aufgelegten, 
lieb ii auch toenig fDtufte, ihren toe^mütigen S3etra<$» 
tungen nad^utjängen, nnb fie gab fidj auch ber fffreunb» 
fc^aft 3 U bem jugenbfrifthen, treuherzigen ©efdjöpf um fo 
lieber in, als fte gar halb bie beruigenbe SBirlung 
erlannte, bie biefe im herein mit ber neuen, behaglichen 
Umgebung auf fte auSübte. 

„Aufgepaftt, mein ^reunbl" fui ÄamiEa fort in bem 
launigen Unterricht ihres SSologneferS. ©ie toarf eine 
abgehafpette ©eibenfpule über ben Steppich unb lieft fie 
öon Weltor apportiren. ©eine fomifdje ^aft, mit ber er 
bem betoeglidjen 3)inge nachfprang, machte baS junge 
Räbchen heE auftachen. ©ie lief bem Sthiere nach, 3°9 
es bei feinem toeiften ©eibenPtieft empor unb toälate fi<h 
mit ihm unter toEen AecEereien auf bem SDiban. S)er 
Wunb ftäffte unb Perfudhte ben Ringer zu hoffen, ben 
ihm feine Herrin um bie niebliche ©dhnauze fahren lieft, 
bei jebem bergebtidhen SSerfudfje beS lleinen ©efpielen ein 
filberheEeS Sachen ertönen laffenb. 

„Aber ich bitte ©ie, Eomteffe, ©ie fiören unS ja mit 
ihrer muthtoiEigen Weiterleit! ©te hüben ©dhutb baran, 
toenn ber Freiherr bie 5ßarthie berliert!" rief Simbach 



Digitized by Google 




48 



tJamüicne^rc. 



Pon bem Spieltifdjdfjen IjerttBer, too her $ampf auf bcm 
Sd&ad§brette auSgefod&ten tourbe. 

. SIBer ÄamiKa fdfcien motjl au toiffett, bafj bic ßnt* 
rüftung beS |>au8freunbeS nid^t BefonberS ernft $u neunten 
fei, beun fte lief} ftdfj in itjrem finbifd^en ÜreiBen feines» 
megS ftören. Sie Bracfjte fogar in itjre ©jeraitien mit 
<£>*ttor eine SlBtoed^Stung, inbem fte itjn tjeimtid^ Be= 
beutete, bie Figuren beS ScijadfjBretteS au apportiren, bie 
aufäHig Pom Spiettifcije auf ben SSoben tjinaBgerottt maren. 
2öie geljetjt fprang $e!tor auf baS Beaeidfjnete ÜBjeft unb 
tannte baBei fo mitb an ben Sdjacijtifdj, baj} SSaron ßim= 
Ba<tj rafdfj augreifen mufjte, um i§n Pot bem Umftüraen 
au Betoa^ren, toaS ÄamiEa natürlid^ ungeheuer Betufiigeub 
bünfte. 

„Söatjrfjaftig," tackte #err P. 33Iant ärgerlid^ auf unb 
brot)te bem Sftäbcijen mit bem Ringer, „mit traten niäjt 
gut baran, biefen üBermüttjigen ÄoBolb auS ber Sßenfion 
au nehmen. ©IauB’3 toot)t, bafj baS ftrenge, ernfte 9tegi* 
ment bafetBfi nicfjt nad£> deinem ©efdfjmadfe mar. SIBer 
mir Jönnen ja nodfj immer ben gelter PerBeffern, inbem 
mir S)id& auf’S 9teue batjin Bringen." 

„3)ann fterBe idfj in ben erften Pieraetjn £agen, ünfet, 
barauf lannft S)u 2)id§ Pertaffen!" Befeuerte. bie @om= 
teffe. „Über ictj feiere bort baS llnterfte au oBerft, ba| 
fte midf) megen ©emeingefäljrtidfjMt mieber fortjagen." 

„916er Äamitta!" ermaljnie Gtjartotte, mätjrenb bie 
Herren tagten, unb a°S fte neben ftcij auf einen Stutjl. 
„Sefct feien Sie einmal tjübfctj artig, Sie großes $inb. 
Söotten Sie ftct) nid^t mit einer |>anbarBeit BefcJjäftigen 1 ?" 



Digitized by Google 




Vornan oon Sari Sb. Klopfer. 



49 



„9lun ja, »eil ©ie e8 »ünfchen," fagte ßamiHa, 
utnfchlang aärtlidj bcn 9iadfen bcr ftteunbin unb feiste, 
gegen bie Herren getoanbt, hiuau: „S^atlotte ift meine 
(Sebieterin, bie einzige, bet ich mich füge, met!en ©ie ftch 
baS, ^od^gef^ft^ter #err 93aron." 

„$)a »erben »ir uns alfo immer an Qrtftulein 29 aller 
toenben rnüffen, um 3h r ungeberbigeS ^topöpfdljen jut 
9taifon au bringen?" 

„©, baS bürfte 3fljnen nicht Diel nüfcen, benn 6ljar= . 
lotte hält treu au mir. 2öir ^aben befc&loffen, uns nie» 
ntalä au trennen, nicht toaht? 2öit ^aben uns gegen 
bie OTnner»elt berf<h»oren. Söe'nn ich majorenn fein 
»erbe, a«he ich mich mit meiner $reunbin auf ein ein» 
farneä @ut aurücf ober »ir gehen auf Reifen, fehen un§ 
bie Söelt an unb bliefen mit bornehmer Verachtung auf 
ba8 ganae eitle, ljerrf<f)füdfjtige TOnnergefchlecht ^erab. 
9tid§t »aljr, S^arlotte, »ir »erben unS niemals unter 
baS S^ejod^ beugen, »ir bleiben lebig?" 

„guberfichtlich , ÄamiHa!" ftimmte bie Qrreunbin mit 
toehmüthigem ßftd^cln bei. 

„2)a8 ftnb ja gana furchtbare Vrojefte," lachte £err 
b. Viani, „eine förmliche Verfch»örung gegen bie Vtänner." 

„Sin erhabener Sntfchlufjl" befröftigte bet Varon. 
„9lber ©ie »erben bodj hoffentlich nicht bergeffen, auf 
biefe projeftirten Reifen 3h« puppen mitaunehmen, Som» 
teffe ? 3<h »eifj, ©ie fönnen beren ©efeKfchaft noch nicht 
entbehren." 

„©ie finb ein abfdheulicher Vtenfdh!" rief Äamilla 
entrüftet, »fthtenb ihr ©eftdjtchen eine bunlle fööthe über» 

aibliot&ct. 3abta. 1889. !ßb. XIL 4 



Digitized by Google 



50 



ftamilienehre. 



50g. „kommen ©ie, Sljartotte, räumen mit bag Srelb, 
ich ^abe nicht ßuft, mich ben einigen Angriffen bicfeg 
unaugftehli<h«t Sarong auS^ufe^en." 

Simbach lad^te, mähtenb er ftdj über bag ©<hachbrett 
beugte unb ben lebten Sug tljat. ,,©<ha<h unb — Statt, 
|)ert b. Slan!! 3efjt h a * ©ie bag btohenbe ©chicffal 
erteilt." 

„2>a§ toar eigentlich eine Uebertumbelung ; idj ber= 
* Qßfi - Pütt beg borte^ten Sugeg mit bent ©bringet — 
ben fdjmaraen Säufer autütfauaiefjen, eg märe eine S)edung 
gemefen, bie bag ÜJlatt minbeftenS noch ber^ögert ^ätte. 
Stber baran bift mitllich nur 2)u ©djutb, Äamilta, Stein 
Särmen macht eg unmöglich, einen beftimmten Pan feft= 
jubalten." 

Camilla aucfte bie Slchfeln, nahm heftordjen auf beit 
2lrm unb näherte fi<h ber 2hüt, ber fjreunbin auminlenb. 

„6g ift in ber 2^ beffer, menn mir ung aurücf= 
ziehen, um bie Herren nicht au ftören/' fagte 6harlotte, 
mit ihrer ©tiderei ber Somteffe folgenb. 

„Sitte, entbieten ©ie %l)nx pbpe meine freunbfchaft= 
lichften ©rfifce!" rief ßimbach Äantilla noch ladjenb nach, 
mährenb er bie ©chachftguten mieber auf bag Srett ftellte. 
„$ft Sh^en noch c ^e prtljie gefällig, $etr b. Slanl?" 

„Sofort! 3dj Sünbe mir nur noch eine Sigarte an, 
bitte, bebienen ©ie fi<h gleichfalls. SDa ung bie Samen 
fchon ihre ©efeKfchaft entzogen hafan» motten mir ung 
menigfteng burch eine habanna entfchäbigen." 

,,©o nüfct man jebeS Ungemach- " 

„3<h fann 3hnen toahrlidj nicht genug banlen, liebfter 



Digitized by Google 




JRotnan oon dar! Gb. Stopfer. 



51 



23aron, bafc ©ie mir bie Ginfamleit meines ßebenS in 
biefem .gcaufe mit 3^rer ©efeßfchaft toüracn. 93or Äußern 
noch ein SBrennpunlt ber ^aubtfiöbtifd^en ©efeßigfeit, ift 
biefer ^ataft nun bie reine Ginfiebelei getoorben. Herbert 
ift faft ben ganaen Sag nid^t ju -fpaufe; toenn er nicht, 
toie getoöljnlich, einen 2lbfte<her aufs ßanb tjinauS aur 
3agb macht, treibt er fidj etoig auf bem Söege nach ©ofccf 
herum. 3n ©efeßfdjaft fieht man ihn nur t)ö<hft feiten, 
unb i(h glaube, er fpricht auch bei feiner SBraut nicht 
aßau °ft bor. Gine eigentümliche 2lrt bon ßicbe ba§. 
Gr, fonft ber feurige, leibenfchaftliche SSraufetoinb, unb 
jeht fo lalt, fo förmlich, als bereite er fleh auf bie ©teile 
eines CberhofceremonienmeifterS bor. über feilte ftd) 
ettoa ber arme Sfunge ©etoiffenSbiffe machen toegen ber 
Mühlhoff?" 

ßimbach fdjtoieg unb audte bie Siebteln. Gr burfte 
ja bem ffreiherm nicht feine SSebenllichteiten mittheilen. 

„Slun, ich n>iß nur hoffen, bafj baS anberS toirb, 
toenn er erft bie ff rau in’S £>auS bringt," fuhr -£>err 
b. 33lanf fort, „unb einfttoeilen fegne ich ben Umjtanb, 
bah ^ie für biefen Söinter 3h«r ©etoohitheit, bie Söclt 
nach aßen 9Udjtungen au burchftreifen , untreu getoorben 
ftnb; fo genieße ich toeuigftenS ab unb au 3h*e ©efeH= 

Wt." 

„$ch hätte mir baS bor einigen Monaten aßerbingB 
felbft nicht träumen laffen. Slber ich hohe Herbert baS 
SSerfprechen gegeben, ihn hier in gemiffer «frinficht au 
bertreten. 5)ieS gelang mir aber nicht in ber bon mir 
bermutheten SBeife. Sfdj fonnte ihm leinen S)ienft leiften 




52 



ftamilieneljre. 



mit meinem 2luSbarren am tjiejtgen 5pta^e, unb hätte 
bcSljalb audtj fdjon getüt^ meine Siebenfachen toteber ge= 
badt, toenn idj nid^t im lebten Slugenblid einen 
SlnaieljungSbunft gefunben ^fttte, ber midj an bie Scholle 
feffelt. Sie toiffen ja, bafj idj feit ffteujabr fo halb unb 
halb unter bie Sdjriftfteller gegangen bin." 

„3a, idj tjötte babon. SSoItbredjt ift jener 2lnaiehungS= 
bunlt, toelchen Sie ertoähnten?" 

„3a, nur haben einanber fennen gelernt unb ©efatten 
aneinanber gefunben. 3dj entberfte in bem begabten jungen 
ÜDlanne einen SDenferfobf, toie er trefflidj in unfere Seit 
bafjt, baS ^et§t : im ebelften Sinne beS SöorteS — als 
Seljrer. 33or acht Söodjen nodj gön^ltd^ unbefannt, bat 
er fidj beute bereits in einem, toenn and) nodj fleinen 
ßeferfreife einen tarnen gemalt, ber halb an einem 
berühmten toerben toirb. Sein fRoman ,S3rennenbe 2öel= 
ten‘ ift toirüicb ein originelles, geiftfbrühenbeS SEBerf, 
burdjbaudjt bon einer toaderen, gefunben ScbenSanfdjauung, 
bie mit flarem 33lid baS ©ebrüge unfereS SeitalterS er* 
fafjt. 2>ie Äritil ber erfien ^Blätter bat ftdj mit faft 
einmütigem £ob barüber auSgefbrodjen. llnb mir bat 
Sßotlbredjt fo gana unb gar barin aus ber Seele gerebet, 
bafj ich midj mit jeber Seile mehr an ibnt bingeaogeit 
fühlte. SBir haben unS auSgefbrodjen unb ftnb fdjlief$= 
lidj einig getoorben, eine 3bee gemeinfdjaftlidj auSau* 
führen. SSietleidjt toirb biefe 3bee fdjon in einem Viertel* 
jahre als ßufifbiel über bie SBretter gehen, toaS ich 
allerbingS nur bem ftleiBe SBoflbredjt’S berbanle, benn 
ich fäme niemals über bie (Srpofition hinaus. 3t tarnt 



Digitized by Google 




Vornan ooit 6arl ©b. Klopfer. 



53 



bcShalb auch feinen Slnfptuh ergeben, bafj mein Staute als 
ber beS SUtitautorS genannt mirb, ih begnüge mich mit 
ber freubigen ©mpfinbung, im ©eljeimen mitgearbeitet ju 
haben. 3fh hätte mirltih nie geglaubt, bafj meine ber» 
freuten ©ebanlen einft noch gebrucft in’S Sßublüum ge= 
langen mürben. Slber ih habe mit einem fDlate ©efhmad 
baran gefunben." 

„Stber idj begreife babei immer noch nicht, marum 
Sie 3h 1 ** Steifeluft entfagt haben. Sie fönnten boh an 
beliebigem Crte 3h 1 * ^rofelte ausbauen, unb menn ich 
fhon jugeben miß, bafj Sie bielleicht gerabe nur im bet* 
fönticijen SSerfehr mit 3h* em ©eifieSaffociö bie richtige 
Anregung finben mögen, fo lönnte bo<h #err SJoßbreht 
Sie begleiten?" 

„Sh habe ihnx auch fh°a einen ähnlichen 33orfhlog 
gemacht, aber er miß babon nichts miffen. ©r fheint 
burch gana mächtige SJtagnete hier feftgehalten. Sh toerbe 
einmal gräulein äßalfer barüber auSauforfhen fuhen; 
ih glaube, fie meifj am beften barum." 

w 9lh — Sie meinen, 33oßbreht unb Sfräulein ©har* 
lotte . . . hm!" 

„@ana rihtig, SBoßbredjt unb ©harlotte, baS meine 
ih- ßS fheint biefeS 33erhältnif$ inbejj ein gana eigen= 
artiges au fein, benn ih müfjte niht, maS Südjarb jefct, 
mo er eine glänaenbe ßaufbahn bor fih fleht unb auch 
materielle ©rfotge aufautoeifen hat, abhalten lönnte, feiner 
£eraenSneigung au folgen, ober menigftenS mir in biefer 
Söeaiehung reinen Söein einaufhenlen. So aber entminbet 
er fih aßen meinen Slnfpielungen, bie nah biefer Stih* 



Digitized by Google 




54 



gamtltenefjre. 



tung sieten , mit einer eigentümlichen Befangenheit , bie 
ich mir nicht recht erflären !ann." 

„Sobiel id£j beurteilen fann, fdfjeint ffräulein Söaller 
ihn fehr hochaufchähen, ja fxe nennt ihn ihren einigen 
^reunb." 

„Unb hoch leugnete er am Anfang unferer Befannt= 
fd^aft mit großer ©ntfdtjiebenheit, bafj ein innigeres Ber* 
hältnifj stüifd£)en ihm unb ihr beftehe." 

„Aun, eS lommt uns nid^t au, bem toeiter nachau= 
fotfchen. @8 begegnet CHnem im täglichen ßeben nur allju 
oft ein gana UnerflärlicheS , mie aum Beifpiet bie Ber= 
lobung ^erbert’S mit ber ütodjter beS AotarS Streuner. 
Apropos, h^ben Sie gar nichts mehr bon fjrau b. 3Jtühl= 
hoff bernommen, fie fcheint ja mit einem ÜJtale mie bon 
ber ßrbe berfchmunben au fein? $err b. $üUnih, ber ihr 
befanntlidj fehr ftarf ben ^of machte, milt bie $iener= 
fchaft im Calais bergeblich nach bem Aufenthalt ihrer 
Herrin gefragt höben." 

„Unb bann motten Sie bon mir eine AuSlunft er= 
halten?" rief Simbach lachenb. „3fch berühre ja gar 
nid§t mehr in biefen Greifen, mie Sie miffen." 



Als Baron ßimbach feiner SBohnung aufchritt, bie 
in einem fiitten, abgelegenen Biertet fid§ befanb, lonnte 
er im flüchtigen Streifauge alte bie Abftufungen bur<h= 
meffen, mit metchen bie Aeftbena ben Äarneoat feierte. 
Sn großem Bogen umging er ben hettetleuthteten Sßataft, 
bor metchern eine fchier enblofe AeUje bon (Squipagen ihren 
Inhalt an bornehmen BaUgäften in baS teppichbelegte 



Digitized by Google 




Vornan wem Sari Sb. Klopfer. 55 

33eftibüle entleerte. Sn einer anberen ©trafje fab man 
an ben fünftem eines -gmtelS bie Schatten ber tanjenben 
5)3aare öorüberbufeben ; Ijier überließ ficb bie Slite ber 
33ürgertoett bem 3?afdfjing§toergnügen. Sn einem engen 
©eitengäfjdfjen brang auS ben geöffneten fünftem einer 
Äutfdljerfneipe, mie auf ben miberlidb tion S9rannttoein 
burdfjbufteten SDunfitoolfen getragen, ber freifdjenbe ü£on 
einer Riebet, begleitet Don Älarinettengeguief ; baS 9luf= 
ftampfen auf bie ©ieten, gröblenbe Subelftimmen liefjen 
erraten, bafj man audb bt ßt & ß nt Äarnebal Tribut sollte. 

9iodf) auffatlenber mürbe ber ©egenfab an einer ber 
mobernen 2 JUetbSfafernen in einer meniget belebten üot= 
fiäbtifdfjen (Strafte. Sn ber erften Stage fab man tyUtn 
Sic&tergtana, bi ß t nnb ba Hangen befonberS laute TOorbe 
eines JHabierS b ßt nf> — bi ß * fdbien ber .gjauSbeftfter, Diel= 
leidet ein moblbnbenber Kaufmann, feinen -fpauSbaH au 
geben. Simbacb’S SSIidE ftreifte auch bie fleinen Senfter, 
bie ficb nur einige Sott über baS 9tibeau beg (Straften* 
pflafterg erhoben — eg maren bie erbärmlichen ßidbt* unb 
£uftlö<ber 3 U ben ßeltettoobnungen, in melcbe ftdb bag 
Slenb ber ©roftftabt au Derfriecben pflegt. Oben b ß He 
Orreube, ©ebtoetgen im b^iteren ©etage bei 2 Jtujt! unb 
Sana — biet unten, unter bemfetben SDadbe, bie büftere, 
unheimliche 9iube ber 9totb. 60 enge berühren ftch in 
bet -fpauptftabt bie ©egenfäfte. 

ßimbadb blieb in biefe ^Betrachtung Derfunten einen 
SlugenblidC fteben unb ftarrte auf ben fahlen ßicbtfcbein, 
ber burdb bie rotben, febmierigen Äattunüorbftnge biefer 
ÄeHerfenfter beröorbämmerte. TO er an ber ^auStbür 



Digitized by Google 



56 



Santilienebrc. 



enblidj borüberfchreitcn tooßte, toäre er Beinahe an eine 
2>ame gerannt, bie mit beflügelten «Schritten aug bem 
Silur beraugftürate. ©ie toar fo bicht berfchleiert, baß eg 
unmöglith toar, ihr ©efidjt p feljen, aber bie feine, 
elegante, in einen loftbaren Sßela gebüßte ^igur ließ auf 
eine ben befien ©tdnben angebörige 2>ame fd^tiefeen. ©ie 
atbmete fo tief auf, baß eg toie ein ©euf^er aug ihrer 
SBruft berborbrang, unb ftüßte fith mit ber elegant be= 
banbfcfjubten Rechten auf ben SPrettflein bor bem Üfjore, 
alg toürbe fie Oon einer plößlidjen Sthtoäcbe befaßen, 
ßimbath, ber fchon augtoeithenb borüber tooßte, bemertte 
noch rechtzeitig ihre hcrftige SBetoegnng unb fprang binau, 
ben 2lrm ber S)ame, bie pfammenftnlcn p tooßen fthien, 
ftüßenb. ©o hielt er fie eine ©efunbe lang an ftdj gelehnt. 

„Söag ift Sbnen, meine ©näbige'?" fragte er in theil« 
nebmenbem £on, ber bie 2)ame, bie burch fein raftheg 
^»erjutreten noch ätger erfcbreßt fthien, toieber einiger* 
maßen beruhigte. „Sühlen ©ie ft<h untoobl?" 

,,©g iß fcbon borüber — ich bante Sh^en, nur ein 
Heiner ©thtoinbel. Sich . . .!" ©ie tooßte fich aufraffen 
unb mit einer banlenben Neigung ihreg berfchleierten 
$aupteg gegen ben SBaron toeitergeben, aber ihr ©thrüt 
toar noth nicht ganj fither. ©ie mußte nodjmalg ftehen 
bleiben. 3b« ©eftalt fthien p erbeben. 

„^Befehlen ©ie bießeicht, baß ich eine SJrofdjfe herbei* 
rufe? @g ftehen toelthe an ber jtoeitnöthften ©traßen* 
biegung." 

„9tein, nein — i<h banle 3b™n für 3b« S«unb= 
lichleit, mein $err, aber eg gibt ftch fdjon; auth toirb 



Digitized by Google 




SRomatt oon Garl Gb. Klopfer. 



57 



ttiidj ein©ang in her falten 9tad£)tluft am beficn ftärfen," 
lifpelte fie unb fdjlug ben ©dreier aurüd, um freier auf* 
atfjmen 3 « fönnen. 

Seim ©djein einer nur menige ©dritte entfernten 
©aSlaterne fonnte Simbacb ein fcbr jugenblidbe§, ungemein 
intereffanteä 9Jiäbcbengeftcbt erfennen. 2)ie Släffe ber Gr= 
tegung, baä Feuer ber großen, fdbmimmenben 2 lugen, unb 
ba§ fanft gefd£)toeHte Sippenpaar be§ leicht geöffneten s Utun= 
be§, ba§ SltleS bereinigte ficb in ber Umrahmung ber 
bunflen £>aartöcfdjen unb beS fcbmaraen ©pipenfcbleietS 
3 U einem fo anaieljenben Silbe, bafj ßimbadb einen leifen 
3lu§ruf beS Grftaunenä nicht unterbrüden fonnte. 

„Söenn ©ie fd§on 3 U Fuße geben motten, mein Fräu- 
lein, bann geftatten ©ie mir menigften§, Sfbuen in aller 
©brfurdbt meinen Slrm anaubieten," fagte er, ihr toieber 
näher tretenb. „G§ ift bieS ein ©ebot ber Sßflidjt bon 
meiner ©eite, benn ©ie biirfen 3 b*e n 2 öeg nicht ohne 
Segleitung mögen, ©ie fc^einen nodj au febr angegriffen, 
©eftatten ©ie mir alfo — ?" 

SDamit bot er ihr feinen 2 lrm, mäbrenb er mit ber 
anberen £anb leidet ben <£mt lüftete. S5ie 2)ame aögerte 
einen Slugenblicf unb fab ibu 3 meifelnb an, aber feine 
9Jiiene freien ibr Sertrauen au ermeden. ©ie nidte mit 
einem halblauten, faurn berftänblidjen ©anfeämort unb 
nahm fein ©eleit an. 

„Saron ßimbacb," ftellte er fidj bor, mäbrenb er ihre 
feine, leife bebenbe $anb in feinen Slrrn legte. „Unb barf 
idb mir bie F*UQe erlauben, nach meldber ©traße ©ie au 
gelangen münfdben?" 




58 



^atmlietieljre. 



©ie nannte ben 9iamen einer feBr Belebten ©traße im 
!0litteXpun!te ber ©tabt, toeltBe bem Baron too^X Befannt 
toar. Slroßbem er in ber Berfolgung biefer Stiftung faft 
ben ganjen 2 Beg 3 urü<fgeBen mußte, ben er eBen Ber* 
gefommen, mar eS iljm bod^ feBr ermfinfcBt, bie ©efeH= 
fd^aft feiner Begleiterin für eine aiemlidje Söeile in 9lu§= 
fi<Bt ju BaBen. 

2imBa<B, ber Bienfdjenfenner, Batte ein feinet ©efüBl 
fitr ben fffrauencBarafter. Btit einem getoiffen ^nftinft 
erfannte er bie geiftigen ßigenfdjaften unb ba§ @emütB 
ber tarnen, mit benen er in BerüBrung fam, fcBon auf 
ben erfien Blicf. Unb Bier erfannte biefeS fein inftinftiBeS 
©eföBl, baß er mit einer 2 )ame Bon reinem ^eraenSabel 
31 t tBun BaBe. 

„GrS mar moBl eine 2lrt £)B n macBt3anfall, ber ©ie 31 t 
BebroBen fd^ien, meine ©näbigfte?" unterBradj er baS an= 
fängli(Be ©tiftßBtoeigen, mit melcBem fte an feiner ©eite 
baBinfd)ritt. ©ein Xon ftang biSfret unb Bott eBrerBietiger 
XBeitnaBme. 

„3«B tueiß e§ felBft nid^t 3 U BeurtBeilen — eine ©tBtoädje, 
BerBorgerufen burtB eine namenlofe Erregung, einen ©djrecf, 
einen tief empfunbenen SIBfcBeu — " 

„2)en ©ie in jenem f?aufe erfuBren?" fragte er erftaunt. 
„hatten ©ie benn baffelBe oBne Begleitung Betreten?" 

„Um etmaigen Btißbeutungen BorauBeugen, mitt i(B 
mid) 3B nen * mein ^err, bem idj feBr Bielen SDanf fdjulbc, 
in Äußern mittBeilen. StB Betrat jenes ^auS, um — 
um eine arme fframilie auf 3 ufudjen, bie einen ber elenben 
Äetterräunte bafelbft BemoBnt — " 




Vornan ooit 6arl 6b. Klopfer. 



59 



„3<h berftehe — ein JöohlthätigfeifSbefuch." 

„2)ie Familie einer atmen Nähterin, bic ich bei meiner 
©chneibetin, für toelche fte arbeitet, fennen lernte. 3$ 
fah ber $rau ihre 9toth an, unb um mich felbft au über= 
aeugen, nach meiner Dichtung ich ba Reifen fönne, er= 
fragte ich bei ber ©djneiberin heimlich bie Slbreffe unb betrat 
unbermuthet baS elenbe ^eimtoefen ber — Unglücf liehen." 

£>ier brach fie ab, als müffe fte ein ©djluchaen aurftdE* 
bröngen. ßimbach nidfte ernft mit bem Äopfe. 

„Unb ber plötzliche Slnblidf beS ungeahnten SammerS 
erfdjütterte ©ie fo tief — " 

„Sa, toenn auch nid^t in bem ©inne, als ich ermattet 
hatte, unb auch ©ie au bermuthen flehten. £), mein £>err, 
ich hätte eS nie für möglich gehalten — alfo haben bie 
ßeute bodj nicht fo gana unb gar Unrecht — in ben 
Höhlen beS ©lenbS mohnt baS ßafter, ber tieffte ©runb 
ber foaialen ©deichten ift mit efelljaftem ©chlamm, mit 
moralifcher SSerberbtheit erfüllt." 

„5lh — i<h begreife! ©ie haben eine (Snttäufchung er= 
litten, ©ie blicften in einen ©umpf, mo ©ie nur eine 
fahle ßcfe au fehen ermatteten?" 

„ßaffen ©ie mich babon fdfjmeigen, maS ich mit ©djau= 
bem erfennen mufjte, noch je^t altert jeber 9terb in 
mir. Sch raffte mich auf unb eilte, fo tafch als eS mir 
meine aitternben ©lieber geftatteten, bie feuchte, finftere 
Streppe empor; eS toar mir, als berlege ber Giebel, ben 
jener fürchterliche 2)unftfreiS mir nachfchicfte, ben 2lthem; 
erft auf ber ©trafje überfiel mich bie SBirfung jenes 
miberlidfjen SlnblidfS." 



60 



gamilieuebre. 



„Unb bro^te ©ie au ätoben au brücfen," ergänate 
£tmbadj. „3a, mein grdulein, e8 taugt nidjt für eine 
reine grauenfeele, in bie Slbgrünbe be8 ©Ienb8 a u MiÄcn. 
ßaffen ©ie ftdj bie heutige fdjmeralid&e ©rfaljrung eine 
Söatnung für bie gulunft fein. Sie toerben aber jeben* 
falls baburdj toenigjtenä bie ©rfenntnijj gewonnen l)aben, 
bafj baä ©lenb nidfjt mit einfachen ©elbfpenben, toie fte 
öon ben aaljlreidfjen Sßoljltljätigfeitäbereinen oft an Un= 
toürbige geleiftet toerben, behoben toerben !ann. Ser 
tounbe Spuntt in ber foaialen grage liegt tiefer, toeit 
tiefer, als bie Reiften anaune^men geneigt finb. deinen* 
falls aber tommt e8 ben grauen au, fidf> burdj ein per= 
fönlid^eS ©ingreifen foldje bittere ßel)ren au ^olen, toie 
©ie foeben." 

,,©ie Ijaben föedjt. £), |>err 33aron, id(j bin in ber 
lefeten ©tunbe um eine ©rfaljrung reifer getoorben, aber 
id& toünfcijte, idfj ^ütte biefe ©rfaljrung nie machen müffen." 

©ie blieb fielen, benn mittlertoeile toaren fie in jene 
©trafje gelommen, toeld^e bie junge Same beaeidjnet Ijatte. 
S5or einem ftattlid^en £)aufe liefi fie ben Slrm Ujreä S3e= 
gleiterS loä. Ser S3aron fal) überrafdjt ba§ iljm toot)l* 
befannte Sljor an. 

„3<$ banfe 3Ijnen nochmals §eralidj, mein £>err, für 
3§re ©üte!" Somit Derneigte fie fi<^ leidet unb flieg bie 
erfte ©tufe in’8 33eftibüle Ijinan. 

„SGßie, mein gräulein — ©ie finb fjier au £>aufer 
rief er erftaunt. ©r toujjte, bafj biefeS ©ebäube nur bon 
feinem S3efi^er betoo^nt tourbe. „SJeraei^en ©ie, aber 
bann, bann — ©ie tooljnen toirllidj $ier?" 



Digitized by Google 




föoman oon ©arl 6b. Klopfer. 



61 



„£HerbingS. 2T&, Sie lennen bieHeid&t meinen SSater? 
Unb ba fällt mir ein, bafj idfj in ber Aufregung gang 
bergajj, 3$re |)öfltdfjfeit gu ermiebern unb midj ebenfalls 
borgufteHen — entfdfjulbigen Sie! 3dj Bin bie $od&ter 
beS Notars Brenner." 

„5llj!" fam eS mit einem unartifulirten Saut bon feinen 
StBBen. 

©r beraBfdfjiebete ftdfj mit einigen rafeij tjingefiammelten 
fRebenSarten. 3rafi mie im Staunt etfdfjien e§ iljnt, als 
er iljre fcfjlanfe ©eftalt in bem |>aufe berfdjminben fal). 
©r BlieB nodj eine SBeile flehen, bann toanbte er ftef) mit 
einem fdjatfen IRudf um unb entfernte ftdfj raffen SdfjritteS, 
bie fRidjtung nadfj feiner SBoljnung einfdfjlagenb. 

„9llfo ba§ ift bie künftige ©räftn SßernSljaufen!" 
murmelte er bor ftd^ tjin. „SfofeBlj, SfofeBlj, baS fjat 35td(j 
berBlüfft — toaS 25ir nidfjt gu oft Böffttt!" 

gtoanjigftes Kapitel, 
ftn abefiges «Jtaifjjeifefcfl. 

35er 33erfeljr IterBert’S mit 25o!tor Brenner mar bie 
gange Bett Ijinburdj ein feljr gegttmngener gemefen. Seffer 
geftaltete ficfj fein 93erl)ältnifj gu ©Ha. 25a er einmal ben 
feften SSorfafc gefaxt, ftdfj mit biefem flttäbdfjen gu ber= 
Binben, raffte er feine gange 5PBilofoBf)ie gufammen, um 
ficfj ben gegenfeitigen SBerfefjr nid^t felBft gu berBittem. 
©r Beljanbelte ©Ha einfadfj mit bem 25one ber Ijöflidfjen 
SieBenSmürbigfeit, ben er ja fo oft tn ben Salons gu 
üBen gegttmngen gemefen mar. ©Ha fjintoieber Begegnete 



Digitized by Google 




62 ffatmlieneljrc. 

ihm nicht mehr, tüte 311 Stnfang ihrer JBefanntfcbaft, mit 
jener getoiffen $ärte, fle toar ftilt unb berfchüchtert ge= 
toorben, fo bafj fte Herbert fd§on toieber für het3lt<h un= 
bebeutenb ju Ratten begann. 

©Ha tjatte allerbingS 3U toenig gefellf<haftti<he Gst» 
faljrung, um beutlich an erfennen, bafj ber fühle, förm= 
liehe £on ihres SßräutigamS ein gemachter fei, unb bie 
innere Stimme, bie ihr hier unb ba boefj auflüfterte, bafj 
biefer jütann nichts bon Siebe ju ihr toiffen tönne, be= 
täubte fte mit Sdjeingrünben, bie fte fdjliefjliäj hoch immer 
toieber an bie SOßorte ihres SßaterS glauben liefjen, ber it)r 
berfi eierte , Herbert fei nur ein überaus 3Utü(ff)altenber 
ß^arafter, in ber füllen $ofluft exogen. @S fchien ihr 
am ©nbe auch begreiflich, bafj er fich ihr im $aufe beS 
93 ater 8 nicht fo nähern toottte, als fte eS im ©runbe ge= 
nommen bon einem Siebhaber ertoartete, benn eS entging 
iljr nicht, bafj ihr SSater burdjauS nicht bie Sympathien 
beS ©rafen befafj. Unb baS toar ihr nicht befrembenb, 
ftanb fte hoch felbfi mit ihrer Haren Vernunft unb ihrem 
<f?eraen, baS beut 33 ater fo toenig linbliche Siebe toibmett 
fonnte, in etoigent 3toiefpalt. 2)er ^auptgrunb aber toar 
immer noch: „Söoau hätte er benn um mich, bie 33 ürger= 
liehe, getoorben, toenn ich nicht feine Siebe befäfje?" Unb 
fchliefjlich toar ihr ja auch baS eigentliche SÖBefen ber 
Siebe noch 3U unbelannt, um bie angebliche Neigung beS 
jungen ©rafen auf ihre ©djtheit prüfen ju f ßnnen ; fie 
felbft brachte ihm ja auch leine toahre Siebe, fonbern 
bielmehr nur eine getoiffe toohltooUenbe Sichtung, bie Sym» 
pathie für feinen ernft unb abgellürt erfdjeinenben Gharaf* 



Digitized by Google 




SRoman uon ©arl ®b. Klopfer. 



63 



ter entgegen; unb bodh mar fd£)on Me§ genügenb, fte in 
mancher ^inftd^t mit bet SSUnbtjeit zu fdfjtagen, bie ja, beut 
©prichmorte nach, ba£ ©rbübet aßet Verliebten bilben foß. 



Slnfangg 9tpril Poßzog ftdh enbtidh bag gtojje ©teig» 
nif$, ba§ fo müdfjtigen ©taub aufgemirbelt ^atte. £eute 
foßte in bet ^offitd^e bie Stauung beg ©rafen Herbert 
fiattftnben, z u metdher zahlreiche ©inlabungen ergangen 
toaren. 

Varon Simbadh hatte bamatg an jenem Slbenb, an 
metchem er Don bem Qfreunbe bie Veftätigung feinet Vet= 
lobung erhalten batte, ganz richtig prophezeit. Vtan fehien 
eg Herbert bemeifen p moßen, bafj eg nicht bie bürget» 
lidhc Stbtunft ber Varonin Vtühttjof? mar, bie ihr ben 
3utritt in bie hodhariftotratifdhen Greife Pertoehtte, inbem 
man jejjt — zu feiner Stauung mit bet zmat bürgerlichen, 
aber über jebe 9tacfjtebe erhabenen SlbPotatentochter — mit 
einer fühlbar Perabrebeten ©inmüthigfeit erfchien. Softor 
Srenner’g ©itetfeit hatte aße Urfacbe, einen mähren Sriuntph 
ZU feiern, menn er bie Äirdhftühle mit feinem Vticf über» 
flog. $ier mar bie „©tönte" ber Slbelgmelt Perfammelt, 
um ber lirdhlichen Vetbinbung eineg ©rafen 2öern§haufen 
mit ber Sochter eineg einfadhen 9totarg beizumohnen. 60 = 
gar ber £of hatte einen Söürbenträger zur tlebermittetung 
ber hulbboßjien ©lüctmünfclje an bag Vrautpaar entfanbt. 
3a, Sfnebridh Srenner, ber ©ohn eineg Slrbeiterg, tonnte 
fich mit 9te<ht Por feinem eigenen ©enie Perbeugen, mit 
meinem er bag auggefftet hatte, mag er heute atg glünzenbe 
©rnte einheimgte. 



Digitized by Google 




64 



Jamilienehre. 



ui (: 5)et ©j»2Jlinifter, ©raf SBtabimir SöemShaufen, hatte 
fich entfdjulbigen laffen müffen; er toar burdj Jfranfheit 
auf feinem ©ute anrücfgehalten , tote eS fpfc« Slber eS 
fchien i^n fonberbarer SBeife auch 9tiemanb p bermiffen. 

©ie Äircbe bot einen prächtigen SlnbtidE. $n ben 
©fühlen, eng gebrängt, bie ©pifcen ber ©efellfchaft, ein 
SJleer bon feenhaften ©amenroben, glänaenben Uniformen 
unb orbengefdjmücften 3?räcfen; in ben ©eitenfdjiffen bie 
Vertreter ber ©rofjmadjt treffe, als ©hroniften beS blutigen 
fjefte^. Unter biefen ftanben auch SBottbrecht unb ber 
Sitbbauer SCÖurm. ©iefer hatte fich eigentlich jejjt boU= 
ftänbig auf bie Slrdjiteftur getoorfen an ©unweit feiner 
Vefuttiüren Sßerhältniffe, toie er bem ftreunbe eben im ge= 
flüfterten 3toiegefprä<h mittheilte, ©ie toaren erft nach 
Söodjen toieber aufammen getroffen, ba auch 33oHbreäf)t 
in feiner regen f<hriftfteHerif<hen ©hätigfeit leine 3eit 
mehr gefunben hatte, ben 3Jtufenl)of p befuchen. 2öaS 
fonnte ihn jefct auch noch in jenes ©ebäube atehen? ©r 
felbft h^tte mit ben ©amen Söalfer baS alte Cuartier 
berlaffen, unb auch ber $reiS ber Äfinfiler, ber bort hauSte, 
bot ihm feine rechte Slnaieljung mehr, feitbent Michael 
SBurrn unb ber alte SanbfchaftSmaler SBenbelin Araber 
bem 9iübenhofe S3alet gefagt. ©aS „©felett" toar einem 
Sftufe an bie ©üffelborfer Slfabemie gefolgt, unb toaS je^t 
noch in bem bertoitterten ©emäuer in ber $önigSftrafje 
an Äunftiüngem hauSte, fonnte SÖoftbredjt feine fonber* 
lieh freunbfchaftliche ©h e ünahme abgetoinnen. 

„3a, ja," feufate SBurm, „ber SJtufenhof hat feine 
5ßhbftognomie grünblich beränbert. ©S ift iefct nichts mehr 



Digitized by Google 




Otoman oon Garl @b. Klopfer. 



65 



bort lor. (£rfi ging SBranbt toeg, bann 2)u unb bie braten 
SSalferr, enblidb audb ber gute $ra|er — ba tonnt’ idb’r 
auch nicht mehr aurbalten, er mürbe mir ju einfam. 
Sßeifi er (Sott, ich Permiffe fogar bar Älabiergetlimper 
unferer närrifdjen ©tampfel über meiner ©tube. Styro- 
por, meifjt 2)u, baf$ SBranbt mit bet SBaronin ÜJlü^t^ofT 
toieber l^ier fein foH?" 

„So, fo," antmortete SBoHbredbt aerftreut. (5t hott* 
oor einigen £agen ben 3Jtater in ber (Squipage ber SBaronin 
gefeben unb ftdb über bar Sturfeben be§ ebematigen Qrreunber 
entfept, in beffen Slntlip beutlidb au lefen mar, bafj er 
im äftnerfien gebrochen, aerfc^eKt mar. Siidbatb batte 
je|t nur Sluge für bie (Sruppe ber SBrautjungferu , bie 
bort Porne am -frauptaltar mit ben £rauaeugen bar SBraut- 
paat umgab. 2)ie liebliche (Seftalt ßbarlottenr, bie neben 
ber (Somteffe ßamiHa ftanb, fejfelte feine ganae Slufmerf» 
famteit. 3b m fehlen ber ganae ütrofj ber jungen OTbcben 
in tyren einbeittidben blafjrotben Sttlafjlleibem ein fteen- 
gefolge, bar feine Königin — Sottdben — begleitete. SDie 
meniger befangenen übrigen Slntoefenben aber tonnten ber 
SBraut tyre SBemunberung nid^t petfagen. SBeim Slnblidt 
ber intereffanten , b^litb^n (Srfdbeinung Fräulein üEren- 
ner’r fdbien er ben ^»errfdbaften bodb feljt glaubhaft, bafj 
©raf Herbert mit biefem ©bebünbnifc nur einen aarten 
^eraenrmunfdb befriebige. ©Ha erfdbien in bem tojtbaren 
23rauttleibe überaur anaiebenb. 2)er emfte ,8ug in tyter 
ÜJliene, ein mebmütbiger £audb, gab tyrem Slntlijje, bar 
fonjt nidbt gerabe auf unbebingte SBoltenbung Slnfprudb 
madben tonnte, ettornr befonberr Sieiaenber. S)ier mufjte 

«ibliotbef. 3abtfl. 1889. »b. XII. 5 



Digitized by Google 




66 



^amilienehre. 



fit aut ber Baron ßimbad) fagen, her, als einer ber 
Xrauaeugen beS S3räutigam§, hinter biefern ©teEung ge= 
nommen hatte. SDaS £aupt leicht gefenft, ben ©tnurr» 
hart jtoifd^en bie 3äljne geflemmt, liefe er fein Sluge mit 
einem freuen, faft finfteren Blicf auf bem holben #alb= 
profil ©tta’S ruhen. (Sine eigentümliche Bitterfeit hatte 
fit feines ©emütheS bemättigt. ©eine ©ebanfen be» 
toegten fit abmetfelnb Don jenem Stoiegefpräte im Sßalafte 
SöernShaufen , mo ihm Herbert feine gejtoungene Ber» 
binbung mit ber Slbbofatentotter angeaeigt hatte, nach bem 
ÄarneöatSabenb, an meltem er braufeen in ber Borftabt 
einet unbefannten S5ame fein ©eleite angeboten. 

2)er Bräutigam hatte gana bie Btiene, bie au feiner 
heutigen 9toEe pafete. 9Jlit förmliter ©alanterte hatte 
er bie Braut au bem Betfdjemel am Slltare geführt, mit 
fiterer ^anb metfelte er ben binbenben föing, flar unb 
ruhig Hang fein „3fa!" auf bie fjrage beS SßriefterS. Unb 
als er nat BoEenbung beS feierliten SlfteS, 2lrm in 
2lrm mit ber jungen ©attin, burt bie 9teihe ber 2ln» 
mefenben ftritt, bie fit a ur ©ratulation hetanbrängten, 
mar aufeer Brenner unb aEenfaES Simbat lein ©inaiger, 
ber eine Slfjnung haben fonnte, mie eS im Innern beS 
„glücftiten" jungen ©hemanneS auSfah- ©ein Sluge bliefte 
frei unb Har, fein £äteln mar fo öerbinblit, ber banfenbe 
SDrutf feiner #anb fo innig unb marm — fein Steifet, 
er mufete ben Befife jenes anaiehenben SöefenS, um ben 
ihn fo manter ber gratulirenben Herren beneibete, boEauf 
au ftäjjen. Selbft ©Ea, ber in ber lefeten 3eit bot 
einige bange Smeifel an ihrem fünftigen ©lücf aufgeftiegen 




Vornan oon Part Pb. Stopfer. 



67 



ioaren, fah nid^t f baf? baS ßädheln $erbert’S ein erlün» 
ftelteS toar. ©ie hatte Bisher ein ihr felbft unerllärlicheS 
©efühl ber S3angigfeit nicht aurüdaubrängen bermodljt, 
trofc bcr berutjigenben Serfidjerungen ihres UteterS. 9tun, 
je^t toaren bic SBürfel einmal gefaEen — eS gab lein 
•Burüd mehr. Unb babei fdjien ihr heute bie Haltung 
^erberi’S ja au ben fdjönfien Hoffnungen Slnlafc au geben; 
bie feierliche lirdhlidfje Seremonie, bie gtänaenbe Umgebung, 
bie ©lüdtoünfdhe , bie alle fo bon .fperaen au lommen 
fdjienen, fie hätte lein grauenhera befifcen muffen, um jidh 
biefem ßinbrude au berfdhüefjen. 

2luS ben btaufenben Sllforbcn ber Orgel meinte fie bie 
erhabene ©timme ihres ©chutjgeifteS au bernehmen, ber ihr 
ein liebliches 2lmen in bie ©eele fang. 9lodh nie glaubte 
fie ben beglüdenben üroft ber Religion fo füfj entpfunben 
au hüben. 

Herbert fitste bie ©dhtoefter, bie mit (Charlotte he*an» 
getreten toar, betoegt auf bie ©tirne. 

„Hier (SEa, ift 2)eine Heine ©dhtoctgerin! ©ie unb 
Fräulein Eöalfer toerben S)ir treue fjreunbinnen unb heitere 
HauSgenoffen fein." 

ßamiEa fah bie ©dhtoägerin ettoaS aögernb an, bann 
aber ergriff fie he^lith bie ihr entgegengeftredte <£>anb 
unb lüfjte <£Ea innig auf ben 3Jtunb. 

„2)u toirft mid) bocfj ebenfo lieben, toie ich ©ich au 
lieben ben beften iorfafc hübe, nicht mahr 1 ?" 

„©etoifj, $amiEa, S)u foEft eine aärtlidhe ©dhtoefter 
an mir haben!" ertoieberte GsEa gerührt unb ftreidhelte 
bie frifchen Söangen ber aTomteffe. 2>ann umarmte fie 



Digitized by Google 



68 



f5?atntHeneljre. 



au<b ßl^atlotte mit Snnigleit. O, fic füllte ftd) ja jefct 
fo frob, fo tjoffnungSgefätoettt, bajj fie bic gange Söelt 
hätte umarmen mögen. 3n biefer toarmen |)ergen8auf« 
toaHung bemerfte fte auch nid^t, bafc ba8 ßädjetn ^erbert’S 
für einen 2lugenbli<f ettoaS 23ittere§, ©atfafiiföbeS an» 
nahm. 



Snt |>aufe Brenner ’S berfammelte ftcb ein Meiner ÄreiS 
gu bem $oc$geit8mat)te, baS nach ber Trauung ftattfanb. 
Slujjer bem ^Brautpaar unb bem -^auStjerm fottten nur 
bie hier Slraugeugen baran £b e tf nehmen, fo hatte e8 
Herbert bei feinem ©chtoiegerbater — er füllte ftdj jebeä« 
mal toie bor bie ©tim geftofjen, toenn er Brenner in 
©ebanfen biefen bertoartbtfchaftlicben tarnen gab — enb« 
l ich burebgefefct. ©enerat b. ©tblingbeim unb 33aron 
Sofepb ßimbadj toaren bie SSeiftänbe SöeraSbaufen’g, 
33iebicinatratb b. 5ßleuer unb 2)oEtor ©tehüoeg, ber erfte 
Äongipient Slrenner’g, bie ber jungen SSraut. 

2Bäbrenb ber ©enerat mit bem S3aron unb bem 2Jte= 
bicinalratb in einer genfiemifdje be§ ©alonS plauberte, 
batte ftdb ©teintoeg in bie ©dfe, too ber Ofen ftanb, gu« 
tücfgegogen. 2)em Surifien ftiegen abfonbertidje ©ebanfen 
auf über bie $erbeiratbung beS ©rafen 3Bern§Ijaufen. 
ßr erinnerte fidb feineg UrttjeilS, baS er fdjon bor langen 
fDtonaten über bie 5£odjter feines ©b e fä flefaKt. Sa, er 
hielt audj beute no$ — mehr als je — an ber lieber« 
geugung bon bem tiefinnerlicben Sßertbe ßtta’S feft, aber 
fein iuriftifdjeS Feingefühl fagte ibm, ba| eS nid^t bie 
ßrfenntnijj beS fdbüfeenSmertben 6ba* a tterS beS Stäbchens 



Digitized by Google 




Vornan pon 6art 6b. Klopfer. 69 

mar, bic beit ©rafen Veranlagt batte, bie beute bottaogenc 
SBerbinbung einaugeben. 

3JIU einem 33ticfe be§ 2Jtitteib3 batte er 6Ha nadj= 
gefeben, atä fie borbin tfjr 3immer auffucbte, um ihre 
Toilette ju mecbfetn. 6r tonnte jtdj bet mebmütbigen 
Sl^nung nicht ettoe^ren, bafj bie glüctlichen Hoffnungen, 
bie fie jeijt noch erfüllten, bie au§ bem fiächetn ihrer 
2Jtiene, auä bem Feuchten ihres 2tuge8 ftrabtten, in 23ätbe 
eine bittere (Snttäufdjung erfahren mürben, unb baä bauerte 
ibn tief. (Sr fab nach ber jHjür, burdfj bie ficb ©raf 
Söemäbaufen mit feinem (Scbmiegerpapa nach beä ße|tereit 
5trbeit§aimmer aurüctgeaogen batte, um noib „einige £forma= 
litäten" au ertebigen, mie Xrenner gegen bie getabenen 
©äfte entfchulbigenb bemerfte. Sa, ba brinnen mürbe 
etma§ ©ebeimnifjbotleä auSgefocbt, fagte ftch (Steinmeg; 
ba brinnen tarnen jene Verborgenen Urfachen aur (Sprache, 
bie ber beute gefcbloffenen ®be beä ©rafen au ©runbe 
tagen. — 

STrenner batte feinen ©cbmiegerfobn Pom 33ibtiotbef= 
aimmer auä in ba§ untere «Stottmert biuabgefübrt, mo 
bie SBureauj tagen, bie beute, als am Ho<haeit3tage ber 
üodjter be§ Haufe§, teer ftanben. Srn 5pribatarbeit8= 
aimmer Xrenner’S fanb amifdfjen biefem unb Herbert bie 
©rtebigung ber lebten „Formalitäten" ftatt. 

$)a Herbert ben 6ib au8gef<htagen batte, ben üjm 
ber 9totar angeboten, btieb auch biefer fteben. 9tt§ er 
jebt fo nacbtäffig an bem (Sdfjreibtifcbe tebnte, bie Hanb 
auf ein Späcfcben Rapiere gefiübt, bie in einer berfdfjtoffenen 
Umhüllung auf ber statte tagen, tarn er fidfj fetbft mie 



Digitized by Google 




70 



ftamifieneljre. 



ein JriumPhator bor, ungefähr tote ein fütadhthaber, ber 
feinem Befiegten (Segnet bie £5?riebenSBebingungen biftirt. 

,,©ie ^aBen alfo mit bem heutigen Jage 3h* Söort 
eingelöst ," Beenbete et feine längere 0tebe, „eS ift nun 
an mit, auch baS meinige a« tjatten." 2)aBei pochte et 
auf baS fdfjon ermähnte ©chriftenpacfet unter feinen Ringern, 
©eine fÖtiene ijatte ettoaS toie ein ^eraBtaffenbeS 28ofjt= 
toollen für ben gräflichen ©djtoiegerfofjn. 

„fütit bem heutigen Jage fjaBe ich auch aufge^ört, 
3h* jutifiifdjet ©adhbertoalter au fein, lieber Graf," fuhr 
er nach einer fßaufe Mchelnb fort, als SöemShaufen feinen 
SSorten noch immer ©dhtoeigen entgegenfepte. „(Sie haben 
jtdh über mich nicht au Beflogen. 3<h übernahm ben 3luf* 
trag, ben Sie mir erteilten, unb führte ihn in getoiffen* 
haftefter Söeife auS. 3fene Jhür, bie im Gofecfer ©dhloffe 
Don einem getoiffen ©dhfafaimmer aus in ein getoiffeS Ge= 
ioölBe hinahführt, ift bermauert. 3<h h a ^ c felBft ouf ber 
Verberge ber fDtaurer einen butdjreifenben |>aubtoerf§= 
Burfdhen auSgefudht unb ihm biefe Slrbeit unter ^Beobachtung 
fotdher SßotfichBbtafjregeln übergeben, bafj idh überaeugt Bin, 
er toeifj felBft nidht ben Drt unb ben tarnen beS ©dhlojfeS 
au nennen, too er nächtlicher Söeile gegen eine gtänaenbe 
SSeaahlung ein — ^famitiengeheimnijj bermauerte. J)ie 
ftrenge Geheimhaltung biefer Slngelegenheit liegt ja über* 
bieS fdhon in meinem ^ntereffe, ba ich burdfj bie 9Ser= 
Btnbung meines einigen ßinbeS mit Sh^en in ein ber* 
manbtfdhaftlicheS SSettjältnifi aut Familie SöernShaufen 
getreten Bin. ©ie fönnen fidh baher auch fü* bie 
funft gana auf meine 33etf<htoiegenheit, auf meine ber= 



Digitized by Google 




Vornan oott @arf 6b. Klopfer. 71 

toanbtfd&aftlidEje Unterftütjung öerlaffen, liebet — ©dfjtoie= 
gerfoljn!" 

£)ie Söorte beS Notars Hangen tote teuflifdfjer <£>o$n. 
Herbert fttirfdjte mit ben Binnen unb toanbte ftd§ ab. 
©eine <£>ünbe surften, als tooHten fie naefj bem Untoer» 
feijämten greifen, bet iljn I)ier mit fo beuttidjer 2lbfidfjt= 
lidljfeit au bemüHjtgen fudjte. B eher Bug in bem pfiffigen 
®eftd§te beS 2lbbo!aten fdjien laut $u fagen: „Bdj tjabe 
S)idfj in meinen tf>änben icfj bin S)ein «^err unb gefonnen, 
2)idfj meine ^ertfd^aft jeberaeit empfinben au taffen!" 

,,Bd) beule, toir fütaen biefe Unterrebung nacl) 2djun= 
Udjteit ab," preßte Herbert enblidj Verbot; „toir tooHen 
unfere fffreunbe oben nid^t au lange toarten taffen. Bljte 
33ebingungen bei bem öon Bfjuen Oeteinbarten ©efdfjäfte 
feljen ©ie, fotoeit fie midj betreffen, erfüllt, nun erfüllen 
©ie bie Obliegenheit, a u toelcfjer ©ie ftcij Verpflichtet tjaben, 
unb mir fmb quitt. |>ier, im tarnen meines SSaterS, bin 
id§ jene fffamitienretiquien au empfangen bereit, ©eben 
©ie biefetben Ijer, unb idj toünfdfje, bafj bantit bie ©adje 
fo gänzlich abgetan fei, bafj fie nicht einmal atoifdjett uttS 
meljr aur ©pradje lomme." 

Brenner fjob baS 5ßädd§en auf unb breite eS in feinen 
$änben. „Urlauben ©ie, mein Sieber, ©ie fdfjtagen bamit 
einen £on an, ber Birnen unter biefen Umftanben nicht 
gana aufommt. Bh tjabe über unfere lünftige ©teüung 
au einanber nichts meljr au bemerlen, toaS icfj nicht fhon 
bei Stbfdjtiefjung unferer SBebhtgungen ermähnt Ijätte. 6S 
fteht inbeffen gana tu meinem ©utbünfen, ob id) fpäter 
einmal nicht abermals auf biefeS leibige ^amitieugel)eimni£ 



Digitized by Google 




72 



ftamilienefjre. 



aurüdfommen toitt, mitte eä audj nur, um Bbueit öott Beit 
au Bett Har au rnadjen, baff ic(j ©ie nidjt au Bb*« 
geatoungen fjafce, ©ie au erinnern, baff idj biefeS 5ffroje!t 
fd§on fallen gelaffen unb nur auf Bb* drängen bin 
mieber aufgenommen ^abe. 9Jtit einem SCßorte, eä !ommt 
gana auf ©ie an, inwiefern bie berührte Reifte ©adbe nodj 
einmal atoifdben unä aur ©brache lommen toirb." 

S5ie Slugen beä ©rafen fdljoffen SBliffe auf ben 9totar, 
ber i^m ^ier ben 3 ?uff auf bag gebemütbigte |>aubt feffte. 
©eine $eble fdjnürte jidj aufammen, baS 33 lut mid) unter 
ber im B n uem tobenben Söutb auS feinem ©efidjte, nur 
bie 9iarbe beg ©äbet^iebeS auf feiner ©tim leuchtete in 
bunflem 9totb. 

„Imnbefeele!" aW e er a»ifd§en ben frambfbaft auf» 
einanber gebiffenen Bäbuen berbor. 

„2Bie meinen ©ie?" fmg Brenner mit bocbniütbigem 
gadjeln. 

fflur mit aller ©etoalt fonnte Herbert feine rafenbe 
ßuft, ben Reiniger mit einem gfauftfd&tage 3 U S3oben au 
ftreden, aurüdbtängett. @r fuhr ftdj über bie Slugen unb 
manbte fein bleidtjeg ©effdjt ab. 

„Sttadjen toir ein ©nbe, |>err. 2Bo ftnb bie betoufften 
Rapiere!" 

„|)ier," fagte Brenner fo gelaffen, atg bonble eg fidj 
nur um getoöbnlicbe Süalulatur, unb übergab bag SßädEdben 
bem ©rafen. SBä^renb biefer Saftig ben Umfdbtag ent» 
fernte unb bie einaelnen S3lötter flüchtig butdj bie Ringer 
gleiten lieff, betrachtete ibn ber 9totar mit fböttifdjcm 
Sädjelit. 



Digitized by Google 




JRoman oon (Sari (Sb. Stopfer. 



73 



„Unb tag finb alle Rapiere?" 

„9lEe. Sie fönnen fidlj burd§ eigene ßeftüre über» 
zeugen, bafj auctj in bem SBenigen genug enthalten ift." 

„kleine 9lugen finb nidjt berufen, ben 3n§alt biefer 
Slufaeid^nungen au burcJjforfcfjen, bie nic&t für mid^ be» 
ftimint toaren. 3d) toerbe fie ungelefen Pernidjten." 

Herbert barg bag *PädEd§en in ber inneren SSrufttafdje 
feineg gradfeg, bann neigte er faft unmerfUdj bag |>aupt 
unb toanbte ftdj ber Xpr au. 

„$alt, nodj einen Slugenblidf, ©raf!" rief ifjnt Xrenner 
nacf) unb rid^tete fidf) empor. 

SBerng^aufen breite ben Sopf auxiicf. „£aben ©ie 
nodj ethmg au bemerfen?" 

„Sitterbingg. Oie peinlidje 2ln gelegenst, ber @ie fo 
manche fdjlaflofe fJtadjt Perbanfen mögen, ift nun aug ber 
SCÖelt gefdjafft, fein SJienfdj fann auftreten mit ber 33e= 
l)auptung, ©raf ©gon ö. Söerngljaufen toäre anberg alg 
burcfj ben fattfam betannten Stura in jene (Sdjludfjt um» 
gefommen, ja <§ie felbft fönnen fidj bamit beruhigen — 
cg toeifj eg ja ftiemanb beffer. Oiefen befriebigenben 2lb= 
fcfjtufj ernten <5ie alg fjrucljt eineg Opferg, bag eigenttidj 
gar fein befonbereg Opfer ift, benn Sfjre junge ©attin 
befi|t alle ©igenfdjaften , um fie aucfj oljne ben fpreig 
biefer intereffanten Rapiere bege^rengtoertf) au finben. 
9tun, biefen ^Jreig, ben idj Offnen fcffulbete, Ijabe idj ge» 
teiftet. 3dj gefje aber über meine 33erpfli<f)tung nodj 
Ijinaug, idj betoeife $fjnen, bafj idj fein Snicfer bin, toenn 
eg gilt, ein anftänbigeg ©efdjftft abaufdjliefjen. 3d) toiU 
meine fKotfe alg ©djioiegerpater fo natürlich auffaffen, alg 



Digitized by G 



74 



tfamilienehte. 



berbanfte idb fie nidfjt immerhin ettoaS eigentümlichen 
Umftdnben — Iura unb gut, ©ie foüeit mich als cou= 
lauten Stann fennen lernen." 

@r öffnete ein $a<h im ©djreibtifcbe unb nahm barauS 
einen 5)3apierbogett, ben er langfam entfaltete. 

„SBaS toolleu ©ie fagen?" meinte Herbert befrembet 
unb trat mit finfterer ÜJliene näher. 

„Sn unferen Sibmathungen toar nie bon einer Mitgift 
bie tRebe, bie ich meiner Doc£)ter mitgeben tooHte. S<h 
bin ein Stann bon 5ftobleffe — hier überreiche idjShoen 
bie Slntoeifung an meinen Sanfter, ©ie ermatten bafiir 
bie Storgengabe Sh ier ©ernannt auSbeaaljlt, ein Drittel 
meines ganzen SermögenS: eine h Q lbe StiHion Dealer. 
Nehmen ©ie!" 

Stit einer bli|fdhneHen Setoegung, einen ©ehret ntaf$= 
lofer 2Butb auSftofjenb, entriß ihm Herbert baS entgegen 
gehaltene Rapier. Sm 9Ru flog eS in ©tttdfen auf ben Soben. 
Dremter mich gana berbu|t aurücl. 

,,©ie machen ba§ 2Jtafs Sh*er Unberfihämtheiten bott!" 
fttirfchte SöernShoufen. „©lauben ©ie benn toirftich, midfj 
mit biefer Serbinbung au fidj in ben $oth, antn niebrigen 
9ftbeau Sh rer gemeinen ©ejtnnung berabgeaogen au h^en? 
Stber hüten ©ie fich, ©ie finb Sh*eS SortljeilS !eine8= 
toegS fo ftdher, als ©ie glauben. Söenn ©ie mich aufs 
Sleuferfie bringen, fo ftreife ich bie Ueffeln ab, bie ©ie 
mir fo unaerreijjbar übergetoorfen au hoben meinen." 

„prahlen ©ie nicht, mein foerther ©raf, mir imponiren 
©ie nidht mit biefett Drohungen. S<$ toeib, too idh ©ie 
au f affen höbe!" 



Digitized by Google 




Vornan oon Sari 6b. Stopfer. 75 

„Unb auch ich!" fernste Herbert. 25amit flöhte er 
in einem Unfall bon Beftnnungäloftgfeit bor. ÜJltt einem 
©riffe umfraHte er bie ©urgel ‘Erenner’g unb brüdte ihn 
mit fRiefenfraft gegen bie SSanb. 25er Sftotar toollte auf= 
fchreien', if)n jurüefftofeen, aber feine Stimme berröcijelte 
unter her Umflammerung ber ehernen Ringer, bte ihm 
an ber Äehle fafeen, feine ©lieber toaren toie getä^mt. 
@rft ber entfette, fleljenbe S3ticf, bie jitternben, toie bittenb 
erhobenen |>ftnbe be§ 9totar§, fein blau anlaufenbeä ©e= 
ficht brachten «Herbert 311 m Betoufetfein feiner unüberlegten 
Xhat. 6 r ben fftotar embor utib liefe tfen gu Boben 
fallen, inbem er bie frampfhaft 3 ufammengeballte 3 ?auft 
öffnete unb jurflitrat. 

fftach einigen Sefunben hatte jtefe Brenner toieber 
einigermafeen gefammelt. ©t erhob ftclj mübfam bom 
üepbicfe utib fchob feine Ärabatte aureiht. SBährenb er 
bor bem Siegel feinen Slngug orbnete, berliefe Herbert, 
ohne fich noch einmal nach ifetn umpfehen, mit rafefeen 
Schritten ba§ ©ema<h- Brenner fah ifem mit einem gif= 
tigen Blidfe nach- 3ll§ bie £1$* hinter bem ©rafen 311 = 
gefallen toar, fiambfte er auf ben Boben, ein 
"Süden überflog fein ©eftcljt. 

„Teufel auch, ber Burfdje toare im Stanbe, in feinem 
2 Bahntoi| tot'rflich eine !£hat 3 U begehen, bte ihn freilich 
berberben toürbe, aber toaS fragt er im Slugenblicf ber 
fRaferei bamach, unb toaS hätte ich babon, toenn man 
meinen Btörber mit ben fchrecflichfien foltern bafür büfeen 
taffen toollte? 3)a§ hübe ich nid^t ertoartet! SDer Xott* 
topf ftört mir alle meine Berechnungen." 



Digitized by Google 




76 



ftamitieneljre. 



6 r toatf nodh einen testen 33licE in ben Spiegel, 30 g 
feinen ffradE auredht unb berliejj enblidh baS 33ureau, unt 
ft<h mürbebotten Schrittet mieber in ba§ obere StodEmerf 
3 U begeben. 

S)er SJtiene .^erbert’ä tonnte man eä nid^t anmetlen, 
ioetche unerquidEtiche Scene ft<h menige SJtinuten aubor ba 
unten im 33ureau abgefpiett hatte. 2lu<h trennet mar 
mieber in ben boKen Söefi^ feinet ©feichgemidhtä gelommen. 
2 Jtit gelaffenem Slnftanb mattete er feiner Pflicht alä auf= 
merlfamer SBirt^. Sein ^Benehmen bem Sdhmiegerfohne 
gegenüber ^atte etmag SftefpettboHeS angenommen, in ba§ 
fidh jeboch eine gemiffe SSertegenheit mifdhte. 

$ätte nicht bie unbermüftliche Saune beä alten ®e= 
neral3 bas $£ifdhgefprädh etmaS belebt, bie Unterhaltung 
mürbe eine fehr ge^mungene gemefen fein. Herbert unter= 
tjielt fidh in büßten fRebenäarten mit Steinmeg, unb @Ka 
fah fchmeigenb auf ihren £eHer nieber. |>err b. Schling* 
heim merlte audh mit nicht geringem dsrfiaunen, bajj fo= 
gar S3aron ßimbach, fonft ber geiftfprühenbe Unterhalter, 
ber auägeaeidhnete ©efeEfdfjafter, eine gana abfonberlidhe 
ßinfilbigfeit an ben 5£ag legte. Unb ber 2ttebicinatrath 
mar 3 U fehr mit bem für ihn hochwichtigen ©efdhöfte ber 
S3efriebiguitg feineä fDtagenä in Stnfpruch genommen, um 
bie Unterhaltung mit mehr als h«r unb ba mit einem 
«3a, ja!" ober ,,^m, hwl" au Würaen. 

So fühlten fidh f° aiemlidh Sille erleidhtert, atö ber 
Stbenb fo meit borgefhritten mar, bafc man bie £afet 
aufheben tonnte. 



Digitized by Google 




Vornan oon Karl @b. Klopfer. 



77 



<2tnnn&3iDatt3t<$jle0 Kapitel. 

<Awf ewig gebuttbett. 

©raf Herbert hotte fi<h bon ßimbach bis p feinem 
#aufe begleiten taffen. ©8 war ihm baburcf} möglich 
geworben, toührenb beS furjen SBegeS bont 4?oufe beS 
2lbbo!aten bis pm Calais SSernShaufen mit ©tfa, bie 
an feiner Seite im SCBagen fafi, {einerlei Söorte wedjfeln 
p miiffen. 

2118 ber SBagen an ber 2luffahrt be8 flogen ©ebüubeS 
hielt, fam ber alte #auShofmeijier eiligft au8 bem Vefti* 
büle nnb öffnete feiner jungen $errfcfjaft ben Sßagenfdjlag. 
3uerft flieg (Sita au8, bie unterftüfcenbe #anb 9töfjler’8 
mit einem freunblichen „Sanle!" prüdweifenb. Veralte 
Wiener War auf’8 ^öd§fte überrafc^t beim 2inblidt ber 
holben (Srfcheinung feiner neuen ©ebieterin, für Welche 
er fofort auf ben erften SSlid 3mteigung empfanb. 

„Vteibe nur unb laffe Sich gleich uach #aufe fahren," 
fagte Herbert ju Simbach, ihm bie $anb noch in ben 
Söagen hineinreichenb ; „ich banle Sir für Sein ©eleite." 

„Sa8 fagfl Su, al8 fühltefi Su Sich bamit unenblich 
berpfUchtet," fagte ber gfreunb leife. 

«Herbert antwortete nur mit einem bezweifelten Vlid 
unb einem leifen steigen be8 #aupte8, bann eilte er bie 
Stufen pm Stur hinan, Wo ihn (Hta erwartete. Unter 
einer förmlichen Verbeugung reichte er ihr ben 2lrm unb 
führte fie bie glün^enb erleuchtete Sreppe empor nach bem 
erften Stodwerte, Wo bie Söohnrüume lagen, bie er für 
fich unb feine ©emahtin beftimmt batte. 




78 ^antilienehre. 

S)er alte Ütö^ler fdjritt boran, gleichfant bet #au3= 
geifi, ber ba8 junge 5)3aar in fein £>eim entführte. 

Aiemanb begegnete ihnen untetmegä, benn ber ©raf 
hatte auäbrüdlich ben Söunfdh auägejprotfjen, bie ©lüct» 
toünfdje ber ©üterbeamten unb ber Sienerfchaft erft am 
nädjfien SJtorgen entgegen^unehmen. 

©Ka füllte fid> trofc ber rejerbirten Haltung <£>erbert’g 
unb ber ©title, bie allenthalben ^exxfd^te, bon bem |>aufe 
traulich angeheimelt, ©ie entpfanb e§ mie eine Art ehr- 
fürchtiger ©djeu, biefe Aäume $u burdhmanbeln, bie fdjon 
feit einer langen Aeihe von fahren einem flogen Qfeubal» 
gcfchledht 3 unt Aufenthalt bienten, unb bie nun auch iljt', 
ber bürgerlichen ©attin be§ lebten äöernähaufen, ju einer 
^eimath^ftätte merben fällten. 

21 u bem großen gemölbten .fpauptlorribor, auf meinem 
ein biefer gufjteppich jeben ©djritt berfcplang, öffnete ber 
boranfehreiteube ^au^hofmeifter eine h°h e Slügelthüre, 
burch toeldhe er baS junge ©hepaar eintreten lie| unb ftch 
bann entfernte. 

ßfla fah ftch in bem meitl&uftgcn ©emache mit an= 
genehmer Ueberrafdhung um. ©ie mattblauen ©eiben* 
tapeten, bie mit ben loftbaren fütöbeln harntonirten, ber 
meidje Teppich unter ihren tfrüfien, einige herrliche ßanb* 
fchaftggemölbe an ben äöänben — ba8 mürbe AUeä burdh 
ben fanften, gebämpften ßiehtfehein beleuchtet , ber burch 
3 tt>ei bunfelgelbe ©laStugeln 00 m Spiafonb h^tabfiel unb 
fidh im lieblichen Uebergange mit bent ©cbein bes lleinen 
öeuerä bermifchte, baä auf bem prächtigen, mit einem reichen 
SJtarmorrahmen umgebenen ßamin flatterte, ©ine an e 



Digitized by Google 




föoman oon Carl Cb. Klopfer. 79 

genehme, Wohlige Söärmc erfüllte ben glän^enben uitb bod^ 
fo gemütlichen 9taum, ber aufjer ber Äorriborthüre nod) 
gwei SHebentbüren aufwie!. 

Herbert legte feinen <£>ut auf einen ©tuhl unb half 
ihr ben Ueberttmrf oblegen. SDamt liefe er ihr noch einige 
SJtinuten 3eit, ben ganzen Cinbtud biefel ©emache! in 
fich aufounehnten. ©üblich — jum elften s i)tale mit ihr 
unter bicr Singen — nahm er ba! SBort. 

„3)ie übüre linf!, bie ©ie bort fehen, führt nach 
meinen 3 imntern." 

©ie etjebraf bor bem falten £one unb ber Slnvebe 
,,©ie". 2Bie benn? SBottte er biefen 3Wn audj für bie 
Sufunft beibehalten? 

„2)iefcr ©alon hier Wirb un! junt ©mpfang unferer 
£$rreunbe bienen, .fpier, redjt!, behübet fich ba! ©peife= 
aimmer, in Welchem Wir un! bei ben SJtahiaeiten 3 ufammen= 
finben werben." 

©t öffnete bei biefen SBorten bie gweite ©eitentbür, 
bitreh Welche man in eine fange flucht fanft erleuchteter 
©emädjer blidte, beren Slulfiattung in feiner 2ötife hinter 
ber bei ©alon! jjurüdblieb. 

4?alb Wie im Traume fah ©Ha bie ganje Fracht bor 
ihrem Sluge auftaudjen; bie eiftge ©timme ihre! ©alten 
raubte ihr faft bie Söejinnung. 

„2öa! ©ie Weiter fehen, fmb 3bre Söobnräumc, ©räfin. 
3d) wünfehe, bafe ©ie fid) barin behaglich fühlen mögen, 
bafe fie Sfbnen au einem angenehmen |>eint werben mögen. 
SöoÜeit ©ie fich Shre ©emächer nicht nähet anfeljen?" 

Cr blieb an ber 2:hürfd^toeHe ft eben unb liefe ©Ha an 



Digitized by Google 




80 



ftamitieneljre. 



ftdj borbet. S)icfe ging mechanifdj bortoättS; fie Bemalte 
eS gar nid^t, bafj et iljr nicht folgte, fonbern im Salon 
aurücfblieb. Suerft !am baS bunlelbraune Speifeaimmer ; 
bann ein lleineS, trauliches ©emadj mit einem loftbaren 
Flügel ; ein anbereS mit einer getoäljtten Sibliotljei, einem 
herrlich gefd^ni^ten ©benholafetretär unb einem SlrbeitS* 
tifchdjen auf einer mit einem gebredjfetten ©elänber um* 
gebenen ©mpore im tiefen ©riet, beffen altbeutfdje Sufcen» 
fd^eiben toerthbolle ©taSgemälbe einratjntten; ferner ein 
ü£otletten;}immer mit foloffalen Senetianerfpiegeln in brei= 
ten Stetattrafjmen, bie rofenfarbenen Seibentapeten an ber 
2 )ede mie ein 3 eltbad^ aufammenlaufenb — fur 3 alle bie 
feenhaft auSgefiatteten 9täume, fie mußten bie Setounberung 
©lla’S erregen. Sie mufjte fich fagen, ba| eine folche 
Umgebung ihre träume bon Sßradfjt unb ßujuS toeit hinter 
ftdb lieb, ober rnerlmfitbig, fie lonnte eS jept nid^t mehr 
fo tooljnltch, fo anljeimelnb finben, als iljr baS «£>auS bei 
bem erften Schritte barin erfd^ienen toar. 2)aS 9We8 fab 
fie iefct als ettoaS nicht 3 U ihrem ©igentljum ©ebörigeS 
an. Sie fühlte fidj fremb, einfam hier, als hätte jte ficb 
heimlich in ein frembeS $auStoefen gebrängt. S5ie Silber 
an ben Sßänben fdjienen mit leichtem Spott auf ben ©in= 
bringling herabaufeljen. 2BaS moEte fie auch ba? 

2US fte an einem fd^räge hängenben Spiegel botbei= 
lam, erfchral fie felbft bot bem bleichen Slntlifc, baS ihr 
aus bem ©lafe entgegenfalj. Sie blieb einen Slugenblic! 
fteljen unb preßte bie ginget an bie Schläfen. 2fa, toaS 
tooEte fie eigentlich h« r ^ ©ie mufte ftdj beinahe erft 
barauf befinnen, bafj fte heute am Slltare bem ©rafen 



Digitized by Google 




SRomait ooit (Satt 6b. Klopfer. 



81 



SöernSbaufcn bie £>anb aum etoigen S3unbe gereift batte, 
unb bafj fie fic^ in feinem — in intern -fpaufe befanb. 

„ 2 luf ctoig berbunben!" ^aüteit il)r nod) bie äSorte 
beS ^rieftexS im O^re; ja, auf etoig berbunben unb — 
gebunben! 

ßangfant ging fie nach bent ©alon aurüd. 2 ln ber 
©chtoeEe blieb fie fteljen, bie ^änbe auf ben X^ürra^men 
geflößt, ©ie fab Herbert bor bem Kamine auf einem 
niebtigen ©effel ft^en. Sr ljatte ben rechten 9lrnt auf’s 
ßnie geflößt unb fab gebanfenboE in bie rotbe @lutb 31 t 
feinen gfifcen. (£Ha tonnte nur einen Zfyil feines Profils 
fe^en. Sefct bob ftcb feine 33ruft unter einem ferneren 
©eufjer. Sr fafjte ben mefftngenen ©chürbafen unb ftiefj 
in bie glimmenben £olafcbeite, bafj fte bell aufloberten, 
bann griff er in bie 23rufttafche unb bolte ein S3ünbel 
Rapiere berbor, bie er einjeln in bie glommen toarf. 
©obalb baS leiste Statt berloblt toar, ftanb er auf unb 
toanbte fnb um. 2HS er Sita im Sdjürrabnten fieben f fl h, 
bie SlUeS bemerlt b^tte, audte er leidet aufammen, bann 
überflog fein blaffeS ©eftdjt ein grimmiges £ächetn. ga, 
bort ftanb — feine grau! 

,, 2 lb» ©ie b^en mich beobachtet, Stabame? 9tun, id) 
babc foeben 2 tb re ^Korgengabe berbrannt." 

„SöaS fagen ©ie ba, ich berftebe nicht — " fagte fie 
leife unb trat boHenbS in baS Simmer. 

„Sie berftehen nicht? £) bodj — nun, laffen toir baS," 
fagte er Iura; feine ©timme Hang raub unb beifer. 

„Seraeiben ©ie, toenn ich bielleicht törichte gragen 
fteKe, toenn ich mich nicht aum Serftänbnifj 3b*eS Sba= 

»ibliottiet. 3afjtfl. 1889. Sb. xn. ß 



Digitized by Google 




82 



^ainilieneljrc. 



rafterö unb beä XoiteS, ber Ijier füuftiß ^crrfdjcit foff, 
auffcbminßen fann. 33lcin Später faßte mir, Sic trauerten 
um eine Stiefmutter, bie Sie fetjr ßeliebt Ratten — " 

„Sie fe^cu midj in 33ermuuberutiß mit biefer 3?raße. 
Sie miffen bodt}, bafj idj meine Stiefmutter faft ßar ntd^t 
fannte, ba — nun ßteid§biel tuarum. 3dj mill biefeu 
Sßunft nidjt ntefjr berührt feiert. — $aben Sie öieHeid^t 
fouft nodj in irßeub einer |>infidjt eine Sluäfunft boit mir 
3 U berlanßen? $eßcn Sie etma bcfonbere 2öünfd)e in 
betreff ber Slusftattunß %fyxtx ©emädjer, fo fpred^en Sie 
fid) bem -£>au§Ijofmeifter fö&fjlet ßeßenüber au§. 2Jtan mirb 
Sljrcn 2tnorbuunßen 3?olße leifteit. Sie ftub auf ienem 
üerrain" — er ijeißte bei biefeit SCßorten burdj bie Seiten* 
tpre aur redeten .fpanb — „unumfdjvänfte ©ebieterin al i 
ftrau beä |mufe3." 

„ 0 mein ©ott, idj bitte Sie, ma§ bebeutet bieS 2ltte3 ? 
TOir ift e§, als ftänbe idj im 33eßriff, au§ einem Xrauuie 
3 U ermadjen. Sie berfidjeut mid& eben pr regten 3eit, 
baji idj ©enta^lin märe, idj hätte fonft mirHidb 
liiert ßanj fidjer ßetoufjt, ob bie beutiße Scene in ber 
$irdje, am Sraualtare in 2ßal)r^eit ftattßefunben hat." 

„2ttj, id) fehe, bajj Sie nidst mit fiiflfdjmeißenbcnt $er= 
ftäubniff auf bie 2lrt unb SDßeife, nach melcber ich unfer 
fünftißeä 8ufamntenleben reßetn möchte, einßeben tooHen. 
9tun, bann felje id& ntidj ßcamunßen, Sbnen baä in Haren 
2Borten au§einanberaufeijen. Sd) hoffte freilich, bafj mir 
biefe 9totbmenbißfeit erwart bleiben mürbe." 

„Sie fann Sfymn erfpart bleiben, ©raf Söern^aufen, 
berufnen Sie fict). 3<h felje boüftänbiß ein, mie Sie 



Digitized by Google 




SRomuit uoit Gart Gb. ftlopfer. 



83 



unfcrcn fünft igeit 23ctfeßr geftaltet feßett motten. SDicö 
ift eg andj nicßt, mag icß ©ie fragen mottte, foubent bie 
Skmeggrünbe 3 ßrer $anblunggmeife müttftße itß 3 U er- 
faßten." 

„ßine fottberbare gragc! 3 a, fonnten ©te benn mir!» 
lidj ermatten, bab icß bte mir übergemorfene tfette nod) 
liebfofen mcrbe? ©enug an beut, bab id) bor ber ©efett- 
fcßaft ben ©cßein 3 U maßren ßabc, aber ju |jaufe, inner- 
ßalb meiner bier Sänbe, bitte idß, mir bag erlaffen 3 U 
motten, ©ie ßaben ja aucß nur nadj ber äöelt, nadj bent 
öffentlichen Slnfeßen gefragt, alg ©ie ©räfin SBerngßaufett 
3 u mcrbett firebten. ©ie lönnen ftcß nicßt beflagen, 
SJtabame!" 

„93ei ©ott, idß berfteße ©ie ni<ßt. 22 ßag motten ©ie 
barnit fagen?" 

„©ab ©ie Sßrcn 3 *oed bottftänbig erteilt ßaben. ©ie 
motttett ©röftn SBerngßaufen fein — unb ©ie finb eg!" 

„3<ß mottte — ja! Sittein 3ßre Söoite Hingen ge* 
rabe, alg motttcn ©ie m idß eineg SSetrugeg befcßulbigen, 
unb mir fdjeint eg bielnteßr, bab idß — i(ß entfeßlid) 
betrogen mürbe." 

„2Bie fo? ©ag ©efdßäft liegt bodj gatt 3 Har, 93iabante. 
Cber fottte 3 ßr £>ctr S3ater, ber fonft fo borfidjtige ©be= 
futaut, 3 ßnen mcßr betfbrcdßen ßaben?" 

„©ic fpredßen bon meinem 33ater. 3n ber ©ßat, ei 
feßeint mir bie ©djulb an jenem gräbtidjen Srrtßum 31 t 
tragen, ber fieß jeßt bor mir entßiittt. Sttub icß meinen 
S3ater befcßulbigen, mir borfäßlidß bie Unmaßrßeit gefagt 
31 t ßaben?" 



Digitized by Google 




84 



^üiitilieneljrc. 



„25aS bettnag bod) idj nidjt au bcurtljeilen ! Senn 
Sitten aber toitHid) 2htSficf)tcn eröffnet tourben, bie mit 
nnferer 5lbntad)ung im Siberfprudjc fielen, bann fömteu 
Sie tljatfädjlid) Streit 93atcr ber ßüge jeiljcn. Ijalte 
ntidfj an meinen $ontralt. Sie ftnb ©täfln SernSljaufen — 
frcilid) nur bor ber Seit, aber habe id) Sitten je gefaxt, 
bafj Sie mir metjr gelten toerben?" 

©Ea liefe fi<$ in einen ber Stühle finlen, bte bor bent * 
Äamin in tueitem .jpalblrciS aufgefteEt toarett. Sie fdjiett 
ben toasten Sinn ber Sorte SernSIjaufen’S nodj immer 
nid)t erraten ju galten. 3b* 5luge ruljtc mit einem 
ättgftlid) fragenden 33lid auf feinem ©eftdjte, als löttne 
fie int SluSbrud beffelben ben boEen ©eift feiner 9iebe lefett. 

„Sein ©ott, iclj berfte^e aEeS baS nidjt, 3^re Sorte 
ftnb mir ttodj immer fRät^fell" 

„3dj Ijöttc ©te in ber SL^at für praftifd£)er gehalten. 
Senn Sie meljr ertoarieten, fo Ratten Sie bie <£mttb eines 
©atten bocb nicht unter folgen Umftänben empfangen." 

„Enter melden Umftänben ? 3d& toiebetljole 3bben, 
bafj idj Sie nidjt begreife. ©S leitete Sie alfo lein 
toärntereS ©efüljl bei 3b*e* Serbungl" 

„Söeraeiljen Sie, jefet berftelje idfj nidjt, ftaS Sie fagcu 
* moEett." 

©Ha fianb auf unb toanbte iljm iljr boEeS ©eftd§t p. 
3b* Sluge haftete entfett auf feiner ironifcbett Sienc. 
„3ö, toeldbe ©rüttbe hoben Sie benn betoogett, mir 3b** 
•£>anb, 3b** n tarnen anpbietett, ©raf SetnSljaufeti?" 

„Sie fennen biefe ©rünbe toirftidj nicht?" 

„2f<b fdjtoöre eS Sonett bei bem Raupte meiner feligeu 



Digitized by Google 




SRoman von Pari Pb. Klopfer. 



85 



Butter, nein! ^Jletn Später ließ in mir ben ©tauben 
entfielen, Sie betoürben fich auf ©runb einer liefen £>er= 
äengneigung um mich- O mein ©ott, momit ^abe ich 
bag öerbient, baß ber eigene 23ater meine Ijettigften ©e= 
fühle fo fdjnöbe netteren fomtte!" 

Sie fcfjtug taut auffdtjtudkjenb bie |>änbc bor’g ©ejtcht 
unb fant auf’g Steue auf ihren Siß nieber. Sternhaufen 
betrachtete fte eine SBeite mit burct)bringenben SBticlen, 
bann pdfte er bie Stchfetn unb burdtjmaß bag Simmer mit 
gleichmäßigen ©«hritten. 

Slber ©Ha’g Sd^merj mar hoch 3 U natürlich, um bie 
Meinung auflommen ju taffen, er fei eine Äomöbie. £>er= 
bert manbte ftch enbtidh toieber nach bem $amin unb blieb 
bor feiner Qfrau flehen. 

„Sie maren atfo toirftich über bie Slbtnadfjungen 
^mifchen mir unb 3h*e m SSater boßftänbig im Unflaten?" 

Sie nicfte nur mit bem Raubte, ohne ihre £änbe bon 
ben gtiihenben Stangen au entfernen. 

„S)amt bebaure ich ®te aug bottem $eraen. Stir finb 
Sdhitffalggenoffen, in ein $ocb gefdhmiebet, bag ung 
S3eiben brüdfenb tfi." 

„Sticht hoch," raffte fleh Ptla enbtich auf unb trodfnete 
bie 2^ränen mit ihrem SCafchentudje. „2)ie SJerbinbung, 
bie auf folche Steife gefchtoffen mürbe, fönnen mir mieber 
töfen. S«h berlaffe augenblicftidh biefeg £aug." 

„Stein, SQtabame, bag ift unmöglich. S)enn menn idf) 
mich auch bem Slanbat augfeijen mürbe, ben biefer plöß= 
liehe Stritt unameifelhaft erregen müßte, fo bin ich 
hoch gana in bie #anb ShteS $aterg gegeben, ber nie 



Digitized by Google 




86 tfamUieneljre. 

feine ©intoilligung jur Sluflöfung unfeter ©fje geben 
tottrbe." 

„Unb gtöuben ©ie, bafj id^ unter btefen fdjmäl)tid§en 
Sebingungen 3 (t)re ©emaljlin Ijeifjen tootte ? fftein, toa§ 
e§ immer audfj fei, ba§ ©ie meinem Sßater fo unberbrüd)= 
lidj berbflidjtet, bafj <s>ie iljm 3 l)t SebenSglüd, Sljre 
männliche ©f)re au opfern geatoungen ftnb, idj ftelje nic§t 
unter biefem fürdfjterlidjen 3 tbang. ©ie mürben aud; 311 
biefem SBunbe nur gebrängt, meil mein SBater borau§fetde, 
baji idfj, toenn fdjon nic^t glüdftidfj, boefj au§ äufjerlidjen 
©rünben rnidj fügen toerbe. ©r mufs ©ie alfo freigeben, 
toemt idj felbft anrüdtrete " 

Herbert Rüttelte ben Äopf. „9tein, glauben ©ie mir, 
idj !enne |>errn Brenner beffer als ©ie, baS toirb er 
nic$t. Unb toenn er e§ tljäte, fo gefdjälje bie§ nnr, um 
mid(j unb meine 3 -amilie bem fidleren S3erbctben 31 t über* 
liefern. 3d& fann $l)nen bie beutlidjen 23etoeife bafür 
nid)t borlegen, e§ mag Sf^nen genügen, bafj ein ©eljeim* 
nijj in unferer Familie befielt, burdj beffen ^Dlittoiffen* 
fdjaft 3^r SSater e 8 eratoang, bafj i<$ feine SEodjter 3 ttr 
©räfin Söernäljaufen mad^te." 

„©mpörenb, fcfjänblidj! 216er i$ berfpredje Sföuen, 
meinen Später au betoegen, ©ie bon biefer 33ebingung a« 
entbinben, bie ja überbieS auef) erfüllt ift, toenn mir unä 
trennen, ©eien ©ie getoifj, ic§ merbe il>n betoegen, ©ie 
freiaugeben nnb feine Üiadje an Sinnen au üben, ©r l)at 
bod) feine S3ebingnng nur um meinetmiKen geftellt, in ber 
Meinung, mir ein glänaenbeS 8 oo§ a u berfd;affen. SBenn 
id) auf biefeS Soo§ beraidjte, menn idj barauf Ijintoeifc, 



Digitized by Google 




JRotnan non (Sari ®b. Töpfer. 



87 



bafj er mich für emig unglüdlidf) machen mürbe — nein, 
er fann ben Sitten feines einzigen ÄinbeS nicht ein grau-* 
fameS, falteS 9tein entgegenfetjen." 

„Unb bod^ toitb cr’S. ©ie täufdjen ftdh, menn ©ie 
glauben, bafj bäterlidje Siebe baS 9ftotib mar, baS iT^n 
biefe Sebingung ftetten lief)." 

(fr unterbrach ft<h unb ftarrte bfifter in bie ©lutf), 
bie langfam im $amin berglomm. S5ann manbte er fid) 
plöhlidj toieber um. 

„Vergeben ©ie mir," fagte er an fte Ijerantretenb. 
„9icb tjabe Sinnen Unrecht gettjan, unb je^t empftnbe id) 
eS faft nodj furchtbarer, baf* mir aneinattber gefettet finb, 
benn nun mache ich mit and) 3h* Unglttcf jum Sor= 
murf. 33ebauernSmertl)eS $inb, Sie hätten einen liebett= 
ben ©atten berbient, ber ©ie berftänbe, ©ie glüdlidj 
machen mürbe. 3 dj fann Simen biefer ©atte nicht fein." 

,,©ie lieben eine Slnbere — bie Saronin OTljlhoff 
öietleicht, bon ber man mir erzählte?" 

,,Sdj liebte biefe 2)ame menigftenS bamalS, ober glaubte 
fte 3 U lieben, bis au bem £age, an melchent id) ihr mit= 
theilen mufjte, bafi — " 

„2)afj id) baS $inbernij 3 fei, baS fidj amifdjen ©ie 
unb bie Saronin ftellte?" 

,,©ie höben ftdj herüber feinen Sormurf ju madjen, 
im ©egentheil, ich muf) Simen eigentlich für Sh* S)a» 
3 mifd)entreten banfen, baS bie Urfache mar, bafj ich jene 
ff rau nach ih*em mähren Söefen erfannte. Unb nun 
glaube ich, für immer bie ffähigfeit -jut Siebe berloren ju 
haben." 



Digitized by Google 




88 



Samilienebre. 



Ella fab itjn mieber in ba§ freuet ftarren; fie ehrte 
feinen Sdjntera unb fchmieg. S^re Eebanlen fdjmeiften 
prüd, öon bet jepigen Stunbe bis 31 t jenem £age, an 
melcbem Herbert il)t ptn erfien 9Jtale entgegengetreten 
mar. 3a, jefct mar baS ganje Üiätbfel gelöst, baS bisher 
um fern Söefen gefdjmebt batte, jeijt batte fte bie Söabi- 
beit erfannt, 0 , eine fürcbterlidjc SBabrbeit, bafj fle faft 
gemünfdjt hätte, f iß märe ibr für immer Oerborgen ge= 
blieben. 

2113 fte nach einer Söeile mieber nad) bent ßamiu fab, 
begegnete fie ben SSliden beS Grafen, ber fte febon eine 
Seit lang beobadjtet haben rnufjte. (Sie judte jufammen 
unb fab auf ihre |>änbe nieber, bie fie im Sdjofj gefaltet 
batte. 

„3dj begreife 3b r ß Erbitterung, mit meldjer Sie meine 
unummunbenen Eröffnungen erfüllen tnüffen," faßte er mit 
tauber Stimme; „Sie babern mit Oiedjt mit 3b r ent Sd)id* 
fale, ba3 Sie, bie Sie ben beften Stnfprud) auf ein glön* 
jenbeS, fonnigeS SDafein haben, an einen 2 Jlann binbet, . 
ber nicht mehr als ein mit fid) felbft Serfallener ift. Sie 
tbun mir leib, unb id) mieberbole $bnen, id) hätte e3 faft 
lieber gefeben, menn Sie mein Urteil über Sie gerecht» 
fertigt haben mürben, menn Sie bie — mürbige £odjter 
3b«3 93ater3 mären. 2 öer meifj, ob mir bann nid)t 
bejfer biefeS Scheinleben ertragen hätten. ES märe eben 
eine $ont>enien«jebe gemefen mie bwnbert anbere. Sie 
merben e3 nun nod) bitterer empfinben als ich, bafj bem 
nicht gana fo ift." 

„E§ toirb nicht lange mähren, benn id) merbe mit 



Digitized by Google 




SfJoman non Karl Gb. Ätopfer. 



89 



3refiigfeit auf meinem GntfdjluB beharren, unfere er- 
ateungene Berbinbung teieber au löfen. ©djon morgen teilt 
idj meinen Batet bon biefer Slbfidjt itt ITenntniB fefjen." 

Herbert teoltte ettoaS erteiebern, uuterbrüdte aber feine 
Bßorte unb fianb auf. Stadj einem abermaligen ©an ge 
burd) baS 3 immer blieb er teieber bor betn Kamine flehen. 
Gtta nur Ijalb augetoaubt, naljrn er baS 3tt>iegef^)rftdC; 
etteaS aögerab, aufs Steue auf. 

„Beraeiljen ©ie, toenn idj eine betifate {frage an ©ie 
richten ntuB- 2113 ©ie ber Meinung toaren, idj Ijätte aus 
innerer Neigung um 3$« -fpanb getoorben, ba Ratten ©ie 
bidteidjt ein — ein toärmereS $ntereffe für — ben Bräu- 
tigam 1 Btit einem Söorte, ©ie glaubten eine Sinnen 
entgegengebradjte Siebe — erteiebern au fönnen?" 

„Stein, benn idj ^abe nodj nie in meinem Seben jene 
©cfütjle empfunben, bie man Siebe nennt; baS Söefen ber 
Siebe ift für midj nodj eine bunfte Bßett, teel^er idfj mid) 
mir mit Bermutljungen genähert §abe. Sittein id) gefiele 
Seiten, baB idj mir bie fjä^igfeit autraute, ©ie im Saufe 
ber Seit fo oollftänbig ju berfteljen, baB ein innigeres 
Sntereffe Ijätte aufleben fönnen. S)aau feinte idlj midi) 
auS ben Berl)ältniffen im Batertjaufe IjerauS, idj artete, 
fdjätjte ©ie unb reidjte Sfljnen meine .fpanb mit beut beften 
Borfatje, Störe bermeinttidje Siebe attmäljtig au erteiebern." 

Herbert fd&ien aufauattjmen. ,,©ie nehmen eine Saft 
bon meiner ©eele burdj biefe tlaren Bßorte, ©Ha! 3dj 
freue mid), baB idj Stönen burdj ben gegentoärtigen 2luf= 
tritt teenigfieitS nidjt gana ben groBen ©djmera bereite, 
toie id) fdjon fürchten muBte. Slber teenn Stör $cra nodj 



Digitized by Google 




90 



fjatmlienebre. 



gänaltdj unbefangen ift, toenn idj feine 3atte SBXüt^e barin 
gefnidt Ijabe, bann fann ja audj bet 3^ang unferct ©Ije 
nidjt fo fdjmcralidj toirten, bafj ©ie biefe 3?effel um jeben 
5 J 3 teiS abäufireifen ©runb hätten." 

„£>, tote fönnte idj midj tjier Ijeimifd) füllen, ©ie als 
meinen ©atten betrauten, toenn idj ftünbtidj batan et» 
innert toerben müfjte, unter melden Umftänben ©ie baju 
gefDntmen finb, mir S^ren kanten entbieten!" 

,,$d) fetbft tofitbe jebe ©etegentjeit, uns S 3 eibe baran 
31t erinnern, öermeiben. 2Bir fönnten nadj Stufen tjin 
ben ©djein betoatjren unb uns tjier im <£>aufe mit einanber 
auf bem Sßege gütlicher 93 erftänbigung abfinben, ungefähr 
toie 3toei feinbtid)e ©olbaten, bie im ©etoüljte ber ©d^tad^t 
in biefetbe ©rube geftürjt ftnb unb nun $u genteinfdjaft* 
lieber ©efangenfdjaft öerurttjeift ftnb. 2)ort finb Sftjre 
Zimmer, Ijier HntS bie meinigen. $)iefer ©aton unb baS 
anfiofjenbe ©peife^immer ftnb neutraler Söoben. 2Bir 
toerben, entgegen meinen urfprfinglid§en 2lbftd)ten, ©efett* 
fdjaften unb fjrefte geben, toerben oft ©äfte um uns feljen — 
!ur3, bie SDßett toirb in unferem Söertjältnifj nidjtS ©onbet* 
bares ftnbeit. Siebenten ©ie aber baS Sluffetjcn, toenn toir 
uns fdjon nadj ber faum gefdjloffcnen Söermäljtung toieber 
trennen toottten!" 

„©ie mögen 9 tedjt Ijaben," fagte ©Ha nad) furjem 
Ueberlegen. „ 2 öit tönnen biefen Vertrag abfd)tiefjen, 
toenigftenS auf fo lange, bis toir baS $erl)ättnifj bod) als 
311 nnerträglid) empftnben fottten. ©ine ©Reibung nadj 
geraumer Seit toirb toettiger Sluffetjen erregen, als toenn 
fie fd)on augenblidlidj gefd^ä^c." 



Digitized by Google 




SRotnan oon Garl Gb. klopfet. 



91 



„©emifj, unb ich banle Sitten baffit." 

Gr Perbeugte fidj unb fdjritt ber £ljür zu, bie nadj 
feinen gimmern führte. Gila fanb e§ nicht geboten, nodj 
eine S5enter!ung, bie ihr auf ber $unge lag, zu ftufern. 
(Sie ermieberte 4?erbert’S ftummen, förmlichen ©rufs mit 
einer leisten Neigung beä $opfe§ unb manbte fidh nadj 
ber geöffneten flucht ber ©emädjer zur redjten £>anb. 
Schon auf ber (Schmelte, blieb fte nochmals flehen, als 
Herbert ftd) 'halb zurüdroanbte unb fagte: „9toch GineS! 
Um bie ©efettfdjaft Pon unferem gnten GinPernehmen 31 t 
überzeugen, toirb eS zmedrnäfjig fein, toenn tnir fortan 
im gegenfeitigen Sßerfe^r baS traulidhere S)u=3öort ge« 
brauchen." 

„Eöie eS 3h n *tt 8 e f ä ttt, £>err ©raf," entgegnete fie 
froftig, ol)ne fidj mehr nadj ihm umzufeheu. 

$)amit zogen fich SSeibe in ihre Bitnmer 3 urftd. Sie 
hatten fidh nicht einmal bie $anb gereicht. 

^n>eiun& 3 n>an 3 tgfies Kapitel. 

gtne vornehme (£T;e. 

35ie erfte Qtit nadj - ber .fpodjzeit beS ©rafen SBernS» 
häufen Pevhielten fidj jene Glemente ber h au Ptftäbtifchen 
©efeüfdhaft, bie fich bor mitten bazu berufen glauben, ihren 
lieben 9tädbflen zu Iritiftren, offenbar zumartenb. Slber eS 
gelang Stiem anb, in bem Gheleben beS ©rafen etioaS 
üngemöljnlidjeS 31 t finben. GS mar eben eine ÄonPenienz* 
ehe mie jebe anbere. ©raf unb ©rftfin fahen ftdj nur bei 
ber Üafet unb bett aEmödhentlidj einmal ftattfinbenben * 




92 



tframilieneljre. 



©npfangSabenben. 35iefc maren fietS feljr gut befud)t. 
2öenngleidj ftcfj aud§ tyer bie älteren 9Jtitglieber ber 
pdjften Slxiflofratie nur fpärlid) in bem .fpaufe einfanben, 
in meldjent eine „9tidjtgeborene" bie £>onneurä ntacfjte, fo 
fonnte bieS bodj bie ÜJle^r^a^l ber Uebrigcn nidjt abljalten, 
bie ©aftfrcunbfdjaft bcS reichen unb trotj beö 9tüdtritte§ 
feine» $ater§ — befonbcrS bei ben jüngeren Herren — 
t)odj angefeljenen ©rafen Herbert in 9lnfbrudj p nehmen. 

Herbert maltete feiner 5ßflid£)t als Söirt^ ftctS un= 
tabelfjaft, ober bodtj mit einer gemiffen ©epmngenl)eit. 
©ein SCßefen trug etmaS 9)ted(janifd(je§ , SlutomatentjafteS 
an fid). 2)ie§ tonnte feinen intimeren 33e!annten, bie ilp 
fonft ganj anberS p fctyen gemoljnt maren, natürlidf) nid)t 
berborgeu bleiben. 

„3a, er t)at ftdj gctoaltig beränbert," fagte man mit 
ÄopffdjiUtetn, tuo nur biefet ©egenfianb biäfutirt mürbe. 

„2)a märe ja am ©nbe nidjtS SefrembenbeS babei," meinte 
«fperr b. Ubelbadj, ber fidt) im fJtaudjaimmer mit mehreren 
Herren pfammengefunben Ijatte. „(Sr ifi eben in feine 
junge ©attin rafenb berliebtl Naturen mie bie feinige 
orbnen ftd^ aber nur mit SBibermillen bem fanften 3mange 
ber göttlidjen ßiebe unter, eS geljt ilpen mie ^ftattdjen, 
bie jidj nie rühren taffen -moGen nnb bem ©egenftanbe 
grollen, ber i^nen baä £>era marm mad^t." 

„<5i, ei, lieber Ubelbadj, ©ie befleißen ftcfj ja neuer* 
bitigS faft eines gemiffen poetifdjen ©dtjmnngeS, menn ©ie 
auf bie ©räfin SBernSljaufen anfbielen," ladjte £>err 
b. ^üHnifj; ,,id) glaube maljrijaftig, fie Ijat aud) ©ie fdjon 
in bie Ueffeln gefdjlagen! 9lber p bermunbern märe 



Digitized by Google 




JRoman uou Carl ©b. Klopfer. 



93 



eS nicht, bic Heine ©räfiit ift Wirtlich ent^iiefenb ! SDiefc 
buntlen, gebanlentiefen Slugen, ber eigenHj&mlidje 3ug boit 
SchWerututb um ihre Sippen — wunberbat au^ie^enb. 
9Jtan Jann eigentlich gar nicht fagen, Worin fidj biefer 
9tcia auäfpridjt, fchön ift fte ia gerabe nicht, aber — aber, 
wie gefagt, ganj eittaüdenb!" 

der £wfjägermeiftcr ©raf D^eufelb, ber baneben flanb, 
griu^te unter bem bitten, langen Sdjnauabart berüor, ber 
fein b fl g«eS, graugetbeS ©cficht befd;attete, unb b°b 
brobenb ben Sing«* „<£>aba, geben Sie Sicht , 4?crt 
0. 5püßnitj, bafi Sie 3b«nt |>errn Sßetter, bem ©rafett, 
nic^t itt’S @et)cge Jommen. 2fb re SeWunbetung gebt etwas 
über baS 3ftafj hinaus, au bem Sie bielleicht bie entfernte 
23erwanbtf<haft mit SBernSbaufen berechtigt." 

„Sticht boch I Unfere SSerWanbtfcbaft ift eben gerabe 
Weitläufig genug unb SöernSbaufen genügenb rüdfidbtSloS 
gegen mich, bafj ich ntid) gar nicht für berpflichtet butte, 
ben aävtlidben Setter au fpieten. 3<h betmag bie Sluftdjt 
Ubetbadb’S über bie Siebe awifdjen herbert unb feiner ©e* 
mabfin burdbauS nicht an tbeiten. 2öenn audb fchon 
Herbert bielteicht etwas derartiges fübten füllte, fo bin 
id) bod) überaeugt, bafj feine gtuu ihm mit abWeifenber 
©teidbgittigJeit begegnet. Sehen Sie nur bin, wie fie bort 
neben ber Somteffe flamiHa unb beten ©efettfdbafteriu 
fifct. 3d) bube fte fortWäbtenb beobachtet, nicht einmal 
noch but fte einen 23tid nach bent ©atten geworfen, ber 
bort brüben burd) bie 9teibe feiner ©ftfte fdbreitet Wie eine 
attfgeaogene ^Pagobc auf fltäbern. Stein, nein, mein befter 
tlbelbad), Sic taffen ftch burch ©inbitbungen täufdjen, 



Digitized by Google 




94 



ftuinilicncfcre. 



Herbert bat ^tei* einmal eilt Qriauenbetä gefüllten, auf- 
meldjeS et bergebeitS ©turnt läuft; tiefe ^cftung miber* 
fteljt feinen ftegeSgetoobntett äöaffctt, unb tiefet fJiaSfo 
eben ift eS, maS ben guten 93ctter fo grimmig p murinen 
fdjeint." 

„2BaS fo ein ©uperflugcr nidjt 2WeS miffcn miltt!" 
Brummte ©etteral 6d§lingl)eitn feinem Machbar, bent bideu 
s Utebicinalratb, p, mit meldjem er neben ben Splaubernben 
5JJofto gefaxt batte. „3)er alberne M mirb ftch bodb nidjt 
am Ginbe einbitben, bafj e r bort reuffiren fönne, mo felbft 
Herbert bie SCßaffeit ftredeit mufe 1 ?" 

bleuer miegte fidj bon einem Sein auf’S anbere unb 
fpiptc bie mulftigen Sippen p einem überaus fdjlauen 
Sachetn. „$äbä, eS ift bod) mirftid) auffatteitb, mie tiefe 
Herren faft unbemujjt bie 9tadjbetcr beS ©rafen ftnbl" 
„Söie fot* 

„9tun, idj bin überzeugt, bie eigenartige unb anfprudjS» 
lofe Slnmutb tiefer ©räftn GrKa SöetnSbaufcn Ijättc nie* 
titalS bei tiefen ßeuten SMrbiguttg gefunben, menn nicht 
eben Herbert burdj feine Söaljt bie allgemeine Slufmcrf* 
fantfeit auf fie geteuft Ijätte." 

*.£>nt ! 3a, ja, bie liebe Mehrheit braudjt eben überaE 
Güttett, ber fidj an ihre ©pipe fteUt unb fie anfü^rt. 3cpt 
fci)t bort bin, jetjt bettmnbert ba, öerabfdjeut jenes unb 
berfpottet bicfeS! ©ie müffen jeberjeit ihren Seitbammct 
haben." 

„©0 ift eS. $aben fie beim tiidjt 2tHe ber SBatoniit 
Mühlhoff 3^ Süfjen gelegen, fo lauge tiefe $>ante nodj 
als bie 33raut beS ©rafcn galt? 3efjt fpiicbt man faft 



Digitized by Google 




JRoman uoit (Surl (Sb. Älopjer. 



95 



gar nidß meßr üou iljr, menn mau nidß bie Stufe über fte 
rümpft, ©etabe bie, metdje früher 311 i^rcit gtüljenbficn 
Slnbetern gehörten, ^uden je|t am berüdjfridjften bie 
Sldjfetn, menn einmal aufäHig ber 23aronin ermähnt mitb, 
ungefähr mie eine abgetane SJtübe." 

„Stun, ba§ l)at jum größten £Ijeil molß barin feinen 
©runb, baß bie Süljttmff Stientanb meljr bei ßd) empfängt. 
Sille Seit meiß, baß ße fdjon feit mehr als einem SJtonat 
mieber in ber Stefibcnj ift, aber deiner miK ße nodj ge* 
fprodjen ^aben. 5Daß iljr ©raf Herbert au 3 bem Steße 
gefommeit ift, bal !aun ße, fdjeiitt eS, nid^t öertoiuben, 
uub baä rechtfertigt audj ihre gurütfgeaogen^eit. Si^abe 
übrigens um iljre ©efeltf$aft§abenbe ! ©S gab ba einen 
ganj bortrefflidjen Sein unb immer recht animirte Spiet* 
Parteien." 

„Unb bodj ärgerten Sie ßdj febeSmat übet baS Un= 
gtüd, baä Sie bort fo Ijartnädig Verfolgte, ©jceDena," 
toarf ber ^ägermeißer ein, ber näljer gefomnten mar. 

„Sich ja," Inurrte Sdjtingljeim nnb ftridj ßd) nnmntßig 
ben ntartialifchen 23art, „ba mar biefcr fatanifche Spanier 
ober Üürle Stamißarea, ber hat mir fetter -jugefeßt. 
mollte bod) fetjen, 06 idß gegen fein unljeimlidjeä Spieler* 
gtüd nicht auffontmen !önne — tocrgebenS; mich Ijat biefcS 
©jperiment nur entfeßtidjcS ©etb geloßet." 

„@§ ging Slitberen audj nicht beßer mit tfjnt, tröfteu 
Sie ßdj alfo, ©jceßenj! — Slber mißen Sie, baß biefe 
cjotifche Roheit ebenfalls mieber in unferer Stabt fein foU?" 

„So? $d) Ijörte bod) öon iljm fetbft, er moße ßdj 
auf ein Satjr uadj feiner .fpeimatlj begeben?" 



Digitized by Google 




OG 



/familteiu'Btc. 



„4?err b. UbelBadj} toitt üjn bicfcr &age gefdjen tjaben, " 
meinte ©raf Sleufelb ad&felaudeub. 

UbelBadj manbte fidfj um unb liefj fidfj erftären, mobon 
bie Siebe fei. 

,,©ana redlit," Betätigte er fobann, „idj Begegnete bem 
^riuaen Bor einigen Sagen mit ber SBaronin 
auf bem Siennplatj." 

„So fjat iljn bieEeidfjt baä ftrüljialjräreuHen toieber 
Ijierljer gezogen, meint nid^t bie 2Jtttty§off ber SJlagnet ge= 
mefen ift. $alja, e§ märe ber Saronin am ßnbe audf) 
gar nidjt au berbenten, rnenu fte fidfj für ben entfd&lüpftcn 
Söernäljaufen einen glänjcnben (Srfap finden tooEte, unb 
^rinjeffin Otljenio 33amiEarea — baä flingt nic^t übel, 
ma§, meine Herren?" 2)er <£>ofjägetmeifter Blinzelte liftig 
unb liefe feine grauen Slugen bon (Einem jum Slnberen 
fdjmcifen. 

„3um MuE," meinte ber ©eneral, „mit Eönnte ber 
luftige Orientale nidfjt gefaEen. Seine -£>erlunft ift eine 
frijr bunfte, unb feine erlauchte 5|5rin5enlrone Ijat moljl audt) 
ttodfj Süemanb gcfeljcn. Ober finb Sie bon feinem gtofj* 
artigen Stammbaum fiberaeugt, .£>err b. Ubclbad^ ? Sie 
bcrteljrten ja am feäufigften mit it)nt." 

(S(t>tu& folQt.) 



* 



Digitized by Google 




Äuf ber JF o 1 1 e r. 

ttooelle 

non 

Jltttlrllus. 



1 . (9ladöbrudf Verboten.) 

^ t uf bem fdtjtnalen, toiefenbegrenaten f^ufepfab, ber, burcf) 
Dereinaette Säume unb ©tränd^er öon bcr natjen 
ßanbfira&e getrennt, gegen ein grofjeä ßanbgnt autief, 
fdfjritt ein junger 3Jtann baljin. ©eine ettoa§ nad(jtäffige 
Äleibung, ba3 tteine föänael auf ber ©dfjulter unb ber 
3iegen^ainer in ber Stedten — ba§ 9UIe3 beutete auf 
einen ©ommertouriften tjin, ber bie na^e 9tefibena ber* 
taffen Ijatte, um bie tepte 2Bod§e beä fonnigen Grntemonatö 
3 U einem erquidfenben ©treifaug burdtj Selb unb Stur 
ju benfifcen. Slber ber aögernbe ©cfjritt be§ einfamen 
SBanbererS tjatte burdfjauä nichts mit bem betjagtidtjen 
©dtjtenbern eineä folgen Sergnügungäauäflügterä gemein, 
unb ba§ ©efid^t, ba§ ftnnenb auf ben 2öeg btidftc, trug 
eine tiefbefümmerte, flnfiere SJtiene 3 ur ©dfjau. 

Sor einer bitten Saumgruppe, bie feitmärtS born 
SBege auf taufte, blieb jefct ber junge 3Jtann ftetjen unb 
fatj ftclj, au8 tiefen ©ebanleu erfoadtjenb, um, al§ fürste 

®ibliot^ef. 3a&rg. 1889. 8 b. XII. 7 



Digitized by Google 




( 



98 2luf ber Roller. 

er, ftdj bcrirrt au h^en. 3)odj halb Überzeugte er fidfj, 
bajj er bie beabfuhtigte 9iichtung Verfolgte. S)ort brüten 
hinter ben fpifcen Saubfronen ber Rappeln flimmerte ba3 
rothe 3iegelbach eine3 ^ürmd^en8 Ijerbor, ba3 ju einem 
fchlofjartigen Sanbhau3 p gehören festen. Unb ba, auf 
ber anberen Seite, nach melier fid§ bie Söiefen ^injogen, 
lag ja auch bie moljlbelannte Sichtung mit bem Keinen, 
füllen See, über ben bie Ijoljen 23äume ihren fü^tenben 
Statten marfen. 

©3 toar ein feinerer ©ang, ben ber SBanberer ging — 
fo eine Slrt bon föücffeljr be3 berlorenen Sohne3. 

©buarb b. grefe fam au8 ber fjfrembe, too er Schiff» 
bruch gelitten. Seühtfinn, ein ungezügelter fjeuergeift, 
ber pm Ueberntafj neigte, jugenbliche Unbefonnen^eit toaren 
e3 getoefen, bie itjn an ben ^anb be8 23etberben3 getrieben 
Ratten. ©r hotte bor bem lebten ©dritte ber 33erp>eif» 
lung geftanben, at3 fein Onfel unb ehemaliger ftrenger 
SJormunb, ber ©ut3beft|er $urt b. f^refe, ihm bie Ijel 3 
fenbe -jpattb entgegenftreefte , unb jefct tbar er im Segtiff, 
fidj bem Cnfel gegenüber^uftellen. 2lch, e8 mürbe ihm 
gemaltig enge um bie 93ruft, benn mie er ben ©harattev 
be3 ftrengen, aufbraufenben 2flanne8 tannte, hatte er eine 
nicht gar p leidste 23ufje zu getoärtigeit. 

3JUt 3 ögernben Schritten ging er meiter, bem nahen 
3iele p. Sein S3ltcf haftete am SBobeit, auf bem 9iafen, 
beffen ©rün bie Strahlen ber 2lbenbfonne bergolbeten. 
S)a — fchon am SluSgang ber Söiefe, menige Stritte 
bor ber grofjen Sichtung, fah er ettoa3 im ©rafe blifcen. 
©r büefte ftch medjanifch nach bem ©egenfianb, ben fein 



Digitized by Google 




•KooeUe non ff. 2ttörteHu§. 



99 



gufe Beinahe gefireift Xjätte. ES War ein mattgolbener 
Armreif mit Breiter, lunftbolter Eifetirung nnb einer 
©uirlanbe bon perlen unb ^Brillanten. €>Ben War eine 
mit einem Btadjtbotten Smaragb gegierte ffapfel angeBradjt, 
eine Slrt üJlebaitton. Ebuarb brüdte an ber lleineit ©prung* 
feber, ber ©olbbedel flog auf unb liefe ein perlidjeä Aquarell» 
Bilbdljen feljen, einen emften, Blaffen grauenlopf bon Be= 
3 aubernber ©djönljeit. S3ei biefem SlnBlid ftiefe er einen 
leisten 2lu8ruf ber UeBerrafdjung auS; eine ganje 3rftÜe 
IjalBbergeffener Erinnerungen Würbe in iljm erWedt. 

5Da8 borliegenbe 33ilbc£)en tbar bie S'tadjBilbung eines 
grofeen Aquarells, baS Sfrefe bor hier Sauren — im 
Satjre 1882 — auf ber Söiener ffunftauSfiellung Be* 
Wunbert Ijatte. ES Ijatte in ber fdjwebifdjen SIBfljeilung 
gegangen, gan^ berftedt unter ber Unaatjl ber anfprudjS* 
bolleren SluSftellungSoBielte, unb nur SBenige auS bem 
grofeen £rofe ber SBefucfjer Ijatten baS einfache SBilb mit 
eingeljenberem Sntereffe Betrachtet, ^refe, ber barnals auf 
einige 3eit ben 33eruf beS Soumaliften ergriffen unb als 
foldjer ben ffunftBeridjt für eine auswärtige Leitung Be= 
forgt hatte, mar Beim ftänbigen SBefudj ber 2lu8fteüung 
ein gerabeju fdijwärmerifdjer SSeWunberer biefeS SöerteS 
eines namenlofen ffünftlerS geworben, ©ein erfter ©ang, 
Wenn er bie SluSftellung Betrat, War immer nad) biefem 
Aquarell geWefen, baS ihn wunberBar an 3 og, unb bas er 
nad) unb nadj faft wie einen iljnt 3 U eigen geljörenben 
©djafe Betrachtete. Er hatte bamalS feine ganaen 33aar= 
mittel gefammelt, um baS ©tttd 3 U laufen, aber 3 U feinem 
ICeibWefen erhielt er bon ber ©ireltion ben SSefdtjeib, ber 




Digitized by Google 




100 



9luf her Softer. 



Äiinftler tooHe baS Sitb nicht beräuBern. Son ba ab 
toar ^refc auf Seben eiferfüchtig, ber ab unb 3 U einmal 
bor bem Silbe fielen blieb. 

@ineS £ageS Ijatte er bort auch eine S)ame fielen 
fe^en unb auf ben erften Stic! etfannt, baB biefe gleich 
falls baS toärmfte Sntereffe Qn bem 2lquareE belunbete. 
2)aS hatte ihn angeaogen. (Sr trat näher unb toarf einige 
Semetlungen über baöSitb ^in; bie 2)ante, eine jugenb* 
liehe (Srfcheinung bon jener eigen gearteten Schönheit, bie 
erft bei längerem Sefdfjauen 3 um SluSbrudE fomrnt, ant» 
toortete, unb ehe eS fich bie Seiben berfaljen, maren fie 
ju einem eifrigen (SebanfenauStaufche gefontmen, toie er 
3 toifchen gtoei toarm empftnbenben Söefen fich oft gan 3 
untoiltfürlich enttoicfelt, noch ba 3 U an folcher Stätte, mo 
bie ljet)re Spraye ber Sttufe bie ©cfefce unferer mobernen 
Äonbeniena berfdfjtoinben lä|t. 

Sie betrachteten aufamnten toeitere Silber, tjörten mit 
Setounberung auf bie gegenfeitige berftänbnifstiefe 9Jtei= 
nungSäufjerung unb empfanben gar nicht mehr, baB fie 
fi<h eigentlich fremb feien. Smmer belebter ttmrbe i!)r 
(Sefpräch, leudjtenber itjre Slugen, toärmer ihre Sprache — 
eS toar, als hätten Seibe baS ©efüht, baB fte bon 9tatur 
aufammengehörten , als hätten fie fich fchon gelannt in 
früherer $eit unb hätten nun einanber nach fo langer 
Trennung toieber gefunben. 2)aS Seibe begtücfenbe Sei« 
fammenfein fanb erft ein (Snbe, als plöBtich eine Heine, 
bidfe Statrone bont Suffet her auf Gbuatb’S Segteiterin 
3 ugefihritten !am unb fie fragte, ob fie benn nun nicht enb« 
lieh genug habe an bem gemalten 3 eug. 2 )a feijien bie 9tn» 



Digitized by Google 




SiooeHc uon 2){artcUu§. 



101 



gerebete auä bem bräunt ber ©elbfibergeffenljeit, in toeldjer 
fie mit bem jungen SItanne feiger getoaitbelt, plöfctid) au 
ermaßen, ©ine äöolfe be§ Unmuts überflog ihr reiaen* 
be§ Slntlib, fie nidte ©buarb grfifcenb au unb aog bie 
alte Staute, ihre Saute, tote fte jte nannte, rafdj mit fidj 
fort, ©buarb fah baä reijeube Süläbd^en nicht toieber, toie 
oft er auch bie Säte burchftreifte, toie lauge er auch bor 
bem fchtoebifchen Slquarctt toartete, immer in ber £off= 
nuug, Iji« müjfe ihm bie ^olbe ©rfdjeinung toieber be= 
geguen. SDa ©buarb nicht einmal ihren tarnen toujjte, 
ebenfo toenig toie fte ben feinen, fo toar ihm jebe !0lög= 
lid^feit abgefdfjnitten, fie aufaufuihen. 

Sange 3eit noch toirlte bie§ gufammentreffen im ©e* 
mütbe 3?re[e’3 nach- Sange betoaljrte er bie fo fdjnett er= 
toacfjte Siebe toie einen heiligen Schab- ©nblidj aber, aU 
bie lebte Hoffnung auf ein SBieberfetjen entfchtounben toar, 
trat bie Sfladjt ber «Seit in ihr Stecht. S)a§ S3ilb ber 
Unbelannten berblajjte attmähUg unb berfd)toanb ettblidj 
gänalidj iu bem toitben Strubel, bon bem ftdj ber junge 
SJiattn im leichtjtnnigen |)afdjen nach ber ©unft beä Slugen* 
blid8 bahintragen lief* — bis au ben Klippen, an betten 
fein beffere§ Sctbft beinahe aetfcheüt toäre. Unb als bann 
bie moralifdje Umlehr eintrat, hatte feine neuertoadjte 
Shattraft ihn materielleren Sielen augefühtt, at8 eä bie 
SJertoirltidjung eineg ibealen Sraumeg ift. 

Unb je^t foUte er auf einmal in fo überrafdjenber 
SBeife an jenen holbbergeffenen Moment erinnert toerben! 
SBie mit einem Sauberfchtage herborgerufen, ftanb jene 
Stunbe toieber in feinem ©ebädjtnifj auf. 2ta8 Heine 



Digitized by Google 




102 



Sluf ber Folter. 



SlquareE in ber ftapfel beS SlrmbanbeS, bie Äopie jenes 
grauenfopfeS bon ber |>anb beS unbefamtten fd^toebifc^cn 
ÄiinftlerS rief fic in PoEer ßebenbigfeit Wieber bcrPor. 
©buarb glaubte bie weiche, melobifcbe Slttftimme ber 
halben Unbefannten noch in feinem 0§r 3 U fpilren, % 
tiefes, feelenPoEeS Singe mit bem SSlicf bolt feufcber ©innig* 
feit unb Klugheit bor fid) au feben, unb eine ©ebnfudjt, 
wie er fie feit jener Begegnung nid^t toieber empfnnben batte, 
fdjWeEte fein $era mtb füllte fein ©emütb mit Söeljmutb. 

©chmeralich auffeufeenb ging er Weiter, baS Slrmbanb 
mit ber geöffneten Zapfet betradjtenb. ©o fant er bis 
au ben ibpEifcben ©ee, ber in feinem ruhigen (Spiegel 
bie ©lutb beS SlbenbrotbeS aurücfwarf. fjrcfe b 0 & ben 
tfopf unb fab fitb um. SDie fcierlid^e ©tiEe, bie ber 
herrlichen ßanbfd^aft etwas SJtelancholifcbeS Pctlieb, bajjte 
fo recht ju feiner ©timmung. @r nahm ben ©trobbut 
ab unb liefe baS Sluge träumerifcb im Greife herum» 
fcbtoeifen. SDa bemerfte er inmitten einer Baumgruppe 
hart am 9lanbe beS SöeiberS eine ©taffelei, bie bort in’S 
©raS gefteEt war. ©in Heiner Qrelbftubt ftanb bapor 
unb auf bem Stafen lagen Perfdjiebene Btalerutenfilien 
auSgebreitet. 

„911), ein Dilettant, ber ben fiibnen Bcrfudj unter* 
nimmt, einen Xbeit btefeS lieblichen OrlecfcbenS ©rbe auf 
ber SeinWaub feftaubannen," fagte er mit geringfdjäbigem 
fächeln, teufte aber bennoch feine ©chritte babin. Stuf 
bem Bialfaften lag ein 2)amenfonnenf<hirm unb ein ©trab» 
but. S)aS machte ibn ftubig. ,,©ieb ba, ein Weibliches 
©enie?" badete er. 



Digitized by Google 




9to»elIe uoit St. SDiarteUu*. 



103 



5lber baS fpöttifdje Sädjelit fd^toaub auö feinem @e» 
fiepte, al§ er bor ber Staffelei ftanb. 2)aä mar boc^ 
etmaä mehr al§ 3)ilcttanti3mu3. 3)aS ©entälbe mar nod) 
menig bor gef dritten, aber bie paax fjarbentönc unb bie 
geidjitung tiefen fofort eine lünftlerifdje <£>aitb erlernten. 

^löblich fiel ibnt bei, bafj bie SDante mol)l audj bie 
33eft|eritt jene§ SlrmbanbeS fei, ba§ er borbin gefunbeit. 
Äeitt 3ioeifel, fie mar bie ©igentbünterin unb mobl gar 
and) bie fUtalerin be§ lleinen 2lquarell§ in ber $apfel, 
benn aud) biefeä belunbete bie 2Mfterbanb. Unb bafs fie 
gcrabe biefe§ unbefannte 23ilb lopirt itnb ibnt gemiffer» 
ntafjen ein Sieblingäplä^cn angemiefett batte, baä beutete 
auf einen feinen ©efebntad. 6r mar nun babbelt be= 
gierig, bie ©igentbümerin be§ 9lrntbanbe§ leimen p lernen. 
2lber mo mar biefe 1 ? 

®r trat b^ter ben 33äumen b^bor unb biett aber» 
mal§ Untfdjau. 

2)ort am gegenüber liegenben Söalbfaunte tauchte je^t 
eine lichte ©eftalt auf ; langfam babinfdjreitenb, beit Ober* 
törber borgeneigt, fc^ien fte im ©rafe etma$ p fudjett. 

„$a ift fiel" fagte ©buarb erregt unb eilte ibr ent* 
gegen, ba§ Slrntbanb in ber 9iedjten. 

©r mar nur noeb menige Schritte bau ihr entfernt, 
al§ fte ihn be*antommcn börte unb ben $opf bab. 3Snt 
f eiben Moment blieb ©buarb mie angemurjelt fteben unb 
ftarrtc mit meitgeöffneten 2lugen in ba§ ihm entgegen» 
blidenbe Slnttih- ©aulelte ibm feine erregte Pjantafie 
ein £rugbilb bor, ober foUte ber eben geträumte $£raunt 
ftd^ bermirllidjen? S)ort ftanb fte, bie ihm bantalä bor 



Digitized b ^i>ogle 




104 



Sin} her Roller. 



toter Sauren begegnet toar — baS Ijerrlid&e TObdjen, an 
bereit Seite er burefj bie ahinftauSftellung gctoanbelt toar. 

ßS toar nidjt ntcljr gana baffelbc ©cfidjt. 2)er ftuge, 
finnige ßruft auf biefer hielte Ijatte ft<ij ettoaS bertieft, 
ber burcfjfidjtige £eint fd&icn nod^ aarter getoorben au fein, 
trofcbem aber fjatte er fte auf ben erfien 33ti(f erlannt. 

Sie fdjien erfiaunt über fein 33eneljnten unb betrachtete 
ityn bon $opf bis a u 3rufc, elje fie Jura entfdjloffen nöljer 
trat, ßr errötete unter iljrcnt S3licf. SBetdj’ ein Unter* 
f<hieb lag aHerbingS a^if^cu ber bamaligen Begegnung 
unb ber heutigen ! ßr füllte fx<h in biefent kontent nicht 
biel beffer als ein SJagabunb, auf bie @nabe feines 93er= 
toaubteu angetoiefeit ; er hatte baS Slnredjt bertoirlt, ft<h 
iljr in bcrfclben SBeife au nähern, toie cinft. Slber er 
fonnte eS audj nicht über ftch getoimten, ohne ihre ßr= 
innerung ertoedtt au l)aben, fidj a u entfernen. 

Seltfam, baff baffelbe 33ilb, baS fte einft einanber 
näljer gebraut hatte, Ijeute ber Slnlafj aunt Söieberfeljen 
fein ntufjte. 

„33eraei^uttg," begann er leife unb bertoirrt, „iclj glaube 
tooljl nietjt au irren, toenn idj anneljme, bafc Sie bie 
ßigentljümerin biefcS SlrmreifeS ftttb." 

ßr toar frol), bajj ber <£jut fein ©eftdjt im tiefen 
Sdjatten hielt, als er iljr baS fofibare Sdfjntucfjlüc! über» 
gab. 2Jtit einem SluSruf ber Sreube naljm fte eS entgegen. 

„Sldj, Sie haben eS gefunben? Xaufenb S)anf, benn 
ber Serluft hätte midt) fehr gefd^merat. 3$ mufe eS bei 
meinem Spaaiergattg berloren Ijaben, oljne eS in ber erfien 
3eit au bermiffen; erft borljin beim Stalen — boc§ beraeiljen 



Digitized 




s Jloöcßc ooit $. 2RarteUu§. 



105 



©ie," brach ftc fiodfettb unb leidet Perlegen ab, „ich Weifj 
nicht, mit Wem ich 31 t ttjun habe. 2Jtufj ich fürchten, 
©ie p öerlc&en, Wenn — toenn ich Shnen meine Er- 
fenntlidjfeit — " 

©ie machte eine fdjiidjterne $attbbeWegung nach i^rer 
Safdje hin, bie nicht mehr mifouberfiehm mar. Er mehrte 
fie mit tjaftiger ©eberbe ab. 

„3ch filmte mich genugfam belohnt, " fagte er bamt 
mit etwas erhobener ©timme, „burdj baS BeWufjtfein, 
ben SBetth ermeffen $u lönnen, ben ©ie biefem ©chmudE* 
ftüdE beilegen. S)ie $apfel biefeS ^rmbanbeS birgt auch 
für mich ben ©egenfianb einer Erinnerung, bie ich unt 
leinen SßreiS ber Söelt aufgeben möchte." 

©ie ftutjte bei biefen Söorten ober bielntehr beim 
tflang bet ©timme, bie biefelben fprach- Sine leichte 
9 töthe ftieg auf ihren Söangen empor, unb ihr Blitf haftete 
erftaunt auf feinem Ekfidht. Erfannte fie ihn in biefem 
Moment? 

Er berbeugte fx<h unb 50g ben |>ut, als Wolle er ftch 
empfehlen, in SBirllichfeit aber Wollte er mit biefer Be- 
wegung nur fein ©eficht freigeben, um ihr ben botlen 
Slnblid beffelben au ermöglichen. 

©ie fenfte ben Btid unb Wanbte fich hölb ab. 

„Nochmals, id§ banle Shnen, mein $err," fagte fie 
halblaut, inbem fie baS Wiebergefunbene Strmbanb an- 
legte; bann aber befann fte ftch plö&lith eines Slnberen, 
nahm ben 9teif Wieber ab unb ftedfte ihn in bie SEafche. 

„2öenn ich auch nicht annehmen barf, bajj 3hmn jebe 
unbebentenbe Epifobe aus ber Seit ber Söiener Äunfl« 



Digitized by Google 




106 



?luf ber ftoltcr. 



auafteHuug in ßriiuteruug ift, fo werben ©ie bodfe baS 
©cbäcfetnife an jenes SBitb beWaferen, baS bem Aquarell 
auf biefent Slrntbanb 3 ur Notlage gebient feat," begann 
er wieber in einem £one, ber erf ernten liefe, bafe er fiel) 
beriefet füfette. „3dfe irre Wofel audfe nidfet, inbem icfe bcr= 
mutfee, bafe ©ie felbft biefe Äopie gemalt feaben, mein 
Fräulein?" 

SDßar ifer aarteS Slntlife borfein etwas buntter geworben, 
fo wecfefelte bie fftötfee jefet mit einer ptöfetiefeen SSIäffe. 

,,©ie feaben föecfet!" 

„2)arf icfe mir bann nodfe bie Qfrage ertauben, ob ©ie 
biefe ßopie unmittelbar bom Original abgenommen, ober 
ob ©ie biefelbe aus bem ©ebädfetnife gemalt feaben? 3m 
lefeteren gälte miifete idfe baS aufeerorbentlidfee ©tubiunt 
bcWunbern, weldfeeS ©ie feineraeit bem Original auWanbten. 
@S fönnte lein getreueres Slbbitb geben." 

„SGßofeer toiffen ©ie baS? $aben ©ie benn baS Original 
fo genau im ©ebädfjtnife?" antwortete fie auSWeidfecnb. 

„@S ftefet in biefent Moment mit Wunberbarer 2)eut= 
lidfeteit bor meinem geiftigen 2tuge," erWiebertc er mit 
unWittfürlidfe überqueEenber Söärme, „benn eS Inüpft fidfe 
au biefeS S3ilb für tniefe bie (Srinnerung an eine glüdfUdfec 
©tunbe, in Wctdfeer — " 

„Sin bie ©tunbe, in Weldfeer Wir uns einfi begegneten," 
unterbradfe fte ifen fdferoff. „3cfe fürdfete, mein |>crr, ©ie 
legen biefem Moment au biel SSebeutung bei." 

SDamit niette fie ein Wenig unb fdferitt ftota an ifetit 
borüber, auf ifere ©taffelei au. 2)iefe Slbweifung war au 
beutlicfe, als bafe grefe fie unbeadfetet taffen tonnte. (5r 



Digitized by Google 




'JtoueUe Don Jft'. 2)lurtellu§. 



107 



bifj fid^ auf bie Sippen uitb 30 g auf’3 9teue mit einer förin* 
lidjen Verbeugung beit ^ut; bieSmat toir!tid§, um $u gefeit, 
heften ©djritleS natjm er bie 9tid)tung nadf) bem ^errett» 
tjaufe, baä«jidfj feitteart§ auä bem umgebenbert ©rütt ertjob. 

©djon t)atte er bie Slttee erreicht, bie im Vogen nadj 
bem |>errcnljau3 fütjrte unb itjm im nädjften 2 tugenblidE 
bie eben berlaffene 2BaIbtidjtung mit bem See entfett 
ntufjtc, alä er, nid^t im ©tanbe, gegen ben mächtigen 
S)rang in feinem Innern anautämpfen, fidj nodjmatä um* 
toanbte, tjatb bon einem ©ebüfdj berborgen. SDa fatj er 
fie bor itjrer ©taffetei fielen, bie eine |>anb mit bem 
©trofytjut Ijerabgefunfen, bie föedjte leidet gegen bie ©time 
erhoben, ben Vticf nadj ber ftidjtung getoenbet, bie er 
eingefdfjtagen ^atte. S)ie teften ©trauten ber ftnfcnben 
©onne tauchten ba§ ernfte, ebte Slnttif in tiefen Purpur 
uub tiefen it)re tjelte ©efiatt toie bon einer ©toriote um» 
geben erfdjeinen. — 

3m Vortjofe bc§ $errenljaufe§ tarn ein gcfdjmeibiger 
junger Vtaun in länblidjem ©ommerau^ug bem SBanbcrer 
entgegen. 

„iöirftidfj -gjerr b. ^refe?" rief er mit geräufcfjbotter 
3 ?rcunbtict)feit unb fetjien nidjt übet Suft au tjaben, ben 
Slntömmting 3 U umarmen. 2 >ann ergriff er mit beiben 
Rauben bie iijm entgegengeftredtte Stedfjte unb fd^üttette fie 
t)eralid(j. ,, 3 d£) bermag 3 t>nen gar nidjt auäaubrüden, toie 
idj midj freue, ©ie ’&ier bei unS 3 U feljen!" 

„3Bo ift ber Cntel?" fragte ©buarb mit unfidfjerer 
©timnte. „SBotfen ©ie nid(jt fo freunbtidtj fein, mid) itjm 
3 U metben, <£jetr Sadjner?" 



Digitized by Google 




108 



$luj bet golter. 



„Sofort, fofort," entgegnete Sachuer, ber Söevtoalter 
beg ©uigbefi^erg, „bic redete $anb beg -frerrn", toie er 
ft<h gerne nennen hörte. @r führte Gbuarb unter fort* 
gefejjter 93erftdjerung feiner ergebenen Sienftfertigfeit in’g 
Schlofj. „3dj beufe, eg toirb ghnen nicht uMtnHfontmen 
feilt, au erfahren, bafj fidj Shr <£>eir Citfel gegentoärtig 
gcrabe in feljt guter Saune befinbet, mag, unter ung ge= 
jagt, nicht aHp oft ber gall ift. Sag ^at, leiber ©otteg, 
bie gnäbige grau manchmal au etnpftnbenl" 

„Sich ja," meinte ©buarb, bie ihm unangenehmen 33er= 
traulidjfeiten beg glatten 33ertoalterg ignorirenb; „ich ers 
innere mid), ber Onfel h<d ja im Vorjahre geheiratet. 
2fch bin begierig, meine grau Sante fennen ju lernen. 
Sodj fagen Sie einmal, toirb eg heuet mieber eine folenne 
gagb auf bem ©ute geben?" 

Sachner berjog bag ©eftcht. „£), |>err b. grefe, ba= 
mit ifi’g bei ung aug. Sie gnäbige grau ift überhaupt 
feine Siebhaberin bon ©efeHigfeit unb geften, unb gar bie 
gagb ift ihr ein ©reuel." 

Sie gingen bie kreppe hinauf, unb gleich barauf be= 
fanb fich ber Slnfömmling bem £>crrn beg £aufeg gegenüber. 

Sie ettoag gebrüdte Stimmung beg jungen SJtanneg 
tourbe ettoag gehoben bei bem ßmpfaitg, ben ihm ber ge* 
fürchtete Cnfel angebeihen liefj. §err Hurt b. grefe, ein 
2Jtann am Anfänge ber günfeig, mit einem foloffaleit 
Hörperbau, fam ihm auf bag greunblichfte entgegen unb 
brüdte ihn an feine breite 93ruft. Sann blidte er ihn 
forfchenb an. 

„9?a, Su fiehft beffer aug, afg ich bachte, mein gmtge," 



Digitized by Google 










-■ • r» r ffT-"’??rwy?»? wv ' ■ • 

• ' ,■ t * , 



9to»elIe üou ®. 2R<irtelIu§. 



Jagte er, ficfj ben billigen Sdjnunbart flretd^enb, tote eS 
feine 5trt toar, toenn er ettoaS tote JRü^rung nieberju- 
fämpfen Tratte. „Slrnter SButfdfje, ^aft bod(j ein Bissen 
SBlut gef^toifet bei deinem 23ujjgang, fje? 9ta, idfj ^offe, 
ba| Sir ’8 ernjt ift mit Seinen Söorfäfcen. 3<3j toerbe 
Sidfj l)ier auf bent @ute bef duftigen, Su fannft ßadljner 
an bie #anb geljen unb babei Seine ettoaS bernadtjlüfftgten 
öfonontifdjen ©tubien toieber auffrifdjen. 3 fi ia nur 3 U 
Seinem 33eften, benn Su toeitt ja, bat $u nad& meinem 
Sobe ber £err auf SBefifc toerben fotCft. Su fennft micf) 
als einen 2 Jtann, ber 3 ülj unb Ijartnftcfig ift unb lange 
ertoögt, bis er au einem Entfctjlut gelangt, iljn bann aber 
feftljält. ©o ging’S mir auctj in Seinem Salle. Slttf« 
richtig gefagt, Ebuarb, id^ toar anfangs entfdtjloffen, Sidj 
fallen ju laffen; id§ toerbe audfj feinen Sfinger rühren, 
toenn Su fDtiene mad^ft, toieber babon 31 t laufen, aber fo 
lange Su Sid§ brab Ijältfi, ^aft Su an mir einen bäter» 
lidljen Sreunb unb foEft nidjts bon einer Semütljigung 
empftnben. Sat id§ jä^ornig bin unb 3 Utoeilen feinen 
SBiberJprucf) bertragen fann, barauS rnadjft Su Sir nichts, 
benn Su fennft midfj. — © 0 , baS toäre ein» für allemal 
3 Ut Einleitung. Sod(j toeitt Su, toem Su eigentlid^ in 
ber $auptfad£je eS 3 U banfen Ijafi, bat idfj Sir nochmals 
bie £anb bot? Es ift Seine Saute. Sie gute ©eele 
legte feljt biel gute SEßorte für Sid§ ein, toutte Seine 
©treidle in ein mifbereS ßic§t 3 U fefcen unb forberte Seine 
SBegnabigung. ©orge Su bafür, bat jte fidfj in bem 9teffen, 
ben fte evft fennen lernen fotl, nid^t getäufdfjt jteljt." 

Ebuatb bat in feinem bon Diüljtung bollen #er 3 en ber 



Digitized by Google 




110 



9tuf her golter. 



Mailte baä Unredjt ab, baä er iljr bortjin in Gebauten 
gettyan tjatte. @r toar eben im SSegriff, ftdfj bie ©fjre 
jn erbitten, ber grau Xante borgefieltt jju toerben, als 
braunen bie ©lode ertönte, bie nad§ altem |muäbraudj jum 
©ffen rief. 

' „(Sä läutet 3 U Xifdfje!" rief ber alte gtefe, ben ber 
©ebanle an gaftronomifdje ©enfiffe ftetä in beffere Saune 
berfefcte. $n folgen Momenten bergajj er leiber immer 
toteber bie 9tat$fd(jläge beä «fpauäar^teä, ber bem überauä 
boHblütigen, jum Sdjlagftufj neigenben fDtanne nicijt genug 
über bie Xiüt prebtgen tonnte. „$omm, mein Bunge, bie 
Xante toirb unä tooljt f<$on im Speifeaimmer ermatten. 
Bd? teilt Xidj itjr borfteiten." 

S3ei iljrem ©intritt fanben fte jebodj baä Sintmer nodj 
leer, |>err b. grefe, bem Unpünftlidjleit ein ©reuel toar, 
räufperte fitlj einige ^Ulale feljr bernetjmtid), ein Beiden 
innerer SluftoaHung. Xiefeä Sftäufpern toar gleidfjfam baä 
erfte SBetterteudjten. flam eä fc^limmer, fo fanb bie ge* 
fteigerte 2 Jti|ftimmung in einem periobifdjen Stufenden 
feiner bufctjigen Slugenbrauen einen djarafteriftifd&en Sluä* 
brud. Slber gerabeju gefätjrtidfj toutbe eä in ber Stätje 
$errn b. grefe’ä, toenn iljnt bie Slber an ber Stirne fdjtoolt, 
unb bie fanfte Stöt^e feiner JBaden jum gtütjenben Bin* 
nober tonrbe, baä fidb biä in ben gebrungenen Stiernaden 
Ifinabfenfte. Xann toe^e bem fDtenfdjenfinbe, baä nur ben 
SJtunb berjog -jum 3öiberfprnd£)e. 

„SBertoünfdjte Xufelei! * brummte ber Sdjlofjt)err in 
ben 33art, mit auf ben 9tüden gelegten $änben auf unb 
ab laufenb. „ 4 ?at getoifc toieber über irgenb einer albernen 



Digitized by Google 




ÜlooeHe oon SKarteDu?. 



111 



(Sentimentalität fidf) berfpätet. Unb toeifj bodf), bafj idfj bag 
für ben Stob nid£)t leiben !ann! <£>m! ^nt!" 

$n biefent Moment tourbe brauten ein leidster ©cBritt 
BörBar, gtüdflidljer Söeife früB genug, bat fid^ ber 3orn 
beg .fmugBcrrn nocB in bem ©tabiurn Befanb, in meinem 
ex leidet BefcBtoicBtigt toerben fonnte. SSietCeid^t trug audf) 
bie 9lnmefenBeit beS fteuangefommenen baju Bei, bat $urt 
fid^ Bettnang unb mit fröBticBerer ÜJtiene ber £Büte aufd^ritt. 

„SJtein 9ieffe ©buarb — Biet meine ffrau ©rna, ge= 
Borene Slnbriffen." 

©buarb Bütte biefe Söorte beg Dnfetg gar ni<Bt. @g 
flimmerte iBm bor ben Slugen, feine £änbe fisten fidB 
frampfBaft auf eine ©tuBlteBne; er Botte bag ©effiBt, alg 
brelje ficB bag gan^e 3immer mit iBm im Greife. 9tur 
ein BeHeg Äleib fd^toeBte bor iBnt unb Bejeid^nete bie 
©teile, too fie ftanb — bie „$rau SLante", bie Malerin 
bom ©ee, bie SBefanntfdjaft bon ber SQBiener 2lugfteKung. 

S)ie erften Söorte, bie toieber berneBmlidfj an fein OBr 
fdjlugen, toaren bon ßrna gefprocBen. 

„3<B badete eg mir," fagte fte ruBig. 

2frefe Batte natürlich feine SlB^ung bon bem eigent* 
lid§en ©inn biefet S3emerfung, er faB autB nid^t bie SBläffe, 
bie auf bem Slnttifc feiner ftrau tag. @r ging fett ganj 
in ber SSefctjäftigung auf, ftdf) bie ©erbiette borjuBinben, 
unb lub bie Beiben Stnberen nur mit ftummer ©eBerbe 
ein, Spiätj p neBmen. 

SJottfommeu gelaffen fe|te fiel) ©rna nodfj einer 58e= 
griiBunggpBtafe an ben £if<B unb gaB bag ßlingetpidBen 
pm Aufträgen für ben Wiener. 3Bte 9tuBe gab audB 



Digitized by Google 




112 



$uf bcr Folter. 



dbuarb feilte Raffung fo toeit aurüd, bafj er feinen 5piafj 
aur Stedjten beS £>nfelS einneljmen !onnte. 216er er toagtc 
es mäljrenb ber ganzen SJta^laeit nid&t, ben Blid bom 
Kelter au ergeben, unb jeher Biffen quoll iljm im SJtunbe. 

©Itidlidijer SOBeife mar Sfrefe gefpräd^tg genug, fo bafj 
bie dinftlbigleit feiner Sifdfjgenoffen nid^t toeiter auffiel, 
unb baS äöenige, baS drna fprad^, mürbe burdfjauS gleich- 
mütig unb gelaffen borgebradht. 

dbuarb erwartete unb fürchtete mit jeber Minute, 
drna merbe, maS bon ihrem Stanb^unlte aus iljm gatta 
natürlich gefdjienen hätte, ermähnen, bafj fie ben Steffen 
ihres ©atten fd&on lernte, aber fie fagte nidjtS. ds bot 
fi<h jeboäj baau auch nicht mehr bie redete ©elegenheit, 
nachbem eS gleich au Anfang unter bem dinbrud ber 
Ueberrafchung auf beiben Seiten berabfäumt morben mar. 

dbuarb atmete erleichtert auf, als er nach beenbigter 
£afel, eine feljr begreifliche drmübung burch bie Steife 
toorfdtjüfcenb, fich auf fein Bimmer aurüdaog. 

2)ort marf er fich auf baS Sobh<* unb begrub ftbljnenb 
baS ©eftcht in ben .pänben. dr hatte fie miebergefehen — 
aber mie! £>, je|}t mufjte er ftch mit einem SJiale ihre 
lalten SGBorte au beuten, mit ber fie Don ihrer erften Be- 
gegnung gefprodjen hatte: „Sfdj fürste, mein -fperr, Sie 
legen biefem SJtoment au biel Bebeutung bei." 
Bßaljrbaftig, fie hatte Stecht, baS au fürchten! 

Unter ben taufenb ©ebanfett unb dmpfinbungen , bie 
im Innern dbuarb’S mie im Sturme burdfjeinanber mirbel« 
ten, mar iljm nur baS dtne llar: „S<h ntufj fort bon 
^ier — fo halb als möglich. SJtorgen fchon." 



Digitized by Google 




9?ot)eKc non ft. 2)tarteKu*. 115 

2 . 

2lm anbcrctt borgen ersten ©buarb nid^t Beim gtül(j = 
ftücf; er liefe ftdj burd§ eilt leidstes Untoot)tfein entf<Bul= 
bigen. Onfel grefe naljm bie ^ad^xid^t mit ärgerlidjetn 
ftopffdtjfitteln auf. ©amt toanbte er fidj an bie neben 
ifjm ft^enbe grau. 

,,©df)abe, id§ ^atte miefj fdljon gefreut, bafe fidj ber 
Sunge ©it ^eute öon einer bortBeilfjafteren ©eite jeigen 
toetbe, als geftern. ©r Betoaferte eine tounberlidje .gurüdE» 
Haltung, bie idj an iljm toa^aftig nid§t getooljnt Bin." 

,,©S bebrüdft ifjn bießeicBt baS ©efii^X ber 9lbBängig= 
feit, in bie er fiel) nunmehr begeben mufe. 3dj benfe, ©u 
fönnteft eS ifem leister matten, inbem ©u iljn anberStoo 
auf eigene güfee fteßft. ©tüpfelte iljn einem deiner ait§= 
toärtigen gteunbe; auf einem fremben ©ute mürbe er ge= 
toife eher felbftflönbig toerben unb ©eine ©nabe toeuiger 
bebrücfenb empfinben." 

„^apperlaBapb ! ©aS ift bumnteS 3eug ! gdj miß beit 
gungen unter meinet Slufjidjt Baben, unb am ©nbe foß 
er ja gerabe bie SöirtBfcBaft auf Selife fennen lernen, 
benn mir toirb eS nadjgerabe unangenehm, bie ©acBen in 
bie £änbe ßa^ner’8 $u legen, ber fidf) ohnehin bereits eine 
3 U bominirenbe ©teßung gefd^affen Bat. UebrigenS marft 
©u früher felbft anberer ^Inftdijt. ©u B a ft e3 ja eifrig 
befürwortet, bafe id(j ©buatb ^iet^er nahm." 

„©Bat id£) baS WirflidB?" fragte ©rna jerßreut. „9tun, 
bann Babe idB eS eben nic$t reiflich genug überbad£)t." 

„Slbet idE)!" entgegnete fturt boltemb. „©3 bleibt alfo 

SJibliotfjef. 3af>rg. 1889. 93b. XII. 8 



Digitized by Google 




114 



Stuf her golter. 



Bei ben erfieu SiSpoßtionen. Ober mcinft Su ettoa, ich 
fei nur ein SBerfaeug deiner Saune?" 

©ie fah ihn bertounbert an, als berftefje fie ihn nicht. 

*3a, Su fcheinß eine Abneigung gegen ©buatb 3 U 
hegen, baS ^abe ich geftern fchon bemerft. Su ^afl ihn 
ja faum eines SöorteS getoürbigt. Stun, ich lege Seinen 
Neigungen feinen 3u>ang auf, aber Su irrß, toenn Su 
glaubß, baß ich mich babon beeinflußen laßen toerbe." 

Sie audfte bie Slcfjfeln unb fdjtoieg. 

S3on ba ab bermieb eS ßrna, intern ©atten gegenüber 
jemals toieber bie 2 lngelegenljeiten feines Steßen au be- 
rühren, toaS Äurt in ber golge noch mehr in ber 3lu= 
nähme beßärfte, baß ße bem jungen Sftanne mit einer 
unübertoinblichen Abneigung begegne. 

UebrigenS bermieb auch (Sbuarb jebe Stnnäherung an 
bie Sante. ©aß er ihr bei Sifche gegenüber, fo toar er 
auffaKenb toortfavg, unb außer beu 2 Jta^eiten ging er 
ihr ängfilich aus bem SDÖege. Sarnit glaubte er nur feine 
Üßftidjt au t^un unb rebete ß<h felbfl ein, burch biefeS 
©hftem attmäblig ben ©türm in feinem Innern bef<htoid& a 
tigen au fönnen. 3n SBirftidhfeit befeßigte auch (Sma’S 
unenttoegt aur ©d)au getragene Stuhe feine äußere ^al» 
tung. <£t hielt ßdj boüfommen überaeugt babon, baß eS 
ihm mit ber Seit getingen toerbe, ihrer mit berfelben 
©leidhgittigfeit au gebenfen. Sen erßen (Sntfchluß, baS 
@ut ohne bie geringße gögerung au berlaßen, hatte er 
fchon beShat 6 aufgeben müßen, toeit er mit Stecht fürchten 
mußte, ben Cnfet gu beteibigen, fobatb er nicht ßidhhaltigere 
©rünbe anaugeben toußte. Sann hatte er ben aunächß 



Digitized by Google 




SioüeKe oon ft. 9Jtortellu§. 



115 



nur hinauägefdjobenen SSorfatj gänalidh falten taffen, be= 
tröstete er bot^ bie 93erhäünijfe auf 33etitj als ben Sßrobir» 
ftein für feine (Sharatterfefiigfeit unb toar, tote gefagt, 
getoifj, bafj er über feine IjoffnungStofe Siebe fd^tiefetid^ 
ben (Steg babontragen toerbe. 

@rna ahnte toohl, toa§ in i^rn borging, unb freute 
fidj, baff ihre Xafti! fict) l^ier anfdjeinenb fo glänaenb be* 
toähtte. ®ie toar auch entfdjloffen, ihm toeiter be^itflid) 
3 U feilt, ihr gegenfeitigeä Sßerhältnifi toirtlid) fo 3 U ge* 
ftatten, toie eä atoifd^en £ante unb 9leffc natürtidj toar. 
3)a3 tonnte, fpüier atterbingS, am befien bitrd^ eine ber* 
nünftige Stusfpradje gefdjehen, bie ein ehrliches Ueberein* 
tommen aum föefuttat haben fottte. 

SDie (Gelegenheit baju fanb fad^ benn auch an einem 
trüben ©ftobertage. §err b. fjfrefe toar am borgen pr 
3agb nach einem benachbarten (Gute gefahren, unb @rna 
toar beim ßffcn jum etften 2 Jtate mit (Sbuarb allein. 

S)a fd^ien <£rna auch ber nötige 3eüpunft gefommen, 
um 9lCteS enbgiltig au fchtidtjten. 3u biefem 3toede bünfte 
eS ihr am beften, bie (Sache betrat anaufaffen, bie Urfad^c 
ber bisherigen ?Pein in ihrem Söerfehr burch eine birette 
SluSfprache au befettigen. 

„6agen (Sie, ßbuarb, haben ©ie nicht aud) baS 33e* 
toufjifein, baff toir unS in ber berhättnifjmäjjig furaen 3cit 
feit jener erften Begegnung in SCßien gana erftauntidh aus* 
gereift haben? 2ßer unS bamalS fo gefagt hätte, baff toir 
mit ber 5ßerfon, mit toetcher unS ein gana alltäglicher 
3ufatt auf eine Gtunbe aufammengeführt hatte, hier Sah« 
fpäter in einem bertoanbtfchaftlidhen Söerhättnijj ftehen 



Difjitized by Google 




11G 



Hu? ber flotter. 



mürben, mir hätten ung bamalg barauf $tn tooT^l etmag 
genauer angefehen." 

Gr fudjte erfl nach paffenbett Söorten ber Grmieberung, 
alg fte ihn f<hon ber Slntmort überhob, bie ihm nid^t gana 
leidet ju toerben fdhien. 

„ 3 dh erinnere mich übrigeng noch recht gut, toie ftcij 
bamalg unfere hatmlofe Klauberei antnüpfte. ©ie f praßen 
ftd£j über irgenb ein 23ilb, bag ich gerabe betrachtete, mit 
joldjer 33egeifterung aug, bajj ich nicht umhin tonnte, ©ie 
3 U einer näheren SBegrünbung 3h* e 3 Urt^eilg au ber» 
anlaffen, bag midh bamalg, alg aug einem augenfdheinXidh 
berufenen SOtunbe tommenb, fe^r erfreute." 

„Gg toar jener intereffante ©tubienfopf, ben idh fdhon 
lange betounbert hatte," entgegnete er, auf ihren gefälligen 
iptauberton mit einer Unbefangenheit eingebenb, bie ihn 
felbft beruhigte. „SJegtjatb berührte eg midh audh fo fpm= 
pathifdh, bajj ©ie gerabe biefem Stquarell eine ähntidhe 33e» 
tounberung au aollen fdhienen. ©ie hoben ja fogar bag SCBert 
beg teiber unbetannten fdhtoebifdhen SJtaterg für ft<h topirt." 

Grna lehnte ftch in *h ten ©tuhl autftä unb ladhte be« 
luftigt auf. „Slber toer fagt Shuen benn, bafc bag Heinere 
SBilb eine $opie ifl? könnte nidht biefteidht bag aug* 
geftellte Aquarell bie fpätere Slugführung ber Keinen ©fiaae 
getoefen fein?" 

„SOßie? 25ann fennen ©ie biefteidht ben Äünftter? Unb 
ich Qtaubte hoch bon Shtten gehört 3 U haben, bafj ©ie 
felbft bag SJtebaiUonbilbchcn gemalt hätten?" 

„@an 3 richtig; eg toar ber Gnttourf au bem großen 
Slquarett, bag bann auf ber .fhinftaugftetlung bebütirte." 



Digitized by Google 




^loücUe uon St. ÜJiarteDuS. 



117 



„2llfo Sie, ßrna, Sic 1 ? Unb ich toar in ber Meinung 
befangen, nur ein fDtann föune toeiblidje Schönheit betart 
barfietten, hinter bem ^tamenlofen milffe ein männlicher 
Äünfiter fietfen!" 

,,©ie fe^en, toie SRecht id£j bemnach h Q tte, bem 23or« 
urteil, bag man ung entgegenbringt, augautoeichen," fuhr 
fie rafdj fort. „3ch matte bag 33itb in meiner 33aterftabt 
©todholm ; ein befreunbeter ßünflter unb ßanbgmann toar 
fo gefällig, bag Stquarett mit feinen eigenen ©emätben atg 
bag ßrfllinggtoerf eineg Stnfängerg in ber fd§toebifdfjen 2 lb* 
Leitung ber Slugftellung unteraubringen. Söielteicht aber 
erfdheint Shnen meine, bon Shnen belobte Stuffaffung beg 
©ujetg begreiflicher f toenn ich S^nen fage, bafi eg bag 
Porträt meiner teuren HRutter i)l, bag ich Iura nad; 
intern £obe in bem Heineren Stquareß feftauhalten fudtjte 
unb fpäter im größeren 2 Ra|ftabe augführte." 

ßr toar bei ihrer SRebe aufgefprungen unb rang jetjt 
nach Söorten. „Sie, ßtna, ©ie!" brachte er mit erfüllter 
©timrne h^bor. „Unb 3h r e Butter, fagen 6 ie? 2lh! 
SQßiffen ©ie, bafj ich eg gar nicht für möglich h^t, Mi 
eg ein fotcheg Slnttifc in SBirftichleit geben lönnte?" 

ßrna burfte nicht länger 3 ögern, feine erregte SRebe 
3U unterbrechen, tooHte fie fich nicht ber ©efaht augfefcen, 
ein gerabe entgegengefefjteg ßrgebnifj 3 U erreichen, atg fie 
eg mit biefem ©efptäch beabfichtigt hotte. 

,,©ie fehen alfo, eg toar gefdhmeidhette ßitetfeit, toag 
mich bamatg betoog, Sh* ßunfturtheit in Slnfprudh ju 
nehmen. 9Rein Äünftterftolj fühlte fich ungemein be= 
friebigt burdh SBegeifterung. £ahaha ! Unb heimlich 



Digitized by Google 




118 



9luf ber Folter. 



ergötze ich mich an bent ©ebanfen, ba| ©ie feine Slbitung 
babon Ratten, ment ©ie eigentlich Sh* $er 3 offenbarten. 
SOßer meib, bieEeicht hätte ©ie bag SBetüubtfein, bab 
ein einfacheg ÜRäbd^en ber Sftamenlofe fei, 31 t einer 21 B- 
fchmädjung 3 h*eg Sobeg beraulabt." 

5Diefe SÖBorte mirften mie ein falter Söafferjtrahl auf 
Ebuarb’g erhitjte 5p^antafie. Sflfo bag toar eg gemefen, 
mag fte barnalg feine Stnnäherung bulben lieb? llnb er 
2 hor hotte ftch eingebilbet, bab auch fte bie Erinnerung 
an jene ©tunbe als ein teures ©ut bemahre! 

„©ie irren, Erna," fagte er nadj einer 5ßaufe inneren 
tfambfeg, inbem er mit faltem Sätheln feinen ©tuljl mieber 
einnabm. „©ie irren ; ich hätte Shnen ouch barnalg bolle 
©ereihtigfeit miberfahren laffen in bem rein fachlichen 
Urtheit, bag ich bei jener ©elegenheit augfprach. 3><h 
toieberhole Shnen auch heute, bab ich jeneg SlquareÄ für 
ein 9Jteiftermerl holte. 2 >afj ©ie über bie ©ren 3 e hinaug= 
gingen, bie ich im ^Allgemeinen ber meiblichin ©eftattungg- 
fraft fefce, bag ift eben nur ein 33etoeig, bab ©ie ftch toeit 
über mein bieEeicht furgftchiigeg Urteil erheben." 

Er moEte in feine SGßorte ©atfaSmug legen, aber er 
fonnte eg nicht hinbern, bajj babei ettoag bon ber traurig» 
feit burchfe^tug, bie fein ©emüth erfüllte. SfebenfaHg hätte 
fie biefelbe auf feinem ©efichte lefen müffen, toenn fte ihn 
in biefem Slugenblicf angefehen hätte. 

2JUt großer ©orgfalt eine Drange fdjälenb, fab fte 
aber hol 6 in ihren ©tufjl 3 urücfgelehnt unb lächelte. 

„Soffen mir bag ruhen," fagte fte, unb nach einer 
fur 3 en ?Paufe fuhr fte fort: „SBir blieben bamalg nur 



Digitized by Google 




9lot>elIe uon $. SJiartcUuS. 



119 



noch einen Xag in SBien, bann reisten Wir nach ©chtoeben 
aurfidf. 3ut |>erbft erhielt ich bann mein 2tquarett aurücf, 
unb mei^ öffentliches unb eigentlich hoch geheimes 2tuf« 
treten ^atte bamit fein Cmbe gefunben." 

„Unb too betoahren Sie je^t baS SSilbl" 

6rna antwortete nicht gleich. Xiefe unbermittelte 
Sfrage fe^te fie auf einen Slugen&lidE in SÖertoirrung. 

„3<h fchenlte eS einer gfreunbin," fagte fie bann rafch 
unb lenlte fofort ttrieber in ben (Sang ihrer ©rjählung 
ein. „3<h hatte auch in 3ulunft leine ßuft mehr ju 
einem ähnlichen 33erfuch ; ich hatte halb barauf meine Seit 
ber ^Pflege ber Xante au toibmen, bie au träufeln begann 
unb auch toirllich nicht mehr genefen fotlte. ßange, quäl» 
bolle fDtonate bauerte ihr ©iechtljum, unb ich fanb faum 
noch ^Jtufje, wieber nach bem 5ßinfel au greifen, ßaffen 
©ie mich biefe traurige Seit mit ©tittfehtoeigen übergehen. 
2113 fich bie ettoaS eigenfinnige Äranle enblich entfehtofj, 
auf ben toteberhotten bringenben 2tath beS 2lrate8 ein S3ab 
au befuchen, toar eS bereits au fpät, baS tourbe mir gleich 
bei imferer 2lnlunft bafelbjt flar. 3<h litt unfägtich, um 
fo mehr, als fte unabläfftg in mich brang, bie ^Bewerbungen 
eine§ §errn anaunehmen, ber ftch unS bielfach nfifclich ge= 
macht hatte; fie lönne, toie fie fagte, nicht ruhig fterben, 
toenn fie mich nicht berforgt toiffe." 

©ie fefcte hier ein Wenig ab. (Sbuarb feufate tief auf; 
er ahnte, Wen fie meinte. 

„3<$ glaube Sie au berftehen. 3h« Xante fefcte ihren 
^Bitten burch unb ©ie nahmen bie ^Bewerbung — jenes 
#errn um 3h« $anb an?" 



Digitized by Google 




120 



5tuf ber Folter. 



„<So jefiWV 

„Slrme ©rna," jagte et nach einer 5ßaufe beiberfeitigen 
©tittfchmeigenS. 2 )a ^ob fte mit einer fajt unmutigen 
SBetoegung baS flotte $aupt. 

„338arum arm?" 

„SBeil ©ie bodj nur 3 U halb inne toerben mußten, 
baff — baff ©ie nid^t gan 3 Perftanben tourben. 3 br hoch* 
ftrebenber (Seift, 3 b* ßünftlertatent, 3b*e ibealen ©nt* 
pftnbungen fließen auf einen ©egenfatj, ber 3 b* Ö^oßeS, 
marrnfübtenbeS £era bettelte." 

„ 2 Ber fagt 3 b ne n baä?" unterbrach fte ihn mit ber* 
toeifenbem ©ruft. „Äurt’S ©baralter ergänzt ben meinigen. 
3<h fcbüfce ibn $ 0 $, ich achte ihn. 3<h bin glüdlidj in 
meiner ©be!" 

©buarb fab fte beinahe erfd^redEt an. ©r muffte nichts 
ntebr au fagen. S)ie grofje ff rage, bie ibm feit feinem 
©intritt in baS #au 8 beS OnlefS auf ben Sippen gefdbtoebt 
batte, mar ibm ja foeben beantmortet morben: ©rna fühlte 
fidb gtücflicb ! ©r butte gemünfcht, baff fte eS fei, unb bodj 
— jejjt berührte ihn ihre 33erjt<herung mit einem bitteren, 
f dbneibenben 2 Beb ; ber Xraum mar nun gänzlich auSgetrüumt. 



©inige üage nach biefer ©eene amifeben ©rna unb 
©buarb trat ßadjner in baS fogenannte SlrbeitSaimmer 
beS ©utäberrn, ein 9luum, ber feinen tarnen mit Unrecht 
führte, benn #err p. ffrefe butte berali<h toenig a« Q * 5 
beiten unb benüfcte ba§ Simmer, menn er barin nicht eben, 
mie beute, ben luraen ^Bericht feines SSermalterS entgegen* 
nahm, au feinem 9kcbmittag&f<btüf<ben. 



Digitized by Google 




^ooeQc oon ß. 2JiarteUuS. 



121 



Sadfjner ^atte c3 mit großem 9Jtißbergniigen gefebett, 
baß ©buatb auf bem @ute blieb mtb bie Aufgabe erhielt, 
ibm in ber S3etoirtbf<haftung beiaufieben; er batte feine 
©rünbe baju. 

„Sagen Sie’mal, lieber Sacbner," begann Äurt, nach» 
bem er bie borgelegten Rapiere überflogen batte, „Sie ftnb 
ja bie meifie Seit um meinen Neffen unb baßen ©etegen» 
beit, fein Xljun unb Treiben au beobachten; finb Sie mit 
feinem 9lrbeit8eifer aufrieben? Seist er toirliicfj ettoaä 
bon bem angelobten gleiß unb ber SluSbauer, bie auf ben 
erhofften Umfdbtoung in feiner SebenSanfchauung fdjließen 
ließe?" 

„Sotoeit mir ein Urteil batüber aufiebt, fann icb beit 
33eftrebungen <^errn b. grefe’S nur baS glänaenbfte Seug= 
niß auäfietten," entgegnete ber 33ertoalter mit toürbebollem 
©rnft. „3<h bebaute nur, feben au müffen, baß er fidf; 
in feinen ie^tgeri Cebengoerböltniffen nicht Jonbetlicb glücf» 
lieb au fühlen fcheint. $ch bemerle autoeilen Serfireutheit, 
eine 2Jtenf<henfcbeu unb Surücfbaltung an ihm, bie mich 
ernftlicb befürchten läßt, er bube hier nicht ben richtigen 
SSoben gefunben. (B febeint ihn ettoaä fdjtoer au bebtfitfen." 

„aih," lachte #err b. grefe, „ich glaube, ©buarb hat 
noch ein paar geheime föüdfiäube au bedfen, Schulben, bie 
er mir berfdjtoieg, ober ettoaS begleichen. 9hm, er folt 
nur ein biächen fdbtoißen bafür. 2lber Sie lönnten bei 
paffenber Gelegenheit ba3 au erfahren fuchen; ich möchte 
biefe Sachen hinter feinem dürfen fchüchten unb ihn exfl 
fpftter mit ber Nachricht belohnen, baß 2iEe3 georbnet fei, 
toa3 ihm jeßt noch fo fchtoere Sorge macht." 



Digitized by Google 




122 



9luf ber ftolter. 



„Vtäglich, ba| ©ie richtig bermuthen, £err b. $refe. 
2 lber ich glaube, bafj begleichen nicht allein bie ©<hulb 
baran trägt, bafj her #err Sfteffe fid^ ^ier unbehaglich 
fühlt." 

„|>m! Vtag fein, bafj tfjn bie Abneigung Iränft, bie 
ihm meine ftrau entgegen 6 ringt. Vteinen ©ie baS? — 
©o reben ©ie both! SSßaS bebeutet benn Sh** nachbent« 
lid§e Vhene?" 

ßachner ertoieberte mit einer $aft, bie auSfah, als ob 
er eine getoiffe Verlegenheit bemänteln moHe: „Sa, ja, 
baS toirb e 8 fein, gemifc! Sch Qlaubte allerbingS, bafj 
bie gnäbige Oftau i§re Slbnetgung bereits befiegt habe — " 

„32ßarunt glaubten ©ie ba§3" fragte ^err b. Sfrefe 
gemüthlich. 

„9hm, eS freien mir fo. SBenigftenS foK fi<h bie 
gnäbige fffrau mit £errn ©buarb erft neulich beim ÜJlittag- 
effen fo ungejtoungen unb mit fo biel Sntereffe unterhalten 
haben, bafc man auf eine bottftänbige SluSföhnung hätte 
fchliejjen fönnen." 

„ßächertidj. Sch höbe nichts babon bemerft. SBann 
toäre benn ba§ getoefen?" 

„Vergangenen Vlittmoch, toenn ich nicht irre," toarf 
Sachner leicht hin. 

„5lch ja, ba mar ich iö auf ber Sagb in Stafienfelb 
brüben," entgegnete ber ©utShe** gana arglos, „©cheint 
aber hoch nicht lange gehalten 311 höben, biefe Verföh« 
nung." 

ßachner judfte bie Slchfeln unb neftelte an feiner Uhr« 
fette. „®S ift mahr, £>err ©buatb ift feiger nur noch 



Digitized by Google 




s Jiooe£lc tum 2JiarteUu3. 



123 



büfierer geworben," fagte ex langfam. „©3 wäre bemnach 
atfo fd^on nach biefer fRid^tung bieEeicht angemeffen, bem 
geheimen Söunfche beS jungen Herrn nachgufommen unb 
ihn bet $Pein feinet gegenwärtigen Soge $u überleben. 
SlnbererfeitS Wäre burdj biefe einfache Söfung bet Stage 
aud^ bet gnäbigen fftou ein ©tetn Dom $eraen genommen. 
Scf> tann mit lebhaft benlen, bafj fixem b. ^refe ft<h 
burch bie albernen Älatfdjereien gelränlt fühlen rnufj. 
SaS mag fie Wohl auch befiimmen, bem ^»etm Neffen 
mit einet abjichtlich sut ©<hau getragenen (Schroffheit 31 t 
begegnen, bie einzige Salti!, bie ihr bleibt, um böswillige 
fUtuthmajjungen niebergufchtagett." 

H«r b. Stofe h°fi ie|t bo<h ben $opf unb fah ben 
©frecher eine SBeile mit ftarrem ©rftaunen an. 

„2Ba3 foE baS heilen? SBöSWiEige Älatfchereien unb 
fütutfjmalungen? SCßet unterfteht fidj, foldje angufieEen?" 

„Sa, Wer betmag ben Urheber fotch’ unbeftirnmter 
©erüchte 3 U nennen," fagte Sadjner mit einem Seufzer. 
„Sie 9lnwefenheit eines jungen, als lebenSlufüg belannten 
Cannes in bemfelben Haufe, wo eine junge, fchöne Haus- 
frau Waltet, bie leinen Serlehr mit ber 9tachbarf(haft 
jucht, baS genügt ben tlatf<hfü<htigen jungen, um bie 
fribolften ©erüchte in Umlauf gu fefccn. 22Ber frägt bar* 
nach/ ob fie Wahr finb? SBenn bie äußeren Utnftänbc 
nur bie SJtöglidjteit begünftigen — " 

„©enug!" Wehrte ber ©utsherr Iura ab. ©r war ftart 
erröthet, Wähtenb er ftcb erhob, um an’S Senfter ju treten. 
„EöaS tümmert mich baS ©evebe ber Seute. ©buarb bleibt 
je|t erft recht hier! S<h taffe mir burch bertei ^Bosheiten nichts 



Digitized by Google 




124 



9luf ber i^oltcr. 



abtrofccn. $<h toitt auch nicht, bafc Sic mir über bie foge* 
nannte öffentliche Meinung toieber Bericht erfiatten. Slbieu!" 

Sad&ner hätte gerne ettoaS au feiner ©ntfchulbigung 
gefagt, aber baS heftige trommeln an ber Qfenfterfcheibe, 
mit bem £etr b. Sfrefe feiner Stufregung ßuft machte, toar 
ein au beutlicheS Signal aum befohlenen Slbmarfch- 

Stachbem ber Sßertoalter baS Zimmer berlaffen hatte, 
toanbte fidh ber ©utsherr um unb ging eine SBeile, bie 
&änbe auf bem fRüdten, erregt auf unb nieber. Sein 
©eftcht fd&ien in Purpur getauft, unb bie 3orneSaber au 
feiner Stirne fcfjtootl heftig. 

„SOßaS ba!" murrte er enblich. „33löbeS ©efdhtoäfc, 
bumnteS 3eug!" SJamit machte er eine cnergifc^e £anb= 
betoegung, als fchiebe er alle toeiteren ©ebanlen barfiber 
bei Seite. „2)er ßachner ift ein Spifcbube, bem eS 93er= 
gnügen macht, ^ntriguen anaufpinnen. Slber toaljrhaftig, 
eher geht er als ©buarb!" 

©in Iröftiger Schlag auf bie glatte beS SchreibtifcheS 
bilbete baS Siegel au biefen Xßorten. 

3. 

<£>err b. Qfrefe hatte mit Stecht behauptet, er habe boit 
einer angeblichen Söerföhnung atoifchen feiner ©attin unb 
bem Steffen nichts benterfen lönnen. 2Bar auch toirllich 
ihr 33er!ehr ungeatoungener getoorben, fo näherten fie ftdh 
beShalb bodlj nicht mehr als fonft. ©buarb bermieb ©rna 
atoar nicht gerabe abfichtlich, aber er fuchte fie audh burch* 
aus nicht auf. Seit jener bebeutungSboHen Unterrebung 
toaren fie nicht toieber allein getoefen. 



Digitized by Google 




9toüeHe oon 5?. 3JtorteIlu3. 



125 



bet naljen Stabt $atte bereits bie tReilje bet Vätte 
unb 2lbenbge|elifd§aften begonnen, fjftefe, bet eine grofje 
Vefanntfdjaft Ijatte, etfy'elt Diele (Sinlabungen, 3 umeijt Don 
benadtjbarten ©utSbeftfjero, bie jefct, mäljrenb beS SÖßinterS, 
iljte SBoljnungen in bet Stabt beaogen Ratten. 3)a @tna 
aber ftetS SluSflfidjte fudjte, um i^te getooljnte gurüt!» 
gejogen^eit nidfjt aufgeben ju tnüjfen, blieb ifyn nidfjtS 
SlnbereS übrig, als alle bie jatjlteidjen ©ittlabungen banfenb 
abauleljnen. 

25a !am eines üageS eine Äarte Dom 5ptöpenten, bem 
©rafen Vt., bet mäljrenb beS SommerS mit ftrefe auf 
einet Sfagb jufammen getroffen mar. SDiefe ©inlabung 
modtjte bet ©utSljert auf Velifo nidfjt ableljnen, ba il>m 
an bet Vefanntfdfjaft mit bem Ijoljen SBütben trüget Diel 
gelegen mar. UebtigenS Ijatte er i^m fdfjon auf eben jener 
2fagb aufs Veftimmtefte Detfbred^en müffen, auf bet erften 
Soiräe beS ^ßrüfibenten mit feiner jungen ©attin au er» 
fdtjeinen. <5tna miHigte benn audtj nadfj längerem Sträuben 
enblidj ein, i$n a« begleiten. 

3u biefem Slbenbe mürben grofje Vorbereitungen auf 
Velifc gemadfjt. #err D. gfrefe meibete fidfj bei bem ©e= 
banfen an baS Sluffeljen, baS er mit feiner frönen jungen 
Qfrau au erregen gebadete. (53 Ijätte iljm feljr gefcfjmeidtjelt, 
iljretmegen beneibet au merben. 

ßbuarb Ijatte eine SluSrebe au finben gemußt, um au 
$aufe bleiben au lönnen, unb ber Ontel Ijatte feine <5nt» 
fdfjulbigung gana gerne gelten laffen, benn feitbem ber 
©utSbermalter auf gemiffe ©erfidjte Ijingemiefen $atte, er» 
fdjien eS i$m bod^ nidjt gan 3 angenehm, jtdfj mit 3frau 



Digitized by Google 




126 



Stuf ber Roller. 



unb Neffen öffentlich au geigen unb babuich unliebfame 
Söergleidje hetau§auforbern. 

©egen Slbenb, al§ ©buatb aEe bie Sßoibereitmtgen fah, 
toeld^e ber Onlel aum 33efuch be§ 33aEe8 traf, fiberfant 
i^n ein unbehagliches ©efü^t bei bem ©ebanfen, bafj ©rna 
jebenfaEä fehr biel urnfchmärmt unb t>on ber ganaen 
^enengefeEfchaft gefeiert fein toerbe. @r aürnte ihr Bei* 
nahe, bafj fte überhaupt ba3 Sreft befugen tooEte, Bei 
toeldjem bod§ iljt flilCBefdhiautic^er ©cift, ihr ©emiith feine 
S3efriebigutig ftnben fonnte. Unb noch ein 3lnbere8 ärgerte 
ihn. Sadjner hatte ihn bor einigen Sagen bei ©eite ge= 
nommen unb mit ber ihm eigenen 93ertrauli<hteit aus* 
geformt, ob er ettoa noch 33erpEi<htungen habe, bie er 
bem Onlel nicht geftehen tooEte. 2)er geriebene SEamt 
hatte eS auch berEanben, feinen Slnbeutungen, bafj er ftdh 
toegen begleichen leine Sorge a u machen ^abt, einen 
SlnErich au geben, als märe e8 nicht gerabe Äurt b. Ofrefe, 
ber ihm behilflich fein tooEe. ©buarb hatte ihn aiemlidj 
fchroff abgetoiefen unb flola erllärt, er bebüvfe feines 95ei» 
Eanbeg, fonbem toerbe fich in einem folchen §aEe fchon 
aEein au helfen toiffen. 

3118 er bann fah, toie ber StaEburfche im <£>ofe ben 
äßagen in Stanb fefcte, ber bie ^errfchaft nach bem 33ahn» 
hofe bringen foEte, ging er nach bem Salon, um fich flu 
berabfchieben. 

2)er Salon aber toar leer unb EuE«; nur atoifchen 
ben Vorhängen, bie ben ©ingang au ©rna’ä Zimmer ab* 
fdjloften, flimmerte Sicht, ©buarb trat näher unb fatj 
burdh ben Spalt ber Sammetborhänge, ©rna ftanb bor 



Digitized by Google 




^occllc t>on $. SffiarteHuS. 



127 



ihrem ©oifettetifcbe unb [Riefte eben bie 3ofe biuauS. ©ie 
prangte bereits im boEen ©tanae. 3b rc toeifcen $änbe 
framten in einer ©cbmucffaffette ouf bem ©buarb 

bifi bte 3 ä bue aufammen, als b a &e er einen aufqueEenben 
©Camera au unterbrüefen. ©r tooEte babon, tjintoeg bon 
biefem Orte. ©a tourbe bie ©bür, bie bom SSorfaal in 
©rita’S 3intmer führte , geöffnet; $err b. Sfrefe trat ein. 
Sr toar bereits im Qfrad. ©en ©ptinberbut auf bem Äopfe, 
ben 5Pc(a über bie breiten ©(buttern getoorfen, blieb er 
mitten im 3tnimer fielen unb legte feine <£)anbfdjube an. 

„i£aft ©i<b ja prächtig berauSgepufet, ©ebap!" taebte 
er. „Safc ©i<b bodj anfeben!" 

©rna manbte ftdb halb um, eben im ^Begriff, einen 
einfachen ©olbreif um ihren Strm au legen. Qfrefe ergriff 
ihre $anb unb betrachtete baS Slrmbanb. 

„Eöarum fo überaus befd^eiben? EBoau baft ©u ©eine 
SBriEanten, toenn ©u fie bei einer folgen ©etegenbeit 
nicht tragen toiEft?" 

„ßafj bodbl ©u toeifjt, i<b betrachte ben Familien» 
ftbmu(! ©einer fütutter als ein Sßermä<btni|, an bem ich 
feinen ©b e il buüe." 

„ßäcbertidje 3bee!" brummte <£>err b. Srefe. „UebrigenS 
befifeeft ©u ja audb felbft ettoaS SBeffereS, als biefen arm- 
feligen glatten Reifen. SBarum nimmft ©u ni(bt baS 
Slrmbanb mit ben perlen unb bem ©ntaragb, baS mir 
immer fo gut gefiel? SSeifjt ©u, baS mit bem SSitbdben 
©einer fütutter. ©u b a f* eg i& fonfi niemals abgelegt, 
unb jefct fällt mir er ft ein, bafi ©u eS febon feit Sängern 
nicht mehr trftgft. Söarum baS?" 



Digitized by Google 




128 



$uf ber Folter. 



Grna lehrte fid^ «nt unb brüefte ben Sedfel beS 
©dfjmucfläftdljenS in’S ©dEjlofj, e$e fte ermieberte: „Sie 
flapfel ift ettoaS befdfjäbigt; idf) ffirdjte, eä ju berlieren, 
tüte eS bereits einmal gefd(je§en ift!" 

Sabei befeftigte fie eine !Hofe im |jaar, toeld&e Se« 
fd§äftigung fte fo fe§r in Slnfprucij na^m, bafj fie nidljt 
auffe^ett lonnte. £err b. 3frefe murmelte ettoaS Unber= 
jtftnbiid&eS «nb burdjmafj baS 3immer mit Saftigen 
©dritten. ^löfjlidj blieb er bor bem aierlid^en ©c$reib= 
tifd) am g-enfter fielen unb mufterte bie Silber, bie über 
bem S«lt an ber Sßanb gingen. Sann toenbete er ftdj 
langfam um, ßrna mit einem Stic! ftreifenb. 

„§öre, Su! 3ft ettoa aud(j ba§ Originalgemdlbe be- 
fdfjdbigt?" 

„SöaS meinft Su?" fragte fte leife, o$ne aufaufetjen. 

„9iun, baS Slquarett, baS Silb Seiner 2Jtutter! ©eit 
mann §aft Su eS benn bon ber 2Banb genommen? grüner 
Ijdtte bodj 9iiemanb baran rühren bürfen." 

®rna tonnte nichts ermiebern, fte grub bie 3&l)ne in bie 
Unterlippe, unb ein jäljeS 9totf) ftieg in iljren Sßangen empor. 

„(B ift gemifj nur eine finbifdje Saune, irgenb eine 
Iddfjerlictje ©entimentalität babei," fagte gfrefe gereift ; 
„aber idj glaube bod^, bafj meine Sftage menigftenS einer 
Slntmort merttj ift! #e? Ober bin i<f> Sir etma mieber 
einmal an rolj, um Sic§ au berfie^en?" 

„2BenigfienS au — a u geregt." 

„Dljo! fRatürlid^, baS ift ja bon jeljer Seine Slrt 
gemefen, menn id§ Seinen albernen ©efüfjlSbufeleien nidjt 
bie g^rerbietung entgegenbringe, bie Su beanfprudfjft." 



Digitized by Google 






9ioüdIe uoii $. 2JtarteUu3. 



129 



@r fc^ritt erregt auf unb nieber. ßrna aber ertoieberte 
nur mit einem bitteren Säbeln. Qfrefe befann fich enb= 
lieh, tuie Wenig gered^tfertigt hoch eigentlich fein Slufbraufen 
fei. 6r jtoang ftch aur ÜJlä^igung. SRu^ig fiettte er feinen 
£ut auf ben Tifdj unb trat näher an fte heran. 

„6rna, bie ©ache ift im ©runbe nicht Werth, bafj ich 
barüber in $ifje gerathe. 216er ich bermag Wirtlich nicht 
ju begreifen, toaS SDich betoogen hat, baS 33itb bon ber 
Söanb au entfernen, unb noch Weniger, Warum S)u mir 
eine Slntwort barüber bertoeigerft." 

„Steh h fl be baS 33ilb nicht mehr/' fagte fte fatt unb 
richtete ftch empor. „3t<h habe eS berbrannt, toie alle 
anberen Sprobufte meines SDir ja fo berieten $Dilettan= 
tiSrnuS. 3<h male auch nicht mehr, toie S)u hätteft be= 
merten fönnen, toenn Tu Ti<h überhaupt um mein Thun 
unb Mafien befonberS fümmern würbeft." 

„Tu malft nicht mehr? ©ttoa meinettoegen nicht?" 

„Tu haft ja immer barüber gefpottet unb Ti<h barüber 
geärgert," antwortete fte auStoeichenb. 

„3um Äufuf, ja I Sfch hatte nichts bon bem ©epinfel. 
Stber baS haft Tu bod^ feit jelj« getourt unb Tidj nicht 
barum gefümmert. 2öie fommft Tu nun baau, Ticl) plötj= 
lieh meiner Abneigung gegen Teine fentimentalen ^ßaffionen 
3 U erinnern?" 

6rna antwortete um fo gereifter, atS fte eben teilten 
triftigen ©runb in’S Treffen führen tonnte, um feine 93or= 
Würfe au entträften. $urt’S aufflammenbeS Temperament 
rifj fte ebenfalls au fchärferen SlusfäHen hin, atS fte hi« 
am Sßlafce Waren. GrS War, als hätten fte SSeibe ben un= 

»ibliütljcl. 3af)r(j. 1880. 93b. XII. 9 



Digitiz 

J 



< 0 d y Google 



130 



9luf ber ffoltcr. 



bebeutenben urfprünglitben Slnlafj nur ^unt Sßortoanb ge= 
ttommen, um jtdj einen ölten, ^eimüd) genährten ©rott 
Pont $eraen ju reben. $refe, beffen rohe 9tatur im 3orn 
Sftajj unb 3iel Perlor unb in ben Mitteln, feinen jetoeiligen 
©egner beletbigenb ju übertrumpfen, niemals toählerifch 
tuar, tjaite in feiner Ehe bisher an ber 2Rä|igung ber 
©attin einen S)amm gefunben, ber jur regten 3ett ab^u» 
lenfen ümjjte. .jpeute aber festen Erna i^re gelohnte lluge 
Haltung p bergejfen; ober bäumte ftdj ber £roj$ in ihr 
auf, bodj auch einmal auf ihrem Stanbpunlte au beharren, 
nadhbem fte bisher nodh immer naähgegeben ^atte? $n 
i^rer Erbitterung griff audj fte auf alte, niemals gana 
ausgetragene SRifjhettigleiten aurücE, unb ihre Slnllagen 
trafen toie Söetterpiäge aus SBolfen, bie ftd) feit Sängern, 
Sängern aufammengebaltt hatten. 

Etna’S eigengeartete Schönheit !am in ihrer gegen* 
märtigen ©eniüthSoerfaffung au einem gana neuen unb 
beähalb bietleidjt um fo übertoältigenberen SluSbrud. 
SSährenb fic fo ftanb, bie tRedjte auf bie SHfdjplatte ge» 
Pfct, bie plante, hohe ©eftalt ftola aufgeridjtet — jeher 
3oE flammenbe Erregung, ba eifdjien fle bem athemloS 
laufdhenben Ebuarb toie bie 33crförperung beS eblen 3otue8. 
$>ie ftttrmifdj toogenbe 33ruft, bie audenben Sippen — fie 
athmeten ©leichmuth im SSergleidh mit bem Slugenpaar, 
beffen S3lid bie Sohe eines unübertoinblidhen $affe8 fprühte. 

»211)1 Sft baS S)ein rnahreS ©cjidht?" rief Qfrefe, 
auf baS Sleufjerfte gereiat. „S)ie Sanftmuth, bie heilige 
5Dulbermiene ber SJtärtpreriu — baS 3lÜeS toar alfo nur 
SJtaSfe?" 



Digitized by Google 




'rrr'rv Jf^T’yJT: 'wv*y^T 9 ^^f j* * ~r 

s JtooeHe oott k. 2HarteUu§. 131 

„<5ine ^eilige müfjte ich fein, um mich ohne 9Biber= 
ftanb Seiner fhftematifdjen ©prannet unterauorbnen! ©afs 
idj baS ©lüd, baS ©u mir einfi berfprodtjen, an ©einer 
©eite nidjt gefunben habe, lonnte idj ©ir beleihen, benn 
eS mar ja nidjt ©eine ©djulb, bajj idj bon ©ir nid^t 
berftanben mürbe. 216er SRu^e burfte idj au finben be= 
anfprudjen. ©odj ©eine felbfifüchtige ©itelleit bulbetc 
nidjt ben ftummen 33ormurf, ber ©ir in meinem ganaen 
SBefen unaufhörlich bor 2lugen ftanb. £), hätte idj ©id§ 
bodtj einft fo gelaunt, mie idj ©idj nun in biefem 2lugen= 
bltcf lernte! ©u bifi ein kerlernteifter, ber feinen mefjr= 
lofen ©efangenen noch foltert." 

68 mar mirllidj ber ©dljmeraenSfdhrei einer gefolterten 
©eele, ber mit einem 2Jtafe ein lange berbiffeneS, grim= 
mige8, taufenbfacljeS 2ßeh errathen lief}. ©rna erfdjra! 
in biefem Moment bor ftd^ felbft. krampfhaft bifj fte 
bie Säljne aufammen, al8 fürste fie, in ihrer milben 
©rregung noch mehr au offenbaren, al8 ihr bereits bon 
bem forgfam gehüteten ©eheimnifj ihres inneren, fchmera* 
botten kampfeS entfd&lüpft mar. 

2lber baS fDUfjtrauen beS ©allen, baS fdjon borhin 
burdh baS leibenfdjaftliche 33elenntnifj ihres paffes gemecft 
mar, fing ben Junten auf. ©er ©ätnoit 2lrgmohn fd^drft 
ja felbft baS größte <Pht e 8uta au einer gemiffen Sein» 
fühligleit. ©r erblaßte jäh- ©r neigte ba§ ©efidjt mit einer 
brutalen S3emegung bor unb bohrte einen ftedjenben S3lidt in 
ihr 2tuge. ©ann ftiefi er ein luraeS, pfeifenbeS Sachen aus 
©rna lehrte ihm ben tRüdlen au unb fudjte ihm ihre 
-fpanb au entreißen, itadh ber er gegriffen hatte, aber er 



Digitized by Google 




132 



$luf bei* göltet. 



liefe fie nicht Io8. 6t trat gana birf;t an fte heran uub 
raunte ihr aä^nefnirfc^cnb ettoaä au, baS fie anfaniinen* 
auden tiefe. |>ätte ©buaib bon feinem 5piafe aus bie ge* 
flüfterten Sßorte beS OnfetS bernebmen fönnen, er mürbe 
ftcb bietteicht mit Sangen babon gefdjlidjen buben. 

„(Erft feit neuerer 3eit fennft Su Sich unb mid)?" 
aifd^ette er itjr in’S D^r. „©ottte bietteidjt ein getoiffer 
Semanb biefeS Serfiünbnife Seines 3fd)3 Vermittelt ^aben, 
mie man bereits unter ben Seuten munfetn l;ört?" 

„3dj berftebe Sieb nicht!" buchte fie tontoS unb 
preßte bie -fpanb an bie Stugen. 

^refe trat aurüd «nb betrachtete fie eine 2öeile über* 
tegenb. $b re Gattung mar nicht mehr bie borige, atS fie 
im ©efübl beteibigter Söürbe ihre Slnftage erhoben batte. 

gfrefe ftanb fpracbtoS bor biefer ©ntbedung. 2Sutb 
unb 6iferfucht fämpften in feiner Sruft. Sa pochte eS 
an bie Sbür. 

Sachner trat mit b^^tofem ©rufee ein unb machte 
ben ©utsberrn barauf aufmertfam, bafe ber Söagen bereit 
flehe, unb eS böd^fle 3eit fei, aufaubrechen, toenn man nicht 
ben 3ug berfäumen motte. 

„Cber bot etma bie gnäbige 3?rau fnh anberS be= 
fonnen 1 ?" fefete er mit berbinblithem fiücbeln binau. 

0-refe fuhr auf. 6r fühlte, maS £a<hner bamit fagett 
mottte. ©ein ßüchetn mar eine boshafte Slnflagc gegen 
©rna, unb bie fDtbglicbfeit, bafe biefe Slnflage gerechtfertigt 
fein fönnte, machte ihn fafi rafenb. 

„SormartS, ©mal" fagte er raub- „2öir bo^n feine 
3«it mehr au berlieren." 



Digitized by Google 







9tooelle non ft. 2JtarteKu§. 133 

63 tag ettoaä tief $ertej}enbe8 in feinem Üton, baS 
ßrna’ä üTrop fofort toieber aufftadjetn mufjte. Sdf)toeigenb 
legte fie itjr SIrmbanb ab unb rifj bie 33lumen au3 intern 

<£>aar. S)ann ftrecfte fie bie ^anb nadtj ber ftlingel aus, 
um bie ftammerjofe fferbeijurufen. 2lber Swfe fing biefe 
$anb auf unb breite fte zornig in ber feinen, bafc (Srna 
einen Sc^merzenätaut nid&t unterbrfidfen tonnte. 

„£je, toa8 fott ba§ fjeifcen?" fragte er mit toutljbebenber 
Stimme. 

„3fdj bleibe zu Raufet" gab fie turz aurücf. 

(Sr ballte bie Sauft; buntler Purpur überflog fein 
öefidbt. (Sr tooHte loebred&en unb $ielt ftdf) nur mttljfam 
au§ SRücffidjt auf ßadjner zurüdf. 

„Sott $eter toieber auäfpannen?" fragte biefer. 

Srefe fijirte ben 93ertoalter fdjarf, aber beffen 9Jtiene 
blictte fo OoKfommen unfctjulbig, bafj ber ©ut§l)err fidj 
getöufdf)t ljaben mufjte, als er geglaubt Ifatte, iljn eben 
lädfjeln zu feljen. 

„9tein, idj fatjre bann eben allein!" 

2)amit toarf er ben Sßetz über, ftülpte ben £>ut auf 
ben ftopf unb ging mit rafdjen, ferneren Stritten tjinauS, 
gefolgt Don Cadjner, ber mit feinem 33ticf nteljr ben ©in» 
brudf betrieb, ben bie eben ftattgeljabte Scene auf iljn 
geäußert fyitte. 

9tegung§lo8 blieb (Srna am Üifdje flehen, bie Singer 
frampfljaft ineinanber gefdfjlungen, ba3 #aupt leidet gegen 
bie üttyüre beS ftorriborS geneigt. Sie taufdjte auf bie 
im Xreppenljaufe berljaltenben Schritte. Sie toollte fid^ 
bieüeidfjt überzeugen, ob Stefe toirltidb babon fuljr, aber bie 



Digitized by Gou^le 



134 



Huf bet Softer. 



i 

ffenfter beä ©emac^eS gingen ni<$t nadj ber £)auptfront Ijinauä ; 
bon $ier au§ mar ein abfaljrenber SBagett nidjt ju Ijören. 

9tad) geraumer äöeile fuijr fle auä iljrer bumpfen ©r= 
ftarrung mit einem fdjme^lidjen Seufzer empor, ©in 
plöfclic^er ©cfjauer erfc^ütterte iljre ©eftalt. ©ie (egte bie 
gefalteten $änbe bor bie Hugeit unb bradj in ein Xeiben= 
jdjafttidjeä SBeinen auS. 

©buarb fieberte in feinem Serftetf. @r Ijätte fjerbor--, 
binau§ftürgen mögen iljr ju Sffijjen unb — ja, ma§ bann? 
©ine tiefe, innige £t>eilnal)me für bie arme, be!lagen§= 
mertlje 5 rau erfüllte ifyt, aber neben biefem ©efüfft beS 
’-JJtitleibeng flammte au$ ein anbereS empor; eine Ijeifie, 
toilbe ffreube über bie ©.rlenntnifj, bie er au§ ben lebten 
Minuten gefdjöpft Ijatte. 

©ie märe glüdlidj, Ijatte fie iljm gefagt, unb je^t 
mufte er nicfjt nur, bajj fie e§ nid)t mar, fonbern audj, 
marum fie gelogen tjatte. 

©rna raffte fidj jejjt empor, ©ie öffnete ba§ ©c$mu(f= 
fäftdjen, um ben abgelegten Slrntreif ^ineinjulegen ; iljre 
Singer müßten in ben gleifjenben Sumelen untrer unb 
uatjmen bann ein funfelnbeä Slrmbanb Ijerauä. ©buarb 
crfannte e§ auf ben erften SBlicE alä ba3 bon iljm ge= 
funbene. ©rna brücEte an ber flehten ©prungfeber — fie 
mar feineSmcgS berborben. ©innenb behaftete fie ba§ 
mofytöefannte Söilbc^en, bann liefe fie ba§ Hrtnbanb auf 
ben £ifcfj fallen unb eilte an ben ©cfjreibtifcfj. 2 lu§ einem 
betborgenen Sacfje Ijolte P* eine ^Jlappe. £)a3 HquareH, 
ba§ Original be§ ©tubienfopfeö, ba§ ifjr unb ©buarb 311 
einem bebeutungSboffen ©pmbol gemorbeit mar, lag barht. 



Digitized by Google 




Stooefle oon $. SiarteEu?. 



135 



Sie fah btefeS Porträt gleichfalls fo aufmerlfant an, als 
habe fte ft<h beffen 3üge nocfj nicht ööKig eingeprägt; fte 
lüffte eS unb legte eS toieber in baS 5ah aurücf. S5ann 
griff fte abermals mit ber -paff eines jähen ©ntfhluffeS 
bamadb unb holte eS ^erbor. 5lber nein, baS toar nicht 
mehr baS ©buarb fo befannte Slquarell, toaS fte 
jefft in ihren .pänben hielt; ein anbereS Statt, mit einer 
S)ecfe bon Seibenpapier berpttt. Sie lüftete mit 3 ögent= 
ben Ringern baS Sd^u^btatt unb fah auf baS Rapier, 
aber ©buarb lonnte nid^t fe^en, toaS fte betrachtete. @ma 
hielt baS Silb gegen baS Sicht. 2)ann, als beftnne fte 
fich auf einen gefaxten Sorfaff, rollte fte baS fteife Statt 
3 ufammen unb näherte ftdj bamit bem Äamin. UntertoegS 
aber blieb ffe nochmals ftehen; auf einen Stuhl geftüfft 
befchattete fte bie Slugen mit ber $anb. 3h re 9 at1 3 e 
Haltung, ber rothe Schein beS ÄaminfeuerS, ber ihr füffeS, 
toeidjeS Slnttiff berllärte, erinnerte ©buarb mit einem 
State munberbar lebhaft an jenen Sluguftabenb, too er fte 
am See Oor bem Schlöffe ^unt erften Stale foiebergefeljen 
hatte, noch nicht ahnenb, toaS ihm baS Sdjicffat aufgefpart 
hatte. So hatte fte auch bort am bämmernben Ufer ge- 
ftanben, bie |>anb gegen bie Stirne erhoben, baS ©eftdjt 
in bie ©lutl) ber ftnlenben Sonne getaucht, unb hatte ihm, 
bem ©aOongehenben, nachgefehen. 

Gbuarb fonnte in biefem Stoment fein toitbeS Ser- 
langen nicht befiegen. 2)aS Rapier bort in ihrer |>anb — 
toaS enthielt eS? Sie tooUte eS Oerbrennen, ©rft muffte 
er eS fehen, muffte ffh ©etoiffheit Oerfhaffen über bie 
Slhnung, bie in ihm aufftteg, fofie eS, toaS eS tootte. 



Digitized by Google 




136 



9Iuf ber ftolter. 



Seine £anb, toetd&c ben Vorhang gurüdffchtug, gitterte. 
2 Jtit gagbaften Stritten ging er auf bem bor. 

6 r toar ihr fcbon fo nabe, bafj er nur bie $anb ^ättc 
auSguftreden braunen, um ihre Schulter gu berühren. 2)a 
blieb er flehen unb holte Sittern ; feine 33ruft fchtooE, unb 
fein -gjerg pochte, aB fooHe e§ feinen ganger gerfprengen. 

„(Srna!" flüfterte er fo bittenb unb fleljenb, fo innig 
unb bang, toie eS nur bem bergen eines Siebenben ent= 
fieigen !ann. 

SQßie bon einem Schuf getroffen, gucfte fte jufammen. 
3h re Sippen öffneten ftdj gu einem Schrei, aber lein Saut 
entrang fid§ ber klebte. @ine jä^e SBIäffe fpiegelte ben 
Scbreden auf ihrem Slntlif, fte lief bie Sßapiertofle auf 
ben Teppich fallen unb prefjte bie £>anb auf $ $erg. Sie 
erbebte, toanlte unb märe bietteidjt umgefunten, toenn fie 
(Sbuarb nicht mit einer raffen, flürmifd^en 33etoegung in 
feinen Slrmen aufgefangen ^ätte. 

„@rna! ßrna!" ftammelte er; ÜJlitXeib unb Subet 
mifd§ten ft<h in feine Stimme, unb mit übertoältigenber 
3 ärtli(bteit gog er fte an feine SSruft. 

Slber nur eine Setunbe bietCeid^t überließ fie fid) i^rer 
Schtoädje, bann rif fie fidj loä unb fiief ihn 301 mg 
3 urüd, b fl rt unb raub tarn e§ bon ihren Sippen. 

„2öa3 toagen Sie? 2öie lommen Sie hierher?" 

6 r hob bittenb bie £änbe empor, bod§ fie fdjnitt ihm 
ba§ SÖort mit einer folgen ©eberbe ab. 

„SGßenn Sie bielleicht bie erhorchte Scene mit meinem 
9Jtann ermutbigte, hier eingubringm, fo ift baS ebenfo 
frech tote — " 



Digitized by Google 




5Rooefle oon 5KorteHu§. 



137 



©ie brach ab unb bfldte ftdj rafdj $u 33oben 

nad) bem ihr entfallenen 33ilbe, baS fidj entrollt batte, 
unb mit ber S3itbfläd^e nadj unten auf bem Xeppicb lag. 
Saburdj tourbe jebocb auch feine 2lufmer![am!eit mieber 
auf baS in ben lejjten ©etunben bereits bergeffenc Rapier 
getenft. JBlipfcIjnell fern er ihr jubor unb griff bamatb. 
©rna erfaßte eS gleichfalls unb jerlniiterte eS in ihren 
Ringern. ^e^t glühte i^r ©eftd^t toieber im retjenbften 
9totb ber ©djam unb beS 3otneS. 

„ßaffen ©ie baS!" rief fte bebenb, halb befeblenb, halb 
bittenb; „©ie haben leine Slnredjt auf biefeS SSilb; eS ift 
mein Qtigentbum!" 

„(Sin 33ilb, fagen ©te? (Sin Söerl bon 3bmn — unb 
©ie tooEen eS berbrennen, bernidjten?" 

„2BaS lümmert eS ©ie?" ftiefj fte b^’bor unb rijj eS 
ungeftftm an ftdj. Sa blieb ihr ein tfcfeen babon in ber 
£>anb. 2Jtit einem Slngflfdjrei toolfte fie nach bem bon 
(Sbuarb eroberten Xljeit ^afd^cn , aber febon batte er baS 
■jerfnitterte 33latt an ftdj gezogen. 2Jlit bem 3lrm fie ab» 
toebrenb, brebte er eS um unb fab iuft noch ben in 
SlquareU auSgefübrten Jtopf ber im Uebrigen nur ftüdjtig 
mit bem SBleiftift bingetoorfenen ©fi^e. (Sin leifer ^ubel» 
ruf entflieg feiner S3ruft; feine 9lbmms batte ibn nidjt 
betrogen; biefe fprecbenb äbnlidjen 3% — eS toaren bie 
feinigen; er hielt fein eigenes, bon ibr gemaltes Sßorträt 
in £änben. 

211S er mit teudjtenbem JBlid ju ibr, ber Malerin, 
auffab, blidte fie ibm falt unb ftreng entgegen. Sie 2trme 
bor ber SSruft berfdjräntt, fianb fte in ftolaer, unnahbarer 



Digitized by Google 




138 



Huf ber Folter. 



Haltung bot i$m. $t)re ßtypen waten feft gefdjloffen ; 
ein gerbet 3ug lag in ben SJtunbWinleln. 

„SRicljt fo, ©tna," fiepte et; baS ßädjeln fd&Wanb boit 
feinem SJhmbe. „%<$ begreife ja fe^r Wotjl, toaS ©ie mit 
fagen möchten, unb baß ©ie eS als eine SSeleibigung auf= 
faffen, baß idj in 2 $t ©eljeimniß eingebrungen bin. 2 ibet 
ift eS benn nidjt beffer, Wenn mir uns ganj erlennen, als 
baß mir biefe leibige Äomöbie fottfeßen, bie wir feit meinet 
Slnfunft auf S?eliß mit einanbet gefpielt ßaben?" 

„©ine $omöbie? 2öaS meinen Sie bamit — unb 
mit meinem ©eljeimniß'?" fagte fte fdßroff. „Sie pljan» 
tafiren!" 

2 Jtit einer taffen Bewegung erfaßte et ißre beiben 
£>änbe unb löste fte auS ißret Serfdpngung , fie feft in 
ben feinen ßaltenb, troß ißtrS Sträubend. 

„©rna, toir müffen jeßt aufrichtig gegen einanbet fein. 
Sßte lluge Uebertegung Wirb, fobalb Sie fleh ben beut 
2 >rud£ bet gegenwärtigen Minute erlöst ßaben, mit batin 
nottfommen beißimmen. 3 dß braune Sßnen nicht meßr 
3 U gefielen, baß idtj Sie liebe, baß icß Sie anbete, baß 
icß eS als baS größte ©IfidE meines ßebenS betrauten 
Würbe, Wenn eS mit betgönnt fein fönnte, 3ßnen baS 3 U 
bieten, WaS 3ßnen ein — Slnberet nicht bieten lann. Sie 
wußten eS ja fdßon fo lange, als idj felbft, baS Wirb mit 
nun llatcr als je. Söarum Wollen Sie mir aber baS 
filße SSetoußtfein rauben, baS icß jeßt als einen Keinen 
©tfaß für baS mit berfagte ßebenSglüdt mit mir neunte? 
$aß 3ßre Seele bet meinen in tjolber Sßmpatßie begegnet, 
baS Wiberftmdßt nodß nicht bemfiarten ©ebot bet Pflicht, 



Digitized by Google 




StoüeHe oon Ä. 9)tarteHug. 139 

bem Sie mit bet $raft eineg eblen ßfjaralterg geljordfjen. 
2 Jte§r 5 U Verlangen, betraute id^ alg eine Seleibigung 
Störer SSßütbe. Sfdf) ftömöre Sljnen, baff bieg bag er[ie unb 
bag teffte 2Jtal fein foE, baff idj bag ätoifd^en ung fte^enbe 
©eljeimniff berühre." 

@r moEte nodfj metjr fagen, bcctj jte unterbradC; itjn 
mit Unter, gefaxter Stimme. 

„Sie irren, ßbuatb, mie id^ Stönen fcijon einmal fagte. 
3Dod£j idj miE mit 2töu en nid&t redeten, benn idj Ijabe ben 
bringenben 2öunfd&, biefe Unterrebnng fo halb alg möglidj 
5 U beenbigen. 3dj ^atte gehofft. Sie bernfinftiger au fetjen. 
®n Sie eg aber md&t finb, fo bleibt nur Sing, mag un» 
bebingt gefdjefyn muff. Sie merben biefeg ^ang o^ne 
Säumen betlaffen." 

„3dj foE fort?" ftö^nte er fdjmeralidj auf. 

Sie falj iljn exftaunt an, alg tooEe fie fragen: „Eöag 
benn fonft?" 

„6g märe beffer für Sie getoefen, menn Sie fdjon lüngft 
gegangen mären," fagte fte bann laut. 

„3?ür midj — nur für mitö? — S)ocE) Sie Ijaben 
9tedjt, 3tö re Srngenb märe nientalg in ©efaljr. Slber trauen 
Sie mir nidjt Selbftbe^errfdfjung au, glauben Sie nictjt, 
baff audj id£j !pflid^tgefü^l Ijaben fönne? Ueberbieg, mie 
foE idj bem Onlel meine plöfftidje Slbreife erflüren, mirb 
er midj nidjt au tjalten fudljen ober gar 33erbad(jt fdfjöbfen?" 

„6r mirb Sie ru^ig aieljen taffen, berlaffen Sie ftd§ 
barauf, benn er näljrt bereitg in ber 2E)at 93erbacfjt." 

ßbuarb trat erfdjrecft einen SEjritt aurücf. „2ßie? 
Grr toeiff — er aljitt?" 



Digitized by Google 




140 



9luf ber göltet. 



atä tljatfäd)tidj bortjanbett ift," antwortete fte 
!ura. „^Begreifen (Sie nun, tote mic§ bie ßntbedung 3§rer 
($efeKfd)aft 3 U biefer ©tunbe unb an biefem Orte in feinen 
Slugen toerbädjtigen mfifjte? 2)arum — ßefjen ©ie! ©eljen 
©ie, fage idj 2 Hjnen!' 

5Jtit einer heftigen 33etoegung toarf fte bie Qre^en beS 
SlquarellfartonS in bie flammen be§ ÄantinS; bann toanbte 
fte ftd> ab, als tüntmere fte jtdj nid^t Weiter um iljn. 

„@ut, @rna, idj gelje! 3 d) ttjue ja SltleS, toaS ©ie 
toollen. 2 lber fott id) f 0 fortgeljen, oljne ©djeibegrufj, of)ne 
ein einziges liebet SBort, ba§ mir in trüben ©tnnben 
£roft getoäljren mürbe unb Äraft, mein graufanteg @ef$id 
31 t ertragen?" 

„ 3 <$ $abe Sljnen nichts metjr 3 U fagen." 

„Gnta, idj Oermag nidjt ben ©ebanfen 3 U ertragen — " 
©eine ©timme gitterte unb erftiefte bor heftiger SSetoegung. 
„@rna, taffen ©ie midj toenigfienä nid^t fo bon Seinen 
getjen. ©oH idj fein Stnbenfen an ©ie betoatjren hülfen? 
©Reuten ©ie mir biefe 33tumen, bie ©ie im |>aar ge» 
tragen tjaben. ©ie füllen midj an mein bertoelfteS, ab» 
geblättertes SebenSglfid gemahnen.“ 

ßr näherte ftd) fdjüdjtero unb griff tt ad) ben 23tumen. 
©ie aber raffte biefetben Saftig 3 ufammen unb toarf fte 
in baS offenfie^enbe ©djmudfäftdjen. 

„ßrna!" tarn eS toieber mit inbrünftigem Qdetjen auS 
feiner S3ruft. 

©ie fentte baS £ranpt tief tjerab. ^§r heftig toogenber 
33ufen liefe erlennen, bafe audj fte unenblid) litt, ©ie 
grub bie Sät;ne in bie Sippen, um iljr SBelj nid^t laut 



Digitized by Google 




9iooefle doh ft. tDtortelluS. 



141 



^inau^utocinen. ©ie tonnte in biefem Moment nicht mehr 
bie Slufforberung, jte allein ju taffen, über bie ßipfjen 
bringen. Unb wieber brang fein teifeS, fd^mer^tie^eö „Erna!" 
riitjunb wie bie tefcte SSitie eines ©terbenben an ihr Cbr. 
Stjre |>anb griff nadb bem foft&aren Slrmbanb mit bem 
SSilbc^en ihrer Butter, baS bor ihr tag. 

„ftidjtS — nid^tS tann idb ^nen geben, was ©ie an 
ben gegenwärtigen Moment erinnern Würbe, ber für immer 
aus unferem ©ebädjtnif} getitgt fein fott." ©ie atbmete 
fc^Wer unb bie SQßorte tarnen abgeriffeit aus ihrem 2Jtunbc. 
„2)odb — nehmen ©te eine Erinnerung an jenes Einft 
mit fid§, baS Weber für mich, noch für ©ie ben ©ebanten 
an eine ©ctjutb in ftd^ birgt. 3ener $eit bürfett Wir mit 
reinem <£>erjen gebeuten." 

©ie nahm baS SBriEantenarmbanb unb reichte eS itjm 
bin, ebe er eS aber noch erfaffen tonnte, entglitt eS ihren 
jitternben Ringern unb roEte au SBoben. ©ie fcbtug bie 
#änbe bodS ©efid^t unb lernte ftdb mit fdbmeralicbem Stuf» 
flöbnen an ben SCoitettentifd^. Ebuarb woEte fie, bie einer 
O^nmad^t nabe fdbten, ftü^en, aber fcbon raffte ftdb Grna 
Wieber auf. ©ie brängie feinen betfenben 3lrm jurücf unb 
eilte aur ©eitentbüre, bie in bie SJtebengemädber führte. 
Ebe er nodb einen $ufj rübrett tonnte, um Ee anrüdfau» 
batten, War fie berfdbwunben. Er hörte brittnen nodb eine 
gweite Xbüre in’S ©cbtofj faEen, bann einen 9iiegel ein» 
Erringen; Ee b°üe E$ in ibr ©dbtafaimmer eingefd^toffcn. 

2Jtit einer 9lrt bettiger ©dbcu nahm er bann ben foE» 
baren 2Irmreif bom ©oben auf. 9lo<b einen SlbfdbiebSblidt 
Warf er auf aEe bie ©egenEönbe in bem Sintnter, auf 



Digitized by Google 




142 



9luf ber göltet. 



fteldjen audj il)r Sluge getunt batte. 68 tourbe i^ut fdljmer, 

loäjurei&en, aber — eS muBte ja fein! 

6r lonnte e8 nidjt btnbero, baB für ben 9lugenbltcf 
ein toilber ©ebanfe ftd^ in feine fcljmeraticb*toeibebolIe 
©timmung brängte, ber ©ebanfe, ob eS nid(jt bennod^ — 
anberS hätte fommen fönnen. Slber bie ©rfaljrung, bie 
gerabe ©iner, toie er, ber ein toilbbetoegteS Seben Ijmter 
ftdB aus bem 2Buft begrabener ßeibenfdjafien fcijöpft, 
fte belehrte iljn, baB ein edjteS, befeligenbeS ©lüdt niemals 
itt einem «§eraen8bunbe tourjeln fönne, bem ein ftttlidjer 
3Jtafel an^aftet. ©tröflicfje Eingebung fann lein 3beal 
zeitigen, unb über eine ©djmad), bie tiefer als in bloBen 
menfdfjlid()en ©efeÄfdjaftSgefeBen begrünbet liegt, betmögen 
auf bie 2)auer ©opljiSmen ni<$t ^intoegautäufd^en. 3efct 
burfte er, toenn audfj nicht bor ber 2öelt, fo bodb bor 
feinem eigenen ©etoiffen ohne ©dtjulb hefteten. 9lein, eS 
toar beffer fo. 

9todE) einen SSlidE fanbte er nadj ber Xpr, einen jtüei» 
ten auf ben XatiSman in feiner |>anb. 6r hob baS 2ltm* 
banb an bie Sippen unb brütfte einen $uB barauf. ©8 
toar ber SlbfdjiebSfuB an fie. 

3m felben Slugenblidf umfpannte bon rüdfmörts eine 
eherne gaufi ©buarb’8 «gmnbgelenf. 6r fdjredfte mit einem 
leifen ©dfjrei aufammen. ©r breite ben $opf nadj ber 
©eite unb fatj in baS tobtenbleidfje, milbblidfenbe ©eftdjt 
beS OnfetS. 

©in paar ©efunben lang ftarvten fitf) bie beiben OTtmer 
toorttoS an. ©8 toäre fd^toer au fagen getoefen, toer bon 
ben SSeiben berftörter auSfalj. Slber in ©buarb’8 ©e^irn 



Digitfced by Google 




9ioücUc uon St. ^JlarteüuS. 



143 



audftc iu biefer furzen ©panne Seit nur ber eine flam« 
menbe ©ebanfe auf: ©rna mufj gerettet toerben — um 
jeben 5ßreiS. ©r hätte in biefem Moment ©bre unb ©elig= 
!eit Perfd&tnoren, toenn eS nur baau bienen lonnte, ©rna 
bis auf baS letzte ©tauberen einer ©ebulb ju entlaßen. 

„2öaS t^uft S)u bar fragte |>err b. §refe ohne ftdjt* 
bare 33etoegung, aber feine ©timme Hang feltfam beränbert, 
fo bubt unb fetn, als fäme jte aus ber anberen Simmerede. 

©buatb prefjte bie 3üb nc aufeinanber unb überlegte 
fd£)toeigenb. ©r butte fein tbeureS Slrmbanb, ber ©ingebung 
beS erften SnftintteS folgenb, berbergen tooEen, aber Qfrefe 
toar ibm mit rafibem ©riff auborgelommen unb butte eS 
ibm aus ber $anb getounben. 

„©ieb bat SBober b a ft S)u benn biefeS Slrmbanb?" 
tagte er mit grimmigem «gjobn, nadjbem er betgeblüb auf 
eine Slnttoort getoartet. „2)a3 2>ing !ommt mir tounber* 
bar belannt bor." 

©buarb atbmete mfibfam, er tooEte ettoaS fagen, aber 
er brftngte baS mutige EBort, baS f<bon burdj feinen Xon 
in ein Nichts aerfaEen toäre, toieber jurüd. 

„EBober 2)u baS Slrmbanb ba baft, toiE icb toiffen!" 
ftiefj Srefe je^t brutal betöor unb firedte bie #anb na<b 
ibm aus. Sftn Jelben Moment fd^ien er fid) iebodj au be* 
finiten, bafj er, fobalb er feine tRube ni<bt betnabten !önne, 
möglicher Söeife ©rna ober Stemanb Uon ber S)ienerfcbaft 
berbeiaieben toetbe, unb baS tooEte er bermeiben. SJtit 
raftbem ©ntfcblufj ergriff er einen ber Slrmleucbter, bie au 
beiben ©eiten beS £oilettenfpiegelS ftanben, umEammerte 
mit ber anberen #anb ©buarb’S Slrm unb 30g ibn mit 



Digitized by Google 




144 



2luf bei- Folter. 



ftdj IjinauS, bureb ben (Salon in ba§ nabe 2Hbliotbef» 
aimmer. 2)er fd)toere 2Irmteu<bter gitterte in feiner .£>anb, 
unb btdfe tropfen bon ben Eöacbäferäen be^eichneten auf 
ben Teppichen ben 2öeg, ben et mit feinem Opfer genommen 
batte. 

3m 33ibliotl)efyimmer griff (Sbuatb mit unserer <£>anb 
nach einer Stuhllehne. 23leicb toie eine ßeicbe, aber mit 
erhobenem Raupte ftanb er ba, bem unbermeiblich Äom* 
menben entgegenfeljenb. ilurt Verriegelte bie Spüren, bann 
fieEte er feinen ßeud^ter auf einen Sd&reibtifch unb trat 
bem Steffen bidfjt gegenüber. Seine getoaltige Sruft fernste, 
bie breite Slber an feiner Stirn toar bo<b gefcbtooEen. 

„Gbuatb, 2)u lennft mich. Sieb, mit biefen meinen 
eigenen £>änben ertoürge ich 2)ich, toenn S)u nid^t befennft. 
Suche feine 2luä flüchte, SDu fannft midb nicht mehr täu* 
fchen — ich bin fcbarfjtchtiger getoorben in teuerer 3«t. 
Unb jefct fage — toer gab 25ir biefe§ 2lrmbanb?" 

ßbuarb atbmete faft erleichtert auf. ftrefe batte alfo 
nicht mehr gefeben, als bafj er baS ßleinob an bie Rippen 
gebrfieft. 

„föebe!" bonnerte $urt, ungebulbig ben25oben fiampfenb. 
„2öer gab 3)ir ben Schmucf?" 

„Stientanb !" ertoieberte ber junge 2Jlann leife, aber feft. 

„2lb! SoE ich bieEeicht annebnten, S)u ^abeft ben 
Steif genommen, miberrechtlich genommen — geftoblen, 
be?" 

„3a!" bauchte Gbuatb unb fenfte ben ©lief. <5r batte 
nur eine Sefunbe gezaubert. 

Sfrefe trat einen Schritt aurücf. Seine gebaEten, muS» 



Digitized by Google 




StooeUe t)ou Äi. äJiartefluS. 



145 



Möfen gäufte erhoben ftd^, als toollten ftc im näcbften 
Slugenblicf aerfebmetternb auf baS .gcaupt beS Neffen fallen. 
2)ann lieb er fte ptöblidj füllen nnb brach in ein fdjneiben* 
beS Sachen auS. 

,,©ieb bod)! Sllfo ein S5ieb — ein ©atmet — ein 
gudjtbauSfanbibat?" 

@r bebauerte, nid)t noch ente^renbere ©djintpfnameti 
3 Ut £>anb an buben, um fte ©buarb auaufdjleubern, ber 
beim erflen Söort aufammengeaudt toav, jetjt aber mieber 
fefi unb nnbetoegt fianb. 

„Uttb toaS betoog 25i<h an biefem 2)iebftabl?" 

„3<h — i<h bube noch unbeaablte ©halben an tilgen, 
bie ich S)ir nicht anüertrauen lonnte, toeil — fie batireu 
nämlicb auS neuerer 3eit; ich rnufjte mit Stecht fürchten, 
bab 25 u mir bett Stüdfalt in ben alten ßeidfjtfinn nicht 
beraeiben toürbeft. $eute früh empfing ich einen ©rief 
au§ ber <Stabt bon beut Sftanne, ber mir ein gröberes 
Marleben gegeben — ich füllte bis übermorgen beaabten, 
fonft butte ich *>ie ©ntbedung an fürchten. $ura nachbent 
25u nach bem SSabnbofe gefahren ioarft, trat ich in baS 
3immer bort brüben. 3<b toottte nachfragen, ob SDu toir!= 
lieh ohne — ob 35u toirftich allein ioeggefabren feieft. ©S 
mar Stiemanb ba, Stiemanb butte mich eintreten febeu. 
SJtan butte baS Schmudtäitchen offen flehen laffett — id) 
erlag ber plötzlichen 33erfud)nng. 25aS eine Slrmbanb fchien 
mir baS SBertbooEfte, and) burfte ich hoffen, bab fein 
SSerluft nicht fo halb bemerft toerbe, benn ich habe eS 
öorbem nie gefehlt; eS fchien nicht mehr getragen a« 
toerben." 

29tbtiotf|el. 3af)tg. 1889. S9b. XIL jq 



Digitized by Google 




146 



$nf ber ftolter. 



„©cljuft!" ftiejj Äurt atoifd^en feinen fnitfdjeuben gähnen 
herbor. Gsr tooHte ben $ittjnen um fo tiefer berieten, alg 
er in biefent Moment bie SSetoeggrünbe beffelben fe^r too^l 
burdjfdjaute. „Unb Du ^aft bie ©time, bag StUeg fo 
unumtounben ju befennen?" 

„Du bafl midj ia überführt. Unb ie^t, too idj aum 
boUen 23etouf}tfein meiner unfeligen Dljat gefommen bin, 
je^t betrachte idf) ein freieg, reumiit^igeg ©eftänbnifj alg 
meine too^Iberbiente SSufje." 

„Du. narrft mid^ nicht, mein Surfte, bag lab 
gejagt fein! Du fprichft bon S3u|e. 2lber benfe nid^t, 
bafj allein bie ©darnach Deineg 33efenntni|jeg bie ©üljne 
augmad^e, bie ich einem Diebe — trojjbem ober bielmebr 
eben, toeil er meiner gamilie angehört — auerfenne. @ib 
21<f>t, idj erlaffe Dir fein Dityfelchen ber öffentlichen ©djanbe, 
meint ich mich bon ber SBa^rljeit Deiner ©elbfianflage 
überzeugt habe. Sleibft Du babei?" 

„3a." 

|>err b. grefe trat bidjt an ihn ^eran unb fijirte ihn 
mit einem 33lid, in meinem bie graufamffe Söogljeit funfeite. 

„Du bift Dir bieKeid&t noch nicht barüber flar, mag 
Dir beborfteht. <£>9re, idj laffe feine Schonung malten. 
Du foUft alg gemeiner Dieb bor ©dicht geftellt unb, nach 
Deinem ©efiänbnifj, abgeurtheiXt toerben. borgen früh 
gebe idj bem Vermalter Auftrag, bie Spoftjei au berfiänbigen, 
um Dich abpbolen. 3)tan mitb mit Ringern auf Dich 
feigen, Du bift für’g £eben entehrt, unb ber ©eringfte 
meiner Dienerfdtjaft hat bag 9tedjt, Dich S)i«b ju nennen." 

©buatb mifdjte ftdtj mit bebenber ^anb ben ©djmeifj 



Digitized by Google 



Siooelle oon Ä. SDiartellug. 



147 



bott ber blaffen ©tim. ©in ©chauber riefelte ihm bur<h 
bie ©lieber. 216er er blieb fhmtm. 

„ 3 $ fchmöre eg 5)ir, ich gehe babon nid^t ab!" mahnte 
Srefe nach einer 5]3aufe mit erhobener ©timme. „Sleibft 
SDu babei?" 

„$al" fagte ber Unglücfliche feft. „2Jtaef)e mit mir, 
mag 2 >u miGft." 

Srefe moGte fidfj fchon mieber bon feinem 3 orn über» 
mannen laffen im 2 lngeftcht einer folgen ihm unbegreif- 
lichen ^aläftarrigleit. 2 lber er lämpfte bie 2lufmaGung 
nieber. 

„$u foüft eg fo haben! 3ept gehe 2lGeg feinen ©angl" 
fagte er berbiffen, nahm ben ßeuchter auf unb fdhritt jur 
2 hü^. „$)u mirjt bie 9tad§t hie* subringen, big ich 2 )i<h 
morgen früh ben >&änben ber SSehörbe übergebe. Seute 
SJeineB ©dhlageg müffen ja mohl bermahrt toerben." 

9Jtit einem luqen ^ohnladhen ging er hinauf, ©buatb 
hörte ben ©dhlüffel im ©dhloffe fnirfdhen. @r mar allein, 
eingefdhloffen mit feinen ©ebanfen an bie gräfliche Sufunft. 

Sfrefe ging noch lange in feinem ©chlafeiminer auf 
unb nieber. 

„@r IjQt eg fo gemoGt," fagte er fich- „3ch gebe nicht 
nach, <£>aha! 2 Jtan hat leine 2 )auntfchrauben, feine fpani= 
fdhen ©tiefel mehr, um 33elenntniffe 3 U erbreffen, aber cg 
gibt eine moralifdhe Folter. 3<h miG hoch fehen, ob fte 
nicht mirtt. Unb bleibt ber 33urfche auch big jum Seiten 
bei feiner ^Behauptung — nun, bann überliefert er fiefj 
felbft ber ürgften ©träfe, bie ich nur augftnnen lönnte. 
Uebrigeng — mer meijj eg? 33ieGei<ht bin idh bodh auf 



Digitized by Google 




148 



Stuf ber Folter. 



falfdher ftährte, unb eä toar toirflich ein 2)iebftahl. &m! 
@o ober fo — er foU mich unerbittlich finben, fo map 
iä) lebe!" 

4. 

G§ mar eine qualboüe, ruljelofe Stacht getoefen, bie 
Grna ^gebracht. Grft gegen borgen Ijatte bie Statur iljr 
9techt geforbert unb Schlummer auf ihre tljränenmüben 
Slugen gejenlt. Spät am Vormittage erhob ftch bie 2lrme. 
SDie folgen ber Stufregungen beS testen SlbenbS hatten ftch 
in einer bleiernen SJtattigleit, einer nerböfen Slbfpannung 
geäu|ert, bie fie faft 3 u Voben brücfte. 

Sn bai Xoilettenjimmer tretenb, ^örte Grna braunen 
auf bcm ßorribor ©eflüfter bon mehreren Stimmen. Sie 
öffnete bie &Pr unb fah ben 2>tener ihres SJianneS mit 
bent ©tallburfchen unb bem ©ärtner beifammen fielen 
unb geljeimnifjooll fliifiern. Veim Slnblici ber gnäbigen 
grau fuhren bie äufammengeftedtten $öpfe auSeütanber 
unb geigten bertegene SJtienen. Gin unbehagliches, apung§= 
PoIteS ©efü^l befdjlich Grna, aber fie mochte nicht fragen, 
©ie befahl nur, itjre ^ammerjofe herbeijurufen, unb lehrte 
toieber in ihr 3intmer juriief. 

GS bauerte geraume Söeite, bis bie (gerufene erfdhien, 
gleichfalls mit unruhiger, bielfagenber SJtiene, bie auf ein 
ungetoöbnlidjeä Greigttib fdjliefjen lieb- Grna moHte biefe 
Slnjeidhett ignoriren, aber enbtief), nach mehrmaligem An- 
läufe, brachte fie hoch bie jögernbe $ragc herbor, toaä 
baä geheimnibboKe treppauf unb SEreppab ba brauben, 
bie eigenthömliche ©chtoüle $u bebeuten hnbe, bie über 
bem ganzen <£>aufe lafte. 



Digitized by Google 




9tooeHe oon ft. 3Jlarteflu§. 



149 



ßifctte fudjte SluSflüchte unb flotterte, aber ©rna, ber 
bie feinboEe Sage nachgerabe unerträglich tourbe, brang 
energifdh auf SluSlunft. 

„Sch toeifj nicht," jBgerie bie fonft fo .gungenfertige, 
„man rebet Allerlei, brunten im -jpofe, in ber Äüdfje unb 
bcr SSebientenftube. S)ie Sßa^r^eit ift nur, $rib tnujjte 
heute in aller fjfrülj auf’S Xelegrafhenamt laufen, ber 
gnäbige $err fdhidfte jtoei Sefefdjen nach ber (Stabt, er 
fagte bent 3fri| # e§ fei fetjr bringenb. Sch !ann nicht 
baffir, bajj $rih flauberte, als er gurüdtfam, aber man 
fagt, ber gnäbige $err !§abe an feinen Stotar, Soltor 
Stßmer, telegrafiert, er foEe unberattglich nach JBelitj her* 
auSlommen mit einem ©Treiber; eS foE toegen eines 
toidjtigen SIfteS fein — " 

©in leichtes f^röftetn burchfchauerie ©rna, aber fte 
3 toang fi<h, bBEig gleidjgiltig au erfdfjeinen. 

„Unb bie anbere ©efefche," fuhr bie ,8ofe fort, „bie 
mar, toenn ber Srifc nicht im ©djera gelogen ^at, an ben 
$Poli 3 eibire!tor." 

©rna fuhr erftaunt herum unb f Rüttelte ben $off. 

„Sin ben — ja, toeShalb benn?" 

„S<h toeifj ja nicht, aber man tufcfjelt SJtandjerlei. 
S<h höbe mich gar nicht getraut, fo recht barauf hiuau» 
hBren. ©S foE ettoaS SBBfeS borgefaEen fein — noch 
geftern Slbenb — ich glaube mit bem jungen ^errn 
b. 3?refe — als ber gnäbige $err bom SSahnhof aurüd* 
lehrte, too er ben 3ug berjäumt hatte. 5ßeter falj, toäh= 
renb er im £>ofe auSffannte, Steht im SSibliothelaimmer, 
unb <£jerr Sachner, ber heute früh nach bem jungen 4?err 



150 



9luf bcr Folter. 



gefragt mürbe, judte fo eigentBümlidfj bie Sldjfeln unb 
madt)te ein fo fonberbareS ©eficBt — " 

©vna blidte ftarr in ben Spiegel, als motte fte ftcB 
fibctmacBen, bafj fte mit feinem 3uge bie furchtbare S3e= 
Hemmung berrathe, bie iljr bie Vruft umfchnürte. 

„6£ ift gut," fagte fte leife unb fiaub auf. „Su 

fannft gefeit, idfj bebarf Seiner nid^t mehr." 

Sie lernte frd^ an ben Xifdj unb orbnete bor bem 

Spiegel ihre «fjaartödfchen an ber Stirne. 9tl£ iebodj bie 
Sfjüre Bi nter Bern TOäbc^en augefaftcn mar, preßte fte Beibe 
-fpänbe an bie Sdjtäfen unb fd^ritt unruhig auf unb nieber. 
9tod(j fomite fte ftdh ba£ Vorgefatlene nicht erftaren, aber 
ba£ ©ine loar iljr flar: e£ Bereitete ftch ettoaS Schredf- 
licBeS Por, baS im 3ufammenBange mit ber Scene ftanb, 
bie ftcf; geftern atoifdjen ihr unb ebuarb in biefem 3iut 3 

' mer abgefpielt Batte. ©« überlegte, maS ihr nun ju 

tBun obliege. VÖarum Verlangte $urt nid^t nach ihr? 
er mufjte boc§ ©runb Baben, fte fprechen jn motten, menn 
iljre bunflen Vefürchtungen mirftidh gerechtfertigt maren. 
Sie fämpfte einen marterboHen $ampf, aber am enbe 
mottte fte fic| um jeben ?Prei§ ßtarBeit berfdfjaffen. Sie 
griff natB ber klinget, um ben Siener ßurt’S rufen $u 
taffen, bann aber raffte fte ficB furj entfdjloffeu auf unb 
ging oBne meitere Vorbereitung hinüber ju iBtem ©atten, 
au£ beffen Vtunbe fte SltteS erfahren mu|te. 

f^refe fafj bei einer fjtafd^e 233ein in feinem 3immer. 
Ser ©utSbermalter ftanb bor ihm unb fd^iert ihm eben 
eine 9lrt Vortrag 31t Balten, benn $urt nidCte nur bann 
unb mann mit bem tfopfe unb fcBtürfte mit BebädE)tigen 



Digitized by Google 




Stooefle üoti ST. 93hrtellu§. 



151 



3ügen feinen Xereg. 2>er fernere Söein fdhien Bereits au 
mitten, benn Qftefe’g Slntlib glühte. 

©r empfing ©rna mit einer 2iebengmiirbig!eit, toie fie 
eine folcbe noch nie an ihm bemerft h fl tte. 9lber ihrem 
fdhatfen SBlidt entging eg nicht, bafj fid§ in fein berbiitb» 
Xid^rS Säbeln ein berftedfter ^o^n mifdjte, unb bafj fein 
Sluge gana eigentümlich funlelte. 

„@ut, bafj $u fommft, mein Sdhafc. Sch lonnte eg 
nicht übet mich gemimten, ©ich mit ber SJtittheilung au 
überfallen, bie ©ir freilich nicht erfpart bleiben fann. 
?lb, 2>u ^oft toieHeid^t fchon bon ben ßeuten erfahren, 
mag fid§ ereignet Ijotl" 

„$ein SBort!" braute ©tna mühfant Verbot. „2Bag 
ift gefdjehen?" 

„©in un geheuer lic^eS ©ing. SDtan mürbe eg !aum für 
möglich fptädje nid^t bag eigene ©ejiünbnijj beg 

Unglücffetigen." 

©rna fah ben ©atten mit meitgeöffneten Singen an. 

,,©u erlennft bod) in bent ©ing ba ©ein ©igenthunt 
mieber?" fagte er plöfclich unb hielt ihr rafdh bag SBritlant* 
armbanb entgegen, bag er big^er auf bem SRücfen gehalten 
hatte. Sn feinem SSlidE audtte eg blifcartig auf, alg er ihr 
S3eben bemerlte. 

©rna hielt ftch nur mit SJtühe aufrecht. 35a fiel ihr 
Sluge auf ßadhner, ber in feiner SDUene einen teuflifdhen 
Xriumph geigte, ©ag brachte fie aut S3efinnung unb gab 
ihr Äraft, ftch au beamingen. tütit einem Schlage mürbe 
ihr je|t SlUeg flar ; fie begriff, mag ©buatb in ihrem 
Sntereffe auf fub genommen ^attc. Unb mit biefer ©r* 



Digitized by Google 




152 



$luf ber Dotter. 



fenntitif} fatj fte audj ben 2 Seg bor fidj, ben fte nun gefjen 
muffte. ©ie fuljr fidj über bie ©tim, als tooUe fie iljre 
SBetäubung berfdjeudjen. 3 »e|t brauchte fte ja iljre bolle 
geiftige unb moratifdje Hraft. 

„$a, baS 9lrmbanb ift mein. ©rftüre mir, mie eS 
in £)eine |>änbe fomntt. 3)ocfj fjatt, borget möge $err 
Sad;ner nod) bie 2Jiitt^eilungen botlenbeu, in melden iT^rt 
mein ©intritt unterbrach 2 öir mollen itjn ni$t unnüfi 
auffjalten." 

Sadjner bifj fidj auf bie Sippen unb toatf ©rna einen 
giftigen 23lid 3 U. 

,,^d) bin bereits 31 t ©nbe," fagte er mit einer 33er* 
beugung unb ging IjinauS. 

3 efct ftauben jtdj bie ©atten allein gegenüber, un= 
bermanbt 9luge in Sluge gefentt, als molle Siebes bie ©e= 
banfen beS Slnberen erfordern 

„2Bie finbeft 2)u baS 1 ?" begann enblidj Hurt. „©buarb 
befennt fiel) als £>ieb biefeS ©djmucfftiideS. SDer ttnbank. 
bare, bem idE) eine bütertidje $anb entgegengeftredt Ijabe, 
er labet ©d&tnadf) unb ©cljanbe auf meinen tarnen. 51ber 
id) taffe feine 9tüdficf)t malten; bie ©eredjtigfeit mag iljren 
Sauf fjaben." 

„$u midfi iljn ber 33ef)örbe überliefern, iljn als 2)ieb 
bor ©eridjt fteden'?" 

„Sfdj fann uid^t anberS. $d§ fftitn eS mit meinem 
©emiffen nid^t bereinen, ein gemeines Söetbredjen ungefüljnt 
31 t taffen. 2 )ie SHiffetljat erforbert iljre ©träfe." 

©rna mar in biefem Moment über 3 eugt, baff Hurt 
miifiidj an ben SDiebftaljt glaubte, ©ie rang mit fidfj, 



Digitized 




9?ooelle »Ott SJlartetlu«. 153 

aber eä Hieb i^r nichts 9lnbere§ übrig, al§ fidj pretSau* 
geben. 

„Unb memt idj S5ir fage, bajj ßbuarb fidb fälfcblicb 
befdjulbigt bat?" 

„2Ba3 ?" rief Shirt mit gutgefptelter Verblüffung. „2lber 
toeHjatb? Uebrigenä ertappte idj Ujn ja unmittelbar babei." 

„Unb bennocb — er ifi fdjulblol. 3fdj felbft gab ibm 
ba3 2 lrmbanb." 

„ 2 )u? 2 ldj, gelf bo<b! Sein eble§ ^erg fudjt nur 
Sdjeingrünbe, um ibm berauSgubelfen. Slber er ift SDeine§ 
9Jtitleibe3 nid^t mertf). 3dj Tagte S)ir ja auch fdjon, er 
bat felbft befannt. Unb mie fämft 2)u benn ba<ju, ibm 
berlei 31 t fdjenfen?" 

„63 tuar ein Slnbenlen." Sie erfdjraf bor bem Sadjen, 
mit bem Shirt fte bei biefen SCßorten unterbrach- 2lber 
fie raffte ficb auf’3 3teue auf unb belannte bie bolle 2 öabr= 
beit. 2113 fie geenbet batte, munberte fie fidj erft barüber, 
mie rubig ifrefe blieb. 63 mar auch in ber Xbat er* 
ftaunlid), mie ber fonft fo aufbraufenbe Vtann fidj be* 
3 toang. 6 r fpracb nur langfamcr al3 fonft, al3 fofte e3 
ibm Vtübe, bie Söorte au3 ber eingeengten $eble b^^or* 
gubringen, bodj feine ©efidjt3farbe unb bie ^üpfenbe bide 
2 lber an ber ©tim lieb erraten, bab feine 9?ebe mit 
feinem Innern im Sßiberfprudj ftanb. 

„ 6 i, ei," ladjte er. „ 2 öobin führt $>idj ba 25ein 
6 ifer? S5u er^öblft eine romantifdje ©efdjidjte, um ben 
2 fungen 3 U entfcbulbigen. 2 lber idj glaube $ir nidjt." 

„S)u glaubft mir nicht?" fagte fie erftaunt. „Vteinft 
S)u benn, idj mürbe berlei 3 U erfinben magen? 6 buarb 



Digitized by Google 




154 



2Iuf her (Voller. 



ift feinet £f>at fd^ig , bie — aber nein, baS mufjt S)u 
ja felBft miffen. Grifft Semanben eine Scijulb, fo Bin 
idj c?. Unb baS mitt idfj, menn eä fein ntufj, offen Be* 
f ernten." 

„Sie r&Bntt ftdj itocB, glaub* id)I" feudale er a&Bne* 
InirfcBenb unb lief mit mucBtigen Scfjritten auf unb nieber. 
6t mar mieber auf bem fünfte, alle SelBfiBeBetrftBung 
31t Verlieren. „$)u — $>u eBrbetgejfeneS Söeib!" 

6rna ^iett bie ^änbe an bie SSruft gebrficft; i^r 
Bleid&eS ©eftd^t trug bie SRuBe ber 9tefignation. 

„9lein, Jlurt, icB !ann rein hafteten bor meinem @e* 
miffcn unb audlj bor SDir, menn S)u SDein BeffeteS SelBft 
Böten miEfi. SGßet fann midj berbammen? $aBe id? nidfjt 
2We3 getljan, ma§ icB S5it als ©attin fcljulbig mar ? 2öar 
idj e§ nid^t, bie barauf brang, 6buatb ju entfernen? 2lBer 
!£u mollteft midi) ntdjt f)ören, nidBt berfteBen. Unb Be* 
greifft 2>u nicBt, bajj i<B flünbli<B -fpöEenqualen litt in 
bem aufrei6enben Gingen mit meinem $eraen, baS nad§ 
feinem 9ted§te fcBrie? 2tBer nein, ba§ fannft ®u nidfjt er* 
faffen, eine föficfficljt auf midfj fag S5ir ja bon jeljer ferne, 
unb S)u bad^teft gar nidjt baran, bafj icB aucB eine Seele 
BaBe, benn bie gehörte 2>ir ja niemals an. £>, menn icB 
cS 5Dir bodj beutlicB mad^en fönnte, ma8 id? biefe ganae 
Seit üBer litt 1 SBeifjt 2>u benn, maS eä B«f& tagtägttd^ 
33ent gegenüber au flehen, bem unfer ^era mit jebcr fffafer 
entgegen fliegt, beffen S3ticf, beffen Stimme unfer SmtereS 
aufmüBU aum berameifelten Kampfe gegen Vernunft unb 
$flidf)tBemufjtfein ? Unb bennodfj Mte unb 9tuBe aeigen 
au miiffen. Unb meSBatB baS SlEeS? Söeil micf) ein 



Digitized by Google 




9looetle tum $. 9ftarteHu§. 



155 



unüberlegte^, im S)rang ber SBirrnijj gefprod&eneä äöort 
aur etoigen £reue gegen einen 2 Jiann berpflid)tet, bet 
meine ebelfien ©efiiljte — betoufjt unb unbetoufjt — un= 
auftjörtid) mit Orüfien tritt. £), i<$ bnfo gefämpft, ge» 
fämpft unb gelitten, bafe e§ leinen tarnen bafür gibt. 
Unb toenn idj geftern — im ©ebanfen nut — auf einen 
flüchtigen Slugenbtid biefent entfestigen Kampfe erlag, fo 
laftet feine ©djutb auf mir. (Sott ift mein Beuge, idj 
habe ertragen, toa§ ein fütenfdjenljera nur au ertragen 
toermag. Slber — nun toeifc i$ eS — idj hätte einmal 
unterliegen miiffen, toenn mir feine «gülfe getoorben toäre. 
68 toäre getoifj einmal bie (Stunbe gefontmen, too idj au* 
fammengebrocben toäre toie ein $u £obe ge^SteS SCßilb." 

Q-refe blieb fteljen. (Seine hanb fingerte nerüö§ an 
ber Uhrfette. Erna’ä 33efenntnifj toirfte nieberfdjmetternb 
auf iljn. ©etoifj, er toar urfprünglid) in feinem Slrg* 
tooljn ju toeit gegangen, er toar öon einer fdjtoeren ©djulb 
ber ©attin fo gut als überzeugt getoefen, aber er hätte 
itjr Peraei^en fönnen in ber Hoffnung, fie reumütig 3 U 
iljm aurüdfefjren ju feljen, fobalb nur er, ber elenbe 93er» 
füljrer, unfdjäbtidj gemalt toar. 9tun erfuhr er, bajj 
Ebuarb jtoar nidjt§ 9lnbere§ errungen hatte , als bie 
ftumme Erinnerung an ein IjoffnungSöotteä Einft, ba§ 
nun für immer Oexniehtet fdjien. Bugleidj jeboeh mufjte 
$urt erfahren, bajj ba§, toa§ er al§ eine fträftidje, aber 
boch nur flüchtige 93erirrung betrachtet bntie» eine tief im 
|>eraen begrünbete Siebe toar, bie nicht auSgetilgt toerben 
fonnte. 

Er fchtug firh bor bie ©Um. Er £ljor, toaS hatte 



Digitized by Google 




156 



$luf her Folter. 



er gettjan? ©r hotte gehofft, ben Nebenbuhler ju 3 er 3 
fdjmettera burdj ein Ntittet, ba§ benfetben, teie er nun 
erfannte, erft um fo fefter an ba§ $er 3 letten mujjte, ba§ 
nur nach einem Söortoanb fuchte, um fidj bem Ntachttoorte 
ber SSernunft $u entgehen. 

,,©nta, ©u — ©u teeifct nicht, tea§ ©u fprichft!" 
begann er bann unb perfudjte, in feine ©timme ettea§ 
ÜJUIbe 3 U bringen. „©och meinethalben, ich teilt auf ©etne 
Siirfprache ©nabe teatten laffen. ©r folt unangefochten 
baPon gehen. Stber ©u teirft fchteeigen." 

„W)\ ©u toiKft ihn begnabigen? ©u teitlfi ihn nicht 
Por ©ericht ftelten, aber mit bem fdjimpflichen Sßerbacht 
ziehen taffen, ben ©u einmal Por unferen ßeuten auf ihn 
geloben haft- ©a3 teäre mehr at§ eine öffentliche 3tn= 
Hage, Pon ber er fidj allenfalls hätte entlüften lönnen. 
Nein, fage ich ©tr, ich Bin nicht fo feig, ©ir auf biefem 
SXuStoeg ju folgen! 34 t burdjfdjaue ich ©i<h erft in 
©einer ganzen ©rbärmtidjleit. ©u teoHteft ©ich nur on 
ihm rächen unter bem 23ortoanbe feiner teahnteifcigen ©etbft* 
anftage. ©u toarft Pon feiner Unfchutb ebenfo überzeugt 
teie ich, unb haft nur barauf gerechnet, bafj ©u mich 
burch ba§ brohenbe 33erbammung3urtheil ber böfen SCßett 
3 um ©tittfdjtoeigen ätoingen toerbeft. ©och fottft ©ich 
Perrechnet haben, fage ich ©itl 3ch teetbe ©eine Sptäne 
aunidjte machen; toenn e§ fein mufi, Por alter Sßett!" 

Sfrefe’S ©ejtcht Perjerrte ftdj Por Stöuth- ©r rang nach 
3lthem. ©ann brach er toieber in ein jornigeS ©e» 
tädhter au§. 

,,©ieh hoch, fieh hoch, teie hft&f<h b Q 3 Hingt! Nber 



Digitized by Google 




Rooelte mm ft. Rtarteltug. 



157 



nun erfenne idfj aucf) 3Mdf)l SDu fo0ft midf) nid&t am 
Rarrenfeile führen. €), über bag Raffinement bet SÖeiber! 
Rtidt) fd^recfft $)u nidjt, unb idj taffe mir aucf) feinen 
blauen 2)uuft metjr bormactjen. 3[dj toitt eg auf bic Sßrobe 
anfommen taffen, ob 2>u $)id& mixfticfj nidjt eniblöbefi, 
bet Söett S)eine Scpnbe au enttjüllen." 

„Rteine Sdjanber 

„(Set)’ mit ieinern £>eiligenfcf)ein! 3)u täufd^efl mid) 
jebt ebenfo menig, mie S)u bie Rnberen täufd^eu mirft. 
Rber idf) taffe cg barauf anfommen, fag’ id& S)it, idj taffe 
eg barauf anfommen!" 

(Sr ioanbte itjr ben Rüden au. ßrna fanbte itjm einen 
23lid bott <g>afj nadtj, aber in biefern 33lid tag audfj ber 
Rugbrud eineg ftarren ©ntfd§tuffeg. 

„$dj berabfdjeue S)idfj," fagte fie teife, mit bor Sc» 
toeguug erftidter Stimme, „aber idj benfe itod) nicfjt fo 
berädjtlidtj bon $ir, um mirflidf) au glauben, bafs 25u 
ntidf) für fo fcfjulbig tjättft, atg Su 2)ir ben Rnfdjein 
gibft. S)egptb eben t>od^ft 2>u fa auf meine Qrurdjt bor 
öffenttidjer (Sntepung, benn märe id£) bag, mag 2)u mir 
bormirfft, fo mürbe idj ja fein SSebenfeit tragen, mich bor 
alter Söelt atg a u ipt gehörig au befennen, menn id) 
ip nur bamit retten fönnte. S5u redpeft barauf, bafj icfj 
babot aurfidfdjeuen mürbe, midj ungerechter Säfterung aug* 
aufeben unb meinen Ruf aufauopfertt. (Sin 0?otterfnedf)t 
fönnte nidfjt raffinirter fein." 

2fn biefern Moment unterbrach fie ber Eintritt ßadpet’g. 

„Karbon, menn ich ftöre. SDoftor Römer unb 5}3oliaei= 
fommiffär SSrodmann finb foeben angefommen unb ber» 



Digitized by Google 




158 $uf ber golter. 

langen £>errn b. f^refe au fpted£)en. £>arf idtj bie Werten 
Ijereinfüljren?" 

$uit falj feine 3frau erbeben unb nodj um einen 
Statten bleicher toerben. 3et}t toar er fictjer, ju trium* 
b^iren. ßin toilber 9ta$eburft ertoadtjte in iijrn. 

„Bringen ©ie fie fofort herein l" rief er. „$er Äom* 
mifför §at boc^ für angemejfene Begleitung geforgt, tyV 

„<£r §at jtoei Bolijiflen bei ftdj," entgegnete ber Ber* 
matter unb ging Ijinaug. 

fjfrefe ladjte l)öljnifcij auf. S)ann eilte er an ben 
©djreibtifdj, gofe ben SKeft aug ber SBeinflafdfje in’g ©lag 
unb tranl i§n aug. ©rna lonnte fic^ nidjt meijr auf ben 
fjüfjen galten. Btit einem bumpfen Sledtjaen liefe fie fuf; 
auf einen ©tuljl in ber gimmerede fluten. 

Sadjner trat mit atoei Herren ein, bie ftdj üor bem 
|)augfjerrn ftumm bezeugten unb ftd& bann einen fragen* 
ben Blid autoarfen. 

„©ie ^aben midtj rufen Taffen, -fperr b. Srefe," begann 
enblidj ber Botar, ein fugelrunbeg, jobialeg Btünndtjen. 
„3d§ $abe meinen ©Treiber mitgebradjt. @g Ijanbelt fid^ 
alfo um 3l)r Seftament?" 

„@ana richtig/' ermieberte grefe, fidj über bag audenbe, 
ertjifete ©efid^t mifdjenb. £er 28ein machte feine 3unge 
nodj fernerer, afg ber Sorn. „©odj — einen Stugenblid 
Beraug ! Borerft Ijabe id> mit bem $errn $ommi}fär ein 
©efdjöft abaumideln." 

SDamit näherte er ftdt) mit ferneren ©dritten bem 
Boliaeibeamten, ber ben ©utglierrn mit leifem ßopffd§fittetu 
anfatf. 



Digitized by Google 




9toi)eUe uon 3JtorteIIu$. 159 

„Sic ^aBen einen 2>ieb in Sfötetn £>aufe, ben ich 3 U 
berhaften pbe? 2 öo befinbet er ftdh, bafe id£j meine ßeute 
bapn beorbem !ann?" 

„#err ßacfjner, bitte, führen Sie bie ^Begleiter be3 
.frerrn JfommiffärS nadh bem iBibliotpfyimmer unb lajfen 
Sie ben Scptlbigen perpr bringen." 

S)er SSertoaXter ging. 3nbejfen toarf #err JBrodfatann 
einen bertounberten S3lid£ auf ©rna, bie toie ein Steinbilb 
in ber ©tfe fafj, ben Obertörper ettoaS borgeneigt, bie 
Slugen ftarr auf bie ©ingangätpr gerietet. Sie laufcpe 
in furchtbarer Spannung auf bie Stritte ber ©rtoarteten. 

„iöerjeipng," toanbte fidh ber ßommiffär an ben 
£aufcprrn. „ 3 $ fürste, bie gnöbige ftrau ift ni<p gan$ 
mop, eä tofire bieKeidp bejfer, ip eine aufregenbe Scene 
ju erfparen — " 

„$u prft e§," fagte ftrefe ju feiner Qfrau. „S)a§ 
ift nidfjtä für 2 )idh. ©ehe!" 

©rna loepte mit einer turnen, energifcfjen ©eberbe ab, 
bie feine ©egenborfieEung mep auliefj. 3 ept toanbte fidh 
ber SEotar mit erftaunter 2 Jtiene an Sfrefe. 

„©Tlauben Sie, fiep meine ^Berufung im 3ufammen= 
pnge mit ber SEijfton beS £errn flommiffärsr 

„?nXerbing3. Sie foEen halb bie ©rflärung perfür 
pben, #err 3)oltor. — -§err Äommiffär, idj berichtete 
bom S)iebftap eine! .£>au§genojfen. ^Begreifen Sie meine 
5]3ein, toenn ich 3 pen geftehen muf}, bajj e§ mein 9teffe ift." 

„ 3 p 5teffe?" rief ber ^oli^eibeamte überrafcp. @r 
fatj nadh ©rna pn unb bemertte, toie ein bitterböfeä 
ßädheln um ipe ßippen judtte. 



Digitized by Google 



100 üluf ber golter. 

„ 216er, mein ©ott, tote ift bctä nur möglich?" flam= 
Hielte 9iömer. „üciufcben (Sie fiel) nic^t bietteidjt, bereiter 
£>err?" 

,,©ie toerben bie Jöeftätigung au§ feinem eigenen SJlmtbe 
bernehmen, benn er fielet eftt, toie bergeblich fein Seugnen 
toate." 

gfrefe gab eine furge ©cbilberung ber ©adje. Vielleicht 
bemühte er fidj in biefent Moment, felbft an bie 9tichtig= 
feit feiner Sluffaffung gu glauben. ©r toar mit feiner 
©tflärung noch nicht gang au ©nbe, al§ ßadjner mit 
©buarb eintrat. Trauben im Voraimmer fab man bie 
beiben Spolijjiften pftirt, bie ba auf ihren ©efangenen 
toarteten. 

SBäbrenb Vrocfmann unb ber 9iotar beim Slnbticf be§ 
Slngefdjulbigten eine Vetoegung nicht unterbrücfen fonnten, 
blieb ©rna gänjlicb regungllol, aber ihr Vlicf hing mit 
bent 2lu§brucf nantenlofer Dual an feinem bleichen, ber= 
fiörten ©ejtcht. ©buarb fenfte feine Slugeu bor biefem 
Vlicf gu Voben. ©r glaubte in bemfelben eine flehenbe 
SSitte au lefen, unb toar entfdjloffen, fie gu erfüllen, ©r 
tooßte fiarf fein unb nicht toanfen. 

,,-gjerr ©buatb b. ftrefe," begann ber Jfommipr nach 
momentaner allgemeiner $aufe, ben iungen Vtann mit 
einer getoiffen Übernahme betradjtenb, „Sb* <&err £>nfel 
erhebt bie Slnfcbulbigung toibcr ©ie, geftern 9ta<htä ein 
toerthboEcä Sltmbanb au§ beut gimmer grau b. grefe’3 
enttoenbet gu haben. Vef ernten ©ie ftcb fdjulbig?" 

„Sa!" fagte ©buarb leife, aber feft. 

grefe hatte boranägefagt, bafj ber Slngeflagte gefteben 



Digitized by Google 




Aooelle ooit 9)iarteUu§. 



161 



»erbe, aber ber Aotar unb felbft ber Äomniipr fdfjtenen 
ein fefteä „Wein!" ertoartet au l;aben, benn auf iljren 
©eficfjtern malte fidj ba§ pd)fte ßrftaunen ab. 

„(Sie gefielen alfo, ficij ba§ Armbanb in Perbreetjeri» 
fdfjer Abficfjt angeeignet jn pben?" 

@buatb preßte bie Böljne aufeinanber unb toifdfjte ftdj 
bie ©c§»ei£ perlen Pon ber ©time. „So," fagte er bann 
rufjig. „Aber id? bitte, rnidj biefeS 33etfjör§ mit tpn= 
lid&fter Aafdfjljeit ju entheben. @3 bebarf bodj audij feiner 
Sörmtid^f eiten »eitet?" 

Srefe Ijatte, ope itjn anjufe^en, gefpannt auf jebeS 
Pen ßbuarb’g SBorten gehört; jetjt l)ufdfjte ein bo^afteS 
Sätteln über fein ©efidjt. 

„@3 ift toafjt," fagte er bann mit bem Xon be3 S3ieber= 
manne3, „fürjen »ir biefe ©eene ab. ,£>err Äommiffür, 
»alten ©ie SÜ*eä Amte3." 

S3rodfmann tooüte fdfjon feinen Seuten einen SBinf 
geben, ba füllte er eine |>anb auf feinem Arm. 6 r toanbte 
fidj jur ©eite unb falj in ba3 erregte ©efid£)t ber #au 8 frau. 

„ÜJbein £err, ©ie »erben belogen. (Sbuatb ftrefe ift 
unfdfjulbig." 

-ffurt bifj fidf) bie Sippen blutig, feine Augen funlelten. 
6 r »oHle @rna jurüdbrängen, aber fte rifj ftd§ lo 8 . 

,,^ören©ie? @3 liegt fein SJerbred^en Por. fetbft 
Ijabe itfm ba3 Armbatib gefdjenft." 

S3rodfmann' 30 g bie Augenbrauen in bie ^ö^e unb 
»anbte ftdfj an (Sbuarb. „Sft e3 in ber ülljat fo ? ftrau 
P. Qfrefe gab Sljnen ben ©djmuc!?" 

„9lein! Sdj begreife nicf)t, »a 8 bie gnäbige Sfrau 31 t 

«ibliotfief. 3af>rg. 1889. 58b. XII. H 



Digitized by Google 



162 



Huf bet poltet. 



biefer — großmütigen llnmafjteit berleitet. bleibe 
bet meinem ©efianbniß." 

2)er $ommiffär falj ratljtog auf ben fttotar unb gucfle 
bie 5 ldjfeln. ©r ^atte gern auf bie Slugfage g?rau t». f^refe’g 
reagirt, aber mag !onnte er einer folcfjen JBefjarrlidjfeü 
gegenüber tfjun? 

2>a trat ©rna an ©buatb Ijeran. 3$re 5Jtiene blidte 
ftreng, faft jürnenb. 

„Schämen Sie ftcij," fagte fie. „galten Sie mid) für 
fo niebrig, baß idj Sfjr mafjnfimtigeg Opfer annef>nten 
»erbe? 3d§ braune Sljre ©roßmutt) nid&t. Ijabe 
mir nicf)tg borjutoerfen unb bon ^finen feine ©nabe an» 
3une§men. Sie miffen, baß id(j 3 bmn mit ber ©emäljrung 
jeneg SlnbenfenS nidjt bag Siedet eingeräumt fjabe, meine 
Sntereffen ju berfedjten. Sagen Sie bie Söaljrtjeit, fagen 
Sie, baß Sie jenes Slrmbanb bon mir alg ©rinnerungg» 
jeidjen — an einftige Stunben empfingen, unb baß eg 
nur eine übertriebene föüdficijt auf mich ift, mag ®ie 31t 
$f)rer t^öric^ten Setbftanftage betoegt, bie Sitten ja oljne* 
bieS 9 iiemanb glaubt." 

©buarb blicfte fte boE Trauer an. ©3 fdjmer3te if)n, 
baß fie fo falt jebe ©emeinfc^aft mit itjnt 3urüdftieß; fte 
toar atfo 3U jtola, fein ©efjeimniß 3U feilen, bag iljn 
inmitten feiner Cual fo glüdlid) gemalt fjätie. 25 ie 
frönen traten itjm in bie Slugen. ©r fonnte fein SBort 
fjerborbringen. 

„£)f)o!" fdjrie Srefe, !irfd)braun im ©efu§t; jebcr 
SJUtgfel bebte an iljm. SDie Söutlj beraubte iljn gänaltclj 
ber flugen tlebertegung. „ 28 ag — mag foE bag Reiben? 



Digitized by Google 







\ 



^oocUe oon 9Jtartetlu§. 163 

2Jtan legt bem äSurfdjen Söorte in ben SJiunb, tim ficfj 
berauäplügen ? $err Äontmiffär, ba§ bürfen Sic nicht 
bulben!" 

drna toarf ihm einen berä(^iti(^en 39lid au. 

„.£jerr Äommiffär, ich ^offe, Sie haben bie Üeberjeugung 
bon (Jbuarb’S Unfdjulb getoonnen. 3<h berftdjere 3 ubem 
toieberljolt: ich felbfi gab ihm ba8 Slrmbanb." 

„9ticht§ ba!" tobte $urt. „Sie rebet irre — fte — 
fte lügt — e§ ift nur, unt — um — " 

„Sie gnäbige grau lüfjt ft<h burcb ein eble§ 2ttitleib 
btnreijjen," toarf Sattler mit liebenätoürbigem Sou ein, 
„ohne babei für ben Slugenblid au bebenlen, bajj fie ihren 
9tuf auf$ Spiel fefct." 

„Sprechen Sie boch!" rief ber ßommipr, gegen 
(Sbuarb getoenbet. „tfteben Sie bie Söabrbeit!" 

„grau b. grefe täufcht ftd^ au8 ©üte für mich," fagte 
er trotjig. 2fe^t tooKte er ßrna atoingen, ba§ berfc^mä^te 
Opfer anjunebmen. 

Grna fdjfug ftdj mit einem fchmeralid&en Seufaer bor 
bie Stirn, gn ihrer 23ruft tobte e3, Tie rang nach Sittern, 
unb i^re 9lugen fonnten bie £b tä mm nicht mehr aurüd* 
halten. 

„gübrt ihn ^inauS l /# brüllte grefe. „28a8 aaubert 
man? 2Jtadjt ein ßnbe!" 

©rna raffte ft<h auf § 9Ieue auf. SJtit toitber Energie 
brach lo8. 

„Sie glauben mir nicht? 9tun benn, fo fleh’ mir 
©ott bei! dbuarb, ich bitte, ich befdjtoöre Sich, nimm 
Sein unfeligeä SBort jurüd!" 



Digitized by Google 




164 9tuf her Folter. 

©ie führte an feine SBrufl unb fdtjlang fdljtudjaenb bie 
2 lrtne um itjn. 

,,©o Breche bie SGßelt über un§ 3 ufatnmen — idj tann 
nic^t anberä, iljr Ijabt’ä gemoBt ! ©buatb, bei meiner, bei 
unferer unenblidtjen Siebe bcfdtjmöre it§ 2>icfj, gelf nic^t bon 
mir, lafj midtj nicht allein ! ©ag’ e§ ihnen, bafj idj S)tr an= 
gehöre, bafj atteä Slnbere nur Sug unb £rug ift ! — ^ören 
©ie!" rief fte mit toilber Seibenfdjaft, ben $opf bon 
(Sbuarb’ä ©Nulter et^ebenb, oljne jebod^ ihre 9lrme bon 
feinem ^»atfe ju löfen. „Sfdh gehöre 31 t ihm! ©agen ©ie 
e§ Sebermann, öffnen ©ie bie Spüren unb fdjreien ©ie eS 
3 ur SDienerfdjaft, auf bie ©trafje hinaus: ich gehöre 3 U 
ihm! Unb jetjt fteinigt midf)!" 

©ie fchmiegte ftdfj feft an Gsbuarb an, ber in feiner 
23etoegung nichts 9lnbere§ f§un tonnte, als fte innig an 
ftdh brflcfen. 5E)ie 3eugen biefer leibenfchaftlidhen ©eene 
blidten faffungeloS auf bie SSeiben. 

$a fiüratc ftrefe mit blutunterlaufenen Slugen unb 
feudhenbem fDtunbe auf 6 rna 31 t. ©ein (Seftdjt toar fdhredf= 
lieb ber 3 errt. 

*®u — $>u ©d§amlofel" gurgelte er ^erbor. „ 3 ch 
mitt bodh 

@r ^ob feine ffauft unb Ijolie 3 U einem mudjtigen 
©treidfj aus. S)er 9totar unb 33rodfmann fprangen ^er 3 u, 
aber ehe fte ihn noch berührt Ratten, fiiefj ber bon Söuth 
unb 2Bcin SErunfene einen bumpfen Saut auS, fein loloffaler 
Körper maulte unb ftürjte rücftingS 3 U 3?oben. 

Sfür eine ©elunbe ftanben 5lHe erftarrt. S)ann Ijoben 
fte ben ©efattenen auf. 



Digitized by Google 




^ooclle oon $. 2RarteUu§. 



165 



„(Sin ©djlagfluB !" rief ber 9totar entfett. „(52 toar 
öorauSaufehenl" 

ßadjner xifs, afd^fa^t im ©eftdhte, bic gturthüre auf. 
„^Bringt SSaffer!" fthtie er ^inau^. „£olt ben §lr$t! föafdh, 
rafdj !" 

„3a, SSaffer, Sßaffer!" rief jefct auch (5buarb, ber nun 
erft bemerfte, bafc 6ma in feinen Sirmen ohnmächtig gc= 
morben toar. 

ßifette unb einige anbere toeiblidje SDienft&oten bemühten 
fleh, bie SBetoufjtlofe hiitfoeQ3ubringen, toährenb eS ben 
bereinten Slnfhengungen ber Männer eben gelang, ben 
ferneren Äörper C^refe’ö auf baS ©oplja 3U legen. 

S)a2 $aupt bcS SBetoufjtlofen toar auf bie SSruft ge= 
funlen, bie leife röchelte; bie Rechte hob fich mühfam mit 
lahmem ©riff nach ben SBeftenf nöpfen , toar aber nicht 
mehr im ©tanbe, biefelben au lodern. SDoftor 9fömer rifj 
ihm bie beengenben JUeibungSftücfe auf unb fragte, toie 
er fuh befinbe. fjrefe h°& ein toenig bie Siber über ben 
gläfernen Slugen unb betoegte bie f c^ief gezogenen Sippen, 
aber er brachte fein 2Bort mehr herbor. S)ie ifinnlaben, 
bie ©ejthtSmuSfeln toaren erftarrt, gelähmt. 



3toei ©tunben fpäter pochte 9tömer an bie &hü r 3U 
(Srna’S Sinimer. $er alte .£>au3arat folgte ihm auf beut 
Sfufce. 

(5rna lag auf bem ©opha. 3h r ©efidhtdhen toar noch 
bleich, aber fonft erinnerte nichts mehr an ein Untoohl» 
fein, ©ie hotte bie #anb beS ihr au $äupten ftehenben 



Digitized by Google 




166 



Auf bcr Folter. 



ßbuarb feft in ber ihren unb Midie mit tränenfeuchtem 
Auge zu ihm auf. ©ie fd^ien baS .perannaben ber beiben 
©ingetretenen nicht zu bemerfen; nur Sbuarb toanbte ben 
$opf zurüd. 

„32ßaS gibt eS?" 

Admer fpi^te bie Sippen , 30g bie Augenbrauen § 0 $ 
unb fcfjüttelie berttmnbert baS ^aupt. $ann aucfte er bie 
Affeln unb beutete auf feinen Begleiter. 

„Ab, id§ meifj, maS ©ie fagen motten. ^err b. 3frefe — " 

„@S ifi borbei!" fagte ber Arzt. 

Crbuarb machte feine .panb to§ unb manbte jtdj ber 
S^büre zu. 

„2öo toittft 2)u ^in I" fragte Srna ängfttich. 

„3u ihm. 3>cb möchte mich babon überzeugen, ob ber 
2ob nic^t einen milberen 3ug in fein Anttib gepxägt bat. 
ÜRir märe leister baburch." — 

SSübrenb ber Arzt bei (£ma zutildblieb, trat Aömcr 
mit bem nunmehrigen 33e|tjjer bon 23etib auf ben 3ftur 
hinaus. 

„2Bo ift ber fßotizeifommipr?" fragte (Sbuarb. 

„£>, ber i|t fchou tängft fort. 2BaS hätte ihn auch 
hatten f ölten? — SSiffen ©ie, 3h re ©efcbicbte mit bent 
SDiebftaht mar aber auch zu ungefdjidt angelegt, ßinen 
Suriften hätten ©ie auf bie ©auer nicht irrefübren 
tönnen." 

SBöhrenb Gibuarb ba§ ©terbezimmer betrat, bmK 
ßachner ben Aotar im Vorzimmer auf. @S mar mert» 
mürbig, mie fuh ber gefchniegette, emig lächetnbe SJtann 
beränbert hatte. 



Digitized by Google 



s RooeHc 0011 $. 2 RarteUu§. 



167 



„3dj moEte ©ie nur @ine§ fragen, £>err SDoftor. 
2 öa§ tnirb nun gefächen?" 

„9tun, baS ift fehr einfach- #err ©buarb b. 5 re[e 
tritt feine unbeftrittene ©rbfdjaft an." 

„Teufel!" murmelte bet Vermalter aatmefnirfchenb. 
„2tber ba§ mar gemifj nicht bie Slbftdjt be3 Sitten. 3<h 
protefiire in feinem tarnen, idj — " 

„SHj, lieber greunb," machte ber Stotar mit gering* 
fähigem ßächeln unb Hopfte ßactjner auf bie ©(butter. 
„Sin 5ßrattifu§ mie ©ie tjat moht Haren SSlidE genug, um 
einaufeljen, bafj ihm jejjt nid^tö Slnbereä übrig bleibt, al§ 
fein 23ünbet au fdjnüren, ficf) ouf teifen ©ocfen babonau* 
machen unb feinem unberfchümten ©lücf au banten, bafj 
man i^n nicht aur Oied^enfc^aft 3 iet)t bon toegen getoiffer 
©efdfjichten. — Sta, na, nur ru^ig, fpielen ©ie ftdj mir 
gegenüber nicht auf! 3 >ch habe borigeg 3 ahr SRancheä 
babon .gefehen unb ben fetigen £>errn auch nach Pflicht 
barauf aufmerlfam gemacht. Slber ber toar ja au be= 
quem, um fuh barüber ©orge 3 U machen ober bem 33er= 
matter auf bie Ringer 3 U fe^en , ber e3 fo gut berftanb, 
fleh ihut unentbehrlich au machen, ©taube recht gern, 
bafc Stjuen ber junge £>err berteufelt unbequem mar, 
haben fleh auch moht rebtich bemüht, fich feiner au ent* 
lebigen, maä? — 4 Jia, mie gefagt, nehmen ©ie fchteunigft 
Sh r eu fRudtfatf auf ben S3ucEet unb fegeln ©ie bei gutem 
Söinb bon bannen, bann miE ich e§ bei ber ©rbfchaftä* 
abmicfelung mit bem neuen ©utsherrn noch Qnäbig machen, 
bafj er ©ie taufen täfct. Slbbio!" 

ßadjner matf bem fartaftifdjen TOnntein einen rach= 



Digitized by Google 



168 



91itf her Folter. 



gierigen 33tid au, tou|te aber toirflidj nidjtä 23effereä $u 
tljun, al§ iljn nach einem bcrädfjtticljen Sld^fe^nien gum 
2tbfcl)ieb8gruf} allein au taffen. 

„2öo ifi mein ©Treiber?" toanbte fidj 9iömer an 
einen porfibereilenben SHenet. 

„3m SSibtiot^etjimmer, glaub’ idj," anttoortete ber 
©efragte. 

„91a, für fe^t motlen mir un§ nur babortmadjen/' 
murmelte ber 9totar. „©päter mirb’ä ^ier tuotjl nodj 
genug au tt>un geben : ©rbfdjaftSangelegenbeiten, 3nbentar= 
aufnatjme unb bergteidtjen meljr, unb über’3 3atjr aucl) 
noch einen <£jeiratbälontraft. ©appertot, barauf toar icf) 
beute borgen nid£jt gefafjt, atä idj |ier berau§füt)r. Slber 
bem jungen 5ßaare ift’3 ju gönnen, unb toenn fte reinen 
-fpergenä ftnb, fo tönnen Tie oljne Sorfourf baä ©tüd ge* 
liieren, ba§ iljnen nadj fo ferneren Dualen a u £ljeit 
tuerbeu toirb." 



Digitized by Google 




ütorfika’ö Jmljcitsljclli. 

©in Äebensbilb. 

Don 

Bdjmibt-ttJcißcnfds. 



(92a(^brud öcrbolcn.) 

T\a3 |)od§Ianb bon 9lioto ift eine ber toilbeften ©ebirg3= 
gegenben ber Snfel Äorfifa. Ungeheure $Porphh*= unb 
©raniif elfen in toiiftem $uriheinanber lagern bor ber hohen 
SBergfupVe; nur fteite ^ilbba^fdjtudjten führen ba hinauf 
in ben unburdjbringlichen S3ufd^tuaXb bon Otiben* unb 
©ithengeftrüpb, bewucherten ^Jttyrten unb Intehohent ^aibe* 
fraut. 

Sn einer monbhetten Sulinacht beä Sahreä 1755 ber= 
fammelten fidj bort oben in geheintni|b otter ©litte ein 
paar hunbert forfifd^e Männer in ihrer braunen Söotten* 
irac&t, baä rothe 23arett auf bem £>aubt, bie 33iid&fe in 
ber $anb. 9luf einem riefigen, moolbetoadhfenen ©ranit» 
blotf fianb ein ^er!utifcß gebauter SJtann unb fpradj ju 
ihnen mit leibenfdjaftlichen SBorten. toar SJtatra, 
einer ber tapferjien SBanbenfütjrer gegen bie ©enuefen, 
toeldje alä Eroberer ber Snfel feit jeher in blutigen Qrehben 
mit bem trotzigen SSergboll lebten, aber bon ihren SÖeften 



Digitized by Google 




170 Äorfifa’S Smljeitsfjelb. 

am ÜJlcere auS baS ßanb hoch niemals PöUig au unter» 
jochen bermochten. 

Viatra ^atte auf bieS Plateau bon 9tiolo burdj bie 
Ritten beS klonte tftotonbo 9lüeS in bie Söilbnifj ber 
Vtacchia, ber bitten Vufchtoälber, berfdjlagene Volf au» 
fammenrufen laffen, bie aa^l«i^en Vanbiten, bie ba als 
bon ben ©enuefen Verfolgte ober als geflüchtete 33tuträdjer 
hausten, unb rief fte mit feiner feurigen Verebtfamfeit 
aum Kampfe unter feiner Rührung auf. 2lber bieSmal 
nicht gegen bie ©enuefen, fonbern bielntehr als ihre VunbeS» 
genoffen gegen ben Vtann, melden bie ^atriotenpartei in 
ben forftfefjen ©täbten eben an ihre ©pijje berufen ^atte, 
um als ©iftator bie Vefreiuug ber Snfel bon ©enua unb 
bann bie Crbnuttg im frieblofen fcanbe burchauführen. 

SJiefer Vtann beS Vertrauens, auf bent VolfStag bon 
©an Slntonio belta dafabiaitca aum ©eneral bcS SanbeS 
ernannt, toar ^aScal |aoli, ber ©ohn eines SlrateS 
unb tapferen Patrioten, toelcher bor fahren nach unglüdf» 
lichem $ampf ber Torfen gegen ©enua’S Vtacht in’S ©jil 
nach Neapel gegangen toar. 2luS biefem ©jil laut 5Jkäcal 
Vaoli, fein $riegSmann, fonbern ein ©elehrter; fein Vru» 
ber Clemens, als ein 3freitjeitSfämpfer im VtöndjSffeibe 
ber fffranaiSfaner ho<h ougefehen im fianbe, h a i* e fck'fe 
Sßahl betrieben, unb toefentlich auf ben 0iuhnt feines 
Vaters hiu toar fie erfolgt. 

Vtatra, ber barüber beleibigte ßapitano, tüoHte ben 
©eneral toieber ftür^en, um felbft ber ©rfte im Saube au 
toerben. ©ein Slnhong unter ben Vanbiten unb Verg» 
betoohnern toar grofj. SDie ©enuefen, benen bie Ghtoäh* 






Digitized by Google 




S3on 6c§mibt*2Beifeeitfel§. 



171 



tung SPaoXi’ä sunt ©ütator ber Jorjrfdhen Sftotrioteu eine 
ftarfe £)erausforberung jjur 9lieberWerfung biefeS neuen 
föebeEenregimentä War, Ratten baljer einen 5ßa!t mit 
SJtatra gefdjloffen, Weil er ihnen jjunädhft gegen feinen 
berfönlidjen f^einb fpaoli bienen lonnte. So bradj benn 
ber Sfirgerlrieg auf ßorftfa au§ ; 2Eatra’§ Raufen bereint 
mit genueftfdjen ©ruf^en rüdten gegen bie bewaffneten ©e= 
treuen an, Welche ftdi) um 5Paoli in klaffe gefammelt batten, 
unb an bereu Spifce fich fein Sruber, ber Jriegälufligc 
SJtöndh, gefteflt. 

Seim ßlofter bon So^io Jam e§ jum entfeheibenben 
$ambf. ©er S^steJanermönch $lemen§ fodjt Wie ein 
Söwe. Son feiner ^»anb fiel Statra; mit feinem Säbel 
an ber Spifce ber Seinen brang er, Wie gefeit gegen Schufj 
unb |>ieb, gegen bie ©enuefen bor unb jagte fie in bie 
örludjt. ©er Sieg War boEftänbig. 2ßa§ nicht bon Statra’ä 
Sanben erfdjlagen Worben, fiel gefangen in bie .fpänbe 
ber Spaoli’fd^en Schaaren. ©er SürgerJrieg War bamit 
ju ©nbe. 9iur ©enua fe|te ergrimmt ben $rieg gegen 
ben SftebeEengeneral fort. Sahr unb ©ag noch, aber ohne 
Qsrfolg, autelt bon ben Äorfen in feine feften Stäbte unb 
Surgeu geworfen, bie in nächfter 3eit eine nach ber aubereit 
audj bor ben Siegern faEen foEten. ©er Stöncfj 5ß Q °ft 
fegte mit eifernem Sefen ba§ Saub rein bon ben Eroberern ; 
•jum erficti Stal feit ^ahrhunberten y 0 m e $ or |xf a mieber 
unabhängig Werben. 

Slber fdfjlug ber ^Priefter bie f^einbe im Selbe, fo war 
e§ fein Sruber ^aäcal, ber burtf) bie Umfidht in ber £>r= 
ganifation ber Sertheibigungälräftc fein h 0 ^ Serbienft 



Digitized by Google 




172 



ßorfifa’S ftreiljettSljefö- 



babei hatte. UeberaH im ßanbe toar er, um au orbnen, 
anaufeuern, bie ©nergie auf bie Hauptpuntte ju ridjten. 
S3aXb toar er im Hauptquartier, balb an ber ©eite feines 
SruberS, halb ba, too er aunädhjt feine Neftbetia genommen 
batte, um bort bie Regierung hingebungSöoII au führen. 

25ieS toar in ben aablreicben, atoifd^en ben Sergen 
Uegcnben SDörfd^eit, bie aufammen bie ßanbfchaft StoroSaglia 
ober Neftino bilben. Sn bem HäuS<hen an ©tretta ba* 
felbft, too er im Sah« 1724 geboren toorben, toobnte er 
in ©infamfeit. ©ine elenbe H^tte toar’S nach ßanbeSart, 
Hein, auS rohen ©teinen, mit toenigen, unfpmmetrifch 
angebradhten fünftem ohne ©taS, nur mit H°Waben per» 
feben. S)ie ©dheiben, toelche nach feiner ©rtofthlung aum 
©rften feines SölfdhenS ber forgenbe Sruber Clemens ein* 
fe|en liefj, hatte er nach feiner Slnfunft bafelbft fogleidtj 
aerfdjlagen, bamit er nicht einen ßujuS Por ben Stnberen 
borauS habe. UnPerbeiratbet, toie er toar, lebte er ba 
allein mit feinen atoei aottigen Hunben. ©r toar iefct 
anfangs ber breiiger Sah«/ ein IraftboHer Ntann Pon 
cblem Slnftanbe; h°$ getoölbt unb frei bie ©tirn, baS 
bunfle Haar fiel lang in ben Warfen ; bicfjte Srauen aogen 
fxch über bie großen Slugeit mit milbem hellen SBlidf. 
©üte unb äöürbe fpradhen auS feinem 2lntlitj. Sn feiner 
ßleibung ging er fdhlidht toie ein ©ohn beS ßanbeS, in 
fdhtoaratooHenem StodE, ben ein ©urt umfcblofj, in Sein* 
Heibern gleichen ©toffeS, bie in gelblebcrne ©antafdhen 
ausliefen; bicfe, nägelbefdhlageite ©dhnhc an ben örüfjen, 
baS rothe Sarett auf bem Haupt. 

©iegreidf) gegen ©enua unb bie Nebenbuhler im Snnern, 



Digitized by Google 



Ul- 

S5on Scbmibt*9Beibenfel3. 173 

beiföljntidj gegen bie Uebertmmbenen, tonnte er n ad) 3oI)reS= 
frift hoffen, bafj feine Regierung SBeftanb Ijaben toerbe. 
93on ljof)en ^beaten erfüllt, ging er unter ben ÄriegSforgen 
fd^on baran, auS $orftfa einen trefftidj öertoatteten Staat 
unb augleidj einen mabrljoft bemofratifefjen au madjen. 
S)iftator mit aller abfoluten SDtadjt, arbeitete er an einer 
Serfaffung, toeld&e baS erfte SJtufler einer freiVeitlid§en, 
bem SJolfe bienenben unb beranttoortlid^en Regierung bieten 
fottte. fftadfj biefer 93erfaffung tourbe er, toie $eber feiner 
getoüljlten 9tadjfotger, ber Sßrüftbent eines StaatSratljeS 
öon neun 5ßerfonen, bie aUjäljrlicfj auS einer frei gemähten 
SanbeSöerfammlung Verborgenen foHten, er felbft abfepbar 
unb ftrafbar im ftoll Pon 5pfltd^töerte^ung. SOBaS bamalS 
fötonteSquieu , 93tco, fran^öflfd^e unb itatienifdje Spijilo* 
fopljen, in neuen Sbeen für Staatentooljl unb 93olfSfreiVeit 
auSgefprodjen Rotten, gebadete er als einer iljrer begeifierten 
SlnVünger in ^o^ern (Srnft nun audV prattifdj aur S3er= 
toirtlitbung au bringen. 

Sugteidj mit ber ffreiljeit foHte fidf) ober aud) bie 
SOßeiSVeit jur SBoljtfaVrt feines torftfdjen 9taturPolfeS ber= 
binben. 2)ie 2anbtoirtVf<Vaft bitbete baljer einen bor» 
neljmen ©egenftanb feiner Sorge. (Sr toieS ben ©emeinben 
ffetbmarten an unb fefcte SSeamte ein, bie für bie ftörbe» 
rung beS SlderbaueS ju forgen Rotten. ©r liefe ben Cet* 
bäum pflanzen, bie ecfjte ßaftanie, ben ÜJtaiS , unb fudjtc 
bie Abneigung ber Jtorfen gegen bie 3felb= unb fßufegarten» 
arbeit baburdj ju übertoinben, bafe er iljnen bie 5lbnaVme 
unb bie (Sinlöfung ifjreS (SrnteertrageS gegen ©elb fidjerte. 
Um ber Söilbnife neue ftlädjen ber Kultur abaugetoinnen, 




Digitized by Google 



174 



Korfifa’S $reiljeit§5elb. 



tie^ et Sümpfe auStrotfncn, SBege Bahnen unb neue ßanb» 
fttajjen Bauen. S£ie erften §aBrtfen entfianben burdfj feine 
Anregung unb Unterflütjung, spuloermüBlen tourben in 
@ang gefegt, bie Be{fere VearBeitung ber Olibe au £)et 
geteert. 2 Bo eS eine Pfarrei in ber ©emeinbe gaB, ent» 
ftanb audj eine ©cBule, unb bie fotfifdjen ©eiftlidjen, butdj» 
toeg Batriotifdj gefinnt, Beeifetten fid£j, bie $ugenb au unter« 
rieten. 

KlemenS ^aoti tBat rebltdj baS ©einige aur Unter» 
ftüfcung ber SlBjicBten feines VruberS, inbent er baS ßanb 
burdBftreifte, bie ©eifttic^en für bie Sdjulen Begeifterle, 
fetBcr in bie Staffen trat, um mit feinem Berebten Vtunbe 
bie Einher au ftfeifj, Religion unb VaterlanbSlieBe 31t 
ermahnen, ©r toar eS, ber bie erften ©djul&fidjer fcBrieB 
für bie !orjtfcf)e Sugenb, unb fte toaren in |o^em Viafje 
nid^t nur BotriotifcBe Söerte, fonbern audj ßeBrBüdfjer, in 
melden ben Kittbern bie ßieBe aur fffrei^eit an’S <£>era 
gelegt trntrbe, in benen bie StrBeit als baS SJHttel ge» 
Briefen toar, eines VotfeS UnaB^ängigteit unb SBo^tfa^rt 
Berauftetten. ^aScat ^aoli lief? fie in ber SDrudferei ber» 
toieXfdttigen , bie er gegrünbet Butte unb aus ber audj 
anbere «Schriften aur VolfSaufHürung Berborgingen. 

©egen bie Venbetta, bie XanbeSüBIid^e VlutracBe, tourben 
bie ftrengften Strafen erlaffen, unb bie ÜJlovbe tourben in 
ber XBat baburcB unb burdfj bie Vermittelung ber ein» 
gefegten SüBnegericBte immer fettener. $)utcB <&eBung ber 
ScBifffaBrt toieS man bem lorftfcBen Raubet neue Söege, 
unb fogar eine Heine Kriegsflotte entftanb, bie eS autoeilen 
fcBon mit genneftfd^en Kreuzern aufnaBm. Vebeutenber 



Digitized by Google 




Von 6 cf)niibt 3 2 BeipenfcI§. 



175 



nodh mar ba§ ©rgebnifj her raftlofen Stnfirengungen bcS 
©eneratS, eine tüchtige unb auäreidjenbe ©treitmadfjt 3U 
£anbe ^eran^ubitben , unb baju fanb fictj ein trefflicher 
$ern in preufjifcben ©ötbnern, bie mehr unb mehr au§ 
genuefifchen SDienfien in torjxfche traten. 

©ine SanbeSberfamnttung marb brei Satjre nadh bet 
©infeijung IßaoIi’S nad§ ber ©bene am ffufj be§ Slngiota= 
berge§ berufen, um bie neue, bom ©enerat niebergefdtjriebene 
Vetfaffung feierlich aitjunebmen. Von alten feiten ber 
Snfet tarnen bie Torfen ba^in 31t ffufc unb 31t !J 3 ferbe. 
häufig fafjen fogar ihrer 3mei auf ben tfeinen fdjmatyen 
Stoffen. Stucij biete VBeiber ber Umgegenb eitten um 
bon ben Verghängen mie bon einem Stmphitheater bem 
©chaufpiet 3U3ufe^en, ba 3 mit einer Vtoreäca, bem na= 
tionaten Jtrieg§tan3, aufgeführt bon biefen £aufenben bon 
Vtännern, fcf)Iie£en fottte. 9 H 3 Stile berfammelt toaren, 
fteUte ftcfj 5 paoti, bon feinen Vertrauten umgeben, auf einen 
©tein unb ta§ ©a& für ©a| ber Verfaffung bor. ©chtoei» 
genb hörte ba§ Volt barauf, aber als ber belehrte Vtann 
geenbet, brach bie SJtacht ber tang bertjattenen ©mpfin= 
bungen in ftürmifchen ©obioa§ h er bor. Sßaoli bertünbete 
bann, bafj bie Söa^len 3ur Stationatberfammtung in alten 
©emeinben fogteidh angeorbnet toerben fottten. ©0 toar 
$orjtfa fortan ber freiefte ©taat in ©uropa, in ber cibili» 
firten SGßett überhaupt, benn gegen bie feubate engtifche 
Verfaffung hatte er ben ntobernen ©eift ber feinigen borauä. 

3um Stnbenten an biefen großen ü£ag grünbete 5 ßa§cat 
?Paoti an ber ©teile, too er feine ©taat§berfaffung ber= 
tünbete, eine ©tabt. SiicbtS gab e§ 3unädfjft bafetbft, ats 



Digitized by Google 




176 



ftorfifa’S gi-eüjeitSljelb. 



©teintrümmer; bic ©bene ftt’e^ an ba§ Wim, aus bem f)ier 
rotlje Sßorphptttippen emporragten. Stfota roffa tjiefjen fte 
auf italienifdj. ©o foHte audlj ber 9?ame ber neuen ©ee= 
ftabt fein. 

Saljre berftoffen, unb ßorftfa ^ä^tte fte 31 t feinen glfldf= 
lidhften. $er ©egen ber greitjeit, mit 2Bei3l)eit Oerbunben, 
machte biefe toilbe ©ebirgSinfel unter bem blauen $immel 
be3 ©üben§ 3 U einem Politiken S)orabo. (£in Xraum 
ber p$itofop$ifd? gebilbeten SQ&elt ßuropa’S tjatte fid^ ber= 
toir!lid(jt; e3 gab ein gefunbeS, blfiljenbeS ©taatStoefen nadfj 
ben @runbfd|en ber SBolfSregierung unb 9 ftenfdhentoütbe. 
5J$a3cat 5ßaoIi’g tRul)m ging burdj bie 2öeXt ; fein Sßerl 
toar grofj als ein ftoljer SJtartftein ber neuen Seit; fein 
tjoljeä SSerbienft bilbete eS, bafj er, anftatt nach unum= 
fd^rdntter 3Jtad§t 3 U geyen, ficfj aus freiem $lntrieb, um 
bie Söatjrfjeit feiner bemolratifdjen Ueber 3 eugungen 3 U be= 
tätigen, 3 um erften Wiener feines SßoXfeS gemalt tjatte. 
3 n @orte, tooljin er ben ©itj ber Regierung berlegt, lebte 
er äufjerücf) toie ein einfacher ^Bürger. 2Öenn er me^r 
als alle Slnberen bei feinen ßanbSleuten galt, fo toar e3 burdfj 
bie moralifelje fötac^t, bie er auSfibte. 3Jtan bereite ihn 
aufrichtig, Oor ihm beugte fidfj jeher ©ippenljafi unb $rop j 
feine 2Jtitbe unb 23ßei§^eit bereuten alte ©egenfäfce, fein 
2 Bort e^tte man toie ein gerechtet urb toohUhdiigeS Ur= 
t’heit. ©0 fd^uf er ©uteS auch über fein amtlid^eS SÖirfen 
hinaus. 

©ein neuer ©efretdr toar ber junge 9iedht3geteljrte 
(Sarlo 23 on aparte au 8 Sljaccio getoorbett. £er toar 
gar liebeSlratt! um bie fd)öne, blutjunge Sätitia föa* 



I 

1 

Digitized by Google 




93on Sdjmibt'SCBeifjenfete. 



177 



molin o, unb um fo mehr, als i^rc ©Item feine 2öer= 
bung um fte abgefcblagen Ratten. 2)ie Butter beS je|t 
fünfaebnjäbrigen SJtäbcbenS toar eine arbeite ©be mit einem 
früheren ©djtoeiaer Äapitän ftefdj eingegangen, bei borbem 
in genuefifeben 2)ienften geftanben $atte unb au toenig als 
Äorfe füllte, um nid}t füi ©enua immei nodj Partei au 
ergteifen. ©r toar beö^atB auf Sßaoli fcbledjt au fpreeben 
unb toollte feine (Stieftochter nicht einem SJtanne geben, 
bei, toie (Satto S3onaparte, ein begeifterter 2lnbänger unb 
^Beamter beffelben toar. 2118 ©eneral !paoli bon biefem 
Unglücl feines ©efretftr8 au8 beffen SJtunbe hörte, benufjte 
er einmal 1767 einen 2tufentljatt in 2Ijaccio, ma^te bei 
Kapitän ftefcb S3efucb, fab bie reiaenbe Sätitia, unb toarb 
nun fo berebtfam bei ben ©Item um ihre $anb für feinen 
©efretär, bafc bie Sitten enblidj eintoiKigten. SÖatb toar 
benn auch #ocbaeit, unb Sätitia bie fttau S3onaparte , 8. 
Pascal Sßaoti beftimmte bamit, tote toenn er für bie 33or» 
fe^ung gebanbelt, bie ©rünbung einer ftamilie, beren 
tounberbare Sufunft er ftaunenb noch felber erleben foHte. 
2lu8 biefer ßätüia tourbe bie Qfrau, beren Äinber bie 
fcfjönfien ütbrone ®uropa’8 einnabmen, beren atoeiter @obn 
als ©ebieter bon gfranfreicb au<b bie SÖßeltberrfdjaft eine 
Seit lang befafj, unb ein ©obn beS ©ebtoeiaer ÄopitünS 
8?efcb toar eS, ber bei ber ßaiferfrönung feines ©tiefneffen 
Napoleon als Äarbinal celebrirtel 

©in Sabr nadj biefem Vorfall, ber notb fo benftoürbig 
in Pascal ^ßaoli’S Seben toerben füllte, 1768, baute man 
im ©aale beS 2trgierungSpalaaao , 8 bon ©orte einen regel- 
rechten Sbron auf. ©S gef djab Qana heimlich- 2luf bem 

®ibliotf)el. 3a$rfl. 1889. 33b. XU 12 



Digitized by Google 




178 Jforftfa’S ^rei^cit^clb. 

ßager in bent ärmlichen Schfafaimmer beS ©eneralS lag 
ein funfelnagelneuer grüner 9lotf mit ©otbbortenberaierung, 
bie Uniform, ba§ ©alaffeib, baS er fidj l^atte anfertigen 
laffen. @8 ftanb eben ettoaS SlufjerürbentlicheS beöor. Süom 
S3et) bon XuniS toar eine glänaenbe ©efanbtfdjaft mit 
reifen ©efchenfen für ben berühmten unb gefeierten for= 
fifdjen Staatsmann eingetroffen, bie feierlich empfangen 
toerben füllte, unb um biefe toert^boüe £ulbigung beS 
SluSlanbeS noch au mehren, toaren ju gleicher 3eit ein 
paar preujjifche Offnere angelangt, bie im Flamen ihres 
ÄönigS, gfrtebrich’S beS ©rofcen, einen ©h^nbegen an 
©enerat 5ßaoli ju überreichen hatten. Seine Umgebung 
batte ihn, toie febr er auch toiberftrebte, enblicb beftimmt, 
ft<b bei biefer ©elegenfjeit bocb in bem ihm gebübrenben 
©lana eines Staatsoberhauptes ju aeigen, bamit bie grem» 
ben auch i^rerfeitS eine SluSaeicbtmng barin erblicfen füllten. 
S)aber Uniform unb Stfjron. 

Sfn bem Saat, too unter bem Söalbachin ber neue Seffet 
für $aofi erhöbt gegen bie ber StaatSräthe ftanb, Oer» 
fammelten ftch biefetben toie immer in ihrer tooflenen, 
fctjlicbien ßanbeStracbt. Sie toaren nicht toenig betroffen 
über bie neue arifiofratifcbe Slnorbnung, bie ftch ihnen 
geigte, grernbe (Säfte , toelche ftch in Sorte befanben unb 
eingefaben toaren, fteüten ficb ein: englifche unb frangöfifd^e 
Srlottenof feiere, Staliener, fUtattefer, $eutfche; baau bie 
prcufjifche Deputation unb bie in bunter Fracht eingie^enben 
£unefen. $>ann rücfte gar in ftrammem preujjifchen 3Bicf)S 
ein %fyii ber preufjifchen ßegiott toie eine ßeibgarbe im 
Saale auf unb bitbete ba Spalier bis awn Stbron. 9113 



Digitized by Google 




93on 6cf}mibt*2BeiBenfeB. 



179 



biefc Slufftettung bottenbet, ersten ber ©etieral Spaoli in 
feinet neuen, golbgtfinen Uniform. 2)ie ©arben träfen* 
tirten baä ©etoeljr. ©etjr bertounbert, lopffd^üttelnb fa^en 
ftdj bie neun ©taat§rätlje an. $Paoli tourbe fid&tlid(j bet* 
toirrt ; langfam fd&ritt er bem £§ronfeffel au, toie aag^aft. 
21B er SJUene madjte, bie ©tufe baljin emporaufteigen, 
er$ob ftd§ ein btoljenbeä fUiurren um i§n. SDa fd^ojj eine 
tiefe Olötlje in fein ©eficfjt; bekämt Ijob er ben ©effet 
bon ber ©tufe $etab unb ftettte iljn auf ben 0?ufjboben 
neben bie ©tü^te ber ©taaBrät^e. 9lun murmelten biefe 
SSeifatt, baB er eine menfd&tid§e ©d&toädEje übertounben 
^atte. SpaoXi fanb ftdfj fo gut aB möglich mit ber £>ul* 
bigung ber £unefen unb ber $PreuBen ab, bie i$m ben 
G^renbegen überreichten.'- 2)aun, nach ber geierlidhfeit, 
fagte er au feinen ©taaBrdthen: 

„hätten bodj bie Äönige foldhe 9läthe toie idj, bie, 
anftatt ihren ©dhtoädhen au fc^meid^etn, bagegen $rotefi 
ergeben I" 

Sfnatoifcfjen ^atte ©enua feinen 9tadfjefireidfj gegen ba§ 
freie Äorftfa SpaoliB borbereitet, ©enua befafj ba nict)B 
mehr aB bie Gitabette bon Sljaccio, einen Ühurrn im 
SJleere. 91un berfaufte e§ 1768 fein föedht auf bie Sfnfcl 
an Srranfteidfj, unb Subtoig XV. ging auf ben |>anbel ein. 
Gr fdf)idfte Gruppen hinüber, um Äorftfa in franaöfifdjen 
S3eftB au nehmen. Vergebens unter^anbette 5pa?cal 5Paoli 
mit Sfranfreidh, bon feinem Söorfafc abaufteljen; bergebenä 
auch fuctjte er GnglanbS ©dfjuB nach- G§ blieb i§m nichB 
übrig, aB um feines 33aterlanbe8 Unabhdngigleit nodij* 
maB unb nun gegen baä mächtige granfreich au tdmpfen. 



Digitized by Google 




180 



ftorftla’S §rei$eit8$elb. 



©lücttidh Begann ber Ärieg für bie tapferen Äorfen. 
9WeS, maS SBaffen auf ber 3tnfel tragen tonnte, jtettte 
ftdtj begetfierungSüotl in bie Steifen beS SSolfSheeteS. 3n 
ganj ©uropa begleitete man bie Slnffrengungen Sßaoli’S, 
fidh 3 U behaupten, mit hoher Xbeitnabme. gim ©olofluji 
in ber toalbreidjen JBalagna !am eS enblidtj im 2Jtai 1769 
aur ©ntfcijeibungSfchladht. 9ta<h einem mörberifdhen ßampf 
fiegten bie ftranjofen. 3ln ber 33rüdfe über ben 0 rlufj jtanb 
bie pteufcifche Segion unb befd^ü^te bis jum 9leu|erjten 
ben milben föfidaug ber Äorfen. 5ßa8cal Sßaoli muffte über 
biefe SBrüdfe fliehen unb rettete ftdj mit feinen ©etreuen 
in’S ©ebirge. Seine Sache mar hoffnungslos getoorben 
unb baher entfagte er feiner Stellung als ©eneral unb 
#err ber Torfen. Sluf einem englifdhen Schiff begab et 
ftdh halb barauf Oon' $Porto oecd&io aus in’S ©jil mit 
breihunbert anberen flüchtigen ^Patrioten ; baS augefhömte 
Soll meinte am Ufer jum Slbfdtjieb. ©S fah trauernb 
feinen guten ©eniuS baS SSaterlanb berlaffen, ben grei- 
heltshelben, unter bem $orff!a bieraehn ^ahre lang ein 
nie gelauntes ©lücf, ©hre unb Stieben genoffen hotte. — 
©inunbamanaig 3 ahre betfloffen. 3 n gfranfreidh mar 
bie IRebolution auSgebrochen, unb eS lebte in einem noch 
unentmeihten ©nthufiaSmuS für bie errungene Freiheit. 
3hre gelben au ehren, audh mo fte anbermdrtS ihre ßor* 
beeren erhalten, galt für eine nationale Sache. So rief 
iefct bie franaöfffche 9tationatberfammlung ben !orfi|<hen 
SfreiheitShelben SßaScal Sßaoli aus ber SBetbannung nach 
5j3ariS, um ihn unter aufferorbentlidher ©hrenbeaeugung 
feinem S3aterlanbe aurüdfaugeben. 



Digitized by Google 




33on S$mibt*2BeifcenfeI§. 



181 



2lm 3. Slpril 1790 geleitete eine Deputation ber 9ta= 
tionalberfammlung in Paris ben 64jährigen 2Jtann in ben 
©ifcungsfaal, too er mit ^Begeiferung empfangen tourbe. 
©r toar noch rüftig, eine Verehrung einflöjjenbe ©eftalt 
mit langem, gebleichtem #aar über ber h°^ 9 e toölbten 
6tirn, mit einem Slntlifc bon milbem ©rnft unb eblent 
Stolj berllärt. ©r anttoortete in frönet Serebtfamteit auf 
SJHrabeau’S SBegrüjjung mit einem .fppmnuS auf bie 3?rei= 
heit QfranlreichS, beffen (Sohn er nun fein toolle unb beffen 
Äönige er Dreue gelobe. 

2lu8 bem Schote ber 9tationalberfammlung führte man 
ihn unter ftfirmifchem Subel^uruf be8 93olfe§ nach ben 
Duilerien ju Subtoig XVI., in beffen £>anb er ben 6ib 
auf bie franj5fifche SSerfaffung leifiete, unb ber ihn barauf 
jum Präfibenten ber lorftfchen SanbeSberfammlung unb junt 
©eneral ber 9tationalgarbe feiner $eimathinfel ernannte. 

S3on fütarfeille, too ftch fd^on feine alten fotfifchen 
ftreunbe unb ©enoffen eingefunben hatten, brachte ihn ein 
franjöfifcheS ÄriegSfchiff nach ber Sfnfel. 3fm Driumph 
holte ihn baS 93olC ein, baS fchtoärmerifch in ihm ben 
Patriarchen bereite. Unter benen, toelche ihn toie ein 
©hrengefolge auf feinem Dtiumphauge begleiteten, toar 
auch ein junger, 21 jähriger SJtann bon Heiner, gebrun* 
gener ©eftalt, mit langem fthtoarjen £aar nach Pnrifer 
Sfatobinermobe, mit brennenben Slugen in bem gelblichen 
©ejtcht, in ber Uniform eines franaöftfehen SlrtiHerielieute* 
nantS. ©8 toar einer be €>öhm jenes inatoifdjen berfior» 
benen ©arlo Sonaparte, ber einft ber ©elretär Paoli’S 
getoefen, Napoleon Sonaparte. 



Digitized by Google 



182 



ßorfifa’S $reifjeit§ljelb. 



5ßaoli natjm auf tforfüa cttoa bie Stellung eines @ou* 
berneutS ein. 33aXb freitidt) fam ber $orfe in itjm mit 
bem gransofen, ber er fein fottte, in fetteren gtoiefpatt. 
2)ie franaBjtfd^e tftebotution trieb in bie Stromfdjnetlen, 
tootjtn er ftdj nidljt mitreifjen lief*. S)er ßönig toar ent* 
Rauptet toorben, bie neue SKepubti! toarb burdlj ein toatjn» 
toifsigeS 35 tut* unb SdfjrecfenSregiment enttoßrbigt. S)a 
toollte SPaoti nidjt meljr ^ranjofe fein unb Ipett fidfj burdj 
ben Umfturj ber 35ert)ältniffe aud& feines @ibeS, ben er in 
beS Königs £>anb gegeben, für entbunben. (Sr toar barin 
eines Sinnes mit ber forftfdjen Spatriotenpartei, bie nun 
in einer M^Sberfammtung bie Unab^öngigfeit ber $nfet 
unb 5paoti als baS Oberhaupt in früherem Sinne pro* 
ftamirte. 2)ie fransöfifc^e Partei ber Torfen, toelcfie eS 
ben 2fa!obinern na($mad£jte, unb an beren Spifce jid^ je^t 
Napoleon SSonaparte atS Äommanbant eines 35ataittonS 
Mionalgarbe bon 3tjaccio ftettte, protefiirte gegen btefen 
StbfaH, unb ba 5paoIi bont Äonbent in $PatiS atS Staats* 
beträtet erttärt tourbe, fpiette ftdfj ber junge SBonaparte 
jum 33eboIImöd&tigten biefeS 35erbiftS auf unb fud^te fidtj 
3 um ^errn ber Snfet ju machen. $iefer S5ürgertrieg 
enbete im ©ommer 1794 mit bem Siege ber Mional- 
partei, unb Napoleon mufjte mit feiner gamitie nad£> grant- 
reidl) ftüd^ten. 5Paoli aber ftetlte ftdtj unb feine ^nfet unter 
ben Scfmfj ßnglanbS, baS benn audfj t^atfädjlidj 33efifc 
bon berfetben natjm. 

6S toar eine fdjiefe ßbene, auf bie fid£j ber greife 
Patriot baburcfj begeben $atte; er fetbft fatj ein, bafj er 
an 3lntjang berloren Ijatte, unb ber atoeite Xtyxt feiner 



Digitized by Google 




93on S$mibt*2öeij?enfel§. 



183 



öffeniXtd^cn Saufbaljn fcerpfufdjt toar. ©o legte er benn 
ein jtoeite§ ÜJlal bie Oiegierung nieber. ©er Äönig Von 
©nglanb lub tT^n barauf ein, nadj Sonbon 3 U lommen; e§ 
toar ein ^öflid^er 9luf in bie Verbannung ^uxütf, ba feine 
2 lnh)efent)eit anf $orftla ben ©nglänbero, bie ftdj al§ 
Herren bort anfaljen, gefäljrlidj erfdjien. ^3aoXi ergab ftd§, 
in feiner früheren Energie langft unb auch im ©elbftgefflljl 
gebroden, in fein ©$iäfal. 3 roeimal $atte e§ für iljn, 
toie faft immer für menfdjlidje ©röfjen, leine 3 eit gegeben. 

2113 ein Verbannter nunmehr ging er nadj ©nglanb 
jurüd. ©er geächtete Napoleon Vonaparte a 6 er liefj fdjon 
1796 al3 ftegteicfier franjöfifc^er ©eneral bie ©nglünber 
toieber au§ ßorfifa Vertreiben. 

3m ©jil ftarb Vaoli tjodjbetagt am 5. Februar 1807 
3 U ßonbon. Napoleon ftanb um biefe in $aifcrmadfjt 
auf ber |)ölje feines OiuljmeS. ,,©r Ijat unfere SRadje an 
allen ©enen voflaogen," fagte ber ©reis beSljalb nodj Von 
if|m, „toeld&e bie tttfadje unfereS f 5 faUeS getüefen ftnb." 



Digitized by Google 



Ijoduettegtbräudjc in Äften. 

ffitn ß e 1 1 r a g jur $ 5 lh e r hu n b e. 

bott 

X ßertljolö. 

(fflai&brucl btrboten.) 

‘TNie Glje gehört au benjenigen (Sinridjtungen, toeldje bem 
ganaen ÜJlenfd^engefc^Iec^te gemeinfam ftnb, unb toeber 
in ber Vergangenst , nodj in ber ©egentoart tjat man 
irgenb ein Voll gefuttben, fei eg felbft noc§ fo ro$ unb 
unlultibirt, toelc^eS nic$t eine Einrichtung fennte, bie jura 
TOinbeften unferer <5f)e ähnlich fieht. 2Bte aber bag Snftitut 
ber Glje ben Völfern gemeinfant ift, fo ftnb eg audj allerlei 
©ebräud&e unb 3?eicrlichfeiten bei ©djtie&ung ber @lje. 

$iefe Qreierlichteiten ftnb betrieben unb oft bon ber 
fonberbarfien 2lrt. 3in früheren Beton mufcte bet bielen 
Völtern ber Bräutigam bie Vraut rauben, bei anberen 
ntufj er fte tjeute nodj laufen, bei einigen Womabenftämmen 
mufj er fth autn ©Haben feineg ©c^toiegerbatetg machen, 
bei nodj anberen Völlem mufj er groben feiner Stapferleit 
ablegen, bebor er baran benfen lann, eine @$e au fd^lieBen. 
Sßenn toir $eute nur bie in SIften üblichen heiratpgebräud^e 
nftljer betrauten, fo tl>un toir bieg, toeil Elften berjenige 
SBelttheil ift, aug toeldjem alle Äultur flammt, unb in 



Digitized by Google 




f 






WCP 



Von H. Vertljolb. 185 

toelchem toohl auch bic ßhefchliefjung ant längften unter 
getoiffen Seierlichleiten bot ftdj ging. 

Velanntlich gibt eS in ber ganjen Söett, fogar auch 
in Guroba noch, Vieltoeiberei (Volhgamie) neben ber ©injel» 
ehe (Vtonogamie). Vei elfterer ift eS bem Vtanne geftattet, 
meutere Stauen au nehmen, in ben ßinjelehen fchliefjt et 
ben <$hebunb für’S ßeben nur mit einer grau. Vtan 
follte nun glauben, bafc bie Seierlichleiten bei ©djlietung 
einer (Sinaelehe gröber fein müfjten, toeil fte ettoaS «Seltenes 
ift, als toenn ein 5potbgame bie fünfte ober fedjSte Stau 
nimmt, toäljrenb bie anberen noch leben. S)aS ift jeboch 
nicht ber Satt. 3umeift merben fogar bei ben bolbgamifchen 
Völlern bie Gljefdjliebungen biel feierlicher begangen, als 
bei ben monogamifchen. ^ro^bem ift aber auch baS Um» 
gelehrte in manchen Sötten üblich, unb toaS bie Seierlich^eit 
anbelangt, toelche ft<h bei ber (S^cfchttc^ung aeigt, fo IdfU 
ftch nicht einmal ber ßulturaufianb beS betreffenben Volles 
als Vtafiftab anlegen. @S gibt feljr tultioirte Völler, bie 
ziemlich einfache, nüchterne @hef<hliefiungSgebräuche haben, 
unb fehr ungebilbete, toelche biefe Seierlichleit mit einem 
faft poetifchen 3auber umgeben. 

®o j. V. lauft bei ben (S^ittefen, bem fo aiemlidh 
ülteften ßulturboll ber <£rbe, ber Vtann feine Vraut 
toie eine SBÖaare, unb jtoar, ohne fte gefehen ju haben. 
GS toirb ihm burdj einen Vermittler gejagt, too heirathS» 
fähige Töchter ftnb, unb burdj biefen Vermittler jahU 
et an ben Vater ber Vraut ben Kaufpreis, nachbem auch 
bie ßltem beS VräutigamS ihre 3uftimmung ju ber 
(5he gegeben unb mit Renern einen Jftmtralt abgefdjloffen 



Digitized by Google 



186 



£)odjäeit§gdbrfludje in Elften. 




haben. 3n einet berfchloffenett (Sänfte Oßalaitfin) toirb 
bie 33raut in einem feierlichen Slufjuge bem 33räutigam 
jugeführl. Voraus geht eine OTuftfbanbe , ©Haben unb 

toeibticbe SSebiente umgeben ben $ alantin unb tragen ©e= 
fdjenfe, ^freunbe unb 33erteanbte folgen hmtennadj- 93or 
bem £>aufe beS SSräutigamS macht ber _3 U S $alt, öon 
einem Sßertoanbten ber 93raut erhält ber ^Bräutigam ben 
©chlüjfel ju bem ^alantin, er öffnet ihn unb fieht nun 
jum erften 2Jtale feine 33raut. 6r ergreift biefelbe bei 
ber ^anb unb führt fte in ba§ £>au§ ju feinen Gltern, 
öor benen fte ftd) niebertoerfen. 2)ann effen SSraut unb 
^Bräutigam gemeinfam mit einanber, toechfetn bie ürin!» 
fchalen unb baburdh ift bie (5§e gefdjloffen. SDie Ghmef^n 
haben SBieltoeiberei unb h a *ten ihre grauen in ftrenger 
2lbfchtiejjung. 3uft nie bürfen bie (S^inefinnen baS ^au3 
betlaffen. 2fn neuefter 3cit machen jtdj alterbingS bet 
ben reicheren unb bomehmen Sljinefen freiere 9lnfrf)auungen 
über bie Qfyt geltenb. 

2Jtit Gt)ina bertoanbt ift 3 a pan. 2lu<h bei ben 
Japanern ^exrfdjt SBieltoeiberei, aber nur bie erfie Sfrau 
hat eigentlich ftrauenrechte, nur fte barf mit bem Spanne 
jufammen effen, nur ihre Äinber ftnb bie ßrben beä 
SJtanneS. Slud) für biefe 3?rau toirb eine 2lrt ßaufgelb 
an beren SBater gejohlt, aber h«r hobelt e3 ftdfj mehr 
um eine gformalität, als um einen toirtlidfjen $auf. $)ie 
fjfeier ber ^ochjeit gefchieht jumeift außerhalb ber <Stabt 
ober Ortfdjaft in einem frönen Seite, toelcheS, toenn irgenb 
möglich, auf einem £ügel aufgefchlagen toirb. SMefeS 
3dt ift mit einer ßampe erleuchtet, unb auch ein Slltar 






Digitized by Google j 



93on 31. S3ertbolb. 



187 



beflnbet ftdj in bemfelben. SSraut unb ^Bräutigam toerben, 
Sieber in einem befonbeien, mit Odjfen bekannten SOßagen, 
nadj bem £>üget gebraut unb unter ÜJlufiC unb Sfubel ber 
SSertoanbten nadj bem Sette geführt. $ter tritt ein 
5|5riefter bor ben 2lltar, unb toftprenb er mit lauter Stimme 
(Sebete fprid^t , entjünbet juerft ber Bräutigam unb bann 
bie 33raut eine gadel an ber bor bem Stttar brennenben 
|>auptlampe; bamit ift bie Drauungäceremonie beenbet, 
unb bie 9teubermäf)lten empfangen bie ©lüdtoünfdje itjrer 
SBertoanbten. Unterbejj paben am Qrufje be3 -gjügelä bie 
bertoanbten grauen ber S3raut einen ©d§eiterl§aufen er* 
rietet, auf toeldjem bie puppen ber SBraut unb iljr ge« 
fammteS Spielzeug unter einer luftigen §eiertidj!eit ber« 
brannt toerben. 2ln bemfelben f^euer opfert bann ber 5ßriefter 
ein paar £)c$fen unb Sdjafe, um ben «fpeiratljägott günftig 
ju ftimmen, toorauf ba§ junge 5Paar unter ÜJtufi! unb 
ftroljtoden mit ber ^Begleitung nadj bem £aufe be§ 33rüu» 
tigamö aurüdgeffiljrt toirb. 

Sfnbien gilt für bie Söiege be8 2Jtenfc§engef<$le<$teä. 
|>ier finben bei ber |jeiratlj grofje ^cierlidtfeiten fiatt, 
unb im SlKgemeinen §etrfd)t ©injele^e; nur $at ber $nber 
ba§ 9ted)t, feine 3?rau ju berlaffen unb oljne SöeitereS 
eine atoeite ober aud) eine britte au Ijeirat^en, toenn i^m 
bie 9frau leine ßinber gebiert. 2öie bei unä, fo geljt 
aud) in Sfnbien ber $eiratt) eine Verlobung borauS. 58ei 
biefer Verlobung toirb ein Kaufpreis gejault, aumeift in 
©elb, manchmal aber audj in Stutoelen. SDabei ruft ber 
^Bräutigam laut bem SBater au: „Da3 ©elb ift Dein, unb 
Deine Dod§ter ift meinl" toorauf ber Später umgeleljrt 



Digitized by Google 




1 



i88 £o<Bjeit§gebräudje in Slften. 

erflärt: „$a8 ©elb ift mein, unb meine Üodfjter gehört 
5E)ir!" — ©in antoefenber BraBmaneBnt unterbeffen Setzet, 
b. i. 2lte!a=3 f lü|fe, jum Äauen ^ernmgereic^t unb ruft jefct 
au8: „2)iefer Settel bient aum Unterpfanbe, baff biefcS 
SJtäbcBen biefem Btanne berloBt toorben ift."*) 

Slm Sage bor ber ^odfoeit Begibt jicB ber Bräutigam 
in feierndem Slufeuge bot ba8 &au8 ber Braut. «g>ier 
pflanat er einen 5ßfa^X in bie ©rbe, melier al8 #aupt» 
pfeiler für eine nun ^eraufteEenbe offene SauBe bient, 
tooxin bann ber .£>eiratB8alt ftattfinbet. Sn ber SauBe 
toirb ein Slltar errietet unb auf biefem ba8 Bilbnifi beg 
©Begotteg aufgefieEt. 2lm SIBenb toirb bie Braut bon 
ftcBen beiljeirattjeten grauen getoafd^en unb gefd^müdt unb 
aufammen mit bem Bräutigam in eine offene ©änfte ge= 
fefct, in toelcBer fie, Begleitet bon SJtufi! unb bem SuBel 
ber Bertoanbten, einen Umaug in bem Orte galten. Slm 
näcBften borgen ftnbet bie eigentUdtje £odf)aeit ftatt. Bor 
bem Slltar berfammeln fidj bie ^od^aeitggäfte, unb ber 
BraBmane berrid^tet tytx ©eBete, toorauf er bon bem 
Slltar ein au8 eblem BtetaE ^ergefteEte8, fonbetBareg 
Slmulet, „Salp", ba8 3ei(Ben eBelicBer Sreue, nimmt unb 
baffelBe bon jebem ber antoefenben ©äffe mit einem ginger 
Berühren löfft. S)ann Bängt er unter ©eBeten bem Bräu- 
tigam ben Salt) um ben &al8, toorauf biefer iBn aBnimmt 
unb ber Braut umBangt. Sn biefem SlugenBlidfe ifl bie 

*) BelamttlicB ifft in bent größeren SE^eile bon Snbien ba3 
BetBelfauen in ©ebraucB, toie bei unö bo§ Sabaftaud&en, bent 
iebocB nidjt nur bie SJTüitner, fonbem aucB bie grauen aüer ©tänbe 
Bulbigen. 



Digitized by Google 



SBon 91. Sertfjolb. 



189 



©Ije unauflöslich gcfchXoffen. SBei einaelnen Mafien SnbienS 
foE eS früher üblich getoefen fein, bafj ber SBraut, getoiffer« 
tnafcen jum Opfer für bie ©ötter, toährenb ber $eirath3= 
ceremonie bie oberften ©lieber beS Keinen unb beS ©otb« 
ftngerS bom SPriefler abgefchnitten tourben. ©in ähnlicher 
©ebraudj finbet fich nur noch bei getoiffen Stegerftämmen 
SJlittelafrifa’S. 

2fn Sibet fpiett bie Slfirotogie eine grofje IRoUe bei 
ber ©hefchtiefmng. ©in Santa (b. h- ein trieft er) beobachtet 
bie ©eftirne unb erfunbet, toelcher Sag ber günftigfte aur 
©hefhliefjung fei. 3ft ein günftiger Sag fefigefteHt, fo 
begibt fich ber SBräutigam in baS J^auS feiner ©djmieger« 
eitern, unterfdjreibt ben ©heiontratt unb beftreicht bann 
bie ©tim feiner SBraut mit SButter. Sann begibt er fich 
mit ihr in feierlichem Stufauge nach bem Sempet, um 
gemeinfam ©ebete au berrtchten, unb bie ©he ifi gefdjloffen. 

3fn SBirrna finbet bie ©hefchliefjung ohne ^ilfe eines 
©eiftlichen ftatt. ©ie ifi lebiglidj ein bürgerlicher $ontratt. 
28iH ein junger SJtann fich um bie ^anb eines SJläbchenS 
betoerben, fo frägt feine fütutter heimlich erft bei ben ©Item 
ber SBraut an, ob ein Slntrag ©ehör finben mürbe. SBirb 
er nicht abgetehnt, fo begeben fich einige greunbe beS 
SSräutigamS in baS |>auS ber ©Item ber SBraut unb fetjen 
bort ben ©fjefontralt auf. Sarauf fchidCt ber SBräutigam 
am SJtorgen ber f?ochaeit brei fSfrauenröde, brei ©chärpen 
unb brei ©tücl SHuffelin; ifi er reich, fo fügt er noch 
©otbfchmuc! unb Sutoelen h^nau. Sann begibt er fich 
in baS £auS ber ©hmiegereltern, unteraeichnet ben ©he« 
fontratt unb ifjt barauf gemeinfam mit ber SBraut auS 



Digitized by Google 




190 



$oc§§eit§öebräuc^c in Elften. 



berfelben Sdjüjfel unb bon bemfelben ©eridbte. <£rft bietet 
bie 33raut bem Bräutigam p effen an, bann forbert ber 
Sejjtere bie SSraut pnt (Sffen auf, unb burdj biefe ©eremonie 
gelten fte für bermätjlt. 

3luf ben oftinbif eben Unfein ftnben toir bie fonber* 
barften ©ebräucbe, unb allen boran fiebt toobl Sumatra, 
too man auf nidjt toeniger alg brei berfcbiebene Slrten 
beiratben tann. Sie erfte 2lrt ift bie £eiratb burdj bag 
Sfujur, b. b- burcb ben ß'auf. Sie Summe, bie für eine 
grau gezahlt toirb, beträgt ungefähr 400 2Jtarf, brauet 
jebodj nicht fofort erlegt p toerben, fonbern getoßbnlidj 
pblt ber Bräutigam nur bie eine Hälfte, bie anbere im 
Saufe ber Qtfy. Stirbt bie grau, fo b a * er nur ettoa 
pei Svittel p p$len. Sie religiöfen ©ebräudje ber» 
pflichten jebocb pr galjlung beS ^ujurg nic^t nur ben 
^petratbenben felbft, fonbern auch beffen (Srben. — Sie 
ätoeite 3ltt ber §eiratb b e iBt Slmbelana unb beftebt eigent= 
lieb bartn, bajj fidj ber Scbtoiegerbater ben Bräutigam 
tauft. Sie gamilie beg 23räutigamg jablt nämlich an ben 
Scbtoiegerbater beffelben nur eine fleine Summe unb be« 
gibt ftcb aller 9te<bte auf ben jungen Sftann. Ser Scbtoieger« 
bater fcbladjtet einen SSüffel pr geier beg Sageg unb gibt 
bem Spanne feine Sodjter pr grau, bebält ibn aber je^t 
im £>aufe unb bertoenbet ibn pm SIrbeiten. 2lHe8, toag 
ber Sdjtoiegerfobn ertoirbt, gehört bem Scbtoiegerbater, 
ber ibn auch toiKtürlicb toteber berabfcbieben tann. SBitt 
er aber aug ber Stlaberei beg Sdjtoiegerbaterg b erauS * 
tommen unb feine grau unter anberen SSerbältniffen b<ü“ 
ratben, bann mufj er bag oben ertoäbnte gujur, b. b- ben 



Digitized by Google 



3?on 51. SBertbolb. 



191 



Kaufpreis jaulen, jebod§ nur bann, toemt feine grau Bisher 
feine Söttet gehabt Bat. £>at biefe Bereits eine £odjter 
mit ihm gehabt, fo ^aben auf ben gufünftigen Kaufpreis, 
ber für biefe gejault toirb, bie ©rofjeltern ein Anrecht, 
unb ber ©bemann mufj biefeS feinen Sdjitoiegerettern erft 
abfaufen. — 2)ie britte 2lrt unb SBeife p fjeiratfjen, 
Bei|t Semunbo, bei toeldjer faft nach europäifcher 9lrt unb 
Söeife bie 9ie<hte bon 9Jtann unb Frau fontraftlidj feft» 
gefefct toerben, unb nur als Formalität eine gan^ geringe 
Summe gejagt toirb. 

(Sine fe^r umftänbtiche F^r toirb bei ben «^od^jeiten 
auf Saba bor genommen. S)er SBräutigam, toeldtjer in 
feinen meinen SUtuffetin gef leibet ift unb einen mit toeifeen 
23 turnen unb ©olbbtechen berprten Turban trägt, bon 
toeldtjem toieberum lange feibene 23änber bis pr ßrbe ^erab* 
flattern, begibt ftch, begleitet bon Fadfetträgern, Xanjern, 
93tufifern unb Freunben, nach bem |>aufe ber 23raut. 33or 
biefem ift ein befonbereS gelt auf gef plagen, in toeld&eS 
ber 23ater ber 23raut biefe auf feinen 2lrmen bineinträgt. 
2)ie 23raut ift ebenfaHS fe^r fojibar in meinen fütuffetin 
gefleibet, mit ©olb, Äetten unb Gingen gefdfjmüdft unb 
trägt ebenfalls auf bem $opf toeifje Stumen unb ©olb* 
bleche befeftigt. Sie ift jebocfj perft PoUftänbig in Sinnen* 
tüd^er eingefdfjtagen unb toirb fo betpllt bor ben SBräutigam 
gebracht. 3toei $riefter benähten ein ©ebet unb fragen 
ben Bräutigam, ob er bie 23erhüHte p feiner Frau machen 
tooHe. SBejabt er bie Frage, fo toirb bie 23raut entfdjleiert, 
unb eine gleiche Frage an fie gerichtet. Sft auch ihr 3a 
gefallen, fo erheben bie 2lntoefenben ein tauteS Subelgefchrei 



Digitized by Google 




192 



.§oc&$eitSflebrftu$e in Elften. 



unb Staut unb Sräutigam betoetfen fid& abtoecbfelnb mit 
toei|en Slumen. Sann nehmen fte ihre Stumentränae 
ab unb fefcen fie ftcb gegenfeitig mieber auf, ttinfen auS 
einem gemeinfamen Setzet biennal je einen Keinen ©dfjtutf 
SJtitdb, unb enblid^ ergreift ber Sräutigam bie Sraut unb 
fdjtmngt ftd§ mit <£)itfe feiner greunbe auf baS bor bem 
gelte barrenbe Sßferb, um auf biefem nach feiner SSobnung 
ju eiten. Sie greunbe unb Sermanbte ber Sraut reiten 
i^m nadj, als tooltten fie ihm feine grau toieber abjagen, 
inbeB banbeit eS fidb hier nur um eine gormatität, unb 
unmittelbar nadjbem ber junge ©bemann feine grau nadj 
feinem &aufe gebraut bat, tebrt er mit ibr toieber nach 
bem £>aufe ihrer ©Item aurüdE, too ein ©aftmabt bie geier 
befcblieBt. 

Sei ben SabatS auf Sorneo barf ein Sräutigant 
nicht eher toerben, als bis er einem geinbe ben Äopf ab« 
gefdjlagen b Q t. Siefen mufj er feinen ©(btoiegerettern 
boraeigen, toarauf er am nädbften Sage feine Sraut abboten 
barf. 6r erfdjeint mit feinen greuttben bor ber Sbftr ber 
Sraut, too ibm bie redete £anb mit bem Stute eines 
<f?abne§ befiridtjen toirb. Sie Sraut ift unterbeB ebenfalls 
unter bie £$fir getreten, unb nadbbem auch ibr bie |>anb 
mit bem Stute eines ^»ubnS beftridjen toorben ift, reidbt fie 
ihrem Sräutigam bie «£>anb, toorauf fie als bermäblt 
gelten unb bann ein gemeinfameS 2Jtabt batten, ©tirbt 
einem 2Ranne bie grau, unb er null a« einer neuen ®b c 
fdbreiten, fo muB er erft toieber ben $opf eines toeiteren 
geinbeS befdbaffen, bebor man ihm bie neue $eiratb geftattet. 

9luf ©e^ton berrfcbt ©inaetebe, unb biegrau nimmt 



Digitized by Google 




Bon 91. Bertljolb. 



193 



eine burcfjauä Würbige Stellung ein; nur ber Oform falber 
toirb ein ICeiner Kaufpreis für fte an i$re ©Item entrichtet. 

Bor ber ^ochjeit finbet bie Aufnahme eines ^eiratljSton» 
trabteS ftatt, in Weldjem ba§ Bßitttljum ber 3?rau, ba§ 

Vermögen, toeXc^eS fte erhält, Wenn fte gefd£)ieben Wirb u. f. W. 
genau feftgefe|t ift. Slm ^odjaeitStage fteEen bie ffreunbe, 

BerWanbten unb Wiener beS Bräutigams unb ber Braut 
Dar beren <£jaufe eine 2Jtenge Stangen auf, bie mit langen 
Bßimpeln unb granfen aus Weifjer unb rotier Baumwolle 
gefdjmüdft ftnb. 5Daau werben ©eWeljre abgefdwffen unb 
laut gefungen, unb ber 3>ubel Dar bem |jaufe ber Braut 
Wirb am lautefien, Wenn ber 3uQ beS Bräutigams na'ht. 

3m 3uge be§ Bräutigams beftttben fiel) minbeftenS fedhatQ 
bis achtzig Xrommelfcljfäger unb ebenfo biete Bewaffnete mit 
Schwertern, aujjerbent reidj gelleibete grauen, meiere ®e= 
fdjenfe für bie Braut tragen, ferner SDiener, welche baS |>auS= 
gerät!) für bie 9teubermätjlten bringen. SDer Bräutigam 
felbft reitet auf einem reidjgeaierten Sßfevbe, neben iljm 
feine beiben befien f^reunbe, nnb hinter i^m in langem 
3uge bie aur |wd)aeit gelabenen ©äfie. 3ft Bräutigam 
bor bem <£>aufe ber Braut angelommen unb abgeftiegen, fo 
tritt bie Braut mit einem ©efäfj mit Söaffer aus bem 
|>aufe unb Wäfcfjt bem Bräutigam bie 8?üjje. darauf 
nimmt fte ihn bei ber «£>anb unb ffiljrt i|n au if)^n ©Itern. 

<£>anb in <£>anb treten fte barauf Wieber auS bem ^aufe, 
too er fte auf fein Bferb nimmt unb fte nun, Wieber be- 
gleitet bon bemfelben Su8 e > mit bem er antam, nach 
feinem ^aufe geleitet, .fpier Wirb brei £age binburdj bon 
ben ©äften mit Sdjmaufm unb Rubeln ^ochaeit gefeier 

SSibliot^cl. 3a^rg. 1889. S8t>. XII. 13 

■ -*-'Digitized by Google 




194 



£>o$äeit?0ebräudje in Elften. 



33 ei ben großen 9 tomabent>ölfern < *XJlitteIafien§ ^errfd^t bie 
Sßielmeiberei, unb man berechnet bmt beit 9 teicf)thum eines 
Cannes nicht nur nach ber größeren Sünjaljt feinet Äameele 
unb 5 pfetbe, foitbern auch nach ber Stn^aht feiner ßinber. 

SBei ben Äatmüdfen beftimmt ebenfalls bet ^rieflet 
burch befragen bet ©trtne ben |>0(h3eitStag , an meinem 
bann bie ßinfegnung beS SBrüutigamS unb bet SBraut ftatt» 
finbet. daS äßidjtigPe aber ift, bap bie neue |>ütte, in 
mefcher baS junge fßaat mofjnen fott, eingefegnet mitb. durch 
biefe Crinfegnuug ift bie 6^e gefdjtoffen, unb eine gtope 
©«hmauferei beenbigt bie gan^e 0?eietlid^feit. 

die IHtgifen 3af)len für bie SBraut einen Äaltjm, 
b. h- einen Kaufpreis, meldet 3toan3ig bis hunbert 9 iubel 
betrügt unb theilmeife ber SBraut als SluSfieuer üon iljtcn 
Eltern mitgegeben mitb. der fUtofla, bet Sßiiefter, fegnet baS 
fPaar ein, unb läfjt beibe Steile öffentlich bie fragen beant» 
motten, ob fie einanbet ^eirat^en motten, ob bie liocbgeit 
auch richtig öerabrebet fei. ©inb biefe fragen bejaht, fo folgt 
eine grofje ©djmauferei unb ein Üanj, bei meldjem jebccf) 
SJtänner unb grauen abgefonbeit tanken. die Jön^e bet 
dünner finb lebhaft unb fchneK, bie bet grauen unb 
EJtäbchen tangfam unb jurüdf^altenb , auch müffen bie 
grauen unb fDlübdjen p<h mühtenb beS danjeS baS ©eficht 
mit beiten |>üttben bebeefen. 

SBei ben anberen ftomabeuöölfern, bie man inSgefammt 
unter bem tarnen dataren begreift, pnben 3itr geier 
einet -fpodfoeit noch SBettrennen unb Sßfeitfchie|en ftatt. 

diejenigen SBölfer SlpenS, meld§e an bet ffiorbfüfte, 
inSbefonbete am ttötblid^en ©iSmeete mohnen, gehören mit 



Digitized by Google 




Sott 91. Sertholb. 



195 



ju ben untultibirteften. 2Bir föntten un! baljer auch nicht 
tounbern, toenn mir bet ihnen bie tfrrau in ben traurigfien 
Berljättniffen finbett. 9 lm traurigsten aber ift bie Sage 
ber gfrau bei ben ©am oj eben. |mr gilt bie Stau für 
unrein unb für ein Sßefen, bal fo tief unter bent Stanne 
fteht, bafj el biefen nicht einmal anreben barf. SDie ftrau 
hat felbft in ber £>ütte einen befonberen Staunt, ben fie 
ohne ßrlaubnifj bei Stannel nicht überfdjreiten barf. ©ie 
barf nie mit il)m 3ufammen effen, unb manche ©erichtc, toie 
ber ßopf bei Stent^ierl, ftnb ihr gänjHch unterfagt. $a, 
fie barf nicht einmal, rnenn fie beloben toie ein ßaflt^icr 
hinter ihrem Spanne her!euci)t, el toagen, in feine Orufjftapfen 
3U treten, fonbern mufj feitmärtl bon biefem einen Steg 
fich mäljlen. 

Unb hoch ftnbet man felbft bei biefem Solle befonbere 
Umftänblichfeiten, ehe au einer @he fiefchritten tnirb. 9 iu<h 
hier jtahlt ber Bräutigam einen Jtalbrn, b. h- einen $auf 3 
preil, toelcher itibefj nicht in (Mb, fonbern in Stenthieren 
gegeben toirb, je nach ber ©chönhftt ber Braut bil 31t 
hunbert ©tfief. S)er Bräutigam fucht fid) einen Bermittler, 
ber für feine Bemühungen ein. Sieniljier erhält, befteigt 
mit biefem unb einer Strahl bon §reunben feinen ©chlitten 
unb fährt bor bie SBohnung ber Braut. 2 )et Bermittler 
fteigt bort ab, begibt fich 3U ben Eltern ber Braut, um 
bei biefen feinen Slntrag 3U machen. Stirb er aurüdgetoiefen, 
fo entfernt fich befc^ömt bie gan3e greierfchaft. Stirb ber 
Bermittler bagegen angenommen, fo befpridjt er mit ben 
(Htera ben ßaufpreil für bie Tochter, unb fd)liefjlid) tritt 
ber Brautbater h«aul, um auch ^n Bräutigam 3U biefer 



Digitized by Google 




196 



.§odjseit<§0ebrfiuc$e in Elften. 



Serathung in’ä |>au£ 311 laben. toirb ein beftimmter 
2ag feftgefetjt, an meinem bet Kaufpreis gezahlt toirb, 
bon bent ein Xijeil ben toeiblicfien Sertoanbten bet Staut 
3ufäHt. $ft bet $alt)tn ftftgefe^t, fo Betoirttjet bet Schmieget* 
batet ben Stäutigam, toät)tenb bie toeibtichen Sertoanbten 
tanken imb fingen. 2 >amt ermahnt bet Sater bet Staut 
ben jungen ©bemann noch, feine grau gut ju behanbetn, 
uttb überreicht ihm bie SluSfteuet bet Tochter, toetche un- 
gefähr bie Hälfte beS gezahlten tfaufpteifeS beträgt. $er 
Stäutigant entfernt ftch batauf, ohne feine Staut mit ft<h 
3u nehmen; biefelbe toirb Oietmehr erft am nächften £age 
öon fremben grauen gepadtt, auf einen Schlitten feftge- 
bunben unb nebft ihrer 9 tuäfteuer bem Sräutigam augeführt. 
Der Sinftanb erforbert e§ babei, bafj fich bie Staut, toährenb 
fte auf bem ©chlitten feftgebunbeu tft, möglichft ungebetbtg 
Beträgt unb fich f° Biel at§ möglich fträuBt. 

S)ie ^anttfchabalen tauben ihre Sräute, rhne einen 
Sreiä 3U jahUn, jeboch ift toohl an^unehmen, baff eine 
getoiffe Ueforeinftimmung 3toifdf;en ben ©Itern bet Sraut 
unb bem Sräutigam ftattfinbet. 2 >er Sräutigam lauert 
in bet 9 lähe ber SBohnung bet Sraut auf ben Stugenblicf, 
too er biefe allein fteht, um fie 311 ergreifen unb mit 
©etoatt fort^ufchleppen. 2luf ihre Hilferufe eiten aber alle 
Söeiber h^bei, bie ftch in ber 9 tähe Befinben, fchtagen tapfer 
auf ben Sräutigam lo§ unb ihn auch tootjt in fcie Stiuht. 
Staunet biirfen ftch an biefer Sertheibigung ber Sraut nicht 
betheitigen. ©etingt e§ nun ben Söeibem toieberhott, 
folche Siauböetfuche be§ Sräutigam^ afyjufchlagen, fo faun 
biefer bie Sraut nur bann erhalten, toenn biefe auSbtücf* 



Digitized by Google 




Bon 21. Bertholb. 



197 



Itd^ ihren Bertheibigerinnen etftärt, bafj fie freimütig mit 
bcm Btanne gehen tooüe. 2 )ie $amtf<habaten leben in 
Bietmeiberei, unb ihre Ghen, bie ohne toeitere OFeftlic^teiten 
ftattfinben, finb feine unauflöslichen. 2 )er Btann famt 
nach belieben feine $rau öexlaffen ober biefelbe Uneber 
fortjagen, um fich eine ober mehrere anbere 3 U nehmen. 

S)ie Valuten haben bie Bietmeiberei, bodj erhält 
bie erfte ^rau ftetS ben Borrang bor ben auberen. 2BiH 
ein Bräutigam ftd) bie Braut h°lcn, fo fcf)Xad^tet er 
einige ©tuten unb bereitet beren Jlöpfe mit einer ©auee 
3 U, toorauf er baS (Scridjt 3 U feinem ©chtoiegerbater in 
beffen $urte (3elt) trägt. Gr bringt gleichzeitig einige 
3 obel* unb guchsfeüe als ©efchenf mit unb hängt fie 
ebenfalls in ber glitte feines jufitnftigen ©chtoiegerbatcrS 
auf. SDiefeS Ueberbringen Uon ©efdjenfen mufs mit einer 
getoiffen |>eimlichfeit gefächen, unb ber ©djtoiegerbater 
ihut auch 3 uerft, als beachte er bie ©efdjenfe gar nicht. 
9tach einiger 3eit aber toirb bie Braut, beren $opf gattj 
mit Hermelin bebedt unb öerfchleiert ift, nach ber Starte 
bcS S3räutigamS geführt, unb ihr bort bie Belüftung 
abgenommen. 2)ann führt ber Bräutigam feine junge $rau 
nach ber Surte beS ©cbtoiegerOaterS aurücf, unb eS erfolgt bort 
unter ©djmaufereien unb fteftlichfeiten bie öffentliche ^ochjtit. 

©o betoeiSt ein jebeS Bolf nach Btafjgabe feiner Kultur 
burch bie fjeicrlithfeiten , mit benen eS bie Gtjefdjtiefjung 
umgibt, toie fehr eS ftch ber Bßidhtigfeit biefeS BorgangeS 
für ben Qfortbeftanb beS ©tammeS, ber Nation unb beS 
BtenfchengefdjtechteS überhaupt betoufjt ift. 



Digitized by Google 




Der O'tolbftfd] uttb feine pflege. 

$ r a k 1 1 f d) e U) i n k e 

son 

3. ijctimual)!. 



(9lad}brucf öerboten.) 

freute au ber 9tatur, ihrer Schönheit, ihrem reifen, bunt- 
O betoegten ßeben unb Sßeben ift $n allen 3 ^ten ein 
betborragenber 3 ug be§ Üttenfä&engefchtecbteS getoefen unb 
geblieben bis auf ben blutigen £ag. Sbnt fofgenb, fdbmütfen 
U)ir nufere Sfenfter mit btiibenben ^flanjen, gefammett in 
Sßiefe unb 3 dur, ober toeit f^r bezogen aus fernen fiön» 
bern, pflegen bie iTinber 3 ftora'§ in unferen ©ärten unb 
tauften bem ©efange ber S3ögel. Unb tueit e§ nid^t Sebent 
oft bevgönnt ift, braufjen in freier 9tatur feine ßiebtiitge 
auf^ufud^en, b^^n toir biele jn un§ b^akge^ogen, batnit 
fie ihre Pfleger erfreuen, fei e§ bureb ib*en ©efang, fei eä 
bureb ibt l^eitere§ f an^iebenbeS ÄBefen. 

Unter ber großen 3df)l ber £>ausfreunbe au§ bem 
9teid)e ber Spiere b°ben befonbers ^toei e3 berftanben, int 
Saufe ber 3 eü ficb bie ©unft SUIer 3 U ermerben. beliebt bei 
Sung unb Sttt, im *Palafie be§ dürften mie im £>aufe beä 
23ürger§ ftnb — ber $anarienbogel unb ber ©olbfifdj. 

SDie £>eimatb beä Unteren ift ©b^> in toeldhent feit 



Digitized by Googl 




S3mi 3. £>eimrt)afjt. 



199 



uralter Seit bie langaopfigen Söhne beS tymmlifcfjen 
9iei<heS ftch bamit Oergnfigen, in prachtvollen SSafen baS 
aietliche Qrifc^c^en au unterhalten, au aäbuten unb mit 
feiner Fütterung, mit ber ^Beobachtung feiner anmutigen 
SBetoegungen bie Seit ftdj a u bettreiben. SSon bovt ift er 
in ©uropa eingeführt morben, unb a^ör au Slnfang beS 
17. 2fahrhunbert§ nach Portugal; in gfranfreidj mar er 
au ©nbe biefeS 3tahrhunbert8 audj fdjon au fhtben, aber 
immer noch febt feiten, benn eS ift belannt, bafj man ber 
$Pompabout, berüchtigten 3lngebenlenS, @olbfifcb<hen als 
etmaS 2luf}erorbentticheS fchentte. 3m 18. Sahrtjunbert 
lam er nadj ©nglanb, unb nun mar feine Saufbahn ge* 
fiebert; rafdh Verbreitete er fiefj über 2)eutfd)lanb, bie 
3?tanaofen führten ihn nach ib v en Kolonien mit unb heute 
erftredt fidt) fein 33etbreitung«!reiS über bie ganae ©tbe, 
fomeit biefclbe bon gebilbeten 9)tenfd}en bemohnt ift. 3n 
ben märmeten Säubern ift er Völlig ^etmifcf) gemorben; 
auf 2JtauritiuS belebt er alle ffltiffe unb Seiche. Seine 
Sucht mirb im ©tofjen betrieben, unb bei ber meitverbreite* 
ten Siebhaberei unb bem fortbauernben SBoblgef allen, toeld^eS 
bie Schönheit beS ©olbftfcbeS ermedt, ift fte burdbauS 
lohnenb, lohnenber als bie Südjterei jebeS anberen fffifdjeS, 
ba bei geeigneter ©efjanblung bie ©olbfifebe im Saufe eines 
Sommers oft öiermal aum Saichen fehreiten, unb baS Stüd 
im ©rofjen bodj immer noch btS au aeljn Pfennig beaahlt 
toirb. $nt ©inaelverfauf fchmanft ber $reiS atoifchen aman* 
5 tg Pfennig unb einer SJtart, je uad) ©töfje unb Sütbung. 

©ine SBefdjreibung beS ©olbftfd^eS a« geben, bürfte faft 
überflüfftg erfcheinen, ba fomotjl fein SleufjereS mie feine 



Digitized by Google 




200 



$er ©otbfijch unb feine pflege. 



SebenStoeife begannt finb. ©r gehört aut Familie bet 
Karpfen unb ^at mit biefen größeren SSertoanbten ben 
hoben, feittid) aufammengebrfidten Körper, ben fteinen, 
aabnlofen SJiunb, bie toeit gehaltenen Äiemenöfjnungm 
unb bie toeidffttapgen Stoffen gemeinfam. $n ber Söt* 
bung toecbfett er fefjr, bont fd^önften $rebS= unb 3wnobet* 
rotb bis jum tiefften ©djroara unb emailglänaenben Sit* 
ber. S)odj taffen fidj butcb aufmerlfam betriebene 3ud)t 
mehr ober toeniget beftänbtge Waffen errieten. 

Stiebt untoitttommen bürfte eS ben aabtreidjen Sieb* 
Ijabern bon ©olbftfeben fein, toenn mir ihnen in folgen* 
bem einige brattifdje fRat^fd^töge ettbeiten, toetebe pr be* 
fritbigenben unb erfolgreichen Söartung unb pflege berfetben 
bon Stufen fein tönnten. 

SltS ©olbfifebbebälter finb am tjäuftgften bie fogenann* 
ten Äugelaquatien im ©ebraueb, b Q tbrunbe ©efäfje aus 
©laS, bie auf einem unterBebenben Suffe befeftigt finb. 
Unb toenn biefelben genögenbe ©tö|e bdfon, entffjreiben 
fie ihrem 3u>etfe aud) bottfommen. Steuer ftnb fte nicht, 
fonbern in ben ©tastoaarenbanblungen aum greife bon 
gtoei bis brei SDtar! au taufen. Stuf jeben Sifd) xechnet 
man atS Minimum ein Siter SBaffer. SSeffer ift eS jeboeb 
unb auch angenehmer, toenn ihnen mehr aur Verfügung 
fteht. Hub toenn man mehr als atoei ober brei SBetoohner 
in feinem Stquarium hatten teilt, fo teilte eS entfebieben 
ein S3ortbeit, ftatt beS J?ugelgefä|eS ein tteineS haften* 
aquariunt au toähten. Stiebt allein, baff bie ©eftatien ber 
Stf<be nicht beraerrt erfdfeinen, toie bei ben gebogenen 
SBänben ber ©laStugel, eS täfjt fleh oueb leichter ein bureb» 



Digitized by Googl 




Sßon 3. Jpetmroafct. 



201 



brocEjener pfeifen unb eine entfpredEjenbe 3lngal)l bon SBaffer» 
pfXattaen barin unterbringen. 

Gin $elSftüdE tfl ben gnfdEjlein fe^r angenehm; fie 
tummeln fid^ um baffelbe Return, fdEjtoimnten einanber 
nadj unb bergnügen ben 3ufdjauer burdfc biefe munteren, 
oft lange 3 e ü fortgefefcten ©piete ungemein. S)ie fangen 
aber finb gu intern SBoljlbefinben fe§r förberlidj. S33ie 
belannt, atljmen bie Snfdje burdfj Jfiemen. S)od) ift eS 
leineStoegS baS Sßaffer, toeld^eS fte in ftcfj aufnetjmen, biel* 
nteljr bebürfen audj fie, toie alle lebenben SBefett, beS 
©auerftoffeS. 9lber nur in geringer fütenge, barum fterben 
fie, toenn fte aus bem Söaffer genommen toerben, toeil 
bie atmofpl)ärifdE)e ßuft baS ©aS in gu großer fDtenge 
enthält. 31§nen genügt baS geringe Quantum ©auerftoff, 
baS im Sßaffer aufgelöst enthalten ift. ©o lange baS 
SBaffer nod£) gur ©enüge bon bem belebenben (Safe ent= 
Ijält, füllen unfere ©olbftfctje fidEj too^l; fobalb aber bie 
fütenge abnimmt, toerben fte unruhig, fteigen an bie Cber= 
pdfje unb fdEjnappen ängfilid^ unb aufgeregt nacE) £uft, 
bie fte bann in Slafen burdfj ben fütunb ober bie dienten 
toieber bon fidj geben. S)ieS bebro^lid^e 3eid)at ift für 
ben Söürter eine bringenbe Slufforbetung, baS berborbene 
SBaffer fdjleunigft burcfj frifdjeS gu erfefjen. Unb toeil in 
tleinen 33et)ältern eine foldje (Erneuerung meift jeben Xag 
nöttjig, bie Slrbeit aber nidEjt feiten fetjr lüftig ift, fo 
bürfte eS ftdj tool)l empfehlen, ^Regeneratoren im SBaffer 
felbft angubringen, toeld£)e eine fo oftmalige (Erneuerung 
unnötig machen, inbem fte baS berbraud^te ©auerftoffgaS 
immer toieber burdE) neues erfeijen. 



Digitized by Google 




202 



$)er ©olbfilh imb feine pflege. 



Unb folche ftnb un3 in ben fpflanjen gegeben. 9ticht 
allein, ba£ ba§ lebenbige, too^tt^uenbe ©rün eine recht 
hübfche 3ier ber 3?e^ättex abgibt, hangen auch bie ^flanjeu 
int «Sonnenlichte forttoährenb Sauerfloff au§. ber ben 
gifchen böllig genügt. Sch habe int Slquariunt einige 
Saichfvautpflangen (Potamogeton crispus unb gramineus) 
unb brauche ba§ S&affer bieHeiht nur alte 3 toci Monate 
einmal ju erneuern, toogegen früher, obfchon täglich mit» 
telft eines feinen 23lafebatge§ ßuft in ben SBehälter ge* 
pumpt tourbe, eine ameimaligc Erneuerung in ber SBocfc 
nicht au umgehen mar. S5iefe fpflanae, toie nicht minber 
ber aierliche SBajferhahnenfufj (Batrachium) unb baä |>orn* 
blatt (Ceratophyllum) ftnb in jebent Xcidje au tjaben, in 
ben Imnbctägärtnereien auch anbere amtliche ©etoähfe au 
laufen. Unb e§ börfte ftch empfehlen, auch in ben llei= 
neren ßugetaquarien eine fßflanae anaubringen. Eä ijt 
bieS fehr leiht. SDer 93oben beä Äugctgfafeä mufj hoch 
immer enttoeber mit reingetoafhenem glufjfanbe ober liebten 
Riefeln bebeclt toerbeit, toetl fenft bie fhleimigen 5lb* 
fonbetuttgeit ber fjifd^e ba» SBaffer auf betn ©ruttbe ber* 
unreinigen. 2)a nun bie SÖafferpflanaen meift mit beut 
bcitlbar fterilfien 93oben borlieb nehmen, fo genügt e§, 
toenn toir unter ben ©anb eine bünne ßage Xeichfchtamm, 
Moorgrunb ober auch fette ©artenerbc bringen, barein bie 
fpflan 3 e fepen unb nun bie Äicfetlage barüber auäbreiten. 
Sn ben tleinften ^Behältern ift Solgenbeg 3U empfehlen. 
2öir nehmen eine recht Siermufhel ober ein 

©hnccienhaul, füllen e3 aur Hälfte mit (Schlamm unb 
brüefen bie SBuraeltt ber fßflanjen barin feft, berfchlie|en 



Digitized by Google 




93on 3- £>eimiuat)I. 



203 



bic Ceffnung mit einem ßiefelflüd, legen ba? <&an 3 e in J 3 
Slquarium, unb bie 5pflan<je mirb fröhlidj meitermnchfen. 

SBann ba? SCßaffer erneut rt merbnt rnufj, ergibt ftdj 
Dort felber. ©obalb c? anfängt, gelb 3 U mcrbrn, mirb 
man fchon au? äftljetifcf)en tftiidfichten für eine frifdje, 
helle Füllung ©arge tragen. Uebrigen? finb bie ©olb* 
fifd^c nic^t fo entpfmblich, mie gemöhnlid) angenommen 
toirb. 3 cfj habe in einem Slquarium bie latere üom ©ep= 
tember bi? Slpril gehalten, ohne ba? 2 Daffer 3 U erneuern; 
3 toar mar e? trübe, aber bie ^flan^en Kjäudjten immerfort 
neuen ©auerftoff au?, unb bie fjifche blieben recht munter. 
$n biefem §rüt)linge erneuerte idj in einem $aftenaqua* 
rium ba§ SCaffer. Slufjer Wafern, in ber ©djlammfdbicht 
im Söinterfdhlafe ruhen ben Surdjen unb ©chnedcn enthielt 
baffetbe brei ©otbftfcfje, einige $araufdjen , ©tiäjlinge, 
©djmerlen, ©tünblinge unb nod) anbere Heinere fjifche. 
911? ich am auberen borgen nadbfal), fanb ich 3 U meinem 
©taunen unb ©chreden fämmttidje ©chmerlen unb ©rünb* 
linge tobt, bic ©tidjtüige mit bcm £obe ringeitb, nur bie 
$araufc|en unb ©olbftfdje fchmammen mohlgemuth burdh 
ba? SBeden unb erbettelten ftd; ihr Butter. SDa? 2Öaffer 
" be? 33runnen? mar burdj irgenb etrna? öcrunreinigt mor* 
ben; bie für fo jart gehaltenen ©olbfifdjchen fdjeinen alfo 
bei 2 öeitent nid^t fo entpfinblich 31 t fein, mie ihre frei* 
lebenben 3$ermanbten. 

SDie? fdhliejjt jebod; nidljt au?, bafj aud) bei ihrer 
SBartung Söorftdjt nie aufjer Sicht gelaffen merben barf, 
ba ihre Slbtjärtung, mie anbererfeit? ihre SöeichUchfeit, 
fehr oft eine Qfolge ber Sudljt ift, mie e? ja audh unter 



Digitized by Google 




204 



‘Set ©olbfifcb unb feine pflege. 



unferen ßanarienoögeln (Sänger gibt, bie ^)t|e unb $ältc, 
fffeudbtigfeit unb fRauch o^ne Staben ertragen, mohin* 
gegen anbere bei bem geringften Slnlaffe Reifer toerben unb 
ZU jeber ilranffjeit ^tnneigen. Sfene 2)ame meiner 23efannt« 
fd^aft mar aber bodj im Srrthum, al§ fie glaubte, in 
berfelbcn Söeife, mie fie ihrem ßiebling3pubel unb ihrer 
feibenmeichen 2lngorafa|e mit mohltiedbenben Sßäffern ba§ 
fffett einrieb, nun auch ihrem ©olbfifdbpaar einige tropfen 
fRofenöl in ba§ Söaffer träufeln ju füllen. $£iefe maren 
Pon ber fonberbaren ©unftbezeugung feljr menig erbaut, 
unb ber 5Duft be§ föftlidfjen fßatfümg töbtete fie in für« 
3er Seit. 

5Die Fütterung unferer ©olbfifchdben ift eine einfache. 
Söeit ift bie Meinung Perbreitet, als bebürften fie gar 
feiner fttafjrung; nach mehrtägigem haften aber fernen auch 
fie ftch ganz Per^meifelt nach frifcher ©peife. SOßir ftreuen 
itjnen jeben £ag eine fßrife ©rieäförner in ba§ Söaffer; 
bie meinen Hörnchen quellen auf unb merben fehr gerne 
genommen; auch ©emmelfrumen unb Cbtatenftücfcben er- 
halten fie. fOtehrmalS mödbentlich ftnb bann noch einige 
geriebene Sfmeifenpuppen (9Imeifeneier) ober Heinere fRegen* 
miirmer «ju geben. 25o<h finb fie in Ermangelung ber 
^(eifdbfoft auch mit Pegetabitifdber fRahrung zuf rieben unb 
befinben fidb burdbauS mobl babei. ©ehr muff man ftdb 
hüten, in ber Fütterung be§ ©uten juPiel zu thun; bie 
übtiggebliebenen fRefte faulen bann im SCßaffer unb er» 
Zeugen einen miberlichen ©cbleim, ber auch ber genügfamen 
©olbfifdbnatur nicht gefallen fann; abgefehen baPon, bah 
leicht eine unzählbare fDtenge ^nfuforien in biefen fReften 



Digitized by Google 




58on .ftetmroabl« 



205 



entfielt, bie ben ©auerftoff beg SBafferg a u i^rer (Sntmidfe* 
lung gebrauten unb iljn ben tftfdjcn entaieljen. 

SBidjtiger nocfj als bie Fütterung ift bie Temperatur 
beg 2BafferS. Mt ober bodfj minbefteng rtic^t über 14 ©rab 
fott ba§ Söaffer fein; barum audfj fteKe man ben ©olb* 
fifdt)be|älter in ein ungeljeiateg 3 immer, ober bocfj im ge» 
traten bicf)t an’g fünfter. S)ie meiften ©olbfifcfje geljen 
3 U ©runbe, toeil bag SBaffer au toarm ift. Unb meifteng 
finb eg bie tarnen, benen itjr guteg £er 3 ^ter oft einen 
fdjlimnten ©treicl) fpielt, menn im Söinter fogar eine bünne 
6 igfcf)icf)t fict) auf ber Cberfläcfje beg Slquariumg anfefct. 
©0 audfj mar eg mir in früheren Salden ergangen, füteine 
alte <£>au§mirtljin fonnte eg gar nid^t faffen, mie idj bie 
aUerliebften Tljierdfcien fo gana oerlaffen unb allein in ein 
leereg Zimmer ft eilen fonnte, anftatt fie 3 U mir in bie 
marnie ©tube au nehmen. Me 33elel)rungen, aUeg 5lug» 
einanberfefcen, bafj bie gana anbere Söefen feien, alg 
etma bie Sßögel, bafj fie falteg Slut befifcen, moljingegen 
bie Sßögel unb ©äugetljiere marrneg, i^nen alfo bie Mte 
burcfjaug nicfjtg anljabe, im ©egentljeil, bie Sßärme ifjnen 
fcfjaben müfjte, frusteten nidjtg. 3 mmer ^atte fie ben 
©intoanb: „Söenn mir bie Mte fpüren unb $unb unb 
Äafce bmter ben Cfen friedljen, foKen benn bie atmen 
nadften Orifd^c^en nicfjtg baoon füllen? Unb baau fdfjmirn* 
men fte in bem eiftg falten Söaffer!" 

2 öie idj fürstete, fo gefdjalj eg. 2 llg icb eineg Slbenbg 
fcon ber Steife amüdffeljrte , empfing midj bie Sllte mit 
PöEig öerblüfftem ©efid^te unb taufenb ©ntfd&ulbigungen, 
fie l)abe eg gut gemeint, böfce eg niefjt länger übet’g <£>era 



Digitized by Google 




206 



Ter ©olbfifd) unb feine pflege. 



bringen lönnm u: f. tu. SDie ©olbfifdje tuaren färnrntlidj 
tobt. ©ie l^atte fie in ihre ©tube geholt unb bort in bie 
tftäp be$ Ofen§ gefieHt, tuie idj bermuthete, fogar tuarmes 
Gaffer in bie ©djale gegoffen. 

3 m ©cmmer tuähle man al§ ©tanbort für ba§ Slqua* 
rium ben üihlfien $lap, toenn irqenb möglich auf einer 
fieinernen fyenfterban! an bei* fftorbfcite. häufiger ntujj 
bann frifdjeS SBaffer gegeben tuerben, ba ba§ bortjanbene 
3 « jctjnell bie Temperatur ber umgebenbeit ßuft annimmt. 

S3ei richtiger pflege tuerben bie (Solbfifche fe^r ja^nt. 
©ie lernen ihren härter lernten unb tommen herbei, um 
ihm Krümchen au§ ber -fpanb ju neunten. 9tur mujj man 
fich pten, fie mit ber $anb 31 t berühren. 3Da3 bertrageti 
fie nid)t unb tuerben fep fdjeu barnad;. Tarum audj mufj 
man jte, tuenn ba§ 9lquarium geleert tuerben fott, ent= 
meber mit einem Keinen s 7le^e herauSuehmen , ober aber 
e§ nur fotoeit leeren, bafj bie {yifd;e noch in einer 2 öajfer= 
fdjicht auf bem Sßoben bleiben fönnen. 3Die ©olbfifdje finb 
fep gefeltige Thiere, tuie bie meifien ipel @ef<hlechte3 ; 
e§ ift alfo nicht gut, einen allein in einem ©efiifje 311 
galten; atuei bergnügen ftch barin fep; bie Trennung öon 
einanber aber überleben fte getußplid) nicht lange. 

Söerben in biefer SGßeife bie Tierchen forglid) gctuartet, 
fo finb unb bleiben fie munter unb lebhaft unb tummeln 
fich bergnügt im Slquarium umher. üDurcf) ipe anntuthigen 
SBetuegungen, ihr tued)felnbe§ fjrarbenfpiel , ba$ namentlich 
im ßichtrefleje aufteuchtet in golbcnem ©dümmer ober 
reinem ©Überglänze, erfreuen fie ihren -fperrn. 



Digitized by Google 




H ö m i f ri) c S o l b u t f n. 

f) i ft o r t f dj e 

von 

X ßnMnsjkt). 



(9tadjbru<! Verboten.) 

\VJan Pflegt im Mgemcinen ba§ „Ariden" unb „Slbridj» 
* tcn" bet ©olbaten, ben „©amafdjenbienft", fomie bic 
ftreiige SDigjiplin für eine ©rftnbung ber neueren geit p 
galten. Sldcin fetjr mit Unredjt. 28o immer Äultur* 
fiaaten befianben, fei e§ in Elften ober Europa, ba gab 
e§ audj ein tooljletngeübteä, ftreng bi^iptinirte» ^eer, 
unb ber Unteroffizier „fdjtaudjte", „amiebelte" ober „flriejte" 
feine Seute fo gut bei ben fdtafebontern 2l(eranber’$ be§ 
©rofjen, toie bei @äfar’3 ftegreicfjen Segionen, ba ber 2)rid 
eben einmal bie ©runbtage oder 3)i§äiplin ift. 

Sa, bie betfpiellofen Grfolge ber römifdjen 9Imuen, 
bie im Saufe eine! SaljrtaufenbS ^ur Utitertoerfung bci= 
nalje be§ ganzen bantalä befannten @rbfreifc§ füfjrten, finb 
jum nidjt geringften Steile auf 9tedjnung ber militürifdjen 
9l6rid)tung unb ftrengen 3Di§ziplin «ju fejjen, toeldje im 
Vereine mit ber Gmatjrung ber fyelbljetren uub ber tapfer» 
feit ber ©olbaten bie ünübertoinblidjleit ber Segionen bc» 
grünbete. 2>ie alten ©efdjid§täfdjTeibet geben bei jeher 



Digitized by Google 




208 



Stßmiffe Solbaten. 



Gelegenheit biefer Slnfift Slusbrucf unb ertlören bic ftrenge 
3 ud)t be§ ^>eere§ gerobcju at 8 fiferfie SBürgffaft für 
ben fjortbeftanb be§ Staates. 

@8 ifi baljcr nur begreiflich , bafj trofc aller Umtoäl» 
jungen in ben politifdjen 9Scrl)öUniffen bie mititärifdje 
S)i3jiplin biefetbe blieb, ob nun, tote im republifaniffen 
Diom, ba 8 «£>eer auS freien ^Bürgern beftanb, toetdje nadj 
S5eenbigung eines fjfelbjugeg jum Ijeitnattjlidjen £erb 3 U* 
rfief lehrten, ober, toie bieS feit SluguftuS ber gfaH toar, 
au 8 SBerufSfolbaten, bie oft bis an bie SftoeHe beS Greifen* 
alterS unter ben Söaffen blieben. 

Vergleicht man bie militäriffe 3 )i 83 iplin ber Störner 
mit berjenigen, bie in ben mobernen Armeen ©eltung h&h 
fo fpringt fofort ein prinjipieEer Unterfchieb jjtoifdjen ba= 
malS unb heute in bie Slugen, nämlif bie Sfatfafe, bajj 
ber römifche Krieger nift nur 3 U militärifdjen Uebungen 
Verpflichtet toar, fonbern auch im auSgebchnteften SJtafje 
3 U öffentlichen Arbeiten h er öttge 3 ogen tourbe. 25ie großen 
Strafen, toelfe baS SReich in allen Stiftungen burdj« 
freuten, unb auf beren un 3 erftörbarer ©runblage ftf 3 um 
3feil noch je|t ber Verlehr betoegt, fie ftnb baS Söeil 
ber römiffen Segionen, bie ebenfo gut mit Spaten unb 
Äeße, toie mit Sftoert unb Sanae umjugeljen öerftanben. 
Theater unb S3äber, Tempel unb ©eriftShaHen erhoben 
fif in ben entfernteften $robin 3 en neben ben militäriff en 
Stanbquartieren, unb ba bie Siegeln bon ben Solbaten 
felbft gebrannt tourben unb mit bem SegionSftempel ber« 
fehen toaren, fü läfct ftf au 8 ben zahlreichen Ueberreften, 
bie im Saufe ber 3ett babon 3 U £age geförbert tourben, 



Digitized by Googl 




S3ort % 53ubtn§jf9. 



209 



auch bon bcr frieblichen 3$fttigleit ber einzelnen (Sotpä 
ein beutlidheä 33ilb getoimten. ©etbfi burdt) Äulturarbeiten 
in großem SflaBfiaBe, tote bie fRegulitung bet 9tilmün= 
bungen, bie Ciintfumpfung bet Ufer beö Sßlattenfee’S unb 
bie Slnpflanaung bet Sßeinrebe in gftanlreich, am tRfjein 
unb in Ungarn ertoarBen ftdtj bie römifdfjen ^Bejahungen 
einen $lnfpru<h auf ben S)anf ber 2ttit= unb 9lachtoelt. 
3n Beaeichnenber SBeife ifi auch bet lateinifdfje 9tame fiit 
4pcer, nämlich exercitus (exercere = üben) bon biefet 
raftlofen S^ätigfeit h er 9 en ommen, Bie als ein «fpaupt* 
mittel aut ßrhoftung ber miUtörifc^en S)i§aiplin angefehen 
tourbe. 

2)ie ©runölage ber 2)i§aiplin toar ber Blinbe ©e^or» 
fam be§ ©olbaten feinem 23orgefetjten gegenüber. $et 2ln= 
führet hatte unbefchrünfte ©etoalt über SeBen unb £ob feiner 
Gruppen, ein ©runbfah, ber fdjon im Btoölftafelgefeh aus» 
gejprodjen toirb unb ber a u alten feiten Ber tömifdjen 
©efchichte unerfchütterlich f eftftanb , fehr aunt Unterfchiebe 
bon 2lthen, too theoretifch a toat baffetBe Sßrinaip galt, in 
2öir!lid(}leit aber Qfelbherren, bie fich burch aUau grofje 
©trenge mißliebig gemacht hatten, nach Beenbeter 2lmtä= 
führung häufig bor baS SSotlägeridjt gebracht unb berur* 
theilt tourben. 2113 ©cipto einft in ©icilien gefragt tourbe, 
toie er e3 toagen lönnte, mit fo toenig Gruppen nach $ar= 
thago hiuüberaufegeln, anttoortete er, inbem er auf bie 
gerabe ejerairenben ©olbaten aeigte, ba{i e3 unter biefen 
deinen gebe, ber fich nicht fofort auf feinen 93efehl bom 
hödtjften S^hutnte h^rabflür^en toürbe. 

SSerlehung beS militürifdhen ©ehotfamä tourbe bähet 

93ibliotf)el. 3afjrg. 1889. 93b. XII. 44 



Digitized by Google 




210 



ÜRömitdje Solbaten. 



ftetS auf baS ©trengfie gea^nbet, fel 6 ft in gälten, too ber 
Sdhulbige auf einen gtüdftidhen (Stfolg au feiner föedjt-- 
fertigung ^tntoeifen tonnte. ©o tiefjen ber SDiftator 3 ßoftu« 
miuS XubertuS unb ber ßonful £üuS SJtantiuS ihre etge* 
nen ©öbne binridhten, toeil ftdf) biefetben gegen ihren aus* 
bräcfli^en S5efe^X in ein, toenngleidh ftegreidheS ©efedjt 
eingetaffen Ratten. Slucb 5papiriuS Gurfor toollte ben 
Slnfübter ber ÄabaHerie, CuintuS ffabiuS, föpfen taffen, 
toeil er trop beS 33erbote8 au fämpfen, einen ©ieg über 
bie ©amniter erfochten batte, unb eS beburfte ber 33er* 
toenbung be§ römifdhen ©enateS unb 33olfeS, um ihn bon 
feinem Qmtfdhtuffe abaubringen. 

ßS ift habet teine leere 5p^xaTe , toenn ber römifcfje 
9tedfjtSgelebrte 5ßautu3 in temiger SBeife bemerft, bajj bie 
militätiftbe 2)i3aiplin bei ben Siömern älter fei als bie 
Siebe au ben Äinbern. SDie ©träfe richtete ftdh ^äuftg 
nadh bem Stange unb bem Sitter beS ©dbutbigen, unb 
Stefruten ober junge ©olbaten toutben toeniger hart Qe* 
ftraft, als ^bargen unb Veteranen, bei benen man ein 
lebhafteres 33etoujjtfein ihrer 33eranttoorttidfjteit borauS* 
fe|eit fonnte. Xrunfenbeit galt als SflilberungSgrunb unb 
bermodhte bei manchen 33etbredhen fogar bie barauf gefepte 
ÜTobeSftrafe in eine SeibeSftrafe umjutoanbeln. 

2 )a ber ©olbatenftanb ein ebrenbolter mar, fo toaren 
bie Slngebörigen beffetben audb bon getoiffen ©trafen, 
toeldbe als entebrenb angefeben unb bornebmtidh bei ©Haben 
angetoenbet tourben, ausgenommen, ©ie tonnten 3 . 33. 
nicht jut Strbeit in ben 33ergtoetfen, aunt $rcua ober 
©algen, aum Äampf mit toitben Spieren berurtbeilt toer= 



Digitized by Google 




33on ?t. ©ubinSjft). 



- 211 



beit, ©eägteidjen burfte bei ber Untetfudjung ntilitärifcber 
SSerbredjen bie Oroltex nid^t aur Slntoenbung fornmen. Doch 
erftrecften ftdj biefe Slorrecbte ttic^t auf Ueberläufer ober 
auf fibtmbflidC) SDegrabirte, uttb toutben toobl au<b fonft 
bon eigeumäibtigen ^Befehlshabern bättfig mißartet. 

Ein römift^eS 31tilitärfirafgefeß6u<b, tote eS o^ne gtoeifel 
beftanben bot, ift nitbt auf uns gelommen. 3)otb ftnben 
fttb bei lateinifcben unb griecbifdjen Slutoren aa^treid^e 9iatb= 
timten berftreut, aus benen fi(b ein aiemlidj genaues SBitb ber 
militftrifdjen 2)iSaiplin ber Körner getoinnen läßt. 2113 leidj* 
tefte ©träfe erf<beint bie castigatio, baS „Sltifcbnauaen", 
toorunter man jebe 2lrt bon 33ertoeiS ober Ermahnung ber» 
ftanb, bie natürlich nur bei gana leidsten Vergeben, toie ettoa 
einer geringfügigen 9lacblüffigfeit im SDienft in Slntoenbung 
fam. ^anb in |>anb bamit ging oft bie SluStbeilung einer 
feineren ober fd^ted^teren Nation, toie namentlich bon 
©erfienbrob ftatt Söeiaenbrob, ein beliebtes Mittel, um 
berfioeften 9tefruten baS SSerftänbniß beS „langfamen ©ebrit» 
teS" ju eröffnen. 2)aran fehltest ftcb baS 2ttarf<biren 
mit bereitem ©ebädf, gana toie bei uns, bie 3uer= 
lennung außerMenftlicber, oft gana unnüßer Arbeiten, 
toie baS ©raben unb Söieberaufcfjütten eines ©rabenS, 
ferner Slrrefi, ©olbabaug ober baS ßambiren einaelner 
©olbaten unb £rubbentbeile außerhalb beS SagerS. ©elbft 
eine ganae 5lrmee mußte einmal auf Söefebl beS ©enateS 
aur ©träfe für eine 9tieberlage, bie fte bur<b Äöntg ^rrbuS 
bon EbiruS erlitten batte, ben SQßinter unter gelten außer» 
halb ber getoöbnlicben ©tanbquartiere aubringen. 

3u ben härteren ©trafen aä^lte Me Einreibung in 



Digitized by Google 




212 



SRömifcbe ©olbaten. 



ein niebrigereS ©orpS, toetd^eS für mtttber attgefeben galt 
ober too ber SDienft befcbmerlicher mar, mie bie Serfefeung 
beä kaballerifien sur Infanterie, be§ Sfnfanteriften au 
ben leisten Hruppen ober ben ©cbleuberern. 3umeilen 
rnufete auch ber alfo SDegrabirte ohne SBaffen int Slrofe 
ober unter ben befangenen ntarfchiren (ameite klaffe beä 
©olbateuftanbeS). 

Sei SSeitent fcbintpflicber toar natürlich bie toötCige 2lu2= 
ftofeuttg au§ bent <£>eere, melche ftdj unter ber IRepublif 
in ber ftorm OoHaog, bafe ber beneral bent betreffenbett 
©olbaten bor ber gront fagte : „3>ch bebarf deiner ©ienfie 
nicht mehr," toorauf betfelbe au§ ber fReibe treten unb 
feine Stoffen, milüärifcbe Slbaeicben unb felbft bie ©<hube 
oblegen rnufete. ©in mit ©chintpf entlaffener ©olbat 
toar bann auch im bürgerlichen JBebett ebrloä, er tonnte 
lein 2lmt betleiben, burfte nicht in fRom toobnen, ja 
tonnte felbft nicht in feine ^etmattj aurücffebren, ba bent 
©brlofen 9üentanb ein Obbad) gemährt hätte , unb bte 
©djanbe mar fo grofe, bafe chriftliche ©olbaten, bie ihres 
©laubenS halber fchimpftich faffirt morbett, aunt Reiben» 
thunt aurütffeljtten , um mieber in bie fReiben ber Slrtttee 
eintreten au tönnen. 

körperliche Sättigung mar eine ©träfe, mefdje häufig 
in Slntoenbung tarn unb nicht nur über ben gemeinen 
©olbaten, fonbern auch über ben Offtaier berhängt toerben 
tonnte. 6. 9lureliu8 ©otta a- ®. liefe feinen Sermanbten, 
ben Tribunen 2lureliu8 S ecu niola, meit er ftch mährenb 
ber Selagerung bon ßipari gegen fein Serbot in einen 
kantpf eittgelaffen hatte unb gefchlagen morben mar, mit 



Digitized by Google 




$on 91. ®ubirt§jft). 



213 



9tuthen ftreidjen unb begrabirte ihn hierauf gum gemeinen 
©olbaten. Die milbefte Srornt bet Äörperftrafe maren 
(Streike mit bem föebholaftab be§ Zenturionen, toaä nichts 
ZntehrenbeS an ftdj hotte. £$?ür fchimpftidjer gatten Stutzen* 
firekhe, namentlich aber ©totffdhläge, metche ber lex 
Porcia gemä§ aufjer im Kriege nur bei ©Haben, nicht 
aber bei freien ^Bürgern angetoenbet merben burften. Die 
Strt ber SSottjiehung biefer ©träfe, metche bon ^otpbiuS 
aiemtich genau BefthtieBen mirb, hot Sleljnlichteit mit bem 
fpäteren ©piefjruthenlaufen, inbem nämlich ber Delinquent, 
nachbem ihn ber DriBun mit feinem ©tabe leicht berührt 
unb baburch getoiff ermaßen für bügelfrei erüärt tjotte, 
olSBatb bon ben übrigen ©olbaten mit Knüppeln, ©töcfen 
unb ©teinmürfen au SBoben geftiecft unb fo grünblich Be= 
arbeitet mürbe, bafj er babei meiftentheitS ben @eift auf* 
gab. Defertion, grobe 9tachläfjigfeit im 2Bachtbienft, SBer» 
taffen be§ *Poften3, äöegmerfen ber SOßaffen, DieBftaht, 
falfdjeS .Beugnifj unb ähnliche fdhmere Verbrechen pflegten 
in biefer SBeife geahnbet au metben. 

2tu<h Vertuft ber bürgerlichen Freiheit !ommt als 
©träfe bor. ©o mürbe im 3?al)re 138 b. Zljr. ein Cffijier 
ber römifchen Slrmee bor SJhtmantia, Z. VtatienuS, meldfjer 
heimlich feinen ^often bertaffen hotte, baju berurtheilt, 
bor ben Slugen ber neu eingeftellten Vtannfdbaft, um biefer 
atä abfchredtenbeS Veifpiel au bienen, mit Ütuthen geftrichen 
3 U metben. hierauf mürbe er um ben 5JJreiS einer ©efterae 
baS ift ungefähr 16 Pfennige (bieS mar bie legale Qrorm 
ber ftftiben Ääufe) an ben *ßrofurator ber 9tepuBlif ober 
öffentlichen 2ln!läger berlauft, fo bafj VtatienuS atoar 



Digitized by Google 




214 



SHömifcbe Soibateu. 



feine ftreibeit berlor, ohne jebod^ bet ©Habe einer be= 
fiimmten Sßerfon merben. Sludb Äaifet Ssüalentinian 

mottte einmal bie ganje ßoborte bet Sataber toegen einer 
burdb bie ©ermanen erlittenen ©cblappe al§ ©Haben ber= 
laufen unb fonnte nur burdb bie Fürbitte beg gefammten 
Eeereg unb ba§ 23er[precben ber ©djulbigen, bie ©cbarte 
algbalb augjumeben, befänftigt merben. 

S)ie gemöbnficbe £obegfirafe, toeldbe auf allen SSerbredben 
fdbmeter Statur, fotoie auch auf leichteren 33ergeljen im 
SBieberljolunggfalle fianb, mar bie ©ntljauptung , bie 
unter ber SRepublit mittelft beg 33eileg, in ber Äaifer^eit 
mit bem ©dbmerte boHjogen mürbe. S)ie Einrichtung 
fanb ftetg aufjerljalb beg IBagerg, bor ber porta decumana 
ober bem rücfmärtigen 23 >or bejfelben ftatt. 2)ort mürbe 
ein ©toben bon gefefjticf) beftimmter SBreite unb üiefe 
gegraben, ber bem ©ernteten auch als ©rab biente. 3n 
biefen mu|te ber Verbrecher hinabfteigen, unb eigene ©ol* 
baten, speculatores geljeijjen, ober auch ©labiatoren, bie 
atg ©Haben beg ©eneralg ba<$u beorbert mürben, boft= 
ftredtten unter Slufjtdbt ber Tribunen ober ©enturionen 
bag Urtljeil, nadbbem, mie bieg audb in tJtom bei Eib* 
ridbtungen üblich toar, burdb ben ©dbaH ber Xrompeten 
bag Reichen baau gegeben morben. Voreilige f^lucht unb 
offenfunbige Seigbeit, Verlaffen ber Offiaiere , S)efertion 
bor bem geinbe, ©pionage, grobe Snfuborbination unb 
Meuterei mürben in biefer SEÖeife beftraft. 

Eatte fidj ein ganjeg ©otpg eineg fdbmeren Vergcljeng 
fchulbig gemacht, fo bafc bie 3^1 ber Verbrechet ju gtofj 
mar, um fie alle bem 5£obe au überliefern, fo trat bie 



Digitized by Googl 




Von fllfreb Steljner. 



219 



rotten, fo ift bodh toenigftenä ^eutjutage ein förmliches 
gufammentoirEen bon gefaulten Verbrechern, eine bauernbe 
Drganifation be§ ©aunerttumS nur unter ben befonber§ 
günfiigen Verhältttiffen einer ©rofjftabt möglich. 

Vtandherlei Vachridhten über biefe Crganifation ber in 
ftdh böEig abgefdhtoffenen Vßett ber getoerbämäfjigen Ver- 
breiter bringen Xag für £ag in bie Oeffenttichleit, bon 
bem eigentlichen Vßefen biefer Crganifation jebodh, bon ben 
fiaunenätbertljen kniffen, ©etlichen unb hänfen, ben faft 
unenttoirrbar gefchür^ten gäben unb Verhungert, toeldhe 
bie Verbreiter bon ^ßrofeffiott in einer Vßeltftabt unter* 
einanber berbinben, pflegen bie breiteren Seichten ber 
Vebölferung !aunt eine 5it«^ng 31 t hüben, obgleich eS 
offenbar ift, bafj, je mehr man in ber ßenntnifj beS toirf* 
liehen SöefenS ber Verbredhertoelt fortfdhreitet, man ftdh 
befto mehr bor berfelben ju fdhü|en toiffen toirb, toätrenb 
im ©egentljeit gar manche grebelthaten atoeifeltoS nur 
bunt bie Unfenntnifj unb Unachtfamfeit ber Vetroffenen 
ermöglidht toerben. 

Unter biefen ©efichtSpunften mufj man bem anonhmen 
Verfaffer eines VudheS befonberen 3)anl toiffen, ber jum 
erften Vtate „S)ie Verbredhertoelt bon Veriin"*) in einer 
abgerunbeten, bon eingeljenber ©adhfemttnifj jjeugenben 2 )ar* 
ftellung breiteren Greifen borgeführt tot. 2 lu§ biefen SDar* 
fteUungen geht beutlidh h^bor, baff in feinem Kriterium 
beS mobernen Verb r eit erttumS ba§ ©etoerbSntäfjige unb 
Organifatorifdhe feiner 2 lrt fdhärfer aum Slusbruif gelangt, 



*) Vetlin. ©uttentag’3 Vertag. 



Digitized by Google 




220 



Sie Spraye ber ©attner. 



als in ber f) 6 d)ft (harafteriftifdjen Sprache bei ©auner, 
tote fte ftdtj aus Keinen Anfängen mehr unb tneljr au einem 
gana befonbeten unb hbchfi abfonberlidfjen Sfbiom ent* 
micfelt ^at. 

©etoifj toitb eS öon jeher in bet 3 unft bet Verbrechet 
nid^t an geheimen ©tlennungS* unb Sßortaeicijen gefehlt 
haben, bie nut ben ©ingemeihten befatint toaren. Ste 
eigentümliche Sprache jeboch, tote fte gegentoärtig untet 
ben ©aunern ejiftitt, ifi eine burchauS ntöbetne ©rrmtgen- 
fdhaft, töie benn insbefonbete bie ©aunerfptache unferer 
9iei<hSl)auptfiabt gana einzig bafteht, infofern als fte nidljt 
einmal — tote baS bodfj 3 . 33. in $atiS unb Sonbon bet 
3?aE ifi — unferet Vtutterfprache entflammt, fonbetn 
ftemben ©inflüffen ihre ©ntfiehung öerbanft. 

SßoEen mit ihren erften Anfängen nachfpfiren, fo haben 
mir uns in ben SSegtmt unfereS SfahrhunbertS, unb a^ar 
unter bie jübtfdfje 33eböl!erung ber SProbina 5ßofen aurüdE- 
auberfefcen. SDort gab es a« biefet 3eit „eine in fidj eng 
abgefchloffene, übet bie ganae Vrobina beratoeigte $afte bon 
Sieben, bie nut bom Siebfiahl lebten, ihre Äinber au bem* 
felben aufaogen, nur innerhalb ihrer gamilien ftd^ bet* 
heirateten, infolge beffen halb fämmtliche untereinanber 
bertoanbt maten unb ihr faubereS ©etoerbe, ihre Stabi* 
tionen, ihre Äniffe unb ©etoohnheiten bon ©efdhledjt 3 U 
©efchledEjt bererbten." 

Sa|j biefe, fietS in 33anben auftretenbe SiebSgefellfchaft 
eine „erfpriefjlid§e" ^ätigleit mebet auf bent platten ßanbe 
noch in ben Keinen 5probinaiaiftäbten auf bie Sauet ent* 
falten lonnte, ifi leidet begreiflich. 3 n großen Stübten, mo 



Digitized by Google 




S3on Ufreb Steiner. 



221 



bie (Saurier unbefannt toaren unb fich in ber Menge betloren, 
Ratten fie toeniger au befürchten, entbecft au toerben. ©ie 
bereisten atfo — auf eigenem fjfuljrtoer! — bie Orte ihrer 
berbrecherifchen ü^haten , an benen borauSgefanbte ©päher 
bie günfiigen ©elegenheiten fd^on auSgelunbfchaftet Ratten, 
liefen Söagen unb Vferbe in einem Verftecf bor ber ©tabt 
autütf, boüführteu ihre meift fetjr einträglichen ©inbrüche 
unb Ratten bei Morgengrauen bie beraubten Quartiere 
fdjon Meilen meit toieber im SRücfen. 2>iefe SftebSfaljrten 
führten bie Sßofener Sinbret^er burch gana SDeutfchtanb 
bis VreSlau, granffurt am Main, Hamburg unb toeiter, 
inSbefonbere aber in bie £aupt= unb Stefibenaftabt Verlin. 

Valb ftettte eS ftch jeboch fjerauS, bafi eS toeitauS 
atoecfbienlicher fei, toenn einige ihrer Helfershelfer ihren 
fiänbigen SBohnftf} an ben Hauptpläfcen ihrer ©aunereien 
hätten, unb fo tarn eS, bafj bie geriebenfien jener ©auiter 
fich in ben grojjen ©täbten auf ©runb gefällter tarnen 
unb S)ofumente nieberliefjen. Stuf Hefe SQBeife erhielt auch 
Verlin in ben atoanaiger unb breifciger Sahren unfereS 
SaljrhunbertS einen nicht unbeträchtlichen 3utoachS an 
ruffif<h»polnifchen Suben, bie ben SDiebftabl profeffionS= 
rnäfjig betrieben. Söelche Vebeutung unb Verbreitung fie 
attmähtig Qetoannen, geht fdjon a«r ©enüge aus einem 
Vroaeffe herbor, ber im Slnfange ber hiesiger Sah« in 
Verlin ungeheures Sluffehen erregte. sticht toeniger als 
520 Vefchulbigte toaren in biefem getoaltigen ^ro^effe 
gegen MofeS ßetoin ßötoenthal unb ©enoffen bertoicfelt, 
toährenb toeit über 800 Verbrechen, fdjtoere Sttebjtähle 
aumeift, aur Verhanblung ftanben, bie mit unglaublicher 




222 



Sie ©probe bcr ©ouner. 



Sottlübnbeit an öffentlichen Waffen nnb SBantfjäufern bott- 
führt toaren. Vtebr al§ 210,000 2!^atcr toaren bort 
aufammengegaunert toorben. Sic Elften befianben auä 
2050 Vänben, barunter 810 auf Vorfirafen beaügtiebe. Sie 
aucrfannten ©trafen beliefen ftdj auf 1264 Sabre 3ucbt s 
bau8 unb 1380 |>iebe. Sie ©praebe biefer ©auner toar 
natürlich bebräifeb- 

Stur ju halb inbejfen batte bie &efe ber getoifcigten 
berliner biefen fremben Votbilbern i^re Siebeäfünfte ab= 
gegucft, bie SluäfebtieBlicbleit ber Stbfiammung bertoifcbte 
fteb immer mehr. Sb*e SJtetbobe jebodj, nach ber fie ihr 
$anbtoerf betrieben, ihre ©etoobnbeiten, ihre ©(bliebe unb 
Üniffe b^ben bie polnifeben Suben als Grbe aurüdfgelajfen, 
bor Sittern aber auch, toorauf e§ hier anlommt, ihre 
©pracbe. 

Siefe int Saufe ber 3eit aum abfonberli(bften Sargon 
auSgetoaebfene, jebern Utteingetoeibten gänatieb unberflänb* 
liebe ©aunerfpraebe, toie fte beutautage atten „3üttftigen" 
geläufig ift, befiebt — ibter Stbflammung gemäB — bor* 
toiegenb auä ^eBrötfc^en Söorten in aunteift lortuntpir» 
ter ^ornt unb mit beutfeben Gnbungen. Ginige Slnllänge 
berbanlt fie ben 3igeunerbanben, bie niebt fetten mit ben 
„Spotnifeben" gemeinfebafttiebe ©aebe machten; eine erbeb» 
liebe Slnaabt beutfeber 5lu§brüefe enblieb entflammt ber 
fatirifeben Slber ber berliner Verbrecher , infofern biefe 
mit einem Slnflug bon SOßiB unb Saune erfunbenen Veaeieb 2 
nungen nur bitbtieb gelten, fo baB a- ©• „f<btoar 3 geben" 
fo biet toie ohne SegiiimationSpapiere fein, unb „ber= 
pfeifen" ober „Sampelt machen" fo biel toie berratben bebeutet. 

l * V <• . 1 * * * 



Digitized by Google 



2$on 5llfreb Steljncr. 



223 



©efjr Bejeictjnenb für bie Sluffaffung bet getoerBSmäjjigen 
SBerbxed^er ift eS, baf fte fetBft fidfj „Äod&emer", Jltuge 
über ©efdijeibte, nennen, im ©egenfafj au ben etjrlidfcen 
Leuten, toetdije für fie bie Uneingetoeifjten ober Summen 
finb, bie „Söittfcfje", ober in nodfj fcfjätferent ©egenfa&e 
3 u bem beS ©efefceä Uttfunbigen, bem „2lmt)ore&" ober 
Summtopf. föefpett in iljten klugen berbienen überhaupt 
nur bie „S8at = d(jod£)em", biejenigen ^Beamten nümlid§, 
toelcüje in bie 33erBrecljerge'f)eimniffe, inSBefonbete in bie 
©aunerfpradje eingetoeüjt ftnb, unb um fo meljr, toenn 
fotd^e ^Beamte jugleid^ UnterfucfjungSridfjter — „33at= 
ntifdjpet" - ftnb. 

SBefonberS reidf) ifl bie ©aunerfpradlje an $unfiauäbrüifen, 
bie ftd& auf baS SieBStjanbtoert Beaieljen. 

Sie SieBftaljlSgelegen'ljeit $eifjt „SlSfe", bie, toenn fie 
ftc^ in unftdfjerer ©egenb ober — toie ber ©auner fagt — 
Bei „toinbiger 5ßoft" finbet, BefonberS fd&Tau au§ge!unb= 
fd£)aftet toerben ntufj, „todfjem auSauBalbotoern" ift; 
toie eS benn ftetS eines „SBalbo to erg" Bebatf, toenn 
ber „2Jtafematten", ber SieBfta^l nämlidt), planmäßig 
„getjanbelt" toirb. Ser SieBfta^I toirb au<$ „3ottel* 
Berger" genannt, baS ©testen „Rotteln" ober „ntop= 
fen", toätjrenb ba§ gelegentliche ©teilen mit „fd§ief}en" 
Beaeid&net toirb. Ser SieB felBft ift ber „©anneto", bie 
gcmeinf d^aftlid^ „tjanbelnbe" SieBSBatibe eine „@l)ato= 
ruffe", ber ©inBrecfjer Reifet „©dhrünter" unb ift ein 
„fernerer Sun ge", toenn er ftdh als ein fütufter bon 
93ertoegenljeit unb 5lBgefeimi^eit nur mit.fd§toeren t SieB= 
ftäljlen Befaßt. 



Digitized by Google 




224 



©ie Sprache ber ©anner. 



3febe Spezialität unter ben ©ieben fyat ihren befonberen 
tarnen, ©er ©afcljenbieb tiei^t „©rüder", ,,©orf= 
bruder" ober „Seifenfieber". £anbelt & ft«$ füt 
ihn barum, feinem Opfer ben SSeutel („©orf") aus ber 
©afche 3 U ziehen („bruden"), fo pflegt er meijtenS „eine 
Sdheere ju mailen", b. h- mittelft lang auSgefiredten 
3 eige= unb 9Jtittelfingerä ben ©afdfjenbiebftahl äu boK* 
führen; im ©ebränge hält toohh ein ©enojfe ben 33ejtohtencn 
bon ihm ab, inbem er „eine SBanb macht", b. h- fich 
Ztbifdhen 23eibe ftcHt. 

©ie ßabenbiebe führen ben kanten „Sdjottenfeller". 
Sie feilen fidj in bie „Sdjautenpider", biejentgen, 
toetdfje ben ©iebfta^l ausführen, unb in „Srifenet", 
Helfershelfer, toeldhe bie 2 tufmer!famfeit ber ßabeninljaber 
bon bem eigentlichen ©iebe fortgefefct abplenlen haben, 
©ie ©iebStafdje ber „Sdhautenpider", eine lange ©afdje 
im llnterfutter ober — bei Srauenjimmern — ein be» 
fonberer, unter ben Äleibern berborgener SSeutel , ber baS 
geflogene ©ut aufzunehmen beftimmt ift, beifjt bie „$uhre" 
ober „@ole". 

33on„$itte" = §au3,unb„©ihilleS" = ©ämmerung, 
führen bie „Äittenf dhieber" ober „©dhilleSgänger" 
ihren tarnen, biejenigen ©iebe, beren Spezialität eS ift, 
unter ber 9Jta3!e eines SBettlerS, #aufirerS, ©afieS ober 
SOßohnungSbeftchtigerS in frembe Käufer unb Sinnner ein* 
Zubringen, um ftdj in unbetoadhten Slugenbliden 9lHeS, 
toaS fidh gerabe barbietet, anzueignen, JHeibungSftüde bon 
ber offenen Hausflur, Uhren bon ben SOBänben, filberne 
Söffel aus ber $ä<he u. f. to. 



Digitized by Googl 




$on 9Ilfreb ©teljner. 225 

„2 e i dj e n f I c b b c r e r" ^eijjett foltbe Siebe, Weldje eine 
$etfon toä^xenb beg ©djlafeg im freien augrauben; Wftb" 
renb bie SSefd^äftiguns bet „glatter faxtet" barin be= 
fiebt, jtcb toerftotyten unb unbemerft auf bie ^augböben 31 t 
fcbteidjen, um bie bort jum Xrocfnen aufgepngte Söäfdje — 
„glatter" — ju [testen, wag fie „eine glatterfabrt 
madjen" nennen. 

(Sine |>aupttoIIe, befottberg bei jebern fdbweren Sieb» 
ftabt, fpielt ber fc£)on ermähnte „ 33 alb 0 Wer" ober 2lug= 
funbfdjafter, ber in ben meiften gälten felbft nid^t mit* 
ftietjU , fonbern nur bie Aufgabe bat, ben „Vtafematten" 
gef<bi<ft borjubereiten. Unter mancherlei, oft febr ber» 
fdjmifcten VotWänben Wetfj er ftd) guttttt in bie augju» 
raubenbe SBobnung 3 U öerfcbaffen, um biefelbe ju be= 
fidjtigen, Wag ber ©auner „augblinben" ober eine 
„33linbe machen" nennt, Woju auch bag Slufnebnten 
bon ©runbrijfen ber ftäumiidjfeiten unb 2 öa(bSabbrüdEen 
bon ©chlflffeln gehört. Ser Ort, too er nach foldjerlei 
Vorbereitungen mit feinen ©enoffen jufammentrifft , ber 
fogenannte „2lugtippel", bon Wo aug „auf ben Vtafe» 
matten gefahren" Werben foH, ifl gewöhnlich irgenb 
eine Kneipe, eine „Äatf ehern me", beren SBirtb, ber 
„©piefs", meifteng ein „(£bo<h enter Spiefi", b. b- rin 
©ingetoeibter, ift. ^ier toirb, nicht feiten mitten unter 
ben ©äfien, ben „Summen", ber au3aufübtenbe $lan „be* 
bibbert", gehörig erwogen unb beratben nftntlich, Wobei, 
Wenn nur ber teifefte 5lrgtoobn auf bie Umgebung gehegt 
Wirb, „betuch gefchmugt", b. b- Xeife gefptodjen Werben 
mufj. 33ei biefer Veratbung Werben ingbefonbere Sie- 

»ibliotftet. 3a$rg. 1889. ®b. XH. 15 



Digitized by Google 




226 



Sie (Sprache ber ©auner. 



jenigen, toeld^e toirtlid) „anfajfen", b. ben diebftaljt 
augfüljren füllen, Don denjenigen unterfdEjieben, toeldtje nur 
„Sd) miete fielen", auf bet Strafje, bern |)ofe ober 
ben dreien ber augjuplünberaben SEBoljnung SOßadje galten 
füllen. Sluc^ einigt man ftdj über bie Slntoenbung bes er* 
fotberlidjen diebs^anbtoertgaeugg, beffen ©efammt^eit bas 
„SdEjrftntaeug" genannt toirb, toobei natiirtidj ben 
„äierlidjen Scijrfintern", benjenigen profeffiongmä£i= 
gen (Sinbrudjgbieben nftmlidj, toeld&e am gejdjidteften 
„arbeiten", bag größte Vertrauen entgegengebradjt toirb, 
toie 3. SB. bem „Älitfdjer", bem diebe, beffen Spezialität 
bag #antiren mit *ftad}fd)lüffeln — „San t ein" ober 
„dietridjen" — ift. 

sieben ben lederen ift bag beDor^ugtefie „Sdjränt3eug" 
bag SBrecfjeifen, „Ärummtopf" ober „ßube", unb neben 
ber ©tidjfäge bag Stemmeifen ober ber „ScJj ab ber", eine 
Heine Spielart beg $rummtopfeg. 

der diebftaljl !ann nun „t öftrer" ober „t reife" 
Verlaufen, eg mirb ein guteg „©efdjäft" gemacht ober 
eg fefct ein „Sdjlamaff el", ein Unglüd nämlidj. Su 
legerem $atte, toenn eg „mieg" fielet ober fdjledjt, Ijaben 
bie (Saunet „ßampen" belommen, fte finb üerratljen 
morben, bietteicijt burdj einen toad&fanten „Ä ailo f f" (#unb), 
ber „SRabau" ober „&allag" gemadjt l)at; bann toirb 
bie SBanbe am ßnbe abgefafjt, toobei eg unter limftänben \ 
fogar trüget gibt, toeldje bie (Saunet „SDt alte g" Ijeifjen, i 
ober aud^ „#eije" ober „Senge", bie fte „be fliehen", 
nftmlidfj belommen. „Äefj" bagegen, b. Ij. 3U Sitter 
friebenljeit, fielet bie Sad§e, toenn eg ftd£j nur um einen 



»/, 



Digitized by Google 




S8on 9llfreb Steljner. 



227 



blinben ßärm geljanbelt tjat, ober toenn bie dinbredjet in 
i^rer $unfifprad£)e nur „geblefft" tourben. 3n biefern 
günftigen gatte begibt fic^ bie SSanbe mit bem geflogenen 
($ut ober ber „©ore" auf öerfdjiebenen SBegen nacfj einem 
öorljer genau öerabrebeten Orte, bem „6 intippel", too 
enttoeber bie 33eute Oertljeilt toirb, nadjbem fefigefiettt ift, 
toa§ „oerbient" toorben, ober beraten totrb, toa§ mit 
ber „©ore" gefdljefjen fott. 3« ben meifien gälten toirb 
man fibereinfommen, fie ju „Oerf dürfen", b. Ij. einen 
.freljler auSftnbig au machen, ber bie „©ore fdjärfen", 
ba§ geflogene @ut taufen fott. 6in toittfäljtiger Käufer 
unb .fpepler füljtt bie iöeaeidfjnung „©<$ ärfenfpieler"; 
Oon einem folgen ^aben bie 35iebe nid^t au befürdljten, „ge* 
f lebbt", b. Ij. nadf) ßegitimationSpapieren befragt au toerben. 

9iidljt feiten jebod^ toirb ber £eljler aum unfreitoittigen 
5ßerrätt)er, benn bie Äriminatpolijei fjat auf biefe getoerbg* 
mäßigen ^etferöfjetfer, bie unter ber ttftasfe be§ üröblerö, 
^robnftent)änbler§ unb *Pfanbteüjer§ ipr OerbredjeriftfjeS 
$anbtoerf treiben, ein gar toadfjfameä Sluge. SDann bleibt 
bem S)iebe nichts übrig, als fdjleunigfi ben Ort feiner 
Saaten au fließen, toobei er fidler fein barf, bafj er auf 
bie „ßomore" — ba3 ©te<fbriefüeraeicf)nifj — gefegt 
unb ein „gleppdtjen" ober „3 in! f lebten" — ein 
©tecfbrief — fjinter ifjm ertaffen toirb. 

güttt ber ©auner in ber golge ber irbifdjen ©erecljtig* 
feit in bie #änbe, inbem er ergriffen toirb, fo nennt er 
ba3 „alle toerben", „berfdjütt geljen", „fragen 
geljen" ober „faule ge^en", unb derjenige, ber i§n 
»erraffet, §at iljn „begraben". 9tun ift er „pleite", 



Digitized by Google 




228 



®te Sprache ber ©auner. 



toirb ohne 3toeifel „Änaft ftiegen", b. b- berurtbeilt 
fcetben, bielleicbt gar mit Äette ober ^anb^eüe, bem 
„fRofenltana", behaftet toerben unb in’S ©efängnifj 
ttmnbera — in bie „£fieae" ober baS „Äit td£)en", 
toenn nidfjt gar in’S 3u«btbauS 0 j, et ^ jfjobe ©cbute", 
too eS minbeftenS ein 3abr abjuftfcen ober bielme^r „ein 
Semmdjen abauteifeen" nnb augleicb ftramm au 
arbeiten, „f<ben igeln" gilt, ©ein Verhalten bem ab* 
urtfjeitenben Siebter gegenüber Ijat er too^l ober übet ben 
Serbältniffen an gepaßt, ©laubt er butcb leugnen ber 
©träfe entgegen a u tönnen, fo lügt er mit betounbernS* 
toertber ©tanbbaftigfeit ; ift fein ,,S) alles" bagegen gar 
3 U grofj, fo toirb er ftd§ au einem ©efiänbnifj bequemen 
ntüffen, „pfeifen" ober bie SBa^eit „ßmmefj" fagen, 
bielleicbt gar geatoungen fein, über feine ©enoffen Angaben 
au machen, fte au „berpf eif en". 

3m ©efängnifj aber toirb er ben Sluffeljer, ben ,,©d§ien" 
ober „SJtafcboreS", fotoie ben Sßärter, ben „$itt<ben= 
booS", „SlmtSfcbauter" ober „Oberfcbauter", auf 
jebe nur bentbare unb mögliche SBeife au bintergeben 
futben, enttoeber inbem er ft<b mit anberen ©efangenen 
but<b „3iuf en", Seichen, ober bureb „Äaffibet", fd£)tift* 
liebe SJtittbeilungen aller 2lrt, berfiänbigt ober ft<b mit 
ihnen heimlich befpridfjt, toaS unter feines ©leieben „!ajj* 
pern" beifit. Siel ©rfpriefjlicbeS pflegt babei inbeffen 
meift nicht berauSaufommen, unb ba ein ^lucbtberfucb beut« 
autage toenig 3luSfi<bt auf ßrfolg bat, fo toirb ber ©e* 
fangene fi<b alSbalb mit bem ©ebanfen bettraut machen, 
3U „f (hemmen", b. b- feine ©träfe abaufiben. 



Digitized by Google 




ben $5enfnmrbigteiten einer alten Stabt. 229 

ÜJlit biefer Slumenlefe au§ ber Spraye bet ©auner 
mag eS genug fein. Sie bitbet baS ßrlennungSaeidfjen 
für Sitte, bie aur 3^nft ber Spifjbuben gehören, unb au» 
gleich ein nicht au unterfchäfcenbeS SSinbemittel für alle 
Verbrecher. <53 ift be§^aib begreiflich, bafj ihre Kenntnifj 
für jeben Kriminalbeamten unerläßlich ift. Slber audfj für 
jeben ßaten bürfte fetbft bie pdjtigfte Kenntnis biefer 
©aunerfpradje nidht oljue 9tußen fein, benn ie mehr er 
baä toirflidje SBefen ber Verbredjertoelt burdhfdhaut, befto 
mehr toirb er ben unermüblidjen Kampf ber Veljörben 
gegen alle Slustoüd^fe menfdhlidher Vertoitberung au toür* 
bigen unb fidh felbft bor Staben au behüten toiffen. 



Äns kn btnknmrMghtittn einet nltcn Stnbt. 

©in iftüdtbM. 
tton 

Cficobor UJinkler. 

(9to<$brud tietboten.) 

toar um bie ttttitte beS 13. ^appnbertä, als bie 
rheinifdjen Stäbte, geatoungen burdh bie Unaulünglidfj» 
leit ber laiferlidhen 2Jtadht, ft<h au einem Schuß» unb $ruß» 
bünbntß toiber bie ritterlichen fftaufbolbe unb SBegelagerer 
berbanben. S)a toar es Vtaina, bie uralte Stabt am 
(Sinfluffe beS Vtain in ben 9lpu, bie 'mit SBormS an bie 



Digitized by Google 




230 2lu» bert Senf umrbigl eiten einer alten Stabt. 

Spi&e biefeg Stäbtebunbeg trat, ^Dlairta toar eg, too ein 
jtarfeg, tfjatfräftigeg, edjt beutfcfjeS SBürgertljum unb eine 
mädfjtige *ßatriaierfd§aft i^ren döo^nftfc Ratten, eg toar bie 
bebeutenbfie unb befud&tefte (Stabt beg ffteidfjeg, bort tourben 
bie toicfjtigften Stäbtetage unb $ird§enberfammlungen ab= 
gehalten, bort bereinigte ftd) bie ütitterfdfjaft au glänaenben 
Stornieren, bort blühten fünfte unb SBijfenfdjaften, £anbel 
unb ©etoerbc, bort toar ingbefonbere näd^ft Sluggburg ber 
^auptplafc ber beutfd&en ©olbfdfjmiebe. 2öag Sßunber, 
toenn ber SBolfgmmtb biefe Stabt mit bem SSeinamen „bie 
golbene" augaeidjnete. 

Siefe Benennung fjat ftdj befannttid^ erhalten big auf 
ben heutigen Sag. 2Jtit gleichem SRecfjte fonnte eg aber 
audj „bög alte" fütaina Ijeifjen, benn eg ift nid^t nur eine 
ber ältefien Stäbte beg 9Ujetng, fonbem ©eutfd&tanbg über- 
haupt, älter fogar alg Äöln, bag um 36 b. Sljr. bon ben 
Ubiern gegrünbet toorben fein fod. 

SJtaina nämtid§, beffen bie ©efcljic£)te unter bem tarnen 
s JJtoguntiacum bereitg um 38 b. 6^r. ertoäljnt, batirt 
feinen Urfprung bon ben Gelten, bie ungefähr auf ber 
Steide, too jetjt bie Stabt liegt, eine 9üeberla|fung gegrünbet 
Ratten. Siefelbe toarb jeboeb bon ben Römern genommen, 
unb barauf bon ©laubtug Srufug auf jener Sln^ö^e, bie 
noch heute ben tarnen „Ääftridh" führt, ein befejtigteg 
Säger (castrum moguntiacum) angelegt. 3n beffen Um- 
gebung jubelten |id§ bereitg bor bem $aifer ÜJtarc Sturel 
©ermanen an, unb fo entfianb admä^lig bie Stabt 2Jto» 
guntia, bie ftdj inbefc borerft nicht big an ben 9tf)ein aug- 
beljnte. Sttrcb bie ©tnfäde ber Sanbalen unb Hunnen 



Digitized by Google 




Sion i-tjeoboc Süinflet. 



231 



tourbe fpäter bet Ort bertoüftet uttb lag atoet Sfahrhunberte 
hinburch aum größten ^eüe in Krümmern. 

2ll§ ber eigentliche SSegrünber beS heutigen 2Jtaina gilt 
$önig Dagobert (f 638). ßr errichtete nicht nur biete 
Neubauten, barunter für fich felbft einen SPalafi, fonbern 
umgab auch bie (Stabt mit einer Ringmauer unb erhob 
fte aur £auptftabt bon ©aUien, ©ermanien unb allen ciä» 
alpinifchen Säubern. S)en (Srunb aur nachmaligen SSlüthe 
ber (Stabt aber legte $arl ber ©rofje, ber fich nicht toeit 
babon, in einer ber fünften Sagen am fftheiuftrom in 
Stieberingelheim eine Sßfala erbaute, ßr liefj im $ahre 803 
auf ©runb ber alten Ueberbleibfel eine neue hölaeme SSrücfe 
über ben 9th e i« fdjlagen (bie freilich, faum boltenbet, toieber 
abbrannte) unb räumte ben 3Jtainaern mancherlei Freiheiten 
ein; namentlich begünfiigte er auch eifrig ben SBeinbau 
in ben ©elänben ber Umgebung. Unb al§ im ©ommer 794 
toährenb ber 9teich§ a unb ßirdjenberfammlung au F^untfurt 
am SJtain feine britte ©emahlin, Qraftraba , baä Zeitliche 
fegnete, lief} er ihre Seiche nach fütaina bringen unb in 
bem bon ihnt geftifteten 33enebi!tiner«Älofter ©t. Sltban*) 
belferen. 2)ie ftlberne ©pinbel ber Äaifertn fchmficfte 
lange 3eit ihrem ©ebädjtnif} a u @h*en ben Hochaltar. 

Slnmuthig ifi bie ßraählung, bie fich fl u ben ßrabifchof 
SöiUigiS (975-1011) fnüpft. 33on ihm foü baä 9tab 
herrühren, ba§ fich noch heute im SJtainaer ©tabttoappen 
befinbet. 2lt§ ©ohn eine8 armen Söagnerg hübe er, um 
feiner niebtigen -fperfunft in SDemuth eingeben! au bleiben, 

*) Stuf ber frönen f)öhe, too ieijt ba§ Fo*t Äatl fleht. 



Digitized by Google 




232 9lu$ ben Senlroürbigfeiten einer alten Stabt. 

ttt feinen prächtigen ©emädfjem 9tftber abbilbcn unb babei 
ben Spruch anbringen taffen: „SöiEigiS, SBiEigiS, ben!’, 
tooher bu fommen bis!" S)ie £)ifiorifer moEen bieS 
freilich nicht gelten taffen, bag ^Jtainaer 3tab, fagen fte, 
erfdjeine erft feit ber atoeiten Hälfte beS 13. SahrhunbertS 
in ben trifd&Bfliäjen Siegeln unb fei urfprüngltch nichts 
2lnbereS, als baS getoöhnlt<he bifdfjöftiche jfreua, um baS beS 
Siegels 9ianb fi<h ^tnjog. — Unbeftritten ift bagegen, 
bafj Erabifthof SBittigiS einen Ehrenplafc in ber ©efchtdjte 
ber Stabt fdfjon beShalb berbient, toeil er ber erfte uns 
befannte Erbauer fotoo^t beS SDontS als ber StephanSlirche 
ift. Seibe ©ebäube ejiftiren freilich in ihrer urfprüng= 
litten ©eftalt nicht mehr. 

S)er erfte im ^a^te 1009 boEenbete Som gelangte 
überhaupt nicht au feiner Seftimmung, ober Tratte fid) 
beten nur einen Sag au erfreuen: am 30. Sluguft beS ge= 
nannten 3al>reS nämlich, bem Sennin feiner Eintreibung, 
ging er bereits mit aEen batanfiofjenben Raufern in 
flammen auf. S)er Stainaer S>om, toie er fidh jefet 
bem Sluge beS SefdjauerS aeigt, toarb großenteils unter 
(Srabifdhof Slribo (1021-1031) boEenbet. 

Seim Slnbtidf biefeS altehttoürbigen, majeftätifchen ©e- 
bäubeS möchte man untbiEfürlich auSrufen : „£>, baß biefe 
2ftauem reben lönnten!" 2öaS h fl t ft<h SlHeS toährenb 
feines achthunbertiäßtigen SefteßenS in biefen fpaEen ab=» 
gefpiett! SBie biel Sntßronifationen, Äonaile, Krönungen 
unb fonftige boße §efie hohen hier ftattgefunben! Emicj 
feßön unb fteter Erinnerung n>ertß bleibt auch ber Sorgang, 
ber ftcß"an bie 1024 hier erfolgte Krönung Äonrab’S II., 



Digitized by Google 




33on SLfjeobor SOßinfler. 



233 



beä Satierä, fnftpft. ©ine SJtenge SBittenber umbritngte 
beit $önig auf bem 2öege aur Äirche, um feine ©eredjtig* 
feit anauforedfjen, fo bafc bie ^ofbeamten in feinem ©efotge 
untoiEig tourben unb bie ^Bettler barfcfj abtoiefen. Äonrab 
aber fagte: „ßaffetfte! (£3 ift meine ^Pflicht, ©eredjtigfeit 
3 U üben, fei e3 mir nun bequem ober nicht." liefern 
ebten ©runbfatje ift er auch toätjxenb feiner ganaen 9te= 
giexung treu geblieben. 

Sn bie Seit ber Söiebererbauung be§ 2)ome§ fallen 
mehrfache Slufftänbe unb Unruhen im Schofje ber S3üger= 
fchaft. 9tamenttidj ttmrbe ber ©rabifcfjof Slrnolb bon 
Seeienhofen (1153—1160) babon betroffen, ©eit ben erften 
Sahnen feiner Regierung tag er in fje^be mit ben bena<h= 
barten dürften unb mit ber SKitterfdjaft be§ ßraftiftS. S)ie 
ßanbfdjaft hatte unfäglich au leiben, mit fteigenber (£r= 
bitterung ftanb man einanber gegenüber; überaE toar 
blutiger Äarnbf; £)rtf (haften gingen in flammen auf, 
eine $ßlünberung folgte ber anberen. Äaifer ^riebrich 
SBarbaroffa fam au3 Statten nach ©eutfdjtanb aurüif unb 
lief} Born über bie grehbe ben @rabif<hof mit feinen 
©egnern nach 2öorm§ entbieten. 3?or ben aaljtreich ber= 
fammetten dürften mußten bie Stufrührer ben drabifchof 
um SSeraeihung bitten unb ft<h ber bon SllterS h er über 
Sanbfriebenäbredjer behängten Strafe untertoerfen. 93er= 
fihiebene babei betheiligt getoefene ©rafen mußten einen 
|>unb, bie ritterlichen 2)ienftmannen einen Sattel unb 
bie, toeldje geringeren Stanbeä toaren, ein Sßflugrab mitten 
in ber Äälte unb bem Sdjmuh ber tointertidjen Sahre3= 
aeit — e3 toar bür SOßeihnachten — bom Ort beä @eri<ht3 



Digitized by Google 




234 2lu§ ben Senfioürbigfeiten einer alten Stabt. 

aur nächften ©raffchaft tragen, liefet fttengen 
bung ungeachtet lehnten fich halb barauf auch bie Vftrger 
gegen Slrnolb aut SBährenb feiner Slbtoefenljeit brangen 
fie in ben Vifchofghof unb fchleppten bon bannen, toag fte 
fanben. Sie berlangte ©enugtljuung marb ihm gemährt, 
bie angeridhteten Störungen mußten mieber gehoben, 
Sllleg toieber ^ergefteÜt unb erfe^t metben, unb bie Scf)ul= 
bigen barfuß in toollenem Untergetoanbe einen Vufegang 
antreten. 

2lber nur htrae 3eit berrfdjte ?Ruhe- Valb brach ber 
Unmuth bon feuern log. Sie Aufregung ergriff atlmählig 
bie ganae Stabt. 2Weg trat unter SOÖaffen. (B !am auut 
Kampfe, unb ber ©rabifchof fiel alg ein Opfer ber 2öuth- 

$onrab bon SBittelSbach tourbe fein Nachfolger. Nicht 
lange nach ihm lam ber Äaifer nach ÜJlaina unb ^ielt 
ein furchtbares Strafgericht, Sämmtlihe Viirger, bie 
ftcf) thatfächlidh hei bem Nufruhr betheiligt hatten, tourben 
au lebenglänglidjer Verbannung berurtheilt. Sie Stabt 
berlor nach bem Vefdhtuffe beg NeihStagg alle Rechte, 
Freiheiten unb Vribilegien, bie Stabtmauer mürbe nieber= 
geriffen, bie SöaHgräben geebnet, alle Stürme unb S3e= 
feftigungen gebrochen. Safe biefe 2Birren ber ©ntmicfluitg 
eineg georbneten ©emeintoefeng auf längere 3eit hemmenb 
entgegenftehen mufeten, liegt auf ber $anb. 

Srofebem mar Ntaina noch nicht ein Ntenfhenalter 
fpäter fcljon mieber ber Shauplafe eineg Fefteg, mie eg 
in biefer ©rofeartigleit fonft nicht mieber gefehen mürbe. 
3u Vfingften 1184 hielt nämlich Fnebrih I., nachbem 
er mit allen feinen Feittben Frieden flefc^toffen, h^r einen 



Digitized by Google 



93ott Sheobor SBinfler. 



235 



fReid^Stag ober, tote eg bantalg !§ie|, einen -poftag ab, 
um bei biefer ©elegenheü feine ©öhne a u Gittern au 
fchlagen. Saau famen alte dürften unb ©rofjen, ©rafen 
unb ©bie, SBifdjöfe unb Prälaten, Siebte unb ^rieftet. 
Slug fffranfreich, ©nglanb, Stiatien unb ©panien unb 
anberen Säubern firömten Sfrembe herbei. 3toölftaufenb 
bon Slbel, barunter 64 dürften, beherbergte bantalg bie 
©tabt. Sin üierjigtaufenb SRitter fanben fidj in SJtaina 
aufammen, nach Slnberen fogar an fiebenaigtaufenb, unb 
unaä^lbar toar bie SJtenge beS SSolfeS. Sa bte ©tabt 
nic^t auSrei<hte, um bie ^Jlenfdjenmaffe au faffen, tourbe 
in aller ©tle auf einer ©bene atoifchen fR^ein unb Sttain 
ein Suftfchlojj aus .pola für ben $aifer, mit einer Äapette 
baneben, gebaut, baran fchloffen ftdj bie prächtigen 2öoh* 
nungen ber dürften, toäljrenb bie 3^Ite ber Uebrigen über 
bie gonae ©bene hiu berbreitet toaren. 

Sluef) ßünftler unb Sinter toaren aur SSerljerrlichung 
beS §efteg h eT & e * gekommen. Ser $aifer liefj Sitte auf 
feine Sofien betoirthen, unb Könige, «peraoge unb SJtar!* 
grafen bienten ihm als SJtunbfchenfen, Sruchfeffe uttb 
SJtarfchätte. ©cf)on SSochen borher toar ber nötige 2Beiu= 
borrath h e ^^3 ß f^ a ffi toorben. Ser Äaifer betheiligte 
ftch felbft am Sumiere, unb feine ©öljne ^»einrich unb 
fjfriebrich erhielten, nadjbem jte ihre Süchtigfeit in allen 
ritterlichen Hebungen bargethan, ben Stitterfdjlafl. 

Seiber fottte biefeS pomphafte fffeft aber nicht ohne 
einen fd)toeren Unfall borüber gehen. Stadlern einige 
Sage in Sfrtbet unb Srubel bahingegangen toaren, erhob 
ftch auf einmal ein luftiger SSirbeltoinb unb toarf jenen 



Digitized by Google 




236 s Äu§ bett $)enfroürbtQteiten einer ölten Stobt. 

^oljbQU um, toobei fünfzehn ÜRenfd^en erfragen tourben. 
9tacb bem ©tauben jener 3ett toar bieS nur ein 2lnjeid§en 
toeiteren UnglüdS, unb in ber fiarb halb barauf bie 
JTaiferin. 

Schon bamatS muf übrigens ÜJlainj ungetodbntidj reich 
enttoidett getoefen fein, benn als man im Sfabre 1226 ben 
nod^ je^t ftebenben 2)om ju bauen begann, Ratten bie 
©tragen fcbon atoei Starre Dörfer Spflafterung erhalten, 
unb bie befferen «Käufer Ratten alle bereits ©laSfenfter, 
toaS in bieten anberen Stäbten noch bunbert Sabre fpäter 
nicht ber Srall toar. 

9ia d? ber ©rünbung beS rbeinifdjen StftbtebunbeS, 
beffen bereits furj gebadet tourbe, unb jtoar im Sanuar 
ober gebruar 1288, toeitte 9lubotpb bon $absburg in 
'Dtainj, toeld^er auf SJorftfilag beS ©rabifchofS Sßemer 
bon ©ppfiein 1273 in gfrantfurt jurn Äöntg getoäbtt 
toorben toar. 33on biefem Slufentbatte erhöhten bie ©b t0= 
niften folgenbe Stnetbote. ©S toar in früher 2Jtorgenftunbe, 
atS ber Jtönig nid^t mehr fd§tafen tonnte unb ft<h beSbalb 
bon feinem Säger erhob. StEeS im |>aufe tag noch im 
Schlummer, nur in ber gegenüberftebenben Söobnung 
eines SSätferS gab eS ft^on rührige Seute, auch brannte 
bort ein luftig praffetnbeS Qreuer. SDieS beftimmte ^ubolpb, 
in bem fchnett beenbigten Slnjuge eines einfachen Kriegs* 
rnanneS bei bem Machbar boraufprechen. 6r fanb bie 
33äderSfrau unb einen ©efetten. 

„Sieben Seute," fagte ber ßönig, ftd^ auf fein Snfognito 
bertaffenb, „ertaubt, bafj ein armer, alter jfriegSntann, 
ber ait* fein .fpab unb ©ut bem $önig geopfert, ftcb ein 



Digitized by Goog 




üöon üHjieobor SBinfler. 



237 



menig bei eudj mürme!" Sltg aber bie ££rau bett Jtönig 
nennen §örte, geriet^ fie in 3orn unb rief: „Söir ftnb 
felbft arm! 6dbeert Gmb ju Gutem föubolpfj, ber ben armen 
ßeuten 9itte8 megfrijjt unb nodj bag ganje Sanb ju ©runbe 
rieten mirb!" Set Äönig f)otä)tt auf. „2Bag bat er 
Gudb benn get^an," fragte er, „bafj 3b* ihm fo gtam 
feib?" Sa bradfj) bie Qfrau in neue (Schmähungen unb 
Jßertoiinf jungen aug. „2öa8 er mir getfjan bat?" mieber» 
holte fie in ^öd^fier Aufregung, „launt bafc noch jtoei S3äcfer 
in 2Jtaina übrig jtnb, bie er nicht an ben Settelftab ge= 
bratet bat. #err, gebt fort, 3b r feib un8 im Söege unb 
ftört ung in unfeter ^antirung!" 

Piubotpb aber füllte ftdj je^t erft recht gebrungen, auf 
feinem Spiafce ju berharren, benn er b°ffte, bon ber fjfrau 
noch mehr ju erfahren. Siefe aber machte furjen 5ßtoaefj, 
nahm ein ©efäfj mit SGßaffer, fdjüttete eg auf bie Äoblen, 
bajj ba8 3?euer berlöfdhte unb nahm ftcb babei abfichtlicb 
fo toenig in Sicht, bafc beg Äönigg ©etoanb über unb über 
befc§mubt mürbe. S^t tonnte feineg 23leiben8 nid^t mehr 
fein unb er eilte bon bannen. Seg anbem Sageg, alg et 
bei Safel fafj, unb ihm ber Sruchfefj einen Scijmeinglopf 
borfefcte, gebaute er ber unliebengmürbigen Nachbarin, Itefi 
bie ^augmirtbin lommen unb fagte: „$ier, nehmt biefe 
©cbüffel mit ^Xeifd^ unb biefen SBed^er SQßein unb bringt 
beibeg ber SSäcferin brüben bon bem alten Ärieggntann aum 
Sani bafür, bafj er jtcb an ihrem $ol)lenfeuer märmen burfte." 

Sie Slrme erfd^raX nicht menig, alg fie erfuhr, gegen 
men fte ihr $era unb ihr Söajfer auggefchüttet, unb lief 
in ihrer Slngft felbft aum Äßnig, ihn um Vergebung au 



Digitized by Google 




238 9Iu§ ben $>enfioürbigf eiten einer alten Stabt. 

bitten. tRubotph bertoeigerte ihr bieö nicht, machte eg aber 
jur 93ebhtgung, baff fte 2Weg, mag fte ihm in ber SBädfer* 
ftube gefagt, bor beugen mieberhole. „Unb" — fchliefft 
ber G^ronift feine ©rjählung — „eg blieb if)r nid^tS übrig, 
fte muffte tl>un, mag er mottte. ßuftig genug mar eg 
aitfluljören." — 

(Hne ber poetifdj fdjönften dpifoben in ber fötainjer 
Gtjronif ift bie bon bem fütinnefänger Heinrich grauenlob. 
3lachbem er in feinem Streitlieb gegen ben Sdjmieb 3iegen= 
bogen bag Söort „grau" äü (Ehren gebraut, betrachteten 
ihn bie fUtainaerimten fpeaiell alg „ihren Sänger", unb 
alg er am Slnbreagabenb 1318 fein langeg Söanberfeben 
befdjloff, tarnen bie grauen unb Jungfrauen bon fütaina 
in fein $aug, meinten über feinem Sarg unb trugen ihn 
in feierlichem Juge nach &ent S)° ra / too fte Söein in fein 
©rab goffen unb eg mit 33lumen beftreuten. So bie 
Sage. s 4Hein bie .fpiftortfer fchütteln ungläubig ben $opf, 
burchftreichen bie (Erzählung bon oben big unten unb be= 
rnerfen faltblütig am föanbe: 2öag fith bei grauenlob’g 
33egräbnifi jugetragen haben foll, ift höchfl mahrfdjeinlich 
gäbet. Jn feiner alten ober gar aeitgenöfftfefjen 6hronif 
ift etmag babon ju finben. (Erft $u Slnfang beg 16. Jahr- 
hunbertg erfd^eint bie (Erzählung alg ein (Einfchiebfel in 
ber 6h r °uif beg Ulbert bon Strasburg. 

©leichbiell fUtöge er in grieben fchlafen, ber biebere 
Sänger, mir moüen ihm troh attebem bag fd^öne 2Jtarmor= 
benfmal bon Schmanthaler gönnen, bag ihm bie ^Kainjer 
grauen unb Jungfrauen noch 1842 int $reu«jgang beg 
SDomeg geftiftet haben. 



Digitized by Googl 




Sion Üpobor SBttifler. 



239 



$aum außerhalb Sapljunbert fpäter, unb am ^otijont 
ber ©efc^id^te taucht ein leudpenber ©tern empor, beffen 
Sicp bon großem ©lana unb fteter Sauer fein fottte: 
Soljann ©utenberg. 2iudj biefe 33erfipntpit $at man 
ben SJtainaern abfpenftig ju macpn gefudp. SSereitg 1424, 
behaupten bie ©trafjburger, Ijabe ©utenberg in iper ©iabt 
Srudfoerfudp mit bemeglicpn Settern gemadp, unb in ber 
Sljat beuten 3eugenau§fagen in alten ©trajjburger ©eridpg= 
alten barauf pn. 3fMc^tSbeftott»eniger aber gebührt ber 
©tabt 2Jtaina bie 6pe, bafj per bie ßrftnbung botlenbet 
mürbe, unb per bie erften ßraeugnijfe beg SSudjbtucfeg 
an’g Sicp traten. 5Jtur bis gegen (£nbe beg Sapeg 1444 
blieb ©utenberg feiner SSaterftabt fern, er lepte bapn 
aurfid, nat^bem bie ber ©tfinbung borauggegangenen 3kr= 
fudp fein Süermßgen berfdPungen Ratten. Sec Äantpf 
mit petuniären SSerlegenpiten blieb tljm aber auch nadj 
feiner £eimtep nicp erfpart unb halb mupe er aur 
Surdpiipung feiner ©acp ©elb aufneljmen. ©egen 3ier= 
pfänbung feiner ganzen Srucferei mit Sittern, mag ba* 
rinnen, liel) iljm ber reidp $opnn 9?uft au a*° e i ber» 
fdpebenen geitpunlten je 800 ©ulben, bie er fidtj mit 
6 5|Sroaent berainfen liefj. 3fn bem bon feinem Opirn 
gemieteten ^of „Sum jungen" (ietjt ein SSraupaug) ptte 
©uteuberg eine Srutlerei eingerichtet, aug melcpr 1455 
bag erfte größere mit bemeglicpn Settern gebrudfte 33ucp 
bie 42aeilige SSibel, in atoei gbliobänben prborging. 

2ßie leicht fcpeibt ftch pute biefeg Stefultat pn unb 
mie langfam, miipelig unb fummerbolt mag eg unter 
©utenberg'g fleißigen £änben au ©tanbe gebracht morben 



Digitized by Google 




240 9Iu§ ben ‘Senftnürbigleiten einer ölten Stabt. 

fein. fttan bebenle nur, bafj ber 2>tuc£ bereits 1452 be* 
gönnen batte» ber ßrfinber aber fd^ott 1450 mit 23or= 
bereihmgen bap befdjäftigt getoefen toar. Haurn lag 
baS 333erl bollenbet bor, fo batte guft nichts Eiligeres 
p tbun, als ftd& beS ©rfinberS p entlebigen unb SlUeS 
an ftcb 8u bringen, ©r llagte baS ©utenberg borgeftredte 
Kapital nebft ginfen unb 3infeSjinfen, moburcb bie <Sc£»ulb 
auf 2026 ©ulben angetoacbfen tnar, ein. 2)amü toar 
©utenberg’S Schief fat entfcbieben, benn er fonnte nitbt 
jabten unb mufcte ftlleS, auch bie 2)rudbogen beS boE= 
enbeten 33ibelmerlS, an Suft übergeben, ber nun für ftdj 
bie ©rfmbung auSpbeuten begann, ©utenberg berlor 
ben ftlutb iebodj nid^t. ©r fanb in bem fiäbtifdben Spn= 
btfuS Honrab Immer einen fttann, ber ibn grofjmütbig 
unterftüfcte, unb eS gelang ibnt, eine neue S)rucferei in’S 
Sehen p rufen, inbem er fid? etgenb&nbig treffe, ©ieji= 
formen unb Settern berfertigte; allein gegen £?uft, ber ftcb 
mit Scböffer berbunben batte, bermocbte er bei ber $5 e= 
fdjränltbeit feiner ÜJlitteX nid^t aufjufommen. S)ann bracb 
eine HriegSfebbe pnfcben ftbolpb bon ft aff au unb 2)ietber 
bon Sfenburg aus, unb unter ben fdfjredlidjen 3ßirren, 
bie bamalS bie Stabt erfüllten, mufjte ©utenberg abermals 
alP feine |>abe im Stieb laffen unb baS SOßeite fud^eu. 
333er hätte eS bem hart geprüften fttann berbenlen mögen, 
bajj er, ber fteten ftotb unb Xrübfal mübe, am ftbenb 
feiner £age ber 39u<bbrucferei ben ftüden lehrte, fo bafc 
mir ihn fdjliejjlidb als Hämmerling im SDienjie ftbolpb’S 
bon ftaffau ftnben? |>ier febeint er menigftenS für ben 
fteft feines SebenS ein forgeufreieS SDafein geführt au 



Digitized by Google 




$on Sheobor 2BinHer. 



241 



datiert. Unbeadhtet fdfjieb er auS ber Söelt, bie ihm fo 
biel ju bauten batte. ©eine ©ebeine tourben nad^ 9Jtaina 
gebraut unb in bent feiner fjfamitie gehörigen ßrbbegrftbnifj 
in ber bamaligen granaiSfanetlirdhe beigefefct, bie ^eute 
nicht nte^t ftebt. 

SBä^renb biefer ganzen Sßeriobe, in toeld&e bie ©rfinbung 
beä SSud^brndS fällt, tarnen bie 5Jlainjet toenig aur 9hibe. 
TOd^t nur, bafj bie Bürger fetbft ju 9tebolten geneigt 
maren, bie Stabt geriet!) audj als Sifc beS ©rabifdfjofS 
toieberbolt in berberblidlje ftebben. Slnt ärgften ^atte fie 
unter ben Kämpfen SHetridh’S bon Sfenburg unb feines 
9tebenbublerS, Slbolpb bon 9taffau, ^u leiben, ©rftercr 
toutbe, ba er bie Bablung ber bon 10,000 auf 21,600 ©ulben 
erböten Slnnaten (Abgabe, toetd^e ein neuangefieHter ©eift= 
lieber ju leiften b°tte) bertoeigerte , abgefefct unb bafür 
Slbotpb U. bon 5Jtaffau ernannt, daraus entftanb ein 
für baS ©raftift berbängnifjboHet Ärieg. 

Slbolpb batte griebenSborfdhläge gemacht, unb im 3$er= 
trauen barauf toaren SJtetber unb feine SBunbeSgenoffen 
nadb 3Jtaina gefommen. ^ier aber lauerte Serratb- ©inige 
^Bürger, batunter einer, ber bie Xbotfdhlüffet bertoabrte, 
batten fidh Beflecken taffen unb leifteten ititbilfe. 2fn 
ber 9tacbt beS 28. Dttober 1462 aog eine Slbtheilung bon 
Slbolpb’S £eer heimlich über ben Schein unb erhielt ©inlaf). 
2>ie SBacfje batte man betrunlen gemalt, fie tourbe über* 
fallen unb enttnaffnet. Slucb bie anberen £bore toaren 
balb geöffnet, unb überall brangen bie geinbe b« e in* 
©rinnen aber entfpann fidh ein furchtbarer Äampf. ©ie 
©turmglodten ertönten unb riefen bie Bürger au ben 

95ibliotl)fl. 3oljrfl. 1889. 93b. XII. 16 



Digitized by Google 




242 SluS ben Tenfroürbigfeiten einer alten Stabt. 



SQßaffen. Gin entfefclicheS SBlutbab tourbe angerichtet, 
fütann fämpfte gegen fütann, jebe ©affe, jebeS #au8 toutbe 
mit TobeSberachtung bertheibigt. SDreimal tourbe bet 
Qreinb aus bei Stabt big an’S Thor aurüdgetrieben; aber 
immer lehrte er toieber. T>a toarfen Stbolph’S Solbaten 
Feuer in bie Käufer unb ftedten bie Stabt an brei Stellen 
pgleid) in SSranb. Stefct mußten bie SSürger meinen. 
2lm 29. ©Itober laut Slbolph, um über SSlut unb Seiten, 
Slfchen» unb Trümmerhaufen feinen Sieg ju feiern. 2)aS 
bollreiche fötaina — ersö^Xt ein ©efd^id^tdfd^reiBer — tourbe 
mit einem fötale leer, toie toenn eS bie fßeft bewert hätte. 
2tn 500 SSürger toaren gefallen. 2iHe ©ebäube um bie 
fßrebigerürche, bie Äirche felbft fammt bem Älofter, bie 
Schufteigaffe auf beiben Seiten, ber halbe fötarlt unb noch 
140 Käufer toaren bei SIbolph’S Ginaug nur noch raudjenbe 
Trümmer. S5ie (Setoerbe lagen ftiU, bie ©olbfdhmiebe unb 
anberen Zünftler, auch bie 33efi|er ber jungen SSucbbrudereien 
toaren geflüchtet unb aügeiloS hanStett in ber Stabt bie 
ßanbslnechte. fötaina hatte biele feiner Freiheiten berloten 
unb blieb fortan erabif (höfliche Stabt. 

2tu<h als Slbolph bon ötaffau mit Tobe abgegangen 
unb Tiether b. Stfenburg toieber eingefefct toorben toar, 
bemühten fidj bie SSürger bergebenS, ihre bertorenen fßribi= 
legien auf’s öteue au erlangen. (Setoiffermafjen aur Gnt* 
fchöbigung aber für baS biele Ungemach, bas biefelben 
um feinettoiHen erbulbet hatten, grünbete ®iether 1477 
bie Uniberfität, toelche in ber Ttjat für bie Stabt bon 
grofjer SSebeutung tourbe unb toährenb ihres mehr als 
breihunbertjährigen SSefiehenS in hoh*ut Slnfehen ftanb. 



Digitized by Google 



S3on 3$eobor SBinfler. 



243 



3« intern früheren ©tanje freiXicf) bermodhte ftdj bie ©tabt 
nadh bem 15. ^ahrhunbert nidljt mehr emboraufdhtoingen, 
unb bie8 lag aum großen 3$ei( an Untfiünben, an benen 
fte felbft nid^tS au ftnbetn im ©tanbe mar. 33or SlHent 
fear eS bie ÄriegSfurie, toeldhe bet ©tobt ©dfjtag auf ©dhlag 
berfefcte. 

33efonbet8 bon ben ©tangfalen be3 breifjigiühtigen 
Äriegeä toutbe ÜJlaina auf 3 ©dhtoerfte heintgefudht. (Suftab 
Slbotyh betlangte bon ber SSürgerfdhaft, nadhbem er bie 
©tabt eingenommen, eine S3tanbfd§a^ung bon 80,000 ©utben 
unb ebenfo biet bon ber ©eifttidjfeit, alä aber bie XoXoffaXe 
©umme nid^t aufaubringen toar, fd^ritt er ohne Erbarmen 
3 ur Söertoüjtung, unb ein großer SEprt ber ©tabt fan! 
bamalg in ©djutt unb Sifdhe. ©pater fausten bie granaofen 
unter Gonb6 ^ier, auf toeld§em noch fpäter (Suftine folgte, 
unb bie 3eit braute nodh mancherlei tief eingreifenbe 
SCßanblungen mit fich, ehe 2Jtaina aur ^robinaiathauptjtabt 
bon «peffen tourbe, toa8 fte gegenwärtig ift. 

TO eine ber ftärfften beutfdhen 9?eftungen ptet fte ben 
9t()ein, unb pt ftdh im testen Sfapjept burdj Me au§> 
geführte ßrtoeiterung be3 3feftung3gürtel8 bebeutenb ber* 
fdpnt unb gehoben. 

2Jtöge bie fo prrtidj gelegene ©tabt nie mehr ben 
Qfeinb bor ihren dauern fehen unb für immer bor ber 
SOßiebertehr foldh’ trüber ©dljitffate, toie bie oben gefept» 
berten, betoahrt bleiben! 



Digitized by Google 




^Baitnigfaftiges 



(Sin 3ttffttd)t$0¥t fiir gebeitSmübe. — Unter ben nieten 
Saufenben, roeldje im ßaufe eine§ 3aljr|unbert$ — feit ber ©r» 
richtung be§ britifc^en $ort§ ©ebtoffer am SJliagarafatte im 
3a^re 1760, beffen Sfjurm nod) beute ju fe|en ift — jene§ grob* 
artige fftaturf<baufpiel bemunbemb betrachteten, laben ftdh all* 
jährlich fieute befunben, bie ben Xob in bem furchtbaren Sßaffer* 
ftrubet fuebten. Sie älteren ©inroobner oon 9tiagara*f5faII§ unb 
©u§penfion*$ribge , ben beiben am redjten Ufer be§ ©trome§ 
äunädhft ben $äUen gelegenen unb rafdh aufblübenben Stnfiebe* 
lungen , roiffen oiel oon ben mpfteriöfen ©efchicfjten ju erjäfjlen, 
bie bort in tragifcher SBeife i|ren iHbfdjluf} fanben. @inige§ 
baoon roitl i<b |ier roiebergeben , in chronotogifdher f^otge bie 
marfanteften $äUe berü|renb. ©§ mar im $uti be§ ^a|re» 1831, 
at§ ein etwa fünfunbjroanjigjäbriger fütonn non feinem Auftreten 
fidj in einem ipotel non 9tiagara*^atl§ unter bem fftamen 2BiHiam 
©laribge in’S fjrembenbudh eintrug. ©r lebte jurüdgejogen, unb 
9We§, ma§ man non i|m |örte, mar, bafj er tjier beim Niagara* 
falle mit feiner au3 Kuba jurüdfe|renben ©attin $ufammentreffen 
roolle. Semjufolge erroartete er täglich mit großer fUufmerffam* 
feit bie Stnfunft be§ ^oftroagenS , unb enblidj entftieg eine§ 
$Ibenb§ einem folgen ©efäbrte eine junge Same oon |ernor* 
ragenber @c|ön|eit, beren 9teufjere§ bie ©panierin fofort nerrieth- 
©ie fdhien in freubiger ©rroartung ju fein, unb fobatb fte beim 
58ertaffen be§ SBagenS ben ^remben erblidte, eilte fte auf i|n 
ju unb marf ftdh in feine 9trme, o|ne fRücfficbt auf bie ja|l* 




Digitized by Google 



SlannigfaltigeS. 



245 



reichen ©affer ringsumher ju nehmen, ßefctere bemerften , bah 
ber ffcembe, ein finftereg (Seftdjt machte unb bie freubige Se* 
grüfmng ber frönen Same nur falt unb gemeffen erroieberte; 
unb als Seibe 9lrm in 5lrm fidj Iangfam entfernten, fonnte 
man Sljränen in ben klugen bet Spanierin roaljmeljmen. @iit 
Sebienfteter hörte fpäter auS bem Sanier ber ^remben taute 
unb sornige SBorte Seitens beS £)erm unb häufiges Schubsen, 
untermifcht mit flehentlichen Sitten ber Same, fonnte aber, ba 
Seibe fich ber fpanifd^en Sprache bebienten, nichts oon bem 
(Segenftanbe beS (SefprächeS oerftehen. Salb barauf oerliehen 
Seibe ben (Safthof , inbem fie gegen ben Sefrber bie Sleufjerung 
thaten, bah fie jt<h bie SSafferfäKe im fülonbfdjein anfehen rootlten. 
$urje 3eit nachher fah ein Abgänger auf ber fanabifdjen Seite 
beS Stromes beutlich im Sollmonblichte , mie baS unglücfliche 
Saar ftch über ben fogenannten „Srofpect Soint" (unmittelbar 
über bem amerifanifchen Sheil ber ^äüe gelegen) in bie furcht* 
bare Siefe hinabftürjte. Sie Leichname Seiber fanb man einige 
Sage fpäter bei ben groben StromfchneKen eine ÜUteife unterhalb 
ber $äHe. 3m «£>otel hutte ber fjrembe eine fleine (Selbfumme 
jurücfgetaffen, bie eben jur Seftattung Seiber hinreichte, unb 
alle 9ia<hforfchungen nach bem roahren tarnen unb ber £>erfunft 
ber UnglücfUdjen blieben bis auf ben heutigen Sag in geheim* 
nifjooHeS Sunfel gehüllt. 

3m tperbfte beS 3ahreS 1843 langte in 9liagara*3aHS ein 
ftattlich auSfehenber grember oon ungefähr fünfzig fuhren an; 
ec trug ben tarnen Saniel SBebfter in baS ^rembenbuch feines 
Rotels ein. 3n>ei Sage nach feiner 5lnfunft ging ber 3rembe 
auf bie Äanabafeite hinüber, fprang gerabe oberhalb beS &uf* 
eifenfaHeS in ben Strom unb mürbe augenbticflich in ben Strubel 
hinabgeriffen. Sie nach 3luffinbung beS Körpers angefteüte 
Unterfuchung ergab, bah ber angebliche SBebfter in SBahrheit 
Sanbegger hieh unb einer ber reichften $aufleute SoftonS mar 



Digitized by Google 




246 



fDtonnigfaltigeS. 



Secf)§ 3af)rc oorljer f)atte ftd& bet SRann in ein rounberfdjöneS 
junges 3Räbd&en oerliebt, baS ben Soften einer ftaffirerin tn einem 
ber feinften fReftaurantS 59oftonS belleibete. Srofc beS großen 
5llterunterfdf)iebS Ijeiratljete fte ber fterblicij in fte oerliebte 
2Jtomt unb machte fte, oljne lange nad£) ifjrent Vorleben ju forfd&en, 
jur Herrin feines Kaufes. Sie Stellung i$reS ©atten oerfdfjaffte 
ber §RrS. 53attbegger ©ingang in bie erften ©efeflfc&aftsf reife ber 
Stabt, aber halb munlelte man allerlei Schlimmes über fte. 
Ser arglofe ©atte rief gegen bie oermeintlidjen 53erleuntber bie 
£)ilfe ber ©endete an, unb nun fteüte ftdlj im Saufe ber Unter« 
fudfjung IjerauS, baf$ bie ©yfafftrerin eine äufjerft fd&lintme 53er* 
gangenfjeit fjatte. ©in ©e^eimpolijift fagte u. 51. eiblidj aus, 
baft fte für ben Siebftaljl einer Ufjr bereits eine jefjnntonatlid&e 
©efängnifsftrafe oerbüfjt Ijabe. Siefe ©nt&üHungen rairften gleich 
Somterfd&lägen auf 53anbegger; oljne ein SCBort ju f preßen, 
oerliefj er ben ©erid&tSfjof, reiste oon 53ofton ab unb fudfjte 
roenige Sage barnadfj in obengenannter SGßeife feinen Sob im 
fRiagarafafl. 

Sie gröfjte Senfation erregte ber Selbftmorb einer jungen 
Same, ©Imira 2RiUarb, im Saljre 1847, reelle in fRiagara» 
Solls felber ju föaufe mar. 3Ijr tragifdfoeS ©efdjidt berichtete 
mir eine etroa fed^jigjä^rige roürbige ÜRatrone jenes DrteS, als 
id(j fte eines SageS in ifjrent Ijübfcfjen ^päuSdfjen auffud&te. Sie 
toar bie 53ufenfreunbin beS unglüdflicf)en 2Rdbd&enS geroefen. 
„©in 2Baljrfager" — fo erjdf)lte fte mir — „ift bie Urfadje beS 
SobeS meiner armen S^unbin geroefen. ©Imira befafj feinen 
Siebljaber, obfdfjon fte Ijübfdf) roar unb häufig Einträge erhielt. 
©ineS Sommerabenbs, als fte auf ber S3eranba oor bem &aufe 
einer S re unbin faf$, fant ein alter, erfchöpft auSfe^enber 53ettler 
beS SßegeS, unb bat um bie ©rlaubnifj, etroaS auSruljen ju 
bürfen. ©r fchien oon bem 5lntlifc ©Imira’S ganj befonberS an« 
gezogen ju roerben, benn feine großen grauen 5lugen roaren un« 



Digitized by Google 



ÜÜiannigfaltigeS. 



247 



unterbrochen ftarr auf fie gerietet. ©nblicfy faßte er, er oerftefje 
bie 3ulunft oorherjuoerfünbcn unb machte ihr in einbringltd^er 
2Beife ben Sorfchtag, ihr biefelbe ju prophezeien. 5Dann nahm 
er ihre £mnb unb begann 5)inge ju enthüllen, oon welchen nur 
fte felbft unb ihre ffreunbin Äenntnib haben fonnte. ,©ie ftnb 
unter einem unglücflidjen ©tern geboren/ fuhr er fort, ,unb 
werben einem Seben, ber ©ie liebt, Unheil bringen. 5)ie non 
Shnen Sefchenften unb 2We, roelche Shnen ©efchenfe machen, 
roerben in furjer 3eit fterben. fffür ©ie felber aber roeiSfagett 
bie ©eftirne einen in furjer ffrrift eintretenben fchrecflichen 5ob.‘ 
Gltntra roar oon jenem 2age an roie oenoanbelt ; fie oerfiel in tiefe 
©chmermutb. ©enau oier SBodpen nach ber Prophezeiung fanb 
man ihren Seidjnam im fftiagaraftrome." 

Anfang? $uni 1860 brachte ein Slbenbjug oon fRero*?)orf 
ben Seidjnam eine? SJianne? in ben beften fahren na<h Niagara« 
f5aH§ ; berfelbe roar auf bem Saljnjuge geftorben. ©ine 55amc 
oon etroa fünfunbbreifjig Sohren, oon einer wahrhaft junonifchen 
©eftalt unb fehr elegant gefteibet, ftanb am 9tu?gang ber Sahn* 
hofshalle unb fchien ängftlich alle fReifenbert ju muftern. ©nblidj 
roenbete fte fich enttäufdht an ben 3ugführer unb fragte biefen, 
ob fein Sir. SanteS 2BiUmann mitgefommen fei. 55a rourbe 
ihr bie traurige Hntroort, ber betreffenbe §err fei rofth^enb ber 
3ahrt geftorben ; in grober Aufregung erflärte fte, bab ber Set« 
ftorbene ihr Sräutigam geroefen fei, befteUte einen Seichenbeftatter 
unb lieb ben öeichnam nach ihrem ©afthof bringen, ©ie roie? bort 
jeben Seiftanb jurücf unb wachte roährenb ber folgenben 9la<Ü)t 
allein am ©arge be? lobten. 5lm nächften borgen befteUte 
fie einen 2Bagen unb fuhr, hinüber nach 2able*9to<f. 55ort ftieg 
fie au§, bezahlte ben Äutfcher unb übergab ihm einen ©rief mit 
bem ©rfudhen, benfelben an ben £>otelroirth abjugeben. ©h c 
Sener bann fi<h abgeroenbet hatte, roar fte fehnurftraef? in beit 
tJlufj gefprungen unb fofort über ben ftufeifenfall hinabgefchroemmt 



Digitized by Google 




248 



©Mannigfaltiges. 



worben. ©tan fattb ihren ßeichnam niemals. Ser ©rief enthielt 
eine beträchtliche ©elbfumme unb erzählte eine ^oc^romantifd^e 
©efchichte. Ser ©ame ber fchönen ©elbftmörberin war ©milie 
©libben, ihre $eimath ÜBilliamSport in ©ennfgloanien ; bort 
mar fte not fahren bei einem fröhlichen ©icfnicf im ©cherje 
oon einem ©tubenten einem gewiffen 3ameS SOBillmann an« 
getraut worben. Sie ©eiben fühlten fpäter eine ernftliche 3 U ' 
ncigung für einanber unb rooUten fidh wirflich trauen laffen; 
aber bie fefjr gefchwächte ©efunbljeit beS jungen ©tanneS jmang 
ihn, auf [Reifen &u gehen, Saljre lang mar er halb in Italien, 
halb in ©gppten. ©eine ©erlabte lebte fpäter mit ihrer längft 
perwittweten ©Mutter in Shicago fehr jurüdtgejogen unb h^i* 
rathete nie. ©o oft ©Mr. SBiHmann nach ©ew*?)or! fam, mar 
eS fein erfteS ©efchäft, an ©Mib ©libben eine Sepefche ju fenben, 
worauf fte ihn bamt auffudhte unb ihn pflegte, bis er bie ©er* 
einigten Staaten roieber perlieb, ©o war er auch jefct raieber 
pon ©Jeftinbien heimgelehrt unb wollte bie Same in Niagara* 
gallS treffen, mar aber nur als ßeichnam bahin gelommen. 

5luch heutigen SageS noch hat bie Ghronif her ©iagarafälle 
eine grobe 3ahl non romantifchen ©elbftmörbern unb ©Morben 
aufjuroeifen. ©o ging im 3uni 1879 ein belgifdheS ©h e Paar, 
Samens fRolanb, nach bem oberhalb ber 3 ^ e 9 en ittfel gelegenen 
Sreif<hweftern*@ilanb fpajieren. 9Mach furjer 3*it lehrte fftolanb 
allein unb in grober Aufregung nach feinem ©afthof jurücf unb 
gab bort bie ©rllärung ab, bab feine grau, im ©egriffe ju 
trinfen, in bie ©tromfchneUen gefallen unb über ben ftufeifenfall 
hinabgpjogen roorben fei. Allgemein hatte man ben ©Mann im 
©erbacht beS ©attenmorbeS ; aber ba e§ an ftcheren ©eweifen 
fehlte, mubte man ihn abreifen laffen, nachbem er für bie ©e« 
ftattung beS nadh brei Sagen aufgefunbenen 2eid>namS ber un« 
glücüichen grau eine ©elbfumme hinterlegt hatte. 

©o ift jenes erhabene ©aturfchaufpiel alljährlich für &unbert* 



Digitized by Google 



'Mannigfaltiges. 



249 



taufeitbe eine GueUe reifen ©enuffeS unb lebhaften ©ntjürfenS, 
für »iete ^unberte bagegen ber ©djauplafc eines ji^en unb 
fcbredflicben 2eben§abf<hluffeS geworben. 3uliu§ 2. Oteef. 

©efd^i^ie bet ^tafjlfcbet. — jüngfter 'ft 
Diel barüber geftritten roorben, roer bie Staljlfeber erfunben habe, 
unb man mar fc^Iie^lid^ iu bem ßrgcbniffe gelangt, bab biefelbe 
uom ©tabtfdhreiber Sobann ipanffen in Aachen unb fpäter, als 
bie ©rfinbung in ©ergeffenbeit gerätsen mar, non bem Schreib* 
leerer ©ürger noch einmal erfunben roorben fei. Sn ,,©<hön< 
berger’S Sößrfen- unb ^panbelSbericht" roirb bem entgegen bie 
inteHeftueHe Ur^eberfd^aft an biefer ©rfinbung bem ©bemifer 
Dr. Sofepb ©rieftlep, bem ©ntbecfer beS ©auerftoffS, beS Gbtor* 
roafferftoffs, ber fcbroefligen ©äure tc., ^ugefprocben. $>ort roirb 
erjäblt, bab ©rieftlep fdjon im Sabre 1780 einem alten Sreunbe 
gegenüber, bem ©erfertiger non Metallfpielroaaren , ©leifol* 
baten u. f. ro., Mr. £>arrifon in ©irmingbam, feinen ©erbrub 
barüber äußerte, bab ihn baS ©dbneiben ber ^ielfeber ftetS fo 
lange aufbalte. „^arrifon, ©ie ftnb ja ein geriefter Mann," 
fo füll ber grobe ©elebrte gefagt haben, „lönnen ©ie mir nirf)t 
fo etroaS roie biefe getbeilte S^berfpifee in Metatt berfteüen ?" 
.^arrifon, ber ftcb für alle gelehrten ©ntbecfungen feines SreunbeS 
noch mehr intereffirte, als für fein eigentliches $anbroerf, rourbe 
burch bie $rage baju angeregt, über bie ©adje nacbjubeitfen, 
unb f(bon nach roenigen Sagen brachte er oerfcbiebene Muftcr 
gefpifcter Metallfebern, oon einer Sorm, über welche roir gegen* 
rodrtig freilidh lachen mürben, bie man jeboch int Mufeum troit 
©irmingbam ftetS mit bem gröbten Sntereffe anftebt. @S follen 
baS bie erften ©tablfebern geroefen fein. $)er 9iame jenes £>ar= 
rifon aber ift roeber in einem ft'onoerfationS*2eyifon , noch in 
einem tedhnifdhen ©acbfchlageroerle ju finben. @r roar ein ©onber* 
ling, batte überaus geringe ©ebürfniffe unb fo gut roie gar 
feinen fommerjieHen ©htn. Sür ihn roar eS eine gröbere ©e« 



Digitized by Google 




250 



Mannigfaltige*. 



friebigung, einem 2Bunf<be Dr. Sneftletj’S roiÜfabrt zu haben, als 
imreb bie ©rjeugung her neuen gebern im ©roffen ein Vermögen 
ju ermerben. 6 c fu^r fort, Steifolbaten unb fonftige metallene 
Spielzeuge mit einigen Arbeitern ju erzeugen, bie unb ba auch 
Stablfebern, an bereu Serbefferung er eine 3eit lang unauSgefefet 
arbeitete, ohne eS jeboeb zu roirllicben ^ortfdjritten 31 t bringen. 

,£>arrifon mürbe ein alter Mann, unb als folc^er befanb er 
ftcb einmal in ber Seriegenbeit, für einen Arbeiter, ber ibn eben 
im Stiebe gelaffen batte, einen 6 rfafe fueben 3 U müffen. 6 r 
llagte fein 2 eib einem greunbe, ber ibm benn auch nerfpradj, 
einen Arbeiter für ibn au^ftnbig 3 U machen. 9tun rooUte ber 
3ufaK, baff biefer ftreunb auf ber Straffe einem jungen Menfcben 
pon etwa ftebenmtbzroanzig Sabren begegnete, ben er irgenb ein* 
mal in einer anberen, überaus fleinen Spielroaarenfabri! Sir* 
mingbamS gefeben unb roegen feiner groben gertigfeit , SlrbeitS* 
luft unb oerftänbigen Arbeitsort im Stillen berounbert batte. 
Ser unge Mann mürbe an &arrifon empfohlen, ber ibn benn 
audj fofort anfteüte. 6 r fanb in ibm einen ausgezeichneten Ar- 
beiter unb überlieb ibm ein Sab* fpäter fein ©efebüft. Ser 
junge Mann bteb Sofiab Mafon. ©r ftarb erft im Sabre 1881 
als ber Seftfcer ber gröbten Stablfebernfabrif ber 6 rbe. Surcb 
ibn mürbe bie Stablfebeminbuftrie in Sirmingbam begrünbet, 
unb oon bem fleinen ©efebäfteben .fparrifon’S ging fte auS. Sn 
feiner $abrif, m eiche niete Sabbate binbureb bloS für ißerrp, 
bie inzmifeben zum SBeltbaufe norgefebrittene f^irrna, arbeitete, 
mürben SBocbe für 2Bocbe fünf Sonnen Stabl 3 U gebern oer* 
arbeitet, unb jebe Sonne liefert im Surcbfcbnitt V/t Millionen 
Stücf. Sie $abrif befd^dftigte zu Mafon’S Lebzeiten mehr als 
1000 Arbeiter, fte befebäftigt gegenmärtig beinahe 2000, unb 
rings um fte herum ftnb in Sirmingbam anbere Stablfebem* 
fabrilen entftanben, beren ©rzeugniffe zufamnten mit 50 Millionen 
Stüd pro 2Bo<be beziffert roerben. 



Digitized by Google 




^Mannigfaltige?. 



251 



Das 3>ntereffe für fölafon bürftc oielleicbt burdb bie Semerlung 
erbost roerben, bab er mittelbar jur ©rünbung be§ groben ©tabliffe* 
ment? non Ärupp in Offen bie Seranlaffung geboten ^at. fülafon 
befd^öftißte jtcb nämlidb, sufammen mit ben ©ebrübern ©tfington, 
mit ber SBegrünbung ber fpäter fo grobartig entroicfelten galoano* 
plaftifdbett ^nbuftrie in ©nglanb, toie nachher mit ber ©infübritng 
ber fMicfelinbuftrie unb noch oielen anberen, ju grobartiger ©nt« 
micfelung gebrauten Wirten ber 9MetaHinbuftrie. ©in bantal? 
noch unbefannter 2Mann, ffriebridb Ärupp, offerirte ibm oer* 
febiebenartige fIMafcbinen, foroobl für bie ©atoanoplaftif, roie für 
bie Stablfebemerjeugung, unb fülafon, ber felbft bie roidbtigften 
SMafcbinen gerabe für bie fterfteHung non Stablfebern erfuttben 
batte, faufte biefe befferen unb bejahte für biefetben bie anfebn« 
Ii<be Summe non 10,000 ^3fb. Sterl., meldbe fpäter ber ©rün» 
bung?fonb? be? ©tabliff ements in ©ffen tnurbe. <S. ß. 

9Sirfung ber Söhtfff auf — ©etoib ift ni(bt ju 

leugnen, bab Stuftf unter ben fogenannten frönen fünften einer 
ber roidbtigften fDtabftäbe ift für bie ©inilifation. Wiener betanntc 
roitbe Häuptling, ber bie ©fjre batte, einem ^offonjerte in Ser* 
faille? beijuroobnen, mürbe befragt, roelcbe? Stücf ibm am beften 
gefallen habe. 6r gab bie naioe 9lntroort: „Da? erfte." @? 
ftellte ftdb berau?, bab er bamit ba? obrenjerreibenbe Stimmung?« 
prälubium meinte unb oerfiel babureb natürlich bei ber febon 
bamal? „an ber Spifee ber ©inilifation marfebirenben groben 
Nation" bem S3erbammung?urtbeil ber Sarbarei. 

Sehnliche Stufen feelifdber ©ntmicfelung ober Befähigung 
finbeit mir in ber 2bierroe(t. 

5)urdb Dichtung unb Sage nerberrüebt ift bie ber Sogelroelt 
allein oorbebalteite Sirtuofität im ©efang, bureb roelcbe gerabe 
bie ßleinften ftdb au?jeidbnen. $)ie ftngenben 9Mäufe fteben nerein* 
Seit # unb bie im 3° nie trompetenben ©lepbanten fönnen ebenfo* 
roenig al? bie „fteinermeidbenben" Sieberfänger au? bem ßafcen* 



Digitized by Google 




252 



©lannigfaltigeS. 



gefcbledit ober bie ben üfltonb anbellenben .t)unbe als ausübenbe 
„Xonfünftler" im ^ierreicb angefeben roerben. 

Unter ben Säugetieren jeigen ftef) bie bem Wenfdben näher 
ftebenben, intelligenteren ^ßftan^enfreffer ben ©inbrüden ber ÜJlufif 
am jugänglidjften. 3)er inbifcfie ©lepbant hört mit 3 e ^ en ber 
©efriebigung auf 2Kuftf, unb bie ©rjäblungen au§ bem $Uter* 
tfjum non Grlepbanten unb gerben, bie jum 2anj nach bem 
Staft abgeriebtet mürben, finben ihre ©eftätigung in ben fieiftun* 
gen unferer Sfunftreüer. $>a§ Sd&lacbtrob lernt bie trompeten* 
fignale genau unterfebeiben unb befolgen, ftampft mit ben fjfüjjen 
unb hebt ben Sopf ^ö^er unter ben klängen ber friegerifd&eu 
SKärfdje. 

®a§ 2>romebar »ergibt (Srmübung unb ©rmattung, roenn 
eS (Sefang ober bie klänge felbft ber burftigften ÜJhifif ber 
Wüftenföbne hört, wogegen bie SRaubtbiere jeher Slrt fidb als 
^cinbe ber ©tufif geberben. ®ie gelebrigften, flügften unb an* 
bänglidjften £>mtbe beulen ein ßlagelieb ju ber fd&önften 5lric, 
bie föauSfabc »erfriert ftcb, ber Wolf flieht nor ben klängen 
beS 3agbbom§ unb beftätigt bamit jene ©rjäbtung oom (Seiger 
in ber Wolfsgrube , roäbrenb ber ipirfcb als Wiberfäuer bem 
JiUang beS WalbbomS mit Wohlgefallen jubört. 

©on einem Wenagerielöroen roirb erzählt, bab er bei Planier* 
mufü non ben klängen ber oberen Dftaoen ju ruhigem ©rftaunen 
angeregt mürbe, roäbrenb er bei ben tiefen in bie furebtbarfte 
Wutb gerietb, bie {ich aber alsbalb legte, roenn bie Wufi! auf* 
hörte. 2)aS gaitje 3lffengefcblecbt befunbet bureb fein gleich* 
giftiges ober roiberroiHigeS ©erhalten gegen jebe 'ülrt non Wuftl 
nicht bie geringfte Stammoerroanbtfdhaft mit bem Wenfcben* 
gefdblecht, roäbrenb boeb fogar bie ooHfommenften IfretinS bie 
gröbte Erregung beS Wohlgefallens bei ©luftf jeigen. 

Unter ben Reptilien bagegen, roenigftenS unter ben höheren, 
finben mir Sinn unb Sntereffe für bie Wufif. @S ift befannt, 



Digitized by Google 




SKannigfaltigeS. 



253 



bafj unfete fonft fchüchterne 3ttauereibe<hfe, 'wenn man pfeift, im 
fliehen einhält unb mit Stufmerffamfeit juhört. $n Slmerila 
feffeln bie Angeborenen auf ähnliche SOßeife burdj Hßufif bie 9luf* 
mer!famfeit ber groben Sguanaeibechfe , beren $leif<h bei ihnen 
feljr beliebt ift, fo bafs fie biefelbe leicht fangen lönnen. 

2ÖaS ben ©inn für BJlufif bei ben ©chtangen betrifft, fo ift 
allgemein befannt, bafj bie inbifchen unb egpptifdjen 3auberer 
fich ihre» primitioen 33laSinftrumenteS bebienen, um ihre 3ög s 
Iinge auS ihren ©chlupfroinfeln heniorjulocfen , mie Slehnlid&eS 
oon ben ffiipemfängern auS Italien berichtet mirb. 

9luch bei unferen heimifdjen Schlangen, roenigftenS bei ber 
Streujotter, höbe ich gan$ ähnliche Erfahrungen gemacht unb jroar 
nicht bloS einmal, fonbem in einem Sage mehr als zehnmal. 
Sch hatte eine prächtige fchroarje Kreuzotter erft jroei Sage einge* 
fangen, beoor ich meine ©ammlung beutfeher ©ihlangen auf bem 
33olfSfeft in Eannftatt auSftetlte. ©ie fühlte fich bei ihren ©chme* 
ftern ganz heimifdh, halte auch oom junger noch nichts oerfpürt. 
©obalb nun eine mir gegenüberftehenbe Drehorgel ihre Söne 
hören lieb, richtete fie ganz oerrounbert ihr feines Köpfchen mit 
bem ganjen SSorberleibe in bie $öhe, unb fchien, ben Kopf mit 
ben glühenben klugen hin unb her beroegenb, auf bie Sftuftl ju 
hören, raährenb fie rceber oorljer nodh nachher bie geringfte Kopf* 
bemegung machte. 

©omit mären auch unfere Vipern mufilalifch, mie bie oben 
angeführten Shiere unb mie ihre ©chmeftem in heifsen 3onen unb 
fremben fiänbem. i5ft. Roä>. 

Sfaol bcc Kühne hatte nadj feiner Biieberlage bei ©ranfon 
baS ©elübbe getljan, au» Srauer feinen S9art machten zu laffcit, 
bis er fi<h gerächt haben mürbe. Ser Herzogin $olanthe oon 
©aoopen, ju ber er in nahen ^Beziehungen ftanb, moUte er aber 
im ©arte gar nicht gefallen, unb als fie ihm oor ber ©flacht 
bei Kurten £>ilf§gelber fanbte, Inüpfte fie bie ©ebingung baran* 



Digitized by Google 




254 



fDtonnigfaltigeS. 



bab er fth raftren taffe. (Sr roar m ber pehtlihften Verlegen* 
beit. (SinerfeitS mochte er ba§ @elb nicht miffen, aitbererfeitS 
fürchtete er burdj ben 53ru<h feinet ©elübbeS baS ©hiclfal her* 
auSjuforbem. ©o fam er auf ben 9lu§roeg, fth jroar raftren 
ju laffen, aber au ber einen ©eite beS ©efthteS einen 33üfhel 
Haar ftehen ju Iaffen, ben er ju einem 3°Pf e floht. ©o ging 
er in bie ©hlaht, unb in bem gleichen lächerlichen Hufjuge mufjte 
er, ba auch bei DJiurten bie Sürfel au feinen Ungunften fielen, 
ftch auf bie flucht begeben. 3 um Srofte mochte er fth fagen, 
bab gegen baS ©hroeijer guboolf fein SßoUbart ihm wohl ebenfo 
wenig geholfen hoben mürbe, roie bie Hilf »gelber ber ^erjogin 
?)olanthe. . 2B3. 

@in ungcfchicttcr SÜtalcr. — Ser berühmte fransöftfhe 
ÜJlaler ©uftao SorS mähte einft eine gubraanberung burdj ©a« 
tragen, unb hotte fein Hauptquartier in einem abgelegenen Sorfe 
genommen, non mo aus er Ausflüge in bie reijnoUe Umgegenb 
mähte. ©neS SageS fagte er ju bem SBirthe: „Iber ©ie hoben 
ba ein abfheulitbeS ©hilb nor 3h^em Haufe, ih roerbe 3hoen 
ein neue§ malen." 2 ! er Sirth freute ftch fe^r barüber, befon* 
berS als er oemaljm, bab er für ba§ $unftroerf nichts mürbe 
ju schien hoben. 2llS am nähften Sage ba§ Stegenraetter ben 
Äünftler im Häufe hielt, ging er an bie Arbeit unb matte nah 
allen ©efefcen ber ^erfpeftioe einen Sagen, ber rafh heranrottt, 
unb non bem Sirthe an ber Sfjür empfangen roirb. Ser Snhaber 
beS SirthShoufeS mar auber fth trat f^reube über baS neue glän* 
jenbe ©hilb, baS am anberen Sage über ber Sfjur befeftigt 
roerben füllte. Sie abenblihett (Säfte ftaunten in ber SirtljSftube 
ba§ öilb an, nur einer, ber Sifd&ler, ber auh mit Delfarben 
unb 2acf umjugehen raubte, fhüttelte ben $opf unb fagte: „SS 
ftnb boh 51 t grobe fehler in bem 93ilbe! ©eht ihr benn nicht, 
bab baS eine Hinterrab an bem Sagen nicht runb ift?" 

* „SaS ift raahr, H^r Saler," fagte ber Sirth, „meine 



Digitized by Google 




fötannigfaltigeS. 255 

Säuern finb hoch nicht fo burnm, fic tabeln ein Stab, baS nicht 
runb fein foll!" 

5 )orß lachte, rooHte ben ©runb erflären, marum nadh ben 
©efefcen ber Serfpeftioe bieS Stab nicht oöUig freiSrunb erfdheinen 
fßnne, aber baS reijte ben empfinblichen Sifdjler noch mehr. 
„$<h miU ^hm beroeifen, bah @r nichts oerfteht," faßte er, nahm 
einen 3 irfel, fefcte ihn auf bie Slchfe be§ getabelten Stabet unb 
30 g einen ßreiS. 5)aS Stab mar entfliehen nicht ganj runb, bie 
Säuern nerachteten nun baS neue Schilb ebenfo fehr, als fte eS 
juerft berounbert hatten, unb ber SBirth erfuchte ben fötaler, baS 
Stab bo<h runb 3 U machen, fonft habe er feine Stühe mehr im £)aufe. 

3)or<5 nahm nun feinen fßinfel unb überftrich baS ganje SÜb, 
fo bah nichts mehr banon ju feheit mar. 

„Oho," fagte ber 2Birth, „fo geht eS nicht! Sie haben mir 
mein altes Schilb nerborben unb miiffen eS nunmehr bejahlen." 

Um feinen ärgerlichen Auftritt herbeijuführen , tnubte ®ore 
roirflich baS alte Schilb bejahlen, unb ber $ifchler im 5)orfe 
malte ein neues, auf bem bie Stäber mirftich abfolut runb roaren. 
Sille Säuern aber lachten ben feinen fötaler aus ber Stabt auS, 
ber nicht einmal ein Stab runb malen fßnnte. 2h* 0 

^ochumth flegen ^orhnmth. — $)er ^erjog ©ngelbert 
non fltaffau (geft. 1504) mürbe jugleich mit bem ^erjog non 
©elbem in einem Treffen gegen ben $önig $art YUI. non §ranf* 
reich gefangen. Sefcterer hatte geäußert, er moHe ein fo grofseS 
Söfegelb nom ^erjog ©ngelbert forbern, bah feine Serroanbten 
einen Äorb auf ben Stücfen mürben nehmen müffen, um biefe 
Summe für ihn jufammen ju betteln. SllS nun bem Sperjog bie 
in ber SUjat fehr h°h e Summe beS ßöfegelbeS beftimmt mürbe, 
befahl er feinem Schafcmeifter , er möge bafür forgen, bah non 
ben herjoglichen ©ütern ber hoppelte Setrag beS oom Könige 
geforberten SöfegelbeS aufgebracht merbe. darauf lieh er ft<h 
unb feinen Wienern neue Slnjüge anfertigen, auf melden auf ber 



Digitized by Google 




25G 



Mannigfaltiges. 



fJiücffeite ein 33ettelforb gefticft roar. 9llS Völlig Karl VIII. bieS 
geroaf)rte, fragte er: „28aS foH baS bebeuten?" unb fofort gab 
itjm ber &erjog gur 5lntroort : „3fd& roiU einen König oon ftranf* 
reidb nid&t gern jum fiügner machen ; barum trage ic& forooljl wie 
meine Siener ben Settelforb auf bem SRücfen. 2Iber noch einen S3or» 
fd&lag roiH ic^ ©udb machen, fiaffet SBiirfel ^olen; roir rooUen um 
baS ßöfegelb roiirfeln. Verliere icf), fo bejahte id& eS ©u<b hoppelt." 

Sa ftanb ber König auf unb fagte: „2öaS ein ftergog non 
9Iaffau oerfc&enfen ober oerfpielen fann, roirb ein König oon 
^ranfreicb jebcrjeit entbehren fömten; gebet bin, id& begehre nun 
gar fein ßöfegelb." Q. P. 

3apancitfrf)c SbcatcrbcfudKrinncn. — Sie Japaner 
lieben öramatifd&e S3orfteHungen ungemein, namentlich bie Samen* 
weit. Siejenigen Samen nun, roefd&e baS Sweater befudben, machen 
eine (S^renfadfie barauS, roä^renb ber Sauer ber 93orfteHung brei* 
bis oiermal ihre Kleiber ju roedjfeln, um ihre reiche ©arberobe 
SU seigen. Sie laffen ftcb beSfjalb oon ihren Kammerfrauen be* 
gleiten, roeldbe aHeS ju biefem großen Söerfe ©rforberlidbe bei 
ficb fjaben. — Man ftebt alfo, roir haben Unrecht, bie SuyuSfcbau* 
fteüungen unferer Sogeninfafftnnen ju befpßtteln. Pt. 

Seutlicfjeo $intoci3. — Ser König May oon Sägern 
fanb einen feiner Kammerlafaien einmal gar ju roh unb un* 
gefcbliffen, unb ftufcte ihn ein roenig jured&t. fRadb einiger 3 e it 
fragte er ifjn, roaS er benn fcfjon MeS gelernt hätte. 

„0, ich lerne auch ^rangöfifdb," gab ber 2afai gur Antwort, 
unb jum Seroeife feines gleifjeS ergäblte er bem Könige, roie in 
biefer Spraye ein Sdbroein, ein Od&S, ein ©fei u. f. ro. genannt 
roerbe. Ser König lad&te belieb unb fagte: „fRur gut, baf* Su Sieb 
oor allen Singen nach Seinen Qxeunben erfunbigt baft." — tut— 



S^erauSgegeben, gebrueft unb oerlegt oon Hermann Schön lei nS 




jul vs 1312 



Digitized by Google 



Digitized by Google 



Digitized by Google 





f*\med bv Pr6J 



0O/a^' on 





Digitized by Google 



Digitized by Google